Kategorie: News & Blogs

Übers Meer: Von Italien nach Sizilien. Von der Stiefelspitze nach Syrakus.

Es dämmert draußen. Im Aufwachen sehe ich, wie die Dunkelheit draußen in milchiges Grau übergeht. LEVJE wiegt sich sanft in irgendeiner Welle. Ich halte die Uhr vor meine Augen. Viertel nach fünf. Ich höre in der Stille das Boot eines Fischers, das knapp hinter LEVJE aus dem Hafen hinaus aufs Meer tuckert. 

Es war spät geworden gestern, kurz nach elf, bis ich eine der wenigen Marinas an der Sohle des italienischen Stiefels erreicht hatte, Roccella Ionica. Ich war im Dunkel bis vor die Hafeneinfahrt gefahren. Hatte langsam drei Kreise gedreht. Und dann meinen Anker fallen lassen. Motor aus. Stille. Noch ein Bier. Dann ab ins Bett.

Jetzt im Grau des Morgens kann ich mehr erkennen, wo heute Nacht mein Zuhause war. Ich hatte meinen Anker genau vor dem langen Strand neben dem Hafen fallen lassen. Rechts der Hafen, mit den noch schlafenden Masten. Hinter mir die Mole aus Zementpylonen, hinter der jetzt gerade die Sonne aufgeht. Links das offene Meer. Zeit aufzubrechen. Nach Sizilien.

Zwei Stunden später. Es ist windstill. Wir laufen unter Motor die Küste Kalabriens entlang. Es ist eine einsame Küste, ewig langer unentdeckter Sandstrand, kein Tourismus. Auch ein Platz, um tagelang aufs Wasser zu schauen. Das Leben an sich vorbeiziehen zu lassen. Frieden zu finden.

Gegen Mittag macht die Küste am Kap Spartivento einen Bogen von Südwesten nach Westen. Auf der italienischen Landkarte ist das der Knick in der Sohle, wo der Ballen beginnt. Ich habe fast die Stiefelspitze erreicht, doch ich folge nun nicht weiter der Küste, sondern gehe hinaus in die Weite, ziele auf den weitest entfernten Ort auf Sizilien, nach Siracusa im Südosten der Insel, um nur ja eine lange, lange Überfahrt zu haben. Allein auf dem Meer. Für 140 Kilometer.



Wie lange braucht eigentlich eine Küste, bis sie hinter uns zu Schemen verblasst? Eine halbe Stunde? Eine? Zwei? Nein. Es dauert dreieinhalb Stunden, bis Kalabrien irgendwo im Dunst und hinter der Krümmung des Wassers verschwunden ist. Und ich fast nur noch von Wasser umgeben bin. Fast. Denn irgendwo weit rechts, hoch in den Wolken, ragt unwirklich ein schwarzer Zipfel aus den Wolkenspitzen heraus. Der Gipfel des Ätna, der an dieser Stelle von Null auf über 3.000 Meter ansteigt und fast ein Zehntel der Fläche Siziliens für sich beansprucht.

Ich lasse ihn einfach rechts liegen. Und steuere hinaus, wo ich nichts anderes mehr finde als unermessliche Weite und Geborgenheit in diesem fremden Element. Sie kann einen süchtig machen, diese Weite. Und die Geborgenheit dazu. Es ist fast windstill, keine fünf Knoten Wind von vorn. Das Glitzern auf dem Wasser., als wäre es ein Abbild des Sternhimmels. Das Rauschen links und rechts von LEVJE, die mit monotonem Brummen einfach immer weiter ins Nichts steuert. Ich bin noch nicht weit weg vom Land. Und doch habe ich das Gefühl, in die Weite eines fremden, unerforschten Kontinents hineinzusteuern, in dem die Regeln andere sind. So ganz andere als am Land.

Für einen Moment denke ich an München, die Stadt, in deren Nähe ich immer lebte. An die Lindwurmstraße, an den drängenden Verkehr, an jenes „Tu dies. Erledige das“, das über allem liegt. Von meinem Cutter, von Felix, der den Schnitt meines MÜNCHEN-ANTALYA-Films besorgte, lernte ich das Wort „pushy“. „Ich war so pushy drauf“, sagte Felix einmal. Ob er mir recht geben würde, dass es die Stadt an sich ist, die „pushy“ drauf ist? 

Ich sehe in der Seekarte nach. Das Meer ist an dieser Stelle 2.000 Meter tief. Weite also nicht nur nach links und rechts, so weit mein Auge reicht. Sondern auch nach unten. Jetzt, wo ich draußen bin, erscheint mir das Meer so unfassbar weit, dass mir München, ja selbst dies Europa von meinem augenblicklichen Standpunkt aus winzig vorkommt, samt all seiner Pracht, seinem Gedrängel, seinen Sorgen.

Bist Du nie einsam auf dem Meer, wenn Du so allein unterwegs bist, werde ich oft gefragt? Nein. Einsam ist das unfreiwillige Los, alleinzusein wider Willen. Es nicht ändern zu können, obwohl man es gerne möchte. Ich? Bin gerne allein. War es immer. Und weiß doch, dass ich die Menschen mehr brauche als jeder andere. Und in Gedanken reist meine Frau immer mit.

Vielleicht ist es das, was die Geborgenheit im Alleinsein ausmacht. Nichts mehr, was bedrängt in diesem Augenblick. Nichts was drängelt. Nichts, was in einem solchen Moment sagt: „Tu dies. Tu das.“ Das Meer ist in diesem Augenblick einfach da, nur für sich und überhaupt gänzlich desinteressiert an mir, wie es immer ist. Ich bin nicht Kunde. Ich bin nicht Objekt irgendeines Marketings. Das Meer nimmt keine Kenntnis von mir. Ist einfach nur unendlich weit. Und weil es so weit ist und ich in dieser Weite nur eines erkenne: Wie klein ich eigentlich bin; drum habe ich genau hier, mitten im Nichts, meinen Ort und Halt gefunden, in diesem Augenblick. 

Das große Ganze um mich herum: Es kann auch anders. Es kann rauh sein und unwirtlich und abweisend. Und so, dass man bei 30 Knoten immer wieder den Kopf einzieht und auf sein Rigg schaut, so wie bei meiner Überfahrt über den Golf von Tarent vor einigen Tagen. Doch jetzt: Alles ruhig. Alles still. Platz zum Atmen.

Es ist später Nachmittag, halb fünf. Eben habe ich auf die Tankuhr geschaut, beiläufig, und festgestellt, dass der Diesel im Tank zur Neige geht. Tankuhren sind tückisch – vor allem, wenn man sie noch nicht so gut kennt. Sie brauchen lang, bis der Zeiger von „Voll“ auf „Halb“ zurückgeht. Das war Vorgestern. Also dachte ich, alles ok. Und nun steht der Zeiger plötzlich auf „ein Achtel.“ Oder ist es nur noch „ein Zehntel“? Noch sechs Stunden übers offene Meer bis Siracusa.

Ich nehme meine Logbuch zur Hand, in dem ich jede Tankfüllung, jede Motorstunde am Ende eines Segeltages eingetragen habe und rechne nach. Eigentlich müssten ja noch dreißig Liter im Tank sein. Aber so genau weiß man das nie. Mehrverbrauch. Meine tagelangen Filter-Arien, um die Diesel-Bakterien und Dieselpest aus meinem Tank zu bekommen. Weil ich es jetzt aber genau wissen muss, will ich nicht plötzlich mit stotterndem Motor in der Weite der Straße von Messina liegenbleiben, hole ich mir Werkzeug. Und gehe nach Achtern in meine Kammer, die sich über die Breite des Schiffes zieht. Unter meinem Bett ist neben dem 170 Liter Wassertank auch der 210-Liter Dieseltank. Ich nehme den Schraubenschlüssel, drehe in Windeseile die sieben Muttern der tortengroßen Insepktionsluke auf, und leuchte mit der Taschenlamp nach unten, ins grünliche Dunkel des Tanks. Tatsächlich. Da schwappen nur noch etwas mehr als drei Liter. Und keine dreißig. Das reicht noch für zwei, drei Stunden. Nicht mehr.

Tankstelle gibt es auf dem offenen Meer keine. Ich denke nach. Es wäre nicht schlimm, wenn der Motor stehenbliebe. Ein leises Lüftchen weht, fünf Knoten. Ich bräuchte 30 Stunden, um irgendwie die restlichen 50 Seemeilen nach Siracusa zu driften. Eigentlich kein Problem. Doch dann fällt mir ein, dass ich irgendwo noch einen 15-Liter-Kanister stehen habe. Tatsächlich. Das sollte reichen, für 10 Stunden. Ich hole das schwere Teil aus der Backskiste, hangle es nach oben, balanciere hinten auf den Treppenstufen von LEVJE herum, während das Boot unvermindert weiterläuft, und fülle Diesel in die schmale Tanköffnung. Alles wieder gut.

Es ist die Weite, die mich glücklich macht. Diese unendliche Weite, die mich doch eigentlich ängstigen müsste, weil ich allein bin hier draußen und im Umkreis von 100, 150 Kilometern gerade niemand ist, der mir helfen könnte. 

Vor wenigen Tagen starb Gudrun Calligaro, die in den Achziger Jahren mit 45 auf einem neun-Meter Boot die Erde umrundete. Und dabei nur sieben Mal das Bedürfnis hatte, einen Hafen aufzusuchen. Sie war die erste Deutsche, die die Welt einhand umrundete. Sie war nicht auf der Jagd nach Rekorden oder Unsterblichkeit. Sie suchte die Weite. Und sie war die erste, die in ihrem Buch EIN TRAUM WIRD WAHR über die Schönheit und das wundersame Geborgensein in ihr berichtete.

Es ist 18 Uhr. 12 Stunden nach meinem Aufbruch taucht vor mir das Land auf im Dunst. Noch vier Stunden, dann bin ich da. Nein, es sind Überfahrten auf meinem Schiff wie diese und die vorangegangene über den Golf von Tarent, die den ungeheuren Reiz ausmachen. Bin ich in München, fehlt es mir selten. Lebe ich es hier: Könnte ich mir mein Leben nicht ohne vorstellen.

Da war doch noch was

Oh, ja, da war doch noch was! Diese Website, die ich in den letzten Wochen fast vergessen hätte.

Uns war nicht langweilig, es gab viel zu tun. Auch wenn einige dachten, ich wäre auf Heimaturlaub, es sah bis auf wenige Tage anders aus. Drei größere TÜV Projekte standen an. Der Trailer von Camino, dem ich neue Elektrik und eine Rahmensanierung inkl. aufwändigem Farbaufbau verpasst habe. Dann noch unser Transportanhänger und das Auto meines Vaters. Ansonsten diverse Teile für Nomade anfertigen und beschaffen. Unser Auto musste ebenfalls repariert werden und mit Eos hatte ich auch noch einmal viel zu tun.
Unser erster gemeinsamer Sommerurlaub mit Filou ist am Ende auf zwei Tage Testpilgern zusammengeschrumpft. Diese zwei Tage waren wir auf dem Jakobsweg unterwegs, inklusive zelten. Mehr war einfach nicht drin, denn auch Sabrina hat ihre freien Tage genutzt, um an ungezählten Nomade-Projekten zu arbeiten. Lesen, recherchieren, nähen, Material organisieren…

Und Filou? Der hatte einen Rückfall. Magen-Darm-Erkrankung. Tierarzt, diverse Laboruntersuchungen, zwei Wochen Schonkost und ein Gewicht wie er es zuletzt in Griechenland hatte.
Jetzt geht es seit einigen Tagen wieder bergauf! Er frisst so gut wie noch nie zuvor, nimmt wieder zu und ist super gut gelaunt.

Und Nomade?
Leinen fest, alles Ok. Jeden Tag ein virtueller Rundgang mit den IP Kameras und bisher keine Zwischenfälle. Hoffentlich bleibt es so.

In wenigen Tagen sitze ich wieder im Flieger. Oder besser gesagt in drei verschiedenen! Anders komme ich nicht sinnvoll auf die Insel im Mittelmeer.

Mehrere Pakete mit diversen Ersatzteilen sind auch schon unterwegs an ein paar nette Leute, die sie für mich auf Kefalonia annehmen werden.

Ihr merkt, ich bin kurz angebunden. Es gibt noch einiges zu tun und an Bord erwarten mich in erster Linie viele Reparaturprojekte. Ob dieses Jahr noch viel gesegelt wird, steht in den Sternen. Ohnehin haben sich in Sachen Routenplanung ein paar Änderungen ergeben. Lasst euch überraschen.

Für Kreativarbeit war leider keine Zeit. Der zweite Film liegt nach wie vor halb geschnitten auf der Festplatte herum…

SV Mawal – Alan Leahy IE

FROM IRELAND TO ICELAND AND BACK VIA FASTNET ROCK

Hi Peter
I am delighted with our Windpilot Pacific on our Rival 34, we are just back from a return trip from Ireland to Iceland
Alan Leahy from Cork in Ireland

SV 7Seas – Anett, Hendrik, Dominik, Marie, Max Pilz GER

UNGLÜCK WOHNT BEI GLÜCK UM DIE ECKE, WENN MAN IN ST.MAARTEN IST

Pilz Familie

SV Makaio – Stephanie Seifert AT

AMSTERDAM ZIEHT ALLE AN – AUCH WENN SIE AUS DEN BERGEN KOMMEN

Heute haben wir angefangen, die Seile und Leinen, die schon abkömmlich sind, abzubauen und zu waschen. Mit der Hafenwaschmaschine im Schonwaschgang. Jetzt sind sie wieder weich und salzfrei und ausserdem riecht es aus der Backskiste jetzt nach Lavendel!

Stephanie Seifert

Aufwachen in: Crotone.


Es gibt Posts, die bedauert man, geschrieben zu haben. 
Bei anderen ist man sich nie seiner Sache so ganz sicher. 
Am schlimmsten aber sind die Posts, die man nicht geschrieben hat. Bei denen einen noch Tage später das Gefühl beschleicht: Über diesen Ort, diesen Menschen hätte man schreiben, für andere berichten sollen. Ganz unbedingt. Weil es ein besonderer Ort ist. 

Crotone an der Südküste Kalabriens ist so ein Ort. Und das nicht bloß, weil ich den Ort nach einer wilden Überfahrt über den Golf von Tarent (siehe meine letzten Post) vor mir hatte. Die Stadt ist rätselhaft, wie sie sich zu Füßen des merkwürdigen, nur karg bewachsenen Höhenrückens bettet. Ein rätselhafter Höhenzug aus merkwürdig graugrünem Gestein, der sich wie eine Sichel schützend um sie legt.


Crotone empfing mich irgendwie mit offenen Armen. Und so ganz anders wie die ihre Hauer bleckende Gorgo, das gruselige Haupt, das die Griechen Crotones zur Abwehr aller Schrecken dieser Welt an ihre Tempelmauern klebten. Crotone war freundlich, die Marineros im YACHTING KROTON CLUB nahmen sich meiner an. 

Die ersten Schritte am nächsten Morgen nach dem Aufwachen am Hafen: Eine Hafenbar, wie man sie sich schöner nicht wünschen kann, mit ein paar Fischern drin, die hier den Vormittag rhabarbernd verstreichen lassen. Links daneben ein großer Fischladen. Ich konnte nicht anders, als hineinschauen, ich litt noch immer unter der essensmäßigen Kargheit Kroatiens, wo einfaches Essen aufzutreiben so schwierig war wie auf den Inseln einen Fisch zu kaufen und auch meine gefühlten 15-Mal-einen-vorbeifahrenden-Fischer-fragen, ob-er-mir-nicht-einen-Fisch-verkauft ohne Ergebnis verlaufen waren. Wo die Fischläden, kaum dass sie geöffnet hatten, am späten Vormittag gleich schon wieder zusperrten.

Ich merkte, ich war ausgehungert, irgendwie, von Kroatien. Und jetzt: Stand ich in diesem Fischladen in Crotone, der eigentlich eine Fischhalle war, inmitten einer Menge von Menschen, die wie ich Freude daran haben, Fisch zu kaufen. Es gab: Die obligaten Branzini (Wolfsbarsch) und Orate (Dorade) sowieso. Seehecht, Rochen, Scorfano. Berge von Muscheln, Vongole, Cozze, mittendrin Austern, Heuschreckenkrebse und Langusten, Lachs und Schwertfisch und Thunfisch und Jakobsmuscheln und Scampi roh zum pulen und überhaupt. Ich hatte das Gefühl, ausgehungert nach gutem einfachen Essen, plötzlich im Paradies zu stehen, im Schlaraffenland.

Ein paar Schritte weiter. Ich hatte Hunger bekommen. Und wer unterwegs ist, der lernt auf die Signale am Wegrand zu achten. Zwischen all den Hafenwerkstätten, Fischläden, Mechaniker- und Bootszubehörläden (… noch so ein Schlaraffenland!) hatte ich einen Mann mit einem frischen Panino in der Hand gesehen. Wenn der das hatte, musste es hier doch in der Nähe … und schon stand ich davor: Ein großes Schild SALUMERIA stand darüber, Wurstladen. Der Laden war nicht größer als der Flur meiner Großmutter. Aber proppenvoll mit verschiedenen Salame und Schinken. Vor meinen Augen drehte das Wort COTTO NAZIONALE große Kreise, zwischen denen die Worte CRUDO NAZIONALE und GORGONZOLA PICANTE wie kleine zwitschernde Vögelchen flirrten. Zehnerlei Käse, vom Mozzarella di Buffalla über Taleggio, Pecchorino bis Bel Paese. Nein, sowas. Ich fühlte, ich war angekommen. „Due Panini, per favore, con…“ was nehm ich bloß? Egal, eine in Öl eingelegte getrocknete Tomate muss da noch mit drauf…


So ging mein Vormittag dahin. Im Hafenviertel entdeckte ich mindestens drei Fischläden, Austern hatten sie alle, da ließ man nichts, aber auch gar nichts anbrennen in Crotone. Ich sauste mit dem Panino von der Salumeria in der Hand zur Werft von Elio, von dem sie sogar im 200 Seemeilen entfernten Marina di Ragusa auf Sizilien schwärmerisch geredet hatten, um ihn wegen meiner heißlaufenden Stopfbuchse um Rat zu fragen. Elio versprach, seinen Mechaniker zu schicken. Ich sauste zurück in die Stadt, nicht ohne die nächste Salumeria am Hafen von innen zu bestaunen, ein Ort, wo eine Anzahl hurtig hantierender Männer HINTER dem Tresen die löwenmäßig ausgehungerten Männer VOR dem Tresen mit allem möglichen zwischen zwei Paninihälften versorgte. Wir reden nun nicht von den zwei Gelaterie im Zentrum, die meinen Aufenthalt im Archäologischen Museum aufs angenehmste einrahmten.


Nein, Crotone mit seinem Gewirr an Werkstätten, Fischläden, Salumerien und sonstigen kleinen Läden zu Füßen der Festung hat was. Vielleicht hat sich mein Weltbild in den letzten drei Jahren grundlegend simplifiziert. Oder sagen wir besser: Noch mehr zu dem verdichtet, was wirklich zählt. Gutes Essen. Ganz ohne Tütteltüh und Schi-Schi. Und ein paar Männer, die machen statt zu quatschen. So wie Pasquale, der Marinero im YACHTING KROTON CLUB. Oder Elio. Oder die Männer hinterm Tresen.

Wer jemals mit dem Boot nach Crotone kommt:

Telefon YACHTING KROTON CLUB, Pasquale: +39 320 611 50 69
Telefon PORTO VECCHIO SERVICE,  Elio:         +39 338 125 89 86

Fischläden, Salumerien, Gelaterien? Da müssen Sie sich schon selber auf die Suche machen. In Crotone.

Aufwachen in: Crotone.


Es gibt Posts, die bedauert man, geschrieben zu haben. 
Bei anderen ist man sich nie seiner Sache so ganz sicher. 
Am schlimmsten aber sind die Posts, die man nicht geschrieben hat. Bei denen einen noch Tage später das Gefühl beschleicht: Über diesen Ort, diesen Menschen hätte man schreiben, für andere berichten sollen. Ganz unbedingt. Weil es ein besonderer Ort ist. 

Crotone an der Südküste Kalabriens ist so ein Ort. Und das nicht bloß, weil ich den Ort nach einer wilden Überfahrt über den Golf von Tarent (siehe meine letzten Post) vor mir hatte. Die Stadt ist rätselhaft, wie sie sich zu Füßen des merkwürdigen, nur karg bewachsenen Höhenrückens bettet. Ein rätselhafter Höhenzug aus merkwürdig graugrünem Gestein, der sich wie eine Sichel schützend um sie legt.


Crotone empfing mich irgendwie mit offenen Armen. Und so ganz anders wie die ihre Hauer bleckende Gorgo, das gruselige Haupt, das die Griechen Crotones zur Abwehr aller Schrecken dieser Welt an ihre Tempelmauern klebten. Crotone war freundlich, die Marineros im YACHTING KROTON CLUB nahmen sich meiner an. 

Die ersten Schritte am nächsten Morgen nach dem Aufwachen am Hafen: Eine Hafenbar, wie man sie sich schöner nicht wünschen kann, mit ein paar Fischern drin, die hier den Vormittag rhabarbernd verstreichen lassen. Links daneben ein großer Fischladen. Ich konnte nicht anders, als hineinschauen, ich litt noch immer unter der essensmäßigen Kargheit Kroatiens, wo einfaches Essen aufzutreiben so schwierig war wie auf den Inseln einen Fisch zu kaufen und auch meine gefühlten 15-Mal-einen-vorbeifahrenden-Fischer-fragen, ob-er-mir-nicht-einen-Fisch-verkauft ohne Ergebnis verlaufen waren. Wo die Fischläden, kaum dass sie geöffnet hatten, am späten Vormittag gleich schon wieder zusperrten.

Ich merkte, ich war ausgehungert, irgendwie, von Kroatien. Und jetzt: Stand ich in diesem Fischladen in Crotone, der eigentlich eine Fischhalle war, inmitten einer Menge von Menschen, die wie ich Freude daran haben, Fisch zu kaufen. Es gab: Die obligaten Branzini (Wolfsbarsch) und Orate (Dorade) sowieso. Seehecht, Rochen, Scorfano. Berge von Muscheln, Vongole, Cozze, mittendrin Austern, Heuschreckenkrebse und Langusten, Lachs und Schwertfisch und Thunfisch und Jakobsmuscheln und Scampi roh zum pulen und überhaupt. Ich hatte das Gefühl, ausgehungert nach gutem einfachen Essen, plötzlich im Paradies zu stehen, im Schlaraffenland.

Ein paar Schritte weiter. Ich hatte Hunger bekommen. Und wer unterwegs ist, der lernt auf die Signale am Wegrand zu achten. Zwischen all den Hafenwerkstätten, Fischläden, Mechaniker- und Bootszubehörläden (… noch so ein Schlaraffenland!) hatte ich einen Mann mit einem frischen Panino in der Hand gesehen. Wenn der das hatte, musste es hier doch in der Nähe … und schon stand ich davor: Ein großes Schild SALUMERIA stand darüber, Wurstladen. Der Laden war nicht größer als der Flur meiner Großmutter. Aber proppenvoll mit verschiedenen Salame und Schinken. Vor meinen Augen drehte das Wort COTTO NAZIONALE große Kreise, zwischen denen die Worte CRUDO NAZIONALE und GORGONZOLA PICANTE wie kleine zwitschernde Vögelchen flirrten. Zehnerlei Käse, vom Mozzarella di Buffalla über Taleggio, Pecchorino bis Bel Paese. Nein, sowas. Ich fühlte, ich war angekommen. „Due Panini, per favore, con…“ was nehm ich bloß? Egal, eine in Öl eingelegte getrocknete Tomate muss da noch mit drauf…


So ging mein Vormittag dahin. Im Hafenviertel entdeckte ich mindestens drei Fischläden, Austern hatten sie alle, da ließ man nichts, aber auch gar nichts anbrennen in Crotone. Ich sauste mit dem Panino von der Salumeria in der Hand zur Werft von Elio, von dem sie sogar im 200 Seemeilen entfernten Marina di Ragusa auf Sizilien schwärmerisch geredet hatten, um ihn wegen meiner heißlaufenden Stopfbuchse um Rat zu fragen. Elio versprach, seinen Mechaniker zu schicken. Ich sauste zurück in die Stadt, nicht ohne die nächste Salumeria am Hafen von innen zu bestaunen, ein Ort, wo eine Anzahl hurtig hantierender Männer HINTER dem Tresen die löwenmäßig ausgehungerten Männer VOR dem Tresen mit allem möglichen zwischen zwei Paninihälften versorgte. Wir reden nun nicht von den zwei Gelaterie im Zentrum, die meinen Aufenthalt im Archäologischen Museum aufs angenehmste einrahmten.


Nein, Crotone mit seinem Gewirr an Werkstätten, Fischläden, Salumerien und sonstigen kleinen Läden zu Füßen der Festung hat was. Vielleicht hat sich mein Weltbild in den letzten drei Jahren grundlegend simplifiziert. Oder sagen wir besser: Noch mehr zu dem verdichtet, was wirklich zählt. Gutes Essen. Ganz ohne Tütteltüh und Schi-Schi. Und ein paar Männer, die machen statt zu quatschen. So wie Pasquale, der Marinero im YACHTING KROTON CLUB. Oder Elio. Oder die Männer hinterm Tresen.

Wer jemals mit dem Boot nach Crotone kommt:

Telefon YACHTING KROTON CLUB, Pasquale: +39 320 611 50 69
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Fischläden, Salumerien, Gelaterien? Da müssen Sie sich schon selber auf die Suche machen. In Crotone.

Die 7 Königreiche

Die Isle of Man gefällt mir so gut, dass ich beschließe mir noch einige weitere Ecken anzusehen. So mache ich mich dann auf den Weg rund um die Insel in die Hauptstadt Douglas. Ich kann mein Glück kaum fassen, dass das Wetter mir das erste Mal seit Schottland zwei schöne Frühlingssegeltage (Für das Attribut „Sommer“ ist es einfach auch heute viel zu kalt) hintereinander erlaubt. So geht es ganz entspannt vom Tidenstrom getragen zunächst an der Ostküste der Insel entlang bis zum Ayre Point, der Nordspitze der Isle of Man. Irgendwie erinnert mich das hier alles ein wenig an Bornholm. Die schroffe felsige Küste, einige Felder und Weälder und vereinzelte Hütten. Wirklich schön anzusehen.

Ayre Point erreiche ich pünktlich zum Stillwasser. Das ist auch besser so, denn hier verwirbeln sich alle Wassermassen die weiter in Richtung Liverpool strömen wollen. Jetzt aber ist es friedlich und ich kann den Ausblick auf  Den Leuchtturm und das gigantische Nebelhorn daneben werfen. Bei passenden Bedingungen soll man das Ding angeblich über 30 SM weit hören können…

Weit an Backbord gibt es auf einmal eine Wasserfontäne. Schnell greife ich das Fernglas und erblicke tatsächlich… einen Minkwal! Leider bleibt er nicht lange und so wende ich meinen Blick wieder nach Backbord und genieße die immer felsiger werdende Landschaft. Eigentlich komisch, würde man die schroffere Küste doch auf der Luvseite, hier der Westseite erwarten. Dinge über die man sich beim Segeln Gedanken macht… Aus solchen merkwürdigen Gedanken werde ich aber schnell wieder heraus gerissen. Hinter mir spritzt das Wasser wieder auf. Dieses Mal ist es aber kein Wal, sondern schon wieder eine Schule Delphine! In einer langgezogenen Kurve nähern sie sich tierisch schnell von Achtern. Fast wie ein Geschwader Kampfjets. Sie schießen in wenigen Zentimetern Abstand am Boot vorbei, springen hoch und tauchen wieder unter der Bugspitze durch. Zumindest von den Bewegungen her ist der Kampfjetvergleich gar nicht mal so daneben gegriffen… Vor der Kullisse mit Felsen, Feldern, Knicks und britischen Herrenhäusern ist das ganze noch mal schöner als neulich in der Irischen See.

Irgendwann am Abend komme ich dann in Douglas an. Auch hier weiß ich schon lange vorm Anlegen genau meine Liegeplatznummer, mit welcher Seite angelegt wird und alles andere wichtige. Ich finds echt erstaunlich wie gut die Häfen hier nur durch ein bisschen Funkerei organisiert sind. Könnte an der Ostsee auch manches Hafenkino ersparen… Dafür hat der Hafen allerdings auch die abstoßendsten Sanitäranlagen aller meiner bisherigen Reise. Ausdrücklich inklusive Osteuropa.
In Douglas mache ich erstmal einen kleinen Zug durch die Gemeinde. Die Stadt ist heutzutage bekannt als Steuerparadies. Nebenbei ist sie aber auch bereits seit dem 19. Jhdt. ein typisch viktorianisches Seebad mit Promenade, Strand und gesellschaftlichem Leben. Als die Cote d´azur noch zu weit weg war reiste die Londoner Gesellschaft nach Douglas. Dementsprechend prachtvoll sieht es hier an einigen Ecken auch noch aus.

Sogar eine Pferdekutsche fährt hier noch an den alten Prachtbauten entlang. Ich informiere mich mal kurz und steige ein. Die Kutsche fährt hier nicht nur als Touristenattraktion sondern ist ernsthaft eine städtische Buslinie. So kostet der Spaß dann auch nur wenige Pfund. Von dort geht es weiter mit dem öffentlichen Nahverkehr. Hier gibt es nämlich eine uralte Straßenbahn, die der Küste entlang bis auf den höchsten Berg der Insel fährt. Perfekt um einen tollen Eindruck der Landschaft zu bekommen. Das über 100 Jahre alte Gefährt fährt dann auch gar nicht auf der Straße sondern auf engen gewundenen Schienen durch die Dörfer. Fühlt sich fast an wie ne Zugfahrt durch den Märchenwald im Freizeitpark. Ich steige auch mal aus, streife durch die Dörfchen, mache dem Pub meine Aufwartung, und nehme einfach den nächsten Zug weiter.

Das Highlight kommt aber noch: Am Ende quält sich die aus allen Rillen knarzende Bahn auf den höchsten Punkt der Insel hoch. So hoch, bis kein einziger Baum mehr auf dem Rasen steht. Nur noch Schafe und Steine. Nun lohnt es sich aber gleich doppelt, dass heute ein schöner Tag ist. Bei klarer Sicht kann man von hier oben nach einer alten Sage der Manxmen nämlich 7 Königreiche von einem Ort aus entdecken. Und tatsächlich, ich kann sie alle erblicken: Das Königreich der Isle of Man, Irland, Schottland, England, Wales, das Königreich des Himmels und der See.
Spaß beiseite, der Blick ist wirklich einmalig. Von Liverpool in England  kann man über die gesamte Irische See bis nach Irland und zum Mull of Kintyre in Schottland schauen. Neben dem Blick über die Isle of Man natürlich. Stundenlang könnte ich hier oben bleiben und hätte immer noch nicht alles gesehen. Erst den letzten Zug zurück nach Douglas nehme ich dann und es geht zurück durch die Landschaft. Wer sich diese kleine Tour entgehen lässt war nicht auf der Isle of Man sagt der Hafenmeister, und nach diese Tag glaube ich ihm auch. Die Isle of Man war wirklich ein lohnenswerter Abstecher und ein ganz besonderes Törnziel. Und der Landgang heute hat dem ganzen noch die Krone aufgesetzt.

Peel – Auf der Wikingerinsel

Als das Wetter endlich mal wieder auf so etwas umschaltet, dass man mit etwas gutem Willen als Frühjahr bezeichnen kann, verlasse ich Belfast. Eigentlich wollte ich mich noch etwas an der nordirischen Küste entlang hangeln, doch als ich das Belfast Lough und die vorgelagerten kleinen Inseln hinter mir gelassen hab, liegt die Irische See auf einmal still und friedlich vor mir. Am Horizont im Osten tauchen wegen der klaren Sicht hohe Berge auf: Die Isle of Man.

Kurzerhand ändere ich den Kurs und lasse mich bei leichten Winden gemütlich in RIchtung dieser Insel schieben. Die Isle of Man gehört nicht zum Vereinigten Königreich, nicht zur EU sondern ist direkter Kronbesitz und damit teilautonom. Vergleichbar mit den Åland Inseln in der Ostsee. Apropos Ostsee: Das Wasser plätschert so friedlich am Rumpf entlang wie lange nicht mehr. Umso mehr genieße ich diese kurze Schönwetterphase. Heute fühlt sich das Wetter mal nicht rau und anstrengend an, sondern wirklich wie an einem schönen Sommertag zwischen den dänischen Inseln.
Ich lasse den Autopiloten die Arbeit machen, vertilge ein paar Müsliriegel und liege die Aussicht genießend im Cockpit, als es auf einmal ein schnaubendes Geräusch gibt. „Wie in der Ostsee halt: Schweinswale“, denke ich mir noch wenig beeindruckt, doch dann bemerke ich, dass gleich mehrere Tiere an Nonsuchs Bug spielen! Und es sind auch keine Schweinswale, sondern Delphine! Mit einem Mal stehe ich auf dem Bug um das Schauspiel zu beobachten. Eine ganze Schule Delphine schwimmt um das Boot herum, taucht drunter hindurch, quer durch die Bugwelle. Manchmal habe ich das Gefühl die Kollegen würden gleich direkt auf dem Vordeck landen. Was für ein Erlebnis! Als der Hafen von Peel auf der Ostküste der Isle of Man sich dann abends langsam nähert, werde ich auch noch für einen Fischer gehalten: Gleich 3 Kegelrobben verfolgen mich neugierig und warten auf ihren Anteil am Fang. Leider kann ich nicht mal fischen und so ziehen die flapschigen Gesellen dann zum nächsten sich nähernden Schiff ab.


Ein spannender Tag: Die Irische ist nicht eben nicht nur ein besonders bissiges Seegebiet, sondern auch eines mit besonders viel Tierleben. Durch die ständige Strömung ist das Wasser hier angeblich besonders sauerstoffreich. Das heißt mehr Fisch, mehr Fisch heißt mehr Delphine und Robben…

Der Hafen von Peel wird von einer alten Festung direkt in der Hafeneinfahrt bewacht. Im Mittelalter war die Insel übrigens lange ein Außenposten der Wikinger und hat die Engländer entsprechend genervt. Auch heute noch ist das Erbe der Wikinger auf der Insel zu finden. Ich finds echt spannend wie sich die Umgebung der Häfen hier regelmäßig oft seit Jahrhunderten nicht mehr verändert haben… Doch auch die Moderne hält hier Einzug: Der Hafen ist seit einigen Jahren mit einem Tor versehen, welches bei halber TIde geschlossen wird. So fällt im Hafen nichts mehr trocken. Und pünktlich zu meiner Ankunft wird das Tor gerade geöffnet. Per Funk weist der Hafenmeister mir noch mit einem breiten „Welcome to the Manx Kingdom“ einen Liegeplatz zu. Und so neigt sich ein schöner Segeltag dem Ende zu.

Auch hier steht wieder mindestens ein Hafentag an. Anfangs noch nicht weil es hier so schön ist, sondern einfach weil das Wetter innerhalb von einem Tag wieder mal zwei Jahreszeiten übersprungen hat. Schon in der Koje höre ich das Heulen im Rigg und den prasselnden Regen. Bis die Ortserkundung starten kann ist es dementsprechend dann auch schon Mittag. Ich mache einen Rundgang durch das Castle an der Hafeneinfahrt, und werde auf der Luvseite fast umgeblasen.  Die Irische See wird ihrem Ruf heute wieder gerecht. Ein einzelner Manxman, wie die einheimischen hier genannt werden, versucht unter den Augen des kopfschüttelnden Hafenmeisters auszulaufen. Er setzt die Segel und dreht nach etwa einer halben Meile wieder um. Das anzusehen treibt mir die letzten Flausen für den heutigen Tag aus dem Kopf und ich mache mich zurück auf den Weg zum Hafen.

Mit einem Mal gibt es einen Knall. Fast als ob ein Schuss abgefeuert wurde. Ich traue meinen Augen kaum, als dann ein dampfbetriebener Trecker aus der Seitenstraße vor mir fährt. Ich folge ihm einfach mal. An der nächsten Ecke reiht er sich in eine Parade ein. Offenbar findet hier heute auch noch ein typisch britisch verrückter Sommerkarneval statt. So richtig mit Oldtimern, Kostümen und einer ganzen Brigade Mini Cooper. Sogar eine kostümierte Dudelsack Band gibt es die trotz des miesen Wetters gute Laune verbreiten. Britain at its best!

Da nur wenige andere Gastlieger im Hafen liegen mache ich mich abends mal auf zum Segelclub. Segelclub heißt in Brittanien meistens nicht, dass es dort einen Hafen gibt, sondern eher nur ein Clubhaus mit Bar. So ist es auch hier. Die Locals freuen sich über den Besuch von weit her, stellen mir einen Pint hin und fragen mich erst mal über meine Reise aus. Am Ende des Abends weiß ich zwar nicht mehr alle Namen und wie viele Hände ich geschüttelt habe, freue mich aber über die Geselligkeit die hier so ausgeprägt wie noch nirgendwo auf meiner Reise war. Auf meinem nächsten Stadtrundgang werde ich dann an jeder zweiten Ecke gegrüßt und gefragt ob ich heut Abend wieder mit im Pub bin. Wirklich ein toller Zusammenhalt.

Auch das Dorf selbst ist herrlich britisch mit kleinen Gassen, alten Läden, verwinkelt, ein wenig abblätternde Farbe, aber immer freundlich und sympathisch.  Und so ist Peel auf der Isle of Man, obwohl es gar nicht so richtig zu Großbritannien gehört, der vielleicht britischste Ort auf dieser Reise bisher.

Sozialer Aberwitz

HIER: SOZIALE ANERKENNUNG

Als ich vor kurzem in alten Akten nach einer Postkarte suchte, die mir Gudrun Calligaro im Jahre 1989 aus New Zealand geschickt hatte, habe ich nolens volens in meiner Birne eine Tür aufgemacht, die nun weit offen steht – dass es zieht!

Sozialer Aberwitz

Italien Süd: Mit dem Nord über den Golf von Tarent.

 Am Abend hatte ich mir den Wecker gestellt. Pünktlich um 04.30 kamen aus dem IPad die Harfenklänge. Ich ließ es erst einmal eine Minute „harfen“. Dann schlug ich die Augen auf.

Draußen ließen harte Böen LEVJE an ihrem Anker zerren. Nicht beunruhigend. Die Böen hatten eingesetzt, wie der Wetterbericht es vorhergesagt hatte, pünktlich um ein Uhr Morgens. Ich war aufgestanden. Hatte eine Weile zugesehen, wie die Böen LEVJE im  grellen Licht der Uferstraße in der Ankerbucht schwingen ließen. Hatte beobachtet, ob der Anker hielt, indem ich einfach zwei Minuten die Wassertiefe beobachtete. Sie blieb konstant zwischen 4,80 Meter und 5,00 Meter. Der Anker hielt. Dann war ich wieder in meine Koje gekrabbelt. Und war eingeschlafen.

Jetzt waren die Böen immer noch da. Etwas härter, ein weniger hackiger, übellauniger. Und das Gleißen eines Blitzes, das meine Kammer im Achterschiff erhellte. „Steh auf. Geh nachsehen“, mahnte mein Hirn. Schlaftrunken mache ich meine Runde durchs Schiff. Schließe die Fenster, die noch offenstehen. Werfe einen Blick nach draußen. Keine Minute zu Früh. Plötzlich fallen dicke Tropfen. Erst wenige. Dann setzt schwerer Regen ein, während die Böen weiter an LEVJEs Anker zwerren. Eigentlich ist alles dicht auf dem Schiff, nur der Niedergang, die Treppe in LEVJEs Inneres, ist noch offen. Sie ist abgedeckt durch die Sprayhood, eine Art Haube, die sie vor jedem Wetter schützt und auf die jetzt schwer der Regen schlägt. Obwohl der Niedergang windgeschützt ist, dringt Regen ein, weht in schweren Geschossen um die Sprayhood herum und macht mich nass, während ich auf der Treppe im Niedergang sitze. Und beobachte, wie sich mein Schiff verhält.

Regen am Meer kann es in sich haben. Er ist nicht zu vergleichen mit dem kontinentalen Regen, wie er bei uns niedergeht. Selten feiner Niesel, den die Engländer „drizzle“ nennen. Stattdessen Tropfen wie Geschosse, die im Nu das Wasser 20 Zentimeter auf der Straßen stehen lassen. Und in Sekunden als Sturzbach einen Weg vom Genick abwärts finden.

Nach einer Weile lege ich mich wieder in meine Koje. Nein, nicht jetzt wie geplant ablegen, den Anker holen. Und losfahren. Ich gönne mir noch eine Stunde. Und stelle den Wecker auf halb sechs. Und während ich versuche, einzuschlafen, während ich noch nach draußen lausche und dem rauschenden Regen zuhöre, verebbt er. Als hätte jemand mit einer entschlossenen Handbewegung den Wasserhahn abgestellt. Und mit ihm die Böen. Plötzlich ist es windstill draußen in der Dunkelheit. Das Schiff liegt reglos. Der schwere Regen hat die Wellen plattgedroschen. Ich höre nur noch das Gurgeln des strömenden Wassers, das sich an Deck wenige Zentimeter über mir glucksend in zahllosen Rinnsalen seinen Weg ins Meer sucht.

Als das Ipad zum zweiten Mal harft, ist es immer noch ruhig draußen. Die harten Windstöße sind einem feinen Singen gewichen über dem Schiff, der Wind ist gleichmäßiger geworden in meiner Bucht. Doch ich ahne, wie weiter draußen viel Wind weht. Unter den feinen singenden Tönen ahne ich draußen, wo der Schutz der Bucht endet, ein Orgeln. Vor den Fenstern meiner Kammer ist es draußen grau. Es dämmert. Zeit aufzustehen. Mich fertigzumachen.

Ich koche mir einen Tee. Schütte mir ein paar Haferflocken mit bitterer Schokolade in eine Schale. Früher, als ich noch einen Verlag mit 25 Mitarbeitern führte und mein Leben ein ganz anderes war, hatte ich oft Magenprobleme. Magenreizung hier, Reizmagen da. Ich schluckte jeden Tag Pantoprazol, wie viele in meinem Land das tun. Es half. Jetzt gönne ich mir jeden Morgen etwas Haferflocken. Magenschmerzen habe ich keine mehr. 

Die Tasse in der Hand, sehe ich mir noch einmal die Wetterberichte an. Vor drei Tagen hatte ich noch geplant, die 80 Seemeilen über den Golf von Tarent unter Motor zu überqueren, bevor die Kaltfront uns und die Südostspitze Italiens erreichte. Aber dann waren die Wetterberichte milder ausgefallen. Nur noch von sechs Windstärken aus Nord war die Rede, für drei Tage. Ich hatte beschlossen, genau auf dieses Wetter zu warten, um unter Segeln die Strecke zurückzulegen. Doch pünktlich gestern Abend hatte der Wetterbericht der italienischen Luftwaffe seine Milde sang- und klanglos eingestellt. „Ionio settentrionale forza 7. Con temporali.“, hieß es plötzlich gnadenlos. Gewitter. Und Windstärke sieben genau für meinen Sektor Ionisches Meer Nord. Kein Wetter, bei dem man rausgeht. Ich hatte kurz überlegt. Mir dann weitere Windkarten angesehen. Und beschlossen, die Überfahrt auch bei diesem Wetter zu wagen. Schließlich ist LEVJE ein Schiff, das genau für solches Wetter gebaut ist. Siebeneinhalb Tonnen schwer. Der Mast eher einen Tick zu klein, so dass man auch bei höheren Windstärken die Segel stehen lassen kann. Schwer. Behäbig. Ich ging übers Deck. Und machte mein Schiff seeklar.

Mit der Tasse in der Hand schaue ich nach draußen, in die Dämmerung. Und das fahler werdende Licht der Straßenlampen am Ufer, die plötzlich verlöschen. Ich starte den Motor, lausche einen Moment seinem beruhigenden Bullern. Dann setze ich das Großsegel. Und hole im Wasser, das der Nordwind kräuselt, den schweren Anker. 


Zwei Stunden später. Ich bin draußen, und das Kap von Santa Maria die Leuca, da äußerste Ende des Stiefelabsatzes, verblasst langsam hinter mir. Hier draußen hat der Wind kontinuierlich zugenommen. Erst waren es 15 Knoten. Und vorsichtig hatte ich Großsegel und Genua auf zwei Drittel entrollt. Aber irgendwann schwand die Vorsicht. LEVJEs Geschwindigkeit war mir zu wenig, und ich setzte Vollzeug. Alles, was ich hatte. Weiter draußen war der Wind mehr geworden. Und mehr. Erst 20 Knoten. Dann 25. Dann in der Spitze bis 27. LEVJEs siebeneinhalb Tonnen schossen wie ein Pingpong-Ball von rechts nach links, von links an rechts. Zuviel Segel. Reffen war angesagt. 

Reffen: Die Segelfläche verkleinern. Man rollt sie etwas ein. Das klingt einfach, meist sind es schweißtreibende fünf Minuten mit wütend schlagenden Schoten, knatternden Segeln, schepperndem Rigg, in denen ich zusehen muss, möglichst schnell über die Winschen zu kurbeln. Und den um sich hauenden Schoten aus dem Weg zu gehen. Blaue Flecken, eine aus dem Gesicht gehauene Brille wären jetz übel. 

Aber dann segelt LEVJE wieder so munter wie vorher zwischen den Wellenkämen entlang, surft ein Wellental, das seitlich kommt, entlang. Klettert wiegend auf den Gipfel der unter uns durchlaufenden Welle. Und surft vom gischtend brechenden Kamm der Welle wieder hinunter ins nächste Wellental. Ein nettes Spiel, über dem ich schnell vergaß, dass 25 Knoten eigentlich eine Windstärke sind, bei der man Respekt haben sollte, zumals als Einhandsegler. Früher, auf LEVJE I, war genau das meine Grenze. Sie war kleiner, wog nur die Hälfte, und war doch ein tapferes, braves kleines Schiff, auf dem ich Einhand in die Türkei und von dort nach Sizilien gesegelt war. 25 Knoten. Darüber wurde es mulmig, weil das Schiff, meine kleine Welt, zu kippelig, zu instabil wurden.

25 Knoten. Wieder eine Welle, die gischtend vor uns bricht und LEVJE kurz aus ihrem Kurs spültt.  Aber der Autopilot, der auf langen Fahrten steuert, schafft es in zwanzig Sekunden, LEVJEs siebeneinhalb Tonnen wieder einzufangen, auf Kurs zu bringen. Der Autopilot ist Einhandseglers wichtigstes Utensil. Er übernimmt das Steuern, während ich Segel setze, reffe, unter Deck nach dem rechten sehe. Zudem ist Steuern bei diesem Wetter Scherstarbeit, man schafft es für eine begrenzte Zeit, für zwei, fünf oder sieben Stunden. Aber nicht für die 12 Stunden, die ich über den Golf von Tarent unterwegs sein werde.



Kurz nach 13 Uhr erreiche ich etwa die Mitte des Golfes. 40 Meilen in alle Richtungen bis zum Land. 75 Kilometer zu schwimmen, in alle Richtungen. Der Wind klettert über die Marke von 31 Knoten. Er bewegt sich jetzt oberhalb der 28 Knoten, und auch ohne den Windmesser vor mir im Cockpit wüsste ich beim Anblick der Welllen, was es geschlagen hat. Sie rollen jetzt in langen Reihen steil daher. Mauern aus Wasser, eine unmittelbar nach der anderen, ein tiefer Graben dazwischen. Sie treffen LEVJE seitlich, brechend unmittelbar neben ihr, Spritzwasser weht eimerweise in unachtsamen Momenten über mich, wenn ich mich nicht schnell genug hinter die Sprayhood ducke. Schluß mit lustig. Spiel vorbei. Die Wellen lassen Levja jetzt kaum noch auf den Kamm klettern, sie brechen irgendwo seitlich neben ihr, wenn es weiter weg ist, sehe ich, wie der brechende Wellengipfel unter der weißen Gischt in der Sonne flaschengrün leuchtet. Schaue ich nach hinter, wo LEVJEs 1,80 tief hinunterreichendes Ruderblatt eine aufgwühlte See hinterlässt, dann sehe ich, wie der Wind sofort die Tröpfchen vom Kamm mit sich reißt. 



Ende des Spiels. This is going serious. Als eine Welle neben LEVJE bricht, werde ich erst mit Salzwasser überschüttet. Dann fliege ich in LEVJEs harter Bewegung quer durchs Cockpit, auf die andere Seite. Das geht zwei Mal so. Bis auch dem einzigen Dümmsten an Bord dämmert, dass ich etwas unternehmen muss. Reffen? Geht nur noch minimal – ich habe Vorsegel und Groß schon aufs 2. Reff gebracht. Noch mehr Reffen ist nur noch Kosmetik. Dann die nächste Variante: Ich falle etwas ab. Lasse LEVJE jetzt noch mehr mit dem Wind laufen. Es wird wieder ruhiger an Deck. Und LEVJE wird jetzt nicht mehr gar so wild von den Wellen geprügelt. Ich überlege, wie es nun weitergeht. Eine der Winkarten kündigte an, dass es vor Crotone am frühen Abend noch heftiger werden wird. Noch mehr Wind? Wir kommen langsam an unsere Grenze. Sicher. Ich versuche, mir übers Handy den neuesten Wetterbericht zu holen. Aber wir sind längst so weit draußen, für Stunden geht gar nichts mehr. Ich bin auf mich allein gestellt.



Für eine Stunde bleiben die Dinge, wie sie sind. Es weht in Böen über 30 Knoten. Die Wellen ragen steil. Dann: Fällt plötzlich die Zahl auf dem Windmesser. 27. 24. Dann wieder 30. 23. Die Wut der Wellen lässt spürbar nach, das Meer wird glatter. Ich kann wieder den richtigen Kurs legen.



Nachmittags um halb drei taucht plötzlich der Schemen des Festlands vor uns auf. Das Radar, das ich mitlaufen lasse, hat es längst schon gesehen, der gelbe Fliegenschisse oben rechts auf dem Bildschirm. Jetzt sehe auch ich es. Weitere drei Stunden später habe ich plötzlich wieder Empfang auf dem Handy. Ich lade mir den Wetterbericht. Doch der verheißt erneut nichts Gutes: „Nordovest 7. Temporali“. Nordwest sieben. Und weiter Gewitter. Bad News. Ich werde nicht ankern können. Ich brauche heute Nacht richtig Schlaf, sonst kann ich den morgigen Tag vergessen. Auf der elektronischen Seekarte finde ich den Hafen von Crotone. Da war ich noch nie. Ich rufe an. Und frage, ob sie in zwei, drei Stunden für mich und mein Schiff Platz im Hafen hätten. Pasquale ist dran. Ja, sagt er, komm ruhig. Wir haben noch Platz. Wenn Du in den Hafen reinfährst, siehst Du rechts einen Typen mit rotem Pullover auf der Pier. Das bin ich. Folge einfach unseren Anweisungen.“

Als ich ankomme, weht der Wind quer durchs Hafenbecken auf mich zu. Statt eines roten Pullovers sehe ich gleich drei auf der Pier. Sie winken. Halten mir die Mooring hin. Eine Drehung im Hafenbecken. Rückwärts rein zwischen die Schiffe. Aufmunternde Rufe von den drei roten Pullovern. Was haben die bloß? Ist doch alles ok. Als meine Leinen fest sind, stelle ich LEVJEs Motor ab. Die drei in den roten Pullovern schauen mich an. „Waren nicht viele heute draußen unterwegs!“, sagen sie.“ Ich nicke. „Vuoi una birra?“ „Willst Du ein Bier?“, fragt Pasquale, und greift in den Kühlschrank hinter sich. Und ich, todmüde, fühle mich wieder einmal aufgenommen, getragen, von einer Woge, wie sie nur die italienische Männerwelt dem Fremden gegenübern zu entfesseln fähig ist.


Italien Süd: Mit dem Nord über den Golf von Tarent. Oder: Wie fühlen sich 30 Knoten an?

 Am Abend hatte ich mir den Wecker gestellt. Pünktlich um 04.30 kamen aus dem IPad die Harfenklänge. Ich ließ es erst einmal eine Minute „harfen“. Dann schlug ich die Augen auf.

Draußen ließen harte Böen LEVJE an ihrem Anker zerren. Nicht beunruhigend. Die Böen hatten eingesetzt, wie der Wetterbericht es vorhergesagt hatte, pünktlich um ein Uhr Morgens. Ich war aufgestanden. Hatte eine Weile zugesehen, wie die Böen LEVJE im  grellen Licht der Uferstraße in der Ankerbucht schwingen ließen. Hatte beobachtet, ob der Anker hielt, indem ich einfach zwei Minuten die Wassertiefe beobachtete. Sie blieb konstant zwischen 4,80 Meter und 5,00 Meter. Der Anker hielt. Dann war ich wieder in meine Koje gekrabbelt. Und war eingeschlafen.

Jetzt waren die Böen immer noch da. Etwas härter, ein weniger hackiger, übellauniger. Und das Gleißen eines Blitzes, das meine Kammer im Achterschiff erhellte. „Steh auf. Geh nachsehen“, mahnte mein Hirn. Schlaftrunken mache ich meine Runde durchs Schiff. Schließe die Fenster, die noch offenstehen. Werfe einen Blick nach draußen. Keine Minute zu Früh. Plötzlich fallen dicke Tropfen. Erst wenige. Dann setzt schwerer Regen ein, während die Böen weiter an LEVJEs Anker zwerren. Eigentlich ist alles dicht auf dem Schiff, nur der Niedergang, die Treppe in LEVJEs Inneres, ist noch offen. Sie ist abgedeckt durch die Sprayhood, eine Art Haube, die sie vor jedem Wetter schützt und auf die jetzt schwer der Regen schlägt. Obwohl der Niedergang windgeschützt ist, dringt Regen ein, weht in schweren Geschossen um die Sprayhood herum und macht mich nass, während ich auf der Treppe im Niedergang sitze. Und beobachte, wie sich mein Schiff verhält.

Regen am Meer kann es in sich haben. Er ist nicht zu vergleichen mit dem kontinentalen Regen, wie er bei uns niedergeht. Selten feiner Niesel, den die Engländer „drizzle“ nennen. Stattdessen Tropfen wie Geschosse, die im Nu das Wasser 20 Zentimeter auf der Straßen stehen lassen. Und in Sekunden als Sturzbach einen Weg vom Genick abwärts finden.

Nach einer Weile lege ich mich wieder in meine Koje. Nein, nicht jetzt wie geplant ablegen, den Anker holen. Und losfahren. Ich gönne mir noch eine Stunde. Und stelle den Wecker auf halb sechs. Und während ich versuche, einzuschlafen, während ich noch nach draußen lausche und dem rauschenden Regen zuhöre, verebbt er. Als hätte jemand mit einer entschlossenen Handbewegung den Wasserhahn abgestellt. Und mit ihm die Böen. Plötzlich ist es windstill draußen in der Dunkelheit. Das Schiff liegt reglos. Der schwere Regen hat die Wellen plattgedroschen. Ich höre nur noch das Gurgeln des strömenden Wassers, das sich an Deck wenige Zentimeter über mir glucksend in zahllosen Rinnsalen seinen Weg ins Meer sucht.

Als das Ipad zum zweiten Mal harft, ist es immer noch ruhig draußen. Die harten Windstöße sind einem feinen Singen gewichen über dem Schiff, der Wind ist gleichmäßiger geworden in meiner Bucht. Doch ich ahne, wie weiter draußen viel Wind weht. Unter den feinen singenden Tönen ahne ich draußen, wo der Schutz der Bucht endet, ein Orgeln. Vor den Fenstern meiner Kammer ist es draußen grau. Es dämmert. Zeit aufzustehen. Mich fertigzumachen.

Ich koche mir einen Tee. Schütte mir ein paar Haferflocken mit bitterer Schokolade in eine Schale. Früher, als ich noch einen Verlag mit 25 Mitarbeitern führte und mein Leben ein ganz anderes war, hatte ich oft Magenprobleme. Magenreizung hier, Reizmagen da. Ich schluckte jeden Tag Pantoprazol, wie viele in meinem Land das tun. Es half. Jetzt gönne ich mir jeden Morgen etwas Haferflocken. Magenschmerzen habe ich keine mehr. 

Die Tasse in der Hand, sehe ich mir noch einmal die Wetterberichte an. Vor drei Tagen hatte ich noch geplant, die 80 Seemeilen über den Golf von Tarent unter Motor zu überqueren, bevor die Kaltfront uns und die Südostspitze Italiens erreichte. Aber dann waren die Wetterberichte milder ausgefallen. Nur noch von sechs Windstärken aus Nord war die Rede, für drei Tage. Ich hatte beschlossen, genau auf dieses Wetter zu warten, um unter Segeln die Strecke zurückzulegen. Doch pünktlich gestern Abend hatte der Wetterbericht der italienischen Luftwaffe seine Milde sang- und klanglos eingestellt. „Ionio settentrionale forza 7. Con temporali.“, hieß es plötzlich gnadenlos. Gewitter. Und Windstärke sieben genau für meinen Sektor Ionisches Meer Nord. Kein Wetter, bei dem man rausgeht. Ich hatte kurz überlegt. Mir dann weitere Windkarten angesehen. Und beschlossen, die Überfahrt auch bei diesem Wetter zu wagen. Schließlich ist LEVJE ein Schiff, das genau für solches Wetter gebaut ist. Siebeneinhalb Tonnen schwer. Der Mast eher einen Tick zu klein, so dass man auch bei höheren Windstärken die Segel stehen lassen kann. Schwer. Behäbig. Ich ging übers Deck. Und machte mein Schiff seeklar.

Mit der Tasse in der Hand schaue ich nach draußen, in die Dämmerung. Und das fahler werdende Licht der Straßenlampen am Ufer, die plötzlich verlöschen. Ich starte den Motor, lausche einen Moment seinem beruhigenden Bullern. Dann setze ich das Großsegel. Und hole im Wasser, das der Nordwind kräuselt, den schweren Anker. 


Zwei Stunden später. Ich bin draußen, und das Kap von Santa Maria die Leuca, da äußerste Ende des Stiefelabsatzes, verblasst langsam hinter mir. Hier draußen hat der Wind kontinuierlich zugenommen. Erst waren es 15 Knoten. Und vorsichtig hatte ich Großsegel und Genua auf zwei Drittel entrollt. Aber irgendwann schwand die Vorsicht. LEVJEs Geschwindigkeit war mir zu wenig, und ich setzte Vollzeug. Alles, was ich hatte. Weiter draußen war der Wind mehr geworden. Und mehr. Erst 20 Knoten. Dann 25. Dann in der Spitze bis 27. LEVJEs siebeneinhalb Tonnen schossen wie ein Pingpong-Ball von rechts nach links, von links an rechts. Zuviel Segel. Reffen war angesagt. 

Reffen: Die Segelfläche verkleinern. Man rollt sie etwas ein. Das klingt einfach, meist sind es schweißtreibende fünf Minuten mit wütend schlagenden Schoten, knatternden Segeln, schepperndem Rigg, in denen ich zusehen muss, möglichst schnell über die Winschen zu kurbeln. Und den um sich hauenden Schoten aus dem Weg zu gehen. Blaue Flecken, eine aus dem Gesicht gehauene Brille wären jetz übel. 

Aber dann segelt LEVJE wieder so munter wie vorher zwischen den Wellenkämen entlang, surft ein Wellental, das seitlich kommt, entlang. Klettert wiegend auf den Gipfel der unter uns durchlaufenden Welle. Und surft vom gischtend brechenden Kamm der Welle wieder hinunter ins nächste Wellental. Ein nettes Spiel, über dem ich schnell vergaß, dass 25 Knoten eigentlich eine Windstärke sind, bei der man Respekt haben sollte, zumals als Einhandsegler. Früher, auf LEVJE I, war genau das meine Grenze. Sie war kleiner, wog nur die Hälfte, und war doch ein tapferes, braves kleines Schiff, auf dem ich Einhand in die Türkei und von dort nach Sizilien gesegelt war. 25 Knoten. Darüber wurde es mulmig, weil das Schiff, meine kleine Welt, zu kippelig, zu instabil wurden.

25 Knoten. Wieder eine Welle, die gischtend vor uns bricht und LEVJE kurz aus ihrem Kurs spültt.  Aber der Autopilot, der auf langen Fahrten steuert, schafft es in zwanzig Sekunden, LEVJEs siebeneinhalb Tonnen wieder einzufangen, auf Kurs zu bringen. Der Autopilot ist Einhandseglers wichtigstes Utensil. Er übernimmt das Steuern, während ich Segel setze, reffe, unter Deck nach dem rechten sehe. Zudem ist Steuern bei diesem Wetter Scherstarbeit, man schafft es für eine begrenzte Zeit, für zwei, fünf oder sieben Stunden. Aber nicht für die 12 Stunden, die ich über den Golf von Tarent unterwegs sein werde.



Kurz nach 13 Uhr erreiche ich etwa die Mitte des Golfes. 40 Meilen in alle Richtungen bis zum Land. 75 Kilometer zu schwimmen, in alle Richtungen. Der Wind klettert über die Marke von 31 Knoten. Er bewegt sich jetzt oberhalb der 28 Knoten, und auch ohne den Windmesser vor mir im Cockpit wüsste ich beim Anblick der Welllen, was es geschlagen hat. Sie rollen jetzt in langen Reihen steil daher. Mauern aus Wasser, eine unmittelbar nach der anderen, ein tiefer Graben dazwischen. Sie treffen LEVJE seitlich, brechend unmittelbar neben ihr, Spritzwasser weht eimerweise in unachtsamen Momenten über mich, wenn ich mich nicht schnell genug hinter die Sprayhood ducke. Schluß mit lustig. Spiel vorbei. Die Wellen lassen Levja jetzt kaum noch auf den Kamm klettern, sie brechen irgendwo seitlich neben ihr, wenn es weiter weg ist, sehe ich, wie der brechende Wellengipfel unter der weißen Gischt in der Sonne flaschengrün leuchtet. Schaue ich nach hinter, wo LEVJEs 1,80 tief hinunterreichendes Ruderblatt eine aufgwühlte See hinterlässt, dann sehe ich, wie der Wind sofort die Tröpfchen vom Kamm mit sich reißt. 



Ende des Spiels. This is going serious. Als eine Welle neben LEVJE bricht, werde ich erst mit Salzwasser überschüttet. Dann fliege ich in LEVJEs harter Bewegung quer durchs Cockpit, auf die andere Seite. Das geht zwei Mal so. Bis auch dem einzigen Dümmsten an Bord dämmert, dass ich etwas unternehmen muss. Reffen? Geht nur noch minimal – ich habe Vorsegel und Groß schon aufs 2. Reff gebracht. Noch mehr Reffen ist nur noch Kosmetik. Dann die nächste Variante: Ich falle etwas ab. Lasse LEVJE jetzt noch mehr mit dem Wind laufen. Es wird wieder ruhiger an Deck. Und LEVJE wird jetzt nicht mehr gar so wild von den Wellen geprügelt. Ich überlege, wie es nun weitergeht. Eine der Winkarten kündigte an, dass es vor Crotone am frühen Abend noch heftiger werden wird. Noch mehr Wind? Wir kommen langsam an unsere Grenze. Sicher. Ich versuche, mir übers Handy den neuesten Wetterbericht zu holen. Aber wir sind längst so weit draußen, für Stunden geht gar nichts mehr. Ich bin auf mich allein gestellt.



Für eine Stunde bleiben die Dinge, wie sie sind. Es weht in Böen über 30 Knoten. Die Wellen ragen steil. Dann: Fällt plötzlich die Zahl auf dem Windmesser. 27. 24. Dann wieder 30. 23. Die Wut der Wellen lässt spürbar nach, das Meer wird glatter. Ich kann wieder den richtigen Kurs legen.



Nachmittags um halb drei taucht plötzlich der Schemen des Festlands vor uns auf. Das Radar, das ich mitlaufen lasse, hat es längst schon gesehen, der gelbe Fliegenschisse oben rechts auf dem Bildschirm. Jetzt sehe auch ich es. Weitere drei Stunden später habe ich plötzlich wieder Empfang auf dem Handy. Ich lade mir den Wetterbericht. Doch der verheißt erneut nichts Gutes: „Nordovest 7. Temporali“. Nordwest sieben. Und weiter Gewitter. Bad News. Ich werde nicht ankern können. Ich brauche heute Nacht richtig Schlaf, sonst kann ich den morgigen Tag vergessen. Auf der elektronischen Seekarte finde ich den Hafen von Crotone. Da war ich noch nie. Ich rufe an. Und frage, ob sie in zwei, drei Stunden für mich und mein Schiff Platz im Hafen hätten. Pasquale ist dran. Ja, sagt er, komm ruhig. Wir haben noch Platz. Wenn Du in den Hafen reinfährst, siehst Du rechts einen Typen mit rotem Pullover auf der Pier. Das bin ich. Folge einfach unseren Anweisungen.“

Als ich ankomme, weht der Wind quer durchs Hafenbecken auf mich zu. Statt eines roten Pullovers sehe ich gleich drei auf der Pier. Sie winken. Halten mir die Mooring hin. Eine Drehung im Hafenbecken. Rückwärts rein zwischen die Schiffe. Aufmunternde Rufe von den drei roten Pullovern. Was haben die bloß? Ist doch alles ok. Als meine Leinen fest sind, stelle ich LEVJEs Motor ab. Die drei in den roten Pullovern schauen mich an. „Waren nicht viele heute draußen unterwegs!“, sagen sie.“ Ich nicke. „Vuoi una birra?“ „Willst Du ein Bier?“, fragt Pasquale, und greift in den Kühlschrank hinter sich. Und ich, todmüde, fühle mich wieder einmal aufgenommen, getragen, von einer Woge, wie sie nur die italienische Männerwelt dem Fremden gegenübern zu entfesseln fähig ist.