Archiv der Kategorie: Mare Più
Die 25. Neuerscheinung bei millemari: Bergretter berichten über ihre dramatischsten Momente.
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Bergretter bei der Arbeit. Hier bei der Bergung eines Verunglückten aus einer Gletscherspalte. © C. Vogg |
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In enger Zusammenarbeit mit der BERGWACHT BAYERN – jetzt bestellbar: als Hardcover. Mit Leinen-Umschlag. Und Lesebändchen. als Paperback. |
BOOT 2019: Des alten Vormanns neuer Seenotkreuzer.
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Schiffstaufe des Seenotkreuzers Gerhard Elsner auf der BOOT am Stand der DGzRS |
Schmuck steht er zur Schiffstaufe auf der BOOT am Stand der DGzRS, der neue Seenotkreuzer neben seinem Vormann. Gerade rechtzeitig zur Messe sei er fertiggeworden. Breit wie ein LKW, kurz wie die typische Familiensegelyacht der 70er, aber mit 380 PS ein wahrer Bolide. „Ein Rennpferd ist unser Kraftprotz nicht“, sagt Vormann Hans Jürgen Naumann, der ihn nach der BOOT für die Station Kiel-Schilksee übernehmen wird, „er läuft in der Spitze 18 Knoten, nicht so schnell wie eine Fähre oder ein Containerschiff. Aber schnell muss unser Seenotkreuzer ja auch nicht sein. Er ist für andere Aufgaben gebaut.“
Vormann Hans Jürgen Naumann sieht man seine 69 Jahre nicht an. Eigentlich ist er ein Necomer bei der DGzRS und erst seit 11 Jahren dabei. Er streicht mit der Hand über den Rumpf seines funkelnagelneuen Schiffes. „In Kiel sind gut die Hälfte aller Einsätze Schleppeinsätze für Yachten. Motordefekte, lädierte Antriebe oder Propeller – wann immer eine Yacht manövrierunfähig vor Kiel treibt, müssen wir raus – das ist typisch für Kiel, das haben wir ungefähr 40 mal im Jahr, fast jede Woche einmal. Deshalb ist unser neuer Seenotkreuzer ausschließlich auf Kraft gebaut. Nicht auf Schnelligkeit. Unser Einsatzort liegt ja meist unmittelbar vor der Küste, wir erreichen ihn ohnehin schnell. Nein, Speed brauchen andere. Wir brauchen Kraft.“
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Das Boot wird gedreht. |
BOOT 2019: Chartern im Mittelmeer – bloß wo? Wie sich die Buchungen in den Revieren entwickeln.
Wie auf den Gängen von Halle 13 so geredet wird, sieht es aus wie folgt:
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liparischen Inseln wird es interessant. Aus eigener Erfahrung füge ich hinzu: Italien immer wieder gerne. Bloß nicht in den ersten drei Augustwochen! Vor allem die Inseln nicht.
BOOT 2019: Wie teuer wird Kroatien? Marinapreise 2019
Noch kein klares Bild über die Preise bekommt man auf der BOOT 2019, wenn man zu den Ständen kroatischer Marinabetreiber pilgert und sich nach aktuellen Preisen erkundigt. Zwar wird zum Beispiel am Stand der ACI-Marinas freundlich versichert, dass die Preise der Marinas in diesem Jahr gleich bleiben – „von einigen Ausnahmen nach oben oder unten abgesehen“. Aber die neue Preisliste, die sonst für die 22 ACI Marinas pünktlich zur BOOT auslag, hat man diesmal lieber nicht mitgebracht. „Preisauskunft derzeit nicht möglich“.
Gemunkelt wird, dass die Vorjahres-Preiserhöhungen von über 8% zusammen mit der Kurtaxe und Permit doch vielleicht zu heftig waren und die Kunden nicht wirklich begeisterten. Von einem Rückgang um mehr als 10% des Chartergeschäfts in Kroatien ist inoffiziell zu hören. Von Abwanderung vor allem italienischer Skipper, die nach Einführung der Luxussteuer in 2011/12 ihre Heimathäfen fluchtartig ostwärts über die Adria verlegt hatten und jetzt wieder in heimatliche Gefilde oder gleich nach Griechenland verschwanden. Obs wahr ist?
Was an Marina-Preisen jetzt schon erkennbar ist, ergibt kein klares Bild.
Tagespreise für 37ft:
Die beiden Zadar-Marinas SUKOSAN (um 8% auf 77€) und bei BORIK (gleich auf 85€/Nacht) erhöhen – hier lässt man sich den aufwändigen Neubau des Sanitärbereichs bezahlen. In Pula wird die bislang brave TEHNOMONT VERUDA scheinbar deutlich teurer: Vor Jahren noch beim Tagespreis mit 55€/37ft ein Schnäppchen für den Pula-Besuch, kostet die Nacht im Hafen dort jetzt 80€ – allerdings gibts darauf 25% Rabatt laut offiziellem Prospekt?! Ob da die Ankündigung der neuen Marina in Pula (siehe unten) schon ihre Schatten vorauswirft? Und für verwirrende Preispolitik sorgt?
Um Murter bleiben Marina FRAPA und HRAMINA preislich gleich. Sicherheitshalber erhöht die wegen Genehmigungsproblemen immer noch nicht eröffnete MARINA FRAPA in DUBROVNIK um 4% auf 170€/Nacht. Sie ist – ebenso wie die Neueröffnung ACI ROVINJ – ohnehin die teuerste Marina Kroatiens – auch im geschlossenen Zustand ;-))
Jahresliegeplätze für 37ft:
Zadar erhöht auch hier – vor allem in MARINA BORIK um 10%. HRAMINA MURTER und TEHNOMONT VERUDA belieben praktisch unverändert.
Neue Häfen:
In ACI ROVINJ soll es nun im April 2019 „mit den erforderlichen technischen Genehmigungen“ (O-Ton ACI am Stand) soweit sein – und die teure Schöne, die längst fertig ist, eröffnen. Zeitgleich für April 2019 ist auch die Eröffnung der MARINA FRAPA Dubrovnik angekündigt. Man darf gespannt sein.
In Pula will Betreiber SCT-MARINAS, bislang in Trogir neben der ältlichen ACI-Marina gelegen, der alten, viel zu kleinen ACI-MARINA Konkurrenz mit einer neuen Marina machen. 2022 soll es soweit sein – schräg gegenüber wsetlich der Stadt auf dem alten Kasernengelände.
Was die Preise angeht, sollte sich bis zur AUSTRIA BOATSHOW in Tulln Anfang März einiges geklärt haben. Aber schon jetzt steht fest: Nur brav wirds bei den Preisen in Kroatien auch 2019 nicht zugehen. Wir berichten weiter.
STURM in Düsseldorf: Auf der BOOT 2019 und bei den Booten.
Wo war ich im Blog stehengeblieben? Ach ja. Auf meiner Segelreise nach Guernsey und Alderney auf den Spuren meines Großvaters. Das war im September.
Seit heute sind Susanne und ich auf der BOOT in Düsseldorf, die heute beginnt. Ich nehme mir vor, von dieser Messe zu berichten: Von Menschen. Von Booten. Vor allem möchte ich über das schreiben, was es in den Häfen und Küsten im Mittelmeer, aus Kroatien, Montenegro und entlang meiner Einhandreise von Sizilien nach Südengland Neues gibt.
Ich werde also täglich posten. Und dazwischen auch meine Vorträge in Halle 13 auf der Reisebühne halten. Auch über Stürme und Gewitter im Mittelmeer. Ich freue mich, Euch dort zu treffen:
Alderney. Die vergessene Insel der Festungen.
Alderney ist keine drei Stunden von Guernsey entfernt, als ich näherkam, hatte ich einen markanten Felsen zur Linken, die Insel Ortac, die aus der Ferne aussah wie ein mit Puderzucker bestäubtes Stück Schokokuchen. Vogelschwärme umkreisten ihn, und was nach Puderzucker aussah, waren Massen brütender Seevögel. Doch was es mit ihnen auf sich hatte, das sollte ich erst in Alderney erfahren.
Dann erreichte ich mein Ziel auf der anderen Seite der Insel, die Longy Bay auf der südöstlichen Seite Alderneys. Ein langer Sandstrand mit dem Fort du Raz auf der vorgelagerten Insel, zu der ich jetzt bei Ebbe hinübergehen könnte. Aber deswegen bin ich nicht hier. Von hier aus ist die Küste der Normandie zum Greifen nah, nur getrennt durch den Kanal, die Alderney Races mit seinen tückischen Strömungen. Nein, ich bin hier wegen des alten römischen Forts in der Longy Bay,
das sich hier befinden soll. Es liegt tatsächlich wenige Schritte neben dem Strand und neben dem deutschen Bunker. Ein einfaches Steingeviert, es sieht spätrömisch aus, mit der diagonal vermauerten Steinreihe in der oberen Reihe. Ich kenne derlei Schmuck aus einem ganz anderen Teil der Welt, aus dem westgriechischen Preveza und der byzantischen Mauer von Nikopolis. Doch dieses Kastell ist klein, gerade 30 x 30 Meter misst es, und auf den ersten Blick sieht man, dass es in Fluchtzeiten errichtet wurde, nicht mehr aus den mächtigen Quaderblöcken der früher Kaiserzeit, sondern aus einfachen Feldsteinen. Doch seine Form ist streng rechteckig und nicht so willkürlich wie mittelalterliche Wehrmauern es oft sind: Ein Rechteckt mit gerundeten Ecken. Ein Tor nach Norden.
Die Rückwand des Kastells hat man als Rückwand für das viktorianische Herrenhaus genutzt. Das Holzgatter am Eingang steht halb offen, ich betrete das Gebäude, nicht ohne vorher laut zu rufen. Aber niemand zeigt sich. Und so streife ich herum in der alten Festung. Neben dem Herrenhaus steht ein deutscher Bunker, als ich mir dessen Eingang näher ansehe, bin ich elektrisiert: Über dem Eingang ist das Relief einer Pflanze in den Beton eingelassen. Ich erkenne die Pflanze sofort. Und das Symbol. Es ist
ein Edelweiß. Das Abzeichen, das ich selber an der Mütze trug, 1980, als ich in einer Kaserne vor den Bergen meinen Wehrdienst leistete. Das Abzeichen der Gebirgstruppe. Und eine Jahreszahl – deren erste drei Ziffern ich erkennen kann. 1942? Warum waren sie hier gewesen?
Ich bin noch dabei, das Abzeichen zu fotografieren, als ein junger Mann vor mir steht und mich streng ansieht. Er ist Anfang vierzig, drahtig, man sieht ihm an, dass er viel draußen ist, doch er ist kein Militär, als er mich anspricht: Eigentlich sei dies alles nicht öffentlich, sagt er. Er wohne hier, was ich hier täte. Ich frage ihn, ob er denn die Pflanze dort oben kennen würde? „Edelweiß“, er spricht das Wort mit starkem englischen Akzent aus, er hieße Justin. Für was das Zeichen steht, weiß Justin nicht. Ich erzähle ihm von den Gebirgstruppen. In meiner Heimat vor den Bergen sehr verehrt, damals jedenfalls, in und um die Kaserne. Doch wenige Jahre später sehr umstritten. Ein Teil von ihnen hatte schlimme Kriegsverbrechen begangen, hatte auf der westgriechischen Insel Kephallenia 4.000 entwaffnete italienische Kriegsgefangene feige niedergemäht, eines der Verbrechen, ohne Not begangen, bei dem mir noch heute der Atem stockt. Es gäbe einen Film darüber, „Correllis Mandoline“. Justin sieht mich an: Er kenne den Film. Dann denkt er einen Augenblick nach. Und erzählt. Ja. Die Deutschen. Sie wären hier auf Alderney nicht beliebt gewesen. Als sie die Insel besetzten, waren die Einwohner Alderneys evakuiert worden, zu ihrer eigenen Sicherheit. Doch als sie sechs Monate nach Kriegsende im Dezember 1945 wieder zurückkehrten, kannten sie ihre Insel nicht wieder. Überall Bunker, Tunnels, Geschütze. Fenster, Türen, Möbel: Was brennbar war, verheizt. Die Deutschen hätten hier vier Lager errichtet: zwei für Soldaten. Zwei für die über 6.000 polnisch-russischen Kriegsgefangenen und separat die jüdischen Zwangsarbeiter, man hielt sie hier wie Sklaven. Sie legten über 30.000 Minen an den Stränden. Alderney, die irgendwie verwaist erscheinende Insel, ist also gleich dreifach eine Festungsinsel. Erst die Römer. Dann die Briten mit der langen Mauer. Zuletzt die Deutschen. Für die ersten war die Insel wohl ein Ort der Zuflucht. Für die letzten der Ort, an dem sie belagert wurden, die Briten hatten die Insel einschlossen und ließen nichts mehr durch. Die Zustände auf der Insel, vor allem in den Lagern, müssen schrecklich gewesen sein. Wie so oft zahlten die Zeche die Falschen.
Und die Vögel auf der Felseninsel Ortac draußen in der Bucht? Justin erzählt, sie wären „Gannets“, Basstölpel. Ortac sei die größte Bastölpel-Kolonie überhaupt auf der Welt, er sei Naturschützer, ihretwegen sei er da. Justin schaut kurz hinauf auf das Edelweiß und lacht. Die Alten auf Alderney sagten, die Gannets wären gekommen im Jahr, in dem die Deutschen kamen, 1940. Vorher wären kaum welche da gewesen. Doch jetzt gründeten auf dem Felsen ihre Kolonie.
Ja, er sei öfter draußen, auf Ortac, um Vögel zu beringen. Das Anlegen sei schwierig, der Felsen sei steil, und die Arbeit auch. Was mir aus der Ferne wie weißer Puderzucker erschienen war, sei Kot, durch den man nur hinaufgelänge, wenn es zwei Tage nicht regnete, denn sonst seien die Felsen zu rutschig, wegen des hoch liegenden Kots. Es herrsche fürchterlicher Gestank, doch Justin erzählt, wie Wunden schnell heilten, wenn sie mit dem Kot in Berührung kämen.
Alderney. Sie wirkt, als wäre sie wahrhaft eine vergessene Insel. Vielleicht ist gerade deshalb an diesem vergessenen Ort die Vergangenheit unvergessener und lebendiger als auf den vielen anderen Inseln, auf denen ich war.
Unterwegs in Guernsey. Auf den Spuren meines Großvaters. Oder: Eine deutsche Geschichte.
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Die Einfahrt in den Hafen von St. Peter Port, Guernsey |
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Der Hafen von St. Peter Port, Guernsey. Im Hintergrund jenseits der steinernen Barre erkennbar der Yachthafen Victoria Harbour. |
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Die britische Festung über dem Hafen von St. Peter Port, in der die deutsche Radarstation während des Krieges untergebracht war. |
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Der Strand der Cobo-Bay im Westen von Guernsey heute. Die Bunkeranlagen des II. Weltkriegs verschwinden hinter Steinmauern, die man als Blendfassaden errichtet. |
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Nur an manchen Stellen der Cobo-Bay sieht man noch die deutschen Bunker. |
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Einer der Strände im Westen Guernsey. Hinter den hübschen Steinmauern verschwindet die Geschichte der deutschen Besatzung von 1940 bis 1945. |
Unter Segeln. Von der Bretagne zur Insel Guernsey. Von Dingen, die nicht funktionieren. Einem Gott der Schadenfreude. Und der nächtlichen Ankunft auf einer Insel.
Es ist 14.30 Uhr. Nachmittag. Am Himmel ein Schweben von Wattewolken, die wie eine Herde langsam gen Osten ziehen. Vor sechs Stunden habe ich die Bretagne verlassen, um die 60 Seemeilen hinüber zur Insel Guernsey zu segeln. Eigentlich keine große Distanz.
Heute Früh, bei der Abfahrt, hatte das GPS meine Ankunft für 18.30 Uhr am heutigen Abend errechnet. Doch die Überfahrt entwickelte sich anders als gedacht. Der Wind war schwächer als erwartet. Er Wind kam seitlicher ein als erwartet. Ich konnte den geplanten Kurs nicht halten. Die Strömung läuft seit Vormittag gegen uns. Sie kam nicht nur aus Richtung Guernsey, sie bremste uns aus um fast 2 Knoten. Und: sie setzte uns weit nach Westen. Sah ich ins GPS, schossen wir auf diesem Kurs weit westlich an der Insel Guernsey vorbei. Selbst wenn ich den Kurs geändert hätte: würden wir erst am Morgen gegen 6.30 Uhr ankommen. 12 Stunden später. Was bedeutet hätte, die Nacht am Steuer zu stehen und erst Morgen Früh in Guernsey anzukommen.
Im Norden vor uns zog eine Regenwand auf. Scharf konturierte bleigraue Wolken bedeckten den Horizont vor mir, wir hielten genau darauf zu. Alles nicht erfreulich. Wir waren zu langsam. Wir kamen zu weit querab. Ich würde mir die Nacht um die Ohren schlagen müssen. Bad News.
Wie so oft hier draußen sind die Dinge, wie sie sind. Jahrzehnte war das Büro ein Ort, an dem die Dinge entweder mit mir waren oder nicht. Waren sie gegen mich, ärgerte ich mich. Über nicht erreichbare Geschäftspartner. Über mutlose Einkäufer. Über lustlose Kollegen. Über Computer, die nicht funktionierten. Hier draußen habe ich das Ärgern etwas verlernt. Das Meer meint es nicht böse. Es ist, wie es ist. Es lohnt nicht, dagegen anzukämpfen. Ich muss die Dinge nehmen, wie sie in diesem Augenblick sind. Zumindest für mein Leben hier draußen lerne ich, dass ich den Dingen, die sich nicht fügen wollen, nicht zuviel Aufmerksamkeit schenken darf. Dem Mechaniker, der nicht zur vereinbarten Zeit kommt. Dem Gesprächspartner, den man nach dem 5. Anruf nicht erreicht. Hier draussen kann ich die Dinge oft akzeptieren. Statt mich über den Mechaniker zu ärgern, beginne ich einfach irgendeine größere Arbeit. Kaum habe ich die begonnen, kaum habe ich das Ärgernis Ärgernis sein lassen, kreuzt auch schon der überfällige Mechaniker auf. Oder mein Handy klingelt, und der gewünschte Gesprächspartner ist dran. Irgendein missgünstiger Gott sieht unserem Leben von oben dabei zu, wie wir der falschen Sache unsere Aufmerksamkeit schenken, um dann „Ätsch“ zu sagen.
Die Regenwand vor uns war noch schwärzer geworden. Der Wind fast eingeschlafen.
„Kommt der Regen vor dem Wind,
Skipper: Birg die Segel geschwind“,
sagte ich mir leise vor, doch um uns war alles ruhig. Nein, ich würde jetzt nicht den Motor starten, um schlechten Neuigkeiten sinnlos Kraft entgegenzusetzen. Ich gab stattdessen meiner Müdigkeit nach. Schaltete das Radar ein, das den Horizont vor mir nach allem abtastete, womit Levje kollidieren könnte. Dann legte ich mich in Levjes Cockpit schlafen, während mein Schiff langsam seinen Weg gegen den Strom suchte.
Eine Stunde später. Ich schlage die Augen auf. Die Regenfront vor mir hat sich verzogen. Die Gegenströmung ist nicht mehr ganz so stark. Der Himmel vor uns ist immer noch mit den scharf konturierten Wolken überzogen, doch jetzt leuchten sie watteweiß und schwebend über mir. Wir driften nicht mehr weiter querab, sondern laufen jetzt etwa eineinhalb Stunden parallel zu unserem eigentlich geplanten Kurs. Das ist gut.
Stundenlang kann ich dem Wasser zusehen, wie es an der Bordwand entlangströmt – als wäre es nicht mein Schiff, das sachte wiegend durchs Wasser gleitet, sondern eben anders herum: Mein Schiff ist Festland. Das Wasser strömt um uns herum. Dieses Spiel habe ich schon einmal gespielt, als Kind war einer meiner Lieblingsplätze eine einsame Brücke über den schnell fließenden Fluss, um von dort aus dem davoneilenden Wasser nachzusehen. Viertelstunden konnte ich reglos die Bewegung des Wassers beobachten, auf meiner Brücke hatte ich nach einer Weile das Gefühl, sie sei in die Brücke eines Schiffes verwandelt, an dem in schneller Fahrt das Wasser vorbeiströmte. Das Meer ist manchmal wie ein großes Gedächtnis. Es holt aus mir die Dinge hervor, die ich längst vergessen glaubte. Ich sehe plötzlich die Linie in meinem Leben, die mich von einem x-beliebigen Punkt meiner Kindheit genau hierher führte: An diesen x-beliebigen, nicht näher definierbaren Punkt auf dem Meer zwischen der bretonischen Küste und der Insel Guernsey.
Eine halbe Stunde später hat der Wind weiter gedreht. Levje hält nun fast auf das Ziel zu, auf St. Peter Port, den Hafen auf Guernsey mit seinen Marinas. Mein Hunger meldet sich. Am Vormittag unter Segeln hatte ich mir Rührei mit Zucchini als zweites Frühstück zubereitet, als die bretonische Küste 20 Meilen hinter uns lag. Doch schon während dieses zweiten Frühstücks nörgelte mein Geschmackssinn herum, dem Rührei heute morgen hätte entschieden die Sardine gefehlt. Nach meinem Nachmittagsschlaf spukt sie dann immer noch in meinem Kopf, die Sardine. Mit einem ganzen Sack voller Fragen: Sardine mit Rosinen auf Pasta, als sizilianische Pasta alle Sarde? Oder eine improvisierte Paella in der gußeisernen Pfanne auf dem Gasherd? Mit Schinkenstückchen, Knoblauch, Tomaten und einem Schuss Weißwein?
Eine halbe Stunde wälze ich die Fragen im Kopf, während ich hinaus auf die See und den immer klarer werdenden Himmel vor mir schaue. Um uns nur Meer. Kein Land. Kein Schiff. Nur die Weite des Wassers und des Himmels. Ich gehe unter Deck, lasse mein Schiff seine Arbeit machen und mache mich an die meine. Suche Rosinen. Schnipple Zwiebeln. Hacke Knoblauch. Zerkleinere Tomaten. Setze den Spaghettitopf auf. Was Essen angeht, hat sich seit meinen Tagen im Büro nichts geändert. Was auf den Teller kommt, der Geschmack des Abends, er reimt sich im Kopf über den Tag zusammen, solange, bis ich wie ein Maler bereit bin, den Pinsel in die Farbe zu tauchen und loszulegen.
Eben taucht die Insel Guernsey am Horizont auf. 25 Seemeilen, fast 50 Kilometer entfernt, zeigt sich der zarte Schemen einer flachen, langen Insel am Horizont. Es ist früher Abend. Die Sonne steht tiefer, sie verleiht den Wolken eine andere Färbung als noch eben. Nicht nur der Schemen von Guernsey ist zart. Auch die Wolken sind es. Jetzt beginnen die Stunden, die mir neben dem Morgen die liebsten eines Tages sind. Die Stunden, in denen der Himmel über dem Meer zu leuchten beginnt.
Etwas später hat der Strom erneut gedreht. Vor meiner Reise hatte ich mir das Spiel von Ebbe und Flut als simples „Auf“ und „Ab“ gedacht. Tatsächlich spielt draußen auf See spielt das „Auf“ und „Ab“ keine Rolle. Dafür zählt hier das „Mit“ oder „Dagegen“ gewaltig, es bestimmt meinen Segeltag. Jetzt kommt der Strom nicht mehr schräg von vorn und bremst uns aus, sondern er wird uns sanft um die Südspitze Guernseys tragen und dann mit 3 Knoten entlang der Ostküste nach Norden bis vor den Hafen von St. Peter Port. Bis Mitternacht habe ich Zeit, in den Hafen zu kommen. Dann wird eine Gegenströmung einsetzen. Aber solange werden wir nicht brauchen. Laut GPS werden wir nun gegen 22 Uhr in St. Peter Port eintreffen. Mit dem letzten Licht. Denn hier in der Bretagne, so weit im Westen, geht die Sonne Anfang September morgens erst um halb acht Uhr auf. Und dafür erst um 20 nach 9 Uhr unter.
Es ist 20 Uhr. Levje schießt jetzt mit 8-9 Knoten über Grund dahin. Der Strom schiebt sie mit 2,5 Knoten nach Norden. Guernsey ist jetzt zum Greifen nah: Rote Felsen. Oben drauf ein flaches Plateau. Fast wie Menorca. Darüber Wald. Vereinzelt Landhäuser. Im Osten ein Leuchtturm. Wenig später ist der Strom überraschend kraftvoll, ich habe Mühe, mich vor den südlich liegenden Untiefen von Fourquie und Longue Pier freizuhalten. Französische Ortsnamen – Guernsey mag Teil des Vereinigten Königreichs sein, aber geografisch liegt sie wie ihre benachbarten Inseln Jersey, Sark, Alderney allemal näher an der Bretagne. Und die hat ihre Spuren hier hinterlassen.
Kurz vor 22 Uhr erreiche ich über Telefon den Hafen von Guernsey. Eine Männerstimme mit starkem südenglischen Akzent. Ja, sie hätten einen Liegeplatz in der Victoria Marina. Ich solle mich ganz links halten im Hafen – aber dieser Hinweis führt mich in der Dunkelheit in die Irre. St. Peter Port im Dunkeln ist ein Gewirr aus Bojen, Piers, in Haufen vertäuten Motor- und Segelbooten. Ganz links? Finde ich mich in der Dunkelheit plötzlich im Fischereihafen wieder. Hier liegt keine Segelyacht. Nein, hier kann ich nicht richtig sein. Ich irre durchs nächtliche St. Peter Port, steuere Levje zwischen vermuhrten Booten herum, weiß nicht mehr weiter. Als ich plötzlich in einer Sackgasse stehe und Levje in der Enge der Gasse drehen muss, sehe ich unvermutet hinter mir das Schild. Victoria Marina. Und dahinter, oben auf der Mole, der Hafenmeister, mit dem ich telefoniert hatte. Und der mir von seiner Behausung aus meinen Liegeplatz zuruft. Diesmal kuckt der Gott woanders hin. Und nicht auf mich und mein Schiff.
Nett. Nun bin ich auf Guernsey. Guernsey leuchtet im Dunkel. Eine Lichterkette entlang der Hafenstraße. Und drüben neben der Kirche ein Pub. Aber es ist 22 Uhr – wenn dies wirklich England ist, dann hat das Pub längst zu. Und es wird nichts mit meinem Ale.
Macht nichts. Das kann nun auch noch warten, all die Jahre, die ich gewartet habe. Auf Guernsey. Ich wollte immer hierher – eine Familiengeschichte. Aber die werde ich erst in einem der nächsten Posts erzählen.
Stattdessen werde ich heute beim Einschlafen an etwas anderes denken. An die Watteschafe, die ich heute langsam über dem Atlantik ziehen sah, während Levje gemächlich nach Norden zog.
Durch die Enge von L’Aber Wrac’h. Von der Einsamkeit des Skippers zwischen Klippen und brechenden Wogen.
Atlantiksegeln: Aber Wrac’h. Von sturen Kormoranen, eigensinnigen Bootshaken und Gezeitenflüssen.
Das Meer sieht heute aus, wie ich es als Kind zum ersten Mal sah: Wie im Marionettentheater der Augsburger Puppenkiste rund um die Insel Lummerland. Eine glatte spiegelnde Oberfläche. Und lange, hohe Wogen, auf denen ein Segler entgegenkommt. Mal sichtbar auf dem Kamm einer Woge. Mal in einem Wellental hinter einem der rollenden Wasserberge verschwunden.
Im Marionettentheater waren es von einem Ventilator blähende und wehende Plastikfolien, die den Eindruck der Wogen erzeugten, auf denen Lukas, der Lokomotivführer und Jim Knopf in ihrer Lokomotive Emma reisten. Von den technischen Tricks wusste ich damals nichts. Doch von Lukas und Jims Reise war ich so begeistert, dass ich mein Fahrrad sofort „Emma“ taufte. Sie war meine Lokomotive, auf der ich jeden Nachmittag auf Abenteuer und Streifzüge durchs Dorf und die umliegenden Wälder reiste. Allein. Dass es Hausaufgaben gab, verdrängte ich in einen großen Komposthaufen in einer Ecke meines schlechten Gewissens. Und meine miserablen Schulnoten steckte ich gleich mit dazu. Das Leben, so flüsterte mein Kopf, hätte Aufregenderes als langweilige Deutschstunden für mich parat.
Viereinhalb Jahrzehnte später: Seit Lummerland hat sich nicht unbedingt viel geändert. Das Meer sieht aus wie jene wogende Plastikfolie, die waagrecht ausweht. Nur dass es für mich nicht mehr aus einem TV-Gerät, sondern dass ich es jetzt im Original, in all seiner Schönheit und Größe, jeden Tag vor mir habe. Heute zeigt es meine Lieblingsfarbe, es leuchtet intensiv in jenem unverkennbaren Graugrünblau, das nur dort entsteht, wo sich Meer und sedimentreiche Flüsse begegnen. Meiner Sammlung an Orten, wo das Meer genau diese Farbe besitzt, kann ich also einen weiteren Ort hinzufügen. Nach der Nordadria, den Lagungen Venedigs, den Küsten des Gargano, der Südküste Siziliens nun also auch die nordwestliche Ecke der Bretagne.
Und auch meine Lokomotive schwimmt inmitten der graugrünblau auswehenden Plastikplane. Nur dass sie sie nicht Emma heißt, sondern Levje. Und ein Segelboot ist, auf dem ich in diesem Sommer über den Atlantik ziehe. Auch die schlechten Noten sind immer noch da. Nur bin ich es, der sie mir ausstellt. Und niemand anderer. Zum Beispiel gestern, beim Anlegen an der Boje von Aber Wrac’h, dem Fluss, der eigentlich eine Ria, ein Gezeitenstrom ist, der in der Mündung kilometerweit mit Ebbe und Flut auf- und abschwillt. Ich hatte Levje gegen die Strömung an eine Boje gesteuert. Ein Kormoran stand plattfüssig darauf. Er beobachtete mein Manöver, blieb einfach stehen, ein strenges Denkmal tierischen Protests, er ließ sich nicht beirren, als wäre er der gestrenge Parkwächter auf diesem Platz,
selbst als Levjes Bordwand 30 Zentimeter neben ihm zu stehen kam und er zu mir hinaufsehen musste. „Meine Insel!“ schien er beleidigt zu dem riesigen dunkelblauen Ding zu sagen. Und blieb trotz des großen Eindringlings weiter mit verschränkten Flügeln auf seiner Boje stehen. Erst als ich mich neben ihm auf Levjes Deck aufbaute, mich blitzschnell auf Levjes Deck warf, um bäuchlings nach unten die Boje zu fassen und Levje daran zu vertäuen, flog er träge eine Insel weiter, auf die nächste Boje, die im Strom schwang. Ich mühte mich mit dem Festmacher, er wollte nicht recht, die
Strömung zerrte an Levje, mein Arm wurde lang und länger. Und während ich mich nach Hilfe umsah, verpasste ich in all der Anstrengung dem an Deck liegenden Bootshaken einen kleinen Stups. Er ließ sich das nicht zwei Mal sagen und klatschte trocken in den Fluss, genoß sichtlich die neue Freiheit und zog mit der Strömung weg von Levje, vom Landesinneren magisch angezogen.
Ich sah ihm nach, wie er sich rasch entfernte. Mein Gehirn berechnete meine Möglichkeiten, während meine Hände Levje an der Boje hielten und versuchten, sie zu vertäuten. Den Bootshaken aufgeben? Ich mochte ihn, den die Italiener „mezzo marinaio“ nennen, halber Seemann. Ich kann nichts wegwerfen, gar nichts, kein Essen – und meinen Bootshaken schon gar nicht. Nein, das ging nicht. Loswerfen – Hinterherfahren – Einsammeln? Das ist einhand kein leichtes Manöver, schon bei ruhiger See nicht, ich hatte es mal 20 Minuten vor irgendeinem Hafen versucht, an den Bootshaken so ranzukommen, dass ich ihn – wohlgemerkt: ohne Bootshaken – vom Schiff aus sicher bergen konnte. Großes Hafenkino für die Zuschauer auf der Pier. Nicht für mich. Und ein Lehrstück, wie schwierig die Bergung von etwas leblos im Wasser treibenden vom Boot aus ist. Nein, das ging nicht. Es blieb nur Möglichkeit drei: Ich vertäute Levje an der Boje. Sprang nach hinten. Riss mir die Kleider vom Leib. Und sprang nackt ins Wasser des Aber Wrac’h. Das Wasser war frisch, nicht mehr als 16, 17 Grad, ich schmeckte beim Tauchen die Mischung von Süss- und Salzwasser, von Fluss und Laich und salzigem Meer, alles zusammen, was die Mündung eines Flusses ins Meer ausmacht, spürte prickelnd die Kälte auf meiner Haut, tauchte zwischen Placken von Seegras hindurch.
Ich schwamm mit schnellen Zügen hinter dem abtrünnigen Bootshaken her, die Strömung machte es mir leicht, ich hatte ihn in wenigen Augenblicken 100 Meter landeinwärts schnell erreicht.
Und dann begann der schwierigere Teil des Tages. Die Strömung im Fluss betrug kaum mehr als einen halben Knoten, keinen Stundenkilometer, dessen hatte ich vor meinem Sprung ins Wasser aus dem Augenwinkel noch vergewissert. Doch das reichte. Gegen die Strömung Schwimmen ist fies. Gemächliches Schwimmen duldet sie nicht. Verschnaufpausen auch nicht – sofort ist die mühsam gewonnene Wegstrecke verloren. Auch der Bootshaken dachte nicht daran, seine errungene Freiheit aufzugeben und trieb in der Strömung allerhand Unfug. Ich brauchte eine halbe Stunde, um ihn vor mir Meter um Meter zur nächsten freien Boje zu schubsen. Aus der Ferne sah ich Audrey, die Marinera von Aber Wrac’h, die ihr Schlauchboot an Levje vertäutete und sich wunderte, warum das Dinghi da und keiner an Bord war. Ich hoffte, sie würde mich Esel, der sich nackt im Fluss quälte, nicht entdecken.
Unterwegs schalt ich mich einen Idioten. Weil ich auf den Bootshaken nicht aufgepasst hatte. Weil ich die Strömung unterschätzt hatte. Weil das Stillwasser erst in zwei Stunden käme – bis dahin hätte der Fluss mich irgendwo ins Landesinnere gespült. Ich stellte mir vor, wie es wäre, in einer bretonischen Kleinstadt nackt ans schlammige Ufer zu waten. Barfuss. Mit nichts in der Hand als einem läppischen Bootshaken. Was ich tun würde. Ich erinnerte mich an das Spiel, von dem ich einmal gelesen hatte. Man gab in einer x-beliebigen Großstadt Geld, Scheckkarte und Wohnungsschlüssel ab. Und musste zusehen, wie man es schaffte, eine Nacht als Fremder in dieser fremden Stadt irgendwie zu überstehen.
Ich stellte mir vor, wie ich mich splitternackt in die Schlange einer Boulangerie stellen und die Bäckersfrauen um ein altes Hemd, eine Hose, ein Busticket bitten müsste. Würde man das schaffen? Würde ich es schaffen, ohne zu erröten? Vielleicht würde man, wenn man es täte, dadurch Freunde fürs Leben gewinnen. Nicht jeden Tag steht ein graubärtiger Mann nackt mit Bootshaken in einer Bäckerei. Man würde die Menschen jedenfalls kennenlernen. Von ihrer guten Seite, vermute ich. Denn das ist es, was ich auf dieser Reise oft erfuhr: Dass die Dinge nicht annähernd so schlimm kommen, wie man sie sich vor einer solchen Reise ausmalt. Und es häufig gerade wildfremde Menschen sind, die bereitwillig und uneigennützig ihre Hilfe anbieten.
Doch soweit kam es nicht. Mit Armen, die sich wie Gummi anfühlten, erreichte ich schnaufend Levje. An diesem Abend noch hinüber an Land zu rudern ließ ich lieber bleiben – kein Sport mehr heute. L’Aber Wrach musste warten. Doch das machte nichts. Zu schön war der Abend auf dem Fluss. Und in der Strömung. Aber für den nächsten Tag: Da sollte der Fluss noch ein weiteres Abenteuer für mich parat haben.
Die Bretagne: Sie ist reich. An Schönheit. Und Abenteuern.
Von Brest nach L’Aber Wrac’h. Von hohen Wellen. Von berühmten Leuchttürmen.
Vor einer Woche habe ich den Hafen von Brest verlassen. Kurz bevor ich ablegte, geht ein anderes Schiff hinaus. Sein Rumpf und seine Stoffüberzüge sind gelb, liebevoll ist eine französische Trikolore auf die Windfahne gemalt. Doch am auffälligsten ist, was sich der französische Skipper in großen Lettern zu beiden Seiten auf den Rumpf gemalt hat: „Homme libre, toujours tu chériras la mer!“ – Du freier Mensch, immer wirst Du das Meer lieben.
Ich schaue ihm nach, als er den Hafen verlässt. Er ist einhand unterwegs, wie ich. Und eh ich meine Leinen losgeworfen und draußen vor der langen Mole des Marinearsenals im leichten Westwind mein Großsegel gesetzt habe, ist er schon verschwunden. Ich habe den Kopf voll mit anderem. Die Strömung will meine ganze Aufmerksamkeit. Hinter dem Marinearsenal, wo sich der Kanal zum Goulet de Brest verengt, einer Durchfahrt zwischen den Felsen, nimmt sie deutlich zu. Obwohl ich mich nur mit 4,5 Knoten durchs Wasser bewege, zeigt das GPS über 9 Knoten, das ablaufende Wasser trägt uns in rascher Fahrt in den Atlantik hinaus. Doch dort, wo sich der Goulet zum Atlantik hin öffnet, nimmt der Westwind zu. Die Wellen werden höher, als der Wind gegen die Strömung über die Wasseroberfläche streicht, knallt Levje ein ums andere Mal in die Wellertäler, wird brutal aufgestoppt, während ich höre, wie der Propeller unter mir kraftvoll, doch wirkungslos durchs Wasser quirlt. Ein paar verwegene Angler haben sich abseits der Wellen in ihren kleinen weißen Booten verankert, die Fische scheinen den Wellenwirrwarr zu mögen, nur schnell weiter, dort vorn, wo der Leuchtturm von Saint Matthieu vor der Klosterruine steht, sehe ich, dass das Meer wieder ruhiger wird.
Da ist die Insel Ouessant, die Engländer nennen sie Ushant. Lang und flach liegt sie da. Doch wie ein Feuerschiff trägt sie auf den umgebenden Kaps und Riffen die Leuchttürme, die den Schiffen von Süden oder Westen den Weg in den langen Trichter des Ärmelkanal weisen. Den Leuchtturm von Creac’h an der gleichnamigen Pointe de Creac’h in der nordwestlichsten Ecke Ouessants.
Und dann ist da ganz im Süden von Ouessant der Phare de la Jument. Es brauchte nur ein einziges Foto, um ihn und seinen Fotografen weltberühmt zu machen. Während eines Südweststurms mit Böen über 10 bft. schoss Jean Guichard aus einem Hubschrauber das Foto seines Lebens. Von dessen Lärm neugierig gemacht, öffnete der Leuchtturmwärter Theodor Malgorn die Stahltür des Leuchtturms und trat hinaus – nicht ahnend, dass in diesem Augenblick ein Brecher in seinem Rücken die Gischt turmhoch aufwerfen würde. Guichard drückte auf den Auslöser und Malgorn, alarmiert durch das Vibrieren des Turms und Donnern hinter ihm, zog sich blitzschnell ins Innere des Turms zurück und schloss die Tür, bevor die Welle über das Fundament des Turmes hinwegspülte. Das Foto ging um die Welt.
Und nicht zum ersten Mal, denn wie viele bretonische Leuchttürme verdankt auch La Jument seinen Bau einem Unglück. In einem Sturm zerschellte an den Felsen die Drummond Castle, fast alle Passagiere starben. Die Katastrophe bewegte die Menschen. Ein bretonischer Privatmann verfügte, aus seinem Nachlass 400.000 Francs für den Bau eines Leuchtturms auf dem Felsen zur Verfügung zu stellen. Aber einen Leuchtturm wie den von La Jument baut man nicht mal so eben. 1904 begonnen, dauerte es fast sieben Jahre, bis das erste Leuchtfeuer dort oben brannte. Er ist mit Stahlseilen im Fels verankert.
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Der Leuchtturm von Le Four an der Nordwestecke der Halbinsel vor Brest… |
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… er warnt vor den Untiefen von Pen Ar Ven d’Amont. |
Ankommen in Brest. Und eine ungewöhnliche Marina.
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Der Goulet de Brest: Die Einfahrt in den Hafen von Brest. |