Kategorie: Atanga

Tag 4 – Ankunft mit Schrecken

Do.,03. Jun 2021, Franz.Polynesien,Pazifik, Tag 2559, 21.919 sm von HH

Bereits um 1:00 Uhr morgens in der vierten Nacht hat die Kreuzerei ein Ende. Wir stehen vor dem Eingang von Fakarava. Hat sich die bordeigene Kalkulation wohl verschätzt? Nein, hat sie nicht, wir haben gemogelt. Als wir um Toaus Nordspitze herum kommen, drückt uns nach einer Wende eine Strömung auf unsere alte Kurslinie zurück. Das nennt man auf der Stelle segeln. Wir werfen die Maschine an und motor-segeln sieben Meilen direkt nach Osten. Da Wind und Welle etwas zurück gegangen sind, kommen wir gut voran. Prima Lösung. Der Rest ist dann easy. Noch ein Kreuzschlag und schon stehen wir etwas zu früh vor der Passeinfahrt. Aus einer kleinen Strecke von 230 Meilen Direktweg haben wir 340 Meilen gemacht. Wahrscheinlich weil wir ja so gerne segeln.

Unsere Strecke von Tahitt nach Fakarava mit einem kleinen Ritt über Toau

Streckenweise ist es etwas ruppig

Ab Tag drei ist die Welt dann trotz Schietwetter wieder in Ordnung

Den Rest der Nacht verbringen wir beigedreht vor der Insel. Hierbei wird das Vorsegel auf die“ falsche“ Seite des Schiffes genommen – back gestellt – wie es heißt. Dadurch verliert das Schiff fast komplett den Vortrieb und treibt ruhig ohne viel Schräglage Richtung Luv. Die einzige Voraussetzung dafür ist ausreichend Platz zum Treiben.
Nach dem Frühstück erwarten wir dann die !Slacktime‘, die Zeit zwischen Hoch- und Niedrigwasser, dem idealen Zeitpunkt, um in einen Pass in ein Atoll zu fahren.
Achim startet die Maschine und „piiiep“. Mehr passiert nicht. Der Motor springt nicht an. Ich schaue in tellergroße Augen. „Der Anlasser“, lautet Achims Sofortdiagnose. Er fummelt ein wenig im Maschinenraum herum, der Anlasser bekommt zwei sanfte Schläge mit dem Gummihammer (so ein Auto hatte ich auch schon mal – ein halbes Jahr habe ich das so gemacht). Nichts. Der Motor springt nicht an. Achim fummelt und klopft. Ich bediene den Zündschlüssel. Nichts. Im Geiste sehe ich uns schon die 230 Meilen direkt nach Tahiti zurück segeln. Wer will, ja, wer kann ein 17 Tonnen Schiff durch den Pass schleppen? Da fällt mir spotan niemand ein. ;-)  Ich höre von unten komische Geräusche und plötzlich läuft die Maschine. Dabei habe ich doch gar nicht am Zündschlüssel gedreht. „Ich habe den Anlasser kurzgeschlossen“, grinst Achim mich an. „Mit einem Maulschlüssel.“
An dieser Stelle herzlichen Dank an ‚Pat Manley‘, der in seinem Buch ‚Bootswartung‘ genau diese Lösung beschreibt, sollte der Anlasser mal nicht wollen. Und einen dicken Dank an den Skipper, der sich an diese Passage im Buch erinnert hat. Ein Dreamteam.

Der Rest ist dann schnell erzählt: drei Knoten Strömung drücken uns ins Atoll. Im Pass wartet eine stehende Welle von einem Meter auf uns. Wir werden ordentlich durchgeschüttelt, aber das war es auch schon. Nach fünfzehn Minuten ist der Spuk vorbei.
Jetzt liegen wir im Norden von Fakarava vor dem Hauptort. Wie idyllisch es wirkt. Scheinbar hat sich der Umweg gelohnt. Morgen geht es an Land.

Fakarava – die Kirche von Rotoava


2

Tag 3 – Kreuzen ist des Seglers Lust

Mi.,02. Jun 2021, Franz.Polynesien,Pazifik, Tag 2558, 21.804 sm von HH
Irgendein nobler Gönner hat noch ein paar Geschenke zum Jubiläum parat: Nieselregen und einen Grundwind von zwanzig Knoten. Tapfer machen wir unsere Kreuzschläge. Kommt der Wind aus 110 Grad, segeln wir Richtung Nordosten. Kommt der Wind aus 80 Grad, segeln wir nach Südosten. Ab dem frühen Abend hat der Windgott ein Einsehen und hält dauerhaft 120 Grad für uns vor. Nett. Das schafft ordentlich Meilen nach Osten, aber bringt uns leider auch an Fakarava vorbei. Morgens um vier ruft Achim mich aus der Koje. Über dreißig Knoten Wind schreien nach einem Reff mehr im Großsegel.
Es gallert. Alles grau beim Sonnenaufgang. Nach dem Frühstück überlegen wir uns ein neues Ziel – nur noch zwei Stunden bis Toau. Dem Nachbaratoll von Fakarava. Süß lockt die Pause. Wir sind unschlüssig, eigentlich wollen wir ja nach Fakarava – nicht nach Toau. Wir diskutieren hin und her. Als wir nur noch zwei Meilen vom Pass entfernt sind und uns schon für Toau entschieden haben, bricht die Sonne durch die Wolken. Das kippt die Stimmung. Wir entscheiden uns um, wir segeln weiter. Die dritte Nacht ist vorbei, die Seebeine sind da, die Segelei geht leicht von der Hand. Einen Morgen früher hätten wir wahrscheinlich anders entschieden. Aber heute ist es uns egal, dass wir dann noch eine Nacht auf See verbringen werden. Zumal der Wind auch wieder deutlich nachgelassen hat. Es fehlen uns noch zehn Meilen, die wir nach Osten gut machen müssen. Dafür brauchen wir ungefähr dreißig Meilen Kreuzschläge, plus die vierzig Meilen, die wir an Fakarava bereits vorbei gesegelt sind. Die bordeigenen Berechnungen besagen, mit Sonnenaufgang sind wir spätestens in Fakarava vor der Tür. Schau’n wir mal. ;-)

7 Jahre – 2 Fazits

Di.,01. Jun 2021, Franz.Polynesien,Pazifik, Tag 2557, 21.739 sm von HH
Das erste Mal, dass wir unseren Jahrestag auf See verbringen. Trotzdem gibt es die üblichen zwei Rückblicke – wie immer getrennt voneinander geschrieben. Der aktuellen Tagesbericht steht unten drunter.
Achim
Sieben Jahre und kein Ende in Sicht ;-) . Schwer zu sagen, was war. Im Nachhinein war es ein ruhiges Jahr. Gambier, Tahiti, Moorea, Huahine, Tahaa, Bora Bora. Wenn ich das jetzt so aufzähle, dann ist das eigentlich gar nicht so wenig. Wir haben unser schönes Gambier im August verlassen, als der Winter kam und die Wassertemperaturen unerträglich niedrige 22°C erreichten. Unzählige Spaziergänge und immer auf der Jagd nach Pampelmusen, Zitronen, Papaya, Bananen, Spinat, Chili, Sternfrucht und Mikro-Tomaten. Schade, wir werden wohl nie zurückkehren und so bleibt es eine der schönsten Erinnerungen. Tahiti ist Tahiti und Papeete ist eben eine laute Stadt. Nicht immer ganz sauber und ein Ort, den man nicht auf den ersten Blick liebt. Das kommt aber. Es ist schön hier und die Versorgung ist super. Die Gesellschaftsinseln. Zum Erbrechen kitschig und schön. Lagunen mit den unglaublichsten Farben und alles leer, weil die Welt verrücktspielt. So wie wir Bora Bora gesehen haben, wird man es so schnell nicht wieder sehen, wenn die Tourismusmaschinerie wieder läuft. Dann werden die Charterboote kommen, die Jet-Skis, die Kiter und Surfer. Dann ist es vorbei mit der Idylle, aber es gibt wieder etwas zu verdienen. Ich wünsche es den Menschen hier – so viele Alternativen gibt es nicht.
Das Jahr war ein Corona Jahr. Die Sonnenuntergänge in Polynesien sind atemberaubend und gehören wahrscheinlich zu den schönsten der Welt. Sie untermalten unsere Sundowner. Leider wiederholte sich aber auch das immer wieder gleiche Thema während dieser Stunden: Wann? Wohin? Hört der Mist mal auf? Und was machen die da eigentlich in der Heimat? Gut – es hätte schlimmer für uns kommen können. Wir waren im vermutlich besten, gastfreundlichsten und schönsten Inselreich, dass wir uns hätten aussuchen können. Kein Stress, keine Visa-Probleme, keine Testerei. Die Freiheit hinzusegeln, wohin wir wollen und wann wir wollen. Wer kann das schon sagen? Ich bin dankbar dafür und es schmerzt schon jetzt, wenn ich daran denke, dass wir Polynesien verlassen werden. Neuseeland ruft und unsere Atanga braucht professionelle Zuwendung, um sie für die nächsten zehn Jahre fit zu machen. Wir freuen uns auf Neuseeland, nicht so sehr auf die Arbeit, aber auf das Land und wer weiß – von Neuseeland segelt man in nur drei Wochen nach Gambier…

Sabine
Fernweh. Reiselust. Diese zwei Treiber sind bei mir der Grund, warum wir überhaupt diese Reise begonnen haben. Ich kann mich noch erinnern, wenn wir nach unseren Ostsee-Urlauben mit Atanga durch den Nord-Ostsee-Kanal zurück in die Elbe gefahren sind. Mit Begeisterung haben wir an dem schwelligsten und lautesten Platz der Nordhalbkugel festgemacht: direkt neben der Schleuse in Brunsbüttel. Ein Gänsehaut-Platz für mich. Das Fernweh konnte ich dort körperlich spüren. Die geschäftige Atmosphäre, ein Signal ertönt, jemand ruft ein Kommando in einer fremden Sprache. Es stinkt nach Aufbruch und nach Salz von der Nordsee. Wenn die Tore sich öffnen und Frachter und Segelboote in die Elbe entlassen, dann braucht nur nach rechts abbiegen und weiter Richtung Westen fahren. Die ganze Welt direkt vor dem Bug. Auf diesen Moment habe ich sehnsüchtig gewartet.
Beim Gedanken an das letzte Jahr schießt mir als erstes das Wort ‚ausgebremst‘ in den Kopf. Fernweh macht sich bei mir das erste Mal seit Beginn der Reise bemerkbar. Wir hatten ein tolles Jahr in Französisch Polynesien. Ich bin überglücklich, dass uns der Corona-Wahnsinn ausgerechnet hier erwischt hat. Mit vielen Freiheiten und der Möglichkeit zwischen den Atollen frei umher zu segeln. Wir haben wohl einen der besten Gastgeber weltweit erwischt. Wir hatten schöne zwölf Monate in traumhafter Landschaft und Unterwasserwelt.
Die ersten sechs Jahre waren geprägt vom Pläne schmieden. Wohin es als nächstes gehen soll. Was ist wettertechnisch möglich, was trauen wir uns zu, was wollen wir unbedingt sehen? Ständig gab es was auszuarbeiten: eine Busfahrt durch Südamerika oder Ausflüge in den Dschungel. Die Luft ist raus. Alle Reiseführer liegen ungelesen in der Ecke. Pläne werden nur noch geschmiedet, was es zum Abendessen geben soll und wer abends den Film aussuchen darf. Gegen Hafenblues haben uns neue Hobbies gesucht. Achim hat seit ein paar Monaten eine Ukulele und übt fleißig fast jeden Tag. Und ich habe das Nähen für mich entdeckt. Erste Tops, ein Einkaufsbeutel und Schlafanzüge sind schon entstanden. Ein geruhsames Rentnerleben ist eingetreten. Es ist ein gutes Leben, wir können die Zeit auch ohne Weiterreise genießen. Wir träumen von Gambier und denken zurück, dass wir genau vor einem Jahr kiloweise Zitronen gesammelt haben. Regelmäßig bringt uns ein Spaziergang im Park von Papeete oder ein spektakulärer Sonnenuntergang in Huahine zum seufzen: „Hier kann man für immer bleiben“.
Wenn da nicht Fernweh und Reiselust wären. Die zwei scharen mit den Hufen. Die Gier neue Länder zu entdecken und zu erobern ist ungebrochen. Ich höre im Geiste die Schleusen in Brunsbüttel, ein Kommando wird in einer fremden Sprache gerufen. Noch müssen wir uns gedulden und bis es so weit ist, genießen wir das hier und jetzt.

Tag 2 – das Fenster schließt sich
Viel zu früh, möchte man schreien. Halt, es sind noch 60 Meilen übrig. Aber der Wind ist gnadenlos. Beständig dreht er weiter nach Osten. Zum Ende der zweiten Nacht sind unsere vorgehaltenen Grade aufgebraucht. Schlimmer noch, mit jeder Meile verschlechtert sich unser Winkel. Wir haben fünf Windstärken, Fock und Groß nur leicht gerefft, damit wir wenigstens Strecke machen. Das macht das Leben nicht gerade komfortabel. Schräglage nicht zu knapp. Nach genau 48 Stunden ist das Wetterfenster nicht nur zu, jemand hat auch noch die Gardine vorgezogen. Der Wind bläst aus 80 Grad – unser Ziel liegt in 80 Grad. Wir versuchen einen Kreuzschlag. Zum tot lachen. Zehn versegelte Meilen für drei Meilen Strecke gut gemacht. Die Maschine anzuwerfen, ist kein Option. Wir haben zwischen 17 und 20 Knoten Wind, eine Welle von zwei Metern bremst uns aus. Da kommen wir nicht voran. Das wäre okay für zehn Meilen, nicht für fünfzig. Oberhalb von Fakarava liegt noch ein Atoll in das wir können. Die Nacht wird zeigen, ob wir dort rein gehen. „Zum 7ten Jubiläum den Wind genau auf die Fresse“, ist Achims Kommentar. :mrgreen: Happy Jubiläum, mein Schatz.


17

Tag 1 in die Tuamotu – das Wetterfenster

Mo.,31. Mai 2021, Franz.Polynesien,Pazifik, Tag 2556, 21.659 sm von HH
Der versprochene Suedwind existiert tatsaechlich. Er kommt so suedlich, dass wir 90 Grad segeln koennen. Wir halten etwas vor (eigentlich liegt Fakarava in 70 Grad), denn jede Meile nach Osten bringt uns zum Ziel in einen besseren Winkel. Somit schaffen wir die ersten 24 Stunden schon fuenf Grad rauszufahren. Das klingt wenig, verhindert aber vielleicht am Ende doch noch.
Kreuzschlaege machen zu muessen. Leider bedeutet das hoch am Wind zu segeln. Na, was soll’s, wir haben nichts anderes erwartet. Der Wind blaest zwischen 12 und 22 Knoten, nichts verlaessliches, aber wir fressen uns vorwaerts. Eine Gegenstroemung versucht das erfolglos zu verhindern. Das Wetter ist super, keine Wolke am Himmel. Ein seltener Anblick, zeigen sich doch sonst immer verlaesslich Passatwolken am Himmel. Der Garant fuer schoenes Wetter. Die Tage sind kurz, es geht auf Winter zu bei uns. Bereits um 17:30 Uhr geht jetzt die Sonne unter.
Ein guter erster Tag, aber das Gehacke von Atanga gegen die Wellen ermuedet. Wir machen nur das Noetigste und das mit schweren Armen und Beinen. Noch 130 Meilen zu segeln, wenn es so weiter laeuft. Ahoi.

Die gelbe Flagge

Fr.,28. Mai 2021, Franz.Polynesien/Tahiti/Papeete, Tag 2554, 21.559 sm von HH

Auch Pestflagge genannt, hatte früher die Bedeutung: ‚Seuchengefahr, Schiff nicht betreten“. Sie wurde von vor Anker liegenden Schiffen gehisst, wenn eine ansteckende Krankheit an Bord ausgebrochen war. Die Besatzungen solcher Schiffe wurden unter Quarantäne gestellt. Die Bedeutung der Flagge hat sich gewandelt, heutzutage wird sie gehisst beim Erstkontakt in einem neuen Land. Die Flagge zeigt an, dass an Bord eines ankommenden Schiffes alles in Ordnung ist und das Schiff um Einklarierung im Land bittet.

Achim und ich waren versucht für zwei Wochen in der Marina die gelbe Flagge zu hissen: Seuchengefahr! Ich kann mich kaum erinnern, wann wir beide eine so böse Erkältung hatten. Das ist bestimmt zehn Jahre her. An Bord sind wir bislang mit kleinen Schnupfen davon gekommen. Der Chef hat Halsschmerzen, die an das ‚Schlucken von Rasierklingen‘ erinnern. Ich habe einem Husten direkt aus der Hölle. Beide Fieber, verstopfte Nase, Appetitlosigkeit, das volle Programm.

Der Skipper ist zuerst krank – bei 28 Grad unter der Wolldecke und mit Socken an den Füßen

Achim fing als erster an. Er lag schon als sterbender Schwan auf dem Sofa, da habe ich mich noch fünf Tage in Sicherheit gewähnt. Eine leichte Laufnase, sonst nichts. Aber auf einem miko-kleinen Boot kann man der Ansteckung nicht entgehen. Schnell war ich noch am Pfingstsamstag in der Apotheke, um mir Nasenspray zu besorgen. Was für eine Enttäuschung, ich halte irgendwelche nicht helfende Kräutertropfen in den Händen. Das gute Zeug bekommt man nur gegen ein Rezept. Weiß denn der Apotheker nicht, dass ich ein Nasentropfen-Junkie bin? Es folgten zwei Nächte ohne Schlaf und Atmung. Ich wünsche mir zu Weihnachten ein Sauerstoffzelt.

Am Dienstag ist Achim dann mein Held. Er kommt mit den begehrten Drogen aus der Apotheke zurück. Warum der Apotheker an ihn die verschreibungspflichtigen Nasentropfen rausgerückt, wissen die Götter. Vielleicht hat er den gequälten Zug um seine Augen gesehen und hatte Mitleid. Ich bin seitdem happy und kann wieder atmen. Mein Husten löst sich auch prima. Achim hat auch gleich noch illegalen Hustensaft mitbekommen. Viva La Papeete!

Jetzt geht es langsam aufwärts. Achim ist schon wieder gut zu Wege, ich bräuchte eigentlich noch zwei Tage Sofapflege, aber da ist ein Wetterfenster zu sehen. Dies verspricht seltenen Südwind – vielleicht sogar mit Westkomponente drin. Da wir fast genau nach Osten segeln wollen (schon seit drei Wochen — Augen roll), müssen wir einfach diese Gelegenheit nutzen. Das bekommen wir so schnell nicht wieder. Also werden die Backen zusammen genkniffen und auf geht’s. Bin ja schließlich kein Weichei. Am Sonntag ist Abfahrt.


6

Wohnort-Anmeldung

Fr.,21. Mai 2021, Franz.Polynesien/Tahiti/Papeete, Tag 2547, 21.559 sm von HH

Ab heute sind wir Einwohner von Papeete. Ein Tipp von anderen Langfahrern: „Meldet euren Wohnort in Papeete an und du hast den ultimativen Grund nach deinem Deutschland Aufenthalt wieder nach Tahiti zurück kehren zu dürfen“. Da man mir auf meine ‚Hilfe-was-kann-ich-tun-Anfrage nicht geantwortet hat, klingt das nach einer guten Idee. Wir rechnen mit einem unmöglichen bürokratischem Akt, aber die Angelegenheit ist nach dreißig Minuten abgearbeitet. Inklusive zehn Minuten Fußweg zum Rathaus.

Das schicke Rathaus unserer neuen Heimatstadt

Dort erklären wir an der Rezeption unser Anliegen. Die freundliche Dame schickt uns in den Keller zur Tür mit ‚Affairs divers‘.  Eine weitere freundliche Dame mit Blumenkranz auf dem Kopf ruft sofort den Chef. Wir dürfen in seinem Büro Platz nehmen, erklären erneut, was wir möchten. Wir zeigen den Mietvertrag mit der Marina und unsere Reisepässe. Mehr braucht es nicht. Ein Formular und vier Stempel später sind wir Einwohner von Papeete. „Sollten wir Fragen oder Probleme haben, so können wir jederzeit wieder kommen“, wird uns zum Abschied versichert.
Wenn man ein Land an seiner Bürokratie und seinen Beamten bewerten kann, dann möchte ich lieber keinen Vergleich zu Deutschland ziehen. Dort hat unser neues Wohnsitzfinanzamt, als wir zu unserer Reise aufgebrochen sind, fünf Jahre gebraucht, um uns eine Steuernummer zuzuteilen. :lol:

Während wir zu Einwohnern von Tahiti werden, überholen uns die Neuigkeiten. Angeblich soll ab Juni für Geimpfte die Notwendigkeit für einen wichtigen Grund zur Aus- und Wiedereinreise entfallen. Ich bin ja nun geimpft, finde diese Ungleichbehandlung allerdings unerträglich. Wer sich nicht impfen lassen kann oder will, dem werden Knüppel in den Weg geworfen. Das kann nicht richtig sein. Zur Zeit sind es erste Gerüchte, dass es so kommen soll. Ich habe einen guten Ausreise und jetzt einen noch besseren Rückreise Grund und kann mich nun um einen Flug kümmern. Im August soll es sein. Dann dürfte auch in Deutschland ein Bundeslandwechsel ohne besondere Genehmigung möglich sein.
Für mich rückt eine Reise in die Heimat in greifbare Realität. Nach drei Jahren! Yippie.

Unsere neuen Nachbarn auf dem Weg zum Rathaus


5

Bürokraten-Kampf

So.,16. Mai 2021, Franz.Polynesien/Tahiti/Papeete, Tag 2541, 21.559 sm von HH

Wir kämpfen auf zwei Fronten. Ich mit Französisch Polynesien und Achim mit Neuseeland.

Ich möchte einfach nur nach Deutschland fliegen. Früher hat man sich ein Ticket gekauft und fertig war die Angelegenheit. Der einzige Kampf bestand darin, den günstigsten Tarif zu finden. Heute benötige ich als erstes eine Genehmigung Französisch Polynesien überhaupt verlassen zu dürfen. Natürlich möchte ich auch zurück. Auch dafür wird eine Erlaubnis fällig – dieser Teil ist einzusehen.
Man benötigt für die Ausreise handfeste Argumente. Nur die Verwandtschaft zu besuchen, reicht da nicht aus. Auch nicht ältere Herrschaften. Krankheit und Tod sind echte Trümpfe. Also muss mein armer Vater herhalten. Aber ich bin mir sicher, dass Gert einverstanden wäre, dass ich sein Ableben und den damit verbundenen Papierkram als Begründung benutze. Eine skandinavische Crew berichtet mir, sie hatten ebenfalls einen Todesfall bereits im alten Jahr und halten jetzt ihre Ausnahme-Genehmigung in den Händen. Außerdem ist mein Personalausweis abgelaufen. Eine schwache Trumpfkarte, aber immerhin!

Für die Rückreise-Erlaubnis lasse ich einfach Achim (und das Boot) als Pfand zurück. :mrgreen: Da die Mitarbeiten des ‚Haut Commissariats‘ Achim nicht kennen, dürfe das glaubhaft sein. Dass ich doppelt geimpft bin, habe ich außerdem erwähnt. Für irgendetwas muss das ja gut sein.

Wenn man einen Grund gefunden hat (eine Crew „plant“ sogar die ungeplante Hochzeit), muss man im Internet diverse Formulare ausfüllen. Natürlich ist fast alles auf Französisch, aber mit diversen Übersetzer-Programmen ist diese Hürde zu schaffen. Der unverständliche Rest wird geraten. Ich scheitere erst an dem Eingabefeld für meine Flugnummer. Natürlich habe ich keine Flugnummer. Wer bucht denn einen Flug ohne zu wissen, ob er überhaupt fliegen darf? Zum Glück kann man alles, was man bereits ausgefüllt hat, speichern. Als mein Passwort wähle ich ‚Corona‘ plus einen ‚unflätigen Ausdruck‘.
Ich finde einen Knopf mit ‚Sie-haben-Probleme-beim-Ausfüllen-Ihres-Dossiers?‘. Ich beschreibe mein Problem der fehlenden Flugnummer und meine Aus-und Einreisegründe.
Vorsichtshalber habe ich dabei geschrieben, dass meine französische Version vom deepl-Übersetzer stammt. :oops: Und habe noch eine englische Variante dazu gepackt. Jetzt heißt es auf Antwort warten.

Der Kampf

mit französischen

Formularen :-)

Achim quält sich mit Neuseeland rum. Schritt eins – für Atanga die Genehmigung zu bekommen, ist erledigt. Schritt zwei – ihn und mich als ’notwendige Crew‘ zu deklarieren, ist erledigt.  Schritt drei – für uns beide ein Einreisevisum zu erhalten, ist erledigt.
Jetzt kommt der Pferdefuß: das Visum erlaubt uns die Einreise nur innerhalb von drei Monaten nach Erteilung. Mist. Es wird Winter in Neuseeland, die ersten Herbststürme stehen schon in den Startlöchern, da wollen wir ganz sicher nicht nach Neuseeland segeln. Eine Abreise vor Oktober ist nur was für harte Männer und kernige Frauen. Nichts für uns Kaffeesegler. Also wird unser Visum ungenützt verfallen. Eine Verlängerung des Visums ist nicht möglich. Das bedeutet für Achim, dass er in drei Monaten noch einmal mit Schritt zwei und drei von vorne beginnen muss. Rechnerisch wird das ein knappes Höschen. Wir dürfen dann nicht nach dem 15. November in Neuseeland eintreffen. Bei Visums-Vergehen kennen die Kiwis keinen Spaß. Berücksichtigt man eine Anreise von eventuell mehr als 30 Tagen, kann das eng werden. Es hängt ein wenig davon ab, wie lange die Kiwis zum Bearbeiten von Schritt zwei und drei beim zweiten Mal brauchen. Jetzt heißt es warten.

PS: Wir sind noch immer in Tahiti. Starkregen und damit eingehende unglückliche Windverhältnisse haben uns aufgehalten. Also genießen wir gut gelaunt noch den Markt in Papeete mit seinen Genüssen und die kurzen Wege.


25

Von Moorea nach Huahine – ein Video!

Mi.,12. Mai 2021, Franz.Polynesien/Tahiti/Papeete, Tag 2537, 21.559 sm von HH

Zeit für einen Rückblick: Von Moorea sind wir zwischen Weihnachten und Neujahr nach Huahine gesegelt. Diese Insel ist beim Wettlauf ‚die schönsten Insel in Französisch Polynesien‘ ganz weit vorne. Vielleicht ist sie nicht die schönste, aber das Gesamtpaket macht sie für uns total attraktiv.
Die Überfahrt in Moorea war eine Nachtfahrt – nur ein kurzer Hüpfer. Allerdings sind wir einen Tag zu früh gestartet und hatten noch eine alte Dünung draußen stehen.
Viel Spaß mit der Überfahrt und einer Moped-Runde um Huahine.

 

Mit dem Moped auf Insel-Tour

Und da soll ich hinpassen mit der dicken Kiste?

 


3

Unsere Corona Impfung ist vollendet

So.,02. Mai 2021, Franz.Polynesien/Tahiti/Papeete, Tag 2527, 21.559 sm von HH

Unseren zweiten Schuss erhalten wir ebenso unkompliziert wie den ersten. Wieder ist das Impfzelt aufgebaut und ohne Anmeldung werden wir freundlich herein gewunken. Zwanzig Minuten später sind wir doppelt geimpft mit Pfizer Biontec. Die Nebenwirkungen beschränken sich auf leichte Schmerzen im Impfarm für zwei Tage und erhöhte Müdigkeit am Impf-Abend. Keine Kopfschmerzen, keine Grippesymptome. Leider funktioniert der implantierte Bill Gates Chip nicht richtig. Mein sechs Jahre alter Laptop hat noch immer ‚Windows 8.1‘ installiert und will sich einfach nicht von alleine updaten.

Selfie mit Hindernissen – beide geimpfte Arme waren nicht fehlerfrei aufs Foto zu bekommen

Nebenwirkung der Impfung – ein Ringtanz auf offener Straße

Im Zelt war mehr Andrang als drei Wochen zuvor. Besonders die Reihe mit den Erstgeimpften war gut besucht. Knapp 15.000 Geimpfte sind in den letzten drei Wochen dazu gekommen. Das Tempo zieht an. Außerdem ist seit ein paar Tagen ein zweiter Impfstoff (Johnson&Johnson) im Land im Angebot. Die Einreise für flugreisende Amerikaner ist seit 1. Mai wieder erlaubt. Eine Impfpflicht gilt dafür nicht als Bedingung. Für Segelboote, die in Südamerika sehnsüchtig auf offene Grenzen warten, gibt es leider noch keine Lockerung.

Wir persönlich haben keine Vorteile von der Impfung. Geimpfte und Ungeimpfte werden gleich behandelt, dürfen die gleichen Lokale besuchen und dürfen gleichberechtigt zum Friseur. Nach wie vor haben alle Restaurants und Geschäfte geöffnet. Geschlossen sind nur Nachtclubs und es gilt eine Ausgangssperre von 22:00 Uhr bis 4:00 Uhr morgens.
Die Begeisterung fürs Maske tragen sinkt zusehend. Nur noch im Super- und auf dem Frischemarkt wird sich halbwegs dran gehalten. Den letzten Corona-Verstorbenen gab es vor zwei Monaten zu bedauern. Täglich werden noch ungefähr fünf positiv Getestete gemeldet, damit scheint für die (überwiegend junge) Bevölkerung die Pandemie vorbei zu sein. Wer will es ihnen verübeln?
Zunehmend sehen wir im Park wieder Tanzgruppen beim Training, abendliche Geburtstagsfeiern mit Picknick, Fitness-Trupps und Ukulelen-Spieler. Das normale Leben kehrt zurück. Es ist nicht erlaubt sich mit mehr als sechs Personen zu treffen, aber weder wird das Verbot beachtet noch kontrolliert.

Familien-Picknick im Park

Wir sind jetzt fertig in Papeete. Am Dienstag möchten wir weiter. Ob sich direkt ein Wetterfenster für den Weg auf die Tuamotu anbietet oder ob wir in Moorea am Anker darauf warten müssen, ist in der Vorhersage noch nicht klar ersichtlich. Beides ist okay für uns. Ich werde berichten.

Der Marina-Manta

Manni, der Marina-Manta hat schon vor einem halben Jahr seine Kreise im Hafen gezogen. Inzwischen fliegt er mit zwei Meter Spannweite an den Unterwasserlampen vorbei. Manni ist ein Fuchs. Er hat entdeckt, dass sich an den Lampen so allerlei Fressbares sammelt. Bahn für Bahn grast er abends seinen speziellen Futterplatz ab. Seine Cleverness bezahlt er allerdings mit Einsamkeit. Noch nie haben wir einen zweiten Manta bei ihm gesehen.
Wir hoffen, dass Manni noch da ist, wenn wir wieder zurück kommen. :-)

 


3

Tage im Leben von Langfahrtseglern

So.,02. Mai 2021, Franz.Polynesien/Tahiti/Papeete, Tag 2527, 21.559 sm von HH

„Was macht ihr eigentlich den ganzen Tag?“, wurden wir gefragt. „Arbeiten und leben“, lautet die Antwort. Ganz wichtig dabei ist, auf die ‚Work-Live-Balance‘ zu achten, wie es auf Neudeutsch so schön heißt. Mein Tag beginnt zwischen halb sieben und sieben Uhr. Achim ist dann meistens schon eine Stunde wach. Super bequem brauche ich nur von hinten aus dem Bett zu rufen oder eine whats app :lol: zu schicken, dann wird mir sofort ein Tee gekocht. Zehn Punkte für ‚Live‘ in meiner Balance. Vor dem Frühstück surfen wir dann häufig eine Stunde im Internet. Es ist die beste Zeit, um mit der Heimat zu kommunizieren. Alle sind bereits zu Hause und der Tatort hat auch noch nicht begonnen.

Nach dem Frühstück gewinnt meistens ‚Work‘ die Oberhand. Einkaufen ist so eine Sache. Der Supermarkt ist gute zehn Minuten mit dem Fahrrad entfernt. Jetzt wo die Marina-Baustelle fertig ist, kann man barrierefrei durch den schönen Park radeln (ja, darf man – in Papeete kommen Fußgänger und Radler gut zusammen klar auf den Wegen). Mit Blick auf die Hafeneinfahrt und Moorea ist es ein Vergnügen und ‚Live‘ zuzuordnen. Man kommt am ‚Kultur-Haus‘ vorbei, wo häufig Ausstellungen stattfinden und man einen netten Zwischenstopp einlegen kann. Erst kurz vor dem Supermarkt muss ich auf die Straße wechseln. Für eine Erneuerung der Uferbefestigung ist der Fußweg weg gerissen worden.

Fahrradweg durch den Park zum Supermarkt

da freut sich die Einkäuferin

mit Zwischenhalt an einer Ausstellung

an der Schnellstraße ist Papeete nicht mehr so schön – hier muss ich auf der Straße radeln

Der Rückweg dagegen hat mit ‚Live‘ nicht viel zu tun. Ich schaffe mit zwei Satteltaschen und einem Rucksack ungefähr 30 Kilo zu transportieren. An der Baustelle fahre ich einfach gegen den Strich auf der Straße. Das fällt in die Kategorie ‚Live‘ verkürzend. Aber besser als den Umweg der anderen Straßenseite zu nehmen, dort muss man als Linksabbieger eine vierspurige Schnell-Straße kreuzen – noch gefährlicher, habe ich für mich entschieden. Bis der Einkauf aufs Schiff gehievt und verstaut ist, bin ich total durchgeschwitzt. Wenn man schwitzt, muss es ‚Work‘ sein. Bin ich gut drauf, fahre ich gleich zweimal hintereinander. Mega-work! Aber das schafft was weg. Allein nur fürs Wasser, was wir in den drei Wochen Marina-Aufenthalt weg trinken (der Wassermacher ist im öligen Hafenwasser außer Betrieb), muss ich fünfmal fahren.

und der Rückweg – übrigens interessiert es die Autofahrer keinen Deut – ich werde weder angehupt noch angeblinkt, aber man nimmt auch keine Rücksicht ;-)

In der Marina haben wir dafür Brauchwasser im Überfluss. Viel Wasser, viel ‚Work‘. Wäsche waschen zum Beispiel. Unsere Kissenbezüge und Handtücher haben nach meiner lauen Handwäsche der letzten Monaten so gestunken, dass ich Ihnen jetzt eine Kochwäsche verpasse.  Das geht wie früher. Auf dem Herd Wasser heiß machen, in einen Bottich kippen und mit Holzlöffel umrühren. Schwitz, stöhn, schnauf. Aber die einzige Methode, wie man den Stink aus den Klamotten bekommt.
Die Wäsche, die nicht gekocht werden darf, bringe ich zur Wäscherei mit Hilfe einer Handkarre.  Eine Maschinenladung kostet zehn Dollar. Trocknen kostet das gleiche. Auf dem Schiff bekomme ich die Trocknung durch Sonne und Wind umsonst. Da bin ich Sparfuchs und lasse nur waschen, um die tonnenschwere Karre mit der nassen Wäsche durch die halbe Stadt zu ziehen. Der gesamte Prozess stinkt nach ‚Work‘.
An anderen Vormittagen wird geputzt, geräumt und sortiert. Eindeutig ‚Live‘. Nein, Scherz, der Schweiß läuft, es ist ‚Work‘. Und was macht Achim? Achim repariert etwas oder jagt nach Ersatzteilen und Zubehör. Ich sehe ihn selten schwitzen, stelle ich beim Schreiben gerade fest. Er kann auch viel Arbeit im Sitzen erledigen. Unsere Anträge für Neuseeland hat er geschrieben. Er behauptet, das sei Schwerstarbeit gewesen … ja, im kühlen Schiff unter Deck ein wenig in die Tastatur klappern. Pfffft. Dass er 140 Liter Diesel ran gekarrt hat, lasse ich mal unter den Tisch fallen.

Der Chef hat derweil Arbeit im Sitzen – der Nähmaschinenkasten bekommt einen neuen Boden und an der Seite ein Aluprofil mit ein paar Poppnieten verpasst

Zum Mittag essen wir eine Kleinigkeit und gönnen uns eine anschließende Pause mit Internet – das bedeutet dreißig Minuten ‚Live‘.  Es folgt der erste Abwasch des Tages. Die Hände im heißen Abwaschwasser bei sowieso schon über dreißig Grad treiben den Schweiß aus den Poren. Achim schwitz nicht, Achim trocknet ab. :mrgreen:
Am Nachmittag sind die Temperaturen untauglich für ‚Work‘. Endlich schlägt die Waage zur richtigen Seite aus: Blog schreiben, Film schneiden oder wir lesen, Achim hält auch gerne mal ein Nickerchen. Gibt es was zu schauen in der Stadt, besuchen wir gemeinsam eine Ausstellung oder machen eine Radtour.

Bleibt noch der Abend. Der ist schnell beschrieben. Kochen = schwitzen. Zweiter Abwasch des Tages = schwitzen (Achim noch immer nicht, er trocknet auch abends ab). Und was ist mit dem Sundowner? Ganz klar: work hard – play hard! ;-)
Und dann ist sie wieder gerade gerückt, unsere Work-Live-Balance auf Langfahrt.

Harte Sundowner-Work zusammen mit Brigitte und Ferry


6

Der Verfall

Di.,27. Apr. 2021, Franz.Polynesien/Tahiti/Papeete, Tag 2522, 21.559 sm von HH

„Das war auch schon in einem besseren Zustand … „, der meist gesprochene Satz auf Atanga. Wo man hinblickt (einschließlich in den Spiegel :mrgreen: ), stahlt uns der Verfall entgegen.

Die Gangschaltung von Achims Rad – abgebrochenes Opfer der UV Strahlung.
Der Aufbewahrungskasten für die Nähmaschine – Überalterung.
Unser geliebter, praktischer Pumpaufsatz für die 5-Liter Wasserflaschen – China Schrott.

Abgebrochene Gangschaltung wird geklebt – schon das zweite Mal

Die wichtige Transportkiste für die Nähmaschine kommt nach 40 Jahren in ein Alter

Mit Panzertape geklebte Pumpe – besser die als keine

 

Ersatzbeschaffungsmöglichkeit gleich Null. Crews aus Frankreich, England und dem Rest der Welt bitten einfach die hilfsbereite Verwandtschaft in der Heimat um den Versandt eines Päckchens. DHL Deutschland versendet noch immer nicht Französisch Polynesien. Nach einem Jahr Corona-Einschränkungen hat man es nicht geschafft den Versandt über einen anderen Slot als Neuseeland zu organisieren. Passt irgendwie zum Gesamteindruck. ;-) UPS liefert, nur muss man sich auf Wartezeiten einstellen. Die Crew der Alrisha hat mehrere Monate auf die Zustellung ihres neuen Kühlschranks gewartet.

Diese Verknappung an Nachschub erzieht zur Nachhaltigkeit. Wegwerf-Gesellschaft war gestern. Eine Bürste zum Schruppen des Unterwasserschiffes, die nur noch Stummel statt Borsten hat, wird heilig gehütet. „Die ist doch noch gut! Wer weiß, wann wir eine neue finden.“ Erst im fünften Laden bin ich dann letzte Woche fündig geworden.
Der Stöpsel für unsere Spüle in der Pantry besteht seit einem Jahr aus einem alten Tupperdeckel. Hält prima und wahrscheinlich wird das für immer so bleiben.
Abgeschnittene Gurte eines kaputten Rucksacks kommen an den Fahrradtaschen zum Einsatz. Die alten Gurte haben sich im UV Licht pulverisiert. Der Boden der Satteltaschen ist ebenfalls durch, die nähe ich mit Persenningstoff wieder einsatzfähig. Die Sättel haben eine Haube, weil der Kunststoff schon seit Monaten klebt. Im früheren Leben wäre das alles auf dem Müll gelandet. Hier drehen und wenden wir kaputte Dinge, die vor Ort nicht zu bekommen sind, so lange bis uns eine Lösung einfällt.

Bitte nicht wegwerfen – besser diese Bürste als keine

Gerissenes Gummi am Stöpsel wird durch einen Tupperdeckel ersetzt

Klamotten kaufen in Papeete – auch ein Thema. Zu neunzig Prozent gibt es das Blumen-Blätter-bunte-Fenua-Outfit. Achim hat sich oben rum schon angepasst. Aber was ist mit Schuhen, Unterwäsche und Shorts? Wanderschuhe oder andere feste Schuhe zu finden, ist schwierig. Der billige Mist, den wir finden, der ist 150 Dollar einfach nicht wert. Somit flickt Achim ein durchgelaufenes Loch in der Sohle mit M 5200 – einem teuflischen Industrie-Kleber.  Neue Unterwäsche habe ich mir im Supermarkt gekauft. Die Gummis sind schon nach der zweiten Wäsche abgerippelt. Und ich dachte, die billigen Synthetik-Teile auf dem Markt wären der echte Schrott. Zum Glück habe ich meine alten ‚Schlüpfer-Lappen‘ noch behalten. Die waren ja noch gut …
Meine Lieblings-Shorts hat die dritte Schicht Flicken. Wer braucht schon neue Klamotten? In den Tiefen meines Schrankes finde ich noch einen fast ungetragenen Rock, den ich nie so recht mochte. Den kürze ich mir ein, finde ihn nun tragbar, und freu mich über ein neues Teilchen wie Bolle.

Drei Lagen Flicken auf der Shorts – besser die als keine

Unsere besten Freunde sind Panzertape und die Nähmaschine. In den drei Jahren im Pazifik (Ecuador, Osterinsel und FP) ohne Einkaufsparadies vor der Tür sind wir zu Spezialisten im Frickeln, Improvisieren und Reparieren geworden. Gebrochenen Scharnieren unserer Klappen im Cockpit verpasst Achim eine Stütze von unten, so dass man den Deckel wenigstens noch vorsichtig öffnen kann. In ganz Papeete war kein Ersatz zu finden. Der Kasten für die Nähmaschine bekommt Krücken aus Alublech. Es macht Spaß zu sehen, wie Achim für alles eine Fusch-Lösung erfindet mit der man (weiter) leben kann. Manchmal fühle ich mich drei Generationen zurück versetzt als man mit Rohstoffen noch nicht so verschwenderisch umgegangen ist. Und es ist kein schlechtes Gefühl.

Aber ein Einkaufsparadies wäre auch mal wieder schön. :-)

Reparatur am Bimini – was sowieso schon fertig ist und auf Ersatz wartet


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Reisepläne 2021 – die Entscheidung der großen Distanzen

Do.,22. Apr. 2021, Franz.Polynesien/Tahiti/Papeete, Tag 2517, 21.559 sm von HH

Wir segeln nach Neuseeland! Zumindest höchstwahrscheinlich. In diesen unplanbaren Zeiten weiß man ja nie … aber was sicher ist, wir haben eine Einreisegenehmigung für Neuseeland erhalten. Hipp hipp hurra. Bislang darf nur Atanga einreisen, allerdings sind unsere Visa-Anträge in Bearbeitung. Genauer gesagt, ist der Antrag in Bearbeitung, ob wir beide als „notwendige Crew-Mitglieder“ für die Überführung des Schiffes gelten. Wir haben eine Besatzung kennen gelernt, da hätte nur der angestellte Skipper (Neuseeländer) und die beiden Elternteile ein Bleiberecht erhalten. Die (minderjährigen) Kinder wurden als nicht notwendige Crew eingestuft und hätten Neuseeland mit dem ersten Flieger verlassen müssen. Neuseeland … :roll:
Wird unserer beider Notwendigkeit anerkannt, folgt der eigentliche Visum-Antrag. Die Visa sollten wir problemlos erhalten ohne eine aktenkundige Bankräuber-Karriere. Diesmal haben wir alle Gesuche ohne Agenten-Hilfe eingereicht. Achim hat die undankbare Arbeit übernommen. Begleitet von viel Gemecker über den Formalismus des Antrages, aber der erste Schritt hat schon mal geklappt.

Ich weiß, ich habe schon einmal geschrieben, dass Neuseeland uns den Buckel runter rutschen kann. Frau Ardern liest ja hoffentlich nicht mit – wir finden Neuseeland noch immer ganz schön unanständig. Auch ein Jahr später erhält nur ein Schiff, was mindestens 50.000 NZ Dollar ausgeben will, eine Einreisegenehmigung. Money makes the world go round.
Nach vielen Überlegungen haben wir uns entschieden Geld wie Heu auszugeben. Wir haben keine Wahl – unser Deck braucht eine Komplettsanierung. Hinten fängt es schon wieder an zu tropfen. Der einzige Ort an dem wir diese Arbeiten machen können und der (für uns) erreichbar ist, heißt Neuseeland.

Da wir erst nach den neuseeländischen Frühjahrs-Stürmen im November segeln wollen, bleibt uns noch ein halbes Jahr in Französisch Polynesien.
Im Mai verlassen wir Tahiti und segeln mit einem guten Wetterfenster in die Tuamotu. Ein letztes Mal Richtung Osten zurück. Tauchen mit Haien und endlich mal (!) in türkis Wasser schwimmen, lautet unsere Idee. Wenn es irgendwie ohne große Probleme möglich sein sollte, würde ich gerne im August/September nach Deutschland fliegen. Aber nach dem schwarzen Gesetz-Erlass von heute zweifle ich stark daran, dass das klappen wird. Im Oktober bereiten wir dann den langen Ritt nach Neuseeland vor. Fahrradreifen und Wanderschuhe müssen klinisch rein sein. Alles, was nicht nach Neuseeland darf, muss vernichtet werden. Lorbeerblätter und getrocknete Linsen, um nur zwei Beispiele zu nennen. Zeit, aus den Ritzen der Bodenbretter versteckte Saatkörner der halben Welt zu saugen.

Wir kennen einige Crews, die ebenfalls erfolgreich einen Antrag gestellt haben. Einige Schiffe wollen allerdings nicht direkt segeln, sondern in Fiji einen Zwischenstopp einlegen und bereits im Mai los segeln. Fiji ist der einzige Inselstaat auf der Strecke, der seine Grenzen geöffnet hat. Wir haben uns dagegen entschieden. Trotz Impfung benötigt man einen negativen Test vor der Abfahrt in Tahiti, in Fiji wird der Test wiederholt und ein Agent schaltet sich ein, alles zusammengerechnet, kommen da weit über tausend Dollar zusammen für, … tja, für nichts. Und an Fiji kommen wir auch noch nach Neuseeland vorbei – können vorbei kommen, wenn wir wollen. Somit liegt vor uns die längste Strecke der Reise. Wir dachten, dass wir mit Ecuador-Osterinsel das hinter uns hätten, aber auch das war ein Irrtum.
Direkte Strecke nach Neuseeland wären es nur ungefähr 2200 Seemeilen. Das ist aber nicht segelbar. Je nach Wind und Wetter kann es passieren, dass wir bis auf die Länge von Fiji segeln müssen, um dann nach Süden abzufallen. Somit kann die Strecke 2800 bis 3000 Meilen lang werden.

Von Tahiti nach Neuseeland – ungefähre zu segelnde Strecke

Die Entscheidung mit Neuseeland ist gefallen. Etwas traurig stimmt uns, dass wir Traumziele wie die Cook-Insel, Samoa und Tonga ungesehen passieren müssen. Die einmal im Leben Chance. [„Es sein denn, wir kommen zurück“, wirft Achim ein, als ich ihm den Text vorlese. Scherzkeks! Aber die Zeiten sind so verrückt, dass alles möglich scheint :mrgreen: .]


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