Kategorie: Atanga

Aug in Aug mit Gabrielle

Mi., 15.Feb.23, Neuseeland/Whangarei, Tag 3182, 24.696 sm von HH

Gabrielle ist hebräisch und bedeutet „Gottes Heldin“. Wer hatte nur die schlechte Idee, einem Zyklon diesen Namen zu geben?
Hurrikane, Taifune und Zyklone sind dasselbe. Mit dem einzigen Unterschied, dass Zyklone nur auf der Südhalbkugel vorkommen und sie sich im Uhrzeigersinn drehen. Das Gute an Wirbelstürmen ist, dass man ihre Entstehung heutzutage frühzeitig entdecken kann. Die Vorwarnzeit beträgt mehrere Tage. Nur die exakte Laufbahn ist noch immer schwierig vorherzusagen.

Samstag, 4. Februar
Wir bekommen heute das erste Mal Wind (`tschuldigung – doofes Wortspiel  :lol: ) von einem sich aufbauenden System. Das ist total uninteressant. Eher beunruhigend für Insel-Staaten im Norden wie Neu Kaledonien und Fiji. Was hat Neuseeland mit diesem Tief zu tun?

Dienstag, 7. Februar
Aus dem harmlosen Sammelbegriff „Tief“ ist nun ein Zyklon geworden. Die ‚Heldin Gottes‘ wird aus der Taufe gehoben. Gabrielle ist in den letzten drei Tagen mächtig gewachsen und auf direktem Weg nach Neuseeland unterwegs. So richtig ernst nehmen wir das noch nicht. Gabrielle wird schon abdrehen. Wann wird Neuseeland direkt von einem Zyklon getroffen? Eben! So gut wie nie! Deswegen kommen die Segler aus Fiji ja extra hier rüber.
„Hui, das wird windig“, amüsieren wir uns.

Die Laufbahnen von Zyklonen zwischen 1985 und 2005 – Bola 1988 war noch schlimmer als Gabrielle – Foto Wiki

Mittwoch, 8. Februar
Gabrielle ist nun ein Zyklon der Klasse 3. Hat einen Druck von 962 Hektopascal. Eine Faustformel behauptet, je niedriger der Druck, desto größer die Zerstörungskraft.
An Neukaledonien und Fiji zieht Gabrielle bequem vorbei. Mehr als 30er Böen sind nicht vorhergesagt. Gabrielle hält weiter Kurs auf Neuseeland. Mit Amüsement ist es nun auf Atanga vorbei. Das Auge soll direkt über den Norden der Nordinsel ziehen. Über uns. Mit einem Grundwind von 45 Knoten und Böen bis 72 Knoten. Sonntag oder Montag soll das passieren. Erste Empfehlungen kommen über die Medien rein: Kaufen sie für einige Tage was zu essen, halten sie Trinkwasser bereit und eine Taschenlampe.
Ich gehe einkaufen.

Gabrielle rückt näher

Donnerstag, 9. Februar
Gabrielle rollt unbeirrt auf Neuseeland zu. Prognosen sagen jetzt, das Auge soll etwas weiter östlich an uns vorbei ziehen. Das würde einen Unterschied bedeuten von Böen 70 Knoten zu 50 Knoten – gefährlich zu unangenehm.
Wir binden alles weg. Räumen das Deck leer und unseren Arbeitsplatz unter dem Schiff.

Freitag, 10. Februar
Bestes Sommerwetter. Achim und ich gehen noch mal in die Stadt etwas bummeln. Die nächsten Tage kommen wir garantiert nicht vom Kahn. Gabrielle ist weiter auf dem Weg zu uns. Dass sie noch abdreht, wird immer unwahrscheinlicher. Nur wie stark wird sie sein? Die letzten zwei Tage ist sie zum Glück auf Kategorie 2 runter gestuft worden. Der Luftdruck im Auge ist etwas gestiegen.
Das Auge soll weiterhin östlich vorbei gehen, dann allerdings auf halber Höhe der Nordinsel einen Schlenker nach Süden machen. Die Regenfälle, die der Zyklon mitbringen soll, sind außerordentlich. Es gibt örtliche Warnungen von 400 mm in 24 Stunden.

Samstag, 11, Februar
Gabrielle hält Kurs. Sie ist zum Tropensturm herab gestuft worden. Zum Glück. Es geht los. Erste Böen mit 30 Knoten kommen tagsüber rein. Es regnet heftig. Aber alles auszuhalten. Dass Neuseeland so ein Wetter kann, hat es uns diesen Sommer schon etliche Male gezeigt. Nichts Besonderes.  Wir hocken trotzdem vor dem Wetter-Ticker. Der Wind soll zunehmen in der Nacht. Also beschließen wir als letzte Amtshandlung  auch noch das Bimini abzubauen.  Alle Luken sind zu, inzwischen schüttet es aus Eimern. Böen von 36 Knoten berichtet uns die Alrisha. Wir schlafen trotzdem gut in dieser Nacht.

Gabrielle

Sonntag, 12. Februar
Wir tappen morgens in den Salon. Ihhh! Pfui, was ist das denn? Der Fußboden im Eingangsbereich schwimmt. Es tropft von der Decke. Es tropft durch das Schott am Niedergang. Es tropft von den Leisten. Erste Rinnsale haben sich gebildet, die die Wand runter laufen. Es tropft auf den Herd, in die Spüle. Wir gucken uns ratlos an. Wo kommt das her? Da haben wir Millionen Dollar für die Decks-Sanierung ausgegeben und haben Wasser im Schiff? Da haben wir das Cockpit mit Epoxy repariert, Dichtungen neu gezogen und haben Wasser im Schiff? Ich könnte heulen.
Achim ist pragmatischer und geht auf die Fehlersuche: Der Wind kommt genau aufs Heck von Atanga (natürlich kommt er genau von hinten, grrr). Und waagerecht. Und in Mengen. Durch das fehlende Bimini wird der Regen bis an die Scheiben vom Cockpit getrieben. Dort weiß das Wasser nicht, wo es hin soll und sucht sich einen Fluchtweg durch einen Kabelkanal für die Navigation. Außerdem findet es seinen Weg durch zwei Abflüsse, die sich in den Kästen rechts und links vom Eingang befinden. Diese Abflüsse sind mit Kunststoffabdeckungen verschlossen und versiegelt. Hahaha, dachten wir zumindest. Die Versiegelung hat Undichtigkeiten, die wir bisher nicht gesehen haben. Ja, gar nicht sehen brauchten. Denn noch nie hat es so bei uns ins Cockpit geregnet.
Achim hat die Ursache gefunden und wer es findet, muss es beseitigen. Achim muss raus. :mrgreen: Das Bimini bei den Böen wieder aufzubauen, geht nicht. Da würden wir von Deck fliegen. Also installiert Achim ein Provisorium aus Planen vor den Niedergang. Die Planen bringen etwas Schutz, aber es tropft weiterhin im Halbsekundentakt von der Decke.
Achim baut eine Deckenverkleidung ab. Er schafft es, unter das Ende vom Kabelkanal eine Schüssel zu stellen. Die muss alle zwei Stunden ausgeleert werden. Der Rest fließt weiterhin die Wände runter. Mehr können wir nicht machen. Außer Handtücher überall auslegen. Immerhin ist es nur Süßwasser. :-)
Gabrielle wird zu unserer heimlichen Heldin erklärt  –  ohne sie hätten wir diese Schwachstelle niemals gefunden.

Um 16:30 Uhr dröhnt aus dem Handy ein Alarm. Der Notstand wird für unsere Region –Northland-  ausgerufen.

Alle zwei Stunden ist die Schüssel voll

Der Rest tropf daneben

 

Hier ist das Wasser rein gelaufen – Foto ist heute entstanden

Mit diesen Provisorien versuchen wir etwas Regen vom Eingang fern zu halten

und hier – die Deckel sind schon runter – die Reparatur hat bereits begonnen

Montag, 13. Februar
Wir gehen nur raus, wenn wir unbedingt müssen. Toilette ist ja nicht zu benutzen an Land.
Es gießt und stürmt. Es stürmt und gießt.
Wieder starren wir auf den Wetter-Ticker. Der Wind soll doch drehen. Wann ist es denn das so weit? Dann, am Nachmittag, ist es für zwei, drei Stunden etwas ruhiger. Das Zyklon Auge befindet sich ungefähr 150 Kilometer draußen auf offener See. Endlich dreht der Wind. Er kommt jetzt von vorne. Mit voller Wucht. Die Rückseite hat es in sich. Atanga rappelt und wackelt in ihren Stützen. Es fühlt sich an wie in einem Achterbahn-Wagon. Segeln ohne Schräglage. Segeln ohne Wasser. Schön ist das nicht, außer, dass spontan das Getropfe im Salon aufhört. Es gießt und gießt und gießt, aber der Regen bleibt draußen. Wunderbar. Da ist das Gewackel fast zweitrangig.
Die Nacht ist unruhig. Der Höhepunkt von Gabrielle ist erreicht. Unser Windmesser ist noch nicht wieder installiert, aber Alrisha und der Wetterbericht sprechen von Böen bis knapp 60 Knoten. Ja, so hört es sich auch an. Das Heulen und Brüllen des Windes ist grausam.

Der Blick runter von den Whangarei Falls an normalen Tagen

Gleicher Blick – gleiche Bäume am Sonntag – Foto credit unknown – Internetfund

Townbasin von Whangarei bei normalem Wasserstand

Der Wasserstand von Sonntag vor dem Restaurant – Foto Credit unknown – Internetfund

Dienstag, 14. Februar
Die hefigen Böen halten noch den Vormittag an. Dann hört der Regen auf. Der Wind geht runter. Grundwind noch 30 Knoten, Böen 45 Knoten. Nichts Besonderes ;-)
Wir haben das Gefühl, es überstanden zu haben. Uns ist nichts passiert. Nichts ist kaputt gegangen. Atanga steht noch – wäre auch irgendwie blöd gewesen,  das frisch renovierte Schiff auf die Seite zu legen.

Hier ist das höchste Hochwasser schon vorbei – Atanga steht links – zweites Schiff

Allerdings hat Gabrielle die Nordinsel in Verwüstung hinterlassen: Überflutungen. Erdrutsche und umgewehte Bäume. Weg gerissene Straßen. Stromausfall. Einhundert tausend Haushalte verbringen die nächsten Tage im Dunkeln. Ein Feuerwehrmann soll von einem Erdrutsch verschüttet worden sein. Von mehr Todesfällen haben wir zum Glück noch nicht gelesen. Whangarei ist im Augenblick abgeschnitten, so wie viele andere Orte auch. Zu viele Straßen sind nicht passierbar. Die Versorgung wird schwierig. Schon am Samstag soll es kein Brot und keine Milch mehr im Supermarkt gegeben haben. Der nationale Notstand ist ausgerufen worden.

Mittwoch, 15 Februar
Der prognostizierte Schlenker von Gabrielle ist eingetroffen. Was für ein Unglück. Das bedeutet, dass der Osten der Nordinsel auch die Rückseite vom Wirbel abbekommt. Als ob der Schaden im Norden nicht gereicht hätte. Im Süd-Osten kommt es zu den schlimmsten Überflutungen. 240 mm Regen fällt in 24 Stunden. Böen bis 75 Knoten an exponierten Stellen werden gemessen. MetService berichtet von 11 Meter hohen Wellen offshore. An der Küste kommen noch 5 bis 6 Meter Brecher an.

Bei uns in Northland scheint die Sonne mit stahlblauem Himmel. Als wir aufwachen, ist es fast windstill. Kein Geräusch mehr zu hören. Eine Wohltat nach 72 Stunden Dauerwind, Dauergetöse. Aber es fühlt sich wie eine Verhöhnung an: war was?
Niemals, nie, unter keinen Umständen möchten wir so einem Wirbel auf See begegnen. Ein Lehrstück, wie wichtig Wetter-Beobachtung ist – sogar an Land.

Gabrielle ist Morgen weg. Sie wird sich über dem kalten Wasser weiter im Süden einfach auflösen. Neuseeland wird etwas länger unter dieser Antiheldin leiden.

Nur ein Beispiel von vielen – Straßen sind verschwunden – Foto credit unknown – Internetfund


4

Wir sind Helden

Mi., 08.Feb.23, Neuseeland/Whangarei, Tag 3175, 24.696 sm von HH

Zumindest fühlen wir uns so. Aus allen Ecken des Boat-Yards kommen sie gelaufen. Sogar mit dem Fahrrad angefahren,  aus dem letzten vergessenen Winkel. Selbst Leute mit denen wir kaum ein Wort gewechselt haben. Alle stehen sie mit offenem Mund vor unserem Schiff. Umrunden Atanga andächtig. Die Bewunderer. Die Ungläubigen. Die, die auch gerne so ein Wunder vollbringen können wollen. ;-)
Und die Schmeichler. Die, die ihr Lob eine Schippe zu dick auftragen: „Wie vom Profi!“ Egal. Jedes Lob geht runter wie Öl. Das tut gut.

Spieglein an der Wand – wer ist der beste Maler im ganzen Land? Hahaha – ich wollte nicht aufs Foto ;-)

vorher

Zumal der zweite Akt der Streifen-Lackiererei nach der Regenpause noch eine Tücke bereit gehalten hat. Der zweite Anstrich erfolgt an einem bewölkten, windarmen Tag. Gut so. Gleich läuft die Arbeit viel besser. Erfolgreich und fehlerfrei bekommen wir den Lack auf den Kahn. Endlich trauen wir uns auch das spezielle Vinyl-Tape runter zu reißen. Die Naht zwischen ‚rot und grau‘ und ‚rot und weiß‘ ist sen-sa-tio-nell! Wie mit dem Lineal gezogen.
Aber natürlich hat in der Zwischenzeit das Vinyl-Tape seinen Klebstoff an den Untergrund abgegeben. Und nun? Mit Aceton trauen wir uns nicht auf den Lack. Rubbeln hilft nicht. Aus „Frag Mutti“ weiß ich, dass sich Etiketten mit Speiseöl ablösen lassen. Das funktioniert auch – würde jedoch Wochen dauern. Aaron rät uns zu Petroleum oder Terpentin. Das sei unschädlich auf 2-Komponenten-Lack und ebenfalls ölig. Wir versuchen es und, hurra, es funktioniert.
Die Mietzeit unseres Gestells geht sich genau aus, dass wir es noch schaffen, den Rumpf fertig zu polieren und zu waxen.

Wenn man nah ran geht, sieht man natürlich, dass es mit der Hand gepinselt ist und nicht gespritzt

Auch das weiße Gelcoat glänzt wieder in der Abendsonne

Die Kosten:
Der Kostenvoranschlag für die drei Streifen belief sich auf 6.250 Euro (10.600 NZ$). Davon für Material 1.000 Euro.
Wir haben für Material – inklusive zweimal Kauf rote Farbe und zweimal Abkleben – etwas mehr als die Hälfte bezahlt. Und davon war das teuerste die Miete des Gestells für zwei Wochen (300 Euro). Der Fairness halber muss ich dazu schreiben, dass der Lack von Aaron extra auf unsere alten Farbtöne abgemischt worden wäre. Wir haben „irgendwelchen“ Lack gekauft. Dass der zufällig genau unserem Farbton entsprach, war pures Glück.

Und der Arbeitslohn? Über den wir uns kaputt gelacht haben, weil er uns absurd hoch vorgekommen ist? Der war tatsächlich realistisch kalkuliert. :shock: Zusammen haben Achim und ich 132 Stunden an den Streifen gearbeitet. Okay einiges doppelt und sicher auch umständlich. Dafür haben wir keine aufwändigen Vorarbeiten gemacht, wie Pin Hole Filling, was im Kostenvoranschlag enthalten war.
132 Stunden x 43 Euro Stundenlohn (so viel kostet hier ein Maler) ergibt 5.700 Euro. Das passt also pi mal Daumen.

Wir haben die Arbeit deutlich weniger aufwändig eingeschätzt und ganz schön geflucht.  Memo an uns selber: Maler ist ein Lehrberuf! Finger weg.
Bleibt die Frage, was fangen wir jetzt mit dem ganzen gesparten Geld bloß an?

 

PS: Ich hinke ein paar Tage mit dem Blog. Während ich dies schreibe, fegt gerade Gabrielle über uns hinweg. Alles sieht noch gut aus. 👍


13

Waitangi Day

Mo., 06.Feb.23, Neuseeland/Waitangi, Tag 3173, 24.696 sm von HH

Jedes Jahr am 6. Februar wird in Neuseeland der Waitangi Day gefeiert. Der wichtigste Feiertag im Land. Wobei viel Wert darauf gelegt wird, dass es sich um einen Gedenktag handelt. Denn ob es aus Maori Sicht tatsächlich etwas zu feiern gibt, darüber wird seit 183 Jahren kontrovers diskutiert.
In Waitangi – nur 70 Kilometer von Whangarei entfernt – wurde der Vertrag von Waitangi zwischen den englischen Siedlern und vielen Klan-Chefs der Ureinwohnern, den Maoris,  geschlossen. Es ging um Land- und Machtverteilung, da England 1840 plötzlich großes Interesse daran zeigte, dass Neuseeland zur englischen Kolonie erklärt wird. Die englische Version des Vertrages wurde auf Maori übersetzt  – leider mit einigen Übersetzungsfehlern. Ob absichtlich oder versehentlich, ist unklar. Aber der Vertrag führte zu Interpretationsfehlern und bis heute zu Rechtsstreitigkeiten.

Ungeachtet dieser Vorgeschichte ist es voll in Waitangi rund um den Gedenk-Platz. Nur rund 15 Prozent der Einwohner Neuseelands sind noch Maori-stämmig. Ein Blick über das anwesende Publikum lässt etwas anderes vermuten. Die halbe Population der Maoris scheint auf den Beinen zu sein.

Auf die Andacht um 6:00 Uhr im Morgengrauen haben wir verzichtet. Gemeinsamt mit den Crews der Seven Seas und Alrisha haben wir uns für eine Abfahrt erst um 7:00 Uhr entschieden. Brigitte ist so nett und fährt. Bei leichtem Nieselregen geht es los (das gibt der Atanga Crew ein gutes Gewissen – können wir doch nicht am Rumpf weiter arbeiten). ;-)

Pünktlich zur Hauptattraktion erreichen wir Waitangi. Eine Flotte von Kanus befindet sich bereits auf dem Wasser.  Waka, wie der Maori seine Kanus nennt. In einer Bucht sammeln sich die Boote. Weit über das Wasser schallen die Rufe der Kanuten bis zur Brücke auf der das Publikum wartet. Dann beginnen sie zu singen. Kraftvoll, kehlig. Gänsehaut! Muschelhörner erklingen. Die Boote setzten sich in Bewegung. Am auffälligsten ist ein riesiges Kriegs-Waka. Von 80 Paddlern wird es angetrieben. Der Gesang wird lauter. Dazwischen wird gebrüllt. Und typisch für die Maori mit den Augen gerollt und Grimmassen gezogen. Unter lautem Gejohle wird die Zunge herausgesteckt. Diesen Kriegern wollte man nicht im Ernstfall begegnen.

 

Auch einige Doppel-Kanus sind mit dabei

Auch einige Doppel-Kanus sind mit dabei

Großes Kriegs-Kanu mit 80 Mann zum Paddeln

Ich muss hier unwillkürlich an Pipi Langstrumpfs Vater denken – Südseekönig

Die Kanus drehen ein paar Runden, machen halt am Marae – einem Versammlungshaus für Maori-Gemeinschaften. Ein paar Reden werden geschwungen von denen wir nichts mitbekommen.
Wir nutzen die Zeit und gehen zum Museum von Waitangi. Dort befindet sich der Unterstand für das große Waka. Dies wird nur zum Waitangi Day ins Wasser gelassen. Aus gutem Grund. Um das Waka die knapp zwei Meter höher an Land zu ziehen, braucht es alle 80 Kanuten. Unglaubliche 12 Tonnen wiegt das Kanu. Zum 100 jährigen Waitangi Day wurde es in dreijähriger Arbeit fertig gestellt. Drei Kauri-Bäume mussten ihr Leben lassen, um das 37 Meter lange Monster herzustellen.  Die Männer müssen richtig ran. Zusätzlich zum Eigengewicht gilt es auch noch hunderte Liter Wasser an Land zu ziehen. Der Kahn scheint mächtig undicht zu sein.

Alle Mann raus aus dem Kanu – zwei Wagen auf Schienen stehen als Hilfe bereit

Die Maori stehen überdurchschnittlich gut im Futter

Zu gleich – es riecht nach altem Holz – nach Männerschweiß und Salzwasser

Traditionelle Begrüßung unter zwei Maori-Kumpel – das polynesische Nasereiben

Tätowierung der Männer

Gesichts-Tattoo der Frauen – ein Moko

Nach dem Kanu-Spektakel gibt es auf verschiedenen Bühnen noch ein paar Tanzvorstellungen. Die bunte Fröhlichkeit aus Französisch Polynesien mit einem Blumenmeer, sanften Hüftschwüngen und lieblichen Versprechungen im Tanz ist bei den Maori Tänzen verschwunden. Überwiegend in schwarz gekleidet, keine Blumen hinter den Ohren setzt man auch beim Tanz auf Grimassen und die herausgesteckte Zunge. Und das nicht nur bei Kriegstänzen. Auch Liebeslieder werden gerne so untermalt.

Freundliche Gesten sind das nicht

 

Böse gucken – Augen rollen – der Gesang passt dazu – lieblich ist er nicht

Die Frauen können und machen es ebenso

Happy Waitangi Day

 

Ein toller Tag in Waitangi. Wer in der Nähe ist, sollte es nicht verpassen.


7

Die Chronik eines Lackier-Versuches

Fr., 27. Jan.23, Neuseeland/Whangarei, Tag 3163, 24.696 sm von HH

Freitag:
– Der Wetterbericht verspricht Sonne für die nächsten Tage.
– Wir mieten ein Rollgestell für eine Woche, um in vier Metern Höhe überhaupt arbeiten zu können.
– Die alten Farbstreifen schleifen wir an (320erKorn).
– Einige Beschädigungen im Gelcoat spachtelt Achim mit Epoxy.
– Der graue Streifen soll zuerst lackiert werden – wir kleben ihn nach unten und oben ab.
– Wir benutzen gelbes Marken-Klebeband.
– Unterhalb vom Streifen kleben wir den Rumpf mit Folie ab – sicher ist sicher.
– Bei Lackierarbeiten bin ich der Boss. Mehr Erfahrung, mehr Geduld, mehr Geschick.
– Achim wäre auch gerne Kalif an Stelle des Kalifen. :mrgreen:
– Zündstoff für Ehegatten-Diskussionen.

Frau und Herr Kalif sind sich nicht nur einig – sie haben sogar unterschiedliche Systeme beim Kleben der Folie

Hier wird noch gelacht -Tolles Gestell – sehr sicher – leider schwer zu schieben – die Räder stellen sich immer quer

Samstag:
– Wir beenden die Abklebe-Arbeiten.
– Ich lackiere die grauen Streifen (am Wasserpass und oben am Rumpf). Zuerst mit der Mohair-Rolle und sofort mit dem Pinsel die Oberfläche verschlichten.
– Achim bekommt die Aufgabe des „Sei so lieb und hol mir mal“ – österreichisch für Handlanger (danke an Seven Seas für diesen neuen Begriff).
– Die Sonne brennt.
– Der Lack trocknet so schnell, dass Achim mir mehrfach die Farbe verdünnen und den Pinsel reinigen muss.
– Ich muss mich sehr beeilen, dass der Lack nicht sofort Gardienen und hässliche Absetze hinterlässt. Vor allem in der Zeit, wenn wir das tonnenschwere Gerüst umstellen.
– Der „Sei so lieb“ arbeitet gut mit: „Sieht toll aus, was du machst. Großartig“.
– Ein zweiter Anstrich wäre laut Lack-Beschreibung nach vier Stunden Wartezeit möglich.
– Es sieht nach Regen aus, wir riskieren es nicht.
– Es regnet nicht.

Die Sonne brennt – mein Handlanger zieht Fratzen

Sonntag:
– Es sieht nicht nach Regen aus.
– Es erfolgt der zweite Anstrich in grau.
– Eine halbe Stunde nach Lackier-Ende tröpfelt es leicht – zum Glück ohne Schaden anzurichten.
– Wir entfernen alle Klebestreifen und Folie.
– Das gelbe Klebeband hat nicht ganz gehalten, was wir uns erhofft hatten.
– Trotz Reinigung der Klebefläche mit Aceton und fester Anpressung ist das Grau an einigen Stellen unter das Klebeband gekrochen und die Linie nicht perfekt glatt.
– Ich stelle fest, dass meine Klebung schlechter als Achims funktioniert hat.
– Achim ist ab sofort der Kalif beim Abkleben.

Montag:
– Aaron, der Farbenfachmann auf dem Yard, rät uns einen Tag zu warten, bevor wir die neue Lackierung überkleben, um den angrenzenden Streifen in rot zu pinseln.
– Da wir das Gestell ja nun schon gemietet haben, nutzen wir es, um eine Hälfte des Rumpfes zu polieren.

Dienstag:
– Wir kleben den roten Streifen ab.
– Wir sind diesmal schlauer – das gelbe Klebeband verschwindet.
– Schlau sein, zieht eine komplizierte Abklebung nach sich (Tipp Aaron – der bereitwillig Auskünfte gibt, obwohl wir seinen Kostenvoranschlag  mit „deutlich über Budget“ von uns gewiesen haben. Sauer ist er nicht, eher froh, den Job nicht machen zu müssen).
– Der rote Streifen wird nun oben und unten mit einem Vinyl-Tape (0,5 cm breit) abgeklebt für eine scharfe Kante.
– Auf den grauen Lack kommt ein weiteres Vinyl-Tape in lila, um den frischen Lack nicht mit dem Tape abzureißen. Auf lila wird dann gelb geklebt, um erneut Folie zum Schutz vom Rumpf anzubringen.
– Das schlaue Kleben dauert so lange, dass wir am Ende zwei Meter nicht mehr schaffen.
– Es regnet!

Aufwendige Maskierung – fünf verschiedene Lagen Klebebänder – oben und unten lila – auf lila flieder zum Schutz vom grauen frischen Lack – dann gelb für die Folie und gegen Übermalen

 

Mittwoch:
– Wir kleben die verbliebenen zwei Meter ab.
– Ich lackiere den roten Streifen.
– Es sieht toll aus. Aaron kommt vorbei und bestätig unsere Meinung: „Nice!“
– Die Spezifikation des Lacks sagt, dass man bei über 20 Grad nach vier Stunden ohne Schleifen die zweite Lage lackieren kann.
– Wir warten fünf Stunden. Achim mischt das zweite Drittel vom roten Lack (zwei Komponenten – vier Stunden Verarbeitungszeit).
– Ich lege los.
– Beim ersten Rollen verliert die neue Rolle Fell. Was soll das??
– Ich kann das Reparieren.
– Ich rolle weiter. Dann will ich mit dem Pinsel verschlichten :shock:  .
– Der Lack ist krumpelig. Gebrochen. Kaputt.
– Aaron kommt zufällig vorbei. Seine Meinung, die erste Schicht ist fertig.  Der Lack reif für die zweite Lage. Alles gut.
– Wir warten noch eine weitere halbe Stunde. Ein Stück weiter vorne setzte ich erneut die Rolle an. Der gleiche Effekt. Alter und neuer Lack reagieren unangenehm aufeinander.
– Wir brechen ab.
– Unser angemischter Lack landet im Müll.

Die zweite Lage rot zerstört die erste – ist bei grau nicht passiert – da haben wir über Nacht gewartet mit lackieren

Donnerstag:
– Wir schleifen den verdorbenen Lack wieder runter.
– Wir gehen auf Nummer sicher und schleifen den Rest der ersten roten Lage ebenfalls an, obwohl die Spezifikation etwas anderes behauptet. Sieben Tage bräuchte man angeblich nicht schleifen.
– Das Wetter ist sonniger als vorhergesagt. Leider auch sehr windig.
– Wird es heute noch regnen oder nicht? Die Abkleberei muss in jedem Fall runter (Aaron empfiehlt es dringend: „Das Ganze endet sonst in einem Chaos.“) – Wir können nur gewinnen, wenn wir heute noch pinseln. Verdirbt die Lage, weil es zu regnen beginnt, müssen wir „nur“ noch einmal schleifen. Gelingt der Anstrich sparen wir uns die Maskiererei.
– Wir pokern und Achim mischt den Rest vom Lack.
– Ich setze die Rolle an. Sie eiert. „So kann ich nicht arbeiten“, bin ich am verzweifeln. „Farbe, keine Farbe, Farbe, keine Farbe kommt von der Rolle.“
– Außerdem ist es heiß, die Sonne scheint. Dazu der starke Wind. Schnell merke ich, das wird nix. Der Lack wird sofort zäh. Lässt sich weder mit Rolle noch mit Pinsel „bewegen“.
– Ich rufe nach Verdünnung. Der „Sei so lieb“ eilt herbei. Zu spät. Das Feld ist verdorben. Gardienen. Ziehstreifen. Hässlich.
– Achim lässt mein Gejammer nicht zu. „Los, los, du kannst das. Wir schieben ein Stück weiter. Dort versuchst du es noch einmal.“ Der Ehe-Segen hängt schief. Ich will nicht mehr. Nicht noch einmal so viel schleifen müssen.
– Achim muntert mich auf. Ich versuche es. Keine Chance. Ein weiterer Abschnitt ist verdorben.
– Wir versuchen es zusammen.
– Achim bedient die Rolle.
– Sofort wird klar, warum ich der Boss beim Lackieren bin. Er hat keine Übung und dann mit dem eiernden Ding. Farbe, überall fehlt Farbe. Ich kann das mit dem Pinsel nicht ausgleichen. Der ist in der Zwischenzeit schon wieder halb steif getrocknet.
– Wir geben auf.
– Die angerührte Farbe kommt in den Müll.
– Es ist 16:45 Uhr. Noch fünfzehn Minuten bis zum Ladenschluss.
– Achim bestellt neue Farbe.
– Wir reißen die komplette Maskierung ab.
– Den schmalen Venyl-Streifen lassen wir kleben.
– Keiner möchte sehen, ob er für eine scharfe Kante gesorgt hat oder nicht. ;-)

Freitag:
– Es gießt wie aus Eimern.
– Eine Woche Regenwetter vorhergesagt.
– Eine Woche Zeit zum Wunden lecken.

 

Fortsetzung folgt … gerne hätte ich Vollzug gemeldet … vielleicht nächste Woche …

Farblich ist der neue Lack perfekt – links neu – rechts alt


8

Eine Cockpit-Reparatur mit Folgen

Mi., 25.Jan.23, Neuseeland/Whangarei, Tag 3161, 24.696 sm von HH

Die Basis unseres Cockpits ist GFK und lückenlos mit dem Rumpf verbunden. Ursprünglich war das Cockpit mal eine Art Deckshaus mit festem Dach, welches vom Vorbesitzer in seine heutige Form umgebaut wurde. Hierfür wurde auf die Basis des Cockpits (den GFK-Teil) ein Holzbrett geschraubt, worauf die feststehende Fensterkonstruktion installiert wurde.

Ursprüngliches Cockpit auf Atanga – als das Schiff noch Folkwang hieß

Das damals verwendete Holzbrett ist kein Brettchen, sondern eine ernst zu nehmende Bohle von bestimmt vier Zentimeter Stärke. Innen und außen laminiert. Im Prinzip gut gebaut, stabil und formschön. Nur leider hat im Laufe der letzten zwanzig Jahre Wasser seinen Weg zum Holz gefunden und dort sein Unheil angerichtet. Zwischen den beiden Laminat-Schichten ist aus dem Holz Torf geworden. Undichtigkeiten im Inneren des Cockpits zeigen uns schon länger, da stimmt etwas nicht. Eine provisorische Reparatur in Ecuador (vier Jahre alt) zeigt Schwächen.

Achim geht dem Übel mit dem Bohrer auf den Grund. Dort, wo das Holz morsch ist, wird es ausgebohrt. Zunächst glauben wir nur an kleine faule Stellen an der Fensterkante im oberen Bereich. Aber an den Ecken kommt die Wahrheit zu Tage. Großflächig wird Atanga nur noch vom Lack zusammen gehalten. Also bohrt Achim weiter. Bis zum Laminat an der Innenseite. Dies soll möglichst stehen bleiben, damit wenigstens ein Form gebendes Element für den Wiederaufbau erhalten bleibt. Das gelingt weitestgehend. :mrgreen: Somit hat Achim es „total einfach“ von außen die Lücken wieder zu füllen.

Das morsche Holz bohrt Achim oben an der Fensterkante weg

Die Lücken werden mit Glasfasermatte und Epoxy verfüllt

Dann die üble Überraschung – die Form gebenden Kanten sind komplett verrottet

Diese großen Löcher bekommen zusätzlich eine Holz-Füllung – eingebettet in Matte und Harz

Das Loch schließt sich in mehreren Arbeitsschritten

Schritt für Schritt

Mir erscheint, das Brett in die alte Form zurück zu schleifen als der schwierigste Teil. Aber Achim hat Talent. Tatsächlich nennt er sich nach kurzer Zeit schon ‚Michelangelo‘. :mrgreen: Mit Recht!
Spachteln, schleifen, spachteln, schleifen und es sieht wieder super aus. Ein leichtes für mich mit etwas Lack das Werk abzuschließen.

Der letzte Schritt ist Epoxy-Spachtel und Schleifarbeit – der umgedrehte Michelangelo war am Werk

Letzter Arbeitsschritt – Lackieren – unten gut zu erkennen der schlechte Zustand der farbigen Streifen

Kaum zu glauben – die Oberfläche ist  wieder 1a – jetzt frisch lackiert

Unterhalb des Brettes befinden sich zwei Streifen. Rot und grau. Die Farbe ist auch schon nicht mehr das Original – wahrscheinlich beim Umbau des Cockpits neu gespritzt worden. Diese Streifen sind in den letzten Jahren nicht schöner geworden. Stellenweise kommt weißes GFK hervor und das Rot ist total ausgeblichen. Die Streifen sollen neu!
Am Rumpf haben die Streifen die gleichen Farben – ebenfalls unschön anzusehen. Wir überlegen, dass wir uns mal was gönnen könnten und lassen uns von der Werft einen Kostenvoranschlag zum Streichen der Rumpfstreifen geben. :lol: Wir lachen noch immer: 6.000 Euro sollen wir dafür bezahlen.

Beflügelt vom großartig gewordenen weißen Brett im Cockpit entscheiden wir, das können wir selber. Was für eine sau-dämliche Entscheidung!

Fortsetzung folgt … stay tuned.


3

Schiet-Wetter

18. Jan.23, Neuseeland/Whangarei, Tag 3154, 24.696 sm von HH

Der Tropensturm ‚Hale‘ ist weg. Den schlimmsten Wind hat die Halbinsel Coromandel abbekommen – ungefähr 200 Kilometer entfernt. Als ein nur alle zwanzig Jahre vorkommendes Ereignis wurde dieser Restzyklon bezeichnet. Entsprechend hat der Sturm Erdrutsche, überflutete Straßen und umgeknickte Bäume hinterlassen. Auf dem Yard ist zum Glück nichts Nennenswertes passiert.

Die Sturmflut hat die Rampe im Yard fast zum Überlaufen gebracht – obwohl wir etliche Kilometer flussaufwärts liegen

Die Superlative im Wetter überschlagen sich. Der letzte Winter war der regenreichste Winter seit Wetteraufzeichnung in Neuseeland. So ein feuchtes Frühjahr wie es hinter uns liegt, hat es vierzig Jahre nicht gegeben und dieser Sommer ist der schlechteste seit „Menschengedenken“.  Ebenfalls zu viel Regen und viel zu kalt. Unser Trost, der Sommer im letzten Jahr hat den Titel ‚Jahrhundertsommer‘. Und zu Recht, letztes Jahr um diese Zeit war es einfach nur traumhaft.

 

Whangarei Falls – diesen Sommer

Whangarei Falls – letzten Sommer

Es herrscht das dritte ‚La Niña‘ in Folge. Das bedeutet, dass das Meer Im Südwest-Pazifik deutlich kälter ist als in normalen Jahren. Das ist eigentlich gut für unseren Standort. Bilden sich dann doch erheblich weniger Wirbelstürme in dieser Region. Nun, letzte Woche gab es die Ausnahme von dieser Regel.  Und vor zwei Tagen hieß es noch, dass erneut ein Zyklon in unsere Richtung unterwegs sei. Das scheint sich aber zerschlagen zu haben. Puh! Braucht kein Mensch.

Wegen des schlechten Wetters hat die Arbeit am Cockpit zwei Wochen geruht. Das ist ätzend. In dem Tempo werden wir dann ja nie fertig. Aber seit drei Tagen ärgert uns nur noch ein gelegentlicher Schauer. Die Aussichten für die nächsten Tage stehen auf „Arbeit“ – Sonne von morgens bis abends ist vorhergesagt.


6

Dummheit, Zufall oder Pechsträhne?

10.Jan.23, Neuseeland/Whangarei, Tag 3146, 24.696 sm von HH

„Verflixt, das geht doch nicht mit rechten Dingen zu“. Erst ist es nur ein Gefühl, eine Ahnung, dass irgendwas nicht stimmt. Jetzt ist es Gewissheit. Ich finde, derjenige, der unsere Voodoo-Puppen bearbeitet, hat genug Spaß gehabt.

Mit dem abgebrochenem Urlaub im November fing es an. Den verbuchten wir noch unter ‚dumm gelaufen‘. Dann kamen wir Mitte Dezember aus Auckland zurück (viel Pech beim Wetter gehabt – Atanga berichtete) und es sollte den Abend ein schnelles Nudelgericht geben. Beim Griff in den Schrank erwische ich was eklig Wabbeliges. Eine Packung aufgeweichte Spaghetti. Ihhhh, wie kann das denn sein?  Wo kommt denn die ganze Feuchtigkeit her? Im Schrank darüber lagern ein paar Bücher und Erinnerungsfotos. Aus den Klarsichthüllen lief das blanke Wasser. Fotos bis zur Unkenntlichkeit zusammen geklebt. Erinnerungsstücke, die ich vor anderthalb Jahren aus dem Nachlass von meinem Vater mitgebracht hatte. Unwiederbringlich kaputt. So ein Pech? Nein, da waren wir noch nicht so weit. Schuld war Pfusch am Bau – beziehungsweise Boot. Eigene Schuld. Eine Pütting (Durchbruch im Deck an dem die ganzen Drahtseile für den Mast befestigt sind) hatten wir nicht vernünftig abgedichtet. Seit August hat sich Regen seinen Weg in den Schrank und in die Fotos gesucht.

Der mühsame Versuch noch etwas zu retten – die Yacht-Zeitschriften mit meinen Artikeln haben es geschafft :-)

Endlich hatten wir Fotos von unserer Hochzeit an Bord – ich hatte mich so gefreut – wie gewonnen, so zerronnen

Ein paar Tage später taucht plötzlich eine dicke Schramme im Bodenbrett in der Pantry auf. Vierzig Zentimeter quer durch den frischen Lack gezogen. Warum quer? Wie kann das sein? Sherlock Sabine und Watson Achim ermitteln. Am Vormittag hat Achim auf dem Boden gehockt und im Motorraum eine Undichtigkeit (Zufall? Voodoo? Pech?) in der Wasserleitung gesucht und gefunden. Dabei muss es passiert sein. Der Delinquent guckt unschuldig. Er habe kein schweres Werkzeug benutzt, nichts über den Boden gezogen. „War es deine Kniemanschette?“, habe ich die zündende Idee. Nein, die war es nicht, aber ein Schraubenkopf steckte im Kniebereich vom Overall fest. Unbemerkt durch die Manschette hat der Kopf die Schramme gezogen. Das ist ja nun wirklich Pech!

Dann wollten wir mit den Arbeiten am Cockpit beginnen. Anhaltend schlechtes Wetter (so ein Pech) verzögerte die Arbeiten bis Weihnachten.  Nach acht Tagen mit Sonnenschein wieder schlechtes Wetter. Drei Tage Dauerregen.  Mit Böen von 40 Knoten Wind. Ausgerechnet jetzt! Haben wir doch die Schiebe-Luke für die Arbeiten ausbauen müssen. Natürlich (!) kommt der Wind genau von hinten. So schafft der Regen es quer durch den Salon.
Achim baut aus einer Plane und zwei Latten eine provisorische Luke. Beim raus krabbeln, rutscht ihm die eine Latte weg. :mrgreen: Die fällt so unglücklich, dass sie einen tiefen Cut in unseren Handlauf ( ebenfalls frisch lackiert) haut. Es reicht irgendwie.

Frischer Cut im Holz – man, man, man – muss doch nicht sein – besonders blöd, da wir solche Cuts gerade alle schön gemacht habe

In diesem Moment in dem ich schreibe, zieht ein Sturm über die Nordinsel. Der ehemalige Zyklon Hale aus Fiji hat sich etwas abgeschwächt, ist zum Tropensturm runter degradiert worden. Der Restwind, den er mitbringt, ist mit 40 Knoten aushaltbar – kennen wir ja schon von letzter Woche. Aber natürlich kommt er wieder von hinten und bläst gegen unsere provisorische Luke. Die Regenmengen sind unbeschreiblich.  In der Spitze 40 mm in zwei Stunden. Wenn einer das Schiff verlassen muss, endet das in einer mittelschweren Überflutung.

Natürlich sammelt sich das Wasser in den Beulen der Plane – und natürlich kann man nicht fehlerfrei einsteigen – inzwischen liegen schon ein halbes Dutzend nasse Handtücher herum

Ich würde sagen, wir haben einen Lauf! Vom erhöhten Pflasterbedarf, weil wir uns zeitgleich, aber getrennt voneinander schneiden und von der mysteriösen neuen Beule im Auto fange ich gar nicht erst an zu berichten.
Jetzt bloß nicht an eine Pechsträhne glauben.  Das führt nur zu selbstbestätigenden Prophezeiungen. Positives muss her. Wo haben wir Glück gehabt die letzte Zeit? Mir fällt der offene Joghurt im Kühlschrank ein, der nicht umgekippt und ausgelaufen ist. Immerhin. Und gestern habe ich ein Glas über den Salontisch gekippt. Nur mit Wasser. Bitte, geht doch!

Freitag ist der 13.te! Au weia. Da verlassen wir besser nicht das Schiff. Decken  die neuen Polstermit Plastikfolie ab, essen nichts mit Gräten und abends gibt es zum Trost ein Weinchen. Weißwein, aus dem Pappbecher, man weiß ja nie.


7

Unterm Schottenrock

01.Jan23, Neuseeland/Waipu, Tag 3137, 24.696 sm von HH

„Unter dem Schottenrock ist gar nichts, da ist nichts und da war nichts“, dieser tiefgründigen Aussage in dem Schlager von Nico Haak aus dem Jahr 1977 wollen wir auf den Grund gehen. Jedes Jahr an Neujahr veranstaltet die Gemeinde Waipu ‚Highland Games‘. Dieses Jahr bereits zum 150ten Mal. Die größte Schottische Gemeinde findet sich zwar auf der Südinsel, aber die Nordinsel hat die ‚Highland Games‘.

Schon bei der Einlaufparade der Dudelsack-Pfeifer kommen uns die ersten Männer in Kilt entgegen. Das Tragen eines Kilts ist Männer vorbehalten. Frauen tragen auch Kariert und ebenfalls Rock, aber eben nicht den acht Meter langen Wickelrock aus Wolle.

Die Dudelsack-Gruppe mit Clan-Banner – McKanzie – McLoad – McDonald

Nicht nur dicke Backen machen – ein Pfeiffer mit vollem Einsatz

Es soll nicht stimmen – dass man anhand des Karos die Clan-Zugehörigkeit erkennt

Knielang muss der Kilt sein – soll beim in die Hocke gehen nicht den Boden berühren

Eine besondere Schnürsenkel-Bindung gehört zur Tracht

 

„Es ist Tradition, nichts darunter zu tragen, dagegen ist auch nichts einzuwenden“, ist der Tenor des Kilt-Verbandes. Getreu dem Motto „Let it swing“.
Mit billigen Tricks, wie Gegenstände fallen lassen und Schuhe zuzubinden, haben ein Heer an Touristen bereits versucht einen Blick unter Kilts zu werfen.
Wir lassen das – unsere Gelegenheit wird schon noch kommen – und folgen dem Zug auf den Festplatz.

Über dem Rock trägt der Schotte seinen Sporran – ohne Hosentasche weiß er ja nicht wohin mit seinem Geld und anderen Alltagsgegenständen

Es gibt Sackhüfen und Wettrennen für die Kinder, Freßbuden (übrigens kein Alkoholausschank, obwohl der Hauptsponsor der Spiele eine Brauerei ist) und kleine Bühnen mit schottischen Highland Dances.  Im Wettbewerb wird hier um Pokale getanzt. Die Tänze werden von einem Solo-Dudelsack begleitet. Im Orchester ein ganz schönes Instrument, solo gespielt, kommt es eher etwas eigensinnig rüber. Die Tänze haben Ballett-artige Züge und im Schwerpunkt viel Beinarbeit und Sprünge.

Nicht die schönste Tracht der Welt

Und auch nicht der schönste Tanz – um ehrlich zu sein

Aber es scheint keine Nachwuchs-Probleme zu geben

Die Hauptattraktion mit den meisten Zuschauern sind zweifelsohne die ‚Heavyweight Games‘. Zehn Kilo schwere Feldsteine oder Hämmer müssen so weit wie möglich gestoßen oder geworfen werden. Und es gilt Strohsäcke mit der Forke über eine meterhoch liegende Stange zu schleudern.

10 Kilo Feldstein-Weitstoß

Hammer Weitwurf

Der Höhepunkt ist das Baumstamm schleudern. Die Teilnehmer müssen einen Stamm von sechs Meter Länge und bis zu fünfundfünzig Kilo Gewicht senkrecht anheben, versuchen den Stamm von unten zu halten, ein bisschen Anlauf nehmen für den Schwung und dann soll der Stamm so geschleudert werden, dass er sich einmal komplett überschlägt. Dabei ist darauf zu achten, dass man selber nicht vom Stamm erschlagen wird.

In der Hocke wird mit den Händen am Baumstamm bis zum Boden entlang gefahren – Gleichgewicht finden

Anlauf nehmen

Abstoßen

Und auf den Überschlag hoffen – gelingt bei weitem nicht jedem und nicht immer

Zum Schluss gibt es noch ein Tauzieh-Wettbewerb. Wir haben lange nicht so gelacht. Gruppen von acht Personen konnten sich für ein Startgeld von 80 Dollar melden und gegeneinander antreten. Als Gewinn locken dem Sieger-Team immerhin 1600 Dollar – knapp tausend Euro.
Wenn acht männliche Muskelpakete aus der Fitness-Bude gegen die gemischte Truppe der Yoga-Freunde antreten, dann dauert es keine fünf Sekunden und der Drops ist gelutscht. Der Gegner wird förmlich über den Rasen gepflügt. Die eindeutigen Favoriten finden erst bei einer polynesischen Familie ihren Gegner. Die setzt schlicht auf ihre Masse. Die Frauen brauchen gar nicht richtig ziehen, allein ihr Schlussmann ist als Anker fest im Rasen verkeilt und kaum von der Stelle zu ziehen.

Die Muskel-Truppe – und final auch die Gewinner

Die Gruppe mit der höchsten Gewichtsklasse

Highland Games finden weltweit überall statt, wo sich Schotten angesiedelt haben. Wer mal die Gelegenheit hat, sollte sich das nicht entgehen lassen. Ein unterhaltsamer Tag. Rundherum gelungen.

Kommen wir zu dem Geheimnis zurück. Was ist denn nun unterm Schottenrock? Es war ein windiger Tag. :mrgreen: Und bei den Athleten wippt im Wettkampf nicht nur das T-Shirt hoch. Auch der Kilt wird so manches Mal angehoben. Was wir da zu sehen bekommen haben, ist bitter. Ein Mythos ist zerstört.

Mythos zerstört – ‚let it swing‘ war gestern


18

Tschüss 2022 – Willkommen 2023

Silvester 22, Neuseeland/Whangarei, Tag 3136, 24.696 sm von HH

Atanga – ein Blog vom Segeln um die Welt … so lautet unser Motto auf der Homepage. Da kann man mal sehen, wie viel Mist tatsächlich so im Internet steht. :mrgreen: 2022 sind wir nicht eine einzige Meile gesegelt!
Bereits seit dreizehn Monaten stehen wir an Land. Unvorstellbar erschien mir das zu Beginn: Leiter hoch. Leiter runter. Und keine Toilette. Aber man gewöhnt sich an alles und im Nachgang war es gar nicht so schlimm. Was nicht zuletzt daran gelegen hat, dass wir sechs Monate nicht an Bord gewohnt haben: vier verschiedene House Sittings, diverse Air B&B und natürlich 3,5 Wochen Campingurlaub.
Unser Kahn sieht am Unterwasserschiff, unter Deck und natürlich das Deck selber fast wie neu aus. Wir haben sehr viel geschafft und können zufrieden aufs Jahr zurück blicken.
Tschüss 2022 – du warst ein gutes Jahr, trotz viel Arbeit und zu wenig Landreisen.

So soll es 2023 natürlich nicht weiter gehen (obwohl es im Augenblick noch anders aussieht… ein Foto poste ich schon Mal … Achim zerstört gerade unser Cockpit).

Prost Neujahr! Das kann ja heiter werden – nichts als Torf und Farbe hält unser Cockpit noch zusammen

Mit der Arbeit wollen wir Ende Januar fertig sein. Und dann hängt es davon ab, ob mein Fuß mitspielt oder nicht. Ist der Fuß okay, fahren wir für zwei Monate auf die Südinsel und im April kommt Atanga ins Wasser. Ist der Fuß doof, gehen wir schon im Februar ins Wasser zurück und statt wandern, wird gesegelt.

In jedem Fall schmeißt uns Neuseeland Mitte Mai leider raus. Unser Visum läuft aus. Und was kommt dann? Wie soll es weiter gehen?
Planung ist was für Optimisten, also hier unsere Idee: wir wollen zurück!
Der normale Segler-Weg führt Richtung Westen weiter – Australien oder Fiji, und/oder Neukaledonien, danach Indonesien. Und dort ist der Pazifik auch schon zu Ende. Nein, das wollen wir nicht! Wir möchten gerne noch mehr Pazifik sehen. Mussten wir doch wegen Corona an klangvollen Namen wie Tonga, Samoa und Cook Inseln gnadenlos vorbei segeln.
Also zurück. Eine Sundowner-Schnaps-Idee. Man segelt nicht mal eben einfach nach Osten zurück. Zumindest nicht auf der Barfuß-Route. Man muss sich hierfür schon in die höheren Breiten bewegen. 35 Grad Süd. Vielleicht sogar 40 Grad. Eine echte Schnapsidee, aber nach dem zweiten Bier ganz easy machbar. ;-)

Im Juni sollten wir dann in Französisch Polynesien angekommen sein. Von dort aus ist ein Besuch (hurra, von uns gemeinsam) in Deutschland geplant. Und den Rest des Jahres 2023 wollen wir die Marquesas besuchen. Die Inselgruppe von Französisch Polynesien, die eigentlich Pflichtprogramm ist und von keiner Crew ausgelassen wird, die wir aber bisher noch verpasst haben.
Willkommen 2023 – du liest, wir haben eine Menge vor mit dir. Also, packen wir es an.

Wir wünschen Euch einen guten Start ins neue Jahr. Mögen die Götter Euren Plänen gewogen sein


10

Frohe Weihnachten

Heiligabend 22, Neuseeland/Whangarei, Tag 3129, 24.696 sm von HH

Wir wünsche allen Lesern – nah und fern, persönlich bekannt oder nur virtuell – ein wundervolles Weihnachtsfest. Macht es Euch schön und gemütlich und habt eine großartige Zeit.

Das Boat Yard hat vor vier Wochen einen neuen Gas-Grill spendiert. Außerdem wurden die Tische und Bänke frisch geschliffen. Halleluja.  :-)
Das haben wir genutzt und es uns im überdachten Pausenraum so weihnachtlich wie möglich gemacht. Bei 25 Grad und ewiger Helligkeit am Abend ist das nicht so einfach. Aber endlich ist der Sommer in Neuseeland angekommen – scheußliches Regenwetter sollte nun endlich vorüber sein.

Merry Christmas – Peace in your world. Love in your home – Meri Kirihimete

Wir wünschen frohe Weihnachten hinaus in die Welt

Puhutukawa – der Weihnachtsbaum Neuseelands steht in voller Blüte – er funktioniert auch gut als Tischdeko

Der Chef am Grill

Ben – die Yard-Katze – ist auch in Stimmung

Keine Völlerei – sieht nur so aus – der Rest ist für Morgen – denn wir müssen Morgen gleich arbeiten – nur während der Weihnachtsferien steht uns die Halle zur Verfügung

Auf den Punkt – Yummi

Nachtisch geht immer


4

USA-Visum – alles eine Frage der Geduld

15. Dez., 22, Neuseeland/Auckland, Tag 3120, 24.696 sm von HH

Wer in die USA als Tourist einreist, braucht normalerweise kein Visum. Anders verhält es sich, wenn man mit dem Boot dort hinsegeln möchte – dann wird ein B1B2 Visum verlangt. In der Karibik und Südamerika hatten wir mehrfach die Gelegenheit an ein Visum zu gelangen, die haben wir jedoch nicht wahrgenommen. Wir sahen keinen Bedarf. In der Corona-Zeit haben wir gelernt, dass dies unseren Reise-Radius erheblich erweitert hätte, da war es aber zu spät. In Französisch Polynesien kann man das Visum nicht beantragen, weil die weder eine amerikanische Botschaft noch ein Konsulat haben. Aber jetzt haben wir die Möglichkeit in Auckland. Also auffi, packen wir’s an.

Bereits im September hat Achim die Anträge für uns fertig gemacht. Hier wird der Kuh das Kalb abgefragt: „Waren sie bereits in den USA? Wenn ja, wie lange und warum? Haben sie vor, Waffen in die USA einzuführen? Sind sie Mitglied einer terroristischen Organisation? Wollen sie Geldwäsche in den USA betreiben?“ Offensichtlich ist unser Lebenslauf lupenrein (oder zumindest die Antworten ;-) ). Wir bekommen eine Einladung zum ‚Interview‘. Bei Interview taucht vor dem geistigen Auge ein Büro mit Schreibtisch, Keksen und einer Tasse Kaffee auf.

Wir fahren also nach Auckland. Schon einen Tag vor dem Termin. Unser verregneter Besuch im Juli soll durch einen schönen Tag entschädigt werden. Kaum haben wir eingecheckt, fängt es zu nieseln an, was zum Nachmittag und Abend in Dauerregen übergeht. Bäh!
Am nächsten Vormittag dann unser Termin. Es gießt wie aus Eimern. Wir stehen etwas zu früh vor dem Konsulat. Achim schlägt vor, dass wir schon rein gehen, vielleicht kommen wir ja etwas früher dran.

Beim Eintreten verschlägt es uns die Sprache. In einem winzigen Raum stehen ein Taschen-Durchleuter und ein Metalldetektor. Und vierzig andere Menschen. Die Schlange ist so lang, dass sie in einen Nebenkorridor führt. Ungefragt stellen wir uns ans Ende der Reihe. Eine gute Entscheidung, wie sich noch herausstellt.
Es ist eng wie im Flugzeug, wenn alle Passagiere gleichzeitig aufstehen. Die Luft ist zum Schneiden. Im überhitzen Raum dampfen die regennassen Klamotten.  Ein Visums-Interview soll fünf bis zehn Minuten dauern. Die Rechnung ist einfach – im schlechtesten Fall 40 mal 10 Minuten – Wartezeit ab hier noch 6 Stunden, oder wie?
Es geht nur langsam voran. „Jesus“ oder „Oh my godness“, sind die Kommentare der Neuankömmlinge. Hinter uns wächst die Schlange weiter. Erste Leute werden wieder weg geschickt. Wer fragt, verliert. „Bitte im Erdgeschoß warten, euer Termin verfällt nicht.“ Wir tauschen uns mit den Nachbarn aus. Alle haben mit fünfzehn Minuten Versatz die gleiche Uhrzeit für ihren Termin genannt bekommen. Es geht doch nichts über gute Organisation.

US Konsulat – mit verdrehter Flagge – symbolträchtig für verdrehte Terminvergabe?

Nach einer Stunde haben wir die Durchleuchtung passiert und werden in einen Nebenraum geleitet. Erneut eine Warteschlange. Dreißig Personen jetzt vor uns. Fünf Schalter geöffnet. Die Rechnung ist wieder einfach. Im schlechtesten Fall noch eine weitere Stunde Wartezeit.
Schnell verschwindet die Phantasie vom Interview mit Schreibtisch und Keksen. An Ticket-Schaltern, ähnlich wie am Bahnhof, werden die Antragsteller abgefertigt. Dank der Lautsprecher hinter der Glasscheibe bekommen wir alles mit. Hier ein Student, der nach Kalifornien möchte, dort eine Frau, die ihre Schwester seit neun Jahren nicht gesehen hat. Das asiatische Paar, was auswandern möchte und am letzten Schalter wird es richtig indiskret. Der Antrag wird heiß diskutiert, weil der Typ schon mal Ärger an der US-Grenze hatte.

Endlich sind wir an der Reihe. Unsere Story, dass wir das Visum für die Einreise mit dem Boot benötigen, kommt bei der Sachbearbeiterin gut an. Cool findet sie, dass wir um die halbe Welt mit dem Boot gesegelt sind. „Wie groß ist das Boot? Nur Ihr zwei? Habt ihr schon mal andere Schiffe unterwegs gesehen und was macht ihr dann?“ Während sie uns ausfragt, werden die Pässe gescannt, Fotos wechseln den Besitzer und wir müssen alle zehn Fingerabdrücke abgeben. „Visa genehmigt“, lächelt sie uns an.
Die werden in unsere Pässe geklebt und uns innerhalb von zehn Tagen nach Whangarei zugeschickt (in speziellen Umschlägen, die wir vorher gekauft und mitgebracht haben). Gültigkeit: zehn Jahre, Kostenpunkt: stolze 350 Euro (inklusive Fotos, Gebühren und Anreise), Wartezeit im Konsulat: zwei Stunden. God bless America.

Als wir Auckland wieder verlassen, hört es auf zu regnen. :evil:

Lichterarme Weihnachtsdeko in Auckland – hat auch nicht so viel Sinn – der längste Tag des Jahres ist nah

Schlechtes Wetter in Auckland


15

Ist das ACC?

07.Dez., 22, Neuseeland/Whangarei, Tag 3112, 24.696 sm von HH

Wider besserer Ahnung, das wir erfolgreich sein werden, fahren Achim und ich zu einer orthopädische Klinik im Ort. Mein Fuß will nicht besser werden. Im Internet habe ich die Beschreibung meiner Schmerzen gefunden – die Diagnose von Doktor Google lautet: Sehnenüberlastung oder -entzündung! Die Empfehlung dazu, Schonung und 1200 mg Ibuprofen, um einer Entzündung entgegenzuwirken. Ich habe mir diese hohe Dosierung für eine gute Woche verordnet. Es wurde besser, dann kamen die Schmerzen zurück. Seitdem rolle ich den Fuß gar nicht mehr ab, sondern humpel mich vorwärts. Das führt sicher schnell zu Haltungsstörungen an der Hüfte. Das kann so nicht weiter gehen.

Nun soll also ein Fachmann einen Blick darauf werfen. Die Dame an der Rezeption in der Orthopäden-Klinik schaut freundlich, weist uns aber ab. Wir müssen eine Überweisung vom ‚White Cross‘ haben und erste Termine seien sowieso erst im März verfügbar.
Wir düsen also zum ‚White Cross‘. Das ist eine Art Notfall-Klinik. Wer nicht gerade den Kopf unterm Arm trägt, aber Beschwerden beliebiger Art oder einen Unfall hatte, wird hier vorstellig. Entsprechend voll ist der Warteraum.

Die Dame an der Rezeption ist ebenfalls sehr freundlich. Kurz beschreibe ich meine Symptome. „Ist das ACC?“, fragt sie. „Was ist ACC?“ „Wenn du einen Unfall hattest, dann fällt das unter ACC (accident compensation cooperation) und alle Behandlungen sind für dich kostenlos. Das gilt für alle Neuseeländer und jeden Gast im Land.“
Ich berichte, dass es nicht diesen einen Moment gab, keinen unmittelbaren Unfall, sondern die Schmerzen schleichend stärker geworden sind. „Ich schreib trotzdem ACC. Mit Fragezeichen. Eine Krankenschwester wird dich aufrufen und die entscheidet.“
Sie bittet uns Platz zu nehmen – Wartezeit ungefähr vier Stunden.

Merkblatt im White Cross, was alles unter ACC fällt. Unfälle, Verbrennungen und Bisse zum Beispiel. Interessant, dass extra die Bisse von Menschen erwähnt werden. ;-)

Achim war so nett mich zu begleiten. Den schicke ich weg. Es reicht, wenn mein Hintern platt gesessen wird. Schlecht vorbereitet ohne Lesestoff und mit einem Handy mit Rest-Akku von 13 Prozent sitze ich und langweile mich. Viel Zeit die anderen Patienten zu beobachten.
Dann kommt die Schwester. Meine persönlichen Daten werden aufgenommen. Ich schildere, was mir weh tut, dass es beim Wandern angefangen hat. Wieder die Frage nach einem Unfallereignis. Damit kann ich nicht dienen. Ich soll trotzdem ein Datum nennen, wann die Schmerzen begonnen haben. Ich nenne eins. Die junge Frau trägt das Datum in ihr Formular ein und lächelt. „Dann haben wir ACC. Wir wollen doch nicht dein Geld verschwenden.“ Sie fragt kurz einen Arzt, ob ein Röntgen erforderlich ist. Der nickt. Ich bekomme einen Laufzettel für die Röntgenabteilung und setzte mich danach ins Wartezimmer zurück, um auf einen Arzt zu warten.

Nach drei Stunden Wartezeit kommt Achim wieder zu mir. „Hast du was zu essen mitgebracht? Mir knurrt der Magen.“  Er schüttelt den Kopf: „Du kannst doch hier nichts essen. Niemand isst hier etwas.“  Nein natürlich isst hier niemand. Denn alle Menschen, die vor mir da waren, sind verschwunden und alle, die nach mir kommen, werden vor mir aufgerufen. Warum sollten die also etwas essen wollen?

Mit zunehmender Ungeduld warten wir bis die vier vorangekündigten Stunden vorüber sind. Ich gehe zum Tresen und frage vorsichtig (ein Schild gemahnt, dass man ja freundlich sein soll, sonst fliegt man raus), ob man mich vielleicht vergessen haben könnte. Eine neue Dame hinter der Rezeption schaut ins System. „Du bist aufgerufen worden, hast aber nicht geantwortet.“ Ausrede! Das stimmt nicht. Wir haben beide nichts gehört und außerdem ist ja auch bei jedem Aufruf jemand aufgestanden, wie wir mit Argusaugen beobachtet haben.

Es ist nicht zu ändern. Zehn Minuten später bin ich dran. Die Ärztin hat keinen Bock auf Fuß. Ich brauch nicht mal den Schuh ausziehen. Keine Beweglichkeitskontrolle, nichts. Es sei aber nichts gebrochen, versichert sie nach einem Blick auf das Röntgenbild. Auf eine weitere Diagnose will sie sich nicht einlassen. Wie auch? Ohne Untersuchung. „Versuch es mal mit 1200 mg Ibuprofen.“  :mrgreen:
Dann drückt sie mir noch eine Überweisung für eine Physiotherapie in die Hand: „Ist ja ACC – ist kostenlos für dich.“

Ich suche mir eine Praxis in der Nähe vom Boat Yard heraus und bin überrascht. Schon vier Tage später habe ich einen Termin. Dann die nächste Überraschung. Äußerst professionell werde ich von einer jungen Frau in Augenschein genommen mit verschiedenen Mobilität-Tests und einer gründlichen Prüfung, wo und wann es weh tut. Ihre Diagnose: Sehnenüberlastung.
Sie zeigt mir ein paar Übungen zur Stärkung der Muskeln um die Sehne herum. Und sie erklärt mir, wie und wie oft ich den Fuß belasten soll. Leider gibt sie mir auch eine schlechte Nachricht – die Heilung kann zwischen sechs Wochen und einem Jahr dauern. Nächsten Montag soll ich aber wieder kommen: „Dann bekommst du Stoßwellen. Die helfen einigen Patienten, leider nicht allen. Die sind aber umsonst – ist ja ACC.“
Dankeschön Neuseeland. Das ist sehr großzügig von dir.


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