Kategorie: News & Blogs

Menschen am Meer: Die Kräutersammlerin von Porto Kayo. Oder: Von Sammlern und von Jägern.

Leben am Meer: Dazu gehört nicht nur Segeln. Manchmal ruft das „Am-Meer-sein“ auch etwas wach, was wir seit der Steinzeit mit uns herumschleppen, ohne dass uns das in unserem Alltag bewußt ist.

Das ist Karin. Karin arbeitet eigentlich das Jahr über mit schwer erziehbaren Kindern. Ein harter Beruf, der Ihr ihr viel, viel abverlangt. Oft sind es Kinder, bei denen wenig Chancen bestehen, dass sie den Weg finden in das, was wir ein „normales“ Leben nennen.

Einmal im Jahr geht Karin für sechs Wochen aufs Meer. Zusammen mit Pat fährt sie auf dessen Katamaran SKIPJACK die griechische Küste entlang. Von Insel zu Insel. Meist in Westgriechenland, auf den Ionischen Inseln. Aber auch schon mal quer durch die Ägäis, bis in die Türkei. Oder dieses Jahr um den Peloponnes herum, im Uhrzeigersinn. Und so habe ich Karin und Pat kennengelernt, vor acht Jahren, in einer einsamen Bucht auf Ithaki. Manchmal verabreden und treffen wir uns irgendwo segelnd. So wie dieses Jahr in der Bucht von Porto Kayo, am Südpeloponnes, einer rauhen Landschaft.

Was ich von Karin noch nicht wusste: Auf dem Meer wird sie zur Sammlerin. Ihre sechs Wochen auf dem Meer nutzt sie, wie hier am Kap Tainaron, der wilden, wilden Südost-Ecke des Peloponnes, viel  für ausgedehnte Landgänge, auf denen sie alle möglichen Kräuter sammelt. Sie liebt den wild wachsenden Knoblauch: 

Oder wilden Thymian, hier mit einer Gottesanbeterin darauf. Und unten mit einer schwarzen Hummel.

Manche Kräuter verwendet Karin, indem sie sie einfach nur pflückt und trocknet. Wie den Salbei, den man im letzten Bild unten links neben dem Teller sieht. Der ist einer von LEVJE’s Lieblingen an Bord. Anderes, was sie sammelt, kocht sie. Und legt es dann nach alten Rezepten ein. Kapern, gekocht und dann in grobem Meersalz eingelegt. Lecker. Am Meer und wild sehen Kapern so aus:

Der Meerfenchel, den Karin zubereitet, der hat es mir besonders angetan. Karin findet ihn an wilden und unmöglichen Stellen, wie hier am Kap Tainaron, genau über der Gischt. Karin sagt, in der Gischt gedeiht er besonders gut:

Aus der Nähe betrachtet, sieht Meerfenchel so aus:



Und in Vergrößerung:

Es sind genau diese dicken Blätter die Karin zuerst kocht. Und dann in Olivenöl einlegt, um sie haltbar zu machen. Das Rezept hat Karin von einer griechischen Freundin aus Porto Kayo. Und die wiederum hat es von ihrer Großmutter, die den Meeresfenchel genau so einkochte. Und den Männern auf ihre Fahrten mitgab, wenn die auf die Jagd aufs Meer gingen. Meerfenchel ist gut gegen den Hunger, aber vor allem gegen den Vitaminmangel. Als Karin und Pat uns auf LEVJE besuchen, bringt sie den eingelegten Meerfenchel mit. Und der schmeckt köstlich.

Und hier erzählt Karin, wie sie den Meerfenchel zubereitet:

„Meerfenchel und andere Genüsse

Die Küsten Griechenlands sind voller Köstlichkeiten, wenn man sie erkennt und zu verarbeiten weiß! Über den Meerfenchel bin ich 2007 erstmals im wahrsten Sinn des Wortes auf der kleinen Insel Elafónisos gestolpert. Er wächst dort üppigst in den sandigen Ritzen zwischen den Felsen am Ufer und seine fleischigen, spitzen Blätter haben mich ein wenig an Hauswurzgewächse erinnert. Das Blatt knackte, als ich es brach, und mich begeisterte ein unverkennbarer, würziger Duft. 
Ich dachte sogleich an eine mögliche Verwendung des mir bis dato unbekannten Gewächses als Gemüse oder Tee, zögerte aber, es zu versuchen. 
Wenige Tage später servierte meine griechische Freundin Barbara marinierten „Krítamo“, so heißt Meerfenchel auf Griechisch, der auch in der Bucht, in der sie den Sommer verbringt, wächst (Foto). Seither bereichert er jeden Urlaub unseren Speisezettel.
Vom Meerfenchel werden die grünen jungen Triebe gepflückt (Foto) und in Wasser 5 – 10 Minuten gekocht. Ich mag ihn lieber weich, als bissfest. Er kann nach dem Kochen solo oder mit anderen Gemüsen wie ein Salat mariniert oder als Beilage mit Öl beträufelt gegessen werden. Er eignet sich aber auch gut zum Einlegen. Die Griechen legen ihn in Essig ein oder in Essig und Öl. 
Ich bevorzuge es, ihn in Gläser zu füllen und mit Olivenöl aufzugießen. So hält er gut und findet vielfache Verwendung in meiner Küche, wie z. B. auf einer Pizza.“

Meerfenchel? Cooles Zeug! Darüber will ich mehr wissen: Hier!

Meerfenchel: war auch in England und Schottland beliebt. Man kann ihn auch bei uns für den Garten kaufen: Hier!

Ak Tainaro? Die wilde, wilde Südostecke des Peloponnes: Kann man hier mehr drüber erfahren!

Menschen am Meer: Canan, 17.



In Ekincik am Strand treffe ich Canan. Canan (wie immer im Türkischen wird das „C“ wie „Dsch“ gesprochen) ist 17, ein fröhlicher Teenager, der mich anspricht, während ich am späten Nachmittag mein kleines Dinghi den Strand hinauf ziehe. Sie plappert so munter darauf los, dass ich zunächst denke, sie sei die Tochter des hiesigen Tavernenwirts, die mich in ein Gespräch verwickelt. Und unser Gespräch würde unweigerlich nach zwei Minuten ins Überreichen der Speisekarte münden. 

Tut es aber nicht. Canan hat das Wochenende mit ihrer Familie hier am Strand verbracht. Sie liebt es einfach, Englisch zu sprechen. Und da ich gerade als einziger am Strand stehe, mein Dinghi in der Hand und so aussehe, als spräche ich leidlich Englisch: voilá.

Canan hat noch alles vor sich. Sie wächst in einer muslimischen Familie auf, und noch geht sie zur Schule. Aber sie träumt davon, richtig gut Englisch zu lernen, vielleicht sogar einmal in den Ferien nach England zu gehen, um dort richtig Englisch zu lernen. Ich wünsche Canan, dass sie das schafft. Und ihren Traum von England wahr machen kann.

Und während der Muezzin ruft und ich nach unserem dreiminütigen Gespräch wieder allein in der Abenddämmerung am Feuer sitze und zusammen mit den hiesigen Katzen nachdenklich in die Flammen und in die Bucht von Ekincik schaue, fällt mir ein, was mir Eda, Unternehmensberaterin aus Istanbul, über ihr Land sagte: „Die Türkei ist nicht Europa. Die Türkei ist auch nicht Asien. Sondern etwas dazwischen.“ Damit hat mir Eda, die in USA studierte, den Schlüssel zum Verständnis ihres Landes in die Hand gegeben. 

Hoffen wir, dass dieses Land, das nicht Europa und auch nicht Asien ist, seinen schwierigen Weg zwischen den Polen zu einer eigenen Identität finden wird.

So wie Canan.

Unter Segeln: Tahtali Dag. Ankern, wo die Götter wohnen.

„Mount Olymp“, heute „Tahtali Dag“. Von 0 auf 2.366 Meter Höhe.

Den Berg Olymp, den Ort, an dem die Götter wohnen, gibts nur einmal. Denkt man. Aber kurz vor der schönen Stadt Antalya kann man lernen, dass die Griechen gleich mehrere „Berge Olymp“ besaßen.

Vermutlich waren es Siedler aus Rhodos, die hier in der Bucht um 690 vor Christus die Stadt Phaselis gründeten, deren drei (!!) Häfen man heute noch besichtigen kann. Glaubt man Legende und Mythos, begann alles wie so oft mit einem cleveren Deal: Den ersten Hirten, dem die Kolonisten aus Rhodos hier begegneten, fragten sie, was er denn als Ansiedlungsgebühr gerne hätte: Gerstenbrot? Oder gesalzenen Fisch? Der Hirte, offenbar schlichten Gemüts oder einfach nur hungrig, entschied sich für den gesalzenen Fisch. Und da waren Sie nun. Und der unaufhaltsame Aufstieg der Stadt Phaselis begann.

Genau wie ich heute beim Aufstehen in der Ankerbucht, hatten auch die Griechen von Phaselis das gewaltige, auf über 2.300 Meter aufragende Bergmassiv vor Augen, das sie „Olymp“ nannten. Und weil „Bergsteigen“ und „Bergwandern“ eine Sache ist, die die Menschheit zu Lust & Zeitvertreib gerade mal seit 150 Jahren planmässig betreibt – vorher kam niemand auf die Idee, so etwas aus Spaß zu tun – war das, was da oben auf dem Olymp war, für die unten „terra incognita.“ Man blieb unten. Und dachte sich sein Teil über „das da oben“. Leere. Stille. Abwesenheit des Nichtigen. Unerreichbarkeit: Ein Ort, wo die Götter wohnen.

Nachsehen, ob die Götter da wirklich wohnten, ging damals niemand. Erstens sind es ja manchmal unsere Träume, die unser Leben erst so richtig schön machen. Und wenn man nachschauen geht, dann ist der Traum unweigerlich futsch. Und zweitens wäre Nachsehen auf unwirtlichen 2.000 Höhenmetern mit Beschwerlichkeit, wenn nicht gar Gefahr verbunden gewesen. Das  lehrte uns nun wirklich Ötzi und sein Schicksal, das sich 2.500 Jahre vor der Gründung von Phaselis erfüllte.

Heute geht das einfacher: eine Seilbahn bringt bis zu 80 Wissbegierige pro Kabine mit einer Geschwindigkeit von 36 km/Stunde in 10 Minuten von 0 auf 2.366 Meter, auf den Gipfel. Aber Nachsehen, ob da die Götter wohnen, kann man vermutlich da nicht mehr. Der Berg heißt ja auch heute nicht mehr „Olymp“, sondern „Tahtali Dag“, „Tachtali Daaah“ gesprochen. Aber wunderschön ist er immer noch, im Morgenlicht, der „Tahtali Dag“. Und wer weiß, was man da oben findet, wenn man Nachsehen geht? Immer noch: Leere. Stille. Abwesenheit des Nichtigen. Unerreichbarkeit.

Und das wäre doch schon unglaublich viel.

Ich nehme mir vor, irgendwann in den nächsten Wochen nachsehen zu gehen. Auf dem „Tahtali Dag“.

„Tahtali Dag“? Wo ist das denn, bitte? Nicht weit von Antalya. Gleich hier.

Levje’s Lieblinge: Was für einer ist das denn? Oder: Mit Knoten ist es wie mit Menschen.

Ein simpler Knoten. Jeder kennt ihn. Wie heißt er?

Knoten gibt es unglaublich viele, mehr, als man glauben mag. Es ist erstaunlich, wie viele davon und zu welch unterschiedlichen Zwecken der Mensch sie ersann. Na klar: So schlaue Dinge wie Tape, Tüten, Sekundenkleber stehen der Menschheit erst ein paar Jahre zur Verfügung, sie mußte sich seit der Steinzeit mit Knoten behelfen. Einige zehntausend Jahre Zeit also, sich ein paar Gute auszudenken: Allein das gewichtige „Ashley-Buch der Knoten“, eines meiner Lieblingsbücher hier auf Levje, listet über 2.000 (!) Knoten auf.

Und: Knoten ist nicht gleich Knoten! Es gibt welche, denen traut man gerade als Segel-Neuling sehr, sehr viel zu. Dem Palstek, zum Beispiel. In meinen ersten Segeljahren habe ich ihn praktisch für alles und jedes eingesetzt. Um die Fender festzubändseln. Oder mich auf der Klampe festzumachen. Denn bis der Kopfschlag, das Belegen auf der Klampe (aber richtig, bitte!) auf Anhieb und ohne Gefummel saß, dauerte es ein paar Jahre. Auch der Kreuzknoten ist einer, dem man traut. Aber glaubt man Clifford Ashley, dann  hat der Kreuzknoten mehr brave Seeleute das Leben gekostet als man denkt. Mit Knoten ist es wie mit Menschen: Manche haben schnell unser Vertrauen, zu schnell. Andere verdienen sich unser Vertrauen erst langsam. Aber es wird lebenslange Freundschaft.

Und so ist es mit dem Knoten im Bild oben. Ich habe ihm lange nicht getraut. Er geht zu einfach. Ich habe nie gedacht, dass er hält. Und wieviel er hält. Und stattdessen immer den Palstek verwendet. Bis uns, es ist viele Jahre her, auf Korsika, in Ile Rousse, damals kaum ein Hafen, eher nur eine Mole, ein Sturm festhielt. Wir waren gerade eben noch untergekrochen, hingen halb an der Mole, halb an den Nachbarliegern, nichts Halbes und nicht Ganzes. Bis mir der Hafenmeister von Ile Rousse den Knoten vormachte, raps zaps. Und wir lagen in guter Seemannschaft und sicher.

Seitdem verwende ich ihn gerne. Im Hafen. Am häufigsten draußen. Er ist einer der Lieblinge hier auf Levje.

Aber was für ein Knoten ist das?

Noch ein Knotenrätsel gefällig? 
Diesmal eins aus Venedig: hier klicken.

27. Nautila Gebrauchtbootausstellung in der Aprilia Marittima

An den Wochenenden vom 18. und 19. Oktober sowie vom 24. bis 26. Oktober lockt die NAUTILIA-Gebrauchtbootmesse zum 27. mal zahlreiche Skipper in die Aprilia Marittima nach Latisana.

Die Nautila Gebrauchtbootmesse lockt jedes Jahr rund 1000 Besucher nach Latisana

Die Nautila Gebrauchtbootmesse lockt jedes Jahr rund 1000 Besucher nach Latisana

Die Gebrauchtbootsausstellung „Nautilia“, organisiert vom „Ente Fiera Cantieri di Aprilia“, ist ein wichtiger Treffpunkt für alle Bootsbegeisterte. Die Ausstellung findet stets im Oktober, kurz nach der Bootsausstellung in Genua, auf dem über 50.000 qm großen Werftgelände der Aprilia Marittima, statt.

Die „Nautilia“ ist nicht nur für den nord- und mittelitalienischen, sondern auch für den mitteleuropäischen Markt von großer Bedeutung. Die Internationalität der Besucher und Händler und die Tatsache, dass dies die einzige Bootsaustellung ist, bei der die Boote an Land stehen, macht die „Nautilia“ zu einer in ganz Italien einzigartigen Messe.

Dadurch, dass die Boote an Land stehen, bekommen die Besucher die Gelegenheit den Bootsrumpf, das Ruderblatt, die Gelenkwellen und die Propeller zu begutachten, ohne zusätzliche Kranbewegungen durchführen lassen zu müssen.

Zum 27. mal lockt im Oktober 2014 die Nautila in die Aprilia Marittima

Zum 27. mal lockt im Oktober 2014 die Nautila in die Aprilia Marittima

Die ausgestellten Boote sind meistens zwischen 7 und 20 Meter lang, von denen ca. 20% Segelboote, 75% Motorboote und die restlichen 5% Motorsegler sind. Es handelt sich um eine echte „Gebrauchtboots-Vitrine“, die jedes Jahr rund Tausend nationale und internationale Besucher anzieht.

Für Gebrauchtbootkäufer hat die ADAC Sportschifffahrt eine entsprechende Webseite mit entsprechenden Informationen zusammengestellt, u.a. steht hier auch ein Muster-Kaufvertrag bereit.

Weitere Informationen zur Messe erhalten Interessierte unter www.nautila.com.

Der Mensch und seine Sachen: Die Gorgo von Paros. Oder: Von Angst und Schrecken in Dunkelheit und Finsternis.

Ein Ort, den wir nicht verstehen und voll lauernder Gefahren, ist die Welt für uns nicht erst seit Putin, dem „Islamischen Staat“ oder dem letzten Börsencrash. Furcht, Angst und Schrecken: sie gehören zu unserem Dasein, seit wir Menschen sind. Vieles an unserem Dasein hat sich verändert in den letzten 500.000 Jahren: dass wir Furcht empfinden, nicht. Nur wovor; und wie wir Menschen mit dieser Furcht umgehen, unterliegt einem ständigen Wandel. In seinem Buch „Traumpfade“ denkt Bruce Chatwin darüber nach, ob es die Begegnung des Menschen mit dem Säbelzahntiger war, die die Angst ins menschliche Dasein brachte. Richtig daran ist: dass es den überwiegenden Teil der Menschheitsgeschichte Naturgefahren, Naturgewalten waren. Es war nützlich, Angst zu haben, bevor wir uns unachtsam einen giftigen Pilz in den Mund schieben. Oder eine Kreuzotter in die Hand nehmen. Oder bei Windstärke neun aufs Meer gehen.

Betrachtet man die Entwicklung des menschlichen Lebens auf einer Uhr, die 24 Stunden hat: dann sind es vermutlich nur die letzten fünf Minuten auf dieser Uhr, in denen unsere Angst nichts mehr mit der uns umgebenden Natur zu tun hat. Unser Leben ist geprägt vom Schutz, den wir in großen Gemeinschaften, „Staat“, „Stadt“ oder „Firma“ genannt, geniessen. Zu gruseln gibts da überschaubar wenig. Erst wenn ein Unwetter tobt oder eine Kündigungswelle anrollt: bricht Angst in unser Leben. Ansonsten schauen wir, wollen wir uns gruseln, Horrorfilme. Lesen in der Abendzeitung oder in Büchern Mordgeschichten. Fahren Geisterbahn. Springen mit Gummibändern an den Füssen in Abgründe. Oder kucken – in milderer Dosierung – „Tatort“. Keine echten Gefahren, denn diese Schrecknisse bleiben ja im Fernseher, auf dem Papier. Und kommen nicht an uns heran. Aber irgendwo muss sie ja nun mal hin, unsere Angst. Denn sie ist in uns eingebaut.

Mit Schrecknissen anders gingen die Mittelmeervölker der Antike um. Meine Reise führte mich nach Paroiki, den Hauptort der Insel Paros. Im dortigen archäologischen Museum traf ich auf diese Figur einer Gorgo, die mir seither im Kopf umgeht. Gorgonen: Schreckgestalten, deren Blick denjenigen zu Stein erstarren lässt, der nicht gewappnet ist. Drei von Ihnen kennt die griechische Mythologie: Stheno, die Mächtige. Euryale, die Weitspringende. Und natürlich Medusa. Sie hat es kraft ihres greulichen Antlitzes tatsächlich bis in die Gegenwartskunst und auch in manche Gegenwartssprache geschafft: „Una medusa, una medusa“, rufen italienische Kinder erschreckt am Strand, wenn sie tote Quallen entdecken. 

Unsere Medusa aus Paros aber ist ein echtes Kunstwerk, eins für den zweiten Blick. Der Körper zart, der eines Mädchens. Anmutig kniend, wie eine Dienende. Die Flügel setzen wir in unserer Bildsprache natürlich mit einem Engel gleich. (Die wurden aber erst etwa 1.300 Jahre später erfunden. Und dann mit den Flügeln aus der griechischen Tradition ausgerüstet.) Die Gesten anmutig. Bis hierher stimmt alles. 

Doch dann tritt Verstörendes ins Bild: Der Gürtel ist eine Schlange, den Schlangenkopf hält die Gorgo fest in ihrer Linken. Vollends verstörend der Kopf: Viel zu groß. Verzerrt zu einer Grimasse. Zu einem Sinnbild der Scheußlichkeit. Nichts, was wir sehen wollen. Nichts, was wir um uns haben wollen. Ein Schrecknis. 

Die Figur stammt aus dem 6. Jahrhundert vor Christus. Homer war gerade ein paar Jahre tot, die Perser noch weit weg von Griechenland, Rom eben aus dem Ei geschlüpft, noch nicht mal ein Kaff, das Heiligtum von Olympia in vollem Betrieb. und auf der anderen Seite der Adria ritzte das rätselhafte Volk der Daunier seine wunderbaren Vogelmenschen in Stein. 

Man fand die Figur ein paar Meter von dort entfernt, wo sie heute noch steht: in Steinschutt und Geröll neben dem archäologischen Museum von Paros. Aufgestellt haben sie die Alten, vor ihrer Stadt: nicht um sich zu gruseln. Sondern um Schrecknisse von ihrer Gemeinschaft abzuwenden: Den bösen Blick. Krankheit. Siechtum. Krieg. Untergang. Der Schrecken, um die Schrecken ihrerseits zu bannen. Bedrohungen, deren Herkunft sie nicht verstanden. Wir kennen das: von den „Augen“-Amuletten auf Fischerbooten oder Häusern, von Malta über Sizilien bis in die Türkei. Die Mittelmeer-Völker haben sich, Islam hin, Christentum her, die Amulette aus der Antike erhalten. 

Und wir? „Angst macht erfinderisch.“ „Karrieren werden aus Angst gemacht.“ Aber mein Satz lautet: Angst haben wir alle. Es ist menschlich. Aber niemals sollte man seinen Ängsten folgen. Weder wenn es darum geht, eine schwierige Entscheidung im Leben zu treffen. Noch im Gewitter auf dem Meer. Es ist keine leichte Übung, Tag für Tag. Aber sie lohnt sich.

"Ist es gefährlich, im Gewitter zu Segeln?" Sieben Tipps fürs richtige Verhalten.

Diese Frage stellte ein Leser der Redaktion der ZEIT am vergangenen Wochenende. Eine gute Frage. Und die Antwort der sonst kompetenten ZEIT-Redaktion zeigt, wie ratlos nicht nur Segler, sondern auch Redakteure dem Phänomen Gewitter gegenüberstehen.

Zum einen: Gewitter ist nicht gleich Gewitter. Was nach schwerem Unwetter aussieht, entlädt sich manchmal in einem heftigen Platzregen. Manchmal sind es schwere Böen, die dem Segler zu schaffen machen. Wieder andere Unwetter bescheren dem Reisenden auf See stundenlanges Fahren unter Blitz und Donner – keine schöne Erfahrung.

Hinzu kommt, dass Naturgewalten auf dem Meer unmittelbarer, beeindruckender wirken als in den eigenen vier Wänden oder im Auto. Und selbst ein Gewitter auf freiem Feld ist oft kein Vergleich zu dem, was derjenige auf See erlebt, dem ein Gewitter begegnet. Lediglich das, was Bergsteiger über Gewitterphänomene in den Bergen berichten, gleicht den vielfältigen Eindrücken und Herausforderungen, vor die ein Gewitter denjenigen stellt, der sich segelnd auf dem Meer herumtreibt.

    Kommt was? Oder kommt nix? Die Regenfahnen voraus und links verraten, dass zumindest der Regen bald einsetzen 
     wird.

1. Vor dem Sturm: Gewitter erkennen.
Erkennen, wann es gewittrig wird, ist im Umgang mit Unwettern schon die dreiviertel Miete. Bis eine Yacht ganz allein auf der Gewitterreichen Nordadria – wie im Bild oben – einer Gewitterfront ohne Chance auf Entkommen gegenüber steht, vergeht etwas Zeit. Selten kommt ein Gewitter überraschend. Kaum eine Gewitterfront, die von den Wetterdiensten nicht Tage vorher angekündigt wird. Aber vor allen technischen Hilfsmitteln kommt es auf das eigene Beobachten an. Denn meist gibt das Wolkenbild rundherum stundenlang vorher schon guten Aufschluss, ob etwas vor sich geht. 

Meine einfache Faustregel – und sie gilt für Stadt, Land, Meer:

„Sind die Wolken höher als breit:
Schau rundrum. Und sei bereit.“ 


    Wolken in Korfu am späten Vormittag: Sie sind unscheinbar, aber ihre Entwicklung ist eindeutig „höher als breit“. Am 
     frühen Nachmittag desselben Tages hat sich dann dies daraus entwickelt:

    Zwei Gewitterzellen. Jetzt heißt es: beobachten. Die rechte der beiden ist bereits im Begriff, nach oben nach links 
    „auszuwehen“: Das sieht nach „Entwarnung“ aus, ihre Ränder sind nicht mehr „pilzartig“ scharf konturiert wie am rechten  
    Rand der linken Zelle.

Diese Faustregel sagt einfach: sobald sich die Wolkenentwicklung „in die Höhe“ richtet, Wolken „quellen“, sollte man Wetter und Wolken ständig beobachten. Und ständig rundum Ausschau halten. Wo entsteht etwas? Wo bilden sich Quellwolken? Und: entstehen aus einfachen Quellwolken großräumige Gewitterzellen? Und wo bewegen sie sich hin?

Hat sich tatsächlich eine Gewitterzelle gebildet: Zugbahn beobachten: Kommt mir das Ding in die Quere? Und: wenn es meinen Kurs voraussichtlich kreuzt: wird es auf seiner Zugbahn noch stärker („größer“, „dunkler“, „bedrohlicher“)? Oder weht es aus?

2. Gewitter voraus
Hat sich ein Gewitter entwickelt und liegt es auf meinem Kurs, gibt es drei denkbare Verhaltensweisen:

1. „Drum-herum Segeln“.
Immer wieder gerne in solchen Situationen diskutiert. Hat aber noch nie funktioniert. Scheidet als Möglichkeit aus. Gewitter sehen aus Distanz aus wie „lokale Gebilde“, ähnlich Möbelwagen. Sind sie aber nicht. Sondern großräumige Vorgänge in riesigen Dimensionen. Möbelwagen kann man umfahren. Bewegliche Alpen-Bergmassive nicht.

2. Ankern. Abwarten. Vorbei ziehen lassen.
Schon besser. Ist das Gewitter voraus und seine Zugrichtung quer zum Kurs und nicht geradewegs auf das Schiff zu: kann das klappen. Halbwegs geschützte Bucht suchen. Noch besser: Hafen. Anker fallen lassen. Gewitter den Vortritt lassen. Wetter beobachten. Nach zwei, drei Stunden weitersegeln. 
Der Haken: wo ein Gewitter entsteht, entsteht manchmal auch gleich ein zweites. Und: Für dieses Verfahren muss die Zugrichtung ausgeprägt klar erkennbar sein. Und da lehrt ein gewitterreiches Gebiet wie die Nordadria gelegentlich anderes. Erst Gewitterfront von Nord nach Süd. Dann unmittelbar mit dem Schiff mitziehendes Gewitter von Süd nach Nord.
Also: für dieses Verfahren: muss glasklar die Zugrichtung des Gewitters erkennbar sein.


    In diesem Fall funktionierte die Methode „vorbei ziehen lassen“. Aber nur deshalb, weil die Zugbahn des Unwetters klar 
     erkennbar war. Und eindeutig 90 Grad zum eigenen Kurs betrug.

3. „Da fahren wir jetzt einfach durch“.

Irgendwann kommt für den, der sich einem Gewitter nähert, der Punkt, wo man den Dingen ins Auge schauen muss. Und unabänderlich erkennt: 
„Es wird größer. 
Es kommt genau auf uns zu. 
Es ist unabänderlich.
Wir müssen da jetzt durch.“ 



Ich war früher ein großer Verfechter der Methode „Durchfahren“. Segel runter. Alles festbändseln. Schwimmwesten und Lifebelts an. Letzte Position in Seekarte eintragen. Motor an. Geradewegs durch. Manchmal kommt man damit buchstäblich „gut durch“: Ein paar Momente heftige Böen. Ein gewaltiger Guss. Und in 20 Minuten ist alles vorbei. 
Die Unwetterfront auf dem allerersten Bild hat mich da aber anderes gelehrt. Demut, vor allem. Gewitter ist nicht gleich Gewitter. Und Gewitter ist keineswegs nur „hoffentlich schlägt der Blitz nicht in den Mast“. Anderes ist da mindestens ebenso bedrohlich:

– Sicht: Das Juli-Unwetter auf dem allerersten sowie den beiden letzten Fotos währte über eine Stunde. Über eine Stunde „Sicht null“ im dichten Regen. Zeitweise Hagel. Zwei Yachten, vorher auf Parallelkurs zur Küste, waren nicht mehr erkennbar. Bis eine, mitten im Starkregen, ungefähr 20, 30 Meter vor meinem Bug vorbei schoss. Nicht gut.

– Wind: Die Front brachte enorme Windböen mit sich. Sie drehten immer wieder Levjes Bug aus dem Wind – und einfach in die Gegenrichtung, trotz starkem Motor. Ein „Kreise fahren in unsichtigem Wetter“. Nicht gut.

– Hagel: Ruder gehen war zeitweise wegen der Größe der Hagelkörner, die den Verklicker zerstörten, nicht mehr möglich.

– Regen: Starkregen führte zum Ausfall meines Autopiloten: Der Wartungstechniker von RAYMARINE stellte später einen „starken Wassereinbruch“ fest, der die Platine sofort zerstörte.



Spätestens diese Beispiele eines heftigen Unwetters führen vor Augen: Wenn es grell blitzt und laut donnert: Gefahren drohen von ganz unterschiedlicher Seite. Ich spare es mir hier, die guten alten Regeln aus der Segelschule zu wiederholen, die heißen: Keine Eisenteile anfassen.

4. „Ab in den Hafen.“
Am besten: gar nicht erst rausgehen! Schon richtig. Aber: wer chartert, der will seine 14 Tage segeln. Wer sich mühsam eine Woche Urlaub erkämpft hat, auch. Und nicht womöglich aus einem Hafentag drei werden lassen. Oft ist die Situation nicht so eindeutig. Zwischen „Das geht schon!“ und „Wir bleiben lieber im Hafen“ liegen oft nur „Millimeter“. 

    Eine 60-Knoten-Böe: Sie legte selbst große Zweimaster flach aufs Wasser, verdrehte Rollgenuas in Sekundenbruchteilen 
     zu „Sanduhren“. Sie hinterließ: zerfetzte Vorsegel, abgedeckte Hausdächer, im Hafenbecken treibende Dinghis und  
     Cockpitpolster: Die Bilanz des Juli-Unwetters 2010, das sich mit der Wolkenfront auf dem ersten Foto ankündigte und   
     dessen zweite Hälfte wir im vermeintlich sicheren Hafen von Umag an der Boje abwetterten.

5. Gewitter nachts, vor Anker.
Meistens beschränkt sich meine Aktivität aufs „Auszählen“: Kommt das Gewitter näher – oder zieht es vorbei? Die gute, alte Methode des „Wieviele Sekunden vergehen zwischen Blitz und nachfolgendem Donner?“ hat seit den Kindertagen nichts an Wirksamkeit und Effektivität verloren. Und ist ein untrüglicher Warner. Danach: sehen, was kommt.

6. Technische Hilfsmittel und Wetterberichte
Der kroatische Seewetterbericht hats. DWD oder Poseidon habens nicht: Warnungen vor regionalen Gewittern. Meist ist der Blick in „Wald- und Wiesen“-Wetterberichte wie Wetteronline da schon ganz hilfreich.
Besondere Hilfsmittel sind die Satellitenaufnahmen, wie sie zum Beispiel sat24.com anbieten. Hier eine Satellitenaufnahme mit Blitzhäufigkeit über Südeuropa am heutigen Nachmittag:

Klar erkennbar die beiden „Unwetterzentren“ Norditalien und vor allem: türkische Südküste. Nachteil an Sat24.com: Die Bilder zeigen rückwirkend, wo es geblitzt HAT. Sie zeigen aber nicht, wo es blitzen WIRD. Ein Anhaltspunkt aber ist das schon mal.

Menschen am Meer: Ankermanöver im Gewitter. Oder: Warum mache ich das alles?


    Wolken, die sich nach oben entwickeln: ein untrügliches Zeichen, dass Gewitter entstehenkönnen.                                     
     Das Foto zeigt die Wolken am Himmel gestern östlich von Marmaris.

Die Türkei im Oktober ist anders, als ich sie von meinen bisherigen Törns im August und im September kenne. Die Sonne geht früh unter. Um halb sieben wirds dunkel. Wenig Wind. Das Wasser ist immer noch sehr warm. Die Luft ist kühl. Und gestern, beim Ablegen in Marmaris, da quoll es am Himmel im Osten fröhlich vor sich hin: Aufsteigende Quellwolken. Wolken höher als breit. Aufziehende Gewitter.

Mein Weg führte mich zunächst fort von den Gewitterwolken, die über dem Festland stehen. Nach Süden, durch die Ausfahrt aus der großen Bucht von Marmaris, zwischen den Inseln Keci und Yildiz hindurch. Und dann langsam nach Osten, parallel zur Bergkette im Norden. Und den darüber munter vor sich hin quellenden Wolken.

Mein Tagesziel ist die Bucht von Ekincik, knapp 20 Meilen von Marmaris entfernt. Ein vier Stunden-Schlag. Ankunft kurz vor Anbruch der Dunkelheit. Jeder kennt Ekincik: ist es doch der Startpunkt für die wunderbaren Ausflüge den Dalyan-Fluß hinauf, durchs Schilfröhricht in vielen Windungen unter den lykischen Königsgräbern entlang.

Ekincik kenne ich. Eine weite Bucht mit gut haltendem Sandgrund. Als Einhand-Segler ist mir manchmal der „G-Faktor“ (darüber schrieb ich früher), der Aufwand, mit der Landleine einfach zu groß. Also eine weite Bucht. Wo man ankern und schwoien kann. Ohne Landleine. Eben Ekincik.

Gegen sechs passieren wir die Einfahrt in die Bucht von Ekincik. Noch zweieinhalb Seemeilen, eine halbe Stunde bis zum Ankerplatz vor dem Dörfchen. Aber der Himmel vor mir sieht mittlerweile bedrohlich aus. Aus dem aufquellenden Weiß ist mittlerweile eine tiefgraue Front geworden, Blitze zucken aus der grauen Masse in die Berggipfel genau vor mir. Ich ziehe meine gelbe Segeljacke an, es sieht nach Platzregen aus, noch bevor wir unseren Ankerplatz erreichen. Ich gebe Levje’s Motor noch mal die Sporen, Levje brummt brav durch die ersten Windböen, die fallen aus Norden, aus dem großen Grau die Berghänge herunter. Gottseidank, dann sind wir hier geschützt. Die Böen nehmen zu. Noch 15 Minuten. Die ersten Tropfen. Fette Wassertropfen, die auf der Haut zerplatzen, groß wie Hagelkörner. Sind aber nur Wassertropfen. Noch 5 Minuten. Gleich da vorne, wo zwei andere Segler liegen. Schlagartig wird der Regen zur Wand. Die Hose ist im Nu nass. Gerade noch kann ich die beiden ankernden Segler kennen, wir gehen zwischendurch, der Regen wird immens, ein Eimer lauwarmen Wassers, der da über Levje und mir ausgekippt wird aus den eiskalten Windböen. Rundherum donnert es. Aber Levje spurt brav, wir gehen in den Wind, Anker fällt, obwohl ich ihn in Donner und rauschendem Regen nicht mehr höre, grelle Blitze zucken durchs Grau, wir ziehen rückwärts, 15 Sekunden, 20 Sekunden, 25 Sekunden: 25 Meter Kette draußen, das sollte reichen. Noch mal richtig rückwärts Gas geben, ob Levje’s Anker auch wirklich hält in den stärker werdenden Böen, jetzt schießt sie hin und her – aber: der Anker hält. Motor aus. Schnell unter Deck gespurtet, die tropfnassen Sachen aus, unter Deck stehe ich schnell in einer Pfütze.

Ich sitze im Niedergang. Beobachte das Wetter. Die Blitze, die jetzt im Sekundentakt rings um Levje durch die graue Wand schmettern, unmittelbar von Donnerschlägen begleitet. Der Regen prasselt auf Levje nieder, manchmal sind Blitz und Donner eins, so nah ist das Unwetter um uns herum, das Boot ruckt hart in den Anker ein. Wahrlich: kein Ort um sich wohlzufühlen. Kein Platz, an dem man gerade jetzt gerne sein möchte. Oder?

Vor vielen Jahren begann mein Freund Anderl einen Roman. Und der begann mit dem bemerkenswerten Satz: „Sehnsuchtsvolle Menschen leben dort, wo ihre Sehnsüchte genährt werden.“ Nicht dass meine Sehnsucht nach den grell um uns herum gleissenden Blitzen ginge: Bewahre. Aber ich fühle mich wohl auf meinem Boot. Mein Sitzplatz auf der Holztreppe, ist vom Motor wunderbar warm. Ich hole mir ein Bier. Schaue hinaus ins rauschende Grau. Die Blitze. Vermisse nichts in diesem Augenblick. Habe Vertrauen zu meinem Boot. Und den Elementen, obwohl sie toben. Alles ist richtig. Und gut so, wie es ist.

Wieder einmal frage ich mich: Warum mache ich das alles? Dazu fiele mir vieles ein. Aber wenig, was den Nagel mitten auf den Kopf träfe. Vielleicht nur dies: Dass das menschliche Herz ein einsamer Jäger ist. Und gut ist für Überraschungen. Nur zuhören muß man ihm, seinem Herzen. Im Getöse des Gewitters. Aber vor allem: im lautlosen Getöse und Gedonner und Gelärme dessen, was wir unseren „Alltag“, unser Leben nennen. Eben das, was wir jeden Tag machen. Und gut machen. Wenn wir dann zuhören: Dann – kommt schon was. 

„Sehnsuchtsvolle Menschen leben dort, wo ihre Sehnsüchte genährt werden.“

Ekincik? Nie gehört! Wo ist das? Genau hier!

Unter Segeln: Im Gewitter.

„Ist es gefährlich, im Gewitter zu Segeln?“, fragte ein Leser die Redaktion der ZEIT am vergangenen Wochenende. Eine gute Frage. Und die Antwort der sonst kompetenten ZEIT-Redaktion zeigt, wie ratlos nicht nur Segler, sondern auch Redakteure dem Phänomen Gewitter gegenüberstehen.
 
Zum einen: Gewitter ist nicht gleich Gewitter. Was nach schwerem Unwetter aussieht entlädt sich manchmal in einem heftigen Platzregen. Manchmal sind es schwere Böen, die dem Segler zu schaffen machen. Wieder andere Unwetter bescheren dem Reisenden auf See stundenlanges Fahren unter Blitz und Donner – auch keine schöne Erfahrung.

Hinzu kommt, dass Naturgewalten auf dem Meer unmittelbarer, beeindruckender wirken als in den eigenen vier Wänden oder im Auto. Und selbst ein Gewitter auf freiem Feld ist oft kein Vergleich zu dem, was derjenige auf See erlebt, dem ein Gewitter begegnet. Lediglich das, was Bergsteiger über Gewitterphänomene in den Bergen berichten, gleicht den vielfältigen Eindrücken und Herausforderungen, vor die ein Gewitter denjenigen stellt, der sich segelnd auf dem Meer herumtreibt.
 

    Kommt  was? Oder kommt nix?

1. Vor dem Sturm: Gewitter erkennen.
Erkennen, wann es gewittrig wird, ist im Umgang mit Unwettern schon die dreiviertel Miete. Bis eine Yacht ganz allein auf der Gewitterreichen Nordadria – wie im Bild oben – einer Gewitterfront ohne Chance auf Entkommen gegenüber steht, vergeht etwas Zeit. Selten kommt ein Gewitter überraschend. Kaum eine Gewitterfront, die von den Wetterdiensten nicht Tage vorher angekündigt wird. Aber vor allen technischen Hilfsmitteln kommt es auf das eigene Beobachten an. Denn meist gibt das Wolkenbild rundherum stundenlang vorher schon guten Aufschluss, ob etwas vor sich geht. 

Meine einfache Faustregel – und sie gilt für Stadt, Land, Meer:

„Sind die Wolken höher als breit:
Schau rundrum. Und sei bereit.“ 


    Wolken in Korfu am späten Vormittag: Sie sind unscheinbar, aber ihre Entwicklung ist eindeutig „höher als breit“. Am frühen Nachmittag desselben Tages hat sich dann dies daraus entwickelt:

    Zwei Gewitterzellen. Jetzt heißt es: beobachten. Die rechte der beiden ist bereits im Begriff, nach oben nach links „auszuwehen“: Das sieht nach „Entwarnung“ aus, ihre Ränder sind nicht mehr „pilzartig“ scharf konturiert wie am rechten Rand der linken Zelle.

Diese Faustregel sagt einfach: sobald sich die Wolkenentwicklung „in die Höhe“ richtet, Wolken „quellen“, sollte man Wetter und Wolken ständig beobachten. Und ständig rundum Ausschau halten. Wo entsteht etwas? Wo bilden sich Quellwolken? Und: entstehen aus einfachen Quellwolken großräumige Gewitterzellen? Und wo bewegen sie sich hin?

Hat sich tatsächlich eine Gewitterzelle gebildet: Zugbahn beobachten: Kommt mir das Ding in die Quere? Und: wenn es meinen Kurs voraussichtlich kreuzt: wird es auf seiner Zugbahn noch stärker („größer“, „dunkler“, „bedrohlicher“)? Oder weht es aus?

2. Gewitter voraus
Hat sich ein Gewitter entwickelt und liegt es auf meinem Kurs, gibt es drei denkbare Verhaltensweisen:

1. „Drum-herum Segeln“.
Immer wieder gerne in solchen Situationen diskutiert. Hat aber noch nie funktioniert. Scheidet als Möglichkeit aus. Gewitter sehen aus Distanz aus wie „lokale Gebilde“, ähnlich Möbelwagen. Sind sie aber nicht. Sondern großräumige Vorgänge in riesigen Dimensionen. Möbelwagen kann man umfahren. Bewegliche Alpen-Bergmassive nicht.

2. Ankern. Abwarten. Vorbei ziehen lassen.
Schon besser. Ist das Gewitter voraus und seine Zugrichtung quer zum Kurs und nicht geradewegs auf das Schiff zu: kann das klappen. Halbwegs geschützte Bucht suchen. Noch besser: Hafen. Anker fallen lassen. Gewitter den Vortritt lassen. Wetter beobachten. Nach zwei, drei Stunden weitersegeln. 
Der Haken: wo ein Gewitter entsteht, entsteht manchmal auch gleich ein zweites. Und: Für dieses Verfahren muss die Zugrichtung ausgeprägt klar erkennbar sein. Und da lehrt ein gewitterreiches Gebiet wie die Nordadria gelegentlich anderes. Erst Gewitterfront von Nord nach Süd. Dann unmittelbar mit dem Schiff mitziehendes Gewitter von Süd nach Nord.
Also: für dieses Verfahren: muss glasklar die Zugrichtung des Gewitters erkennbar sein.

    In diesem Fall funktionierte die Methode „vorbei ziehen lassen“. Aber nur deshalb, weil die Zugbahn des Unwetters klar erkennbar war. Und eindeutig 90 Grad zum eigenen Kurs betrug.

3. „Da fahren wir jetzt einfach durch“.

Irgendwann kommt für den, der sich einem Gewitter nähert, der Punkt, wo man den Dingen ins Auge schauen muss. Und unabänderlich erkennt: 
„Es wird größer. 
Es kommt genau auf uns zu. 
Es ist unabänderlich.
Wir müssen da jetzt durch.“ 



Ich war früher ein großer Verfechter der Methode „Durchfahren“. Segel runter. Alles festbändseln. Schwimmwesten und Lifebelts an. Letzte Position in Seekarte eintragen. Motor an. Geradewegs durch. Manchmal kommt man damit buchstäblich „gut durch“: Ein paar Momente heftige Böen. Ein gewaltiger Guss. Und in 20 Minuten ist alles vorbei. 
Die Unwetterfront auf dem allerersten Bild hat mich da aber anderes gelehrt. Demut, vor allem. Gewitter ist nicht gleich Gewitter. Und Gewitter ist keineswegs nur „hoffentlich schlägt der Blitz nicht in den Mast“. Anderes ist da mindestens ebenso bedrohlich:

– Sicht: Das Juli-Unwetter auf dem allerersten sowie den beiden letzten Fotos währte über eine Stunde. Über eine Stunde „Sicht null“ im dichten Regen. Zeitweise Hagel. Zwei Yachten, vorher auf Parallelkurs zur Küste, waren nicht mehr erkennbar. Bis eine, mitten im Starkregen, ungefähr 20, 30 Meter vor meinem Bug vorbei schoss. Nicht gut.

– Wind: Die Front brachte enorme Windböen mit sich. Sie drehten immer wieder Levjes Bug aus dem Wind – und einfach in die Gegenrichtung, trotz starkem Motor. Ein „Kreise fahren in unsichtigem Wetter“. Nicht gut.

– Hagel: Ruder gehen war zeitweise wegen der Größe der Hagelkörner, die den Verklicker zerstörten, nicht mehr möglich.

– Regen: Starkregen führte zum Ausfall meines Autopiloten: Der Wartungstechniker von RAYMARINE stellte später einen „starken Wassereinbruch“ fest, der die Platine sofort zerstörte.

Spätestens diese Beispiele eines heftigen Unwetters führen vor Augen: Wenn es grell blitzt und laut donnert: Gefahren drohen von ganz unterschiedlicher Seite. Ich spare es mir hier, die guten alten Regeln aus der Segelschule zu wiederholen, die heißen: Keine Eisenteile anfassen.

4. „Ab in den Hafen.“
Am besten: gar nicht erst rausgehen! Schon richtig. Aber: wer chartert, der will seine 14 Tage segeln. Wer sich mühsam eine Woche Urlaub erkämpft hat, auch. Und nicht womöglich aus einem Hafentag drei werden lassen. Oft ist die Situation nicht so eindeutig. Zwischen „Das geht schon!“ und „Wir bleiben lieber im Hafen“ liegen oft nur „Millimeter“. 

    Eine 60-Knoten-Böe: Sie legte selbst große Zweimaster flach aufs Wasser, verdrehte Rollgenuas in Sekundenbruchteilen zu „Sanduhren“. Sie hinterließ: zerfetzte Vorsegel, abgedeckte Hausdächer, im Hafenbecken treibende Dinghis und Cockpitpolster: Die Bilanz des Juli-Unwetters 2010, dessen zweite Hälfte wir im vermeintlich sicheren Hafen von Umag an der Boje abwetterten.

5. Gewitter nachts, vor Anker.
Meistens beschränkt sich meine Aktivität aufs „Auszählen“: Kommt das Gewitter näher – oder zieht es vorbei? Die gute, alte Methode des „Wieviele Sekunden vergehen zwischen Blitz und nachfolgendem Donner?“ hat seit den Kindertagen nichts an Wirksamkeit und Effektivität verloren. Und ist ein untrüglicher Warner. Danach: sehen, was kommt.

6. Technische Hilfsmittel und Wetterberichte
Der kroatische Seewetterbericht hats. DWD oder Poseidon habens nicht: Warnungen vor regionalen Gewittern. Meist ist der Blick in „Wald- und Wiesen“-Wetterberichte wie Wetteronline da schon ganz hilfreich.
Besondere Hilfsmittel sind die Satellitenaufnahmen, wie sie zum Beispiel sat24.com anbieten. Hier eine Satellitenaufnahme mit Blitzhäufigkeit über Südeuropa am heutigen Nachmittag:

Klar erkennbar die beiden „Unwetterzentren“ Norditalien und vor allem: türkische Südküste. Nchteil an Sat24.com: Die Bilder zeigen rückwirkend, wo es geblitzt HAT. Sie zeigen aber nicht, wo es blitzen WIRD. Ein Anhaltspunkt aber ist das schon mal.

Unter Segeln: Vor Antiparos. Oder: Wenn der Meltemi launenhaft wird.

Links im Bild die unbesiedelte Insel Despotiko. Voraus Antiparos. Und rechts dann schon Paros:
Segeln im ablandigen Meltemi.

Stellt man sich die Fläche der Ägäis vor wie ein Wagenrad und die der ägäischen Inselwelt nächstgelegene Festlande – Peloponnes, Attika, die türkische Küste – als äußere Begrenzung des Rades: dann ist Paros praktisch die Nabe dieses Wagenrads und dessen Mitte. Bis zum Peloponnes ist es genauso weit wie bis zur türkischen Küste. Oder bis nach Athen. Und wer nach Norden will, der kommt fast trockenen Fußes über die eng beieinander liegenden Inseln Mykonos, Tinos und Andros in den Hafen der griechischen Hauptstadt.

Auf meinem fast 35 Seemeilen langen Tagesschlag von Kimolos herüber will ich in die Bucht Ormos Despotiko, wie die gleichnamige Insel, westlich von Paros. Schon auf der Karte ein wunderschönes Fleckchen: Groß. Geräumig. Nach Norden gut gegen den Meltemi geschützt. Mit flachen Wassertiefen und weithin gutem Ankergrund. Auf meinem Weg dahin liegen nur Siphnos und eine Handvoll kleiner Eilande: Die Nisos Strongylo, der einsame westlichste Ausläufer von Paros, vor dem auch das Video entstand. Dann Despotiko, mit seiner im Sommer wunderschönen, aber leider überlaufenen Ankerbucht ganz im Süden. Und dann kommen auch schon Antiparos und die zwei Großen: Paros und Naxos – und damit habe ich auch schon die Hälfte der Ägäis durchmessen.

Das Video zeigt fast wie ein Lehrbuch auch einige Wind- und Wellenmuster, wie sie für die Ägäis im Spätsommer typisch sind. Neben dem Ritt im fauchenden Meltemi, wie ich ihn in einem früheren Video aufgenommen habe, gehört zum Segeln in der Ägäis auch dies: Hat man am späteren Nachmittag, wenn der Meltemi auffrischt, die Inseln erreicht und segelt in ihrem Windschatten, dann: ist es ein Segeln wie auf einem See. Die Wellen sind schlagartig weg. Das Wasser ist eben und glatt, wie ein Brett. Das Boot gleitet dahin, nichts unterbricht Levje’s leises Schnüren in den Wellen. Und nur die Böen, die von den Hügeln von Stongylo aufs Wasser fallen und Levje erst beschleunigen, gelegentlich aufs Wasser legen und zuletzt in den Wind drehen lassen: sie erinnern daran, dass der Meltemi ein launenhafter Hausherr ist: immer gut ist für Überraschungen, wenn man ihn, wie ich, „links“ und ablandig liegen läßt.

Wo liegt denn jetzt eigentlich Antiparos? Hier. Und meine Route an diesem Tag ist auch mit eingezeichnet.

Von Menschen und von Schiffen: Das große und das kleine Beiboot. Oder: Wieviel Dinghi braucht der Mensch?

Rudern im Sonnenuntergang vor Antiparos: Nicht jedermanns Sache, zugegeben. Aber mein großes Vergnügen. Und dafür: Braucht man ein Dinghi.

Manche mögen’s groß: Mit PS-starkem Außenborder hat ein richtiges Beiboot unbestreitbar Vorteile: Mal abgesehen vom Komfort, erhöht es die Reichweite ungemein. Man kann damit einfach kilometerweit abgelegene Buchten und Sandstrände ansteuern. Flachgehende Flüsse und Kanäle erkunden. Orte erreichen, die für Yachten unerreichbar sind. Anlanden, wo keiner anlandet. Buchteln, wo keiner buchtelt. Und cool aussehen tut so ein brausendes Ding auch.

Für mich war ein großes Schlauchboot, das die Italiener liebenswerterweise „gommone“, den „großen Gummi“ nennen, nicht erstrebenswert. Erstens muss ich zusehen, dass ich Dinghi und Accessoires wie Bodenbretter, Riemen, Blasebalg auf Levje’s 31 Fuß unauffällig stauen kann. Ich habe nur eine Backskiste. Zweitens rudere ich gern – wahnsinnig gern. Meine Frau liebt mich, wenn ich  sie im Mondschein auf dem Rückweg vom Abendessen über die Bucht rudere. Wenn ihre Hose dabei nass wird, liebt sie mich nicht mehr so arg. 

Mein wichtigstes Argument bei meiner Entscheidung für ein kleines Dinghi ist, was ich den „G-Faktor“ nenne. Das „G“ in „G-Faktor“ steht für das schöne bayrische Wort „Gschiss“. „Gschiss“ kann man übersetzen mit „Aufwand“: „Fui Gschiss“ = „viel Aufwand“. „Koa Gschiss“ = „kaum Aufwand“. Entsprechend bedeutet  „Hoher G-Faktor“: „ich muss viel Zeit & Mittel aufwenden“. „Niedriger G-Faktor“: „ich muss wenig Zeit & Mittel aufwenden“.

Da wir Menschen unser Leben, so erstrebenswert das wäre, nicht nur mit Dingen mit niedrigem „G-Faktor“ wie „Zeitung von gestern lesen“ oder „Banane vom Baum essen“ füllen können: bauen wir in unser Leben Sachen mit „hohem G-Faktor“ ein. Wir gehen ins Kino. Wir essen im Restaurant. Wir fliegen in die Karibik. Wir haben einen tollen, aber stressigen Job. Wird uns alles zuviel: kaufen wir uns ein Buch mit dem Titel „Simplify your Life.“ 

Gelegentlich bauen wir auch Dinge mit sehr, sehr hohem „G-Faktor“ ein: Wir kaufen uns einen englischen Oldtimer, einen netten TR4. Wir bearbeiten & archivieren & retten unersetzliche Kinder- und Urlaubsfotos. Wir Paragliden. Oder Tauchen. Oder gehen Segeln. Oder – um den „G-Faktor“ auf die Spitze zu treiben – wir lachen uns ein Segelboot an. Unendlich hoher „G-Faktor“!

Aber auch ein Segelboot selbst kann man mit „hohem G-Faktor“ oder „niedrigem G-Faktor“ betreiben. Ein richtiges „Gommone“ mit PS-starkem Außenborder bedeutet hohen „G-Faktor“: Das Boot, es ist schwer. Man braucht das Spifall oder gar den Spibaum, um es ins Wasser zu lassen. Manchmal muss man auch Davits dafür montieren. Es dauert, bis es im Wasser ist. Und wieder draußen. Die Jongliererei mit dem Außenborder ist Kraftakt mit höchstem G-Faktor. Manche haben an den Davits ein kleines Kränchen montiert. Der Außenborder muß einmal im Jahr gewartet werden. Meist tuts ja Tausch der Zündkerze. Plus durchspülen. Plus Gaszug abschmieren. „G-Faktor“! 
Ich habe mir deshalb das kleinste Zwei-Mann-geeignete-Dinghi zugelegt, das der Hamburger Versender mit dem A im Angebot hatte. Es hat 1 klitzekleines Packmaß. Es ist in 7 Minuten aufgepumpt. Es ist in 3 Minuten im Wasser und starklar. Und in 4 Minuten aus dem Wasser und fest auf dem Vordeck vertäut. Ich rudere damit, wenn es sein muß, allein auch mal 1, 2 Kilometer über die Bucht. So wie auf dem Bild oben, mit dem mich Berthold von der SY KARO vor ein paar Tagen überraschte, dem ich ganz herzlich dafür danke. Im Sonnenuntergang vor Antiparos, allein rudern: ganz viel Spass; ganz niedriger „G-Faktor“. 

Aber leider: wie jeder Bootsbesitzer träume auch ich von meinem nächsten Boot. Das ist selbstverständlich größer. Selbst vor meinem unschuldigen Zwei-Mann-Dinghi kennen meine Träume kein Erbarmen. Wenn ich könnte wie ich wollte … dann: hätte ich ja gerne wieder von Bruno Maitre das NAUTIRAID CORACLE 190. Das hatten wir mal als Dinghi. Es war Klasse. Meine Frau würde mich lieben, wegen des Mondscheins. Nur der Aufbau, der dauert 20-25 Minuten. Und die dicke 2,10 Meter lange Wurst-Verpackung – wo  kann man die denn stauen? Und alle 3 Jahre muss es lackiert werden, mit Klarlack. Damit der schön hält, 5-6 mal. Nach Zwischenschliff, versteht sich.

Wie gesagt: Der Trend geht im Leben immer zum höheren „G-Faktor“. 

Ich glaub‘, ich lass es. Spaß gibt’s auch einfacher.

Tage wie dieser – 191 Tage später

Es ist vollbracht. Am Sonntag den 05.10.14 um 1457 habe ich  nach 191 Tagen mit der Nonsuch in Kappeln festgemacht. Der Segelsommer ist vorbei, die Ostsee ist bereist.

Aber der Reihe nach. Nach meiner Nacht vor Anker in der Flensburger Förde wollte ich noch einige Tage verbringen bevor ich zur Schlei ziehen würde. Also ging es zunächst noch mal zurück in die dänische Südsee nach Birkholm und von dort nach Laboe. Über diese Tage werde ich erst mal nichts schreiben, denn sie dienten das erste mal ganz nur mir selbst zum Sammeln der Gedanken.

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Außer eine Gegebenheit, die ich euch natürlich nicht vorenthalten kann: Am 03.10 habe ich auf dem Weg nach Laboe nämlich das erste Mal meine Kurslinie aus dem April gekreuzt. Ich segelte bei herrlichen leichten Winden der Kieler Förde entgegen, als auf dem Plotter plötzlich diese rote Linie quer vor mir auftaucht: Meine Kurslinie. Obwohl es herrlicher Sonnenschein ist, ist in meinen Gedanken schlagartig Nacht. Ich denke nämlich zurück an die Nacht, als ich hier im Stockdunklen den Großsschifffahrtsweg kreuzte, wie die Positionslaternen der Frachter wie an einer Perlenschnur entlangzogen, wie ich durch die Hohwachter Bucht Kurs Wismar gesegelt bin. Das Ganze ist 6 Monate her. Aber mir kommt es vor, als wäre es erst gestern gewesen. Aus dem Kopf weiss ich das Wetter und Barometerstand von damals, wie ich mich auf die Fahrt ins Ungewisse gefreut habe, wie ich die kalte Nacht durchgefahren bin. Solche Gedanken kommen mir in den letzten Tagen immer öfter. Ich fühle mich, als wäre ich gerade mal 3 Wochen unterwegs, so lebendig sind alle Erinnerungen. Und doch fühlt es sich an, als würde ich nach einem ganz normalen Wochenendtörn aus Dänemark zurück kommen. Alle Erinnerungen kommen nur hin und wieder mal hoch, doch dann sind sie so klar als wäre es gestern gewesen. Ich frage mich ganz ernsthaft nicht nur einmal, ob ich das letzte halbe Jahr vielleicht geträumt habe.

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Von Laboe geht es dann auf den letzten Einhand-Tag nach Eckernförde. Und noch einmal beschert das Wetter mir einen Segeltag wie man ihn sich besser nicht vorstellen könnte. Schöne 5 Beaufort Halbwind bis Raum, konstant über 6kn auf der Logge, so geht es in die Eckernförder Bucht. Auf einmal ist auch wieder viel auf dem Wasser los. Alle deutschen Segler zieht es zum langen Einheitswochenende noch mal aufs Wasser. So viele Yachten habe ich seit Stockholm vor genau 2 Monaten nicht mehr gesehen. Funfact nebenbei: In 6 Monaten Ostsee wurde auch nie so viel Blödsinn über den UKW-Funk gesendet. “Seemöwe, Seemöwe, hier ist Carpe Diem, bitte kommen. over. – Ja der Skipper ist grad pinkeln, hier ist Ilse, kann ich dir auch weiterhelfen?”. In der Fülle gabs das nirgendwo so, was mir durchaus den Einen oder Anderen kleinen Lacher entlockt. Ich fühle mich wohl.

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Irgendwie freue ich mich aber auch wieder viele deutsche Segler zu sehen. Denn auch wird sich nirgendwo so viel zugewunken unter Sportskameraden. Auch so eine schöne kleine Tradition. Und beim Anblick meiner Gastlandflaggen sind auch immer wieder hochgehobene Daumen, Grölen, Rufe, und sogar einmal klatschen dabei. Ich freue mich. Eigentlich war ich ja nur 6 Monate segeln und habe nichts Besonderes gemacht, aber doch wärmt es einem irgendwie das Herz. Auch in Eckernförde kommen schnell viele Gespräche zusammen.

Ich hab aber erstmal richtig zu tun. Schnell aus dem Ölzeug gepellt (es hat über 20 Grad an diesem 4. Oktober) und die 6-Monats-Jungsellenbude mal feucht – Ach ne, das hat der Westwind schon zur Genüge getan – trocken durchgewischt. Für heute Abend hat sich nämlich der erste Besuch von Segelfreunden aus Kappeln angekündigt.

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“Boah siehst du verlottert aus!” – Diese vertraute Freundlichkeit unter guten Seglerfreunden habe ich ernsthaft und ohne Ironie vermisst. Es ist als wäre ich nie weg gewesen. Vom ersten Moment ist alles wie immer. Wir trinken und lachen zusammen, und tauschen Geschichten des Sommers aus. Wieder frage ich mich, ob ich die letzten 6 Monate nur geträumt habe.

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Doch nun steht er an. Der große Tag. Der Tag an den man seit Monaten immer mal wieder denkt. Von dem man sich immer gefragt hat wie er wohl werden würde. Und, das sei vorweggenommen, ich hätte ihn mir nicht schöner ausmalen können. Neben obigem Spruch wirft mir Frank in Eckernförde auch gleich seinen Schlafsack an die Birne. Er wird mich auf dem letzten Stück nach Kappeln begleiten. Was könnte es Schöneres geben, als diese Heimkehr mit einem guten Segelfreund zu teilen?
Aber diese komische Stimmung hält an. Wir frotzeln, segeln, trinken und lachen wie immer zusammen. Aber doch liegt ja irgendwas in der Luft. Und kurz vor 12 Uhr taucht dann nach 6 Monaten die Mole von Schleimünde wieder vor uns auf. Selbst einige Tage später kann ich immer noch nicht beschreiben was mir in diesem Moment alles durch den Kopf geht. Freude, Trauer über das Ende, hunderte Erinnerungen, Erwartungen an die Zukunft, Gedanken was sich wohl verändert haben mag. Ich bin voll von Adrenalin und alles schlägt in Freude um. Doch erstmal machen wir in Schleimünde fest. Beziehungsweise Frank, denn mir wurde verboten vor Kappeln an Land zu gehen. Wir treffen dort auch die ersten Vereinsboote, die sich uns spontan für die Heimfahrt nach Kappeln als Eskorte anschließen.

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Immer höher wird die Anspannung, immer besonderer wird dieser Tag. Überhaupt, an diesen Tag werde ich wohl mein Leben lang nachdenken. Er steht in einer Reihe mit Graduation, Hochzeit, ähnlichem. Ein einmaliges Erlebnis jedenfalls, und immer mehr wird mir das bewusst. Frank dreht sich zu mir: “Es ist so weit”.

Die letzten 4 Meilen dieser langen Reise stehen an. Noch 8000m bis Kappeln. Und alles spielt zusammen. Sogar der Wind, der immer noch aus Osten kommt, denn dass man die Schlei wirklich reinsegeln kann kommt nicht alle Tage vor. Die Sonne scheint, einen guten Freund dabei, und 6 Monate auf See im Gepäck. Die Stereoanlage brüllt so laut sie kann, und wir singen mit. “Tage wie Diese” von den Toten Hosen, mein Lieblingssong Midnight City, so Klassiker wie “Danger Zone”. Zu unserem Erstaunen ist nichtmal irgendein Entgegenkommer oder Überholer genervt. Jeder hat Verständnid für diese unbändige Freude, für dieses Auskosten des Augenblicks.
Und als ich denke mehr geht nicht, reicht Frank mir das Fernglas: Riesige Vereinsstander wehen weit vor uns im Fahrwasser: Noch mehr Vereinsschiffe und Freunde schließen sich uns an. Gasfanfaren, Nebelhörner, Stereoanlagen, kalte Getränke und Sonne. Das Schleifahrwasser ist eine einzige Party. Mein Zwerchfell vibriert schon vor Freude, was kann jetzt noch kommen? Dabei sind wir noch gar nicht da…

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Aber bald kommt die Kappelner Klappbrücke in Sicht. Noch 10 Minuten, dann ist alles vorbei. Dann sind es noch 5, dann geht die Brücke wie ein Haustür auf. Die Musik, die Hörner, die Touristen am Kai die gar nichts mehr verstehen. Eine einmalige Stimmungen. 5 Minuten des absoluten Glücks an die ich noch in dutzenden Jahren denken werde. Auf dem Kai warten weitere Freunde und Familie. Und nun hält mich nichts mehr. Feuerwerk, Lärm, und sogar ein spontanes Bad noch vor dem Anlegen folgen.

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Ich weiß nicht ob meine Schilderungen hier vielleicht abgehackt klingen, doch genau so unkontrolliert fühlte ich mich in diesen Momenten. Alles zieht wie in einem Film an mir vorbei. Ein Festmacherbier mit Freunden am Steg, ein tolles Abendessen mit der Familie, was könnte es noch besseres geben? Einen schöneren Tag hätte ich mir wirklich nicht vorstellen können.

Doch nun geht es ans ausräumen. Und immer noch bin ich völig überwältigt. Es ist als hätte ich Kappeln nie verlassen. Im positiven Sinne. Und dann tauchen wieder diese Erinnerungen auf… Und ich frage mich, was bleibt. Ich habe das Gefühl, einer der spannendsten Teile der Reise beginnt jetzt erst. Und das ist doch irgendwie auch nicht schlecht…

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Beim ersten Ausräumen und verarbeiten nehme ich mit einigen Anderen zusammen auch die Logbücher das erste Mal näher ins Visier. Die größten Schätze aus 6 Monaten. Eigentlich wollte ich nur 6 Monate segeln gehen. Am Ende aber ist die bisher größte Einhand-Rund-Ostsee Reise daraus geworden. Ich habe in 191 Tagen  10 Länder besucht, 3.765sm hinter mich gebracht, den westlichsten, nördlichsten, südlichsten und östlichsten Punkt der Ostsee besucht. Das gab es in der Fülle so meines Wissens nach nach noch nicht. Vielleicht nur eine kleine Randnotiz, denn eigentlich wollte ich doch nur nach dem Studium segeln gehen, aber für mich irgendwie auch etwas was bleibt.

Und jetzt geht es nachhause nach Hamburg. Mal sehen wie mich das “echte” Leben wohl erwartet. Oder habe ich das doch gerade hinter mir gelassen?

 

Und die Freude kennt keine FGrenzen mehr.
Angekommen!
Manchmal tut Übermut auch ganz gut...
Das kühlt das Mütchen.
Kappeln. Angekommen.
Unzählige Erinnerungen liegen im Kielwasser.
Träumer unter sich.
Als wäre ich nie weg gewesen...
Kontrolliertes Chaos.
Nichts führt mich tiefer zurück als das zusammenpacken von Seekarten für 6 Monate...
Wir sehen uns in ein paar Tagen wieder. Du hast dich toll geschlagen!!!!!