Kategorie: Mare Più

Menschen am Meer: Die Kräutersammlerin von Porto Kayo. Oder: Von Sammlern und von Jägern.

Leben am Meer: Dazu gehört nicht nur Segeln. Manchmal ruft das „Am-Meer-sein“ auch etwas wach, was wir seit der Steinzeit mit uns herumschleppen, ohne dass uns das in unserem Alltag bewußt ist.

Das ist Karin. Karin arbeitet eigentlich das Jahr über mit schwer erziehbaren Kindern. Ein harter Beruf, der Ihr ihr viel, viel abverlangt. Oft sind es Kinder, bei denen wenig Chancen bestehen, dass sie den Weg finden in das, was wir ein „normales“ Leben nennen.

Einmal im Jahr geht Karin für sechs Wochen aufs Meer. Zusammen mit Pat fährt sie auf dessen Katamaran SKIPJACK die griechische Küste entlang. Von Insel zu Insel. Meist in Westgriechenland, auf den Ionischen Inseln. Aber auch schon mal quer durch die Ägäis, bis in die Türkei. Oder dieses Jahr um den Peloponnes herum, im Uhrzeigersinn. Und so habe ich Karin und Pat kennengelernt, vor acht Jahren, in einer einsamen Bucht auf Ithaki. Manchmal verabreden und treffen wir uns irgendwo segelnd. So wie dieses Jahr in der Bucht von Porto Kayo, am Südpeloponnes, einer rauhen Landschaft.

Was ich von Karin noch nicht wusste: Auf dem Meer wird sie zur Sammlerin. Ihre sechs Wochen auf dem Meer nutzt sie, wie hier am Kap Tainaron, der wilden, wilden Südost-Ecke des Peloponnes, viel  für ausgedehnte Landgänge, auf denen sie alle möglichen Kräuter sammelt. Sie liebt den wild wachsenden Knoblauch: 

Oder wilden Thymian, hier mit einer Gottesanbeterin darauf. Und unten mit einer schwarzen Hummel.

Manche Kräuter verwendet Karin, indem sie sie einfach nur pflückt und trocknet. Wie den Salbei, den man im letzten Bild unten links neben dem Teller sieht. Der ist einer von LEVJE’s Lieblingen an Bord. Anderes, was sie sammelt, kocht sie. Und legt es dann nach alten Rezepten ein. Kapern, gekocht und dann in grobem Meersalz eingelegt. Lecker. Am Meer und wild sehen Kapern so aus:

Der Meerfenchel, den Karin zubereitet, der hat es mir besonders angetan. Karin findet ihn an wilden und unmöglichen Stellen, wie hier am Kap Tainaron, genau über der Gischt. Karin sagt, in der Gischt gedeiht er besonders gut:

Aus der Nähe betrachtet, sieht Meerfenchel so aus:



Und in Vergrößerung:

Es sind genau diese dicken Blätter die Karin zuerst kocht. Und dann in Olivenöl einlegt, um sie haltbar zu machen. Das Rezept hat Karin von einer griechischen Freundin aus Porto Kayo. Und die wiederum hat es von ihrer Großmutter, die den Meeresfenchel genau so einkochte. Und den Männern auf ihre Fahrten mitgab, wenn die auf die Jagd aufs Meer gingen. Meerfenchel ist gut gegen den Hunger, aber vor allem gegen den Vitaminmangel. Als Karin und Pat uns auf LEVJE besuchen, bringt sie den eingelegten Meerfenchel mit. Und der schmeckt köstlich.

Und hier erzählt Karin, wie sie den Meerfenchel zubereitet:

„Meerfenchel und andere Genüsse

Die Küsten Griechenlands sind voller Köstlichkeiten, wenn man sie erkennt und zu verarbeiten weiß! Über den Meerfenchel bin ich 2007 erstmals im wahrsten Sinn des Wortes auf der kleinen Insel Elafónisos gestolpert. Er wächst dort üppigst in den sandigen Ritzen zwischen den Felsen am Ufer und seine fleischigen, spitzen Blätter haben mich ein wenig an Hauswurzgewächse erinnert. Das Blatt knackte, als ich es brach, und mich begeisterte ein unverkennbarer, würziger Duft. 
Ich dachte sogleich an eine mögliche Verwendung des mir bis dato unbekannten Gewächses als Gemüse oder Tee, zögerte aber, es zu versuchen. 
Wenige Tage später servierte meine griechische Freundin Barbara marinierten „Krítamo“, so heißt Meerfenchel auf Griechisch, der auch in der Bucht, in der sie den Sommer verbringt, wächst (Foto). Seither bereichert er jeden Urlaub unseren Speisezettel.
Vom Meerfenchel werden die grünen jungen Triebe gepflückt (Foto) und in Wasser 5 – 10 Minuten gekocht. Ich mag ihn lieber weich, als bissfest. Er kann nach dem Kochen solo oder mit anderen Gemüsen wie ein Salat mariniert oder als Beilage mit Öl beträufelt gegessen werden. Er eignet sich aber auch gut zum Einlegen. Die Griechen legen ihn in Essig ein oder in Essig und Öl. 
Ich bevorzuge es, ihn in Gläser zu füllen und mit Olivenöl aufzugießen. So hält er gut und findet vielfache Verwendung in meiner Küche, wie z. B. auf einer Pizza.“

Meerfenchel? Cooles Zeug! Darüber will ich mehr wissen: Hier!

Meerfenchel: war auch in England und Schottland beliebt. Man kann ihn auch bei uns für den Garten kaufen: Hier!

Ak Tainaro? Die wilde, wilde Südostecke des Peloponnes: Kann man hier mehr drüber erfahren!

Menschen am Meer: Canan, 17.



In Ekincik am Strand treffe ich Canan. Canan (wie immer im Türkischen wird das „C“ wie „Dsch“ gesprochen) ist 17, ein fröhlicher Teenager, der mich anspricht, während ich am späten Nachmittag mein kleines Dinghi den Strand hinauf ziehe. Sie plappert so munter darauf los, dass ich zunächst denke, sie sei die Tochter des hiesigen Tavernenwirts, die mich in ein Gespräch verwickelt. Und unser Gespräch würde unweigerlich nach zwei Minuten ins Überreichen der Speisekarte münden. 

Tut es aber nicht. Canan hat das Wochenende mit ihrer Familie hier am Strand verbracht. Sie liebt es einfach, Englisch zu sprechen. Und da ich gerade als einziger am Strand stehe, mein Dinghi in der Hand und so aussehe, als spräche ich leidlich Englisch: voilá.

Canan hat noch alles vor sich. Sie wächst in einer muslimischen Familie auf, und noch geht sie zur Schule. Aber sie träumt davon, richtig gut Englisch zu lernen, vielleicht sogar einmal in den Ferien nach England zu gehen, um dort richtig Englisch zu lernen. Ich wünsche Canan, dass sie das schafft. Und ihren Traum von England wahr machen kann.

Und während der Muezzin ruft und ich nach unserem dreiminütigen Gespräch wieder allein in der Abenddämmerung am Feuer sitze und zusammen mit den hiesigen Katzen nachdenklich in die Flammen und in die Bucht von Ekincik schaue, fällt mir ein, was mir Eda, Unternehmensberaterin aus Istanbul, über ihr Land sagte: „Die Türkei ist nicht Europa. Die Türkei ist auch nicht Asien. Sondern etwas dazwischen.“ Damit hat mir Eda, die in USA studierte, den Schlüssel zum Verständnis ihres Landes in die Hand gegeben. 

Hoffen wir, dass dieses Land, das nicht Europa und auch nicht Asien ist, seinen schwierigen Weg zwischen den Polen zu einer eigenen Identität finden wird.

So wie Canan.

Unter Segeln: Tahtali Dag. Ankern, wo die Götter wohnen.

„Mount Olymp“, heute „Tahtali Dag“. Von 0 auf 2.366 Meter Höhe.

Den Berg Olymp, den Ort, an dem die Götter wohnen, gibts nur einmal. Denkt man. Aber kurz vor der schönen Stadt Antalya kann man lernen, dass die Griechen gleich mehrere „Berge Olymp“ besaßen.

Vermutlich waren es Siedler aus Rhodos, die hier in der Bucht um 690 vor Christus die Stadt Phaselis gründeten, deren drei (!!) Häfen man heute noch besichtigen kann. Glaubt man Legende und Mythos, begann alles wie so oft mit einem cleveren Deal: Den ersten Hirten, dem die Kolonisten aus Rhodos hier begegneten, fragten sie, was er denn als Ansiedlungsgebühr gerne hätte: Gerstenbrot? Oder gesalzenen Fisch? Der Hirte, offenbar schlichten Gemüts oder einfach nur hungrig, entschied sich für den gesalzenen Fisch. Und da waren Sie nun. Und der unaufhaltsame Aufstieg der Stadt Phaselis begann.

Genau wie ich heute beim Aufstehen in der Ankerbucht, hatten auch die Griechen von Phaselis das gewaltige, auf über 2.300 Meter aufragende Bergmassiv vor Augen, das sie „Olymp“ nannten. Und weil „Bergsteigen“ und „Bergwandern“ eine Sache ist, die die Menschheit zu Lust & Zeitvertreib gerade mal seit 150 Jahren planmässig betreibt – vorher kam niemand auf die Idee, so etwas aus Spaß zu tun – war das, was da oben auf dem Olymp war, für die unten „terra incognita.“ Man blieb unten. Und dachte sich sein Teil über „das da oben“. Leere. Stille. Abwesenheit des Nichtigen. Unerreichbarkeit: Ein Ort, wo die Götter wohnen.

Nachsehen, ob die Götter da wirklich wohnten, ging damals niemand. Erstens sind es ja manchmal unsere Träume, die unser Leben erst so richtig schön machen. Und wenn man nachschauen geht, dann ist der Traum unweigerlich futsch. Und zweitens wäre Nachsehen auf unwirtlichen 2.000 Höhenmetern mit Beschwerlichkeit, wenn nicht gar Gefahr verbunden gewesen. Das  lehrte uns nun wirklich Ötzi und sein Schicksal, das sich 2.500 Jahre vor der Gründung von Phaselis erfüllte.

Heute geht das einfacher: eine Seilbahn bringt bis zu 80 Wissbegierige pro Kabine mit einer Geschwindigkeit von 36 km/Stunde in 10 Minuten von 0 auf 2.366 Meter, auf den Gipfel. Aber Nachsehen, ob da die Götter wohnen, kann man vermutlich da nicht mehr. Der Berg heißt ja auch heute nicht mehr „Olymp“, sondern „Tahtali Dag“, „Tachtali Daaah“ gesprochen. Aber wunderschön ist er immer noch, im Morgenlicht, der „Tahtali Dag“. Und wer weiß, was man da oben findet, wenn man Nachsehen geht? Immer noch: Leere. Stille. Abwesenheit des Nichtigen. Unerreichbarkeit.

Und das wäre doch schon unglaublich viel.

Ich nehme mir vor, irgendwann in den nächsten Wochen nachsehen zu gehen. Auf dem „Tahtali Dag“.

„Tahtali Dag“? Wo ist das denn, bitte? Nicht weit von Antalya. Gleich hier.

Levje’s Lieblinge: Was für einer ist das denn? Oder: Mit Knoten ist es wie mit Menschen.

Ein simpler Knoten. Jeder kennt ihn. Wie heißt er?

Knoten gibt es unglaublich viele, mehr, als man glauben mag. Es ist erstaunlich, wie viele davon und zu welch unterschiedlichen Zwecken der Mensch sie ersann. Na klar: So schlaue Dinge wie Tape, Tüten, Sekundenkleber stehen der Menschheit erst ein paar Jahre zur Verfügung, sie mußte sich seit der Steinzeit mit Knoten behelfen. Einige zehntausend Jahre Zeit also, sich ein paar Gute auszudenken: Allein das gewichtige „Ashley-Buch der Knoten“, eines meiner Lieblingsbücher hier auf Levje, listet über 2.000 (!) Knoten auf.

Und: Knoten ist nicht gleich Knoten! Es gibt welche, denen traut man gerade als Segel-Neuling sehr, sehr viel zu. Dem Palstek, zum Beispiel. In meinen ersten Segeljahren habe ich ihn praktisch für alles und jedes eingesetzt. Um die Fender festzubändseln. Oder mich auf der Klampe festzumachen. Denn bis der Kopfschlag, das Belegen auf der Klampe (aber richtig, bitte!) auf Anhieb und ohne Gefummel saß, dauerte es ein paar Jahre. Auch der Kreuzknoten ist einer, dem man traut. Aber glaubt man Clifford Ashley, dann  hat der Kreuzknoten mehr brave Seeleute das Leben gekostet als man denkt. Mit Knoten ist es wie mit Menschen: Manche haben schnell unser Vertrauen, zu schnell. Andere verdienen sich unser Vertrauen erst langsam. Aber es wird lebenslange Freundschaft.

Und so ist es mit dem Knoten im Bild oben. Ich habe ihm lange nicht getraut. Er geht zu einfach. Ich habe nie gedacht, dass er hält. Und wieviel er hält. Und stattdessen immer den Palstek verwendet. Bis uns, es ist viele Jahre her, auf Korsika, in Ile Rousse, damals kaum ein Hafen, eher nur eine Mole, ein Sturm festhielt. Wir waren gerade eben noch untergekrochen, hingen halb an der Mole, halb an den Nachbarliegern, nichts Halbes und nicht Ganzes. Bis mir der Hafenmeister von Ile Rousse den Knoten vormachte, raps zaps. Und wir lagen in guter Seemannschaft und sicher.

Seitdem verwende ich ihn gerne. Im Hafen. Am häufigsten draußen. Er ist einer der Lieblinge hier auf Levje.

Aber was für ein Knoten ist das?

Noch ein Knotenrätsel gefällig? 
Diesmal eins aus Venedig: hier klicken.

Der Mensch und seine Sachen: Die Gorgo von Paros. Oder: Von Angst und Schrecken in Dunkelheit und Finsternis.

Ein Ort, den wir nicht verstehen und voll lauernder Gefahren, ist die Welt für uns nicht erst seit Putin, dem „Islamischen Staat“ oder dem letzten Börsencrash. Furcht, Angst und Schrecken: sie gehören zu unserem Dasein, seit wir Menschen sind. Vieles an unserem Dasein hat sich verändert in den letzten 500.000 Jahren: dass wir Furcht empfinden, nicht. Nur wovor; und wie wir Menschen mit dieser Furcht umgehen, unterliegt einem ständigen Wandel. In seinem Buch „Traumpfade“ denkt Bruce Chatwin darüber nach, ob es die Begegnung des Menschen mit dem Säbelzahntiger war, die die Angst ins menschliche Dasein brachte. Richtig daran ist: dass es den überwiegenden Teil der Menschheitsgeschichte Naturgefahren, Naturgewalten waren. Es war nützlich, Angst zu haben, bevor wir uns unachtsam einen giftigen Pilz in den Mund schieben. Oder eine Kreuzotter in die Hand nehmen. Oder bei Windstärke neun aufs Meer gehen.

Betrachtet man die Entwicklung des menschlichen Lebens auf einer Uhr, die 24 Stunden hat: dann sind es vermutlich nur die letzten fünf Minuten auf dieser Uhr, in denen unsere Angst nichts mehr mit der uns umgebenden Natur zu tun hat. Unser Leben ist geprägt vom Schutz, den wir in großen Gemeinschaften, „Staat“, „Stadt“ oder „Firma“ genannt, geniessen. Zu gruseln gibts da überschaubar wenig. Erst wenn ein Unwetter tobt oder eine Kündigungswelle anrollt: bricht Angst in unser Leben. Ansonsten schauen wir, wollen wir uns gruseln, Horrorfilme. Lesen in der Abendzeitung oder in Büchern Mordgeschichten. Fahren Geisterbahn. Springen mit Gummibändern an den Füssen in Abgründe. Oder kucken – in milderer Dosierung – „Tatort“. Keine echten Gefahren, denn diese Schrecknisse bleiben ja im Fernseher, auf dem Papier. Und kommen nicht an uns heran. Aber irgendwo muss sie ja nun mal hin, unsere Angst. Denn sie ist in uns eingebaut.

Mit Schrecknissen anders gingen die Mittelmeervölker der Antike um. Meine Reise führte mich nach Paroiki, den Hauptort der Insel Paros. Im dortigen archäologischen Museum traf ich auf diese Figur einer Gorgo, die mir seither im Kopf umgeht. Gorgonen: Schreckgestalten, deren Blick denjenigen zu Stein erstarren lässt, der nicht gewappnet ist. Drei von Ihnen kennt die griechische Mythologie: Stheno, die Mächtige. Euryale, die Weitspringende. Und natürlich Medusa. Sie hat es kraft ihres greulichen Antlitzes tatsächlich bis in die Gegenwartskunst und auch in manche Gegenwartssprache geschafft: „Una medusa, una medusa“, rufen italienische Kinder erschreckt am Strand, wenn sie tote Quallen entdecken. 

Unsere Medusa aus Paros aber ist ein echtes Kunstwerk, eins für den zweiten Blick. Der Körper zart, der eines Mädchens. Anmutig kniend, wie eine Dienende. Die Flügel setzen wir in unserer Bildsprache natürlich mit einem Engel gleich. (Die wurden aber erst etwa 1.300 Jahre später erfunden. Und dann mit den Flügeln aus der griechischen Tradition ausgerüstet.) Die Gesten anmutig. Bis hierher stimmt alles. 

Doch dann tritt Verstörendes ins Bild: Der Gürtel ist eine Schlange, den Schlangenkopf hält die Gorgo fest in ihrer Linken. Vollends verstörend der Kopf: Viel zu groß. Verzerrt zu einer Grimasse. Zu einem Sinnbild der Scheußlichkeit. Nichts, was wir sehen wollen. Nichts, was wir um uns haben wollen. Ein Schrecknis. 

Die Figur stammt aus dem 6. Jahrhundert vor Christus. Homer war gerade ein paar Jahre tot, die Perser noch weit weg von Griechenland, Rom eben aus dem Ei geschlüpft, noch nicht mal ein Kaff, das Heiligtum von Olympia in vollem Betrieb. und auf der anderen Seite der Adria ritzte das rätselhafte Volk der Daunier seine wunderbaren Vogelmenschen in Stein. 

Man fand die Figur ein paar Meter von dort entfernt, wo sie heute noch steht: in Steinschutt und Geröll neben dem archäologischen Museum von Paros. Aufgestellt haben sie die Alten, vor ihrer Stadt: nicht um sich zu gruseln. Sondern um Schrecknisse von ihrer Gemeinschaft abzuwenden: Den bösen Blick. Krankheit. Siechtum. Krieg. Untergang. Der Schrecken, um die Schrecken ihrerseits zu bannen. Bedrohungen, deren Herkunft sie nicht verstanden. Wir kennen das: von den „Augen“-Amuletten auf Fischerbooten oder Häusern, von Malta über Sizilien bis in die Türkei. Die Mittelmeer-Völker haben sich, Islam hin, Christentum her, die Amulette aus der Antike erhalten. 

Und wir? „Angst macht erfinderisch.“ „Karrieren werden aus Angst gemacht.“ Aber mein Satz lautet: Angst haben wir alle. Es ist menschlich. Aber niemals sollte man seinen Ängsten folgen. Weder wenn es darum geht, eine schwierige Entscheidung im Leben zu treffen. Noch im Gewitter auf dem Meer. Es ist keine leichte Übung, Tag für Tag. Aber sie lohnt sich.

"Ist es gefährlich, im Gewitter zu Segeln?" Sieben Tipps fürs richtige Verhalten.

Diese Frage stellte ein Leser der Redaktion der ZEIT am vergangenen Wochenende. Eine gute Frage. Und die Antwort der sonst kompetenten ZEIT-Redaktion zeigt, wie ratlos nicht nur Segler, sondern auch Redakteure dem Phänomen Gewitter gegenüberstehen.

Zum einen: Gewitter ist nicht gleich Gewitter. Was nach schwerem Unwetter aussieht, entlädt sich manchmal in einem heftigen Platzregen. Manchmal sind es schwere Böen, die dem Segler zu schaffen machen. Wieder andere Unwetter bescheren dem Reisenden auf See stundenlanges Fahren unter Blitz und Donner – keine schöne Erfahrung.

Hinzu kommt, dass Naturgewalten auf dem Meer unmittelbarer, beeindruckender wirken als in den eigenen vier Wänden oder im Auto. Und selbst ein Gewitter auf freiem Feld ist oft kein Vergleich zu dem, was derjenige auf See erlebt, dem ein Gewitter begegnet. Lediglich das, was Bergsteiger über Gewitterphänomene in den Bergen berichten, gleicht den vielfältigen Eindrücken und Herausforderungen, vor die ein Gewitter denjenigen stellt, der sich segelnd auf dem Meer herumtreibt.

    Kommt was? Oder kommt nix? Die Regenfahnen voraus und links verraten, dass zumindest der Regen bald einsetzen 
     wird.

1. Vor dem Sturm: Gewitter erkennen.
Erkennen, wann es gewittrig wird, ist im Umgang mit Unwettern schon die dreiviertel Miete. Bis eine Yacht ganz allein auf der Gewitterreichen Nordadria – wie im Bild oben – einer Gewitterfront ohne Chance auf Entkommen gegenüber steht, vergeht etwas Zeit. Selten kommt ein Gewitter überraschend. Kaum eine Gewitterfront, die von den Wetterdiensten nicht Tage vorher angekündigt wird. Aber vor allen technischen Hilfsmitteln kommt es auf das eigene Beobachten an. Denn meist gibt das Wolkenbild rundherum stundenlang vorher schon guten Aufschluss, ob etwas vor sich geht. 

Meine einfache Faustregel – und sie gilt für Stadt, Land, Meer:

„Sind die Wolken höher als breit:
Schau rundrum. Und sei bereit.“ 


    Wolken in Korfu am späten Vormittag: Sie sind unscheinbar, aber ihre Entwicklung ist eindeutig „höher als breit“. Am 
     frühen Nachmittag desselben Tages hat sich dann dies daraus entwickelt:

    Zwei Gewitterzellen. Jetzt heißt es: beobachten. Die rechte der beiden ist bereits im Begriff, nach oben nach links 
    „auszuwehen“: Das sieht nach „Entwarnung“ aus, ihre Ränder sind nicht mehr „pilzartig“ scharf konturiert wie am rechten  
    Rand der linken Zelle.

Diese Faustregel sagt einfach: sobald sich die Wolkenentwicklung „in die Höhe“ richtet, Wolken „quellen“, sollte man Wetter und Wolken ständig beobachten. Und ständig rundum Ausschau halten. Wo entsteht etwas? Wo bilden sich Quellwolken? Und: entstehen aus einfachen Quellwolken großräumige Gewitterzellen? Und wo bewegen sie sich hin?

Hat sich tatsächlich eine Gewitterzelle gebildet: Zugbahn beobachten: Kommt mir das Ding in die Quere? Und: wenn es meinen Kurs voraussichtlich kreuzt: wird es auf seiner Zugbahn noch stärker („größer“, „dunkler“, „bedrohlicher“)? Oder weht es aus?

2. Gewitter voraus
Hat sich ein Gewitter entwickelt und liegt es auf meinem Kurs, gibt es drei denkbare Verhaltensweisen:

1. „Drum-herum Segeln“.
Immer wieder gerne in solchen Situationen diskutiert. Hat aber noch nie funktioniert. Scheidet als Möglichkeit aus. Gewitter sehen aus Distanz aus wie „lokale Gebilde“, ähnlich Möbelwagen. Sind sie aber nicht. Sondern großräumige Vorgänge in riesigen Dimensionen. Möbelwagen kann man umfahren. Bewegliche Alpen-Bergmassive nicht.

2. Ankern. Abwarten. Vorbei ziehen lassen.
Schon besser. Ist das Gewitter voraus und seine Zugrichtung quer zum Kurs und nicht geradewegs auf das Schiff zu: kann das klappen. Halbwegs geschützte Bucht suchen. Noch besser: Hafen. Anker fallen lassen. Gewitter den Vortritt lassen. Wetter beobachten. Nach zwei, drei Stunden weitersegeln. 
Der Haken: wo ein Gewitter entsteht, entsteht manchmal auch gleich ein zweites. Und: Für dieses Verfahren muss die Zugrichtung ausgeprägt klar erkennbar sein. Und da lehrt ein gewitterreiches Gebiet wie die Nordadria gelegentlich anderes. Erst Gewitterfront von Nord nach Süd. Dann unmittelbar mit dem Schiff mitziehendes Gewitter von Süd nach Nord.
Also: für dieses Verfahren: muss glasklar die Zugrichtung des Gewitters erkennbar sein.


    In diesem Fall funktionierte die Methode „vorbei ziehen lassen“. Aber nur deshalb, weil die Zugbahn des Unwetters klar 
     erkennbar war. Und eindeutig 90 Grad zum eigenen Kurs betrug.

3. „Da fahren wir jetzt einfach durch“.

Irgendwann kommt für den, der sich einem Gewitter nähert, der Punkt, wo man den Dingen ins Auge schauen muss. Und unabänderlich erkennt: 
„Es wird größer. 
Es kommt genau auf uns zu. 
Es ist unabänderlich.
Wir müssen da jetzt durch.“ 



Ich war früher ein großer Verfechter der Methode „Durchfahren“. Segel runter. Alles festbändseln. Schwimmwesten und Lifebelts an. Letzte Position in Seekarte eintragen. Motor an. Geradewegs durch. Manchmal kommt man damit buchstäblich „gut durch“: Ein paar Momente heftige Böen. Ein gewaltiger Guss. Und in 20 Minuten ist alles vorbei. 
Die Unwetterfront auf dem allerersten Bild hat mich da aber anderes gelehrt. Demut, vor allem. Gewitter ist nicht gleich Gewitter. Und Gewitter ist keineswegs nur „hoffentlich schlägt der Blitz nicht in den Mast“. Anderes ist da mindestens ebenso bedrohlich:

– Sicht: Das Juli-Unwetter auf dem allerersten sowie den beiden letzten Fotos währte über eine Stunde. Über eine Stunde „Sicht null“ im dichten Regen. Zeitweise Hagel. Zwei Yachten, vorher auf Parallelkurs zur Küste, waren nicht mehr erkennbar. Bis eine, mitten im Starkregen, ungefähr 20, 30 Meter vor meinem Bug vorbei schoss. Nicht gut.

– Wind: Die Front brachte enorme Windböen mit sich. Sie drehten immer wieder Levjes Bug aus dem Wind – und einfach in die Gegenrichtung, trotz starkem Motor. Ein „Kreise fahren in unsichtigem Wetter“. Nicht gut.

– Hagel: Ruder gehen war zeitweise wegen der Größe der Hagelkörner, die den Verklicker zerstörten, nicht mehr möglich.

– Regen: Starkregen führte zum Ausfall meines Autopiloten: Der Wartungstechniker von RAYMARINE stellte später einen „starken Wassereinbruch“ fest, der die Platine sofort zerstörte.



Spätestens diese Beispiele eines heftigen Unwetters führen vor Augen: Wenn es grell blitzt und laut donnert: Gefahren drohen von ganz unterschiedlicher Seite. Ich spare es mir hier, die guten alten Regeln aus der Segelschule zu wiederholen, die heißen: Keine Eisenteile anfassen.

4. „Ab in den Hafen.“
Am besten: gar nicht erst rausgehen! Schon richtig. Aber: wer chartert, der will seine 14 Tage segeln. Wer sich mühsam eine Woche Urlaub erkämpft hat, auch. Und nicht womöglich aus einem Hafentag drei werden lassen. Oft ist die Situation nicht so eindeutig. Zwischen „Das geht schon!“ und „Wir bleiben lieber im Hafen“ liegen oft nur „Millimeter“. 

    Eine 60-Knoten-Böe: Sie legte selbst große Zweimaster flach aufs Wasser, verdrehte Rollgenuas in Sekundenbruchteilen 
     zu „Sanduhren“. Sie hinterließ: zerfetzte Vorsegel, abgedeckte Hausdächer, im Hafenbecken treibende Dinghis und  
     Cockpitpolster: Die Bilanz des Juli-Unwetters 2010, das sich mit der Wolkenfront auf dem ersten Foto ankündigte und   
     dessen zweite Hälfte wir im vermeintlich sicheren Hafen von Umag an der Boje abwetterten.

5. Gewitter nachts, vor Anker.
Meistens beschränkt sich meine Aktivität aufs „Auszählen“: Kommt das Gewitter näher – oder zieht es vorbei? Die gute, alte Methode des „Wieviele Sekunden vergehen zwischen Blitz und nachfolgendem Donner?“ hat seit den Kindertagen nichts an Wirksamkeit und Effektivität verloren. Und ist ein untrüglicher Warner. Danach: sehen, was kommt.

6. Technische Hilfsmittel und Wetterberichte
Der kroatische Seewetterbericht hats. DWD oder Poseidon habens nicht: Warnungen vor regionalen Gewittern. Meist ist der Blick in „Wald- und Wiesen“-Wetterberichte wie Wetteronline da schon ganz hilfreich.
Besondere Hilfsmittel sind die Satellitenaufnahmen, wie sie zum Beispiel sat24.com anbieten. Hier eine Satellitenaufnahme mit Blitzhäufigkeit über Südeuropa am heutigen Nachmittag:

Klar erkennbar die beiden „Unwetterzentren“ Norditalien und vor allem: türkische Südküste. Nachteil an Sat24.com: Die Bilder zeigen rückwirkend, wo es geblitzt HAT. Sie zeigen aber nicht, wo es blitzen WIRD. Ein Anhaltspunkt aber ist das schon mal.

Menschen am Meer: Ankermanöver im Gewitter. Oder: Warum mache ich das alles?


    Wolken, die sich nach oben entwickeln: ein untrügliches Zeichen, dass Gewitter entstehenkönnen.                                     
     Das Foto zeigt die Wolken am Himmel gestern östlich von Marmaris.

Die Türkei im Oktober ist anders, als ich sie von meinen bisherigen Törns im August und im September kenne. Die Sonne geht früh unter. Um halb sieben wirds dunkel. Wenig Wind. Das Wasser ist immer noch sehr warm. Die Luft ist kühl. Und gestern, beim Ablegen in Marmaris, da quoll es am Himmel im Osten fröhlich vor sich hin: Aufsteigende Quellwolken. Wolken höher als breit. Aufziehende Gewitter.

Mein Weg führte mich zunächst fort von den Gewitterwolken, die über dem Festland stehen. Nach Süden, durch die Ausfahrt aus der großen Bucht von Marmaris, zwischen den Inseln Keci und Yildiz hindurch. Und dann langsam nach Osten, parallel zur Bergkette im Norden. Und den darüber munter vor sich hin quellenden Wolken.

Mein Tagesziel ist die Bucht von Ekincik, knapp 20 Meilen von Marmaris entfernt. Ein vier Stunden-Schlag. Ankunft kurz vor Anbruch der Dunkelheit. Jeder kennt Ekincik: ist es doch der Startpunkt für die wunderbaren Ausflüge den Dalyan-Fluß hinauf, durchs Schilfröhricht in vielen Windungen unter den lykischen Königsgräbern entlang.

Ekincik kenne ich. Eine weite Bucht mit gut haltendem Sandgrund. Als Einhand-Segler ist mir manchmal der „G-Faktor“ (darüber schrieb ich früher), der Aufwand, mit der Landleine einfach zu groß. Also eine weite Bucht. Wo man ankern und schwoien kann. Ohne Landleine. Eben Ekincik.

Gegen sechs passieren wir die Einfahrt in die Bucht von Ekincik. Noch zweieinhalb Seemeilen, eine halbe Stunde bis zum Ankerplatz vor dem Dörfchen. Aber der Himmel vor mir sieht mittlerweile bedrohlich aus. Aus dem aufquellenden Weiß ist mittlerweile eine tiefgraue Front geworden, Blitze zucken aus der grauen Masse in die Berggipfel genau vor mir. Ich ziehe meine gelbe Segeljacke an, es sieht nach Platzregen aus, noch bevor wir unseren Ankerplatz erreichen. Ich gebe Levje’s Motor noch mal die Sporen, Levje brummt brav durch die ersten Windböen, die fallen aus Norden, aus dem großen Grau die Berghänge herunter. Gottseidank, dann sind wir hier geschützt. Die Böen nehmen zu. Noch 15 Minuten. Die ersten Tropfen. Fette Wassertropfen, die auf der Haut zerplatzen, groß wie Hagelkörner. Sind aber nur Wassertropfen. Noch 5 Minuten. Gleich da vorne, wo zwei andere Segler liegen. Schlagartig wird der Regen zur Wand. Die Hose ist im Nu nass. Gerade noch kann ich die beiden ankernden Segler kennen, wir gehen zwischendurch, der Regen wird immens, ein Eimer lauwarmen Wassers, der da über Levje und mir ausgekippt wird aus den eiskalten Windböen. Rundherum donnert es. Aber Levje spurt brav, wir gehen in den Wind, Anker fällt, obwohl ich ihn in Donner und rauschendem Regen nicht mehr höre, grelle Blitze zucken durchs Grau, wir ziehen rückwärts, 15 Sekunden, 20 Sekunden, 25 Sekunden: 25 Meter Kette draußen, das sollte reichen. Noch mal richtig rückwärts Gas geben, ob Levje’s Anker auch wirklich hält in den stärker werdenden Böen, jetzt schießt sie hin und her – aber: der Anker hält. Motor aus. Schnell unter Deck gespurtet, die tropfnassen Sachen aus, unter Deck stehe ich schnell in einer Pfütze.

Ich sitze im Niedergang. Beobachte das Wetter. Die Blitze, die jetzt im Sekundentakt rings um Levje durch die graue Wand schmettern, unmittelbar von Donnerschlägen begleitet. Der Regen prasselt auf Levje nieder, manchmal sind Blitz und Donner eins, so nah ist das Unwetter um uns herum, das Boot ruckt hart in den Anker ein. Wahrlich: kein Ort um sich wohlzufühlen. Kein Platz, an dem man gerade jetzt gerne sein möchte. Oder?

Vor vielen Jahren begann mein Freund Anderl einen Roman. Und der begann mit dem bemerkenswerten Satz: „Sehnsuchtsvolle Menschen leben dort, wo ihre Sehnsüchte genährt werden.“ Nicht dass meine Sehnsucht nach den grell um uns herum gleissenden Blitzen ginge: Bewahre. Aber ich fühle mich wohl auf meinem Boot. Mein Sitzplatz auf der Holztreppe, ist vom Motor wunderbar warm. Ich hole mir ein Bier. Schaue hinaus ins rauschende Grau. Die Blitze. Vermisse nichts in diesem Augenblick. Habe Vertrauen zu meinem Boot. Und den Elementen, obwohl sie toben. Alles ist richtig. Und gut so, wie es ist.

Wieder einmal frage ich mich: Warum mache ich das alles? Dazu fiele mir vieles ein. Aber wenig, was den Nagel mitten auf den Kopf träfe. Vielleicht nur dies: Dass das menschliche Herz ein einsamer Jäger ist. Und gut ist für Überraschungen. Nur zuhören muß man ihm, seinem Herzen. Im Getöse des Gewitters. Aber vor allem: im lautlosen Getöse und Gedonner und Gelärme dessen, was wir unseren „Alltag“, unser Leben nennen. Eben das, was wir jeden Tag machen. Und gut machen. Wenn wir dann zuhören: Dann – kommt schon was. 

„Sehnsuchtsvolle Menschen leben dort, wo ihre Sehnsüchte genährt werden.“

Ekincik? Nie gehört! Wo ist das? Genau hier!

Unter Segeln: Im Gewitter.

„Ist es gefährlich, im Gewitter zu Segeln?“, fragte ein Leser die Redaktion der ZEIT am vergangenen Wochenende. Eine gute Frage. Und die Antwort der sonst kompetenten ZEIT-Redaktion zeigt, wie ratlos nicht nur Segler, sondern auch Redakteure dem Phänomen Gewitter gegenüberstehen.
 
Zum einen: Gewitter ist nicht gleich Gewitter. Was nach schwerem Unwetter aussieht entlädt sich manchmal in einem heftigen Platzregen. Manchmal sind es schwere Böen, die dem Segler zu schaffen machen. Wieder andere Unwetter bescheren dem Reisenden auf See stundenlanges Fahren unter Blitz und Donner – auch keine schöne Erfahrung.

Hinzu kommt, dass Naturgewalten auf dem Meer unmittelbarer, beeindruckender wirken als in den eigenen vier Wänden oder im Auto. Und selbst ein Gewitter auf freiem Feld ist oft kein Vergleich zu dem, was derjenige auf See erlebt, dem ein Gewitter begegnet. Lediglich das, was Bergsteiger über Gewitterphänomene in den Bergen berichten, gleicht den vielfältigen Eindrücken und Herausforderungen, vor die ein Gewitter denjenigen stellt, der sich segelnd auf dem Meer herumtreibt.
 

    Kommt  was? Oder kommt nix?

1. Vor dem Sturm: Gewitter erkennen.
Erkennen, wann es gewittrig wird, ist im Umgang mit Unwettern schon die dreiviertel Miete. Bis eine Yacht ganz allein auf der Gewitterreichen Nordadria – wie im Bild oben – einer Gewitterfront ohne Chance auf Entkommen gegenüber steht, vergeht etwas Zeit. Selten kommt ein Gewitter überraschend. Kaum eine Gewitterfront, die von den Wetterdiensten nicht Tage vorher angekündigt wird. Aber vor allen technischen Hilfsmitteln kommt es auf das eigene Beobachten an. Denn meist gibt das Wolkenbild rundherum stundenlang vorher schon guten Aufschluss, ob etwas vor sich geht. 

Meine einfache Faustregel – und sie gilt für Stadt, Land, Meer:

„Sind die Wolken höher als breit:
Schau rundrum. Und sei bereit.“ 


    Wolken in Korfu am späten Vormittag: Sie sind unscheinbar, aber ihre Entwicklung ist eindeutig „höher als breit“. Am frühen Nachmittag desselben Tages hat sich dann dies daraus entwickelt:

    Zwei Gewitterzellen. Jetzt heißt es: beobachten. Die rechte der beiden ist bereits im Begriff, nach oben nach links „auszuwehen“: Das sieht nach „Entwarnung“ aus, ihre Ränder sind nicht mehr „pilzartig“ scharf konturiert wie am rechten Rand der linken Zelle.

Diese Faustregel sagt einfach: sobald sich die Wolkenentwicklung „in die Höhe“ richtet, Wolken „quellen“, sollte man Wetter und Wolken ständig beobachten. Und ständig rundum Ausschau halten. Wo entsteht etwas? Wo bilden sich Quellwolken? Und: entstehen aus einfachen Quellwolken großräumige Gewitterzellen? Und wo bewegen sie sich hin?

Hat sich tatsächlich eine Gewitterzelle gebildet: Zugbahn beobachten: Kommt mir das Ding in die Quere? Und: wenn es meinen Kurs voraussichtlich kreuzt: wird es auf seiner Zugbahn noch stärker („größer“, „dunkler“, „bedrohlicher“)? Oder weht es aus?

2. Gewitter voraus
Hat sich ein Gewitter entwickelt und liegt es auf meinem Kurs, gibt es drei denkbare Verhaltensweisen:

1. „Drum-herum Segeln“.
Immer wieder gerne in solchen Situationen diskutiert. Hat aber noch nie funktioniert. Scheidet als Möglichkeit aus. Gewitter sehen aus Distanz aus wie „lokale Gebilde“, ähnlich Möbelwagen. Sind sie aber nicht. Sondern großräumige Vorgänge in riesigen Dimensionen. Möbelwagen kann man umfahren. Bewegliche Alpen-Bergmassive nicht.

2. Ankern. Abwarten. Vorbei ziehen lassen.
Schon besser. Ist das Gewitter voraus und seine Zugrichtung quer zum Kurs und nicht geradewegs auf das Schiff zu: kann das klappen. Halbwegs geschützte Bucht suchen. Noch besser: Hafen. Anker fallen lassen. Gewitter den Vortritt lassen. Wetter beobachten. Nach zwei, drei Stunden weitersegeln. 
Der Haken: wo ein Gewitter entsteht, entsteht manchmal auch gleich ein zweites. Und: Für dieses Verfahren muss die Zugrichtung ausgeprägt klar erkennbar sein. Und da lehrt ein gewitterreiches Gebiet wie die Nordadria gelegentlich anderes. Erst Gewitterfront von Nord nach Süd. Dann unmittelbar mit dem Schiff mitziehendes Gewitter von Süd nach Nord.
Also: für dieses Verfahren: muss glasklar die Zugrichtung des Gewitters erkennbar sein.

    In diesem Fall funktionierte die Methode „vorbei ziehen lassen“. Aber nur deshalb, weil die Zugbahn des Unwetters klar erkennbar war. Und eindeutig 90 Grad zum eigenen Kurs betrug.

3. „Da fahren wir jetzt einfach durch“.

Irgendwann kommt für den, der sich einem Gewitter nähert, der Punkt, wo man den Dingen ins Auge schauen muss. Und unabänderlich erkennt: 
„Es wird größer. 
Es kommt genau auf uns zu. 
Es ist unabänderlich.
Wir müssen da jetzt durch.“ 



Ich war früher ein großer Verfechter der Methode „Durchfahren“. Segel runter. Alles festbändseln. Schwimmwesten und Lifebelts an. Letzte Position in Seekarte eintragen. Motor an. Geradewegs durch. Manchmal kommt man damit buchstäblich „gut durch“: Ein paar Momente heftige Böen. Ein gewaltiger Guss. Und in 20 Minuten ist alles vorbei. 
Die Unwetterfront auf dem allerersten Bild hat mich da aber anderes gelehrt. Demut, vor allem. Gewitter ist nicht gleich Gewitter. Und Gewitter ist keineswegs nur „hoffentlich schlägt der Blitz nicht in den Mast“. Anderes ist da mindestens ebenso bedrohlich:

– Sicht: Das Juli-Unwetter auf dem allerersten sowie den beiden letzten Fotos währte über eine Stunde. Über eine Stunde „Sicht null“ im dichten Regen. Zeitweise Hagel. Zwei Yachten, vorher auf Parallelkurs zur Küste, waren nicht mehr erkennbar. Bis eine, mitten im Starkregen, ungefähr 20, 30 Meter vor meinem Bug vorbei schoss. Nicht gut.

– Wind: Die Front brachte enorme Windböen mit sich. Sie drehten immer wieder Levjes Bug aus dem Wind – und einfach in die Gegenrichtung, trotz starkem Motor. Ein „Kreise fahren in unsichtigem Wetter“. Nicht gut.

– Hagel: Ruder gehen war zeitweise wegen der Größe der Hagelkörner, die den Verklicker zerstörten, nicht mehr möglich.

– Regen: Starkregen führte zum Ausfall meines Autopiloten: Der Wartungstechniker von RAYMARINE stellte später einen „starken Wassereinbruch“ fest, der die Platine sofort zerstörte.

Spätestens diese Beispiele eines heftigen Unwetters führen vor Augen: Wenn es grell blitzt und laut donnert: Gefahren drohen von ganz unterschiedlicher Seite. Ich spare es mir hier, die guten alten Regeln aus der Segelschule zu wiederholen, die heißen: Keine Eisenteile anfassen.

4. „Ab in den Hafen.“
Am besten: gar nicht erst rausgehen! Schon richtig. Aber: wer chartert, der will seine 14 Tage segeln. Wer sich mühsam eine Woche Urlaub erkämpft hat, auch. Und nicht womöglich aus einem Hafentag drei werden lassen. Oft ist die Situation nicht so eindeutig. Zwischen „Das geht schon!“ und „Wir bleiben lieber im Hafen“ liegen oft nur „Millimeter“. 

    Eine 60-Knoten-Böe: Sie legte selbst große Zweimaster flach aufs Wasser, verdrehte Rollgenuas in Sekundenbruchteilen zu „Sanduhren“. Sie hinterließ: zerfetzte Vorsegel, abgedeckte Hausdächer, im Hafenbecken treibende Dinghis und Cockpitpolster: Die Bilanz des Juli-Unwetters 2010, dessen zweite Hälfte wir im vermeintlich sicheren Hafen von Umag an der Boje abwetterten.

5. Gewitter nachts, vor Anker.
Meistens beschränkt sich meine Aktivität aufs „Auszählen“: Kommt das Gewitter näher – oder zieht es vorbei? Die gute, alte Methode des „Wieviele Sekunden vergehen zwischen Blitz und nachfolgendem Donner?“ hat seit den Kindertagen nichts an Wirksamkeit und Effektivität verloren. Und ist ein untrüglicher Warner. Danach: sehen, was kommt.

6. Technische Hilfsmittel und Wetterberichte
Der kroatische Seewetterbericht hats. DWD oder Poseidon habens nicht: Warnungen vor regionalen Gewittern. Meist ist der Blick in „Wald- und Wiesen“-Wetterberichte wie Wetteronline da schon ganz hilfreich.
Besondere Hilfsmittel sind die Satellitenaufnahmen, wie sie zum Beispiel sat24.com anbieten. Hier eine Satellitenaufnahme mit Blitzhäufigkeit über Südeuropa am heutigen Nachmittag:

Klar erkennbar die beiden „Unwetterzentren“ Norditalien und vor allem: türkische Südküste. Nchteil an Sat24.com: Die Bilder zeigen rückwirkend, wo es geblitzt HAT. Sie zeigen aber nicht, wo es blitzen WIRD. Ein Anhaltspunkt aber ist das schon mal.

Unter Segeln: Vor Antiparos. Oder: Wenn der Meltemi launenhaft wird.

Links im Bild die unbesiedelte Insel Despotiko. Voraus Antiparos. Und rechts dann schon Paros:
Segeln im ablandigen Meltemi.

Stellt man sich die Fläche der Ägäis vor wie ein Wagenrad und die der ägäischen Inselwelt nächstgelegene Festlande – Peloponnes, Attika, die türkische Küste – als äußere Begrenzung des Rades: dann ist Paros praktisch die Nabe dieses Wagenrads und dessen Mitte. Bis zum Peloponnes ist es genauso weit wie bis zur türkischen Küste. Oder bis nach Athen. Und wer nach Norden will, der kommt fast trockenen Fußes über die eng beieinander liegenden Inseln Mykonos, Tinos und Andros in den Hafen der griechischen Hauptstadt.

Auf meinem fast 35 Seemeilen langen Tagesschlag von Kimolos herüber will ich in die Bucht Ormos Despotiko, wie die gleichnamige Insel, westlich von Paros. Schon auf der Karte ein wunderschönes Fleckchen: Groß. Geräumig. Nach Norden gut gegen den Meltemi geschützt. Mit flachen Wassertiefen und weithin gutem Ankergrund. Auf meinem Weg dahin liegen nur Siphnos und eine Handvoll kleiner Eilande: Die Nisos Strongylo, der einsame westlichste Ausläufer von Paros, vor dem auch das Video entstand. Dann Despotiko, mit seiner im Sommer wunderschönen, aber leider überlaufenen Ankerbucht ganz im Süden. Und dann kommen auch schon Antiparos und die zwei Großen: Paros und Naxos – und damit habe ich auch schon die Hälfte der Ägäis durchmessen.

Das Video zeigt fast wie ein Lehrbuch auch einige Wind- und Wellenmuster, wie sie für die Ägäis im Spätsommer typisch sind. Neben dem Ritt im fauchenden Meltemi, wie ich ihn in einem früheren Video aufgenommen habe, gehört zum Segeln in der Ägäis auch dies: Hat man am späteren Nachmittag, wenn der Meltemi auffrischt, die Inseln erreicht und segelt in ihrem Windschatten, dann: ist es ein Segeln wie auf einem See. Die Wellen sind schlagartig weg. Das Wasser ist eben und glatt, wie ein Brett. Das Boot gleitet dahin, nichts unterbricht Levje’s leises Schnüren in den Wellen. Und nur die Böen, die von den Hügeln von Stongylo aufs Wasser fallen und Levje erst beschleunigen, gelegentlich aufs Wasser legen und zuletzt in den Wind drehen lassen: sie erinnern daran, dass der Meltemi ein launenhafter Hausherr ist: immer gut ist für Überraschungen, wenn man ihn, wie ich, „links“ und ablandig liegen läßt.

Wo liegt denn jetzt eigentlich Antiparos? Hier. Und meine Route an diesem Tag ist auch mit eingezeichnet.

Von Menschen und von Schiffen: Das große und das kleine Beiboot. Oder: Wieviel Dinghi braucht der Mensch?

Rudern im Sonnenuntergang vor Antiparos: Nicht jedermanns Sache, zugegeben. Aber mein großes Vergnügen. Und dafür: Braucht man ein Dinghi.

Manche mögen’s groß: Mit PS-starkem Außenborder hat ein richtiges Beiboot unbestreitbar Vorteile: Mal abgesehen vom Komfort, erhöht es die Reichweite ungemein. Man kann damit einfach kilometerweit abgelegene Buchten und Sandstrände ansteuern. Flachgehende Flüsse und Kanäle erkunden. Orte erreichen, die für Yachten unerreichbar sind. Anlanden, wo keiner anlandet. Buchteln, wo keiner buchtelt. Und cool aussehen tut so ein brausendes Ding auch.

Für mich war ein großes Schlauchboot, das die Italiener liebenswerterweise „gommone“, den „großen Gummi“ nennen, nicht erstrebenswert. Erstens muss ich zusehen, dass ich Dinghi und Accessoires wie Bodenbretter, Riemen, Blasebalg auf Levje’s 31 Fuß unauffällig stauen kann. Ich habe nur eine Backskiste. Zweitens rudere ich gern – wahnsinnig gern. Meine Frau liebt mich, wenn ich  sie im Mondschein auf dem Rückweg vom Abendessen über die Bucht rudere. Wenn ihre Hose dabei nass wird, liebt sie mich nicht mehr so arg. 

Mein wichtigstes Argument bei meiner Entscheidung für ein kleines Dinghi ist, was ich den „G-Faktor“ nenne. Das „G“ in „G-Faktor“ steht für das schöne bayrische Wort „Gschiss“. „Gschiss“ kann man übersetzen mit „Aufwand“: „Fui Gschiss“ = „viel Aufwand“. „Koa Gschiss“ = „kaum Aufwand“. Entsprechend bedeutet  „Hoher G-Faktor“: „ich muss viel Zeit & Mittel aufwenden“. „Niedriger G-Faktor“: „ich muss wenig Zeit & Mittel aufwenden“.

Da wir Menschen unser Leben, so erstrebenswert das wäre, nicht nur mit Dingen mit niedrigem „G-Faktor“ wie „Zeitung von gestern lesen“ oder „Banane vom Baum essen“ füllen können: bauen wir in unser Leben Sachen mit „hohem G-Faktor“ ein. Wir gehen ins Kino. Wir essen im Restaurant. Wir fliegen in die Karibik. Wir haben einen tollen, aber stressigen Job. Wird uns alles zuviel: kaufen wir uns ein Buch mit dem Titel „Simplify your Life.“ 

Gelegentlich bauen wir auch Dinge mit sehr, sehr hohem „G-Faktor“ ein: Wir kaufen uns einen englischen Oldtimer, einen netten TR4. Wir bearbeiten & archivieren & retten unersetzliche Kinder- und Urlaubsfotos. Wir Paragliden. Oder Tauchen. Oder gehen Segeln. Oder – um den „G-Faktor“ auf die Spitze zu treiben – wir lachen uns ein Segelboot an. Unendlich hoher „G-Faktor“!

Aber auch ein Segelboot selbst kann man mit „hohem G-Faktor“ oder „niedrigem G-Faktor“ betreiben. Ein richtiges „Gommone“ mit PS-starkem Außenborder bedeutet hohen „G-Faktor“: Das Boot, es ist schwer. Man braucht das Spifall oder gar den Spibaum, um es ins Wasser zu lassen. Manchmal muss man auch Davits dafür montieren. Es dauert, bis es im Wasser ist. Und wieder draußen. Die Jongliererei mit dem Außenborder ist Kraftakt mit höchstem G-Faktor. Manche haben an den Davits ein kleines Kränchen montiert. Der Außenborder muß einmal im Jahr gewartet werden. Meist tuts ja Tausch der Zündkerze. Plus durchspülen. Plus Gaszug abschmieren. „G-Faktor“! 
Ich habe mir deshalb das kleinste Zwei-Mann-geeignete-Dinghi zugelegt, das der Hamburger Versender mit dem A im Angebot hatte. Es hat 1 klitzekleines Packmaß. Es ist in 7 Minuten aufgepumpt. Es ist in 3 Minuten im Wasser und starklar. Und in 4 Minuten aus dem Wasser und fest auf dem Vordeck vertäut. Ich rudere damit, wenn es sein muß, allein auch mal 1, 2 Kilometer über die Bucht. So wie auf dem Bild oben, mit dem mich Berthold von der SY KARO vor ein paar Tagen überraschte, dem ich ganz herzlich dafür danke. Im Sonnenuntergang vor Antiparos, allein rudern: ganz viel Spass; ganz niedriger „G-Faktor“. 

Aber leider: wie jeder Bootsbesitzer träume auch ich von meinem nächsten Boot. Das ist selbstverständlich größer. Selbst vor meinem unschuldigen Zwei-Mann-Dinghi kennen meine Träume kein Erbarmen. Wenn ich könnte wie ich wollte … dann: hätte ich ja gerne wieder von Bruno Maitre das NAUTIRAID CORACLE 190. Das hatten wir mal als Dinghi. Es war Klasse. Meine Frau würde mich lieben, wegen des Mondscheins. Nur der Aufbau, der dauert 20-25 Minuten. Und die dicke 2,10 Meter lange Wurst-Verpackung – wo  kann man die denn stauen? Und alle 3 Jahre muss es lackiert werden, mit Klarlack. Damit der schön hält, 5-6 mal. Nach Zwischenschliff, versteht sich.

Wie gesagt: Der Trend geht im Leben immer zum höheren „G-Faktor“. 

Ich glaub‘, ich lass es. Spaß gibt’s auch einfacher.

Von Menschen und von Schiffen: Kaiser Franz-Joseph I. und sein Schlachtschiff VIRIBUS UNITIS.


Die große Seemauer an der Einfahrt in den Hafen von Pula: Jeder Kroatien-Segler kennt sie. Aber kaum jemand kennt die vielen Geschichten, die hinter ihr im Hafen von Pula auf dem Meeresgrund ruhen.

Es ist ein kaum bekanntes Kapitel: und doch war Österreich zwischen 1860 und 1918 eine veritable Seemacht. Mit Admirälen, zahllosen Schiffen, ja: einer richtigen Flotte aus über 20 großen Kampfschiffen, die dort stationiert war, wo heute ein beliebtes Segelrevier ist: nördlich des Kvarner im kroatischen Pula.

Von Haus aus war Östereich natürlich Binnenland. Aber mit Napoleons Niederlage 1814 waren die Habsburger Mittelmeer-Anrainer geworden: Venedig war Österreich-Ungarn zugeschlagen worden – und wer heute die Haupteinkaufsmeile von Venedig entlangläuft, wird offenen Auges vor einem Gebäude stehenbleiben mit der Aufschrift „K.K. Festungs- und Stadtkommando“: die alte Kommandantur aus jenen Jahren. Aber mit Venedig wusste Wien wenig anzufangen. Das gesamte Veneto wurde nach 1814 österreichisch, und genauso ganz Istrien bis nach Rijeka. Von 1814 bis etwa 1850 war das alles von sehr untergeordneter Bedeutung für Wien. Irgendwann in den 1830ern hatte man zwar eine kleine Garnison in den Ort Pula gelegt. Aber die kämpfte dort, glaubt man den Quellen, mehr gegen den Hunger als gegen irgendwelche Feinde.

    Kroatisch, vorher jugoslawisch, davor österreichisch: nur wenige Meter entfernt von der
    Durchfahrt liegen die Reste der VIRIBUS UNITIS auf dem Meeresboden.  

Das änderte sich schlagartig mit der industriellen Revolution im deutschsprachigen Raum Mitte des 19. Jahrhunderts. Pula wurde als Flottenstützpunkt ausgebaut, rund um das heute immer noch beeindruckende römische Amphittheater aus dem 1. Jahrhundert nach Christus entstehen Kasernen, Kasematten, Offizierskasinos. Die in dem kleinen Wiener Verlag ALBUM von H. Seemann und Chr. Lunzer herausgegebenen Bücher mit Fotografien aus dieser Zeit dokumentieren die Epoche der Seefahrtsnation Österreich von 1850 bis 1918. Ich habe nicht viele Bücher hier auf Levje, aber die ALBUM-Bücher sind mit dabei. Es sind faszinierende Fotografien, die überwiegend von dem K.K. Marinefotografen Alois Beer stammen, dessen Werk aus der Frühzeit der Fotografie etwa 14.000 Original-Negativ-Glasplatten umfasst.

Die Fotografie oben ist dem bei ALBUM 2011 erschienen Band MARINEBILDER entnommen. Sie zeigt das größte der etwa 20 großen österreichischen Kampfschiffe, die VIRIBUS UNITIS. Die meisten Schiffe dieser Zeit hatten klingende Namen: SZENT ISTVÁN, RADETZKY, TEGETTHOFF. Aber das Schiff oben, um 1910 in Triest gebaut, trägt die Devise von Kaiser Franz Joseph von Österreich: „Viribus Unitis“. Mit vereinten Kräften. Als hätte Franz Joseph auch mit seiner Devise seinem immer auseinander strebenden Vielvölkerstaat eine weitere, wenn auch schwache Klammer hinzufügen wollen. 
Aber etwas ist ungewöhnlich auf dieser alten Fotografie. Die Mannschaften stehen ohne Ordnung an Deck. Keine Parade, kein Jubel. Schweigend, wie es scheint, mit hängenden Köpfen. Die riesige Rot-Weiß-Rote Flagge ist nicht nur auf Halbmast, sondern weit, weit unten. Das Schiff läuft langsam. Der Marinefotograf Alois Beer hat mit seinem Bild ein ungewöhnliches Zeitdokument geschaffen: Die VIRIBUS UNITIS hat die Leichen des wenige Tage zuvor in Sarajewo ermordeten Thronfolgers Franz Ferdinand, des Sohnes von Kaiser Franz-Josef, und seiner Gemahlin an Bord und läuft am 30.6.1914 in Triest ein. Kein Jubel, wie man oft über die Stimmung bei Ausbruch des I. Weltkriegs lesen kann. Kein freudiges Geschrei. Sondern: Bedrückung. Trauer. Sorge. Und drei Monate später herrscht Krieg.

Die VIRIBUS UNITIS wurde um 1910 auf private Initiative von und mit Geldern eines engagierten Privatmannes, des Grafen Montecuccoli begonnen – so weit ging die Liebe zum eigenen Land damals. Sie übersteht den Krieg, der an anderen Orten ausgefochten wird, in Pula fast unbeschadet. Die Adria, das Mittelmeer überhaupt sind – bis auf die Dardanellen, die auf das Konto eines jungen, eigenwillig-hitzigen Lords in der britischen Admiralität namens Winston Churchill gehen – nicht Schauplatz des großen Gemetzels. Die österreichische Flotte liegt in Pula, geschützt durch die große Mauer, die noch heute jeder Segler passieren muß, der hinein will in die istrische Hafenstadt. 

Als Östereich-Ungarn am 31.10.1918, wenige Tage vor seiner Kapitulation, Pula und die Flotte an das in Gründung befindliche „Königreich der Kroaten, Serben und Slowenen“ übergibt, wird die VIRIBUS UNITIS von einem Kommando der Besatzung übernommen. Es sind istrische, kroatische, montenegrinische, später wird man sagen, „jugoslawische“ Offiziere und Matrosen, die das Schiff für ihren neu zu gründenden Staat in Pula in Besitz nehmen. 

Aber das ist wiederum Italien ein Dorn im Auge: der erbittert bekämpfte Erzfeind Österreich hat kapituliert – und jetzt soll gleich eine neue Seemacht entstehen? Und im Osten Italiens zu einer neuen Bedrohung werden? Vor der Seemauer Pula’s setzt ein italienisches Flottenkommando mehrere Einmann-Torpedos aus, die in der Nacht zum 1. November 1918 die schlecht bewachten Sperren überwinden, in den Hafen von Pula eindringen. Und an der Bordwand der VIRIBUS UNITIS detonieren. 

Kaiser Franz Josephs Schiff, die 160-Meter lange VIRIBUS UNITIS, bekommt Schlagseite, kentert und sinkt kieloben, mitten im Hafenbecken von Pula, wo ihre Reste heute immer noch am Grund liegen. Man überfährt sie in Pula auf dem Weg in die Marina – jedenfalls das, was davon in 42 Meter Tiefe heute noch übrig ist.

In Italien herrscht Jubel. Der I. Weltkrieg war für Italien reich an Niederlagen und Verlusten, nicht an Siegen. Es mangelt an Helden. Und so werden die beiden Männer, die ihre Einmann-Torpedos tapfer in die Bordwand der VIRIBUS UNITIS steuerten und sie zerstörten (die beiden Bilder oben) zu Helden. Ihre Geschichte und die letzten Relikte der VIRIBUS UNITIS sind im Marinemuseum in Venedig, direkt vor dem Arsenale, zusammen mit den zu Artefakten verglühten Resten der beiden detonierten Torpedos (unten) ausgestellt.

Die vergessenen Inseln: Östlich von Milos. Oder: Wenn der Meltemi weht.

Wenn der Meltemi bläst: Das Video zeigt zweieinhalb Minuten Durchfahrt durch die Meerenge zwischen Milos und Kimolos: Ungeschnitten, ohne Musik, Wind und Welle „pur“. Hier klicken.

Unmittelbar östlich von Milos liegt ein kaum bekanntes, vergessenes kleines Inselparadies: zwei große. Und viele kleine Inseln, Inselchen, Felsbänke, Riffe, deren Namen kaum eine Seekarte kennt.
Die beiden Hauptinseln dieser Gruppe heißen Kimolos und Polyegos, und sie sind nicht unbedingt klein: Auf Kimolos leben immerhin fast 1.000 Menschen. Aber die Bedingungen sind hart. Ein bisschen Landwirtschaft. Etwas Fischfang. Ein wenig Tourismus. Es gibt kaum Wasser auf der Insel, mühsam schleppen es Tankschiffe herbei, und nicht selten ist der Mangel im Sommer so groß, dass das Wasser rationiert werden muss. Dann gibt es „Wasseralarm“. Vielleicht ist dies auch der Grund, dass die Inseln – anders als das unmittelbar daneben liegende Milos – „vergessene Inseln“ sind: abseits der großen Ströme. Unentdeckt. Sich selbst, Wind und Zeit überlassen. 
Für den, der segelt, hat die Inselgruppe aber einen ganz besonderen Reiz: Wer hier allein sein will, findet eine Unzahl Meltemi-geschützter Ankerplätze zwischen den Inseln Kimolos, Polyegos, vor Agiou Giorgos oder Agio Efstathios. Die Inselgruppe ist wie ein kleines Binnenrevier, nach Süden offen, aber geschützt vor dem fauchenden Meltemi, fast wie der Drake-Channel auf den British-Virgin-Islands, mit kaum besuchten Sandstränden, über denen nichts als Einsamkeit schwebt.
Als ich gegen Mittag von Milos lossegle und durch den einstigen Vulkankrater nach Norden kreuze, ist sich der Wind uneins. Mal vier von Nord, mal Nichts von Süd. Geklapper im Rigg. Schläge im Tuch. Geschaukel in den Wellen. Gekabbel, von überall her. Aber kaum bin ich aus dem Krater draussen, meldet sich der Meltemi. Und weil es die Zeit ist, in der er wach wird, man kann die Uhr danach stellen, zwischen zwei und drei gehts los: wird er an diesem Tag besonders wach und weht, wie es ihm gefällt, bis in die Dreissiger hinein. 
Weil mir das Gegenan-Bolzen auf Legerwall nördlich Kimolos im auffrischenden Meltemi wenig Lust verheißt, laufe ich mit gerefften Segeln ab, durch die Meerenge von Pollonia, genau zwischen Milos und Kimolos hindurch und hinein in das Binnenrevier. Schlagartig ists vorbei mit der Welle, alles ist glatt und türkis und sandfarben. Nur die Böen, die mit über dreissig Knoten von Kimolos herabfegen, erinnern mich daran: dass Draussen ein anderer Wind weht.

Für alle, für die Segelsaison fast schon vorbei ist: das obige Video zeigt, wie es letzten Sommer war. Und wie es nächsten Sommer sein wird, bei Meltemi, zwischen Milos und Kimolos. Hier klicken.

Da will ich hin! Wo liegen eigentlich Milos und Kimolos?

Wie komme ich da ohne Segelboot hin? Einfach auf dieser Website Ihren Wohnort und Kimolos eintragen. „Rome2Rio“ kennt den kürzesten Weg…