Kategorie: Mare Più

Die vergessenen Inseln: Neues aus Trizonia!

Der Tag, er war anstrengend im Golf von Korinth. Morgens eine halbe Stunde nach dem Ablegen fünf Windstärken von vorn, ein böig-fauchiger Wind aus West-Nordwest, der den Golf entlang aus Patras im Westen genau auf uns zu pfeifft. Nach sechs, sieben Stunden gegenan aufkreuzen gerade mal 17 Seemeilen Weg zurückgelegt. Aber das immerhin mit Lust und auf der Backe liegend. Am späten Nachmittag stehe ich dann vor einer der wenigen Inseln im Golf von Korinth: Trizonia. Haben Sie nie gehört? Da geht es Ihnen wie mir. Aber als ich kurz überlege: Wo heute übernachten? Inselhafen? Festlandshafen? Fällt die Entscheidung schnell: Natürlich auf der Insel!

Soweit so gut. Aber kurz mal nachgehakt: Warum treffe ich diese Entscheidung so? Ist das Leben auf einer Insel denn wirklich so anders? Alles Einbildung? Oder gibt es tatsächlich objektive Gründe, warum auf-einer-Insel-sein soviel entspannender ist als auf dem Festland?

Nehmen wir nach einem langen Sommer voller vergessener Inseln Trizonia, das unbekannte Eiland, das Griechen [Tri:sonja:], mit kurzem „o“ und weichem „s“ sprechen. Wer über das Besondere dieser Insel recherchiert, findet – wenig. Nein, statt googeln führt ein Spaziergang von der Marina in den 54 Meter entfernt liegenden Hauptort mit Namen Trizonia zu Erkenntnissen. Man stößt einfach alle naselang auf das Thema „Entschleunigung“ in hunderterlei Formen. 
Zum Beispiel: Meine Ankunft in der Marina der Insel: entspannt. Die „Marina“: ein Betondenkmal, geschaffen mit EU-Geldern, um Griechenland in die „Wettbewerbsfähigkeit“ zu katapultieren. Aber weil sich im schönen Trizonia niemand findet, der mit Betonmolen Wettbewerb aufzuziehen Lust hätte: Drum rotten sie vor sich hin, zur Freude von etwa 20, 30 Fahrtenseglern wie mir. Und so liegen denn an die 30 Fahrtenyachten in Sonnenschein und klarem Wasser. Motorbootfahrer, Katsegler, Monos. Engländer, Finnen, Dänen, Schweizer, Franzosen, Griechen. Nettes Völkchen. Niemand, der irgendwelche Bootspapiere sehen will, kein Marina-Office, kein Hafenmeister, keiner, der den Stromzähler abliest. Weil es Strom halt einfach nicht gibt.  Einfach nur gemütlich liegen, solange man will. Und gern auch über den Winter. 
Meine erste Begegnung: Die Besatzung der großen 42er, mit der wir uns draußen in den Böen über eineinhalb Stunden ein Rennen lieferten – „Faster, LEVJE! Go faster!“ wie im vorigen Post also auch hier. LEVJE wehrte sich tapfer, aber nach der Wende war Schluß, die 42 Fuß hängten LEVJE einfach ab. Jetzt stehen die beiden freundlich auf der Pier, nehmen meine Leinen an. Ein Pärchen aus Landsberg, fast meiner Heimat. Das Umfeld, die Kleinheit des Hafens, sie zwingt zum Miteinander auch unter Fremden. Wer hierher kommt, erkennt im anderen den Gleichgesinnten, auch wenn man sich vorher nie begegnet ist.

Kaum ist der Schwatz mit den Landsbergern vorbei, steht ein junges Pärchen auf der Pier: Endzwanziger beide, aus der Schweiz, die mir erklären: Dass sie noch viel langsamer reisen als ich mit LEVJE. Und während sie erzählen, komme ich mir fast wie ein bekloppter Raser vor: Die beiden sind seit Frühjahr im ihrer alten HALLBERG-RASSY 35 von Korfu bis hierher gesegelt. Gerade mal 150 Meilen. In 6 Monaten. Sind überall lange geblieben. Und finden Trizonia „ganz wunderbar zum Abhängen“. Beide arbeiten den Winter über im Skitourismus der Schweiz – und wenn die Skisaison am Schlepplift vorbei ist: verschwinden die beiden ab Frühjahr wieder auf ihr Boot, um bis in den Herbst langsam zu reisen. Und eine Insel ist der Ort, an dem sie sich austoben. ‚Nissomanie‘, die Inselsucht, von der Bloggerin Katharina auf ihrem gleichnamigen Blog schreibt: Sie grassiert nicht nur bei mir. 

Inseln widersetzen sich dem überall greifbaren Hang zur Beschleunigung unseres Alltags. Während in meinem Heimatland die Straßen immer gerader gemacht werden, damit wir noch schneller von A nach B kommen und dadurch noch „effektiver“ sein können, sind auf Trizonia Autos verboten. Genau so wie auf Spetses, auf Hydra, oder in Venedig und anderen Inseln. Der Effekt ist enorm, wenn man nach einer Woche „Insel“ wieder an einer vielbefahrenen Straße auf dem Festland steht.

Entschleunigung auch am Ufer. Drei Frauen, augenscheinlich drei der insgesamt 64 Bewohner, die die letzte Volkszählung auf Trizonia 2011 zählte. Frauen, die am Ufer sitzen und fischen, in dem sie immer wieder die auf ein knallbunter Plastik-Rädchen aufgewickelte Schnur geduldig ins Meer werfen und einholen. Fischen mit einem 1,50 €-Artikel. Den Frauen scheint das großen Spaß zu machen, sie sitzen auch am folgenden Abend am Ufer. Eigentlich traue ich ihren knallbunten Angel-Dinger ja nicht viel zu – aber zumindest eine der Frauen zeigt einem Fischer ihren Eimer-Inhalt, als die Sonne langsam verschwindet, und der Fischer nickt anerkennend. Die anderen beiden gönnen sich nach dem Fischen ein Eis in der Taverne. Und am nächsten Tag stehen auch meine Schweizer auf ihrem Boot, mit so einem knallbunten Angel-Dings in der Hand. Und werfen die Schnur wieder und wieder ins Wasser.

Zwei Fischer, die in der Dämmerung gemächlich hinaus in die Bucht tuckern, in ihren einfachen offenen Booten. Bis spät in die Nacht hinein sehe ich ihre Lichter draußen auf dem Meer. Sie sind nicht weit draußen, haben ihre Anker fallen lassen und Fischen offensichtlich mit der Leine. Für Menschen, die gerne bei jedem Wetter auf dem Meer sind, kann es nicht viel Schöneres geben, als hinauszufahren, nicht weil der Wecker klingelt, sondern weil der richtige Moment dafür da ist.

Ach ja: Und Neues aus Trizonia? Da muss ich Sie enttäuschen. Das gibt es hier auch nicht. Natürlich den Dorfschwatz, das ja. Aber sonst: Kein Zeitungsständer, der uns mit neuesten Krisen und Katastrophen kitzelt, auf die wir eh ohne Einfluß sind. Outlook, Excel? Hat man schon mal gehört, aber auf Trizonia geht es ohne. Der Wirt schreibt die Rechnung noch schön auf den Block. Tsatsiki und Auberginenpaste waren dafür umwerfend.

Nein, damit wir uns recht verstehen: Ich bin nicht für die Abschaffung von Autos, Outlook, Weckern oder gerader Straßen. Aber dafür: Ein bisschen mehr Trizonia, etwas mehr Insel-Dasein in unseren Alltag zu bringen – dafür bin ich allemal.

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Unter Segeln: Auf LEVJE nachts durch den Kanal von Korinth. Oder: Im Reich der Lichter.

Am Morgen war ich von Athen aufgebrochen. Windstill begann der Tag in der verlassenen ATHENS MARINA direkt neben dem Olympia-Stadion. Ein langsames Hinaustuckern in die Sonne, vorbei an der Insel Salamis, nicht ohne mir die Bucht angesehen zu haben, in der im September vor bald 2.500 Jahren die übermächtige persische Flotte auf eine hoffnungslos unterlegene griechische Flotte getroffen war. Kaum war ich dort an dem Ort, der heute zwischen Container-Terminals, den Werften von Perama liegt und heute eher einem Schiffsfriedhof gleicht, kam der Wind: ein netter Süd mit 10, 12 Knoten, zum ersten Mal, seit ich zwischen den Inseln unterwegs bin, ein Südwind. Das bedeutete: Regen für den nächsten Tag, aber soweit war es noch nicht, der nette Süd, er schob mich mit fünfeinhalb Knoten westwärts, zum Kanal von Korinth. 

Am frühen Abend hatte der Wind weiter aufgefrischt. Ich war bis kurz vor die Kanaleinfahrt gesegelt, hatte brav drei Kabellängen davor gewendet und die Segel fallen lassen. Hatte brav den Funkkanal 11 eingestellt, mich brav eine Stunde vor Erreichen bei der CHANNEL AUTHORITY angemeldet, noch einmal brav den Wetterbericht angesehen: Starkregen für den nächsten Morgen, Regen den ganzen Tag. Und was mir gar nicht gefiel: fünf, sechs Windstärken genau in die Bucht vor dem Kanal.

Ich entschloß mich, noch am Abend die Durchfahrt zu wagen, im Dämmer, statt am nächsten Tag im Mistwetter. Vorausgesetzt, die CHANNEL AUTHORITY spielte mit. „Yes, you can pass this evening“, war die Antwort der Frauenstimme per Funk. Also legte ich LEVJE im auflandigen Wind an die Pier der CHANNEL AUTHORITY, ein grausiger Ort bei diesem Wind. Ich hatte alle Fender draußen an Steuerbord, Rod Heikell’s immer noch schätzenswertes Buch hatte mich gewarnt, es half trotzdem nichts. Die auf die Betonmole platschenden Wellen warfen LEVJE auf und ab, die Klampen ächzten fürchterlich, Festmacher zum Zerreissen gespannt. Es wurde erst besser, als ich Springs ausgebracht hatte, da schleuderte LEVJE nicht mehr gar so wild herum. Aber ich schaute trotzdem sorgenvoll in den Kanal hinein: Jetzt noch ein Frachter, der aus dem Kanal käme und genau hier an dieser Stelle wenige Meter neben LEVJE die Schrauben beschleunigte: Herausgerissene Klampen und was sonst für Bruch wären unvermeidlich. Doch der Kanal war leer. Der Frachter, den die CHANNEL AUTHORITY über Funk anpreite, war auf der anderen Seite noch fünf Seemeilen von der Einfahrt entfernt. Jetzt also los. Mit einem Sprung auf die Pier, ins Gebäude gespurtet, bei einem freundlichen Beamten für das Passieren von LEVJE’s 9,40 Meter 109,72 € bezahlt. Wie Rod Heikell schreibt: Gemessen in Euro pro Seemeilen ist der Kanal von Korinth die teuerste Wasserstraße der Welt.

Ganze dreieinhalb Seemeilen misst das Wegstück, das um 1890 ungarische Ingenieure und griechische Arbeiter über 85 Meter tief in den Fels sprengten, hackten, kratzten. Ganze dreieinhalb Seemeilen lang. Und 24,60 Meter breit. Mit 7,50 Wassertiefe. Ich hatte Zeit darüber nachzudenken, während ich auf der schwankenden LEVJE saß und auf die Freigabe zur Einfahrt wartete. Das dauert. Es dämmerte schon. Bis sich plötzlich ganz oben im Kontrollturm ein Fenster öffnete und eine Frauenstimme herunterrief: „Go! Go!“ Und mich mit der unnachahmlichen Geste griechischer Frauen von meiner wackeligen Pier hinein in den Kanal wegscheuchte. Die Brücke, die mir vorher den Weg in die Einfahrt versperrt hatte, war weg, einfach versunken in 7.50 Meter Wassertiefe. Der Weg lag frei vor mir.

Kaum war ich drin, steigen die Felswände zu beachtlicher Höhe an. Felswand links, Felswand rechts, Vor mir die mit dem Lineal gezogene Wasserstraße durch den Fels. Bäume und Büsche, die von ganz oben heruntergrüßen, manchmal auf einer der vier Brücken in luftiger Höhe ein Fußgänger, der herunterschaut, ein Hund, der in die aufkommende Nacht zu mir herunterbellt. Ich bin mit LEVJE allein im Kanal. Vor mir: Sechs Kilometer Fahrt durch den Fels.

Kaum bin ich drin, meldet sich über Funk die Frauenstimme aus dem Tower, die mit der unnachahmlich wegscheuchenden Handbewegung. Ich habe alle Hände voll zu tun. Die Pinne halten. Gleichzeitig quer durchs Cockpit mich nach dem Funkgerät recken, ich mir vorsorglich im Niedergang unter größter Dehnung das Mikro festgeklemmt. „Das nächste Mal: Nur mit Handfunke!“ Es dauert, bis ich das Mikro in der Hand habe, LEVJE derweil auf die Felswände zudriftet, weil ich die Pinne gerade noch so eben mit den Fingerspitzen halte, während ich mit der anderen vorne nach Knopf am Mikro taste. Die Botschaft der Frau mit der unnachahmlichen Geste an mich ist eindeutig: „Faster, LEVJE! Faster!“

Wieso?? Ich fahr doch hier schon mit 4,8 Knoten. Strom setzt dagegen, der Motor jault, ich gebe noch mehr Gas. Immerhin 5,3 Knoten über Grund. Jetzt quäle ich die Maschine ganz ordentlich.

Aber während ich im Kanal bin, ist die Nacht lautlos und mit einem Schlag herangeschlichen. Gelbe Lampen an den Tunnelwänden, abwechselnd links, abwechselnd rechts erleuchten meinen einsamen Weg. Die Feslwände, LEVJE’s Mast, das ganze Boot. Alles ist in rotes Licht getaucht, ein unbeschreiblicher Anblick. Passiere ich eine der Lampen, glüht LEVJE richtig auf. Mast, Wanten und Stagen, Seezaun, Dinghi: alles ist ins gelbrot der Lampen getaucht, das langsam verglimmt, wenn ich sie hinter mir lasse und LEVJE wieder in die Dunkelheit taucht.

LEVJE’s roter Mast, der hinaufragt, zur Brücke, hoch oben über mir, mit einem Scheinwerfer. Ganz versunken bin ich in den Anblick, hin und weg. Ein Fußgänger, der hoch oben zu mir heruntersieht, reglos. Als sich wieder die Frau mit der unnachahmlichen Geste meldet, unbarmherzig: „Faster, LEVJE! Faster!“

5,3 Knoten! Also wirklich! Noch mehr Gas geben wäre unverantwortlich. Was passiert eigentlich, wenn hier drin plötzlich der Motor aussetzt? Mit einem Schlag abstirbt, vielleicht noch ein einziges Mal bullernd hustet, dann unabänderlich – weg ist? Und LEVJE dann noch mit dem Schwung, den sie jetzt hat, lautlos gerade noch 211 Meter weiterläuft, langsamer wird und langsamer und dann plötzlich liegenbleibt, bei Kilometer 1,6 und auf 24,5 Meter Breite? Läßt man den Anker fallen? Teilt man der Frau mit der unnachahmlichen Handbewegung das dann mit wie APOLLO 13: „Houston, we have a problem.“? Schickt sie dann ein Lotsenboot, das LEVJE und mich ans andere Ende schleppt? Werde ich dort dann geteert und gefedert? Oder zusätzlich zu den 109€ mit Rechnungen in unfasslicher Größenordnung überschüttet?

Das Funkgerät reißt mich aus meinen Gedanken: „Faster, LEVJE! Faster!“
„Jaaajaaa.“
Das war Slobo’s Antwort, wenn es nichts mehr zu anatworten gab. Slobo, dem einer meiner ersten Posts galt und dem ich in meinem Buch ein kleines Denkmal gesetzt habe. Also gut. Weil sie es will. 5,4 Knoten jetzt.

Je weiter ich in den Kanal eindringe, je höher die Felswände links und rechts von LEVJE steigen: Um so faszinierender wird das Schauspiel der Lichter. Es ist, als wäre ich tief im Gestein der Erde unterwegs. Malereien, die die gelben Lampen auf Felswände zeichnen, gewaltige Schattenbilder rings um mich herum, neben mir auf dem Wasser. Felswände, in sanftes Rot getaucht wie vom matten Licht einer Fackel, bei der ein Steinzeit-Künstler seine Stiere an die Felsen zeichnet, seine Hand. Felswände, die zu Kino-Leinwänden werden, wenn LEVJE und ich daran vorbeifahren, dann: LEVJEs und mein Schatten an der Felswand, der uns überholt. Ein Mast, ein Bootskörper, der hinter mir als als kleiner Schatten an der Wand auftaucht, größer wird, uns langsam überholt, während wir an der Felswand entlanggleiten. Und vor uns im Dunkel wieder versinkt.

„Faster, LEVJE! Faster!“

LEVJE’s Motor gibt nun wirklich, was er hat. Er jault und jodelt, und wäre die Gegenströmung nicht: dann wären wir ganz sicher jetzt mit sechseinhalb, sieben Knoten unterwegs. Aber so: Sind es gerade mal fünfeinhalb Knoten. Was macht das. Denn das Reich der Lichter im Kanal, es hat mich gefangengenommen. Das Rot der Felswände. Das Fackelleuchten auf dem fast unbewegten Wasser. Die beiden Grüns, die am anderen Ende des Kanals langsam sichtbar werden, langsam, langsam näher kommen, eins links. Eins rechts.

Langsam verlieren die Felswände an Höhe. Hingen Buschwerk und Bäume vorher vom Kanalrand hoch über mir herunter, sind sie jetzt fast schon wieder auf meiner Höhe. Ein Nachtvogel singt. Das Rot der Lampen verschwindet, nichts mehr, das ihnen Kinoleinwand wäre, auf Nimmerwiedersehen versickert es in der umgebenden Nacht, als ich aus dem Kanal heraus bin und ins Hafenbecken des westlichen Kanalendes einfahre. Für einen Moment verliere ich die Orientierung. Nichts mehr links, nichts mehr rechts. Nur noch Dunkelheit. Und die beiden grünen Lichter vor mir.

„Faster, LEVJE! Faster!“ Wieder die Stimme.

Als ich näherkomme, sehe ich, dass auch die beiden grünen Lichter eine Brücke markieren. Eine Brücke, die im Kanal versenkt ist. Autos stehen links und rechts, mit leuchtenden Schweinwerfern, Menschen unter den grünen Lichtern. Sie warten auf – mich? Applaus brandet auf, als ich näherkomme. Es sind tatsächlich geschätzt 100 Autos, die links und rechts der grünen Lichter warten. Fahrer sind ausgestiegen. Hämischer Applaus und wütendes Geschimpfe bricht los, als ich die grünen Lichter erreiche. Ein Mann gestikuliert wütend und deutet auf seine Uhr. Vier, fünf Leute daneben klatschen. Ein Mann am anderen Ufer, der mir einen Vogel zeigt. Aus der Dunkelheit und dem Gebüsch neben mir dringt erneut Applaus. Und wie erklärt man jetzt mit freundlichen Worten seinen griechischen Mannsgenossen, dass LEVJE’s Motor ja nunmal nur seine 19 PS hat und der Faltpropeller bei Gegenströmung nicht unbedingt kraftvoller zubeißt? Ich lasse es lieber. Und denke mir: Vielleicht ist das so. Keine Schönheit, ohne dass nicht jemand dafür leiden müßte.

„Faster, LEVJE! Faster!“

Unter Segeln: Auf LEVJE nachts durch den Kanal von Korinth. Oder: ImReich der Lichter.

Am Morgen war ich von Athen aufgebrochen. Windstill begann der Tag in der verlassenen ATHENS MARINA direkt neben dem Olympia-Stadion. Ein langsames Hinaustuckern in die Sonne, vorbei an der Insel Salamis, nicht ohne mir die Bucht angesehen zu haben, in der im September vor bald 2.500 Jahren die übermächtige persische Flotte auf eine hoffnungslos unterlegene griechische Flotte getroffen war. Kaum war ich dort an dem Ort, der heute zwischen Container-Terminals, den Werften von Perama liegt und heute eher einem Schiffsfriedhof gleicht, kam der Wind: ein netter Süd mit 10, 12 Knoten, zum ersten Mal, seit ich zwischen den Inseln unterwegs bin, ein Südwind. Das bedeutete: Regen für den nächsten Tag, aber soweit war es noch nicht, der nette Süd, er schob mich mit fünfeinhalb Knoten westwärts, zum Kanal von Korinth. 

Am frühen Abend hatte der Wind weiter aufgefrischt. Ich war bis kurz vor die Kanaleinfahrt gesegelt, hatte brav drei Kabellängen davor gewendet und die Segel fallen lassen. Hatte brav den Funkkanal 11 eingestellt, mich brav eine Stunde vor Erreichen bei der CHANNEL AUTHORITY angemeldet, noch einmal brav den Wetterbericht angesehen: Starkregen für den nächsten Morgen, Regen den ganzen Tag. Und was mir gar nicht gefiel: fünf, sechs Windstärken genau in die Bucht vor dem Kanal.

Ich entschloß mich, noch am Abend die Durchfahrt zu wagen, im Dämmer, statt am nächsten Tag im Mistwetter. Vorausgesetzt, die CHANNEL AUTHORITY spielte mit. „Yes, you can pass this evening“, war die Antwort der Frauenstimme per Funk. Also legte ich LEVJE im auflandigen Wind an die Pier der CHANNEL AUTHORITY, ein grausiger Ort bei diesem Wind. Ich hatte alle Fender draußen an Steuerbord, Rod Heikell’s immer noch schätzenswertes Buch hatte mich gewarnt, es half trotzdem nichts. Die auf die Betonmole platschenden Wellen warfen LEVJE auf und ab, die Klampen ächzten fürchterlich, Festmacher zum Zerreissen gespannt. Es wurde erst besser, als ich Springs ausgebracht hatte, da schleuderte LEVJE nicht mehr gar so wild herum. Aber ich schaute trotzdem sorgenvoll in den Kanal hinein: Jetzt noch ein Frachter, der aus dem Kanal käme und genau hier an dieser Stelle wenige Meter neben LEVJE die Schrauben beschleunigte: Herausgerissene Klampen und was sonst für Bruch wären unvermeidlich. Doch der Kanal war leer. Der Frachter, den die CHANNEL AUTHORITY über Funk anpreite, war auf der anderen Seite noch fünf Seemeilen von der Einfahrt entfernt. Jetzt also los. Mit einem Sprung auf die Pier, ins Gebäude gespurtet, bei einem freundlichen Beamten für das Passieren von LEVJE’s 9,40 Meter 109,72 € bezahlt. Wie Rod Heikell schreibt: Gemessen in Euro pro Seemeilen ist der Kanal von Korinth die teuerste Wasserstraße der Welt.

Ganze dreieinhalb Seemeilen misst das Wegstück, das um 1890 ungarische Ingenieure und griechische Arbeiter über 85 Meter tief in den Fels sprengten, hackten, kratzten. Ganze dreieinhalb Seemeilen lang. Und 24,60 Meter breit. Mit 7,50 Wassertiefe. Ich hatte Zeit darüber nachzudenken, während ich auf der schwankenden LEVJE saß und auf die Freigabe zur Einfahrt wartete. Das dauert. Es dämmerte schon. Bis sich plötzlich ganz oben im Kontrollturm ein Fenster öffnete und eine Frauenstimme herunterrief: „Go! Go!“ Und mich mit der unnachahmlichen Geste griechischer Frauen von meiner wackeligen Pier hinein in den Kanal wegscheuchte. Die Brücke, die mir vorher den Weg in die Einfahrt versperrt hatte, war weg, einfach versunken im Wasser. Der Weg lag frei vor mir.

Kaum war ich drin, steigen die Felswände zu beachtlicher Höhe an. Felswand links, Felswand rechts, Vor mir die mit dem Lineal gezogene Wasserstraße durch den Fels. Bäume und Büsche, die von ganz oben heruntergrüßen, manchmal auf einer der vier Brücken in luftiger Höhe ein Fußgänger, der herunterschaut, ein Hund, der in die aufkommende Nacht zu mir herunterbellt. Ich bin mit LEVJE allein im Kanal. Vor mir: Sechs Kilometer Fahrt durch den Fels.

Kaum bin ich drin, meldet sich über Funk die Frauenstimme aus dem Tower, die mit der unnachahmlich wegscheuchenden Handbewegung. Ich habe alle Hände voll zu tun. Die Pinne halten. Gleichzeitig quer durchs Cockpit mich nach dem Funkgerät recken, ich hatte mir vorsorglich im Niedergang unter größter Dehnung das Mikro festgeklemmt. „Das nächste Mal: Nur mit Handfunke“, schwöre ich mir.  Es dauert, bis ich das Mikro in der Hand habe, LEVJE derweil auf die Felswände zudriftet, weil ich die Pinne gerade noch so eben mit den Fingerspitzen halte, während ich mit der anderen Hand  vorne nach dem Knopf am Mikro taste. Die Botschaft der Frau mit der unnachahmlichen Geste an mich ist eindeutig: „Faster, LEVJE! Faster!“

Wieso?? Ich fahr doch hier schon mit 4,8 Knoten. Strom setzt dagegen, der Motor jault, ich gebe noch mehr Gas. Immerhin 5,3 Knoten über Grund. Jetzt quäle ich die Maschine ganz ordentlich.

Aber während ich im Kanal bin, ist die Nacht lautlos und mit einem Schlag herangeschlichen. Gelbe Lampen an den Tunnelwänden, abwechselnd links, abwechselnd rechts erleuchten meinen einsamen Weg. Die Felswände, LEVJE’s Mast, das ganze Boot. Alles ist in rotes Licht getaucht, ein unbeschreiblicher Anblick. Passiere ich eine der Lampen, glüht LEVJE richtig auf. Mast, Wanten und Stagen, Seezaun, Dinghi: alles ist ins gelbrot der Lampen getaucht, das langsam verglimmt, wenn ich sie hinter mir lasse und LEVJE wieder in die Dunkelheit taucht.

LEVJE’s roter Mast, der hinaufragt, zur Brücke, hoch oben über mir, mit einem Scheinwerfer. Ganz versunken bin ich in den Anblick, hin und weg. Ein Fußgänger, der hoch oben zu mir heruntersieht, reglos. Als sich wieder die Frau mit der unnachahmlichen Geste meldet, unbarmherzig: „Faster, LEVJE! Faster!“

5,3 Knoten! Also wirklich! Noch mehr Gas geben wäre unverantwortlich. Was passiert eigentlich, wenn hier drin plötzlich der Motor aussetzt? Mit einem Schlag abstirbt, vielleicht noch ein einziges Mal bullernd hustet, dann unabänderlich – weg ist? Und LEVJE dann noch mit dem Schwung, den sie jetzt hat, lautlos gerade noch 211 Meter weiterläuft, langsamer wird und langsamer und dann plötzlich liegenbleibt, bei Kilometer 1,6 und auf 24,5 Meter Breite? Läßt man den Anker fallen? Teilt man der Frau mit der unnachahmlichen Handbewegung das dann mit wie APOLLO 13: „Houston, we have got a problem.“? Schickt sie dann ein Lotsenboot, das LEVJE und mich ans andere Ende schleppt? Werde ich dort dann geteert und gefedert? Oder zusätzlich zu den 109€ mit Rechnungen in unfasslicher Größenordnung überschüttet?

Das Funkgerät reißt mich aus meinen Gedanken: „Faster, LEVJE! Faster!“
„Jaaajaaa.“
Das war Slobo’s Antwort, wenn es nichts mehr zu anatworten gab. Slobo, dem einer meiner ersten Posts galt und dem ich in meinem Buch ein kleines Denkmal gesetzt habe. Also gut. Weil sie es will. 5,4 Knoten jetzt.

Je weiter ich in den Kanal eindringe, je höher die Felswände links und rechts von LEVJE steigen: Um so faszinierender wird das Schauspiel der Lichter. Es ist, als wäre ich tief im Gestein der Erde unterwegs. Malereien, die die gelben Lampen auf Felswände zeichnen, gewaltige Schattenbilder rings um mich herum, neben mir auf dem Wasser. Felswände, in sanftes Rot getaucht wie vom matten Licht einer Fackel, bei der ein Steinzeit-Künstler seine Stiere an die Felsen zeichnet, seine Hand. Felswände, die zu Kino-Leinwänden werden, wenn LEVJE und ich daran vorbeifahren, dann: LEVJEs und mein Schatten an der Felswand, der uns überholt. Ein Mast, ein Bootskörper, der hinter mir als als kleiner Schatten an der Wand auftaucht, größer wird, uns langsam überholt, während wir an der Felswand entlanggleiten. Und vor uns im Dunkel wieder versinkt.

„Faster, LEVJE! Faster!“

LEVJE’s Motor gibt nun wirklich, was er hat. Er jault und jodelt, und wäre die Gegenströmung nicht: dann wären wir ganz sicher jetzt mit sechseinhalb, sieben Knoten unterwegs. Aber so: Sind es gerade mal fünfeinhalb Knoten. Was macht das. Denn das Reich der Lichter im Kanal, es hat mich gefangengenommen. Das Rot der Felswände. Das Fackelleuchten auf dem fast unbewegten Wasser. Die beiden Grüns, die am anderen Ende des Kanals langsam sichtbar werden, langsam, langsam näher kommen, eins links. Eins rechts.

Langsam verlieren die Felswände an Höhe. Hingen Buschwerk und Bäume vorher vom Kanalrand hoch über mir herunter, sind sie jetzt fast schon wieder auf meiner Höhe. Ein Nachtvogel singt. Das Rot der Lampen verschwindet, nichts mehr, das ihnen Kinoleinwand wäre, auf Nimmerwiedersehen versickert es in der umgebenden Nacht, als ich aus dem Kanal heraus bin und ins Hafenbecken des westlichen Kanalendes einfahre. Für einen Moment verliere ich die Orientierung. Nichts mehr links, nichts mehr rechts. Nur noch Dunkelheit. Und die beiden grünen Lichter vor mir.

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Als ich näherkomme, sehe ich, dass auch die beiden grünen Lichter eine Brücke markieren. Eine Brücke, die im Kanal versenkt ist. Autos stehen links und rechts, mit leuchtenden Schweinwerfern, Menschen unter den grünen Lichtern. Sie warten auf – mich? Applaus brandet auf, als ich näherkomme. Es sind tatsächlich geschätzt 100 Autos, die links und rechts der grünen Lichter warten. Fahrer sind ausgestiegen. Hämischer Applaus und wütendes Geschimpfe bricht los, als ich die grünen Lichter erreiche. Ein Mann gestikuliert wütend und deutet auf seine Uhr. Vier, fünf Leute daneben klatschen. Ein Mann am anderen Ufer, der mir einen Vogel zeigt. Aus der Dunkelheit und dem Gebüsch neben mir dringt erneut Applaus. Und wie erklärt man jetzt mit freundlichen Worten seinen griechischen Mannsgenossen, dass LEVJE’s Motor ja nunmal nur seine 19 PS hat und der Faltpropeller bei Gegenströmung nicht unbedingt kraftvoller zubeißt? Ich lasse es lieber. Und denke mir: Vielleicht ist das so. Keine Schönheit, ohne dass nicht jemand dafür leiden müsste.

„Faster, LEVJE! Faster!“

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Menschen am Meer: Kostas. Hafenmeister auf Spetses.

Manchmal: Da begegnet man einem Menschen, und man weiß gar nicht, wie einem geschieht.
Kennt man sich aus einem früheren Leben?
Ist man sich schon mal begegnet?
Strahlten in der Minute der Geburt hell die gleichen Gestirne?
Was ist es, was Verstehen und Verständigung zwischen zwei Menschen möglich macht ganz ohne Worte?
Ich weiß es nicht. Nur das: Jenseits von Sprache, Inhalt, Herkunft, Rang gibt es etwas, das Verstehen möglich macht, ganz ohne Worte und Zeichen. Vieles, was man eben noch im Kopf hatte, was zu tun, zu erledigen, dringlich hinzubekommen wäre, ist im Moment einer solchen Begegnung zweitrangig, es zählt nicht mehr. Und dann ist da nur noch ein Gegenüber, das tief vertraut ist, obwohl ich dieses Gegenüber gerade mal zwei Sekunden kenne. Und so erging es mir mit Kostas.

Drei, vier Tage war ich in der Bucht im Osten von Spetses geblieben, da wo Spetses und Spetsoupola, die Privatinsel des Reeders Niarchos, sich am nächsten kommen. Drei, vier Tage, bis ich mich auf den Weg machte, um nach einem Liegeplatz im Hafen von Spetses zu suchen. Und weil es in der Hafenbucht Ormos Baltizas sehr eng zugeht, unternahm ich meine Erkundungstour zu Fuß, ließ LEVJE einfach in der Bucht zurück und wackelte die drei Kilometer zu Fuß/per Anhalter im Elektro-Golfcart nach Spetses.

Die ersten fünf, sechs Werftbesitzer, die ich nach einem Liegeplatz fragte, lehnten ab. Zu voll. Zu eng. Zu seicht das Wasser. Zu ausgebucht jetzt. Kopfschütteln in verschiedenen Farben und Formen. Ich schlich mich auf die andere Seite des Hafens, auf die Ostseite. Im Werftladen Kopfschütteln. Zwei Marineros weiter ebenso. Ich kam langsam ans Ortsende, die Häuser wichen einem kleinen Kiefernwäldchen, eigentlich ist hier nichts mehr – oder doch? Da war ein Weg, der vom Wasser wegführte, hügelan, zum Leuchtturm. Fast wollte ich schon aufgeben, aber der Weg führte zum Wasser zurück auf eine Betonpier. Da lagen Segelyachten. Und da stand: Kostas, Hafenmeister.

Ob er denn einen Platz hätte? Ja, klar. Und ob er eine Mooring hätte, ich müsste meine Ankerwinsch zerlegen und bräuchte Ersatzteile? Hm. Auch das. Wie lange ich denn bleiben wolle? Und wenn ich käme: dann bitte bleiben und nicht dauernd rein und raus. Sprachs. Und stapfte weiter. Ich quengelte weiter: Was denn das kosten würde, für zehn Meter Schiffslänge? Kostas blieb stehen und sah mich an: „You give me, what you want to give.“ Und stapfte weiter.

Damit hatte ich Denkstoff für den späten Nachmittag genug. Gibts das? Einer der nicht das Maximum rausholt? Einer der sagt: „Gib mir, was Du willst.“? Ich war jedenfalls zufrieden und machte mich am nächsten Vormittag auf den Weg zu Kostas Mole. Da hing ich dann zuerst an einem anderen Schiff. Ohne Buganker. Heck zur Pier. Im ständigen Geschaukel der mit unanständiger Geschwindigkeit vorbeidonnernden Wassertaxis. Mir war Angst und Bang. Um LEVJE. Und was würde erst, wenn der Wind heute Nacht mit angekündigten 5-6 bft. in den Hafen stünde? „Don’t worry, be happy“, brummte Kostas, und zog sich unter das Dach seines schneeweißen Fischerbootes zurück, von wo er alles im Blick hatte. Nix happy – was mach ich bloß? Kann das hinhauen, dies griechische „alles wird gut?“, ganz ohne eigenes Mühen und sich kümmern? Ich hatte arge Zweifel.

Der Nachmittag verstrich. Die Mooring, die ich bekommen sollte, war belegt mit einer Yacht mit Baterrieschaden, den die Crew eben beschlossen hatte, mit einem Besuch im weltberühmten Epidaurus per Auto zu krönen. „Ich-brauch-die-Mooring“, hämmerte mein Hirn. Kostas linste unter seinem Sonnensegel hervor. Es wurde Abend. Da erschien Kostas, nach gebotener Zeit des Nachdenkens. Stieg auf ein Schlauchboot, das an der Pier lag, verlegte es auf die andere Seite und strahlte mich an: „Here is your Mooring!“. Und so kam ich zu meinem Platz in Kostas‘ Hafen.

Spetses und Kostas‘ Hafenmole: Noch nie habe ich in einem Hafen ein derartiges Durcheinander erlebt. Kaum lag ich fest, dirigierte Kostas die riesige BILMAR genau neben mich. Kaum lag die fest, legten drei, vier, fünf andere Motoryachten ihre Anker über den der BILMAR. Und noch einer. Und noch eine Yacht, 15 Meter vor der BILMAR, mitten in der Hafeneinfahrt. Kostas Aufgabe bestand darin, aus seiner Betonmole mit ihren klar viereckigen Abmessungen möglichst viel Platz für Boote herauszuholen. Und so lagen jeden Abend die Boote im Halbkreis um Kostas‘ Mole, Heck zur Pier und übles Geschaukel mit jedem roten Wassertaxi, das nah vorbeibrauste. Und Kostas‘ Flüche weckte. „Don’t worry, be happy.“


Unsere Konversation beschränkte sich überhaupt auf einfache Äußerungen. Sah er mich, rief er einfach nur laut, dass jedermann auf der Pier es hören konnte: „Jermanooooz“. „Deutscher“. Was ich mit einem ebenso lauten „Elljinaaaaaz“, „Grieche“, beantwortete. Worauf wir uns verständnisinnig angrinsten. Vielleicht lag es daran, dass er die Tiere an seinem Steg liebte: Ständig wuselten auf seinem Steg fünf Katzen herum, ich lernte das griechische Wort für Katze, nämlich „Rata“, und als Kostas Brot brauchte, weil die 20 Gänse von Spetses mal wieder an seiner Mole haltmachten und herumschwammen wie auf einem Dorfteich, half ich ihm aus und gab ihm, was an Brot noch auf LEVJE war. Sonst nahm Kostas nichts an von niemand und von mir auch nicht, keine Melone, keine eiskalte Bierdose. Die ersten zwei Tage jedenfalls nicht. Am dritten aber nahm er abends meine Bierdose an. Da saßen wir dann, in der Abenddämmerung, auf seiner Parkbank auf der Pier. Wir redeten wenig, tranken unser Bier und schauten aufs Wasser und die Boote, die ihre Anker und Ketten kunterbunt übereinander warfen, und die Welt drehte sich in diesem Moment in der richtigen Richtung.

Vom nächsten Tag an besuchte ich Kostas öfter auf seinem Fischerboot unter dem blauen Sonnensegel. Da steckte er, wenn ihn etwas ärgerte und wenn ihm einfach zu heiß war. Hin und wieder saßen wir da, „Jermanoooz“ und „Elljinaaaaaz“, schauten aufs Wasser und redeten wenig. Als ich ihn fragte, warum er denn das mache, mit der Pier, den Job als Hafenmeister, sagte er: „I want to help people.“ Fuhr ein Fischer vorbei, brüllte er ihm etwas Unverständliches zu, ein lautes „Kaptanjeeeeee“ oder irgendetwas, das ich nicht verstand.

Am Montag war das Ersatzteil für meine Winsch aus Athen da, das ich Samstag Mittag um halb eins – so geht Griechenland! – telefonisch in Athen bei NAVTILUS bestellt hatte. Kostas organisierte mir binnen drei Minuten einen Motorroller, damit ich das Teil vom Kurierdienst holen konnte. Nach einem halben Tag tat die Ankerwinsch wieder, und zwei Tage später habe ich Spetses verlassen. Kostas stand auf der Pier und rief sein „Jermaneeeeeeeee“ und ich mein „Elljinaaaaaaz“ – aber das dauerte nicht lang, denn ich hatte den Patzer meines Lebens gebracht: War langsam aus der Box getuckert – und hatte vorher – ich weiß nicht, was mich geritten hat – die Mooring nicht losgeworfen! Also endete das  „langsam aus der Box tuckern“ schon gleich nach der Box. LEVJE drehte einen Halbkreis, Kostas begann auf der Pier zu schimpfen, ich schalt mich einen Idioten.
Aber vielleicht: War das ja alles so richtig mit der Mooring, die mich festhalten wollte, auf Spetses, und bei Kostas, an seiner Pier.

Ganz sicher ist: Dass unsere Seele machmal mehr weiß als wir selbst.


Übrigens: Kostas ist seit 35 Jahren in Spetses. Bis Oktober steht er noch auf seiner Pier in Spetses. Über den Winter hilft er, Boote ausbessern, hier in Spetses, in Porto Cheli und Ermioni auf dem Festland – wenn es gerade nicht zuviel regnet. Auf meine Frage, wie lange er das denn noch machen wolle, meinte er: „Twentythree years.“ Dann wäre Kostas achzig…
 

 
Und wenn Ihnen diese Geschichte gefallen hat:
In diesem Buch gibts mehr davon: Geschichten über die Entschleunigung, übers langsam Reisen und die Kunst, wieder zu sehen, wer und was einem da gegenüber sitzt:

Einmal München nach Antalya.

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Menschen am Meer: Kostas. Hafenmeister auf Spetses.

Manchmal: Da begegnet man einem Menschen, und man weiß gar nicht, wie einem geschieht. 
Kennt man sich aus einem früheren Leben? 
Ist man sich schon mal begegnet? 
Strahlten in der Minute der Geburt hell die gleichen Gestirne?
Was ist es, was Verstehen und Verständigung zwischen zwei Menschen möglich macht ganz ohne Worte?
Ich weiß es nicht. Nur das: Jenseits von Sprache, Inhalt, Herkunft, Rang gibt es etwas, das Verstehen möglich macht, ganz ohne Worte und Zeichen. Vieles, was man eben noch im Kopf hatte, was zu tun, zu erledigen, dringlich hinzubekommen wäre, ist im Moment einer solchen Begegnung zweitrangig, es zählt nicht mehr. Und dann ist da nur noch ein Gegenüber, das tief vertraut ist, obwohl ich dieses Gegenüber gerade mal zwei Sekunden kenne. Und so erging es mir mit Kostas.

Drei, vier Tage war ich in der Bucht im Osten von Spetses geblieben, da wo Spetses und Spetsoupola, die Privatinsel des Reeders Niarchos, sich am nächsten kommen. Drei, vier Tage, bis ich mich auf den Weg machte, um nach einem Liegeplatz im Hafen von Spetses zu suchen. Und weil es in der Hafenbucht Ormos Baltizas sehr eng zugeht, unternahm ich meine Erkundungstour zu Fuß, ließ LEVJE einfach in der Bucht zurück und wackelte die drei Kilometer zu Fuß/per Anhalter im Elektro-Golfcart nach Spetses.

                                                                          Weiterlesen bei: Die vergessenen Inseln. Spetses.

Die ersten fünf, sechs Werftbesitzer, die ich nach einem Liegeplatz fragte, lehnten ab. Zu voll. Zu eng. Zu seicht das Wasser. Zu ausgebucht jetzt. Kopfschütteln in verschiedenen Farben und Formen. Ich schlich mich auf die andere Seite des Hafens, auf die Ostseite. Im Werftladen Kopfschütteln. Zwei Marineros weiter ebenso. Ich kam langsam ans Ortsende, die Häuser wichen einem kleinen Kiefernwäldchen, eigentlich ist hier nichts mehr – oder doch? Da war ein Weg, der vom Wasser wegführte, hügelan, zum Leuchtturm. Fast wollte ich schon aufgeben, aber der Weg führte zum Wasser zurück auf eine Betonpier. Da lagen Segelyachten. Und da stand: Kostas, Hafenmeister.

Ob er denn einen Platz hätte? Ja, klar. Und ob er eine Mooring hätte, ich müsste meine Ankerwinsch zerlegen und bräuchte Ersatzteile? Hm. Auch das. Wie lange ich denn bleiben wolle? Und wenn ich käme: dann bitte bleiben und nicht dauernd rein und raus. Sprachs. Und stapfte weiter. Ich quengelte weiter: Was denn das kosten würde, für zehn Meter Schiffslänge? Kostas blieb stehen und sah mich an: „You give me, what you want to give.“ Und stapfte weiter.

Damit hatte ich Denkstoff für den späten Nachmittag genug. Gibts das? Einer der nicht das Maximum rausholt? Einer der sagt: „Gib mir, was Du willst.“? Ich war jedenfalls zufrieden und machte mich am nächsten Vormittag auf den Weg zu Kostas Mole. Da hing ich dann zuerst an einem anderen Schiff. Ohne Buganker. Heck zur Pier. Im ständigen Geschaukel der mit unanständiger Geschwindigkeit vorbeidonnernden Wassertaxis. Mir war Angst und Bang. Um LEVJE. Und was würde erst, wenn der Wind heute Nacht mit angekündigten 5-6 bft. in den Hafen stünde? „Don’t worry, be happy“, brummte Kostas, und zog sich unter das Dach seines schneeweißen Fischerbootes zurück, von wo er alles im Blick hatte. Nix happy – was mach ich bloß? Kann das hinhauen, dies griechische „alles wird gut?“, ganz ohne eigenes Mühen und sich kümmern? Ich hatte arge Zweifel.

Der Nachmittag verstrich. Die Mooring, die ich bekommen sollte, war belegt mit einer Yacht mit Baterrieschaden, den die Crew eben beschlossen hatte, mit einem Besuch im weltberühmten Epidaurus per Auto zu krönen. „Ich-brauch-die-Mooring“, hämmerte mein Hirn. Kostas linste unter seinem Sonnensegel hervor. Es wurde Abend. Da erschien Kostas, nach gebotener Zeit des Nachdenkens. Stieg auf ein Schlauchboot, das an der Pier lag, verlegte es auf die andere Seite und strahlte mich an: „Here is your Mooring!“. Und so kam ich zu meinem Platz in Kostas‘ Hafen.

Spetses und Kostas‘ Hafenmole: Noch nie habe ich in einem Hafen ein derartiges Durcheinander erlebt. Kaum lag ich fest, dirigierte Kostas die riesige BILMAR genau neben mich. Kaum lag die fest, legten drei, vier, fünf andere Motoryachten ihre Anker über den der BILMAR. Und noch einer. Und noch eine Yacht, 15 Meter vor der BILMAR, mitten in der Hafeneinfahrt. Kostas Aufgabe bestand darin, aus seiner Betonmole mit ihren klar viereckigen Abmessungen möglichst viel Platz für Boote herauszuholen. Und so lagen jeden Abend die Boote im Halbkreis um Kostas‘ Mole, Heck zur Pier und übles Geschaukel mit jedem roten Wassertaxi, das nah vorbeibrauste. Und Kostas‘ Flüche weckte. „Don’t worry, be happy.“

Unsere Konversation beschränkte sich überhaupt auf einfache Äußerungen. Sah er mich, rief er einfach nur laut, dass jedermann auf der Pier es hören konnte: „Jermanooooz“. „Deutscher“. Was ich mit einem ebenso lauten „Elljinaaaaaz“, „Grieche“, beantwortete. Worauf wir uns verständnisinnig angrinsten. Vielleicht lag es daran, dass er die Tiere an seinem Steg liebte: Ständig wuselten auf seinem Steg fünf Katzen herum, ich lernte das griechische Wort für Katze, nämlich „Rata“, und als Kostas Brot brauchte, weil die 20 Gänse von Spetses mal wieder an seiner Mole haltmachten und herumschwammen wie auf einem Dorfteich, half ich ihm aus und gab ihm, was an Brot noch auf LEVJE war. Sonst nahm Kostas nichts an von niemand und von mir auch nicht, keine Melone, keine eiskalte Bierdose. Die ersten zwei Tage jedenfalls nicht. Am dritten aber nahm er abends meine Bierdose an. Da saßen wir dann, in der Abenddämmerung, auf seiner Parkbank auf der Pier. Wir redeten wenig, tranken unser Bier und schauten aufs Wasser und die Boote, die ihre Anker und Ketten kunterbunt übereinander warfen, und die Welt drehte sich in diesem Moment in der richtigen Richtung.

Vom nächsten Tag an besuchte ich Kostas öfter auf seinem Fischerboot unter dem blauen Sonnensegel. Da steckte er, wenn ihn etwas ärgerte und wenn ihm einfach zu heiß war. Hin und wieder saßen wir da, „Jermanoooz“ und „Elljinaaaaaz“, schauten aufs Wasser und redeten wenig. Als ich ihn fragte, warum er denn das mache, mit der Pier, den Job als Hafenmeister, sagte er: „I want to help people.“ Fuhr ein Fischer vorbei, brüllte er ihm etwas Unverständliches zu, ein lautes „Kaptanjeeeeee“ oder irgendetwas, das ich nicht verstand.

Am Montag war das Ersatzteil für meine Winsch aus Athen da, das ich Samstag Mittag um halb eins – so geht Griechenland! – telefonisch in Athen bei NAVTILUS bestellt hatte. Kostas organisierte mir binnen drei Minuten einen Motorroller, damit ich das Teil vom Kurierdienst holen konnte. Nach einem halben Tag tat die Ankerwinsch wieder, und zwei Tage später habe ich Spetses verlassen. Kostas stand auf der Pier und rief sein „Jermaneeeeeeeee“ und ich mein „Elljinaaaaaaz“ – aber das dauerte nicht lang, denn ich hatte den Patzer meines Lebens gebracht: War langsam aus der Box getuckert – und hatte vorher – ich weiß nicht, was mich geritten hat – die Mooring nicht losgeworfen! Also endete das  „langsam aus der Box tuckern“ schon gleich nach der Box. LEVJE drehte einen Halbkreis, Kostas begann auf der Pier zu schimpfen, ich schalt mich einen Idioten. 
Aber vielleicht: War das ja alles so richtig mit der Mooring, die mich festhalten wollte, auf Spetses, und bei Kostas, an seiner Pier. 

Ganz sicher ist: Dass unsere Seele machmal mehr weiß als wir selbst.

Übrigens: Kostas ist seit 35 Jahren in Spetses. Bis Oktober steht er noch auf seiner Pier in Spetses. Über den Winter hilft er, Boote ausbessern, hier in Spetses, in Porto Cheli und Ermioni auf dem Festland – wenn es gerade nicht zuviel regnet. Auf meine Frage, wie lange er das denn noch machen wolle, meinte er: „Twentythree years.“ Dann wäre Kostas achzig…

Und wenn Ihnen diese Geschichte gefallen hat:
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Die vergessenen Schiffe: Unterwegs mit dem FLYING DOLPHIN zwischen den vergessenen Inseln.

Ist man in Griechenland unterwegs von einer vergessenen Insel zur anderen, dann ist für den Inselhopper der  FLYING DOLPHIN, das Tragflügelboot, das schnellste Reisemittel. Von Spetses nach Athen sind es mit dem Auto vier Stunden, per Katamaran-Fähre zweieinhalb Stunden – und mit dem FLYING DOLPHIN etwas über zwei. Und dabei genießt man das einzigartige Erlebnis, in eine Technik einzusteigen, die es heute so gar nicht mehr gibt. Ein bisschen ist es, als wäre man mit der CONCORDE unterwegs, dem Technik-Denkmal der Sechziger und Siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, einer Technik-Ikone, die nur von einem kündet: dem Glauben daran, dass technisch alles, wirklich alles hinzukriegen ist.

Betritt man den engen Bootskörper des FLYING DOLPHIN, der an der Kaimauer schaukelt und schwankt, dann empfängt den Reisenden zweierlei: Die Enge der geschlossenen Röhre, angefüllt mit dem wohligen Geruch nach Diesel und Schmiermittel. Ein Geruch, den Teppiche, Sitze, Sessel in einem FLYING DOLPHIN in den 30, 40 Jahren seiner Nutzung so ausgesetzt waren, dass er diesen vollkommen Unbeteiligten nun auch schon zu eigen wurde. Das Verstauen des Gepäcks in der kleinen Kammer am Einstieg durch ein Besatzungsmitglied ist jedes Mal ein Abenteuer: Der Reisende wird nicht nach der Größe seines Gepäckstücks befragt; sondern danach, wo er hin will. Ist das der letzte Ort auf der Fahrt, kommt das Gepäckstück ganz zuunterst. Alles andere kommt obendrüber, und man darf nicht zu mitfühlend mit der eigenen Bagage sein: Wer zuletzt aussteigt, liegt zuunterst, basta. 

Noch an der Pier wird der FLYING DOLPHIN bei laufendem Motor betankt. Ein Wummern in der engen Röhre von vielen PS, die in den beiden betagten Motoren herumtoben und herumtollen. Tragflächenboote sind eine relativ alte Erfindung, sie kamen, als die ersten Autos über die Straßen rumpelten, Anfang des 20. Jahrhunderts auf. Es ist kein Zufall, dass ein Italiener sie erfand. Kein Zufall deshalb, weil das Italien jener Jahre am ungebremstesten dem Futurismus fröhnte, dem Glaubend daran, dass die Zukunft ja nur eines bringen könne: Das Paradies, erwachsen aus Fortschritt. Aber schon bald beschäftigten sich nur noch Militärs mit der Idee, dass man mit etwas Geschwindigkeit auf zwei kleinen Flügeln fast ohne Widerstand übers Wasser fliegen könne. Deutsche, Engländer, Russen, Amerikaner, selbst der legendäre Felix Wankel war so hingerissen, dass er seinen sagenhaften WANKEL-Motor in ein übers Wasser auf Gleitkufen dahinschießendes Etwas namens ZISCH-2 verbaute. Die Tragflügelboote hatten den Weg in die zivile Nutzung gefunden.

Und unser FLYING DOLPHIN? Mittlerweile nebelt der Ausstoß seiner riesigen schwarzen Qualmwolken die kleinen Verkaufsbuden auf der Pier ein, als wir im Hafenbecken drehen. Kaum legt einer der beiden Piloten oben in der engen Steuerkanzel den Gang ein, macht der FLYING DOLPHIN einen Satz nach vorne. Schiere Kraft, schiere PS schon im Leerlauf, noch ohne dass jemand überhaupt am Gashebel gezupft hätte. Der FLYING DOLPHIN ist ein Kind einer Zeit, in der die Frage nach Spritverbrauch oder Umweltverträglichkeit überhaupt noch nicht erfunden war. „Wir wollen ein möglichst schnelles Transportmittel bauen, das von A nach B übers Wasser fliegt“ lautete die Aufgabe. Und los gings.

Die schwarzen Qualmwolken werden nun wirklich beängstigend, als der Pilot an den Gashebeln spielt und den FLYING DOLPHIN mit der römischen Nummer XVIII aus der Drehung in Fahrt bringt.. Ein Donnern, ein Heulen, ein Pfeiffen aus dem hinteren Viertel des FLYING DOLPHIN, das allein die Motoren bewohnen in einem Reich, das kein Reisender stört. Die Röhre vibriert, der kleine Fernseher, der vorne auf einer Konsole steht, ist mit zwei roten Gurtbändern, wie sie muskulöse Klavier-Transporteuren nutzen, gesichert. Noch mehr Gas, noch mehr Dieselgeruch im Inneren, der Lärm der Vibrationen von allem, was beschlossen hat, im Takt der Kolben nun auch mitzuschwingen: Fensterscheiben, Türen, Innenverkleidungen, Sitze: ein einziges Schwingen, ein einziger Freischwinger, als der Pilot an der Hafenausfahrt erst richtig Gas gibt.

Und dann passiert auch das Wunderbare: Der Rumpf des Tragflügelbootes hebt sich langsam, langsam aus dem Wasser, solange, bis die halbe Fußballfeld große Blechzigarre über dem Wasser schwebt und nur noch auf den metergroßen Flügeln durchs Wasser gleitet, eine feine Schaumspur hinter sich herziehend: Mit sagenhaften 35 Knoten, also über sechzig Stundenkilometer. Ein Brüllen, während der FLYING DOLPHIN roh wie ein ungefederter Güterwaggon über die spiegelglatte See rumpelt und sich leise wiegend elegant wie ein Wasserskifahrer in die Kurven legt.

Aber plötzlich nimmt das Vibrieren ins ungeahnte zu, der Lärm wird infernalisch, die Passagiere halten sich die Ohren zu vor Lärm, fast, dass sie um Gnade betteln, die dann auch der Pilot keine fünf Minuten später erlösend gewährt, indem er mitten auf dem offenen Meer den Motor drosselt, Fahrt herausnimmt. Und dann liegen wir auf dem offenen Meer. Der Motor wummert, der FLYING DOLPHIN schaukelt reglos auf dem Meer, während ein Schiffsmechaniker im ölig-grauen Werkstatt-Overall – jawoll, auch der gehört fest zur Besatzung des kleinen Gefährts – mit einem riesigen Schraubenschlüssel nach hinten in den Motorraum eilt. Die griechischen Passagiere des FLYING DOLPHIN scheinen derlei gewohnt, kaum einer, der von seiner Zeitung aufschaut, als abgehackt eine Entschuldigung der Stewardess über die Bordlautsprecher knackt. Dann gibt der Pilot etwas Gas. Aber das Vibrieren ist immer noch infernalisch, ich rechne fest damit, dass gleich in der Decke der Aluminiumhaut des FLYING DOLPHIN ein Riß klaffen und der FLYING DOLPHIN auseinanderbrechen wird wie die TITANIC. Wieder nimmt der Pilot die Fahrt aus dem Gefährt, die Passagiere bangen nun mit dem Mechaniker im verschmierten Overall, ein Bulle von Mann, er wirds schon richten. Nach fünf Minuten nimmt der FLYING DOLPHIN wieder zaghaft Fahrt auf, mehr, dann noch mehr. Vibrieren weg. Jetzt schießt die Blechzigarre wieder mit Vollgas über die Wellen, die sich jetzt aufbauen, das Vibrieren ist wieder auf Normalmaß reduziert. Bugs, die man noch mit großem Schraubenschlüssel in der Hand eines Bullen reparieren kann: Wo gibts denn das heute noch?

Und so schießt der FLYING DOLPHIN jetzt wieder dahin. Seegang hat sich aufgebaut. Es ist, als wäre man auf einen Preßlufthammer geschnallt, der sich sanft von links nach rechts und rechts nach links wiegt, während er in seiner engen Röhre auf und ab hämmert. An Schlaf ist nicht zu denken. An schreiben dreimal nicht, die Tastatur vor mir würde hüpfen. Es macht aber alles nichts, denn zu schön, zu urtümlich ist die Reise in der engen Blechröhre. Und ich bedauere nur eins: Dass es mir nie möglich war, einmal an Bord einer CONCORDE mitzufliegen. Aber für alle, denen es ja so geht wie mir: gibt es zwischen den vergessenen Inseln ja den FLYING DOLPHIN, den kleinen Bruder der wunderschönen großen Hübschen. Um mal zu sehen, wie das war, damals in den Sechzigern, mit moderner Technik.

Die vergessenen Schiffe: Unterwegs mit dem FLYING DOLPHIN zwischen den vergessenen Inseln.

Ist man in Griechenland unterwegs von einer vergessenen Insel zur anderen, dann ist für den Inselhopper der  FLYING DOLPHIN, das Tragflügelboot, das schnellste Reisemittel. Von Spetses nach Athen sind es mit dem Auto vier Stunden, per Katamaran-Fähre zweieinhalb Stunden – und mit dem FLYING DOLPHIN etwas über zwei. Und dabei genießt man das einzigartige Erlebnis, in eine Technik einzusteigen, die es heute so gar nicht mehr gibt. Ein bisschen ist es, als wäre man mit der CONCORDE unterwegs, dem Technik-Denkmal der Sechziger und Siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, einer Technik-Ikone, die nur von einem kündet: dem Glauben daran, dass technisch alles, wirklich alles hinzukriegen ist.

Betritt man den engen Bootskörper des FLYING DOLPHIN, der an der Kaimauer schaukelt und schwankt, dann empfängt den Reisenden zweierlei: Die Enge der geschlossenen Röhre, angefüllt mit dem wohligen Geruch nach Diesel und Schmiermittel. Ein Geruch, den Teppiche, Sitze, Sessel in einem FLYING DOLPHIN in den 30, 40 Jahren seiner Nutzung so ausgesetzt waren, dass er diesen vollkommen Unbeteiligten nun auch schon zu eigen wurde. Das Verstauen des Gepäcks in der kleinen Kammer am Einstieg durch ein Besatzungsmitglied ist jedes Mal ein Abenteuer: Der Reisende wird nicht nach der Größe seines Gepäckstücks befragt; sondern danach, wo er hin will. Ist das der letzte Ort auf der Fahrt, kommt das Gepäckstück ganz zuunterst. Alles andere kommt obendrüber, und man darf nicht zu mitfühlend mit der eigenen Bagage sein: Wer zuletzt aussteigt, liegt zuunterst, basta. 

Noch an der Pier wird der FLYING DOLPHIN bei laufendem Motor betankt. Ein Wummern in der engen Röhre von vielen PS, die in den beiden betagten Motoren herumtoben und herumtollen. Tragflächenboote sind eine relativ alte Erfindung, sie kamen, als die ersten Autos über die Straßen rumpelten, Anfang des 20. Jahrhunderts auf. Es ist kein Zufall, dass ein Italiener sie erfand. Kein Zufall deshalb, weil das Italien jener Jahre am ungebremstesten dem Futurismus fröhnte, dem Glaubend daran, dass die Zukunft ja nur eines bringen könne: Das Paradies, erwachsen aus Fortschritt. Aber schon bald beschäftigten sich nur noch Militärs mit der Idee, dass man mit etwas Geschwindigkeit auf zwei kleinen Flügeln fast ohne Widerstand übers Wasser fliegen könne. Deutsche, Engländer, Russen, Amerikaner, selbst der legendäre Felix Wankel war so hingerissen, dass er seinen sagenhaften WANKEL-Motor in ein übers Wasser auf Gleitkufen dahinschießendes Etwas namens ZISCH-2 verbaute. Die Tragflügelboote hatten den Weg in die zivile Nutzung gefunden.

Und unser FLYING DOLPHIN? Mittlerweile nebelt der Ausstoß seiner riesigen schwarzen Qualmwolken die kleinen Verkaufsbuden auf der Pier ein, als wir im Hafenbecken drehen. Kaum legt einer der beiden Piloten oben in der engen Steuerkanzel den Gang ein, macht der FLYING DOLPHIN einen Satz nach vorne. Schiere Kraft, schiere PS schon im Leerlauf, noch ohne dass jemand überhaupt am Gashebel gezupft hätte. Der FLYING DOLPHIN ist ein Kind einer Zeit, in der die Frage nach Spritverbrauch oder Umweltverträglichkeit überhaupt noch nicht erfunden war. „Wir wollen ein möglichst schnelles Transportmittel bauen, das von A nach B übers Wasser fliegt“ lautete die Aufgabe. Und los gings.

Die schwarzen Qualmwolken werden nun wirklich beängstigend, als der Pilot an den Gashebeln spielt und den FLYING DOLPHIN mit der römischen Nummer XVIII aus der Drehung in Fahrt bringt.. Ein Donnern, ein Heulen, ein Pfeiffen aus dem hinteren Viertel des FLYING DOLPHIN, das allein die Motoren bewohnen in einem Reich, das kein Reisender stört. Die Röhre vibriert, der kleine Fernseher, der vorne auf einer Konsole steht, ist mit zwei roten Gurtbändern, wie sie muskulöse Klavier-Transporteuren nutzen, gesichert. Noch mehr Gas, noch mehr Dieselgeruch im Inneren, der Lärm der Vibrationen von allem, was beschlossen hat, im Takt der Kolben nun auch mitzuschwingen: Fensterscheiben, Türen, Innenverkleidungen, Sitze: ein einziges Schwingen, ein einziger Freischwinger, als der Pilot an der Hafenausfahrt erst richtig Gas gibt.

Und dann passiert auch das Wunderbare: Der Rumpf des Tragflügelbootes hebt sich langsam, langsam aus dem Wasser, solange, bis die halbe Fußballfeld große Blechzigarre über dem Wasser schwebt und nur noch auf den metergroßen Flügeln durchs Wasser gleitet, eine feine Schaumspur hinter sich herziehend: Mit sagenhaften 35 Knoten, also über sechzig Stundenkilometer. Ein Brüllen, während der FLYING DOLPHIN roh wie ein ungefederter Güterwaggon über die spiegelglatte See rumpelt und sich leise wiegend elegant wie ein Wasserskifahrer in die Kurven legt.

Aber plötzlich nimmt das Vibrieren ins ungeahnte zu, der Lärm wird infernalisch, die Passagiere halten sich die Ohren zu vor Lärm, fast, dass sie um Gnade betteln, die dann auch der Pilot keine fünf Minuten später erlösend gewährt, indem er mitten auf dem offenen Meer den Motor drosselt, Fahrt herausnimmt. Und dann liegen wir auf dem offenen Meer. Der Motor wummert, der FLYING DOLPHIN schaukelt reglos auf dem Meer, während ein Schiffsmechaniker im ölig-grauen Werkstatt-Overall – jawoll, auch der gehört fest zur Besatzung des kleinen Gefährts – mit einem riesigen Schraubenschlüssel nach hinten in den Motorraum eilt. Die griechischen Passagiere des FLYING DOLPHIN scheinen derlei gewohnt, kaum einer, der von seiner Zeitung aufschaut, als abgehackt eine Entschuldigung der Stewardess über die Bordlautsprecher knackt. Dann gibt der Pilot etwas Gas. Aber das Vibrieren ist immer noch infernalisch, ich rechne fest damit, dass gleich in der Decke der Aluminiumhaut des FLYING DOLPHIN ein Riß klaffen und der FLYING DOLPHIN auseinanderbrechen wird wie die TITANIC. Wieder nimmt der Pilot die Fahrt aus dem Gefährt, die Passagiere bangen nun mit dem Mechaniker im verschmierten Overall, ein Bulle von Mann, er wirds schon richten. Nach fünf Minuten nimmt der FLYING DOLPHIN wieder zaghaft Fahrt auf, mehr, dann noch mehr. Vibrieren weg. Jetzt schießt die Blechzigarre wieder mit Vollgas über die Wellen, die sich jetzt aufbauen, das Vibrieren ist wieder auf Normalmaß reduziert. Bugs, die man noch mit großem Schraubenschlüssel in der Hand eines Bullen reparieren kann: Wo gibts denn das heute noch?

Und so schießt der FLYING DOLPHIN jetzt wieder dahin. Seegang hat sich aufgebaut. Es ist, als wäre man auf einen Preßlufthammer geschnallt, der sich sanft von links nach rechts und rechts nach links wiegt, während er in seiner engen Röhre auf und ab hämmert. An Schlaf ist nicht zu denken. An schreiben dreimal nicht, die Tastatur vor mir würde hüpfen. Es macht aber alles nichts, denn zu schön, zu urtümlich ist die Reise in der engen Blechröhre. Und ich bedauere nur eins: Dass es mir nie möglich war, einmal an Bord einer CONCORDE mitzufliegen. Aber für alle, denen es ja so geht wie mir: gibt es zwischen den vergessenen Inseln ja den FLYING DOLPHIN, den kleinen Bruder der wunderschönen großen Hübschen. Um mal zu sehen, wie das war, damals in den Sechzigern, mit moderner Technik.

Mare Piu macht einen Film über Segeln. Und er erscheint Ende September.

Irgendwie ist dieser Traum so alt wie mein Traum vom Segeln. Kaum dass ich die ersten Male auf dem Meer war, wollte ich über meine Begeisterung fürs Segeln einen Film machen. 2002 trabte ich los und kaufte mir eine Videokamera. Delphine vor Korsika, die über 10 Minuten im Bug unserer JUANITA mitschwammen, filmte ich. Die ersten Aufnahmen vom Segeln mit zittrigen Knien im Starkwind nördlich Korsika. Aber daraus wurde nichts. 

Irgendwie wollte ich immer davon erzählen, wie es ist, auf dem Meer zu sein. Wie es ist, die Segel zu setzen. Wie es ist, draußen zu sein, auf der Überfahrt von Südfrankreich nach Calvi. Wie es ist in der Nacht auf dem Meer. Wie es sich anfühlt, wieder sicher im Hafen zu sein. Und jetzt ist es soweit: Auf meiner Reise von München nach Antalya entstanden in Italien, Griechenland, Türkei über 1.000 Videoszenen, im Kopf habe ich im vergangenen Jahr ständig an dem Projekt gearbeitet. Bin mit Kameramann Stefano Weber und Susanne im Mai diesen Jahres in die Türkei geflogen, für weitere Aufnahmen.

Den Film jetzt herzustellen hat aber noch mehr Spaß gemacht, als ich das erwartet hatte. Und das hat mit den Menschen zu tun, die ich für die Mitarbeit an diesem ersten Filmprojekt begeistern konnte. Meiner Verlagspartnerin Susanne, von millemari., die sich nach den ersten Videoschnippseln im Herbst sofort für das Projekt begeisterte und die Produktionsleitung übernahm. 
Stefano, der mich mit seinen Kameras eine Woche segelnd von Marmaris bis Rhodos filmend begleitete. 
Manu und Jan von MUSICNSTUFF, die mich für ein langes Wochenende in ihr Tonstudio in Olching ließen und mich in der Kunst des Vorlesens unterrichteten. 
Marco, der die Aufnahmen als Tontechniker begleitete. 
Und ganz besonders Felix von der Münchner EMMAFILM, der sich mit Susanne und mir mehrere Wochenenden um die Ohren haute und mit Herz & Hirn und Know-How den Film erst zu dem machte, was er geworden ist: Etwas, was vom Meer, den Menschen, den Ländern dort erzählt, wie ich immer vom Meer erzählen wollte.

Und jetzt?
Wir sind fast fertig mit den Arbeiten. 

Der Trailer für den Film ist fertig. Und seit heute Abend ist er auf unserer Homepage www.millemari.de zu sehen.

Und jetzt, während ich hier auf Kithira, Monemvasia, Spetses auf LEVJE sitze: Schreibe und filme ich bereits wie ein Besessener. Für meinen zweiten Film, der im Frühjahr 2016 kommen wird.

Aber jetzt hoffe ich erstmal, mit meinem Film nicht nur meinen Nerv und den meines Teams getroffen zu haben: Sondern auch den Nerv der Menschen, die das Meer lieben. So wie wir.

Grüße von LEVJE aus Spetses
Thomas

Die vergessenen Inseln: Spetses. Und der Heilige der kleinen Boote.

Wir sind in Spetses, etwas östlich des Peloponnes, und mit einem Schlag ist hier alles anders: Noch vor wenigen Tagen, am Wochenende, war es voll auf Spetses. Doch nun ist der August passé, und mit ihm die „Ferie Augusti“, der italienische „Ferragosto“; und die Bewohner der Mittelmeerstädte sind heimgekehrt. Es ist ruhiger, auf der Hafenmole von Spetses. Oder nicht?

Tatsächlich haben sich die Bewohner von Spetses heute nur in einem anderen Winkel versammelt, bei der Kirche des heiligen Mamas. Sie steht genau am Meer, ein kleines Kirchlein, in dem von der Decke Schiffsmodelle hängen, ein Kirchlein, einmal im Jahr: Im Mittelpunkt. Es ist die Nacht von Mamas, des Heiligen, der gut zu den Kindern ist. Und deshalb gedenken die Kinder und mit ihnen die Einwohner von Spetses heute des Heiligen in ganz besonderer Weise. Die Kinder bauen in den Tagen vor dem Fest Schiffe mit Lichtern darauf, und heute, am Festtag des Heiligen, zünden sie auf ihren Schiffen die Kerzen an. Und setzen sie vor der Kirche des Heiligen aufs Meer.

Schon weit vor der Kirche von Mamas ist die Hafenmole voller Menschen und verstopft. Die Fiaker, die sonst ihre Kutschen im Trab lässig über die Hafenmole treiben, haben Mühe, ihre Pferde durchs Gedrängel zu bringen. Vor der Kirche: Eine Messe, Gesänge, Litaneien der beiden Priester, diesmal nicht schwarzen Soutanen, sondern in weißen Gewändern. Alte Frauen auf Klappstühlen drumherum. Kinder, die aufgeregt hin und her rennen und vor allem ihre verschiedenen Schiffe ans Meer bringen: Kleine, aus Papier, mit einem Teelicht drin. Autoreifengroße, aus Obstkisten gefertigt. Manche aus halben Kürbissen herausgeschält, eine Kerze bringt sie innen rot zum Leuchten. Manche groß wie eine Männerhand, aus Strohhalmen und Binsen zusammengebunden. Andere aus Broten herausgeschält, ausgehöhlte Sesam-Baguettes, die im Inneren von Kerzen erleuchtet nun aufs Meer hinausstreben. Wieder andere Pyramiden mit hängenden Lichtern. Oder Modelle der Kirche. Rahsegler, manche gleich mit 10 Teelichtern drauf.

Den langen Abend lang bringen Kinder immer neue Schiffe. Manche bekommen nach wenigen Sekunden Schlagseite und versinken zischend. Andere werden von den Wellen an der Mauer zusammengetrieben, ein unentwirrbarer Knäuel voller Kerzenlichter, der in einer Ecke im Strudel wogt. Andere schaffen es hinaus aufs Meer, weit hinaus in die Bucht. Wo sie plötzlich Feuer fangen, ein aufloderndes Lagerfeuer im leichten Abendwind plötzlich mitten auf dem Meer, ein Jauchzen der Kinder, Eltern, die neue Schiffe bringen, große grüne, drei kleine, herzförmige, jede mit einem Licht und alle drei mit einem Faden verbunden. Und den Namen der Kinder darauf. Ein kleines, von innen heraus rot leuchtendes, das über dem Kies auf dem Meeresgrund Fahrt aufnimmt und langsam in die Bucht treibt. Immer neue Boote in allen erdenklichen Formen, als plötzlich ein Feuerwerk über dem Strand losbricht, laut knallend zerspritzen aufsteigende Sterne und stieben, hundert Kometen gleich, über den Himmel über der Bucht. Kaum angefangen, endet das laute Spektakel auch gleich, sekundenlang noch Pulverdampf, der reglos über die Bucht zieht, in der hundert kleine Lichter in den Wellen schaukeln.

Und Mamas, der Heilige? Es gibt verschiedene Legenden über ihn – aber alle führen in den Osten. Er gehörte wohl in die Welle der ersten Christenverfolgung, Mitte des 3. Jahrhunderts. Geboren im Gefängnis des römischen Gangra, heute türkisch Cankiri, weil seine Eltern Christen waren. Sein Vater, der ihn nie sah, weil ermordet, bevor Mamas zur Welt kam. Mit 15 ebenfalls Christ, gefangengenommen, gefoltert, später schwer verletzt und auf der Flucht gestorben. Einer, der den wilden Tieren predigte. Eine andere Geschichte erzählt, wie er einmal, von Häschern zum Gerichtssaal geführt, einem Löwen begegnete, der ein Schaf jagte. Mamas rief den Löwen zu sich – und ritt auf dessen Rücken zum Richter, das Schaf in seinen Armen haltend. Weshalb Mamas auch heute noch auf Ikonen zu erkennen ist als der Heilige, der auf einem Löwen reitet.

Vielleicht ist das so: Jedes Meer hat seine Heiligen. Die Bretagne, Irland, das nordspanische Galizien – und die vergessenen Inseln haben ihre. Es sind eigene Traditionen, Geschichten, die mit Schiffen und Seefahrern, Kriegern und Kreuzrittern, Pilgern und Priestern, Verschleppten und Verprengten irgendwie, den großen Strömungen auf dem Meer gleich, die Heiligen samt ihrer Geschichte von Ost nach West trugen. Und niemand, wirklich niemand kann sagen, wann ein Heiliger wie Mamas denn nun wo zum ersten Mal an Land kam. Und Menschen ihm und keinem anderen im französischen Langres oder in St Mamès oder in Finningen bei Neu-Ulm eine Kirche weihten.

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Vom Autor von MARE PIU:

Ein Mann verliert seinen Job.
Aber statt zu resignieren, begibt er sich einfach auf sein kleines Segelboot.
Und reist in fünf Monaten: Von München nach Antalya.

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Die vergessenen Inseln: Heute auf Spetses. Oder: Reich und Arm, engbeieinander.

 

Ganz ohne Zweifel überrascht die Insel Spetses wie kaum eine andere Insel – und das gleich in vielerlei Hinsicht.
 
Monemvasia verließ ich, weil der Wetterbericht für die folgenden Tage Starkwind aus Nord ankündigte. Aber kaum, dass ich den Hafen von Monemvasia verlassen hatte, und voller Freude, dass endlich mal Wind wehte: schlief er auch schon wieder ein, der Wind. Die Ostseite des Peloponnes – ein Windloch, zumindest in diesem Jahr. 
 
Am nächsten Tag das selbe Spiel: Wetterbericht 5 bft. aus Nord. In der Bucht von Kiparission wehte es – also nix wie raus, 1. Reff. Kaum hatten wir sechs Seemeilen von der Küste weg zurückgelegt: Aus. Flaute. LEVJE liegt klappernd weit vor der Küste in den Kalmen – und in sich überschlagenden Wellen, die meine LEVJE elend hin und herwerfen. Mein Schiff, ein wehrloser Spielball dieser mutwilligen Wellenbrüder aus allen Richtungen. Also Motor.


 
Und weil mich der kürzeste Weg an die Ostseite von Spetses führte, genau zwischen Spetses und dem kleinen, östlich vorgelagerten Inselchen Spetsopoula (ja. Genau so.) hindurchführte, kam ich an einer unwiderstehlichen Bucht vorbei. Windgeschützt nach Norden. Nur einer dieser Schiff gewordenen Segelträume vor Anker. Und das wunderschöne RIVA-Boot eines Deutschen, der im Strohhut in den Himmel schaut. Ich konnte nicht anders. Hier mußte ich sein. Und blieb drei Tage, bis mich der Wind scheuchte, der so garstig am Spätnachmittag des dritten Tages die Wellen in die Bucht trieb: dass ich LEVJE fast auf den Strand setzte, nur um im aller-allerinnersten Winkel der Bucht eine halbwegs geschützte Ecke für uns zwei zu finden.
 
Aber RIVA-Boot und Riesenyacht: Das hatte es in sich. Das mußte ich rauskriegen. Also ruderte ich am am späten Nachmittag mit meinem Dinghi an Land, ließ LEVJE allein schaukelnd in der Bucht zurück und machte mich zu Fuß auf den Weg nach Spetses, etwa drei Kilometer im Norden. 
 
Überraschung Nummer 2:
Während ich in der Hitze des Spätnachmittags auf der kleinen Teerstraße hügelauf, hügelab, nach Norden wackle, stelle ich zweierlei fest: Wunderschöne Villen zuhauf. Nein nicht „Neureichs“, sondern wunderschöner alter Bestand. Keine einzige Architektur, die das Auge stört. Fast Südfrankreich: kleine, verschachtelte Gebäude in parkähnlichen Landschaften. Hinter hohen Mauern plötzlich ein bisschen Bretagne. Wo bin ich hier im Osten von Spetses bloß hingetreten?
Das andere: Dass auf meiner Straße zwar Verkehr ist: Oh ja, jede Menge Roller, Scooter, kleiner Motorräder – aber keine Autos. Spetses gebührt nach Venedig der Ruhm, Insel ohne Auto zu sein. Jedenfalls fast. Sie sind offiziell verboten, auf Spetses. Ein paar Taxen drücken sich schamlos durch engste Gassen, zusammen mit ein, zwei Lieferwagen. Aber das war es dann fast schon. Und noch etwas gibt es zuhauf: Golfcarts. Kleine Elektromobile vom Golfplatz, auf meiner Straße geht es eher zu wie auf einem Golfplatz, sie begegnen mir mehrfach. Und gerade als ich überlege, den Daumen zu recken, hält auch schon eins an. Roberta, mit dem Golfcart ihrer Herrschaft auf Einkaufsfahrt, nimmt mich einfach mit. Und weil sie Philippinin ist und seit 13 Jahren im Dienst ihrer Herrschaft ist, hat sie die Ehre, mir als Erste zu nahezubringen: Was es denn mit Spetses, das die Venezianer „Le Isole delle Spezie“, die Insel der Gewürze tauften, so auf sich hat. Während wir also im kleinen Elektromobil holpernd gen Norden rollen, erklärt mir Roberta: Einmal im Jahr kommt die Familie, für die sie arbeitet, in ihr Sommerhaus hierher nach Spetses. Diesmal für 10 Tage. Aber jetzt, im August, würden das auch die anderen reichen Athener Familien so machen. Jede, ausnahmslos jede der reichen Athener Familien hätte ein Haus, eine Villa auf Spetses, aber in den nächsten Tagen wäre noch besonders viel los, weil die Sprößlinge zweier der reichsten Athener Familien heiraten würden – und das würde wirklich alle, alle anlocken. Auf dem kleinen Betonfeld, direkt an der Straße, auf der wir rumpelnd vorbeirollen, landet gerade ein Hubschrauber, ein Mann im Business-Anzug steigt aus, der Hubschrauber hebt gleich wieder ab. „Time es Money, so leben hier die meisten“, sagt Roberta, ohne ihre kleinen Füße vom Gaspedal zu nehmen, und Klein Tomi reibt sich die Augen, denn eigentlich wähnte er sich in Griechenland und nicht in New York.
 


 
Stotternd läßt Roberta das kleine Gefährt rechts zum Hafen abbiegen. Und da wartet die nächste Überraschung: Kein Hafen, wie man ihn kennt: Sondern ein enger Wasserschlauch, doppelt, dreifach in Reihen vollgestopft mit Booten aller Art: Kleine Fischerboote. Überdachte superschnelle Schlauchboote. Hochmotorisierte Speedboote. Segelyachten. Kaiken und Kunststoffboote, Holzyachten und Was-weiß-ich-noch. Selbst die große Autofähre zur Nachbarinsel – auf dem Foto oben im Hintergrund – schiebt sich hinein in das Gedrängel und läßt ihre stählernde Bugklappe mitten auf den Strand knallen. Ein unglaubliches Durcheinander, augenscheinlich angerührt vom Gott des Chaos, aber – und auch das ist eine Überraschung – es steckt Ordnung drin. Was man im Bild oben sieht, ist nichts anderes als einer jener Werftbetriebe, die vor 200, 300 Jahren mit ihren dort gebauten Kaiken Furore machten. Und im Befreiungskrieg vor 200 Jahren mit ihrer Flotte das Zünglein auf der Waage im Kampf gegen die Türken waren.
 


 
Aber weil heutzutage ja niemand mehr die Kaiken braucht, liegt so manches angefangene Schmuckstück einfach am Wegrand. Und die Werftbesitzer – seelig-lieblich-wohlig gefangen in griechischem Klein-Klein – vermieten einfach ihren knapp bemessenen Platz an Bootsbesitzer. Und so beschließe ich noch am Nachmittag, mit LEVJE genau hierher zu tuckern, mitten hinein in dies Chaos, und mein Glück zu versuchen, hier, wo nichts, aber auch gar nichts aussieht nach einem freien Liegeplatz.
 


 
Und so verschlägt ein launenhaftes Schicksal mich im Hafen von Spetses zum alten Kostas. Der betreibt die Betonmole im engen Hafen, genau gegenüber der weißen Autofähre. Aber: was heißt denn schon „betreiben“? Kostas hat Platz, wo kein Platz ist. Toiletten, Waschgelegenheit? Gibts nicht. Landstrom? Auch nicht. Wasser? Da bringt Kostas einfach seinen schönen blauen Schlauch und schließt ihn irgendwo an einer geheimen Öffnung an, die nur er kennt. Duschen? „Use the shower of your boat“, sagt George, der aussieht wie Kojack und mit seinem Boot neben mir liegt. Sportboot-Marina la-Spetses: Die Fischerboote liegen in zwei, drei Reihen links an der Mole. Und LEVJE wird irgendwo vorne am Molenkopf reingequetscht. Nach zähem „den-armen-Kostas-nerven“ habe ich es auch geschafft, eine von Kostas drei Murings zu ergattern. Denn meine Ankerwinsch will nicht mehr, wie ich will, und um sie zu reparieren, brauche ich einen sicheren Halt. Und für den Morgen ist Starkwind im Hafen angesagt.
 
Und weil das Leben auf Spetses ja voller Überraschungen ist, drum dirigiert Kostas eine der am Abend hereindrängenden Superyachten dahin, wo ja eigentlich nun überhaupt kein Platz mehr ist: Nämlich im Foto oben genau rückwärts an die Spitze seines Molenkopfes.
 

Also liegt plötzlich die BILMAR Zentimeter neben LEVJE. Der Auslass der sirrenden Klima-Anlage ist so groß wie LEVJEs Fock. Ich schaue die stählerne Wand drei Stockwerke hinauf, auf die Brücke. Die BILMAR: 376 Tonnen Gewicht (LEVJE: 3,76 Tonnen), 43 Meter Länge (LEVJE: 9,40 Meter) und 10 Meter Breite (LEVJE: 3,05 Meter), der Eigner der BILMAR ein echt chicer Endfünfziger im feschen Marine-Style (LEVJE-Eigner: steht gerade halbnackt auf der Pier, duscht aus seinem Wasserkanister, die Shampoo-Flasche knallt zum dritten Mal aufs Pflaster).

Vielleicht ist dies ja der Zauber von Spetses, oder einer davon: Reich und arm. Eng beieinander. Zumindest für ein paar Wochen im August.

 

Die vergessenen Inseln: Monemvasia. Am Tag.

Übers Meer sind es nach Monemvasia nur drei Stunden vom Ak Maleas, dem Kap der Stürme, der Südost-Spitze des Peloponnes. Und von Kithira im Süden acht. Und von Kreta 18. Monemvasia, der Felsen mitten im Meer mit der Stadt, über den ich gestern schrieb, liegt günstig, gleich ob man von Ost nach West oder Nord nach Süd will. Entsprechend groß ist auch der Traffic auf dem Meer. Tanker die kreuzen. Containerschiffe, die am Ak Maleas den Kurs ändern, Kreuzfahrtschiffe auf dem Weg vom Bosporus nach Olympia. Es lohnt sich, an dieser Ecke die App von MARINETRAFFIC laufen zu lassen, um auf dem iPAD zu sehen, wer da gerade wohin will, um zu vermeiden, dass LEVJE und ich gerade dumm im Weg irgendeines dahinrauschenden Ozeanriesen herumstehen.

                                                          Weiterlesen bei: Monemvasia. Die Nacht am Meer. Hier.
                                                          Weiterlesen bei: Kithira. Wo Aphrodite dem Meer entstieg. Hier.

Der Fels von Monemvasia: Keine zwei Kilometer lang und wohl nur ein Viertel so breit. An der Südseite, wo der Hang mit 45 Grad ins Meer abfällt: da bauten die Byzantiner ihre Stadt, die an dieser Stelle sicher nicht die erste war. Und sie nannten sie „Moni Emvasi“, „Einziger Zugang“, denn auf die Insel kam man nur über eine 14bogige Brücke, ich schrieb im gestrigen Beitrag darüber.

Vom Meer hinauf zur Felswand sicherten sie ihre Stadt „Moni Emvasi“ mit Stadtmauern, die steil vom  Meer hinaufsteigen. Und ganz oben, auf der Krone, dem Plateau des Felsens, mit einer Festung, die nur über einen einzigen Weg zugänglich ist. Und wüßte ich nicht ganz genau, dass „Helm’s Klamm“ in Tolkien’s HERR DER RINGE ganz woanders liegt: Ich würde hier, genau hier denken: Ich stünde davor, so verschlungen, so verschachtelt, so uneinnehmbar mutet auch heute noch der Zugang an.

Eine Weile war „Moni Emvasi“ Dreh- und Angelpunkt in den Plänen der frühen Byzantiner, das römische Reich zurückzuerobern von den Horden der Völkerwanderung, denen kein Limeswall und kein Alpenkamm zu hoch war, um nicht aus allen Ecken über das römische Europa hereinzubrechen. Was den Peloponnes, was Süditalien anging, gingen diese Pläne zunächst auf. Aber bald war Byzanz zu kraftlos, geschwächt in innere Zwistigkeiten verstrickt und konnte nicht einmal Monemvasia vor weiterer Verwüstung und Verheerung bewahren. Die Stadt war auf sich allein gestellt, bis sich Venedig der Felseninsel im 13. Jahrhundert annahm, nicht uneigennützig, wie immer, und nur bedacht, was sein Reich auf dem Meer, den „Stato da Mar“ von der Adria bis zum Bosporus mehren und sichern könnte.

Die Stadt unter dem rötlichen Felsen gedieh. Monemvasia verlieh dem wichtigsten Mittelalterlichen Wein seinen Namen, er hieß  nur „Malvasier“, weil er hier verladen und nach Nordeuropa verschifft wurde. Venedig baute Kirchen in Monemvasia, noch heute steht fast eine an der anderen und sei es nur als Ruine. Selbst, als die Stadt dann öfter den Besitzer wechselte und von den Venezianern an die Türken und von den Türken wieder an die Venzianer und wieder zurück ging: die Kirchen blieben, als wollte man den heidnischen Geist ausräuchern an jeder Ecke mit Weihwasser und Weihrauch und Sanctus.

Monemvasia: ein Ort der verwinkelten Gassen, in denen man sich leicht zurecht findet, weil die Stadt auf steilem Grund steht: Der Stadtplan kennt nur „nach rechts“, „nach links“, „nach oben“, „nach unten“: ein Labyrinth, das keines ist, die winkeligen Wege führen von Kirche zu Kirche. In der kleinen Basilika sitze ich ein Weilchen. Es war ein traumhafter Moment letztes Jahr: Die alte Küsterin, die die abgebrannten Bienenwachskerzen einsammelte, summte leise, leise einen gregorianischen Choral, ein leises Summen, das im Tonnengewölbe hallte, der Schlag eines Schmetterlingsflügels hier in der Kirche gegen den Lärm der Welt. Wenn ich ehrlich bin: wollte ich ja nur das wieder erleben. Aber wir sind ein Jahr weiter. Die Welt: Sie ist nicht stehengeblieben, sie hat sich weitergedreht. Statt der alten Küsterin ist es nun eine junge Frau, die die Bienenwachs-Kerzen, kaum dass sie entzündet, wieder herausnimmt und wegwirft. Als ich sie frage, nach der alten Frau, mehrfach, versteht sie mich nicht. So bleibt mir nur, für die alte Küsterin mit dem Choral zu beten, dass die Welt es gut gemeint hat mit ihr.

Und vielleicht ist es ein bisschen so auch mit Monemvasia heute: Die Stadt, sie verjüngt sich ständig. Der gelungene Relaunch einer Stadt, die noch vor 40 Jahren von Altern und Aussterben bedroht war, weil gerade noch ein paar Handvoll Leuten in den alten Mauern lebte. Heute: Einladende Hotels, kleine Bars, alles geschmackvoll, selbst die Kreuzfahrtschiffe ankern wieder auf der Reede und bringen mit kleinen Rettungsbooten im Pendelverkehr ihre Gäste an Land, auf die Felseninsel.

Mich aber treibt es aus den Mauern hinaus, auf abgelegene Wege, uralt, von wem auch immer zwischen den Felsen mit Meisseln hindurch geschlagen. Es ist ein alter Weg, der aus dem westlichen Stadttor genau unter dem Felsen entlang in die Abendsonne führt. Wieder einmal streift mein Fuß über Unmengen von Tonscherben, 1.500, 2.000, 3.000 Jahre, die da vor mir auf dem heute selten benutzten Weg liegen.

Der felsige, alte Weg im Abendlicht, hoch über dem Meer, ich könnte ihn ewig gehen in meinen Flipflops im Licht des Abends. Und bevor ich jetzt schon wieder in Jubel ausbreche: Wie schön die Felseninsel im Licht der untergehenden Sonne aussieht, verweise ich jetzt einfach auf meinen letzten Post. Denn der handelt ja nur von einem: Wie sie aussieht, die vergessene Insel: Wenn die Nacht hereinbricht. Über Monemvasia.


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Vom Autor von MARE PIU: 

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Die vergessenen Inseln. Monemvasia. Eine Nacht am Meer.

Zu den schönsten unter den vergessenen Inseln gehört ganz sicher Monemvasia vor der Ostküste des Peloponnes. Ein Felsen, der im Meer liegt, an den sich eine mittelalterliche Stadt schmiegt, jahrhundertelang nur erreichbar über eine Brücke, deren Mittelteil aus Holz bestand und das die Einwohner im Gefahrenfall einfach hochzogen. Und damit war die Insel – wieder eine Insel.

 

Das ging so, bis die Insel um die Jahrhundertwende verwaiste. Und 1971 gerade noch 31 Einwohner zählte. Heute ist Monemvasia wieder „in“: Cafes, Galerien, Tavernen haben in den alten Mauern geöffnet, die Straße entlang des Felsens hoch zur autofreien Stadt ist vollgeparkt bis in die Nacht. „Wir sind nichts ohne ihn“, sagt die Besitzerin der Taverne, die eigentlich aus Kanada stammt, aber seit Jahren hier in der Heimat ihrer Eltern glücklich ist, und deutet mit dem Kopf hinüber ins Dunkel zum Felsen, zur alten Festung von Monemvasia.

Womit wir dann auch beim Thema wären: Der Nacht über Monemvasia. Wenn die Sonne hinter den Bergen des Peloponnes versinkt, dann werfen die Berge ihre Schatten auf den Felsen von Monemvasia. Sie klettern höher und höher am Felsen von Monemvasia, bis die Insel schließlich vollkommen im Dunkel liegt.

Das geht ganz schnell – es dauert keine halbe Stunde vom ersten Schatten am Fuß des Felsen bis zum letzten Zipfelchen Abendröte oben.

Wenn die Nacht fällt, im Sommer, am Meer: Das ist kein gleichmässiges Verdunkeln des Himmels, wie wenn man eine Lampe herunterdimmt. Dämmerung – das ist ein Theaterstück in mehreren Akten. Da gibt es schnelle Akte und dramatische. Und langsame.
Schnell liegt der Felsen im Schatten. Aber dann liegt er lange, lange im Abendlicht, ein schartiger Klotz vor hell erleuchtetem Abendhimmel, während unten, in den Häusern, die ersten Lichter angehen.

 

Vielleicht ist dies das Beständigste an einem Sommerabend am Meer: Wie lange der Himmel sich in Helligkeit hüllt. Kein schnelles Fallen des Dunkels, als ob die Welt unter ein großes Handtuch geriete. Der Himmel: er bewahrt lange, lange sein Leuchten, auch wenn der Rest schon im Dunkel liegt.

 

Und dann, irgendwann: geht alles doch ganz schnell: Das Licht des Tages schwindet. Die Lichter der Nacht kommen: Die Lichter des kleinen Vorortes, die Lichter der Tavernen, die die Nacht zum Tag machen und die der Fels und das Meer von Monemvasia begierig spiegeln, fast wie ein Feuer. Und: die Sterne im tiefen Dunkelblau über uns.

Die Nacht am Meer: Ein Schauspiel.