Kategorie: Mare Più

GEWITTERSEGELN im Fernsehen: Am kommenden Dienstag, 13.10.2015 ab 19.00 Uhr in hr-Fernsehen.

Am kommenden Dienstag um 19 Uhr und hoch über den Dächern der Frankfurter Buchmesse: Moderator Thomas Ranft wird in seiner Sendung ALLE WETTER! in hr-Fernsehen das Buch GEWITTERSEGELN im Live-Interview mit mir vorstellen.

Nur selten habe ich in den vergangenen 30 Jahren die Frankfurter Buchmesse versäumt. Unter allen Messen, die mein Beruf im Verlagswesen im Lauf der Zeit mit sich brachte – und das waren viele – blieb die Buchmesse mir über lange Jahre die liebste. Viele viele Jahre und lang vor dem Internet war sie der Ort, an dem man als Verlagsmensch zeigte, was man unter großen Mühen in den vergangenen 12 Monaten an Büchern auf die Beine gestellt hatte. Und von denen, die Bescheid wissen, wie das ist, ein bisschen Lob oder im schlimmsten Fall Kritik bekam.

Die Eröffnung der Buchmesse 2015 am kommenden Dienstag werde ich in diesem Jahr anders als in früheren Jahren erleben: Als Interview-Gast in der Fernseh-Sendung von ALLE WETTER!-Moderator Thomas Ranft (links) im 54. Stock des Maintower im HESSISCHEN RUNDFUNK. Während am Dienstag Abend in den Hallen unter dem Messeturm noch Verlagsstände bestückt, Bücher über Bücher in Ausstellungsregale gestapelt und zum dritten Mal Regale umsortiert werden, werde ich wie der Gesprächspartner im Bild oben etwas erzählen: über unser Buch GEWITTERSEGELN. 

Für unseren Verlag millemari., der noch keine 10 Monate alt ist, eine echte Auszeichnung für dieses ungewöhnliche Buch, in dem 40 Segler ihre Geschichten erzählen, was sie auf einem Segelboot mitten im Gewitter auf dem Meer erlebten, was sie in dieser Extremsituation empfanden.

Ich bin sehr gespannt, wie das sein wird. Gewitter auf dem Meer habe ich viele erlebt: Schnelle und langsame, friedliche und biestige, harmlose und solche von heftiger und zerstörerischer Kraft. Daran gewöhnt habe ich mich nie, denn jedes Gewitter ist anders – und vielleicht ist das auch eine der vielen Lehren aus den 40 Stories, die unser Buch GEWITTERSEGELN so eindringlich wie eindrucksvoll versammelt. Und lesenswert macht. Ich hoffe sehr, dass ich stellvertretend für die 40 Segler, die Autoren genau dies in der Sendung ALLE WETTER! so rüberbringen kann, wie sie es spannend im Buch erzählen.

                       Wer die Sendung am kommenden 13.10 versäumt: Hier kann man den Mitschnitt sehen.
                       Weiterlesen über Gewitter hier auf MARE PIU: Ist es gefährlich, im Gewitter zu segeln? Hier!
                       Wer MARE PIU auf der Buchmesse erreichen möchte: Wir sind bis Freitag, 16.10. dort.  Einfach das Kontaktformular rechts außen benutzen.


40 Segler berichten ihre Erfahrungen.
In 8 Revieren.
Auf 272 Seiten.
Mit über 100 Fotos.
Mit mehr als 100 Learnings über richtiges Verhalten im Gewitter.

Mehr erfahren? Bestellen und gleich lesen: Hier!

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Mare Piu macht einen Film über Segeln. Und er ist soeben erschienen.

Irgendwie ist dieser Traum so alt wie mein Traum vom Segeln. Kaum dass ich die ersten Male auf dem Meer war, wollte ich über meine Begeisterung fürs Segeln einen Film machen. 2002 trabte ich los und kaufte mir eine Videokamera. Delphine vor Korsika, die über 10 Minuten im Bug unserer JUANITA mitschwammen, filmte ich. Die ersten Aufnahmen vom Segeln mit zittrigen Knien im Starkwind nördlich Korsika. Aber daraus wurde nichts. 

Irgendwie wollte ich immer davon erzählen, wie es ist, auf dem Meer zu sein. Wie es ist, die Segel zu setzen. Wie es ist, draußen zu sein, auf der Überfahrt von Südfrankreich nach Calvi. Wie es ist in der Nacht auf dem Meer. Wie es sich anfühlt, wieder sicher im Hafen zu sein. Und jetzt ist es soweit: Auf meiner Reise von München nach Antalya entstanden in Italien, Griechenland, Türkei über 1.000 Videoszenen, im Kopf habe ich im vergangenen Jahr ständig an dem Projekt gearbeitet. Bin mit Kameramann Stefano Weber und Susanne im Mai diesen Jahres in die Türkei geflogen, für weitere Aufnahmen.

Den Film jetzt herzustellen hat aber noch mehr Spaß gemacht, als ich das erwartet hatte. Und das hat mit den Menschen zu tun, die ich für die Mitarbeit an diesem ersten Filmprojekt begeistern konnte. Meiner Verlagspartnerin Susanne, von millemari., die sich nach den ersten Videoschnippseln im Herbst sofort für das Projekt begeisterte und die Produktionsleitung übernahm. 
Stefano, der mich mit seinen Kameras eine Woche segelnd von Marmaris bis Rhodos filmend begleitete. 
Manu und Jan von MUSICNSTUFF, die mich für ein langes Wochenende in ihr Tonstudio in Olching ließen und mich in der Kunst des Vorlesens unterrichteten. 
Marco, der die Aufnahmen als Tontechniker begleitete. 
Und ganz besonders Felix von der Münchner EMMAFILM, der sich mit Susanne und mir mehrere Wochenenden um die Ohren haute und mit Herz & Hirn und Know-How den Film erst zu dem machte, was er geworden ist: Etwas, was vom Meer, den Menschen, den Ländern dort erzählt, wie ich immer vom Meer erzählen wollte.

Und jetzt?
Wir sind fast fertig mit den Arbeiten. 

Der Trailer für den Film ist fertig. Und er ist er unserer Homepage www.millemari.de zu sehen.

Und jetzt, während ich hier auf Kithira, Monemvasia, Spetses auf LEVJE sitze: Schreibe und filme ich bereits wie ein Besessener. Für meinen zweiten Film, der im Frühjahr 2016 kommen wird.

Aber jetzt hoffe ich erstmal, mit meinem Film nicht nur meinen Nerv und den meines Teams getroffen zu haben: Sondern auch den Nerv der Menschen, die das Meer lieben. So wie wir.

Grüße von LEVJE aus Spetses
Thomas

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Soeben erschienen vom Autor von Mare Piu: 
Ein Film darüber: Was Segeln ist.


                         Als Download und auf DVD: € 19,99

Was passiert, wenn das Leben die gewohnten Bahnen verlässt? 
Was geschieht, wenn man sich einfach aufmacht und fünf Monate Segeln geht? 
Darf man das? Und wie ändert sich das Leben?
Der Film einer ungewöhnlichen Reise, der Mut macht, seinen Traum zu leben.

Mehr erfahren. Filmtrailer ansehen. Bestellen. Hier.

Der Film entstand nach diesem Buch: 
Geschichten über die Entschleunigung, übers langsam Reisen 
und die Kunst, wieder sehen zu lernen
Einmal München – Antalya, bitte. 
Das Buch: Mehr erfahren: Hier.

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Heute in Griechenland (12): Bäcker, Bus und Krise.


Die Marina von Agios Nikolaos auf Kreta: Wer vom Boot geht, findet gleich außerhalb der Marina zwei Strände. Leben in Griechenland: Wie fühlt sich das an für einen Reisenden?

In einem früheren Post schrieb ich über das Busfahren in der Türkei. Und darüber, wie viel eine Gesellschaft in ihren Bahnhof, an denen Reisen stattfindet, über sich selbst verrät. Wie sie sich organisiert. Wie sie funktioniert. Was wichtig ist.
Also los: Heute in Griechenland – mit dem Bus von Agios Nikolaos nach Heraklion.

                                                                          Weiterlesen bei: Mit dem Bus durch die Türkei. Hier.          

Früh am Sonntag Morgen verlasse ich die Marina von Agios Nikolaos auf Kreta. Der einsame Schrei einer Möwe im gleissenden Sonnenlicht, sonst nichts. Selbst die Fallböen, die immer über die Marina hinwegfauchen, sie haben sich an diesem Morgen noch einmal schlafen gelegt. Ich gehe durch das fast menschenleere Agios Nikolaos – ein paar Alte, wie immer, im Cafeneion an der  Straßenkreuzung vor der Marina, auf ihre Stöcke gestützt, vor ihrem Kaffee. Ein Pizza-Lieferant auf einem Mofa, der den Hügel hochknattert.  

Nur der Bäcker hat schon geöffnet, die Türen sperrangelweit auf, es riecht verführerisch, als hätte er gewusst, dass ich derlei willenlos ausgeliefert bin und nicht anders kann, als meiner lebenslangen Leidenschaft für die Bäckersfrau nachzugeben. „Was kauf ich mir?“ Es tut nichts, dass die Bäckersfrau in diesem Fall ein Kerl ist, es tut fast nichts, dass sie frisches Brot erst in zehn Minuten aus dem Ofen holen. Denn: ist gibt:
Warme Blätterteigtaschen, mit Schafskäse und Nüssen gefüllt. 
Heiße Käse-Stängelchen mit Sesam. 
Trockene Knabberstangen mit Karottengeschmack. 
Süßes Mürbgebäck in achterlei Sorten, der Bäcker hat sofort erkannt, dass ich ihm wehrlos gegenüberstehe – und läßt mich zwei probieren. Nein, heute lieber salzig. Da können die daheim schreiben, was sie wollen: die Krise hat den Bäcker von Agios Nikolaos auf Kreta noch nicht erreicht. Nur mit dem Wechselgeld herausgeben: da hapert es. Der Bäcker muss schon lang kramen und drei mal seine Bäckersfrau anrufen, die sich wie eine Gottheit irgendwo in hinteren Räumen birgt. Und drei mal ungeduldig zurückkeift.

Frohen Mutes überlasse ich den Bäcker seinem weiteren Schicksal …

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Soeben erschienen vom Autor von Mare Piu: 
Ein Film darüber: Was Segeln ist.


                         Als Download und auf DVD: € 19,99

Was passiert, wenn das Leben die gewohnten Bahnen verlässt? 
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Geschichten über die Entschleunigung, übers langsam Reisen 
und die Kunst, wieder sehen zu lernen
Einmal München – Antalya, bitte. 
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… und stapfe mit einer großen Tüte hügelan, Richtung Busbahnhof. Aber der ist heute nicht da wo er sein soll, da die Straßen leer sind, kann ich auch niemand fragen, kein Schild weist mir den Weg. Also stapfe ich weiter den Hügel aufwärts, am Krankenhaus vorbei, zum Kreisel, rechts oder links? Ich entscheide mich für links, nach fünf Minuten deutet der Besitzer des Lebensmittel-Ladens nach hinten, dorthin: wo ich herkam. Also zurück zum Krankenhaus. Eine alte Frau, in tiefes Schwarz gekleidet, weist lamentierend ins Krankenhaus hinein, als ich nicht gleich folgsam bin, läuft sie weiter hinter mir her, bis sich hinter mir zischend die Schiebetüren des Krankenhauses schließen. Nein, hier wollte ich nicht sein. Links Chirurgie, rechts Frauenheilkunde, ich such‘ doch nur den Busbahnhof? Aber die Entschlossenheit der Frau in Schwarz tut ihre Wirkung, ich lasse mich nicht verunsichern und schreite einfach an allen Wegweisern vorbei. Und komme zum Ausgang. Der Pförtner blickt mich verschlafen an, tippt mit dem Finger der linken Hand müde fünfmal in die Luft, Richtung Ausgang. Als ich nach der „Bus-Station“ frage, erhalte ich ein mattes „Left. Left.“ Noch zwei Mal muss ich fragen, obwohl der Busbahnhof nur 50 Meter entfernt ist. Er hat sich gut versteckt, in einer Seitenstraße.

Und schon bin ich drin. Hinter dem Schalter drei Männer, zwei davon beschäftigen mit etwas, was aussieht wie ein Lottozettel, aber vermutlich ein neues Formular ist, das sich die griechische Bürokratie letzte Nacht ausgedacht hat. Ich stehe drei Minuten vor den beiden am geöffneten Schalter, nur einmal schaut einer von den beiden kurz auf, nimmt mich wahr wie ein Insekt, das gerade vorbeifliegt. Bis sich der dritte am anderen Schalter meiner erbarmt. Leider habe ich nur einen Zwanzig Euro-Schein dabei, ich fürchte das Schlimmste, dass er mir auf die 7 Euro nicht herausgeben kann, von wegen „den Händlern geht wegen der Bankenkrise das Kleingeld aus.“ Doch diesmal ists genau anders herum: Der Mann hinterm Schalter hat keine Scheine. Dafür aber jede Menge Kleingeld. Und die zählt er mir jetzt vor. Die Krise, sie treibt an jedem Baum andere Blüten.

Mein Bus rollt ein. Das modernste vom Modernen aus deutscher Produktion, genauer: der Stuttgarter Nutzfahrzeug-Sparte, vollklimatisiert, mit Toilette, die geschlossen ist und Video-Screens über den Sitzen, die nichts anzeigen. Außer, dass sie mit einem Zettel beklebt sind, der sinnig ausgerechnet darüber informiert, dieser Platz sei „under video control“. Mich beschleicht der Gedanke, dass vielleicht ja doch etwas dran sein könnte an der These von Mikhalis Farsaris, dass die EU in Griechenland nicht fair spielen würde, sondern die in Griechenland tätigen EU-Mittler ganz eigenen ökonomischen Zielen nachjagen würden. „Lobby-Arbeit“, nannte er es, und lächelte traurig. Oder ist es wieder einmal die deutsche Wirtschaftsmaschinerie, die einfach dort, wo EU-Gelder reichlich fließen, mit Know-How und richtigem Vertriebshändchen die richtigen Entscheider zu richtigen Produktentscheidungen motiviert?

                                       Weiterlesen: Was der Manager sagt. Interview mit Mikhalis Frasaris. Hier.
                                       Weiterlesen: Was die Sozialarbeiterin sagt. Hier.

Endlich im Bus, freue ich mich auf meine Tüte vom Bäcker. Die Blätterteigtasche, die mit dem Schafskäse und den Nüssen, fühlt sich noch warm an, als ich sie in die Hand nehme. Vorsichtig wickle ich eine Serviette drumherum, will gerade hineinbeissen: da steht der Ticketcontroller vor mir: „Its forbidden to eat in the bus“, sagt er staubtrocken, und deutet auf MEINE Tüte. 
„Und was ist, wenn jemand vor Hunger stirbt im Bus?“, frage ich ihn. 
Aber er bleibt kalt. „It’s a rule“, sagt er, und ich kaue schon auf einem Wortpfeilchen mit der Aufschrift „Von Schäuble?“ herum. Aber ich lasse es. Griechische Bürokratie, die Menschen das Essen während einer Busfahrt untersagt.

Und so rollt der Bus langsam die zwei Stunden Richtung Heraklion, er füllt sich mehr und mehr, nicht mit Griechen. Dafür aber mit: Israelis, Holländern, Russen, Engländern. Solange, bis die Menschen im Durchgang des Busses stehen und sitzen. 

Nein. Irgendwie ist sie nicht sichtbar, die Krise. Und doch ist sie da, die Krise: Als Kampf im Alltag, als lähmender Dauerzustand eines Landes, das sich auch mit noch so viel Geld-Infusion nicht berappeln wird. 
„If we want to make revolution: we first have to change ourselves“, sagt Mikhalis Farsaris. Und mit diesem Satz liefert er vielleicht das beste Summary aus meinen bisherigen Interviews und Geschichten unter dem Titel HEUTE IN GRIECHENLAND.

                                        Weiterlesen bei: Warum Despina kein Geld von mir nimmt. Hier.
                                        Weiterlesen bei: Warum der Doktor eine Arche baut. Hier.

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Vom Autor von MARE PIU: 


Ein Mann verliert seinen Job.
Aber statt zu resignieren, begibt er sich einfach auf sein kleines Segelboot.
Und reist in fünf Monaten: Von München nach Antalya.
Mehr erfahren: Hier.


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Die vergessenen Inseln: Gramvousa.

Am Morgen verlasse ich Kissamos. Und hätte ich diese Fahrt nach Gramvousa nicht gemacht: Ich würde sie mein Leben lang vermissen.

Der Tag ist windstill und lautlos, und im Licht der aufgehenden Sonne hole ich LEVJE’s Anker an Bord und motore leise aus dem Hafenbecken nach draußen, um nur ja die großen Ausflugsschiffe nicht zu wecken. Kissamos: ein Hafen nur dazu da, um Menschen auf eine vergessene Insel zu bringen. Für einen Tag. Jeden Tag sind es mehrere Tausend, die die großen Ausflugsschiffe, die GRAMVOUSA, die GRAMVOUSA EXPRES, die SPIRIT OF ATHOS und andere von Kissamos zu den einsamen Inseln im äußersten Nordwesten Kretas bringen und wieder zurück bringen. Eine Insel für einen Tag.

LEVJE schnürt leise nach Norden. Ich habe es nicht eilig, es sind ja gerade mal eineinhalb Stunden Fahrt nach Gramvousa Imeri, dem „zahmen“ Gramvousa im Gegensatz zur Schwester „Agria“ Gramvousa, die noch weiter draußen liegt, nach Norden zu, da, wo nichts mehr ist außer Salzgischt und scharfkantigem Fels. Langsam gleiten wir durchs tiefblaue Spiegelglatt, ein sattes Blau an den ungeheuren Felswänden entlang, die daliegen, als wären sie Gottes großes großes Buch, eine Landschaft, in die er hineinschrieb, was ihm gefiel und in dem er wegließ, was ihm nicht gefiel. Ein ausgetrocknetes Kar, das ihm wichtig war, und das sich den Hang hinaufzieht, ausgewaschen von jedem Platzregen um einen weiteren Millionstel Millionstel Millimeter. Eine Linie in der rotbraunen Felswand, die – soweit mein Auge reicht – wie mit einem Lineal etwa zehn Meter über der Wasserlinie läuft: Der alte Pegel des Meeres, ausgewaschen von Jahrmillionen an liegender Wellenplätschern, kleinen Holztrümmern, Planzenresten, was eben mit den Wellen schwimmt, wenn sie ans Land schwappen, Eine Linie, dunkel eingekerbt in die Felswand, soweit ich schauen kann, vielleicht der Wasserstand des Meeres, bevor ein Erdbeben genau diese Ecke Kretas vor nicht allzulanger Zeit einfach anhob um zehn Meter, so mirnichts, Dirnichts?

Ein riesige Höhle geformt wie ein fallender Mond, wohl Hundert Meter breit, in das ebenmäßige Gestein der Felswand hineingepunzt, der scharfe Abdruck eines überdimensionalen Stechbeitels in weichem Teig, welche geologischen Urzeit-Kräfte lassen denn soetwas werden? Eine Landschaft voller unentzifferbarer Hieroglyphen, Merkzeichen, Krakel, Schraffuren, in der nur eines fehlt: der Mensch. Und wenn er da ist: dann nur dazu, um mit einem winzig kleinen Haus über der Höhle des Halbmonds zu zeigen: wie riesig die doch eigentlich ist, wie großartig diese Landschaft. Und wie klein der Mensch darin. Eine Landschaft wie ein Buch. Nur mit sieben Siegeln, fremd und urzeitlich und schön und schaurig.

Als ich die äußerste Nordwest-Ecke Kretas dann runde und LEVJE nach Süden steuere, dies: Vulkanisch scharfe Felskanten, messerscharf geschliffen von den Wellen. Urzeitliche Berge. Und ein ebenmäßiger Kegel, der dahinein aufsteigt, wo sich erneut Gewitterwolken ballen am heutigen Tag. Ein Kegel, der mich erinnert an eine Segelreise den ganzen Antillenbogen entlang vor vielen Jahren, an die beiden Pitons auf St.Lucia, an Schwefelbäder vor dem „Gros Pitons“ und dem „Petit Piton“, Vulkankegel beides und vielleicht auch der, der hier vor mir liegt, am Horizont. Auf der anderen Seite an Steuerbord erhebt sich Gramvousa selber: ein langer langer Tafelberg aus rötlichbraunem Gestein, ein Plateau, am südlichen Ende mit einer Erhebung, auf der ganz, ganz oben allen menschlichen Unmöglichkeiten trotzend eines thront: die Festung Gramvousa, am Ende der Welt.


Es ist früher Nachmittag geworden, als ich staunend in den Flachwasser-Naturhafen vor Gramvousa einlaufe. Die Bucht: sie ist voll. Die GRAMVOUSA EXPRES hat mich genau an der Nordspitze überholt, in der weiten Bucht festgemacht und entläßt ihre Kinder durch die geöffnete Bugklappe. Es ist voll am Strand und den Hang hinauf zur Festung, also ankere ich weiter östlich, da gibt es nochmal eine Bucht mit einem kleinen Sandstrand unter Agavenbewuchs, da bin ich allein. Ich lasse LEVJE’s Anker fallen und bringe eine Heckleine aus, die Bucht ist klein, vielleicht sucht ja noch jemand Platz, und wenn ich mich mit der Heckleine zum Land ziehe, reicht es. Auf dem Felsen gegenüber liegt etwas, was aussieht wie ein Kadaver, der mannsgroße Kadaver eines Wesens aus dem Meer, das ich nicht entziffern kann. Auch mein gutes Fernglas hilft mir nicht weiter: Der Kadaver liegt auf einem Felsen nur einen halben Meter über dem Meer, ein dicker schwarzer rundlicher Körper, aus dem hinten zwei ewig lange, spindeldürre Beine heraus ins Wasser ragen. Gebiert das Meer Wesen, menschenähnlich, die wir noch nicht kennen? Gibt es etwas, was dort unten lebt, menschenähnlich, uns wohlgesonnenen, was wir nicht kennen, was gelegentlich aufsteigt, hochkommt und tot ans Land gespült wird?  Wieder und wieder schaue ich durchs Fernglas hinüber und kann doch den toten Leib nicht identifizieren mit etwas, das ich kenne. Als ich mit meiner Arbeit fertig bin und sorgfältig mit dem Dinghi meine verknoteten Landleinen erst zum Land und LEVJE dann daran hinübergewinscht habe, beschließe ich, nachsehen zu gehen, und rudere mit dem Dinghi hinüber. Eine riesige tote Schildkröte ist es, zu Lebzeiten ein Prachtexemplar, 100 Jahre alt und 100 Kilo schwer, jetzt ein Kadaver. Ein altes Tier, und was ich aus der Ferne für einen menschlichen Leib hielt, ist ihr Panzer, von dem der Wind jetzt die rottende äußere Hülle flappen läßt. Und was ich für die spindeldürren Beine des Wesens hielt, sind ihre ewig langen Vorderflossen, die vom Felsen herab ins Wasser hängen. Sie hat es nicht mehr geschafft, zurück in ihr Element, dem sie entstiegen ist, wohl zur Eiablage auf den Strand von Gramvousa. Und als sie erschöpft über Strand und Sand und Steine und Scherben und Felsbrocken zurückkroch, den schweren Panzer über die riesigen scharfkantigen Felsen ziehend, ging ihr die Kraft aus. Sie blieb einfach liegen, kraftlos, fünfzig Zentimeter vom rettenden Meer entfernt, verdurstete, vertrocknete, aushauchte ihr langes Leben, hier auf diesem Felsen endete es.


Langsam lasse ich mich im Dinghi vom Wind zurücktreiben von der Schildkröte zu Levje. Es ist Abend geworden, unter der Festung Gramvousa. Tönend haben die Ausflugsboote ihre Besucher zur Heimfahrt gemahnt, der Hang über dem Hafen, der steile Trampelpfad: er ist nun leer. Ich verhole LEVJE nun von meinem Platz und wir tuckern langsam hinüber, in die Bucht, wo außer mir nur noch ein Segler ankert. Ein Pärchen, das mit einem kleinen blauen Segelboot noch schnell in die Bucht hereinkommt. Ich packe meinen Rucksack, klettere in mein Dinghi und rudere hinüber, zur Insel, mit gleichmäßigen Ruderschlägen. Eine kleine Kapelle, am Fuß des Hügels, in der ich zwei Kerzen entzünde. Die letzten Wanderer, die von der Festung herunterkommen. Schreiende griechische Kinder mit ihren ebenso schreienden Eltern. Und über mir: der Schatten der Festung. Der Weg ist steil und steinig, öfter Felsbrocken im Weg, wieder einmal wundere ich mich, wie das gehen konnte, an diesem entlegenen Ort auf dieser entlegenen Anhöhe eine Festung zu bauen, Stein für Stein, Sack Mehl für Sack Mehl, Pulver, Nauholz und Balken dort hinaufgeschafft zu haben, immer wieder. Wieder einmal denke ich an das düstere Kapitel dieses beeindruckenden Bauwerks: dass dies zu errichten und zu unterhalten nur mit Zwangsarbeitern möglich war. Menschen aus aller Herren Länder, verschleppt, versklavt, zur Zwangsarbeit gepresst und für die fast fünfjährige Bauzeit der Festung hierher verschleppt. 

Es musste schnell gehen. Und wie man es schafft, das rieisige Bauwerk in nur fünf Jahren hochzuziehen, ist unbegreiflich. Während ich in der leerer Festung herumstreife, finde ich hallengroße Zisternen im Boden, in denen Trinkwasser gesammelt wurde. Ebenen, auf denen wahrscheinlich Obst, Getreide angebaut wurde. Gepflasterte Wege, um möglichst schnell Geschütze in Bastionen rollen zu können.

Der Bau wurde begonnen, wenige Jahre nach dem Venedig Zypern an die Türken abgetreten hatte und klar war: Eine Invasion der Türken auf Kreta war nicht mehr eine Frage des „ob“, sondern des „Wann“. Die Aggression war unübersehbar, und beide Seiten betrieben sie, Venedig vielleicht mit mehr Doppelzüngigkeit. Gramvousa war nur eine der Festungen, mit denen Venedig seine Besitzungen auf Kreta zu schützen gedachte. Man findet die anderen, wenn man an der Nordküste Kretas entlangsegelt, aufgereiht wie Perlen auf einer Schnur: Chania, Rethymno, Soudha, Candia (das heutige Iraklion), Spinalonga. Und die westlichste davon: Gramvousa. Die Augen Venedigs nach Norden, hinaus auf die Straße nach Kithira, dahin, wohin auch ich jetzt schaue, hinüber nach „Agria Gramvousa“ der wilden Insel die flach im Meer liegt und irgendwie fast zu schweben scheint an diesem Abend.

Ich streife durch die menschenleere Festung an diesem Abend, staune über die massiven Wälle, von denen es fast senkrecht hinuntergeht über 100 Metter in die Bucht, in der LEVJE friedlich schaukelt. Ich sehe die Initalen in der Kirche der alten Festung. Die Apsis, eine Seite ist eingestürzt, trotzdem kommen die Bewohner von Kissamos einmal jährlich hierher und feiern hier oben in der halbverfallenen Kirche einen Gottesdienst. Ich sehe die Tonscherben auf den Wällen, von Venezianern, von Türken, von griechischen Piraten, die während des Freiheitkampfes gegen die Türken für ein paar Jahre besetzt hielten und sich von Überfällen auf vorbeiziehende Schiffe buchstäblich über Wasser hielten. Ich sehe die Reste des weißen Markuslöwen aus Marmor, unten vor dem Tor. Was der nicht schon alles gesehen hat.

Und heute Abend? Da gehört die Festung Gramvousa, den Tieren, die auf der Insel leben. Den Kaninchen, die fast müde vor mir weghoppeln. als ich durchs Tor nach draußen schreite. Den Ziegen, die sich auf meinem Weg hinunter nicht storen lassen beim Abweiden der mageren Büsche. Und dem Nachtvogel, dessen unterdrückter Schrei mich aus der Felswand heraus bis tief in den Schlaf verfolgt.

Jetzt lesen: 
40 spannende Geschichten, wie es ist, im Gewitter zu Segeln:


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101 Places To Sail Before You Die: Am Acheron und seinen Rätseln.

Im vorigen Post schrieb ich darüber, wie ich nachts den Acheron erreichte, den Fluss, für den bei den alten Griechen der Hades begann. Am Morgen zeigt sich die Mündung des Acheron freundlich, die Sonne bricht durch den Morgendunst und sendet ihre Strahlen hinter federleichten Septemberwolken hervor. Eine unberührte Welt, so scheint es. Dies gehört zu den Rätseln des Segelns: Fast jeder Ort, den ich mit LEVJE erreiche, erscheint mir zunächst ganz wunderbar. Mein Blick fällt in der Morgendämmerung hinüber auf den langen Sandstrand. Ein Felsen, ganz links, der aus dem Sand herausragt. Die Pappeln ganz rechts, dort muss der der Fluss sein. Pappeln mögen Flussufer, es macht ihnen nichts aus, ein Leben lang mit nassen Füßen herumzustehen, im Gegenteil: sie lieben es. Pappeln zeigen, wo Wasser und Überschwemmung ist. Und dann: Der Sandstrand. Er zieht sich fast um die ganze Bucht herum, ein feiner, reiner, weißer Sand, auf den leise die Wellen in der Bucht plätschern. Ein Bild tiefen Friedens, alle Wünsche nach tewas anderem sind verflogen. Nein, nichts anderes. Nur genau hier sein. Eine ungetrübte Freude macht sich in mir breit, genau diesen Ort erreicht, gefunden zu haben. Mein unbefangener Blick auf die Bucht des Acheron gleich nach dem Aufstehen, einen warmen Tee in der Hand, als ich sie zum ersten Mal am Tag sehe: ein wunderschöner Ort, den ich entdeckte, weil der Wind anders wehte, als ich wollte und widrig war. Wieder einmal stimmt: Das Glück – oft kommt es in der Gewand des Unglücks daher.

Als ich nach Sonnenaufgang ins Wasser springe, wartet die Bucht mit der nächsten Überraschung auf: Das Wasser ist eiskalt. Ich schnappe nach Luft, so überrascht bin ich, denn das Meerwasser ist jetzt im frühen Oktober eigentlich 23, 24 Grad warm. Es ist, als wäre ich nach der Sauna ins Tauchbecken gesprungen, schlagartig beschleunigt mein Puls, die Atmung geht schneller in der eiskalten Umgebung. Ich habe zunächst keine Erklärung. Eiskaltes Wasser von draußen, aus der Tiefe des Meeres, das sich hier in der Bucht sammelt? Aber warum hier? Als ich aber zum Strand schwimme, finde ich die Erklärungen: Es ist kaltes Flusswasser, das hier in der Bucht zirkuliert, die Wasser des Acheron, die sich noch nicht vollständig mit dem Meerwasser mischen. Als ich kopfüber ins Türkis nach unten tauche, die nächste Überraschung: In etwa 1,70 Meter Tiefe stoße ich plötzlich auf lauwarmes Wasser, eine dicke Schicht fast körperwarmen Wassers, durch die ich wohlig mit langen Zügen tauche. Wäre nur nicht der Weg nach oben: denn um Luft zu holen, muss ich wieder durch die Schicht eiskalten Wassers, das mir nun umso kälter erscheint. Also schnell wieder runter, ins Warme. So geht das Spiel, bis ich näher zum Strand komme und die Tiefe abnimmt. Überall weißer Sand, als ich ans Ufer wate, steht die warme Schicht gerade noch 10 Zentimeter hoch über dem Sand. es reicht, um den Meeresboden zu wärmen. Ich wate ans Ufer durch kaltes Wasser, über bodenbeheizten warmen Sand.

Des Rätsels Lösung: Das frische, klare Flusswasser des Acheron kommt aus den Bergen und ist kalt. Da Süßwasser eine geringere Dichter als Salzwasser besitzt, legt es sich einfach wie eine kalte Decke auf das warme Meerwasser, bevor es sich endgültig mit ihm vermischt. Ein herrliches Schwimmen, ich kenne das Phänomen aus Kroatien, aus Skradin, dort, wo sich der Fluss Krka bis auf 20 Kilometer dem Meer genähert hat und sich die Krka-Wasserfälle über hunderte Kaskaden nach unten stürtzen. Man kann dort mit dem Segelboot den Krka-Fluss über 15, 20 Kilometer den Fjord hinauffahren und in der Hitze des Sommers vom Meer kommend im kalten Süßwasser plantschen. Aber kaum taucht der Schwimmer nichts ahnend nach unten: trifft er auf warmes Meerwasser – 15, 20 Kilometer im Landesinneren, das der Fluss wie mit einer gewaltigen Pumpe vom Meer ins Landesinnere holt. Ein faszinierender Artenreichtum, der dort entsteht, wo Land- und Meerwasser aufeinander treffen und erst noch eine Weile scheu jedes für sich bliebt. Ich stelle mir das auch beim Acheron so vor: Unten im Fluss kilometerweit ins Land hinein Meerwasser, mit der zugehörigen Tierpopulation: Krabben, Krebse, Meeresfische: Dorade und Wolfsbarsch und Rotbarbe, die sich plötzlich, zur Freude der Fischer, weit im Landesinneren im Salzwasser tummeln. Und im selben Fluss, ein Stockwerk darüber, nur einen halben Meter entfernt: die Süßwasser-Bewohner. Süßwasser-Lebewesen aller Arten, Libellen und Forellen und Rotfedern. Ich frage mich: ob sie wohl zurückzucken, wenn eines sich ins Element des anderen verirrt. Ob sie überhaupt überlebensfähig sind im anderen Element und gleich wieder zurückdrängen in ihr angestammtes? Oder ob das alles ganz und gar gleichgültig ist und die Forelle gern mal einen Schluck Salzwasser nimmt, der inneren Hygiene wegen. Es ist jedenfalls ein großes Rätsel und immer wieder ein Wunder, wenn Süß- und Salzwasser aufeinandertreffen.

Langsam spaziere ich den Strand entlang, der seinesgleichen sucht, einer der schönsten Strände auf meiner bisherigen Reise. Weißer feiner Sand, den Fluss und Meer in jahrtausendelangem Mit- und gegeneinander aus dem Gestein gemahlen und zu einem kilometerlangen Sandstrand aufgehäuft haben, der jetzt im späten September seinesgleichen sucht. Wo vor Jahrtausenden der Hades begann: Heute ein Paradies.

Ein paar Liegestühle, leer, fast bin ich allein, ich wandere unter den Pappeln hinüber, dorthin, wo eine Handvoll Camper stehen und wo der Acheron ins Meer mündet. Fischer, die ihre Kaiken im raschelnden Schilf vertäuten. Stille. Ein Ort, um zu bleiben, wer weiß, wie lang.

Jetzt erschienen im Verlag bei millemari., dem Verlag von Mare Piú:
Schärensegeln.
Ein Buch randvoll mit „Places To Sail Before You Die.“
Prädikat: „Besonders wertvoll. Jetzt, wo der Winter naht.“

                   
Zeitgleich zu meiner Reise von München nach Antalya segelt der Songwriter, Musiker und Bassist Claus Aktoprak auf einem kleinen Boot durch die Welt der schwedischen Schären. Und kommt am anderen Ende Europas zu ähnlichen Ergebnissen. Ein Band voller faszinierender Bilder. Über seine Reise berichtet die Zeitschrift SEGELN in ihrer aktuellen Ausgabe. 
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KEIN GANZ NORMALER TÖRN: Was ist eigentlich Segeln? Oder: "Von derKunst, im Sturm zu erblühen."

Nahe der Rhone-Mündung: Hier in Port Saint Louis, tief im Süden Frankreichs, begann die allererste Fahrt der SEGELREBELLEN, einer Organisation, die von Krebs betroffenen jungen Erwachsenen Segelreisen ermöglicht. Was man dabei alles erlebt, was das überhaupt bringen kann: darüber schreibt Mare Piú in diesem und den vorangegangenen Posts.

Von den ersten Momenten an, in denen ich zum allerersten Mal auf einer Yacht den Hafen verließ, war ich fasziniert davon. Von dem: Was Segeln ist.
Wieder und wieder habe ich – auch auf diesem Blog – versucht, eine Antwort auf diese Frage zu finden. Schon in jenen ersten Jahren wollte ich einen Film darüber zu machen, weil mir die Worte ausgingen. 
Darüber, dass vermeintlich Wichtiges plötzlich vollkommen unwichtig wird.
Darüber, dass die Dinge, die wir fürchten, plötzlich gar nicht mehr schlimm sind, sondern sogar schön sein können.
Über die Angst, über die Freude, die man in hohen Wellen und starkem Wind empfindet.
Über die Freude, um jedes Kap, dass am Horizont erscheint, herumsegeln zu können.
Über die Furcht, die man im Gewitter erlebt [Und über diese Erlebnisse ist nun tatsächlich in Zusammenarbeit mit über 40 weiteren Seglern tatsächlich ein Buch entstanden, über das ich mich sehr freue!].
Über die Delfine. Ich habe sie gefilmt, wie sie uns in Puerto Rico oder vor Korsika begleiteten. Habe die kurze Hacksee der nördlichen Adria festgehalten. Und die hohen Wellen: die langen, weiten Roller draußen im Atlantik vor den Virgin Islands, wenn der herbstliche Nordsturm, die „Christmas Winds“, abgeflaut waren. Habe versucht, die Farben des Meeres im Foto festzuhalten – und wenn man sich nur auf ein und demselben Fleckchen Meer mit offenen Augen bewegt, sind es schon unzählige mehr als jene legendären „42 Tage Blau“. Auch auf diesem Blog habe ich mehrfach versucht, dieser Frage nachzugehen.

                                                                              Weiterlesen bei: Was ist eigentlich Segeln. Hier.
                                                                              Weiterlesen bei: Was bringt es, 5 Monate Segeln zu         
                                                                                                                                             gehen. Hier.
                                                                              Weiterlesen bei: Wie uns Delfine begleiteten auf      
                                                                                                                               dieser Reise. Hier.
                                                                              Weiterlesen bei: Ist es gefährlich, im Gewitter zu 
                                                                                                                                          Segeln? Hier.

Wann ist man eigentlich bereit, als von Krebs Betroffener, nach der Therapie, für eine Fahrt mit den SEGELREBELLEN? Wann – und warum – sollte man sich dafür entscheiden? Wo doch den meisten nach überstandener Krebstherapie nach ganz, ganz Anderem ist, als ausgerechnet die Unbill einer Seereise auf klamm-kaltem Boot in unwirtlichen Regionen zu ertragen?

Betrachte ich die Crew der Segelrebellen – und da ist Marc, Gründer und Skipper der SEGELREBELLEN mit eingeschlossen – gibt es eine einfache Antwort: Das Ausschlaggebende ist: dass man sich immer schon irgendwo zum Meer, zum Wasser hingezogen gefühlt hat. Dass das Meer einfach mehr ist als eine Ansammlung H2O, versetzt mit mal mehr, mal weniger NaCl. Das Meer als Ort: an dem es einem gut geht. Auch – und DAS ist das Erstaunliche: gerade dann, wenn sich das Meer so gar nicht wie im Vierfarb-Ferienprospekt gibt. Wenn es sich so ganz anders verhält, als wir uns das wünschen: Unfriedlich. Garstig. Menschen-unfreundlich. Wenn wir es in seiner wilden, ursprünglichen Kargheit und Unwirtlichkeit erleben. Wenn wir mittendrin im Getümmel, in der Bedrohung von Windstärke 7, Windstärke 8 plötzlich entdecken: wie schön sie sind, die Wellen. Wie durchscheinendes Glas, ganz oben, wo sie sich brechen, wenn die tiefstehende Sonne durch sie hindurch scheint.
Das Meer als Ort, an dem es mir gut geht: In den Gesprächen mit der Crew, warum sie sich für die ungewöhnliche Reise mit den SEGELREBELLEN entschieden, war immer wieder dies der kleinste gemeinsame Nenner.

Fragen wir die Crew doch mal nach diesem Törn, nach ihren Erfahrungen: Was ist Segeln?

Segeln ist Entschleunigung. Innere Ruhe. 
Wogen der Gefühle: Selbsterkenntnis. 
Sich durch einen starken Sturm zu kämpfen, wie stark man ist. Und im nächsten Moment wieder zu merken, wie schwach man ist. Und das zuzulassen.

Hauke:
„Segeln ist: Neues entdecken. Ein kleines Abenteuer. Und auch ein kleines zwischenmenschliches Abenteuer. Wie gehe ich mit hohen Wellen, mit so starkem Seegang um? Meine Erfahrung ist: Alles ist für mich machbar. Ich sollte viel häufiger neue Dinge entdecken.
Mir fehlt manchmal einfach der Antrieb. Und wenn man zuviel macht: dann wird das auch sehr kostspielig. Aber Anna und ich: wir haben uns vorgenommen, dieses Jahr so viel, so häufig Urlaub zu machen wie möglich.
Das wichtigste auf dieser Seereise: ist die Erfahrung der ENTSCHLEUNIGUNG. Fahre ich Auto: muss ich ständig reagieren, auf irgendwas und irgendwen. Hier: herrscht Gleichmaß.
Und was das Zwischenmenschliche angeht: Der Sturm hat uns zu einer Gemeinschaft gefügt.“

Anna:
„Micht man es einfach glücklich, in der Natur zu sein. Die Ruhe zu spüren. Auch wenn das Meer manchmal so aufgewühlt ist, bin ich selbst in mir ganz, ganz ruhig.
Zuhause im Alltag wird man so häufig abgelenkt von so vielen EINFLÜSSEN. Hier gibt es nur das Meer. Nichts anderes.
Man muss sich darauf einlassen können, dass nicht immer alles rund läuft:
Dass alles nass ist. 
Dass man sich neben die Toilette setzt, weil jemand gerade „eine Kurve“ fährt. 
Das muss man können, sich darauf einlassen. Wenn man ddie Bereitschaft dazu nicht mitbringt: wirds schwierig. Man muss sich darauf einstellen: was alles passieren kann. 
Gestört hat mich eigentlich nur, dass das Fenster undicht ist und die Matratze deshalb nass war. Aber es ist nicht wichtig hier draußen. Alles andere hier ist größer und wichtiger. Hier oben zu sitzen. Uns vom Wind wehen zu lassen und nicht mit einem Motor übers Meer zu bewegen. 
So eine schöne Natur.“

Susanne:
„Wenn es mir schlecht geht. dann ist es für mich am Besten: immer rauszugehen in die Natur.
Hier draußen ist die Lektion: Man muss nehmen, was kommt. Man nimmt die Sachen einfach an. Und lernt: Nach Sturm kommt Sonne. Oder die Delfine.“

Andrea:
„Hier draußen: das ist für mich: Die Woge der Gefühle.
Und: der Sturm ist etwas, was mich in mehrfacher Hinsicht weiterbringt: Erstens fahren wir damit. Und kommen vorwärts. 
Zweitens hatte ich ehrlich gesagt vor der Reise richtig Angst vor einem Sturm. Aber es kam alles ganz anders: Erst die Angst. Dann der Sturm. Dann merken, wie glücklich ich dabei bin.
Es ist gut, gerade das den Menschen, die von einer Krankheit wie Krebs betroffen sind, zu vermitteln, wie es hier ist: Wie es in unserer Krankheit ist. Dass uns Mitleid nicht weiterhilft.

Müßte ich das alles, meine Erfahrungen hier zusammenfassen: dann würde ich es in einem Buchtitel formulieren:

‚Von der Kunst, im Sturm zu erblühen‘.“

Und viel mehr ist dann auch nicht darüber zu sagen: Was Segeln eigentlich ist. 
Und was einem eine Reise mit den SEGELREBELLEN bringen kann.

                                                                                                                                                                    
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                                                                         Weiterlesen bei: Über den Golf de Lion. Hier.
                                                                         Weiterlesen bei: Segeln mit Nichtseglern. Hier.
                                                                         Weiterlesen bei: Von Barcelona nach Mallorca. Hier.
                                                                         Weiterlesen bei: Wer sind eigentlich die     
                                                                                        SEGELREBELLEN? Wie kann ich mitreisen?

… und weil diese Reise KEIN GANZ NORMALER TÖRN ist: bitte ich die Leser von MARE PIU, unsere beiden Posts möglichst an viele andere Interessierte weiterzuleiten. 
Um Marc und seine Idee der SEGELREBELLEN zu unterstützen. 
Danke.

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40 spannende Geschichten, wie es ist, im Gewitter zu Segeln:


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Die vergessenen Inseln: Gramvousa.

Am Morgen verlasse ich Kissamos. Und hätte ich diese Fahrt nach Gramvousa nicht gemacht: Ich würde sie mein Leben lang vermissen.

Der Tag ist windstill und lautlos, und im Licht der aufgehenden Sonne hole ich LEVJE’s Anker an Bord und motore leise aus dem Hafenbecken nach draußen, um nur ja die großen Ausflugsschiffe nicht zu wecken. Kissamos: ein Hafen nur dazu da, um Menschen auf eine vergessene Insel zu bringen. Für einen Tag. Jeden Tag sind es mehrere Tausend, die die großen Ausflugsschiffe, die GRAMVOUSA, die GRAMVOUSA EXPRES, die SPIRIT OF ATHOS und andere von Kissamos zu den einsamen Inseln im äußersten Nordwesten Kretas bringen und wieder zurück bringen. Eine Insel für einen Tag.

LEVJE schnürt leise nach Norden. Ich habe es nicht eilig, es sind ja gerade mal eineinhalb Stunden Fahrt nach Gramvousa Imeri, dem „zahmen“ Gramvousa im Gegensatz zur Schwester „Agria“ Gramvousa, die noch weiter draußen liegt, nach Norden zu, da, wo nichts mehr ist außer Salzgischt und scharfkantigem Fels. Langsam gleiten wir durchs tiefblaue Spiegelglatt, ein sattes Blau an den ungeheuren Felswänden entlang, die daliegen, als wären sie Gottes großes großes Buch, eine Landschaft, in die er hineinschrieb, was ihm gefiel und in dem er wegließ, was ihm nicht gefiel. Ein ausgetrocknetes Kar, das ihm wichtig war, und das sich den Hang hinaufzieht, ausgewaschen von jedem Platzregen um einen weiteren Millionstel Millionstel Millimeter. Eine Linie in der rotbraunen Felswand, die – soweit mein Auge reicht – wie mit einem Lineal etwa zehn Meter über der Wasserlinie läuft: Der alte Pegel des Meeres, ausgewaschen von Jahrmillionen an liegender Wellenplätschern, kleinen Holztrümmern, Planzenresten, was eben mit den Wellen schwimmt, wenn sie ans Land schwappen, Eine Linie, dunkel eingekerbt in die Felswand, soweit ich schauen kann, vielleicht der Wasserstand des Meeres, bevor ein Erdbeben genau diese Ecke Kretas vor nicht allzulanger Zeit einfach anhob um zehn Meter, so mirnichts, Dirnichts?

Ein riesige Höhle geformt wie ein fallender Mond, wohl Hundert Meter breit, in das ebenmäßige Gestein der Felswand hineingepunzt, der scharfe Abdruck eines überdimensionalen Stechbeitels in weichem Teig, welche geologischen Urzeit-Kräfte lassen denn soetwas werden? Eine Landschaft voller unentzifferbarer Hieroglyphen, Merkzeichen, Krakel, Schraffuren, in der nur eines fehlt: der Mensch. Und wenn er da ist: dann nur dazu, um mit einem winzig kleinen Haus über der Höhle des Halbmonds zu zeigen: wie riesig die doch eigentlich ist, wie großartig diese Landschaft. Und wie klein der Mensch darin. Eine Landschaft wie ein Buch. Nur mit sieben Siegeln, fremd und urzeitlich und schön und schaurig.

Als ich die äußerste Nordwest-Ecke Kretas dann runde und LEVJE nach Süden steuere, dies: Vulkanisch scharfe Felskanten, messerscharf geschliffen von den Wellen. Urzeitliche Berge. Und ein ebenmäßiger Kegel, der dahinein aufsteigt, wo sich erneut Gewitterwolken ballen am heutigen Tag. Ein Kegel, der mich erinnert an eine Segelreise den ganzen Antillenbogen entlang vor vielen Jahren, an die beiden Pitons auf St.Lucia, an Schwefelbäder vor dem „Gros Pitons“ und dem „Petit Piton“, Vulkankegel beides und vielleicht auch der, der hier vor mir liegt, am Horizont. Auf der anderen Seite an Steuerbord erhebt sich Gramvousa selber: ein langer langer Tafelberg aus rötlichbraunem Gestein, ein Plateau, am südlichen Ende mit einer Erhebung, auf der ganz, ganz oben allen menschlichen Unmöglichkeiten trotzend eines thront: die Festung Gramvousa, am Ende der Welt.

Es ist früher Nachmittag geworden, als ich staunend in den Flachwasser-Naturhafen vor Gramvousa einlaufe. Die Bucht: sie ist voll. Die GRAMVOUSA EXPRES hat mich genau an der Nordspitze überholt, in der weiten Bucht festgemacht und entläßt ihre Kinder durch die geöffnete Bugklappe. Es ist voll am Strand und den Hang hinauf zur Festung, also ankere ich weiter östlich, da gibt es nochmal eine Bucht mit einem kleinen Sandstrand unter Agavenbewuchs, da bin ich allein. Ich lasse LEVJE’s Anker fallen und bringe eine Heckleine aus, die Bucht ist klein, vielleicht sucht ja noch jemand Platz, und wenn ich mich mit der Heckleine zum Land ziehe, reicht es. Auf dem Felsen gegenüber liegt etwas, was aussieht wie ein Kadaver, der mannsgroße Kadaver eines Wesens aus dem Meer, das ich nicht entziffern kann. Auch mein gutes Fernglas hilft mir nicht weiter: Der Kadaver liegt auf einem Felsen nur einen halben Meter über dem Meer, ein dicker schwarzer rundlicher Körper, aus dem hinten zwei ewig lange, spindeldürre Beine heraus ins Wasser ragen. Gebiert das Meer Wesen, menschenähnlich, die wir noch nicht kennen? Gibt es etwas, was dort unten lebt, menschenähnlich, uns wohlgesonnenen, was wir nicht kennen, was gelegentlich aufsteigt, hochkommt und tot ans Land gespült wird?  Wieder und wieder schaue ich durchs Fernglas hinüber und kann doch den toten Leib nicht identifizieren mit etwas, das ich kenne. Als ich mit meiner Arbeit fertig bin und sorgfältig mit dem Dinghi meine verknoteten Landleinen erst zum Land und LEVJE dann daran hinübergewinscht habe, beschließe ich, nachsehen zu gehen, und rudere mit dem Dinghi hinüber. Eine riesige tote Schildkröte ist es, zu Lebzeiten ein Prachtexemplar, 100 Jahre alt und 100 Kilo schwer, jetzt ein Kadaver. Ein altes Tier, und was ich aus der Ferne für einen menschlichen Leib hielt, ist ihr Panzer, von dem der Wind jetzt die rottende äußere Hülle flappen läßt. Und was ich für die spindeldürren Beine des Wesens hielt, sind ihre ewig langen Vorderflossen, die vom Felsen herab ins Wasser hängen. Sie hat es nicht mehr geschafft, zurück in ihr Element, dem sie entstiegen ist, wohl zur Eiablage auf den Strand von Gramvousa. Und als sie erschöpft über Strand und Sand und Steine und Scherben und Felsbrocken zurückkroch, den schweren Panzer über die riesigen scharfkantigen Felsen ziehend, ging ihr die Kraft aus. Sie blieb einfach liegen, kraftlos, fünfzig Zentimeter vom rettenden Meer entfernt, verdurstete, vertrocknete, aushauchte ihr langes Leben, hier auf diesem Felsen endete es.

Langsam lasse ich mich im Dinghi vom Wind zurücktreiben von der Schildkröte zu Levje. Es ist Abend geworden, unter der Festung Gramvousa. Tönend haben die Ausflugsboote ihre Besucher zur Heimfahrt gemahnt, der Hang über dem Hafen, der steile Trampelpfad: er ist nun leer. Ich verhole LEVJE nun von meinem Platz und wir tuckern langsam hinüber, in die Bucht, wo außer mir nur noch ein Segler ankert. Ein Pärchen, das mit einem kleinen blauen Segelboot noch schnell in die Bucht hereinkommt. Ich packe meinen Rucksack, klettere in mein Dinghi und rudere hinüber, zur Insel, mit gleichmäßigen Ruderschlägen. Eine kleine Kapelle, am Fuß des Hügels, in der ich zwei Kerzen entzünde. Die letzten Wanderer, die von der Festung herunterkommen. Schreiende griechische Kinder mit ihren ebenso schreienden Eltern. Und über mir: der Schatten der Festung. Der Weg ist steil und steinig, öfter Felsbrocken im Weg, wieder einmal wundere ich mich, wie das gehen konnte, an diesem entlegenen Ort auf dieser entlegenen Anhöhe eine Festung zu bauen, Stein für Stein, Sack Mehl für Sack Mehl, Pulver, Nauholz und Balken dort hinaufgeschafft zu haben, immer wieder. Wieder einmal denke ich an das düstere Kapitel dieses beeindruckenden Bauwerks: dass dies zu errichten und zu unterhalten nur mit Zwangsarbeitern möglich war. Menschen aus aller Herren Länder, verschleppt, versklavt, zur Zwangsarbeit gepresst und für die fast fünfjährige Bauzeit der Festung hierher verschleppt. 

Es musste schnell gehen. Und wie man es schafft, das rieisige Bauwerk in nur fünf Jahren hochzuziehen, ist unbegreiflich. Während ich in der leerer Festung herumstreife, finde ich hallengroße Zisternen im Boden, in denen Trinkwasser gesammelt wurde. Ebenen, auf denen wahrscheinlich Obst, Getreide angebaut wurde. Gepflasterte Wege, um möglichst schnell Geschütze in Bastionen rollen zu können.

Der Bau wurde begonnen, wenige Jahre nach dem Venedig Zypern an die Türken abgetreten hatte und klar war: Eine Invasion der Türken auf Kreta war nicht mehr eine Frage des „ob“, sondern des „Wann“. Die Aggression war unübersehbar, und beide Seiten betrieben sie, Venedig vielleicht mit mehr Doppelzüngigkeit. Gramvousa war nur eine der Festungen, mit denen Venedig seine Besitzungen auf Kreta zu schützen gedachte. Man findet die anderen, wenn man an der Nordküste Kretas entlangsegelt, aufgereiht wie Perlen auf einer Schnur: Chania, Rethymno, Soudha, Candia (das heutige Iraklion), Spinalonga. Und die westlichste davon: Gramvousa. Die Augen Venedigs nach Norden, hinaus auf die Straße nach Kithira, dahin, wohin auch ich jetzt schaue, hinüber nach „Agria Gramvousa“ der wilden Insel die flach im Meer liegt und irgendwie fast zu schweben scheint an diesem Abend.

Ich streife durch die menschenleere Festung an diesem Abend, staune über die massiven Wälle, von denen es fast senkrecht hinuntergeht über 100 Metter in die Bucht, in der LEVJE friedlich schaukelt. Ich sehe die Initalen in der Kirche der alten Festung. Die Apsis, eine Seite ist eingestürzt, trotzdem kommen die Bewohner von Kissamos einmal jährlich hierher und feiern hier oben in der halbverfallenen Kirche einen Gottesdienst. Ich sehe die Tonscherben auf den Wällen, von Venezianern, von Türken, von griechischen Piraten, die während des Freiheitkampfes gegen die Türken für ein paar Jahre besetzt hielten und sich von Überfällen auf vorbeiziehende Schiffe buchstäblich über Wasser hielten. Ich sehe die Reste des weißen Markuslöwen aus Marmor, unten vor dem Tor. Was der nicht schon alles gesehen hat.

Und heute Abend? Da gehört die Festung Gramvousa, den Tieren, die auf der Insel leben. Den Kaninchen, die fast müde vor mir weghoppeln. als ich durchs Tor nach draußen schreite. Den Ziegen, die sich auf meinem Weg hinunter nicht storen lassen beim Abweiden der mageren Büsche. Und dem Nachtvogel, dessen unterdrückter Schrei mich aus der Felswand heraus bis tief in den Schlaf verfolgt.

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101 Places To Sail Before You Die: Am Acheron und seinen Rätseln.

Im vorigen Post schrieb ich darüber, wie ich nachts den Acheron erreichte, den Fluss, für den bei den alten Griechen der Hades begann. Am Morgen zeigt sich die Mündung des Acheron freundlich, die Sonne bricht durch den Morgendunst und sendet ihre Strahlen hinter federleichten Septemberwolken hervor. Eine unberührte Welt, so scheint es. Dies gehört zu den Rätseln des Segelns: Fast jeder Ort, den ich mit LEVJE erreiche, erscheint mir zunächst ganz wunderbar. Mein Blick fällt in der Morgendämmerung hinüber auf den langen Sandstrand. Ein Felsen, ganz links, der aus dem Sand herausragt. Die Pappeln ganz rechts, dort muss der der Fluss sein. Pappeln mögen Flussufer, es macht ihnen nichts aus, ein Leben lang mit nassen Füßen herumzustehen, im Gegenteil: sie lieben es. Pappeln zeigen, wo Wasser und Überschwemmung ist. Und dann: Der Sandstrand. Er zieht sich fast um die ganze Bucht herum, ein feiner, reiner, weißer Sand, auf den leise die Wellen in der Bucht plätschern. Ein Bild tiefen Friedens, alle Wünsche nach tewas anderem sind verflogen. Nein, nichts anderes. Nur genau hier sein. Eine ungetrübte Freude macht sich in mir breit, genau diesen Ort erreicht, gefunden zu haben. Mein unbefangener Blick auf die Bucht des Acheron gleich nach dem Aufstehen, einen warmen Tee in der Hand, als ich sie zum ersten Mal am Tag sehe: ein wunderschöner Ort, den ich entdeckte, weil der Wind anders wehte, als ich wollte und widrig war. Wieder einmal stimmt: Das Glück – oft kommt es in der Gewand des Unglücks daher.

Als ich nach Sonnenaufgang ins Wasser springe, wartet die Bucht mit der nächsten Überraschung auf: Das Wasser ist eiskalt. Ich schnappe nach Luft, so überrascht bin ich, denn das Meerwasser ist jetzt im frühen Oktober eigentlich 23, 24 Grad warm. Es ist, als wäre ich nach der Sauna ins Tauchbecken gesprungen, schlagartig beschleunigt mein Puls, die Atmung geht schneller in der eiskalten Umgebung. Ich habe zunächst keine Erklärung. Eiskaltes Wasser von draußen, aus der Tiefe des Meeres, das sich hier in der Bucht sammelt? Aber warum hier? Als ich aber zum Strand schwimme, finde ich die Erklärungen: Es ist kaltes Flusswasser, das hier in der Bucht zirkuliert, die Wasser des Acheron, die sich noch nicht vollständig mit dem Meerwasser mischen. Als ich kopfüber ins Türkis nach unten tauche, die nächste Überraschung: In etwa 1,70 Meter Tiefe stoße ich plötzlich auf lauwarmes Wasser, eine dicke Schicht fast körperwarmen Wassers, durch die ich wohlig mit langen Zügen tauche. Wäre nur nicht der Weg nach oben: denn um Luft zu holen, muss ich wieder durch die Schicht eiskalten Wassers, das mir nun umso kälter erscheint. Also schnell wieder runter, ins Warme. So geht das Spiel, bis ich näher zum Strand komme und die Tiefe abnimmt. Überall weißer Sand, als ich ans Ufer wate, steht die warme Schicht gerade noch 10 Zentimeter hoch über dem Sand. es reicht, um den Meeresboden zu wärmen. Ich wate ans Ufer durch kaltes Wasser, über bodenbeheizten warmen Sand.

Des Rätsels Lösung: Das frische, klare Flusswasser des Acheron kommt aus den Bergen und ist kalt. Da Süßwasser eine geringere Dichter als Salzwasser besitzt, legt es sich einfach wie eine kalte Decke auf das warme Meerwasser, bevor es sich endgültig mit ihm vermischt. Ein herrliches Schwimmen, ich kenne das Phänomen aus Kroatien, aus Skradin, dort, wo sich der Fluss Krka bis auf 20 Kilometer dem Meer genähert hat und sich die Krka-Wasserfälle über hunderte Kaskaden nach unten stürtzen. Man kann dort mit dem Segelboot den Krka-Fluss über 15, 20 Kilometer den Fjord hinauffahren und in der Hitze des Sommers vom Meer kommend im kalten Süßwasser plantschen. Aber kaum taucht der Schwimmer nichts ahnend nach unten: trifft er auf warmes Meerwasser – 15, 20 Kilometer im Landesinneren, das der Fluss wie mit einer gewaltigen Pumpe vom Meer ins Landesinnere holt. Ein faszinierender Artenreichtum, der dort entsteht, wo Land- und Meerwasser aufeinander treffen und erst noch eine Weile scheu jedes für sich bliebt. Ich stelle mir das auch beim Acheron so vor: Unten im Fluss kilometerweit ins Land hinein Meerwasser, mit der zugehörigen Tierpopulation: Krabben, Krebse, Meeresfische: Dorade und Wolfsbarsch und Rotbarbe, die sich plötzlich, zur Freude der Fischer, weit im Landesinneren im Salzwasser tummeln. Und im selben Fluss, ein Stockwerk darüber, nur einen halben Meter entfernt: die Süßwasser-Bewohner. Süßwasser-Lebewesen aller Arten, Libellen und Forellen und Rotfedern. Ich frage mich: ob sie wohl zurückzucken, wenn eines sich ins Element des anderen verirrt. Ob sie überhaupt überlebensfähig sind im anderen Element und gleich wieder zurückdrängen in ihr angestammtes? Oder ob das alles ganz und gar gleichgültig ist und die Forelle gern mal einen Schluck Salzwasser nimmt, der inneren Hygiene wegen. Es ist jedenfalls ein großes Rätsel und immer wieder ein Wunder, wenn Süß- und Salzwasser aufeinandertreffen.

Langsam spaziere ich den Strand entlang, der seinesgleichen sucht, einer der schönsten Strände auf meiner bisherigen Reise. Weißer feiner Sand, den Fluss und Meer in jahrtausendelangem Mit- und gegeneinander aus dem Gestein gemahlen und zu einem kilometerlangen Sandstrand aufgehäuft haben, der jetzt im späten September seinesgleichen sucht. Wo vor Jahrtausenden der Hades begann: Heute ein Paradies.

Ein paar Liegestühle, leer, fast bin ich allein, ich wandere unter den Pappeln hinüber, dorthin, wo eine Handvoll Camper stehen und wo der Acheron ins Meer mündet. Fischer, die ihre Kaiken im raschelnden Schilf vertäuten. Stille. Ein Ort, um zu bleiben, wer weiß, wie lang.

Jetzt erschienen im Verlag bei millemari., dem Verlag von Mare Piú:
Schärensegeln.
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Unter Segeln: Nachts in der Mündung des Acheron.

Der Wind hatte aufgefrischt, als es Nacht wurde. Er war den ganzen Tag von vorn gekommen, seit ich die Drehbrücke von Santa Mavra auf Lefkas passiert hatte. Den Nachmittag über ein leichter Nordwest, gerade so, um dagegen anzumotoren auf dem Weg nach Paxi, der vergessenen Insel. Aber in der Abenddämmerung hatte er aufgedreht, nicht viel, aber genug, dass LEVJE sich in der Welle feststampfte. Sollte ich aufkreuzen? Dann käm ich in Paxi erst um Mitternacht an. Nein. Aber querab lag die Mündung des Acheron, mit halbem Wind bei schneller Fahrt in zwei Stunden zu erreichen. Also: neuer Kurs 80 Grad. Ruder gelegt. Genua ausgerollt. Und LEVJE schoß in der Abenddämmerung los. Was vorher stundenlange Qual unter Motor war, wurde jetzt Lust. Ein Dahinstürmen entlang der seitlich anrollenden Wellen. Ein ruhiges Dahingleiten durch lange Wellentäler und über Wellengipfel. Ein unbewegtes schnelles Dahinschnüren von dreieinhalb Tonnen Boot. LEVJE spielte ihr Halbwind-Spiel: Immer wenn von quer ein Wellenkamm heranrauschte und genau an LEVJE’s Rumpf gischtend, spritzend brechen wollte, war sie einen Tick schneller. Ließ den Wellenkamm gerade eben hinter sich vorbeiziehen, wo er kraftlos brach, statt an die Bordwand zu klatschen. Das ging viele Male so, und ich liebe das Spiel.

Jetzt, im späten September, fällt die Nacht schnell. Während im frühen August der Felsen von Monemvasia noch stundenlang brauchte, um vom Dämmer ins Dunkel zu gehen, geht jetzt alles ganz schnell. Kaum dass die Sonne verschwunden ist, noch ein bisschen Abendrot. Und dann ist es: Nacht. Finsternis. Der Mond war noch nicht aufgegangen, ich navigierte unter Segeln nur mit dem iPAD und NAVIONICS auf die Mündung des Acheron zu, zur Sicherheit ließ ich die Seekarte auf dem iPHONE mitlaufen. Rechts tauchten in der Dunkelheit Felsen auf, an denen sich die Wellen brachen. Links war noch alles frei. Die Tiefe sank rapide: 19 Meter, wo laut Seekarte 50 sein sollten. Zeit, die Segel zu bergen und LEVJE’s rauschende Fahrt zu beenden.

Acheron. Ein paar Häuser in der Dunkelheit. Lichter. Der Mond, der sich hinter einer Wolkenbank versteckt und nicht recht hervor will. Das Donnern der brechenden Wellen auf den Klippen rechts von mir, da wo die Flußmündung sein müsste. Langsam tuckern wir in die Bucht. Zwei Yachten liegen da, wiegen mächtig im Schwell, beide. Ein Nachtvogel, der herüberschreit, melodisch vom Ufer. Das Rauschen der Brecher rechts von mir, unentwegt und mächtig. Links von mir ein langsames, rythmisches Aufrauschen. Ein Sandstrand also. Langsam, langsam tuckern wir hinein in die Bucht. Noch fünf Meter Tiefe zwischen den beiden Ankerliegern. Ich will weiter hinein, in die Dunkelheit. Es muss doch ein ruhiges Plätzchen geben in dieser Bucht, in der der Schwell offensichtlich keinem Ruhe lässt. Das Licht einer Taschenlampe auf LEVJE, von der Charteryacht herüber. Noch vier Meter Tiefe. Noch drei einhalb. Noch drei. Langsam, fast eine Minute lang lasse ich LEVJE in einem Kreis auslaufen. Langsam einen Kreis gedreht, langsam, um festzustellen, ob nicht doch eine Untiefe, ein Fels herausragt, irgendetwas, das LEVJE bei mehr Wind ernsthaft beschädigen könnte. Nein, nichts. Alles frei. Dann los. Polternd fällt LEVJE’s Anker ins Dunkel, ich ziehe langsam rückwärts, von der hinter mir liegenden Yacht aus dem Dunkel kommt in deutschem Englisch der Ruf, ob ich seinen Anker sähe, als ich näherkomme. Und kurz Vollgas gebe, um festzustellen: ob LEVJE’s Anker hält im Stockdunkel. Er hält. Motor aus. Fahrtlichter aus. Ankerlicht an. Acheron.

Der Mond, der endlich aus seinem Wolkenversteck hervorkriecht. Acheron. Glaubt man dem Mythos, dann ist es dieser Fluß, der Ober- und Unterwelt voneinander trennt. Der Acheron oder auch Styx bildet den Übergang von der einen in die andere Welt, den Hades, in den nach Vorstellung der alten Griechen nach seinem Ableben ausnahmslos jeder kam, ohne Unterschied, ob arm, ob reich, ob gut, ob böse. Um dort weiter als scheuer Schatten zu existieren, Schatten unter Schatten im Reich der Toten, ohne Schmerz, und nur ein Schatten. Nicht eben die Hölle. Doch auch nicht das Paradies. Über den Acheron hinüber brachte einen Charon, der Fährmann. Und damit der seinen Dienst ordentlich versah, legte man den Toten eine Münze unter die Zunge, den Obolus, für den Fährmann. War man hinüber, über den Acheron, dann gab es keine Rückkehr aus dem Hades, dafür sorgte Kerberus, der der dreiköpfige Höllenhund. Er bewachte den Eingang, ließ keinen hinein und keine Seele heraus.

Nur einer hat es gewagt, als Lebender in die Unterwelt hinabzusteigen: Orpheus, der Sänger, dem Apollon eine Lyra schenkte. So schön war sein Gesang, dass er Feinde damit besiegen und das Meer besänftigen konnte. Und weil er so schön spielte, gewährte ihm auch Persephone, die Göttin der Unterwelt einen Wunsch, auf der Suche nach seiner verstorbenen Geliebten Eurydike im Totenreich. Er dürfe hinüber, über den Acheron und unter den Schatten nach ihr suchen. Aber wenn er sie gefunden hätte, dann müsse er vorausgehen und dürfe kein einziges Mal sich nach ihr umsehen. Sonst sei sie für immer verloren. Und Orpheus fuhr hinüber, mit Charon. Und fand Eurydike, zu seiner Freude.

Der Mond ist weiter aufgegangen, über dem Acheron. Die Straße, die er übers Meer auf LEVJE hin zeichnet, ist schwächer geworden, je höher er stieg. Die Brecher rauschen rechts in der Dunkelheit an die Felsen. Es ist Mitternacht geworden, in der Bucht des Acheron.

Was aus all dem wurde?

Orpheus, Eurydike?
Natürlich konnte der Sänger nicht wiederstehen und drehte sich um zu seiner Geliebten, als er ihre Schritte nicht mehr hörte. Und dann – verschwand sie. Und wurde wieder Schatten unter Schatten, für immer. 
Aber weil die Geschichte gar zu schön ist, entstanden zahllose Kunstwerke aus Orpheus‘ und Eurydikes‘ traurigem Schicksal. Mosaiken in der römischen Antike, die immer wieder den Sänger mit der Lyra zeigen, Literatur, aber vor allem unzählige Opern, darunter so unvergleichliche wie Monteverdi’s ORFEO oder Christoph Willibald Gluck’s ORFEUS UND EURYDIKE.

Der Hades?
Für den war schon in römischer Zeit kein Platz mehr auf der Welt. Er verschwand aus unserem Glauben. Himmel und Hölle, das Paradies nahmen seinen Platz ein. Aber wer weiß schon, was danach kommt. Wenn wir nicht mehr an Himmel und Hölle glauben

Der Acheron?
Den gibt es immer noch. Er liegt an der Westküste Griechenlands zwischen Lefkas und Parga in einer wunderschönen Bucht mit langem Sandstrand und acht Liegestühlen darauf. Die Bucht des Acheron, in der man unruhig liegt, weil hier immer, immer der Schwell hineinsteht und die Boote schaukeln lässt. Und dafür sorgt, dass man intensiv träumt, des nachts bis in den Morgen.

Unter Segeln: Nachts in der Mündung des Acheron.

Der Wind hatte aufgefrischt, als es Nacht wurde. Er war den ganzen Tag von vorn gekommen, seit ich die Drehbrücke von Santa Mavra auf Lefkas passiert hatte. Den Nachmittag über ein leichter Nordwest, gerade so, um dagegen anzumotoren auf dem Weg nach Paxi, der vergessenen Insel. Aber in der Abenddämmerung hatte er aufgedreht, nicht viel, aber genug, dass LEVJE sich in der Welle feststampfte. Sollte ich aufkreuzen? Dann käm ich in Paxi erst um Mitternacht an. Nein. Aber querab lag die Mündung des Acheron, mit halbem Wind bei schneller Fahrt in zwei Stunden zu erreichen. Also: neuer Kurs 80 Grad. Ruder gelegt. Genua ausgerollt. Und LEVJE schoß in der Abenddämmerung los. Was vorher stundenlange Qual unter Motor war, wurde jetzt Lust. Ein Dahinstürmen entlang der seitlich anrollenden Wellen. Ein ruhiges Dahingleiten durch lange Wellentäler und über Wellengipfel. Ein unbewegtes schnelles Dahinschnüren von dreieinhalb Tonnen Boot. LEVJE spielte ihr Halbwind-Spiel: Immer wenn von quer ein Wellenkamm heranrauschte und genau an LEVJE’s Rumpf gischtend, spritzend brechen wollte, war sie einen Tick schneller. Ließ den Wellenkamm gerade eben hinter sich vorbeiziehen, wo er kraftlos brach, statt an die Bordwand zu klatschen. Das ging viele Male so, und ich liebe das Spiel.

Jetzt, im späten September, fällt die Nacht schnell. Während im frühen August der Felsen von Monemvasia noch stundenlang brauchte, um vom Dämmer ins Dunkel zu gehen, geht jetzt alles ganz schnell. Kaum dass die Sonne verschwunden ist, noch ein bisschen Abendrot. Und dann ist es: Nacht. Finsternis. Der Mond war noch nicht aufgegangen, ich navigierte unter Segeln nur mit dem iPAD und NAVIONICS auf die Mündung des Acheron zu, zur Sicherheit ließ ich die Seekarte auf dem iPHONE mitlaufen. Rechts tauchten in der Dunkelheit Felsen auf, an denen sich die Wellen brachen. Links war noch alles frei. Die Tiefe sank rapide: 19 Meter, wo laut Seekarte 50 sein sollten. Zeit, die Segel zu bergen und LEVJE’s rauschende Fahrt zu beenden.

Acheron. Ein paar Häuser in der Dunkelheit. Lichter. Der Mond, der sich hinter einer Wolkenbank versteckt und nicht recht hervor will. Das Donnern der brechenden Wellen auf den Klippen rechts von mir, da wo die Flußmündung sein müsste. Langsam tuckern wir in die Bucht. Zwei Yachten liegen da, wiegen mächtig im Schwell, beide. Ein Nachtvogel, der herüberschreit, melodisch vom Ufer. Das Rauschen der Brecher rechts von mir, unentwegt und mächtig. Links von mir ein langsames, rythmisches Aufrauschen. Ein Sandstrand also. Langsam, langsam tuckern wir hinein in die Bucht. Noch fünf Meter Tiefe zwischen den beiden Ankerliegern. Ich will weiter hinein, in die Dunkelheit. Es muss doch ein ruhiges Plätzchen geben in dieser Bucht, in der der Schwell offensichtlich keinem Ruhe lässt. Das Licht einer Taschenlampe auf LEVJE, von der Charteryacht herüber. Noch vier Meter Tiefe. Noch drei einhalb. Noch drei. Langsam, fast eine Minute lang lasse ich LEVJE in einem Kreis auslaufen. Langsam einen Kreis gedreht, langsam, um festzustellen, ob nicht doch eine Untiefe, ein Fels herausragt, irgendetwas, das LEVJE bei mehr Wind ernsthaft beschädigen könnte. Nein, nichts. Alles frei. Dann los. Polternd fällt LEVJE’s Anker ins Dunkel, ich ziehe langsam rückwärts, von der hinter mir liegenden Yacht aus dem Dunkel kommt in deutschem Englisch der Ruf, ob ich seinen Anker sähe, als ich näherkomme. Und kurz Vollgas gebe, um festzustellen: ob LEVJE’s Anker hält im Stockdunkel. Er hält. Motor aus. Fahrtlichter aus. Ankerlicht an. Acheron.

Der Mond, der endlich aus seinem Wolkenversteck hervorkriecht. Acheron. Glaubt man dem Mythos, dann ist es dieser Fluß, der Ober- und Unterwelt voneinander trennt. Der Acheron oder auch Styx bildet den Übergang von der einen in die andere Welt, den Hades, in den nach Vorstellung der alten Griechen nach seinem Ableben ausnahmslos jeder kam, ohne Unterschied, ob arm, ob reich, ob gut, ob böse. Um dort weiter als scheuer Schatten zu existieren, Schatten unter Schatten im Reich der Toten, ohne Schmerz, und nur ein Schatten. Nicht eben die Hölle. Doch auch nicht das Paradies. Über den Acheron hinüber brachte einen Charon, der Fährmann. Und damit der seinen Dienst ordentlich versah, legte man den Toten eine Münze unter die Zunge, den Obolus, für den Fährmann…

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Wenn Ihnen diese Geschichte gefällt…
Soeben erschienen vom Autor von Mare Piu: 
Ein Film darüber: Was Segeln ist.


                         Als Download und auf DVD: € 19,99

Was passiert, wenn das Leben die gewohnten Bahnen verlässt? 
Was geschieht, wenn man sich einfach aufmacht und fünf Monate Segeln geht? 
Darf man das? Und wie ändert sich das Leben?
Der Film einer ungewöhnlichen Reise, der Mut macht, seinen Traum zu leben.

Mehr erfahren. Filmtrailer ansehen. Bestellen. Hier.

Der Film entstand nach diesem Buch: 
Geschichten über die Entschleunigung, übers langsam Reisen 
und die Kunst, wieder sehen zu lernen
Einmal München – Antalya, bitte. 
Das Buch: Mehr erfahren: Hier.

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… War man hinüber, über den Acheron, dann gab es keine Rückkehr aus dem Hades, dafür sorgte Kerberus, der der dreiköpfige Höllenhund. Er bewachte den Eingang, ließ keinen hinein und keine Seele heraus.

Nur einer hat es gewagt, als Lebender in die Unterwelt hinabzusteigen: Orpheus, der Sänger, dem Apollon eine Lyra schenkte. So schön war sein Gesang, dass er Feinde damit besiegen und das Meer besänftigen konnte. Und weil er so schön spielte, gewährte ihm auch Persephone, die Göttin der Unterwelt einen Wunsch, auf der Suche nach seiner verstorbenen Geliebten Eurydike im Totenreich. Er dürfe hinüber, über den Acheron und unter den Schatten nach ihr suchen. Aber wenn er sie gefunden hätte, dann müsse er vorausgehen und dürfe kein einziges Mal sich nach ihr umsehen. Sonst sei sie für immer verloren. Und Orpheus fuhr hinüber, mit Charon. Und fand Eurydike, zu seiner Freude.

Der Mond ist weiter aufgegangen, über dem Acheron. Die Straße, die er übers Meer auf LEVJE hin zeichnet, ist schwächer geworden, je höher er stieg. Die Brecher rauschen rechts in der Dunkelheit an die Felsen. Es ist Mitternacht geworden, in der Bucht des Acheron.

Was aus all dem wurde?

Orpheus, Eurydike?
Natürlich konnte der Sänger nicht wiederstehen und drehte sich um zu seiner Geliebten, als er ihre Schritte nicht mehr hörte. Und dann – verschwand sie. Und wurde wieder Schatten unter Schatten, für immer. 
Aber weil die Geschichte gar zu schön ist, entstanden zahllose Kunstwerke aus Orpheus‘ und Eurydikes‘ traurigem Schicksal. Mosaiken in der römischen Antike, die immer wieder den Sänger mit der Lyra zeigen, Literatur, aber vor allem unzählige Opern, darunter so unvergleichliche wie Monteverdi’s ORFEO oder Christoph Willibald Gluck’s ORFEO ED EURIDICE.

Der Hades?
Für den war schon in römischer Zeit kein Platz mehr auf der Welt. Er verschwand aus unserem Glauben. Himmel und Hölle, das Paradies nahmen seinen Platz ein. Aber wer weiß schon, was danach kommt. Wenn wir nicht mehr an Himmel und Hölle glauben.

Der Acheron?
Den gibt es immer noch. Er ist ein nettes Flüßchen und liegt an der Westküste Griechenlands zwischen Lefkas und Parga in einer wunderschönen Bucht mit langem Sandstrand und acht Liegestühlen darauf. Die Bucht des Acheron, in ihr liegt man unruhig , weil hier immer, immer der Schwell hineinsteht und die Boote schaukeln lässt. Und dafür sorgt, dass man intensiv träumt, des nachts bis in den frühen Morgen.

Die vergessenen Inseln: Neues aus Trizonia!

Der Tag, er war anstrengend im Golf von Korinth. Morgens eine halbe Stunde nach dem Ablegen fünf Windstärken von vorn, ein böig-fauchiger Wind aus West-Nordwest, der den Golf entlang aus Patras im Westen genau auf uns zu pfeifft. Nach sechs, sieben Stunden gegenan aufkreuzen gerade mal 17 Seemeilen Weg zurückgelegt. Aber das immerhin mit Lust und auf der Backe liegend. Am späten Nachmittag stehe ich dann vor einer der wenigen Inseln im Golf von Korinth: Trizonia. Haben Sie nie gehört? Da geht es Ihnen wie mir. Aber als ich kurz überlege: Wo heute übernachten? Inselhafen? Festlandshafen? Fällt die Entscheidung schnell: Natürlich auf der Insel!

Soweit so gut. Aber kurz mal nachgehakt: Warum treffe ich diese Entscheidung so? Ist das Leben auf einer Insel denn wirklich so anders? Alles Einbildung? Oder gibt es tatsächlich objektive Gründe, warum auf-einer-Insel-sein soviel entspannender ist als auf dem Festland?

Nehmen wir nach einem langen Sommer voller vergessener Inseln Trizonia, das unbekannte Eiland, das Griechen [Tri:sonja:], mit kurzem „o“ und weichem „s“ sprechen. Wer über das Besondere dieser Insel recherchiert, findet – wenig. Nein, statt googeln führt ein Spaziergang von der Marina in den 54 Meter entfernt liegenden Hauptort mit Namen Trizonia zu Erkenntnissen. Man stößt einfach alle naselang auf das Thema „Entschleunigung“ in hunderterlei Formen. 
Zum Beispiel: Meine Ankunft in der Marina der Insel: entspannt. Die „Marina“: ein Betondenkmal, geschaffen mit EU-Geldern, um Griechenland in die „Wettbewerbsfähigkeit“ zu katapultieren. Aber weil sich im schönen Trizonia niemand findet, der mit Betonmolen Wettbewerb aufzuziehen Lust hätte: Drum rotten sie vor sich hin, zur Freude von etwa 20, 30 Fahrtenseglern wie mir. Und so liegen denn an die 30 Fahrtenyachten in Sonnenschein und klarem Wasser. Motorbootfahrer, Katsegler, Monos. Engländer, Finnen, Dänen, Schweizer, Franzosen. Nettes Völkchen. Niemand, der irgendwelche Bootspapiere sehen will, kein Marina-Office, kein Hafenmeister, keiner, der den Stromzähler abliest. Weil es Strom halt einfach nicht gibt.  Einfach nur gemütlich liegen, solange man will. Und gern auch über den Winter. 
Meine erste Begegnung: Die Besatzung der großen 42er, mit der wir uns draußen in den Böen über eineinhalb Stunden ein Rennen lieferten – „Faster, LEVJE! Go faster!“ wie im vorigen Post also auch hier. LEVJE wehrte sich tapfer, aber nach der Wende war Schluß, die 42 Fuß hängten LEVJE einfach ab. Jetzt stehen die beiden freundlich auf der Pier, nehmen meine Leinen an. Ein Pärchen aus Landsberg, fast meiner Heimat. Das Umfeld, die Kleinheit des Hafens, sie zwingt zum Miteinander auch unter Fremden. Wer hierher kommt, erkennt im anderen den Gleichgesinnten, auch wenn man sich vorher nie begegnet ist.

Kaum ist der Schwatz mit den Landsbergern vorbei, steht ein junges Pärchen auf der Pier: Endzwanziger beide, aus der Schweiz, die mir erklären: Dass sie noch viel langsamer reisen als ich mit LEVJE. Und während sie erzählen, komme ich mir fast wie ein bekloppter Raser vor: Die beiden sind seit Frühjahr im ihrer alten HALLBERG-RASSY 35 von Korfu bis hierher gesegelt. Gerade mal 150 Meilen. In 6 Monaten. Sind überall lange geblieben. Und finden Trizonia „ganz wunderbar zum Abhängen“. Beide arbeiten den Winter über im Skitourismus der Schweiz – und wenn die Skisaison am Schlepplift vorbei ist: verschwinden die beiden ab Frühjahr wieder auf ihr Boot, um bis in den Herbst langsam zu reisen. Und eine Insel ist der Ort, an dem sie sich austoben. ‚Nissomanie‘, die Inselsucht, von der Bloggerin Katharina auf ihrem gleichnamigen Blog schreibt: Sie grassiert nicht nur bei mir. 

Inseln widersetzen sich dem überall greifbaren Hang zur Beschleunigung unseres Alltags. Während in meinem Heimatland die Straßen immer gerader gemacht werden, damit wir noch schneller von A nach B kommen und dadurch noch „effektiver“ sein können, sind auf Trizonia Autos verboten. Genau so wie auf Spetses, auf Hydra, oder in Venedig und anderen Inseln. Der Effekt ist enorm, wenn man nach einer Woche „Insel“ wieder an einer vielbefahrenen Straße auf dem Festland steht.

Entschleunigung auch am Ufer. Drei Frauen, augenscheinlich drei der insgesamt 64 Bewohner, die die letzte Volkszählung auf Trizonia 2011 zählte. Frauen, die am Ufer sitzen und fischen, in dem sie immer wieder die auf ein knallbunter Plastik-Rädchen aufgewickelte Schnur geduldig ins Meer werfen und einholen. Fischen mit einem 1,50 €-Artikel. Den Frauen scheint das großen Spaß zu machen, sie sitzen auch am folgenden Abend am Ufer. Eigentlich traue ich ihren knallbunten Angel-Dinger ja nicht viel zu – aber zumindest eine der Frauen zeigt einem Fischer ihren Eimer-Inhalt, als die Sonne langsam verschwindet, und der Fischer nickt anerkennend. Die anderen beiden gönnen sich nach dem Fischen ein Eis in der Taverne. Und am nächsten Tag stehen auch meine Schweizer auf ihrem Boot, mit so einem knallbunten Angel-Dings in der Hand. Und werfen die Schnur wieder und wieder ins Wasser.

Zwei Fischer, die in der Dämmerung gemächlich hinaus in die Bucht tuckern, in ihren einfachen offenen Booten. Bis spät in die Nacht hinein sehe ich ihre Lichter draußen auf dem Meer. Sie sind nicht weit draußen, haben ihre Anker fallen lassen und Fischen offensichtlich mit der Leine. Für Menschen, die gerne bei jedem Wetter auf dem Meer sind, kann es nicht viel Schöneres geben, als hinauszufahren, nicht weil der Wecker klingelt, sondern weil der richtige Moment dafür da ist.

Ach ja: Und Neues aus Trizonia? Da muss ich Sie enttäuschen. Das gibt es hier auch nicht. Natürlich den Dorfschwatz, das ja. Aber sonst: Kein Zeitungsständer, der uns mit neuesten Krisen und Katastrophen kitzelt, auf die wir eh ohne Einfluß sind. Outlook, Excel? Hat man schon mal gehört, aber auf Trizonia geht es ohne. Der Wirt schreibt die Rechnung noch schön auf den Block. Tsatsiki und Auberginenpaste waren dafür umwerfend.

Nein, damit wir uns recht verstehen: Ich bin nicht für die Abschaffung von Autos, Outlook, Weckern oder gerader Straßen. Aber dafür: Ein bisschen mehr Trizonia, etwas mehr Insel-Dasein in unseren Alltag zu bringen – dafür bin ich allemal.

Die vergessenen Inseln: Neues aus Trizonia!

Der Tag, er war anstrengend im Golf von Korinth. Morgens eine halbe Stunde nach dem Ablegen fünf Windstärken von vorn, ein böig-fauchiger Wind aus West-Nordwest, der den Golf entlang aus Patras im Westen genau auf uns zu pfeifft. Nach sechs, sieben Stunden gegenan aufkreuzen gerade mal 17 Seemeilen Weg zurückgelegt. Aber das immerhin mit Lust und auf der Backe liegend. Am späten Nachmittag stehe ich dann vor einer der wenigen Inseln im Golf von Korinth: Trizonia. Haben Sie nie gehört? Da geht es Ihnen wie mir. Aber als ich kurz überlege: Wo heute übernachten? Inselhafen? Festlandshafen? Fällt die Entscheidung schnell: Natürlich auf der Insel!

Soweit so gut. Aber kurz mal nachgehakt: Warum treffe ich diese Entscheidung so? Ist das Leben auf einer Insel denn wirklich so anders? Alles Einbildung? Oder gibt es tatsächlich objektive Gründe, warum auf-einer-Insel-sein soviel entspannender ist als auf dem Festland?

Nehmen wir nach einem langen Sommer voller vergessener Inseln Trizonia, das unbekannte Eiland, das Griechen [Tri:sonja:], mit kurzem „o“ und weichem „s“ sprechen. Wer über das Besondere dieser Insel recherchiert, findet – wenig. Nein, statt googeln führt ein Spaziergang von der Marina in den 54 Meter entfernt liegenden Hauptort mit Namen Trizonia zu Erkenntnissen. Man stößt einfach alle naselang auf das Thema „Entschleunigung“ in hunderterlei Formen. 
Zum Beispiel: Meine Ankunft in der Marina der Insel: entspannt. Die „Marina“: ein Betondenkmal, geschaffen mit EU-Geldern, um Griechenland in die „Wettbewerbsfähigkeit“ zu katapultieren. Aber weil sich im schönen Trizonia niemand findet, der mit Betonmolen Wettbewerb aufzuziehen Lust hätte: Drum rotten sie vor sich hin, zur Freude von etwa 20, 30 Fahrtenseglern wie mir. Und so liegen denn an die 30 Fahrtenyachten in Sonnenschein und klarem Wasser. Motorbootfahrer, Katsegler, Monos. Engländer, Finnen, Dänen, Schweizer, Franzosen, Griechen. Nettes Völkchen. Niemand, der irgendwelche Bootspapiere sehen will, kein Marina-Office, kein Hafenmeister, keiner, der den Stromzähler abliest. Weil es Strom halt einfach nicht gibt.  Einfach nur gemütlich liegen, solange man will. Und gern auch über den Winter. 
Meine erste Begegnung: Die Besatzung der großen 42er, mit der wir uns draußen in den Böen über eineinhalb Stunden ein Rennen lieferten – „Faster, LEVJE! Go faster!“ wie im vorigen Post also auch hier. LEVJE wehrte sich tapfer, aber nach der Wende war Schluß, die 42 Fuß hängten LEVJE einfach ab. Jetzt stehen die beiden freundlich auf der Pier, nehmen meine Leinen an. Ein Pärchen aus Landsberg, fast meiner Heimat. Das Umfeld, die Kleinheit des Hafens, sie zwingt zum Miteinander auch unter Fremden. Wer hierher kommt, erkennt im anderen den Gleichgesinnten, auch wenn man sich vorher nie begegnet ist.

Kaum ist der Schwatz mit den Landsbergern vorbei, steht ein junges Pärchen auf der Pier: Endzwanziger beide, aus der Schweiz, die mir erklären: Dass sie noch viel langsamer reisen als ich mit LEVJE. Und während sie erzählen, komme ich mir fast wie ein bekloppter Raser vor: Die beiden sind seit Frühjahr im ihrer alten HALLBERG-RASSY 35 von Korfu bis hierher gesegelt. Gerade mal 150 Meilen. In 6 Monaten. Sind überall lange geblieben. Und finden Trizonia „ganz wunderbar zum Abhängen“. Beide arbeiten den Winter über im Skitourismus der Schweiz – und wenn die Skisaison am Schlepplift vorbei ist: verschwinden die beiden ab Frühjahr wieder auf ihr Boot, um bis in den Herbst langsam zu reisen. Und eine Insel ist der Ort, an dem sie sich austoben. ‚Nissomanie‘, die Inselsucht, von der Bloggerin Katharina auf ihrem gleichnamigen Blog schreibt: Sie grassiert nicht nur bei mir. 

Inseln widersetzen sich dem überall greifbaren Hang zur Beschleunigung unseres Alltags. Während in meinem Heimatland die Straßen immer gerader gemacht werden, damit wir noch schneller von A nach B kommen und dadurch noch „effektiver“ sein können, sind auf Trizonia Autos verboten. Genau so wie auf Spetses, auf Hydra, oder in Venedig und anderen Inseln. Der Effekt ist enorm, wenn man nach einer Woche „Insel“ wieder an einer vielbefahrenen Straße auf dem Festland steht.

Entschleunigung auch am Ufer. Drei Frauen, augenscheinlich drei der insgesamt 64 Bewohner, die die letzte Volkszählung auf Trizonia 2011 zählte. Frauen, die am Ufer sitzen und fischen, in dem sie immer wieder die auf ein knallbunter Plastik-Rädchen aufgewickelte Schnur geduldig ins Meer werfen und einholen. Fischen mit einem 1,50 €-Artikel. Den Frauen scheint das großen Spaß zu machen, sie sitzen auch am folgenden Abend am Ufer. Eigentlich traue ich ihren knallbunten Angel-Dinger ja nicht viel zu – aber zumindest eine der Frauen zeigt einem Fischer ihren Eimer-Inhalt, als die Sonne langsam verschwindet, und der Fischer nickt anerkennend. Die anderen beiden gönnen sich nach dem Fischen ein Eis in der Taverne. Und am nächsten Tag stehen auch meine Schweizer auf ihrem Boot, mit so einem knallbunten Angel-Dings in der Hand. Und werfen die Schnur wieder und wieder ins Wasser.

Zwei Fischer, die in der Dämmerung gemächlich hinaus in die Bucht tuckern, in ihren einfachen offenen Booten. Bis spät in die Nacht hinein sehe ich ihre Lichter draußen auf dem Meer. Sie sind nicht weit draußen, haben ihre Anker fallen lassen und Fischen offensichtlich mit der Leine. Für Menschen, die gerne bei jedem Wetter auf dem Meer sind, kann es nicht viel Schöneres geben, als hinauszufahren, nicht weil der Wecker klingelt, sondern weil der richtige Moment dafür da ist.

Ach ja: Und Neues aus Trizonia? Da muss ich Sie enttäuschen. Das gibt es hier auch nicht. Natürlich den Dorfschwatz, das ja. Aber sonst: Kein Zeitungsständer, der uns mit neuesten Krisen und Katastrophen kitzelt, auf die wir eh ohne Einfluß sind. Outlook, Excel? Hat man schon mal gehört, aber auf Trizonia geht es ohne. Der Wirt schreibt die Rechnung noch schön auf den Block. Tsatsiki und Auberginenpaste waren dafür umwerfend.

Nein, damit wir uns recht verstehen: Ich bin nicht für die Abschaffung von Autos, Outlook, Weckern oder gerader Straßen. Aber dafür: Ein bisschen mehr Trizonia, etwas mehr Insel-Dasein in unseren Alltag zu bringen – dafür bin ich allemal.

Und wenn Ihnen diese Geschichte gefallen hat:

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Was passiert, wenn das Leben die gewohnten Bahnen verlässt? 
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Darf man das? Und wie ändert sich das Leben?
Der Film einer ungewöhnlichen Reise, der Mut macht, seinen Traum zu leben.

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