Kategorie: Mare Più

Durch die Adria. Mit der Segelyacht durch die Schluchten der Krka.

Reisen kann man auf vielerlei Arten und mit unterschiedlichen Intentionen. Von Neugier getrieben immer wieder in neue, fremde Welten eintauchen, den kurzen Kick suchen, dem vielleicht irgendwann Verstehen folgt. Oder immer wieder an dieselben Orte zurückkehren, weil sie eine „sichere Bank“ sind und sich die eigene Seele dort wohlfühlt, geheimnisvoll, wie auf einen Tastendruck, als wäre man in einem früheren Leben schon mal dort gewesen und kehrte nur wieder zurück, zu seinen Ursprüngen.

Die Krka, der große Fluss mitten in Kroatien, ist für mich, was meine Segelreisen angeht, so eine „sichere Bank“. Bin ich dort im Land, muss ich hin, wieder und wieder, die Krka hinauf bis nach Skradin. Ich kenne den Ort, als ich kurz nach dem Balkankrieg dort hinkam, gab es dort wenig mehr zu sehen als die Einschusslöcher in den Hauswänden, als orthodoxe Serben und katholische Kroaten, die bis dahin friedlich am Ort zusammengelebt hatten, plötzlich aufeinander losgingen und die Messerverkäufer auf dem alljährlichen Jahrmarkt Hochkonjunktur hatten. Das ist nun fast 20 Jahre her, und auch wenn Skradin heute ein normales Touristenörtchen ist: Die Spuren des Krieges sind immer noch sichtbar. Doch davon zu anderer Zeit.

An die Krka reise ich, weil mich nach wochen-, ja monatelangem Salzwasser-Segeln, das Süßwasser immer wieder magisch anzieht. Auf einer Strecke von 18 Kilometern zieht sich der Fluss durch den Fjord, den er sich durch eine Felslandschaft grub, und es ist jedesmal spannend, dieses Stück den Fluss hinauf zurückzulegen bis zum Örtchen Skradin, wo man nicht weiterkommt, weil hier Wasserfälle die Weiterfahrt blockieren.

Die Fahrt selbst beginnt in Sibenik. Der Fluss selbst hat sich tief eingegraben, nur wenige Meter neben der grünen Fahrwasserbetonnung im Foto oben beträgt die Wassertiefe schon 17 Meter, zur Flußmitte hin dreißig Meter. Leicht mulmig ist einem dann doch immer irgendwie, dass nur ja der Motor durchhält und nicht gerade jetzt irgendwelche Zicken macht, obwohl man unter Genua auch segeln könnte, denn irgend ein Windchen weht durch den Canyon da oben ja eigentlich immer. Durch zahlreiche Windungen und Kehren geht der Fluss hinauf, vorbei an größeren und kleineren Muschelfarmen, an

denen man anhalten und Venusmuscheln oder Austern kaufen kann. Es sind kleine Anlagen, die dort im Süsswasser der Krka Meeresmuscheln züchten. Obwohl das mit dem Süsswasser so eine Sache ist. Denn zu den Wundern der tiefschürfenden Krka gehört, dass oberflächlich zwar eiskaltes Süsswasser aus den Bergen strömt. Dass die Krka aber in zwei, drei Meter Wassertiefe eine Gegenströmung besitzt, die unergründlicherweise salzhaltiges Meerwasser 18, 20 Kilometer bis hinein ins Landesinnere bis hinauf nach Skradin zieht. Wer in der Krka badet, dessen Oberkörper schwimmt im kalten Süsswasser, doch die Füße unten: Die stecken im warmen salzigen Meerwasser. Ein Kuriosum, das seinesgleichen sucht. Den Muscheln scheint es gut zu gefallen.

Keine zwei Stunden nach dem Ablegen in Sibenik erreicht man Skradin. Man kann in die Marina gehen, die wie es scheint jedes Jahr mehr und mehr um sich greift. Oder man kann etwas abseits am

 anderen Flussufer in eine der Schilfbuchten gehen und dort seinen Anker fallen lassen. Es ist früher Abend geworden, als ich Skradin erreiche. Und ich ziehe die Schilfeinsamkeit dem Hafen vor, obwohl für die Nacht Gewitter angekündigt sind. Die Bora kann mächtig wehen in dem engen Flußtal. Aber die Aussicht, zu einem langen Schwimm einfach noch mal ins erfrischend Süßwasser zu steigen, zwei Meter hinunterzutauchen zum Salzwasser und beim Einschlafen dem Rufen der Wasservögel und dem Rascheln im Schilf lauschen zu können, lässt mich den vermeintlichen Luxus der Marina schnell vergessen. Und morgen: Da gehe ich das eigentliche Geheimnis der Krka besuchen: Ihre Wasserfälle, die sich über 18 verschiedenen Kaskaden nach unten wälzen.

Gute Nacht also. Von LEVJE aus Schilfröhricht und dem Gezirpe des kleinen blauen Eisvogels.
In einigen Tagen berichte ich mehr von der Krka.

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Wie es ist, auf einem kleinen Segelboot
• Italien
• Griechenland
• Türkei
zu bereisen. Und in fünf Monaten: Von München nach Antalya zu reisen.

Jetzt lesen. Als eBook. Als Print. Hier bestellen.

Auch als Film:  



Im Download. Als DVD. Hier.

Sonntag, 16. Oktober 2016 20.15 Live im Kino
im Rahmen der Allgäuer Filmkunstwochen
im Filmhaus Huber, Bad Wörishofen.

Das sagt die Presse über Buch und Film:

„… ein Sehnsuchtsbuch par excellence.
Und ein echtes sinnliches Erlebnis.“
MÄRKISCHE ZEITUNG im Oktober 2015

„… eröffnet dem Weltenbummler ganz wunderbare Traumziele, auf die man 
bei üblicher Herangehensweise schwerlich gekommen wäre.“
YACHT im Mai 2015 

„Die Besonderheit des einstündigen Streifens ist seine Ruhe. 
Eine Ruhe, die der Film mit poetisch angehauchter Sprache und sinnlichen Bildern von Szene zu Szene eingehender vermittelt.“
SEGELREPORTER im Dezember 2015

„… ein schönes, ein gelungenes Werk, animierend und inspirierend.“
LITERATURBOOT im Juli 2015

„Absolut empfehlenswert!
Für Reisebegeisterte ist ‚Einmal München-Antalya, bitte!‘ definitiv zu empfehlen.“


RATGEBER.REISE. im Juni 2015


Durch die Adria. Mit der Segelyacht durch die Schluchten der Krka.

Reisen kann man auf vielerlei Arten und mit unterschiedlichen Intentionen. Von Neugier getrieben immer wieder in neue, fremde Welten eintauchen, den kurzen Kick suchen, dem bielleicht irgendwann verstehen folgt. Oder immer wieder an dieselben Orte zurückkehren, weil sie eine „sichere Bank“ sind und sich die eigene Seele dort wohlfühlt, geheimnisvoll, wie auf einen Tastendruck, als wäre man in einem früheren Leben schon mal dort gewesen und kehrte nur wieder zurück, zu seinen Ursprüngen.

Die Krka, der große Fluss mitten in Kroatien, ist für mich so eine sichere Bank. Bin ich dort, muss ich hin, wieder und wieder, die Krka hinauf bis nach Skradin. Ich kenne den Ort, als ich kurz nach dem Balkankrieg dort hin kam, gab es dort wenig mehr zu sehen als die Einschusslöcher in den Hauswänden, als orthodoxe Serben und katholische Kroaten, die bis dahin friedlich am Ort zusammengelebt hatten, plötzlich aufeinander losgingen und die Messerverkäufer auf dem alljährlichen Jahrmarkt Hochkonjunktur hatten. Das ist nun fast 20 Jahre her, und auch wenn Skradin heute ein normales Touristenörtchen ist: Die Spuren des Krieges sind immer noch sichtbar. Doch davon zu anderer Zeit.

An die Krka reise ich, weil mich nach wochen-, ja monatelangem Salzwasser-Segeln, das Süßwasser immer wieder magisch anzieht. Auf einer Strecke von 18 Kilometern zieht sich der Fluss durch den Fjord, den er sich durch eine Felslandschaft grub, und es ist jedesmal spannend, dieses Stück den Fluss hinauf zurückzulegen bis zum Örtchen Skradin, wo man nicht weiterkommt, weil hier Wasserfälle die Weiterfahrt blockieren.

Die Fahrt selbst beginnt in Sibenik. Der Fluss selbst hat sich tief eingegraben, nur wenige Meter neben der grünen Fahrwasserbetonnung im Foto oben beträgt die Wassertiefe schon 17 Meter, zur Flußmitte hin dreißig Meter. Leicht mulmig ist einem dann doch immer irgendwie, dass nur ja der Motor durchhält und nicht gerade jetzt irgendwelche Zicken macht, obwohl man unter Genua auch segeln könnte, denn irgend ein Windchen weht da oben eigentlich immer. Durch zahlreiche Windungen und Kehren geht der Fluss hinauf, vorbei an größeren und kleineren Muschelfarmen, an

denen man anhalten und Venusmuscheln oder Austern kaufen kann. Es sind kleine Anlagen, die dort im Süsswasser der Krka Meeresmuscheln züchten. Obwohl das mit dem Süsswasser so eine Sache ist. Denn zu den Wundern der tiefschürfenden Krka gehört, dass oberflächlich zwar eiskaltes Süsswasser aus den Bergen strömt. Dass die Krka aber in zwei, drei Meter Wassertiefe eine Gegenströmung besitzt, die unergründlicherweise salzhaltiges Meerwasser 18, 20 Kilometer bis hinein ins Landesinnere nach Skradin zieht. Wer in der Krka badet, dessen Körper schwimmt im kalten Süsswasser, doch die Füße unten: Die stecken im warmen Meerwasser. Ein Kuriosum, das seinesgleichen sucht. Den Muscheln scheint es zu gefallen.

Keine zwei Stunden nach dem Ablegen in Sibenik erreicht man Skradin. Man kann in die Marina gehen, die wie es scheint jedes Jahr mehr und mehr um sich greift. Oder man kann etwas abseits am

 anderen Flussufer in eine der Schilfbuchten gehen und dort seinen Anker fallen lassen. Es ist früher Abend geworden, als ich Skradin erreiche. Und ich ziehe die Schilfeinsamkeit dem Hafen vor, obwohl für die Nacht Gewitter angekündigt sind. Die Bora kann mächtig wehen in dem engen Flußtal. Aber die Aussicht, zu einem langen Schwimm einfach noch mal ins Wasser steigen und dem Einschlafen dem Rufen der Wasservögel und dem Rascheln im Schilf lauschen zu können, lässt mich den vermeintlichen Luxus der Marina schnell vergessen. Und morgen: Da gehe ich das eigentliche Geheimnis der Krka besuchen: Ihre Wasserfälle, die sich über 18 verschiedenen Kaskaden nach unten wälzen.

Gute Nacht also. Von LEVJE aus Schilfröhricht und dem Gezirpe des kleinen blauen Eisvogels.

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Wie es ist, auf einem kleinen Segelboot
• Italien
• Griechenland
• Türkei
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Auch als Film:  



Im Download. Als DVD. Hier.

Sonntag, 16. Oktober 2016 20.15 Live im Kino
im Rahmen der Allgäuer Filmkunstwochen
im Filmhaus Huber, Bad Wörishofen.

Das sagt die Presse über Buch und Film:

„… ein Sehnsuchtsbuch par excellence.
Und ein echtes sinnliches Erlebnis.“
MÄRKISCHE ZEITUNG im Oktober 2015

„… eröffnet dem Weltenbummler ganz wunderbare Traumziele, auf die man 
bei üblicher Herangehensweise schwerlich gekommen wäre.“
YACHT im Mai 2015 

„Die Besonderheit des einstündigen Streifens ist seine Ruhe. 
Eine Ruhe, die der Film mit poetisch angehauchter Sprache und sinnlichen Bildern von Szene zu Szene eingehender vermittelt.“
SEGELREPORTER im Dezember 2015

„… ein schönes, ein gelungenes Werk, animierend und inspirierend.“
LITERATURBOOT im Juli 2015

„Absolut empfehlenswert!
Für Reisebegeisterte ist ‚Einmal München-Antalya, bitte!‘ definitiv zu empfehlen.“


RATGEBER.REISE. im Juni 2015


Einhand über die Adria: Von Italien nach Kroatien. Palagruza.

Sechs Segelstunden von Italien und von den kroatischen Inseln entfernt: Palagruza taucht am Horizont auf.

Gibt es das wirklich? Gibt es unter den Inseln des Mittelmeeres eine, die vollkommen unbesiedelt ist und fernab liegt? Nein, nicht einfach nur ein unbesiedeltes, unbehaustes Eiland, das man allenthalben achtlos passiert wie in Kroatien oder Griechenland oder der Türkei? Sondern eine Insel, irgendwie weit weit weg von allem? Wo man vollkommen unerreichbar ist? Eine Insel, irgendwie aus Raum und Zeit und Handynetz gefallen?

Zwar kenne ich die Küsten Nordafrikas und ihre Inseln nicht. Die einzige Insel im Mittelmeer, die mir dazu einfällt und die das alles in sich birgt, die am Ende der Welt liegt, ist Palagruza.

Palagruza kennt jeder Segler dem Namen nach, der im Mittelmeer unterwegs war. Dort gewesen ist kaum einer. Wer im langen Winter vom nächsten Segelsommer träumt, wer in klirrend kalten Januarnächten daheim im Hafenhandbuch schmökert oder sehnsuchtsvoll den Finger über die Seekarte an der Wand gleiten lässt, kennt Palagruza.

Palagruza, nicht mal Stecknadelkopf groß, ein Pünktchen in der Seekarte:
Auf halbem Weg von der italienischen Gargano-Halbinsel zur kroatischen Insel Vis.

Palagruza: Die Insel dort liegt, wo eigentlich gar nichts anderes mehr sein dürfte als nur noch Wasser. Sie liegt mitten in der Adria, wo sie nicht sein dürfte. Ein langer Felsklotz mit nichts anderem drum rum. Das rückt Palagruza in die Liga der wirklich einsamen Inseln. Wie Tristan da Cunha zwischen Afrika und Brasilien mitten im Atlantik. Wie St. Helena. Wie die Amsterdam-Inseln auf halbem Weg zwischen Kapstadt/Südafrika und Hobart/Australien. Eine Insel inmitten von Nichts und Nirgendwo. So eine ist Palagruza.

Meine Reise beginnt an diesem Tag im September morgens um halb fünf in Vieste, dem Hafen ganz im Osten Italiens außen am Sporn des Gargano. In der Dunkelheit tuckert LEVJE aus dem kleinen Hafen. Noch im Hafenbecken, das  etwas tückisch ist, weil nach Süden und Osten um die Leuchtturm-Insel zu voll unmarkierter, unbetonnter Flachs und Untiefen, setze ich im Dunkel das Groß, was sich als richtig erweist. Denn kaum dass wir die Mole erreichen, setzt netter Westwind ein, wo sonst eher Nordwest oder Nordost blasen. Nun also Wind aus West. Ein seltenes Glück. Halber Wind, der uns in der Morgendämmerung schnell nach Norden und von Italien weg schiebt. Zum Glück. Denn über dem Gargano steht, wie seit Tagen schon, die große Gewitterzelle. Und sorgt keine zwei Stunden später dafür, dass Vieste hinter uns in einer dichten Regenwand verschwindet.

Der Westwind setzt kraftvoll ein und kommt anfangs mordswichtig daher. Keine eineinhalb Stunden später ists auch schon wieder vorbei mit dem Spektakel. Noch ein Häuchlein von drei Knoten ist übrig, was im Dunkel 22 Knoten war. Flaute. Also Motor an. Und losgeöttelt mit 4,7 Knoten Richtung Norden, Richtung Insel Vis.

Kurz nach Mittag taucht dann Palagruza am Horizont auf. Genau genommen besteht Palagruza aus vier Inseln: Vela Palagruza, das „große Palagruza“. Mala Palagruza, das „Kleine Palagruza“ und zwei, drei kleinere Inselchen. Klippen. Überspülte Riffe.

Vela Palagruza, die Hauptinsel, erstreckt sich über fast eineinhalb Kilometer, kaum 300 Meter breit. Eine breite Felsbank, die wie ein Riegel von Ost nach West daliegt und die Weiterfahrt nach Norden zu den kroatischen Inseln einfach versperrt. Ein Leuchtturm steht an der Westspitze der Insel auf einem Felskegel in fast 100 Meter Höhe. Den Leuchtturm erbauten um 1875 die damaligen Herren der Insel, die Österreicher, bevor die Insel 50 Jahre später an Yugoslawien kam. Man kann ihn auf zweierlei Arten erreichen, nämlich zu Fuß vom Kiesstrand die steile Treppe hinauf. Oder noch auf eine andere, spannende Art: Während ich mit LEVJE die Felsbank entlang motore, langsam, langsam, denn die Seekarte ist alles andere als genau und vor der Insel liegen gemeine Untiefen, entdecke ich unterhalb des Leuchtturms zwei Stahldrähte, die einfach parallel in ein Meter Abstand vom Grund des Meeres zum Fuß des Leuchtturms auf 100 Meter steil emporsteigen. Ein einfacher Stahlkorb, der daran hängt –  das Ganze ist eine einfache Seilbahn vom Meeresspiegel aus, die den Leuchtturmwärter gewagt, doch weniger schweißtreibend als die lange steile Treppe nach oben an seinen Arbeitsplatz bringt.

Die Landungsstelle. Ein kleines Kiessträndchen, das ebenfalls steil ansteigt. Keine Menschenseele. Nur ein paar Boote. Drei Bojen, die in der Dünung schaukeln. Der Strand des Papstes. Wer weiß denn schon, was Papst Alexander III. am 9. März des Jahres 1177 bewog, genau hier seine Flotte päpstlicher Galeeren Halt machen zu lassen. Trinkwasser? Gabs hier nicht. Verrichtung der Notdurft? Geht vom Galeerenheck besser. Romantik? War noch nicht mal erfunden, ebensowenig wie Burn-out. Er unterbrach hier seine Reise. Genau im Jahr seines Triumphes über den Deutschen Friedrich Barbarossa, der keine zwei Monate später im Norden unterliegen sollte.

Palagruza, 2016: Oben Im Leuchtturm kann man sich einmieten, lese ich im Internet: Ein Zimmer, ein Bad. Mindestens vier Ferienwohnungsvermittler bieten Palagruza an: „Wegen der Entfernung zur Zivilistation ist keine Verpflegung möglich… Auf Palagruza wird Ihnen eine besondere Möglichkeit geboten: Seien Sie für zwei Wochen Robinson, erholen Sie sich von der Zivilisation, geniessen Sie die Einsamkeit, finden Sie zu Ihrem neuen Selbst.“ Ob wir dem wirklich begegnen möchten? Das Ganze ist jedenfalls für die letzte Septemberwoche schon für 490 Euro zu haben. Danach: Ist Palagruza für fünf Monate nicht mehr zu buchen. Obwohl mit einem Klima wie Kreta ausgestattet, ist es wohl die Überfahrt, die in den harten Wintermonaten nicht mehr zu garantieren ist. Wer dort ist, kommt nicht mehr weg. Palagruza ist irgendwie ungezähmt.

Mala Palagruza, das „kleine Palagruza“

Vorsichtig motore ich wieder zurück, nach Osten. Ich versuche, die Durchfahrt zwischen Vela Palagruza und Mala Palagruza zu nehmen. Die Seekarte verzeichnet hier zahlreiche Klippen und Steine, nach zehn Minuten Herantasten breche ich den Versuch, dort hindurchzukommen, ab. Nicht, weil es unmöglich wäre. Sondern weil mir zum Navigieren in diesem Gebiet ein zweiter Mann fehlt, der vom Bugkorb aus einen sicheren Weg durch die Untiefen weist. Hier auf Grund zu laufen, mit meinem Schiff Bruch zu bauen, wäre fatal. Handy-Abdeckung ist hier draußen längst keine mehr, obwohl oben auf der Insel ein Mast aufragt. Im Falle eines Missgeschicks wäre ich ganz allein auf mich gestellt. Ich bin hier in echter Einsamkeit. So scheint es jedenfalls.

Manchmal schreibt das Meer Inszenierungen, die kein Buch, kein Oscar-gekrönter Film, keine Bühne zustandebringen könnte. Beschert Momente von unglaublicher Kraft und Schönheit. Keine hundert Meter weiter entdecke ich zwischen den Felsen ein winziges Schlauchboot. Ein Mann sitzt darin, nur einer, mit großem Strohhut. Der Himmel weiß, wie er sein kleines graues Schlauchboot vertäut, verankert hat am Grund in 10, 20 Meter Tiefe. In der Einsamkeit der Klippen sitzt der Mann mit dem Strohhut auf seinem Schlauchboot und hält eine Angel seelenruhig in der Hand. Sein Gefährt kippt und wippt in den Wellen. Er sieht nicht einmal zu mir herüber, unbeirrt blickt er in dem kleinen wackligen Gefährt auf die Wasseroberfläche, dorthin, wo seine Schnur in die Tiefe führt. Der Fischerkönig am See. Unwillkürlich denke ich an dieses Bild aus dem Parzival Wolframs von Eschenbach, in dem der unerfahrene rote Ritter zum ersten Mal dem einsamen Fischerkönig auf dem See begegnet, ihn aus der Ferne beobachtet. Der Fischerkönig in seinem Boot, allein draußen.

„Einen er im Schiffe sach,
den het an im alsolch gewant,
als ob im dienden elliu lant.“

[Einen sah er auf dem Schiff,
der war gekleidet
als wären ihm alle Länder Untertan]

Anfortas, der wissende, Anfortas, der verwundete Alte, der den Jungen auf die Probe stellen wird. Und der Junge, der versagt, weil er vergisst, die eine Frage zu stellen:

„Herre, wie wiret iuch?“
[Herr, was ist Euch geschehen?]

Langsam gleitet LEVJE weiter nach Osten, Richtung Landspitze, vorbei an überspülten Klippen und Felsen. Vorsichtig halte ich Abstand, folge der 30-Meter-Tiefenlinie, die hier keine 100 Meter von den Felsen der Insel läuft. Als ich mich nach einer Weile umdrehe, ist das Schlauchboot mit dem Mann unter dem Strohhut verschwunden. So wie die Burg Montsalvaesche, als Parzival sie am Morgen verlässt.

An der Ostspitze dann etwas, was aussieht, wie eine geschützte Ankerbucht. Soll ich? Eine Nacht auf der einsamen Insel? Ankern zwischen steil aufragenden Felsnadeln? Nein. Wer weiß, wie das Wetter wird. Und zudem: Ich habe mich nicht ordentlich abgemeldet daheim. Wenn ich mich heute Abend nicht melde, dann heißt das Schindluder treiben mit den Gefühlen derer, denen ich meine Ankunft auf der kroatischen Insel Vis für heute Nacht angekündigt habe.

Nein. Ich lege Ruder Kurs Nord, Richtung des 60 Seemeilen entfernten Vis. Das ich heute irgendwann um Mitternacht erreichen werde. Der Fischerkönig, der wird mich weiter begleiten.

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Wie es ist, auf einem kleinen Segelboot
• Italien
• Griechenland
• Türkei
zu bereisen. Und in fünf Monaten: Von München nach Antalya zu reisen.

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Auch als Film:  



Im Download. Als DVD. Hier.

Sonntag, 16. Oktober 2016 20.15 Live im Kino
im Rahmen der Allgäuer Filmkunstwochen
im Filmhaus Huber, Bad Wörishofen.

Das sagt die Presse über Buch und Film:

„… ein Sehnsuchtsbuch par excellence.
Und ein echtes sinnliches Erlebnis.“
MÄRKISCHE ZEITUNG im Oktober 2015

„… eröffnet dem Weltenbummler ganz wunderbare Traumziele, auf die man 
bei üblicher Herangehensweise schwerlich gekommen wäre.“
YACHT im Mai 2015 

„Die Besonderheit des einstündigen Streifens ist seine Ruhe. 
Eine Ruhe, die der Film mit poetisch angehauchter Sprache und sinnlichen Bildern von Szene zu Szene eingehender vermittelt.“
SEGELREPORTER im Dezember 2015

„… ein schönes, ein gelungenes Werk, animierend und inspirierend.“
LITERATURBOOT im Juli 2015

„Absolut empfehlenswert!
Für Reisebegeisterte ist ‚Einmal München-Antalya, bitte!‘ definitiv zu empfehlen.“


RATGEBER.REISE. im Juni 2015


Einhand über die Adria: Von Italien nach Kroatien. Um Palagruza.

Sechs Segelstunden von Italien und von den kroatischen Inseln entfernt: Palagruza taucht am Horizont auf.

Gibt es unter den Inseln des Mittelmeeres eine, die vollkommen unbesiedelt ist und fernab liegt? Nein, nicht einfach nur ein unbesiedeltes, unbehaustes Eiland, das man allenthalben achtlos passiert wie in Kroatien oder Griechenland oder der Türkei? Sondern eine Insel, irgendwie weit weg von allem? Wo man vollkommen unerreichbar sein kann? Eine Insel, irgendwie aus Raum und Zeit und Handynetz gefallen?

Zwar kenne ich die Küsten Nordafrikas und ihre Inseln nicht. Die einzige Insel im Mittelmeer, die das alles in sich birgt, die am Ende der Welt liegt, heißt Palagruza.

Palagruza kennt jeder Segler dem Namen nach, der im Mittelmeer unterwegs war. Wer im langen Winter vom nächsten Segelsommer träumt, wer in klirrend kalten Januarnächten daheim im Hafenhandbuch schmökert oder sehnsuchtsvoll den Finger über die Seekarte an der Wand streifen lässt, der kennt Palagruza.

Palagruza, nicht mal Stecknadelkopf groß, ein Pünktchen in der Seekarte:
Auf halbem Weg von der italienischen Gargano-Halbinsel zur kroatischen Insel Vis.

Palagruza kennt man, weil die Insel da liegt, wo eigentlich gar nichts anderes mehr sein dürfte als nur noch Wasser. Es liegt mitten in der Adria. Nichts anderes drum rum. Das rückt Palagruza in die Liga der wirklich einsamen Inseln. Wie Tristan da Cunha zwischen Afrika und Brasilien mitten im Atlantik. Wie St. Helena. Wie die Amsterdam-Inseln auf halbem Weg zwischen Kapstadt/Südafrika und Hobart/Australien. Eine Insel inmitten von Nichts und Nirgendwo. So eine ist Palagruza.

Meine Reise begann an diesem Tag im September morgens um halb fünf in Vieste, dem Hafen ganz rechts außen am Sporn des Gargano. In der Dunkelheit tuckert LEVJE aus dem kleinen Hafen. Noch im Hafen von Vieste, der etwas tückisch ist, weil nach Süden und Osten zu voll unmarkierter, unbetonnter Flachs und Untiefen, setze ich im Dunkel das Groß, was eine kluge Entscheidung ist. Denn kaum dass wir die Mole erreichen, setzt netter Westwind ein, wo meist eher Nordwest oder Nordost blasen. Nun also Wind aus West. Ein seltenes Glück. Halber Wind, der uns in der Morgendämmerung schnell nach Norden und von Italien weg schiebt. Zum Glück. Denn über dem Gargano steht, wie seit Tagen schon, die große Gewitterzelle. Und sorgt keine zwei Stunden später dafür, dass Vieste hinter uns in einer dichten Regenwand verschwindet.

Der Westwind setzte kraftvoll ein und kommt anfangs mords gewichtig daher. Keine eineinhalb Stunden später ists auch schon wieder vorbei mit dem Spektakel. Noch ein Häuchlein von drei Knoten ist übrig, was im Dunkel 22 Knoten war. Flaute. Also Motor an. Und losgeöttelt mit 4,7 Knoten Richtung Norden, Richtung Vis.

Kurz nach Mittag taucht dann Palagruza am Horizont auf. Genau genommen besteht Palagruza aus vier Inseln: Vela Palagruza, das „große Palagruza“. Mala Palagruza, das „Kleine Palagruza“ und zwei, drei kleinere Inselchen. Klippen. Überspülte Riffe.

Vela Palagruza, die Hauptinsel, erstreckt sich über fast eineinhalb Kilometer, kaum 300 Meter breit. Eine breite Felsbank, die wie ein Riegel von Ost nach West daliegt und die Weiterfahrt nach Norden zu den kroatischen Inseln einfach versperrt. Ein Leuchtturm liegt an der Westspitze der Insel auf einem Felskegel in fast 100 Meter Höhe. Den Leuchtturm erbauten um 1875 die damaligen Herren der Insel, die Österreicher, bevor die Insel 50 Jahre später an Yugoslawien kam. Man kann ihn auf zweierlei Arten erreichen, nämlich zu Fuß vom Kiesstrand die steile Treppe hinauf. Oder noch auf eine andere, spannende Art: Während ich mit LEVJE die Felsbank entlang motore, langsam, langsam, denn die Seekarte ist alles andere als genau und vor der Insel liegen gemeine Untiefen, entdecke ich unterhalb des Leuchtturms zwei Stahldrähte, die einfach parallel in ein Meter Abstand vom Grund des Meeres zum Fuß des Leuchtturms auf 100 Meter steil emporsteigen. Ein einfacher Stahlkorb, der daran hängt –  das Ganze ist eine einfache Seilbahn vom Meeresspiegel aus, die den Leuchtturmwärter gewagt, doch weniger schweißtreibend als die lange steile Treppe nach oben an seinen Arbeitsplatz bringt.

Die Landungsstelle. Ein kleines Kiessträndchen, das ebenfalls steil ansteigt. Keine Menschenseele. Nur ein paar Boote. Drei Bojen, die in der Dünung schaukeln. Der Strand des Papstes. Wer weiß denn schon, was Papst Alexander III. am 9. März des Jahres 1177 bewog, genau hier seine Flotte päpstlicher Galeeren Halt machen zu lassen. Trinkwasser? Gabs hier nicht. Verrichtung der Notdurft? Geht vom Galeerenheck besser. Romantik? War noch nicht mal erfunden, ebensowenig wie Burnout. Er unterbrach hier seine Reise. Genau im Jahr seines Triumphes über den Deutschen Friedrich Barbarossa, der keine zwei Monate später im Norden unterliegen sollte.

Palagruza, 2016: Oben Im Leuchtturm kann man sich einmieten, lese ich im Internet: Ein Zimmer, ein Bad. Mindestens vier Ferienwohnungsvermittler bieten Palagruza an: „Wegen der Entfernung zur Zivilistation ist keine Verpflegung möglich… Auf Palagruza wird Ihnen eine besondere Möglichkeit geboten: Seien Sie für zwei Wochen Robinson, erholen Sie sich von der Zivilisation, geniessen Sie die Einsamkeit, finden Sie zu Ihrem neuen Selbst.“ Ob wir dem wirklich begegnen möchten? Das Ganze ist jedenfalls für die letzte Septemberwoche schon für 490 Euro zu haben. Danach: Ist Palagruza für fünf Monate nicht mehr zu buchen. Obwohl mit einem Klima wie Kreta ausgestattet, ist es wohl die Überfahrt, die in den harten Wintermonaten nicht mehr zu garantieren ist. Palagruza: Ist irgendwie ungezähmt.

Mala Palagruza, das „kleine Palagruza“

Vorsichtig motore ich wieder zurück, nach Osten. Ich versuche, die Durchfahrt zwischen Vela Palagruza und Mala Palagruza zu nehmen. Die Seekarte verzeichnet hier zahlreiche Klippen und Steine, nach zehn Minuten Herantasten breche ich den Versuch, dort hindurchzukommen, ab. Nicht, weil es unmöglich wäre. Sondern weil mir zum Navigieren in diesem Gebiet ein zweiter Mann fehlt, der vom Bugkorb aus einen sicheren Weg durch die Untiefen weist. Hier auf Grund zu laufen, mit meinem Schiff Bruch zu bauen, wäre echt fatal. Handy-Abdeckung ist hier draußen längst keine mehr, obwohl oben auf der Insel ein Mast aufragt. Im Falle eines Missgeschicks wäre ich ganz allein auf mich gestellt. Ich bin hier in echter Einsamkeit.

So scheint es jedenfalls. Keine hundert Meter weiter entdecke ich zwischen den Felsen ein winziges Schlauchboot. Ein Mann sitzt darin, mit großem Strohhut, der Himmel weiß, wie er sein kleines graues Schlauchboot vertäut, verankert hat am Grund in 10, 20 Meter Tiefe. In der Einsamkeit der Klippen sitzt der Mann mit dem Strohhut auf seinem Schlauchboot und hält eine Angel seelenruhig in der Hand. Sein Gefährt kippt und wippt in den Wellen. Er sieht nicht einmal zu mir herüber, unbeirrt blickt er in dem kleinen wackligen Gefährt auf die Wasseroberfläche, dorthin, wo seine Schnur in die Tiefe führt. Der Fischerkönig am See. Unwillkürlich denke ich an dieses Bild aus dem Parzival Wolframs von Eschenbach, in dem der unerfahrene rote Ritter zum ersten Mal dem einsamen Fischerkönig auf dem See begegnet, ihn aus der Ferne beobachtet. Der Fischerkönig in seinem Boot, allein draußen.

„Einen er im Schiffe sach,
den het an im alsolch gewant,
als ob im dienden elliu lant.“

[Einen sah er auf dem Schiff,
der war gekleidet
als wären ihm alle Länder Untertan]

Anfortas, der wissende, Anfortas, der verwundete Alte, der den Jungen auf die Probe stellen wird. Und der Junge, der versagt, weil er vergisst, die eine Frage zu stellen:

„Herre, wie wiret iuch?“
[Herr, was ist Euch geschehen?]

Langsam gleitet LEVJE weiter nach Osten, Richtung Landspitze, vorbei an überspülten Klippen und Felsen. Vorsichtig halte ich Abstand, folge der 30-Meter-Tiefenlinie, die hier keine 100 Meter von den Felsen der Insel läuft. Als ich mich nach einer Weile umdrehe, ist das Schlauchboot mit dem Mann unter dem Strohhut verschwunden. So wie die Burg Montsalvaesche, als Parzival sie am Morgen verlässt.

An der Ostspitze dann etwas, was aussieht, wie eine geschützte Ankerbucht. Soll ich? Eine Nacht auf der einsamen Insel? Ankern zwischen den den steil aufragenden Felsnadeln? Nein. Wer weiß, wie das Wetter wird. Und zudem: Ich habe mich nicht ordentlich abgemeldet daheim. Wenn ich mich heute Abend nicht melde, dann heißt das Schindluder treiben mit den Gefühlen derer, denen ich meine Ankunft auf der kroatischen Insel Vis für heute Nacht angekündigt habe.

Nein. Ich lege Ruder Kurs Nord, Richtung der 60 Seemeilen entfernten Insel Vis. Das ich heute irgendwann kurz vor Mitternacht erreichen werde.

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• Italien
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Sonntag, 16. Oktober 2016 20.15 Live im Kino
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Das sagt die Presse über Buch und Film:

„… ein Sehnsuchtsbuch par excellence.
Und ein echtes sinnliches Erlebnis.“
MÄRKISCHE ZEITUNG im Oktober 2015

„… eröffnet dem Weltenbummler ganz wunderbare Traumziele, auf die man 
bei üblicher Herangehensweise schwerlich gekommen wäre.“
YACHT im Mai 2015 

„Die Besonderheit des einstündigen Streifens ist seine Ruhe. 
Eine Ruhe, die der Film mit poetisch angehauchter Sprache und sinnlichen Bildern von Szene zu Szene eingehender vermittelt.“
SEGELREPORTER im Dezember 2015

„… ein schönes, ein gelungenes Werk, animierend und inspirierend.“
LITERATURBOOT im Juli 2015

„Absolut empfehlenswert!
Für Reisebegeisterte ist ‚Einmal München-Antalya, bitte!‘ definitiv zu empfehlen.“


RATGEBER.REISE. im Juni 2015


Einhand durch die Adria: Die gar nicht so einfache Südadria.

Eine Blitz in einer Gewitterwolke über der nächtlichen Kathedrale von Trani. Ein eindrucksvolles Schauspiel. Aber wenn die Gewitterwolke Tag um Tag an derselben Stelle steht und Mann und Schiff für Tage im Hafen hält, nicht mehr so lustig.

Schon häufiger war ich in der Südadria unterwegs. Wenn man sie von Norden überqueren würde, schrieb Rod Heikel einmal in einem seiner Hafenhandbücher, könne man eine Kaffeetasse auf dem Salontisch abstellen. Sie würde – so sagt er sinngemäß – nicht umfallen. Tatsächlich ist es von Nordwesten kommend ein angenehmer Kurs. Der im Sommer vorherrschende Maestrale schiebt einen aus Nordwest die Küste hinunter nach Südost. Die Strömung hilft mit: Sie setzt in der Adria auf der Ostseite die griechische, albanische, kroatische Küste hinauf nach Norden, um in gleicher Richtung, nämlich an Venedig vorbei die italienische Ostküste wieder hinunterzuströmen. Glücklich also, wer auf dem Weg nach Süden ist. Aber meistens unerfreulich, wenn man in den Norden der Adria unterwegs ist.

Meistens merkt man von dieser Strömung gar nichts. Gelegentlich aber schon. Ich war zeitig am Morgen in Monopoli aufgebrochen (ja, den Ort gibts tatsächlich. Aber leider hat er versäumt, sich frühzeitig irgendwelche Namensrechte zu sichern. Also ist Monopoli – ein nettes Städtchen. Und gänzlich ohne Schloßallee [G]), ein Maestrale wehte von dort, wo ich hin wollte, ich beschloß, weil Wind und Wetter schön waren, aufzukreuzen nach Norden, denn mit LEVJE’s 19-PS-Motörchen, dem braven YANMAR 2GM20, ist schlecht anzuötteln gegen Wind und Strom. 

Bis zur ersten Wende alles wie gehabt. Die Segel zogen, der Wind wehte, der Wendewinkel war normal. Aber als ich nach einer Viertelstunde auf dem iPAD meinen Kurs nachverfolgte, stellte ich plötzlich fest, dass ich genau wieder dorthin zurücklief, wo ich herkam. Wendewinkel 150 Grad statt der üblichen 100.

Ich hatte das Segel im Verdacht. Beäugte ganz kritisch mein Großsegel. Aber das zuckte nur unschuldig dreinblickend mit den Schultern. Die Genau stand ganz brav. Und hatte auch keine Ahnung, was los war.

Meine Gedanken schlugen einen anderen Weg ein. Vielleicht habe ich ja verlernt, zu segeln?Vielleicht klebt unter LEVJE ja gerade ein Riesenkalmar? Und sorgt mit träge wehenden Tentakeln genau unter mir dafür, dass wir statt Zickzack immer nur hin- und her fahren. Einen Moment lang überlegte ich wirklich, ob ich so blöde sein sollte, und jetzt auf dem Bauch liegend unter LEVJE nachsehen sollte. Nein.Ich verwarf den Gedanken, schielte aber weiter trotzdem mißtrauisch ins Wasser. Hab ich bei Homer was überlesen? Scylla und Carybdis und …? Noch irgendwo ein Riesenstrudel?

Ich kam nicht drauf. Es wurde nur nach jeder Wende übler. Glück hatte ich, weil irgendwann der Wind einschlief. Und die Stunde von LEVJE’s Motörchen schlug. Ich ließ die Segel stehen. Wir öttelten fröhlich dahin, der Geschwindigkeitsmesser im iPAD zeigte … Moment mal: Ich fahre stramme 2.200 Umdrehungen, und wir machen nur 3,7 Knoten?? Wieder schoss mir der Gedanke vom Riesenkalmar durch den Kopf. Ich geh jetzt wirklich nachsehen. Nein, Blödsinn.

Bis mein Blick auf meine gute alte Logge fiel. Eigentlich beachte ich meine richtige Logge, die gute alte Dame, sie so gut wie nie. Weil das IPAD dank GPS die echte Geschwindigkeit über Grund angibt, ist das iPAD die Nummer eins. Die Logge im Schiffsbauch misst ja nur die Fahrt durchs Wasser (also mit welcher Geschwindigkeit das Badewasser unter LEVJE entlangpritschelt). Aber eben nicht: wie schnell wir über Grund sind. Aber diesmal war der Blick auf beide Instrumente interessant:

Das iPAD pendelte wzischen 3,7 und 4,0.
Die Logge zeigte 5,5 Knoten – als fast 2 Knoten mehr.

Schnell gin ich auf Gegenkurs. Jetzt war es fast umgekehrt: Auf Südkurs zeigte das iPAD 5,9 Knoten (!). Die Logge aber nur mehr 4,5 Knoten.

Des ersten Rätsels Lösung: Die besagte Strömung. Sie setzte auf dem offenen Meer an diesem Tag an der Küste zwischen Monopoli und Bari mit fast zwei Knoten (!) nach Südosten. Und sorgte durch die Abdrift für einen niederschmetternden Wendewinkel. Und mein auf der Stelle treten.

Liebevoll betrachtete ich meine beiden Segel. Und murmelte leise ein „Tschuldigung.“

Sie steht einfach tagelang über dem Land: Kaum am Morgen aus dem Hafen raus, bleibt auch die Gewitterzelle einfach hinter uns liegen.

Das Vorwärtskommen nach Norden gestaltete sich weiter schwierig. Neben mancherlei Scherzen wie „gegen den Strom“ hielt mich in Trani drei Tage schlechtes Wetter fest. Starker Nordost. Gewitter, Platzregen. „Mare brutto“, sagte Cinzia, der kleine Feger, die in Trani einen Yachtservice betreibt und sich um alles kümmert, was ein Segler braucht. Von Fotopapier bis Waschsalon, von Leihwagen bis Gasflasche füllen. Nur am Wetter: Da konnte Cinzia nichts ändern. 

Aber solange man dann auch vernünftig ist und brav im Hafen bleibt: Irgendwann ist Schluß mit der Warterei. Und Cinzia hin, Wetterbericht her: Irgendwann treibt es einen aus dem Hafen. Vergangener Donnerstag also. Ein bisschen Wetterbesserung in Sicht. Jedenfalls kein Dauerplatzregen mehr über Trani. Und wenig Wind.

Morgens um halb sieben aus dem Hafen. Statt wie vorhergesagt Windstille erfreuliche 5 bft auf nüchternen Magen aus West. LEVJE spurtete los, Kurs Ostspitze Gargano. Halber Wind. Aber so schnell er gekommen war, so schnell war er auch wieder weg. Plötzlich fand ich mich mit schlagenden Segeln in einem Wellenschwippschwapp wieder, Wellen, als würde Poseidon gerade ein neues Strickmuster für seine Wellen ausprobieren. Zwei links, eine rechts, und dann drei von überall.

Des zweiten Rätsels Lösung: Keine Viertelstunde im Schwippschwapp setzte ein vehementer Nordost ein. 5-6 bft. mit steiler Welle von vorn. Ich reffte, was zu reffen war – und setzte mich selber an die Pinne. Und lernte mein Schiff von einer ganz neuen Seite kennen: Was für ein kraftvoller Renner sie bei 5-6 bft. sein kann. Aus meiner Sorge, die Wellenberge könnten überhand nehmen, wurde purer Spaß, ich steuerte Stunde um Stunde, bis der im Weg liegende Felsrücken des Gargano nicht mehr zu übersehen war. Und ich wenden musste.

Aber da war dann etwas anderes nicht mehr zu übersehen, weil es sich in meinem Rücken, im Südosten zusammengebraut hatte.

Eine heftige Regenfront zu meiner Rechten. Sie wurde schwärzer. Und schwärzer.

Sie wurde solange schwärzer, bis sogar das Meer sein faszinierendes Türkis aufgab, das für die Gewässer rund um den Gargano so typisch ist, und zu einem rußig-schmutzigen Grün wurde. Rabenschwärze über meinen kleinen Schiff und mir. Und dann pladderte es los, wie es nur am Meer pladdern kann.

Ich freue mich ja immer über Regen unter Segeln im Mittelmeer. Alles ist warm. Und wenn es schwerer Platzregen ist, dann ist der Regen so stark, dass er die ewig hackigen Seen wie auf dem Foto einfach im Nu platt drischt. Schluss mit Kreuzseen. Schluss mit Schwippschwapp. Ich kroch unter LEVJE’s Bimini in den Niedergang, ließ den Motor laufen. Und schaute dem heftigen Regen aus dem Trockenen zu, durch den mein Schiff unter Autopilot lief, zu.

Nach zehn Minuten war alles vorüber. Fast. Das Wetter stand grau an Backbord, vor uns die Sonne, Nur etwas links von uns, da wo die Wolken am Schwärzesten waren, ragte vom Himmel ein dünner Schlauch herunter, ganz nach unten. Und wirbelte dort wie ein Staubsauger das Wasser auf:

Etwas oberhalb der Bildmitte erkennbar: Ein feiner dünner Schlauch. Eine Windhose. Und rechts darunter genau auf der Kimm aufgewirbelte Wassermassen, die der sich drehende Rüssel in die Luft wirbelt. 



Eine Windhose – eine „Tromba d’Aria“. Dies Jahr ist mein Jahr der Jahr der Windhosen. Schon vier, fünf Mal bekam ich welche zu Gesicht. Und gut ist eigentlich nur, dass sich die Teile – dies ist jedenfalls meine Beobachtung, ob es stimmt, weiß ich nicht:
a) relativ langsam bewegen und sie
 b) sich halbwegs mit der Zugbahn des Unwetters bewegen. Und nicht unberechenbar hin und her springen. 

Wenige hundert Meter hinter dem ersten bildete sich noch ein zweiter Sog, nur erkennbar an der aufgewirbelten Wasseroberfläche, aber beide fielen nach wenigen Minuten in sich zusammen.

Der Rest des Tages bis zur Ostspitze des Gargano, bis nach Vieste? Sommersegeln unter makellos blauem Himmel.

War da irgendwas?

Und was sind die Learnings aus diesen Geschichten?

1. Strom ist meist zu vernachlässigen. Es gibt Gegenden, da kann er eine Rolle spielen.

2. Die Südadria ist – ähnlich wie Kroatien oder oder die nordöstliche Adria – ein gewitterreiches Revier.

3. In Gegegnden, in denen schmale Landmassen große Meeresteile trennen – Italiens Stiefelspitze, Stiefelabsatz, Gargano – ist mit besonderen Wetterphänomenen zu rechnen wie Gewitter, schnell sich ändernde Winde, intensivere Wellen-Entwicklungen.

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Was man braucht, um sich richtig im Gewitter zu verhalten:

mein Buch über Gewitter – geschrieben von 40 Seglern: 

40 Segler berichten ihre Erfahrungen.

In 8 Revieren.

Auf 272 Seiten.

Mit über 100 Fotos.

Mit mehr als 100 Learnings über richtiges Verhalten im Gewitter.

Live-Interview im hessischen Rundfunk ansehen?

 Hier den Mitschnitt sehen.

Weiterlesen über Gewitter hier auf MARE PIU: 

Ist es gefährlich, im Gewitter zu segeln? Hier.

     Mehr erfahren? Bestellen und als eBook lesen: Hier!

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Dank!

Einhand durch die Adria, Teil 1: Die gar nicht so einfache Südadria.

Eine Blitz in einer Gewitterwolke über der nächtlichen Kathedrale von Trani. Ein eindrucksvolles Schauspiel. Aber wenn die Gewitterwolke Tag um Tag an derselben Stelle steht und Mann und Schiff für Tage im Hafen hält, nicht mehr so lustig.

Schon häufiger war ich in der Südadria unterwegs. Wenn man sie von Norden überqueren würde, schrieb Rod Heikel einmal in einem seiner Hafenhandbücher, könne man eine Kaffeetasse auf dem Salontisch abstellen. Sie würde – so sagt er sinngemäß – nicht umfallen. Tatsächlich ist es von Nordwesten kommend ein angenehmer Kurs. Der im Sommer vorherrschende Maestrale schiebt einen aus Nordwest die Küste hinunter nach Südost. Die Strömung hilft mit: Sie setzt in der Adria auf der Ostseite die griechische, albanische, kroatische Küste hinauf nach Norden, um in gleicher Richtung, nämlich an Venedig vorbei die italienische Ostküste wieder hinunterzuströmen. Glücklich also, wer auf dem Weg nach Süden ist. Aber meistens unerfreulich, wenn man in den Norden der Adria unterwegs ist.

Meistens merkt man von dieser Strömung gar nichts. Gelegentlich aber schon. Ich war zeitig am Morgen in Monopoli aufgebrochen (ja, den Ort gibts tatsächlich. Aber leider hat er versäumt, sich frühzeitig irgendwelche Namensrechte zu sichern. Also ist Monopoli – ein nettes Städtchen. Und gänzlich ohne Schloßallee [G]), ein Maestrale wehte von dort, wo ich hin wollte, ich beschloß, weil Wind und Wetter schön waren, aufzukreuzen nach Norden, denn mit LEVJE’s 19-PS-Motörchen, dem braven YANMAR 2GM20, ist schlecht anzuötteln gegen Wind und Strom. 

Bis zur ersten Wende alles wie gehabt. Die Segel zogen, der Wind wehte, der Wendewinkel war normal. Aber als ich nach einer Viertelstunde auf dem iPAD meinen Kurs nachverfolgte, stellte ich plötzlich fest, dass ich genau wieder dorthin zurücklief, wo ich herkam. Wendewinkel 150 Grad statt der üblichen 100.

Ich hatte das Segel im Verdacht. Beäugte ganz kritisch mein Großsegel. Aber das zuckte nur unschuldig dreinblickend mit den Schultern. Die Genau stand ganz brav. Und hatte auch keine Ahnung, was los war.

Meine Gedanken schlugen einen anderen Weg ein. Vielleicht habe ich ja verlernt, zu segeln?Vielleicht klebt unter LEVJE ja gerade ein Riesenkalmar? Und sorgt mit träge wehenden Tentakeln genau unter mir dafür, dass wir statt Zickzack immer nur hin- und her fahren. Einen Moment lang überlegte ich wirklich, ob ich so blöde sein sollte, und jetzt auf dem Bauch liegend unter LEVJE nachsehen sollte. Nein.Ich verwarf den Gedanken, schielte aber weiter trotzdem mißtrauisch ins Wasser. Hab ich bei Homer was überlesen? Scylla und Carybdis und …? Ein Riesenstrudel.

Ich kam nicht drauf. Es wurde nur nach jeder Wende übler. Glück hatte ich, weil irgendwann der Wind einschlief. Und die Stunde von LEVJE’s Motörchen schlug. Ich ließ die Segel stehen. Wir öttelten fröhlich dahin, der Geschwindigkeitsmesser im iPAD zeigte … Moment mal: Ich fahre stramme 2.200 Umdrehungen, und wir machen nur 3,7 Knoten?? Wieder schoss mir der Gedanke vom Riesenkalmar durch den Kopf. Ich geh jetzt wirklich nachsehen. Nein, Blödsinn.

Bis mein Blick auf meine gute alte Logge fiel. Eigentlich beachte ich meine richtige Logge, die gute alte Dame, sie so gut wie nie. Weil das IPAD dank GPS die echte Geschwindigkeit über Grund angibt, ist das iPAD die Nummer eins. Die Logge im Schiffsbauch misst ja nur die Fahrt durchs Wasser (also mit welcher Geschwindigkeit das Badewasser unter LEVJE entlangpritschelt). Aber eben nicht: wie schnell wir über Grund sind. Aber diesmal war der Blick auf beide Instrumente interessant:

Das iPAD pendelte wzischen 3,7 und 4,0.
Die Logge zeigte 5,5 Knoten – als fast 2 Knoten mehr.

Schnell gin ich auf Gegenkurs. Jetzt war es fast umgekehrt: Auf Südkurs zeigte das iPAD 5,9 Knoten (!). Die Logge aber nur mehr 4,5 Knoten.

Des ersten Rätsels Lösung: Die besagte Strömung. Sie setzte auf dem offenen Meer an diesem Tag an der Küste zwischen Monopoli und Bari mit fast zwei Knoten (!) nach Südosten. Und sorgte durch die Abdrift für einen niederschmetternden Wendewinkel. Und mein auf der Stelle treten.

Liebevoll betrachtete ich meine beiden Segel. Und murmelte leise ein „Tschuldigung.“

Sie steht einfach tagelang über dem Land: Kaum am Morgen aus dem Hafen raus, bleibt auch die Gewitterzelle einfach hinter uns liegen.

Das Vorwärtskommen nach Norden gestaltete sich weiter schwierig. Neben mancherlei Scherzen wie „gegen den Strom“ hielt mich in Trani drei Tage schlechtes Wetter fest. Starker Nordost. Gewitter, Platzregen. „Mare brutto“, sagte Cinzia, der kleine Feger, die in Trani einen Yachtservice betreibt und sich um alles kümmert, was ein Segler braucht. Von Fotopapier bis Waschsalon, von Leihwagen bis Gasflasche füllen. Nur am Wetter: Da konnte Cinzia nichts ändern. 

Aber solange man dann auch vernünftig ist und brav im Hafen bleibt: Irgendwann ist Schluß mit der Warterei. Und Cinzia hin, Wetterbericht her: Irgendwann treibt es einen aus dem Hafen. Vergangener Donnerstag also. Ein bisschen Wetterbesserung in Sicht. Jedenfalls kein Dauerplatzregen mehr über Trani. Und wenig Wind.

Morgens um halb sieben aus dem Hafen. Statt wie vorhergesagt Windstille erfreuliche 5 bft auf nüchternen Magen aus West. LEVJE spurtete los, Kurs Ostspitze Gargano. Halber Wind. Aber so schnell er gekommen war, so schnell war er auch wieder weg. Plötzlich fand ich mich mit schlagenden Segeln in einem Wellenschwippschwapp wieder, Wellen, als würde Poseidon gerade ein neues Strickmuster für seine Wellen ausprobieren. Zwei links, eine rechts, und dann drei von überall.

Des zweiten Rätsels Lösung: Keine Viertelstunde im Schwippschwapp setzte ein vehementer Nordost ein. 5-6 bft. mit steiler Welle von vorn. Ich reffte, was zu reffen war – und setzte mich selber an die Pinne. Und lernte mein Schiff von einer ganz neuen Seite kennen: Was für ein kraftvoller Renner sie bei 5-6 bft. sein kann. Aus meiner Sorge, die Wellenberge könnten überhand nehmen, wurde purer Spaß, ich steuerte Stunde um Stunde, bis der im Weg liegende Felsrücken des Gargano nicht mehr zu übersehen war. Und ich wenden musste.

Aber da war dann etwas anderes nicht mehr zu übersehen, weil es sich in meinem Rücken, im Südosten zusammengebraut hatte.

Eine heftige Regenfront zu meiner Rechten. Sie wurde schwärzer. Und schwärzer.

Sie wurde solange schwärzer, bis sogar das Meer sein faszinierendes Türkis aufgab, das für die Gewässer rund um den Gargano so typisch ist, und zu einem rußig-schmutzigen Grün wurde. Rabenschwärze über meinen kleinen Schiff und mir. Und dann pladderte es los, wie es nur am Meer pladdern kann.

Ich freue mich ja immer über Regen unter Segeln im Mittelmeer. Alles ist warm. Und wenn es schwerer Platzregen ist, dann ist der Regen so stark, dass er die ewig hackigen Seen wie auf dem Foto einfach im Nu platt drischt. Schluss mit Kreuzseen. Schluss mit Schwippschwapp. Ich kroch unter LEVJE’s Bimini in den Niedergang, ließ den Motor laufen. Und schaute dem heftigen Regen aus dem Trockenen zu, durch den mein Schiff unter Autopilot lief, zu.

Nach zehn Minuten war alles vorüber. Fast. Das Wetter stand grau an Backbord, vor uns die Sonne, Nur etwas links von uns, da wo die Wolken am Schwärzesten waren, ragte vom Himmel ein dünner Schlauch herunter, ganz nach unten. Und wirbelte dort wie ein Staubsauger das Wasser auf:

Etwas oberhalb der Bildmitte erkennbar: Ein feiner dünner Schlauch. Eine Windhose. Und rechts darunter genau auf der Kimm aufgewirbelte Wassermassen, die der sich drehende Rüssel in die Luft wirbelt. 


 






Eine Windhose – eine „Tromba d’Aria“. Dies Jahr ist mein Jahr der Jahr der Windhosen. Schon vier, fünf Mal bekam ich welche zu Gesicht. Und gut ist eigentlich nur, dass sich die Teile – dies ist jedenfalls meine Beobachtung, ob es stimmt, weiß ich nicht:
a) relativ langsam bewegen und sie
 b) sich halbwegs mit der Zugbahn des Unwetters bewegen. Und nicht unberechenbar hin und her springen. 

Wenige hundert Meter hinter dem ersten bildete sich noch ein zweiter Sog, nur erkennbar an der aufgewirbelten Wasseroberfläche, aber beide fielen nach wenigen Minuten in sich zusammen.

Der Rest des Tages bis zur Ostspitze des Gargano, bis nach Vieste? Sommersegeln unter makellos blauem Himmel.

War da irgendwas?

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24 Stunden auf dem Meer. Einhand über den Golf von Tarent.

Nebel, der am Morgen nach meinem langen Schlag vom Festland herüberweht. Apulien, wie man es nicht kennt.

Ich erlebe mehr auf dem Meer, als ich schreiben kann. Hier draußen ist nie ein Tag wie der andere. Langeweile war mir zwar von je her fremd, ich kannte sie nie. Aber das Meer, es überrascht jeden Tag, als würde ich durch eine fremdartige, andere Welt reisen. Kein Tag ist wie der andere. Kein Schlag ist wie der vorige. Und weil das so ist, möchte erzählen von meiner Reise über den Golf von Tarent nach Nordosten, um den Absatz des italienischen Stiefels herum.

110 Seemeilen. 24 Stunden. Von Le Castella/Crotone nach Castro/Lecce.

Als Pino mir am Vortag den reparierten Bugkorb bringt, fängt die Arbeit an. Burgkorb wieder einbauen. Seereling dranschrauben. Deck klarieren. Werkzeug aufräumen. Halb elf Uhr Abends bin ich fertig, ist der letzte Schraubenschlüssel wieder an seinen Platz geraümt. Noch eine schnelle Dusche unter dem Schlauch auf der Mole von Le Castella westlich von Crotone. Ein Bier. Ab ins Bett.

Am Morgen bin ich mit einem Satz aus dem Bett, checke den Wetterbericht, sehe, dass ich draußen noch etwa sechs Stunden fünf Windstärken vorfinde. Und dann eine Woche lang – kein Wind mehr. Flaute. Also beschließe ich, auszulaufen. Und die Gunst des Windes zu nutzen, dass er mich vielleicht zumindest ein Stück meines Weges über den Golf von Tarent, das Stück zwischen Sohle und Absatz des Stiefels trägt.

Und er pustet kräftig los, kaum dass ich um Capo Rizzuto herum und aus dem Windschatten bin. Da sind sie, die 5 bft., ich reffe, beigedreht, während ein Frachter vor der Küste hinter uns vorbeiläuft. So schön, so kräftig der Wind auch ist: Statt nach Nordosten, zum Stiefelabsatz hin zieht er uns jetzt nach Osten, raus aufs offene Meer. Und nicht hinüber, zum Stiefelabsatz.

Dann also: Hinaus.

1. 
Samstag. Badezeit. Im Nirgendwo.

Es ist Samstag Abend. Ich bin weit draußen auf dem Meer.  Etwa 100 Kilometer südlich des Stiefelabsatzes. Und 30 Kilometer östlich des Punktes, wo die Sohle des Stiefels anfängt. Es ist 19.30, Ende August. Die Sonne ging eben unter. Vor einer Stunde ist der Wind eingeschlafen. Und mit ihm haben sich die hackigen Wellen Schlafen gelegt, nur hin und wieder platscht noch Schwell an LEVJE’s Heck, lässt sie energisch stampfen, wie ein kleines Frauenzimmer, dem was nicht in den Kram passt. 
Ich stelle LEVJEs Motor ab. Einen Moment will ich die Stille hören. Will nicht mehr mit LEVJEs beruhigendem Bullern durch die Wellen ziehen. Sondern mich einen Agenblick in den Elementen fühlen. Ganz allein. Verloren in der anderen Welt, rings um mich herum, die so viel größer und weiter ist als unsere kleine Welt.

Es kostet Überwindung, den Motor abzustellen. Und nur noch die Stille zu hören draußen, weit weit entfernt vom Land.
Was, wenn er nicht mehr anspringt? 
Wenn sich die Stille plötzlich nicht mehr abstellen lässt darurch, dass sich der Motor in der Dunkelheit bullernd anstellen lässt? Es herrscht Flaute, für die nächsten Tage… 
Ich verwerfe den Gedanken. Zu groß ist die Verlockung, die Stille zu hören. Und jetzt an dieser Stelle ins Meer zu hüpfen.

Die Stille. Ich stelle LEVJEs Motor ab. einen Moment gleitet sie noch weiter, einfach weiter, als hätte Gottes großer Finger sie angestupst, ihr Schwung verliehen. Sie gleitet, wird langsamer. Dann: 100, 200 Meter weiter bleibt sie einfach liegen. Schaukelt leicht in der Dünung. Kein Wind. Nur ein bisschen Dünung. Die Stille – hier draußen ist sie, weit weit entfernt von allem. Ich kann sie hören. 

Wenn nur das Großsegel in der Dünung nicht so erbrämlich flappen und schlagen würde.

Wenn nur die Wellen LEVJE’s Heck nicht so zum Stampfen brächten.

Die Stille. Sie erinnert mich an manchen Spaziergang im frühen Winter, wenn der erste Schnee fällt. Oft ging ich in den Wald, nur um die Stille zu hören. Das feine Rieseln, das leiste Zischeln, wenn feuchter Schnee auf Fichtenzweige und Waldboden fällt. Und der feuchte Schnee alle anderen Geräusche wegdämmt.

Hier draußen auf dem Meer ist das ähnlich. Kein Geräusch. Eine Stille, die sich wohlig auf die Ohren legt. Nur mein Großsegel klappert elend. Aber das Geräusch kann man ausblenden. Und sich ganz auf die Stille konzentrieren.

Es kostet etwas Überwindung, hier ins Meer zu steigen. Unter mir sind etwa 1.739 Meter Wassersäule. Wer weiß, was unter mir alles herumschwimmt, jetzt wo die Sonne schon untergegangen ist. Als ich LEVJEs Leiter hinuntersteige, bin ich überrascht, wie warm das Meer hier ist. Eigentlich hatte ich erwartet, der Nordost, der seit frei Tagen hart wehte, hätte alles umgekrempelt, Tiefenwasser hochgespült und Oberflächenwasser nach unten, das unterste zu oberst gekehrt. Aber nichts da. Das Meer fühlt sich einfach nur warm an wie Badewasser an.

Die ersten Schwimmzüge. Weit schwimme ich nicht weg von LEVJE. Ein Windhauch hier draußen  könnte sie von mir wegtreiben, wer weiß, wie ich dann wieder zurückkäme, zur Leiter, aufs Schiff. Die Geschichte von den vier Yachties, die weit draußen ins Meer sprangen, ohne die Badeleiter herunterzuklappen. Wie endete sie?

Nein. Hier endet mein Mut. Ich bin nicht so verrückt, mein Glück zu versuchen. Schwell, der plötzlich auf LEVJE’s Heck zuläuft, wieder ein Stampfen, mit dem sie sich gegen die großen Wellen wehrt. Schnell zur Leiter.

Plötzlich lässt sich meine Funke hören. Italienisch, irgendein Boot-zu-Hafen-Gespräch auf Kanal 16. Ein Funkspruch, aus dem 100 Kilometer entfernten Santa Maria di Leuca. Wenn ich so weit draußen bin, lasse ich das Funkgerät mitlaufen. Wer weiß, ob man es nicht schnell braucht, es muss zur Hand sein sein, wenn ein Frachter partout auf einen zuhält, würde ich versuchen, ihn anzurufen. So schnell wie das Funkgerät zu quäken beginnt, ist es auch wieder still. 

Während ich mich dusche und abtrockne, lausche ich weiter auf die Stille. Ich bin glücklich. Jetzt, Hier. Genau an diesem Ort. Und ich versuche zu ergründen, warum. Welcher Winkel meiner Seele mir genau hier an dieser Stelle einen Dopamin-Ausstoß beschert. 100 Kilometer entfernt vom Stiefelabsatz. Und 30 Kilometer vom nächsten Land.

Und während ich mich freue, über die Stille, während ich noch meinen Gedanken nachhänge, ein Brummen in meiner Welt. Über den Wassern. Weit im Norden. Wie das einsame Brummen eines Flugzeuges am Herbsthimmel. Irgendwo hinter dem Klappern meines Riggs, irgendwo verborgen in der Weite, im Dunst, in der Stille ein friedliches Brummen. Ein Frachter. Seine weißen Decksaufnauten kommen eben über die Kimm, er ist sich er zwischen fünf und zehn Meilen entfernt und kriecht langsam in meine Richtung.

Erstaunlich. Nun bin ich doch wirklich in der anderen Welt – ist man denn nirgends mehr allein? Natürlich: Die Wegstrecke südlich des Golfes von Tarent ist viel befahren. Hier zieht allerhand vorbei, was von West nach Ost und Ost nach West will.

Trotzdem. Alles gut, soweit draußen. Das Leben ist schön an Orten, wo man es niemals für möglich gehalten hätte.

2.
Leben. Im Dunkel.

Natürlich sprang der Motor nicht auf Anhieb an. Neuerdings hat er die Eigenart, wenn er warm gefahren ist, zwei, drei, vier Drucke auf den Anlasserknopf zu benötigen. Weil sich bei den ersten Knopfdrücken einfach – nichts tut. Es dauert bis zum Dritten, bis der Anlasser die Kolbe kurz bewegt. Und der Motor anspringt.

Aber die Geschichte erzähle ich jetzt nicht, welche Gefühle einen beschleichen, wenn soweit draußen bei Windstille der Motor sich nicht mehr meldet, nicht anspringt. Als hätte man es geahnt.

Nein. Lieber erzähle ich jetzt eine Geschichte von langen Nachtwachen. Wenn es dunkel ist, stockdunkel, weil selbst der Mond sich nicht blicken lässt, dann ist es wirklich so, dass das Boot einfach nur ins Zappenduster hineingleitet. Ein bisschen Rotgrüner Schimmer, vom Buglicht im Bugkorb voraus. Das war es. Zu sehen ist da nichts mehr. Kein unbeleuchtetes Bojenfeld vor einem. Kein treibender Gegenstand. LEVJE strebt durch die Dunkelheit auf einem Kurs, auf dem der Autopilot sie hält. Ich bin nur Beobachter, kontrolliere hin und wieder das Geschehen, ob alles seine Richtigkeit hat. Sonst: Lausche ich den Geräuschen des Dunkels auf dem Meer. Der Schwell, der von irgendwoher heran rollt und mein Schiff unruhig werden lässt wie eine Pferd, das durchgehen will. 

Ein Fußball treibt bleich vorbei, ganz nah, in der Dunkelheit. Sicher hat ein Kind ihn am Strand verloren, der Wind treibt ihn nun seit drei Tagen immer weiter nach Süden, auf eine lange Reise.

Ob ich anhalten, ihn holen soll? Ich verwerfe den Gedanken. Irgendwo tief in LEVJE’s Backskiste liegen schon zwei Fußbälle, die ich gerettet habe. In Griechenland. Der Türkei. Nein, nicht noch einer. Lassen wir den Ball unbehelligt seine Reise tun.

Leichte Wellen, von irgendwoher, die Schaumkronen hinterlassen, wenn LEVJE durch sie hindurchgeht. Und immer, immer war es, als würde neben mir, dort, wo die Bugwelle seitlich wegstrebt, irgendetwas achmatzend atmen. Wie oft hörte ich das, neben mir. Es war, wie das Atmen eines Delphins. Ein kurzes den Rücken durch die Oberfläche drücken. Ein kurzes Öffnen des Atemlochs. Ein Luftholen. Ein wieder-weg-sein. Gesehen habe ich nie etwas. Die Einbildung, von einem Lebewesen begleitet zu werden: Sie gehört zu den langen Nachtwachen dazu.

Nur diesmal war es anders. Das vertraute Atemholen im Dunkel: Es war wieder da. Links neben dem Boot, in der sich brechenden Bugwelle, seitlich vom Boot. Vorne. Dann wieder seitlich. Ein weißer Schemen irgendwo in den bewegten Wellen. Ich fass‘ es nicht: Ein Delphin, der mit uns schwimmt, kurz nach Mitternacht, als hätte er nichts anderes zu tun, als sich mir mitten in diesem mondlosen Dunkel zu zeigen.

Er schwimmt seitlich. Er schwimmt vorne. Deutlich sehe ich den weißen Schatten, der mal neben, mal vor uns schwimmt. ‚Delphin‘ ist das Wort für reine Freude. Für „ich-gebe-den-Anstoß-für Kontaktaufnahme“. Und als wäre alles nicht genug, als ahnte der Delphin die Zweifel, die ich an meier Sinneswahrnehmung habe und seiner realen Existenz habe: Schraubt er sich vor LEVJE’s Bug hoch in die Dunkelheit, keine fünf Meter voraus. Ich sehe den weißen Schatten, der in die Luft springt, grün vom Buglicht beleuchtet. Ein mannshoher weißer Schatten, der vor uns aus dem Wasser steigt, irgendwie mit einem Lächeln, irgendwo in der Weite des Meeres. Und mit einem kontrollierten Platsch wieder zurück in die Wellen fällt.

Und fort ist. Wie gekommen ist.

3.
Nacht. Und Wachen.
Es ist weit nach Mitternacht. Ich werde langsam müde, auch wenn mich die Nacht und was ich in ihr sehe, unglaublich fesselt. Zeit, ein wenig zu schlafen.

Aber wenn ich „Schlafen“ schreibe, dann ist das etwas anderes als der normale Schlaf. Ich bin auf einem viel befahrenen Track unterwegs. Den Stiefelabsatz passieren, runden in beiden Richtungen Frachter, Fähren, Kreuzfahrtschiffe. Und sie sind schnell unterwegs, schneller als ich. Die meisten zischen – so wie die Containerfrachter, auf denen ich mit unterwegs war – mit 20, 22 Knoten durch die Wellen. Wenn ich zum ersten Mal ihr Licht irgendwo am Horizont entdecke, dauert es meist keine 20 Minuten, bis sie mich erreicht haben.

Also funktioniert Schlafen auf diesen langen Überfahrten anders. Ein letzter gründlicher Blick rundum, ob ich unter den Sternen auch wirklich kein Licht am Horizont übersehen habe. Einmal noch auf LEVJE‘s Bullern gehört. Konzentriert zugehört, ob der Motor gleichmäßig läuft, keine Geräusche  da sind, die ich nicht kenne. Ein Blick nach hinten, wo das Hecklicht die Auspuffgase beleuchtet, die aus dem Wasser aufsteigen. Ob nicht plötzlicher weißer Qualm dabei ist, der anzeigt, dass der Motor in den nächsten Minuten ernsthaften Schaden nehmen wird.

Aber alles ist normal und beruhigend. Wie der Sternhimmel über mir. Ich steige hinunter in LEVJE’s Salon. Die Motorabdeckung ist wie eine Fußheizung, wohlige Wärme durchströmt mich von unten. Dann lege ich mich auf die Saloncouch, wie ich bin, mit Schwimmweste, steuerbords. Und mache die Augen zu. Beim Einschlafen nehme ich mir vor, in zehn Minuten wieder wach zu sein. 

Das klappt. Denn so gemütlich ist das alles nicht. Eine Welle, die seitlich ans Boot platscht. Ein Rumpler, ein Schlingern. Irgendetwas, was mich weckt, ist immer da. Ich schlage die Augen auf. „Steh auf. Schau nach.“ Wie ein Roboter stehe ich ohne Zögern auf. Steige nach oben ins Cockpit. Die Sterne sind alle noch da. Rundum alles ok. Einen Moment bleibe ich oben, vertiefe mich in den Anblick. Dann gehe ich wieder nach unten.

Das geht so fünf, sechs, sieben mal. Fünf Minuten, eine Viertelstunde leichter Schlaf, der kostbar ist. Ich habe das auf langen Autofahrten durch die Nacht gelernt. Wenn Dich die Müdigkeit packt: Nicht fackeln. Rechts raus. Kurz Augen zu. Zwanzig Minuten Schlaf selbst in unbequemer Position machen Dich wieder fit für drei, vier Stunden. Danach? 

Irgendwann auf meinen Wachgängen entdecke ich weit vorne ein Licht. Und eins hinter mir am Horizont. Ich bleibe eine Weile an Deck, beobachte beide Lichter. Ob sie sich bewegen? Wohin sie sich bewegen? Erst wenn ich sicher bin, dass sie irgendwie auswandern, nicht auf der Stelle stehen, gehe ich wieder nach unten. Und hole mir noch ein kleines Portiönchen Schlaf. 

Ich muss wachsam sein, denn wir kommen dem Morgen und dem Land näher. Beides bedeutet, dass nun auch Fischer unterwegs sein werden, die auf das Auslegen ihrer Netze konzentriert sind und nicht auf das, was sonst noch so unerwartet herumkreucht um sie herum. Also wieder: Raus. Nachsehen. Und tatsächlich werden die Lichter voraus mehr. Sie sind meist unbewegt und klein, irgendwo voraus im Golf von Tarent. Und während ich sie beobachte, während ich ihnen zusehe, zischt vor mir über den kleinen Lichtern im Norden eine Sternschnuppe über den Himmel, von Ost nach West. Eine große, die für einen Moment Funkenstieben und eine Spur von Gasen am Firmament hinterlässt, ein unglaubliches Schauspiel.

Ganz schnell überlege ich, was ich mir wünschen könnte. Ich denke an meine Frau, dass ich glücklich bin mit ihr und sie mir Halt gibt. Dass ich glücklich bin an dem Ort, an dem ich jetzt gerade bin. Nein. Nach vielen, vielen Wünschen, die ich im Lauf meines Lebens den Sternschnuppen nachsandte: Ich habe keine Wünsche für mich.

4.
Ankunft.
Noch bevor es zu Dämmern beginnt, blinkt plötzlich ein Leuchtfeuer vor mir am Horizont. Es ist das Leuchtfeuer von Santa Maria di Leuca, das vom Felsen herunter weit in die Nacht einen weißen Finger sendet. Ich habe nun wieder Kontakt zum Festland, eine Verbindung ist hergestellt. Es dauert aber noch drei Stunden, bis ich in der Dämmerung tatsächlich die Klippen von Santa Maria di Leuca vor mir habe. Noch etwa eine halbe Stunde bis zum Hafen. 

Aber: Soll ich da jetzt wirklich rein? Zu schön ist doch das alles um mich herum. Das rosige Licht, das die Sonne aussendet, lange, lange bevor sie sich zeigt. Ein paar Fischer, Ruhelose wie ich, die die Vorstellung des Morgens und die Idee, dass ein Fisch beißen könnte, noch in der Dunkelheit hinaus trieb aufs Meer. Wir sind immer noch Steinzeitmenschen, Jäger, Sammler. Unser Tun, unser Wollen ist geprägt von Jahrhunderttausenden, wir sind Steinzeitmenschen, auch in der Enge des Büros.

Nein: Ich bleibe noch draußen, Müdigkeit hin oder her. Kurs also auf die große Bucht von Castro, zweieinhalb Stunden im Norden. Dort kann ich geschützt ankern und sein. Und das Wasser ist herrlich türkis da.

Nein: Weiter nach Norden. Und während ich die Stelle passiere, wo vor den Klippen das italienische U-Boot am Meeresgrund liegt, das die Briten dort im II. Weltkrieg versenkten und irgendwo dort vorne mit Mann und Maus am steinigen Grund liegt, während ich zum Leuchtturm hinaufschaue und den Anglern ausweiche, die jetzt am Sonntag Morgen ihre Linien ziehen, kreuz und quer vor der Küste, kommt Wind auf. Wind von den Klippen herunter. Wind aus dem Golf von Tarent. Ich hole die Genua und schalte LEVJE’s Motor ab. Stille. Ein Gurgeln am Bug. Ein leises Murmeln am Heck. Stille. Eine Wohltat.

Im Osten des Steifelabsatzes, in Apulien Anfang September.

Und als ob das Leben für jede Entscheidung, die Anstrengung hier draußen bedeutet, auch gleich eine Belohnung mit sich brächte: Etwas, das man im Leben nie mehr vergessen wird ob seiner Schönheit, bringt der Wind Wolken mit sich. Er treibt sie aus dem Golf von Tarent über die Enge des Absatzes hinüber. Sie werden zu Nebel. fallen herunter von den kahlen Hängen, als wäre ich hier nicht im südlichsten Süditalien, sondern weit weit irgendwo im herbstlichen England, das ich so liebe. Ein unglaubliches Schauspiel des Nebels im zarten Morgenlicht, eine Landschaft, Orte, Paläste, nur leicht verhüllt. Palladio’s Villen in einer Herbstlandschaft – statt im Norden dort, wo man sie nie vermutet hätte.

Nein. Ich erlebe mehr auf dem Meer, als ich schreiben kann.

  

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Mare Più: heißt „mehr Meer“. 
Und wenn Sie mehr Geschichten 
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Wie es ist, auf einem kleinen Segelboot
• Italien
• Griechenland
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zu bereisen. Und in fünf Monaten: Von München nach Antalya zu reisen.

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Im Download. Als DVD. Hier.

Demnächst auch in den CINEPLEX-Kinos 
in Aichach und Germering bei München.

Das sagt die Presse über Buch und Film:

„… ein Sehnsuchtsbuch par excellence.
Und ein echtes sinnliches Erlebnis.“
MÄRKISCHE ZEITUNG im Oktober 2015

„… eröffnet dem Weltenbummler ganz wunderbare Traumziele, auf die man 
bei üblicher Herangehensweise schwerlich gekommen wäre.“
YACHT im Mai 2015 

„Die Besonderheit des einstündigen Streifens ist seine Ruhe. 
Eine Ruhe, die der Film mit poetisch angehauchter Sprache und sinnlichen Bildern von Szene zu Szene eingehender vermittelt.“
SEGELREPORTER im Dezember 2015

„… ein schönes, ein gelungenes Werk, animierend und inspirierend.“
LITERATURBOOT im Juli 2015

„Absolut empfehlenswert!
Für Reisebegeisterte ist ‚Einmal München-Antalya, bitte!‘ definitiv zu empfehlen.“


RATGEBER.REISE. im Juni 2015


24 Stunden auf dem Meer. Einhand über den Golf von Tarent.

Nebel, der am Morgen nach meinem langen Schlag vom Festland herüberweht. Apulien, wie man es nicht kennt.

Ich erlebe mehr auf dem Meer, als ich schreiben kann. Hier draußen ist nie ein Tag wie der andere. Langeweile war mir zwar von je her fremd, ich kannte sie nie. Aber das Meer, es überrascht jeden Tag, als würde ich durch eine fremdartige, andere Welt reisen. Kein Tag ist wie der andere. Kein Schlag ist wie der vorige. Und weil das so ist, möchte erzählen von meiner Reise über den Golf von Tarent nach Nordosten, um den Absatz des italienischen Stiefels herum.

110 Seemeilen. 24 Stunden. Von Le Castella/Crotone nach Castro/Lecce.

Als Pino mir am Vortag den reparierten Bugkorb bringt, fängt die Arbeit an. Burgkorb wieder einbauen. Seereling dranschrauben. Deck klarieren. Werkzeug aufräumen. Halb elf Uhr Abends bin ich fertig, ist der letzte Schraubenschlüssel wieder an seinen Platz geraümt. Noch eine schnelle Dusche unter dem Schlauch auf der Mole von Le Castella westlich von Crotone. Ein Bier. Ab ins Bett.

Am Morgen bin ich mit einem Satz aus dem Bett, checke den Wetterbericht, sehe, dass ich draußen noch etwa sechs Stunden fünf Windstärken vorfinde. Und dann eine Woche lang – kein Wind mehr. Flaute. Also beschließe ich, auszulaufen. Und die Gunst des Windes zu nutzen, dass er mich vielleicht zumindest ein Stück meines Weges über den Golf von Tarent, das Stück zwischen Sohle und Absatz des Stiefels trägt.

Und er pustet kräftig los, kaum dass ich um Capo Rizzuto herum und aus dem Windschatten bin. Da sind sie, die 5 bft., ich reffe, beigedreht, während ein Frachter vor der Küste hinter uns vorbeiläuft. So schön, so kräftig der Wind auch ist: Statt nach Nordosten, zum Stiefelabsatz hin zieht er uns jetzt nach Osten, raus aufs offene Meer. Und nicht hinüber, zum Stiefelabsatz.

Dann also: Hinaus.

1. 
Samstag. Badezeit. Im Nirgendwo.

Es ist Samstag Abend. Ich bin weit draußen auf dem Meer.  Etwa 100 Kilometer südlich des Stiefelabsatzes. Und 30 Kilometer östlich des Punktes, wo die Sohle des Stiefels anfängt. Es ist 19.30, Ende August. Die Sonne ging eben unter. Vor einer Stunde ist der Wind eingeschlafen. Und mit ihm haben sich die hackigen Wellen Schlafen gelegt, nur hin und wieder platscht noch Schwell an LEVJE’s Heck, lässt sie energisch stampfen, wie ein kleines Frauenzimmer, dem was nicht in den Kram passt. 
Ich stelle LEVJEs Motor ab. Einen Moment will ich die Stille hören. Will nicht mehr mit LEVJEs beruhigendem Bullern durch die Wellen ziehen. Sondern mich einen Agenblick in den Elementen fühlen. Ganz allein. Verloren in der anderen Welt, rings um mich herum, die so viel größer und weiter ist als unsere kleine Welt.

Es kostet Überwindung, den Motor abzustellen. Und nur noch die Stille zu hören draußen, weit weit entfernt vom Land.
Was, wenn er nicht mehr anspringt? 
Wenn sich die Stille plötzlich nicht mehr abstellen lässt darurch, dass sich der Motor in der Dunkelheit bullernd anstellen lässt? Es herrscht Flaute, für die nächsten Tage… 
Ich verwerfe den Gedanken. Zu groß ist die Verlockung, die Stille zu hören. Und jetzt an dieser Stelle ins Meer zu hüpfen.

Die Stille. Ich stelle LEVJEs Motor ab. einen Moment gleitet sie noch weiter, einfach weiter, als hätte Gottes großer Finger sie angestupst, ihr Schwung verliehen. Sie gleitet, wird langsamer. Dann: 100, 200 Meter weiter bleibt sie einfach liegen. Schaukelt leicht in der Dünung. Kein Wind. Nur ein bisschen Dünung. Die Stille – hier draußen ist sie, weit weit entfernt von allem. Ich kann sie hören. 

Wenn nur das Großsegel in der Dünung nicht so erbrämlich flappen und schlagen würde.

Wenn nur die Wellen LEVJE’s Heck nicht so zum Stampfen brächten.

Die Stille. Sie erinnert mich an manchen Spaziergang im frühen Winter, wenn der erste Schnee fällt. Oft ging ich in den Wald, nur um die Stille zu hören. Das feine Rieseln, das leiste Zischeln, wenn feuchter Schnee auf Fichtenzweige und Waldboden fällt. Und der feuchte Schnee alle anderen Geräusche wegdämmt.

Hier draußen auf dem Meer ist das ähnlich. Kein Geräusch. Eine Stille, die sich wohlig auf die Ohren legt. Nur mein Großsegel klappert elend. Aber das Geräusch kann man ausblenden. Und sich ganz auf die Stille konzentrieren.

Es kostet etwas Überwindung, hier ins Meer zu steigen. Unter mir sind etwa 1.739 Meter Wassersäule. Wer weiß, was unter mir alles herumschwimmt, jetzt wo die Sonne schon untergegangen ist. Als ich LEVJEs Leiter hinuntersteige, bin ich überrascht, wie warm das Meer hier ist. Eigentlich hatte ich erwartet, der Nordost, der seit frei Tagen hart wehte, hätte alles umgekrempelt, Tiefenwasser hochgespült und Oberflächenwasser nach unten, das unterste zu oberst gekehrt. Aber nichts da. Das Meer fühlt sich einfach nur warm an wie Badewasser an.

Die ersten Schwimmzüge. Weit schwimme ich nicht weg von LEVJE. Ein Windhauch hier draußen  könnte sie von mir wegtreiben, wer weiß, wie ich dann wieder zurückkäme, zur Leiter, aufs Schiff. Die Geschichte von den vier Yachties, die weit draußen ins Meer sprangen, ohne die Badeleiter herunterzuklappen. Wie endete sie?

Nein. Hier endet mein Mut. Ich bin nicht so verrückt, mein Glück zu versuchen. Schwell, der plötzlich auf LEVJE’s Heck zuläuft, wieder ein Stampfen, mit dem sie sich gegen die großen Wellen wehrt. Schnell zur Leiter.

Plötzlich lässt sich meine Funke hören. Italienisch, irgendein Boot-zu-Hafen-Gespräch auf Kanal 16. Ein Funkspruch, aus dem 100 Kilometer entfernten Santa Maria di Leuca. Wenn ich so weit draußen bin, lasse ich das Funkgerät mitlaufen. Wer weiß, ob man es nicht schnell braucht, es muss zur Hand sein sein, wenn ein Frachter partout auf einen zuhält, würde ich versuchen, ihn anzurufen. So schnell wie das Funkgerät zu quäken beginnt, ist es auch wieder still. 

Während ich mich dusche und abtrockne, lausche ich weiter auf die Stille. Ich bin glücklich. Jetzt, Hier. Genau an diesem Ort. Und ich versuche zu ergründen, warum. Welcher Winkel meiner Seele mir genau hier an dieser Stelle einen Dopamin-Ausstoß beschert. 100 Kilometer entfernt vom Stiefelabsatz. Und 30 Kilometer vom nächsten Land.

Und während ich mich freue, über die Stille, während ich noch meinen Gedanken nachhänge, ein Brummen in meiner Welt. Über den Wassern. Weit im Norden. Wie das einsame Brummen eines Flugzeuges am Herbsthimmel. Irgendwo hinter dem Klappern meines Riggs, irgendwo verborgen in der Weite, im Dunst, in der Stille ein friedliches Brummen. Ein Frachter. Seine weißen Decksaufnauten kommen eben über die Kimm, er ist sich er zwischen fünf und zehn Meilen entfernt und kriecht langsam in meine Richtung.

Erstaunlich. Nun bin ich doch wirklich in der anderen Welt – ist man denn nirgends mehr allein? Natürlich: Die Wegstrecke südlich des Golfes von Tarent ist viel befahren. Hier zieht allerhand vorbei, was von West nach Ost und Ost nach West will.

Trotzdem. Alles gut, soweit draußen. Das Leben ist schön an Orten, wo man es niemals für möglich gehalten hätte.

2.
Leben. Im Dunkel.

Natürlich sprang der Motor nicht auf Anhieb an. Neuerdings hat er die Eigenart, wenn er warm gefahren ist, zwei, drei, vier Drucke auf den Anlasserknopf zu benötigen. Weil sich bei den ersten Knopfdrücken einfach – nichts tut. Es dauert bis zum Dritten, bis der Anlasser die Kolbe kurz bewegt. Und der Motor anspringt.

Aber die Geschichte erzähle ich jetzt nicht, welche Gefühle einen beschleichen, wenn soweit draußen bei Windstille der Motor sich nicht mehr meldet, nicht anspringt. Als hätte man es geahnt.

Nein. Lieber erzähle ich jetzt eine Geschichte von langen Nachtwachen. Wenn es dunkel ist, stockdunkel, weil selbst der Mond sich nicht blicken lässt, dann ist es wirklich so, dass das Boot einfach nur ins Zappenduster hineingleitet. Ein bisschen Rotgrüner Schimmer, vom Buglicht im Bugkorb voraus. Das war es. Zu sehen ist da nichts mehr. Kein unbeleuchtetes Bojenfeld vor einem. Kein treibender Gegenstand. LEVJE strebt durch die Dunkelheit auf einem Kurs, auf dem der Autopilot sie hält. Ich bin nur Beobachter, kontrolliere hin und wieder das Geschehen, ob alles seine Richtigkeit hat. Sonst: Lausche ich den Geräuschen des Dunkels auf dem Meer. Der Schwell, der von irgendwoher heran rollt und mein Schiff unruhig werden lässt wie eine Pferd, das durchgehen will. 

Ein Fußball treibt bleich vorbei, ganz nah, in der Dunkelheit. Sicher hat ein Kind ihn am Strand verloren, der Wind treibt ihn nun seit drei Tagen immer weiter nach Süden, auf eine lange Reise.

Ob ich anhalten, ihn holen soll? Ich verwerfe den Gedanken. Irgendwo tief in LEVJE’s Backskiste liegen schon zwei Fußbälle, die ich gerettet habe. In Griechenland. Der Türkei. Nein, nicht noch einer. Lassen wir den Ball unbehelligt seine Reise tun.

Leichte Wellen, von irgendwoher, die Schaumkronen hinterlassen, wenn LEVJE durch sie hindurchgeht. Und immer, immer war es, als würde neben mir, dort, wo die Bugwelle seitlich wegstrebt, irgendetwas achmatzend atmen. Wie oft hörte ich das, neben mir. Es war, wie das Atmen eines Delphins. Ein kurzes den Rücken durch die Oberfläche drücken. Ein kurzes Öffnen des Atemlochs. Ein Luftholen. Ein wieder-weg-sein. Gesehen habe ich nie etwas. Die Einbildung, von einem Lebewesen begleitet zu werden: Sie gehört zu den langen Nachtwachen dazu.

Nur diesmal war es anders. Das vertraute Atemholen im Dunkel: Es war wieder da. Links neben dem Boot, in der sich brechenden Bugwelle, seitlich vom Boot. Vorne. Dann wieder seitlich. Ein weißer Schemen irgendwo in den bewegten Wellen. Ich fass‘ es nicht: Ein Delphin, der mit uns schwimmt, kurz nach Mitternacht, als hätte er nichts anderes zu tun, als sich mir mitten in diesem mondlosen Dunkel zu zeigen.

Er schwimmt seitlich. Er schwimmt vorne. Deutlich sehe ich den weißen Schatten, der mal neben, mal vor uns schwimmt. ‚Delphin‘ ist das Wort für reine Freude. Für „ich-gebe-den-Anstoß-für Kontaktaufnahme“. Und als wäre alles nicht genug, als ahnte der Delphin die Zweifel, die ich an meier Sinneswahrnehmung habe und seiner realen Existenz habe: Schraubt er sich vor LEVJE’s Bug hoch in die Dunkelheit, keine fünf Meter voraus. Ich sehe den weißen Schatten, der in die Luft springt, grün vom Buglicht beleuchtet. Ein mannshoher weißer Schatten, der vor uns aus dem Wasser steigt, irgendwie mit einem Lächeln, irgendwo in der Weite des Meeres. Und mit einem kontrollierten Platsch wieder zurück in die Wellen fällt.

Und fort ist. Wie gekommen ist.

3.
Nacht. Und Wachen.
Es ist weit nach Mitternacht. Ich werde langsam müde, auch wenn mich die Nacht und was ich in ihr sehe, unglaublich fesselt. Zeit, ein wenig zu schlafen.

Aber wenn ich „Schlafen“ schreibe, dann ist das etwas anderes als der normale Schlaf. Ich bin auf einem viel befahrenen Track unterwegs. Den Stiefelabsatz passieren, runden in beiden Richtungen Frachter, Fähren, Kreuzfahrtschiffe. Und sie sind schnell unterwegs, schneller als ich. Die meisten zischen – so wie die Containerfrachter, auf denen ich mit unterwegs war – mit 20, 22 Knoten durch die Wellen. Wenn ich zum ersten Mal ihr Licht irgendwo am Horizont entdecke, dauert es meist keine 20 Minuten, bis sie mich erreicht haben.

Also funktioniert Schlafen auf diesen langen Überfahrten anders. Ein letzter gründlicher Blick rundum, ob ich unter den Sternen auch wirklich kein Licht am Horizont übersehen habe. Einmal noch auf LEVJE‘s Bullern gehört. Konzentriert zugehört, ob der Motor gleichmäßig läuft, keine Geräusche  da sind, die ich nicht kenne. Ein Blick nach hinten, wo das Hecklicht die Auspuffgase beleuchtet, die aus dem Wasser aufsteigen. Ob nicht plötzlicher weißer Qualm dabei ist, der anzeigt, dass der Motor in den nächsten Minuten ernsthaften Schaden nehmen wird.

Aber alles ist normal und beruhigend. Wie der Sternhimmel über mir. Ich steige hinunter in LEVJE’s Salon. Die Motorabdeckung ist wie eine Fußheizung, wohlige Wärme durchströmt mich von unten. Dann lege ich mich auf die Saloncouch, wie ich bin, mit Schwimmweste, steuerbords. Und mache die Augen zu. Beim Einschlafen nehme ich mir vor, in zehn Minuten wieder wach zu sein. 

Das klappt. Denn so gemütlich ist das alles nicht. Eine Welle, die seitlich ans Boot platscht. Ein Rumpler, ein Schlingern. Irgendetwas, was mich weckt, ist immer da. Ich schlage die Augen auf. „Steh auf. Schau nach.“ Wie ein Roboter stehe ich ohne Zögern auf. Steige nach oben ins Cockpit. Die Sterne sind alle noch da. Rundum alles ok. Einen Moment bleibe ich oben, vertiefe mich in den Anblick. Dann gehe ich wieder nach unten.

Das geht so fünf, sechs, sieben mal. Fünf Minuten, eine Viertelstunde leichter Schlaf, der kostbar ist. Ich habe das auf langen Autofahrten durch die Nacht gelernt. Wenn Dich die Müdigkeit packt: Nicht fackeln. Rechts raus. Kurz Augen zu. Zwanzig Minuten Schlaf selbst in unbequemer Position machen Dich wieder fit für drei, vier Stunden. Danach? 

Irgendwann auf meinen Wachgängen entdecke ich weit vorne ein Licht. Und eins hinter mir am Horizont. Ich bleibe eine Weile an Deck, beobachte beide Lichter. Ob sie sich bewegen? Wohin sie sich bewegen? Erst wenn ich sicher bin, dass sie irgendwie auswandern, nicht auf der Stelle stehen, gehe ich wieder nach unten. Und hole mir noch ein kleines Portiönchen Schlaf. 

Ich muss wachsam sein, denn wir kommen dem Morgen und dem Land näher. Beides bedeutet, dass nun auch Fischer unterwegs sein werden, die auf das Auslegen ihrer Netze konzentriert sind und nicht auf das, was sonst noch so unerwartet herumkreucht um sie herum. Also wieder: Raus. Nachsehen. Und tatsächlich werden die Lichter voraus mehr. Sie sind meist unbewegt und klein, irgendwo voraus im Golf von Tarent. Und während ich sie beobachte, während ich ihnen zusehe, zischt vor mir über den kleinen Lichtern im Norden eine Sternschnuppe über den Himmel, von Ost nach West. Eine große, die für einen Moment Funkenstieben und eine Spur von Gasen am Firmament hinterlässt, ein unglaubliches Schauspiel.

Ganz schnell überlege ich, was ich mir wünschen könnte. Ich denke an meine Frau, dass ich glücklich bin mit ihr und sie mir Halt gibt. Dass ich glücklich bin an dem Ort, an dem ich jetzt gerade bin. Nein. Nach vielen, vielen Wünschen, die ich im Lauf meines Lebens den Sternschnuppen nachsandte: Ich habe keine Wünsche für mich.

4.
Ankunft.
Noch bevor es zu Dämmern beginnt, blinkt plötzlich ein Leuchtfeuer vor mir am Horizont. Es ist das Leuchtfeuer von Santa Maria di Leuca, das vom Felsen herunter weit in die Nacht einen weißen Finger sendet. Ich habe nun wieder Kontakt zum Festland, eine Verbindung ist hergestellt. Es dauert aber noch drei Stunden, bis ich in der Dämmerung tatsächlich die Klippen von Santa Maria di Leuca vor mir habe. Noch etwa eine halbe Stunde bis zum Hafen. 

Aber: Soll ich da jetzt wirklich rein? Zu schön ist doch das alles um mich herum. Das rosige Licht, das die Sonne aussendet, lange, lange bevor sie sich zeigt. Ein paar Fischer, Ruhelose wie ich, die die Vorstellung des Morgens und die Idee, dass ein Fisch beißen könnte, noch in der Dunkelheit hinaus trieb aufs Meer. Wir sind immer noch Steinzeitmenschen, Jäger, Sammler. Unser Tun, unser Wollen ist geprägt von Jahrhunderttausenden, wir sind Steinzeitmenschen, auch in der Enge des Büros.

Nein: Ich bleibe noch draußen, Müdigkeit hin oder her. Kurs also auf die große Bucht von Castro, zweieinhalb Stunden im Norden. Dort kann ich geschützt ankern und sein. Und das Wasser ist herrlich türkis da.

Nein: Weiter nach Norden. Und während ich die Stelle passiere, wo vor den Klippen das italienische U-Boot am Meeresgrund liegt, das die Briten dort im II. Weltkrieg versenkten und irgendwo dort vorne mit Mann und Maus am steinigen Grund liegt, während ich zum Leuchtturm hinaufschaue und den Anglern ausweiche, die jetzt am Sonntag Morgen ihre Linien ziehen, kreuz und quer vor der Küste, kommt Wind auf. Wind von den Klippen herunter. Wind aus dem Golf von Tarent. Ich hole die Genua und schalte LEVJE’s Motor ab. Stille. Ein Gurgeln am Bug. Ein leises Murmeln am Heck. Stille. Eine Wohltat.

Im Osten des Steifelabsatzes, in Apulien Anfang September.

Und als ob das Leben für jede Entscheidung, die Anstrengung hier draußen bedeutet, auch gleich eine Belohnung mit sich brächte: Etwas, das man im Leben nie mehr vergessen wird ob seiner Schönheit, bringt der Wind Wolken mit sich. Er treibt sie aus dem Golf von Tarent über die Enge des Absatzes hinüber. Sie werden zu Nebel. fallen herunter von den kahlen Hängen, als wäre ich hier nicht im südlichsten Süditalien, sondern weit weit irgendwo im herbstlichen England, das ich so liebe. Ein unglaubliches Schauspiel des Nebels im zarten Morgenlicht, eine Landschaft, Orte, Paläste, nur leicht verhüllt. Palladio’s Villen in einer Herbstlandschaft – statt im Norden dort, wo man sie nie vermutet hätte.

Nein. Ich erlebe mehr auf dem Meer, als ich schreiben kann.

  

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Wie es ist, auf einem kleinen Segelboot
• Italien
• Griechenland
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zu bereisen. Und in fünf Monaten: Von München nach Antalya zu reisen.

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Im Download. Als DVD. Hier.

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Das sagt die Presse über Buch und Film:

„… ein Sehnsuchtsbuch par excellence.
Und ein echtes sinnliches Erlebnis.“
MÄRKISCHE ZEITUNG im Oktober 2015

„… eröffnet dem Weltenbummler ganz wunderbare Traumziele, auf die man 
bei üblicher Herangehensweise schwerlich gekommen wäre.“
YACHT im Mai 2015 

„Die Besonderheit des einstündigen Streifens ist seine Ruhe. 
Eine Ruhe, die der Film mit poetisch angehauchter Sprache und sinnlichen Bildern von Szene zu Szene eingehender vermittelt.“
SEGELREPORTER im Dezember 2015

„… ein schönes, ein gelungenes Werk, animierend und inspirierend.“
LITERATURBOOT im Juli 2015

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RATGEBER.REISE. im Juni 2015


Von Sizilien in die südliche Adria. Von versunkenen Handys. Gewittern.Und zertrümmerten Bugkörben.

Im Folgenden die Geschichte über meine Reise 
die Schuhsohle des italienischen Stiefels entlang.
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Immer gut für Überraschungen: Die Straße von Messina.

Segeln, ein Schiff unter Segeln halbwegs gekonnt übers Meer zu bewegen, ist für mich Erfüllung. Ich habe lange Jahre davon geträumt, eines Tages zu tun, was ich jetzt tue. Und selbst zwei Jahre intensiven Segelns haben nichts von der Faszination nehmen können, die mich während meiner vier Tage von Sizilien in die Adria begleitete. 

Vielleicht. Vielleicht segle ich, weil ich auf dem Meer in vier Tagen so vieles, so reiches erlebe wie sonst in einem Jahr. 

Catania war der Startpunkt meiner Umsegelung Siziliens. Und auch der Endpunkt. Und ich erreichte ihn vergangene Woche. Wie schon im vergangenen Herbst war ich auch diesmal überrascht von Siziliens zweitgrößter Stadt. Catania kennt man, weil man hier landet oder abfliegt. Für Catania hat man wenig Zeit. Vom quirrligen Leben in der Stadt, von der studentischen Kneipenszene, dem Theatro Bellini und dem Korbflechter bekommt man wenig mit. Zu wenig. Was schade ist. Catania ist nicht unbedingt eine Hübsche. Aber eine Inspirierende allemal. Und damit hat sich Catania einen Platz auf meiner langen Liste jener Orte verdient, in denen ich leben könnte.

Die Geschichte vom versunkenen Handy.

Das Wegstück von Catania bis Crotone begleitete mich Andreas, der sich in LEVJE’s prall gefülltes Buch der Abenteuer mit folgender Geschichte eintrug:

Der Ätna im Sonnenuntergang. Und gleichzeitig das letzte Foto, das Andreas von seinem iPhone versandte.

Wir brachen nach Taormina auf, etwa fünf Stunden mit dem Boot nördlich von Catania. Die Sonne ist hinter dem Ätna verschwunden und beleuchtet wie ein Theaterscheinwerfer die Dampfwolken, die der Vulkan auf 3.300 Meter Höhe ausstößt. An Steuerbord begleiten uns schon eine ganze Weile Delphine. Sie sind klein, knapp einen Meter groß. Eine Schule von etwa zehn Tieren. Einer ist besonders keck: Immer wieder springt er senkrecht aus dem Wasser, vollführt über der Wasseroberfläche eine halbe Körperdrehung, um dann rückwärts wieder im Wasser einzutauchen. 

Kaum erkennbar, doch unübersehbar: Der kleine Delphin, der gerade aus dem Wasser springt. Und rückwärts wieder eintaucht.

Das geht so 10, 15 Mal, immer wieder zeigt uns der kleine Kerl dasselbe Kunststück, das er ein Stück weit querab von uns vollführt. Es ist das Erstaunliche, immer wieder Verblüffende an Delphinen: Wo andere Lebewesen einfach ihr Dasein frissten, indem sie warten, dass Futter vom Himmel fällt oder  auf Beute lauern, zeigen sie: Kunststücke. Sie nähern sich uns nicht einfach. Sie schenken uns etwas – jedenfalls kommt man bei der Begegnung mit diesen Tieren nicht umhin, deren Verhalten auf sich zu beziehen. Wie oft habe ich Delphine erlebt, die 50 Zentimeter vor dem Bug meines Bootes im Kielwasser schwammen, heraufblinzelten. Nie konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Delphine nicht nur die Nähe des Menschen suchen, sondern ihren Spaß haben, etwas mitzuteilen. Es ist, als wären sie sich bewusst, dass da jemand zusieht, ein „Schau’ mal, was ich kann!“ und ein „Kuck mal, wozu ich meine Freiheit nutze!“ In den vier Tagen, den 220 Seemeilen zwischen Sizilien und der Adria sollte ich das noch öfter erleben – siehe meinen neueren Post.

Leider kamen sie nicht näher, blieben auf Distanz. Eine Viertelstunde begleiteten sie uns – dann zogen sie ihrer Wege. Und während die Nacht langsam sank und der Ätna hinter uns immer mehr zum schwarzen Riesen wurde vor seiner goldenen Tapete, während die Delphine fröhlich ihrer Wege zogen, steckte Andreas  auf dem Vordeck sein iPhone in seine Hosentasche. Er tat das, wie man halt sein iPhone in die Hosentasche steckt. Jedenfalls versuchte er es. Denn da, wo seine Hose üblicherweise eine Tasche hat, war diesmal keine. Also hüpfte das iPhone noch einmal fröhlich an Deck auf und vollführte dann, vollendet wie ein Turmspringer, seinen Sprung vom Deck ins Wasser. Mit der Schmalseite voraus. Und fast ohne Spritzer beim Auftreffen. 

Das Handy machte sich ohne weitere Umstände auf den längeren Weg die 235 Meter hinunter auf den Meeresgrund, ohne noch einmal aufzutauchen. Wir versuchten natürlich sofort, hinterher zu telefonieren, um dem iPhone zu sagen: „So gehts ja nicht!“ Aber aus der Wassertiefe kam nicht mal mehr ein „Blubb“, sondern bei Anruf nur die gewohnte Frauenstimme, die darum bat, doch für Herrn Dr. Meyer eine Nachricht zu hinterlassen. Er sei zur Zeit nicht zu erreichen. 

Was dann ja auch eine ganz eigene, tiefere Wahrheit war. 

Von Taormina/Sizilien nach Roccella Ionica/Kalabrien.

Bildunterschrift hinzufügen

Taormina ist nun wirklich ein touristisches Highlight auf Sizilien. Das kleine Bergnest, das im Dunkel auf der Anhöhe lag und von dessen Amphittheater man einen phänomenalen Blick hat auf den qualmenden Gipfel des Ätna, ist wirklich ein Must See. Aber da wir erst gegen halb elf Nachts ankamen und gleich neben dem Bahnhof den idealen Platz in der Südbucht fanden, um unseren Anker in der Dunkelheit fallen zu lassen, wars nix mit Tourismus. Wir müssen uns mit dem Wissen begnügen, dass das 11.000-Seelen-Nest Taormina jährlich 1,3 Millionen Besucher durchlaufen, was dann das liebe Berlin (3,5 Millionen Einwohner; 2015: 12,5 Millionen Besucher) zumindest von der Einwohner-Besucher-Relation alt aussehen lässt. Alle, alle waren da. Goethe und Sissi. Thomas Mann und Cary Grant. Marlene Dietrich und Greta Garbo. Bloß wir nicht.

Am Morgen um fünf aus den Federn. Ein langer Schlag von 80 Seemeilen über die Straße von Messina und dann die Schuhsohle des italienischen Stiefels Richtung Absatz entlang. Wir holen den Anker im Dunkel vom Meeresgrund, ganz warm ist die Kette, weil das Meer jetzt im August so warm ist. Im Dunkel schleichen wir zwischen den anderen Ankerliegern hinaus, drehen im Schatten der Klippe noch einen Aufschiesser, um in der Dunkelheit unser Großsegel zu setzen. Und dann geht es raus, Kurs Ost-Nord-Ost, Richtung italienisches Festland.

Eigentlich ist für die Wegstrecke bis zur Adria nur schwacher Wind angesagt. Flaute. Nur hier, südlich der Straße von Messina, soll es für die ersten fünf Stunden wie aus einer Düse heraus wehen. Kaum sind wir aus der Felsabdeckung draußen, meldet sich die Düse. Noch im Dunkel nimmt der Wind jede Viertelmeile merklich zu. Und noch bevor die Sonne über der Stiefelspitze aufgegangen ist, haben wir gerefft, was zu reffen war. Der Windmesser zeigt in der Spitze 35 Knoten schräg von vorn, die große Genua ist auf ein Feigenblättchen verkleinert. Trotzdem taucht LEVJE heftig in die Wellen ein, schiebt Lage. Und ich überlege: Was ich eigentlich täte, wenn der Wind noch weiter 

zunähme und mein kleiner Windmesser die 40 Knoten scheinbaren Wind übersteigt. Es sind drei Stunden hartes Steuern: Trotz maximal verkleinerter Segelfläche strebt LEVJE in den Wind, die Pinne auf Kurs zu halten ist kräftezehrendes Oberarm-Training. Im Nu sind Andreas und ich nass, weil krachend Wellen an der Bordwand brechen. Nasses Segeln. Auf nüchternen Magen. Es geht so, bis ich gegen halb acht Uhr endlich feststelle: Der Wind nimmt nun nicht weiter zu.

Die Straße von Messina und ihre ungewöhnlichen Wetterphänomene: Ich schrieb im vorigen Post darüber. Und wie der wütende Wind gekommen war, so schnell ist er wieder vorbei: Kaum haben wir den Trichter hinter uns, endet die Düse abrupt, auf einem Stück von 100 Metern Länge. Als hätte jemand den Strom abgestellt. Man stelle sich ein Fußballfeld vor: Dem Torwart an einem Ende treiben sieben Beaufort Tränen in die Augen. Während der Torwart gegenüber in der Windstille gelangweilt am Pfosten lehnt.

Die Straße von Messina.

Der denkbar merkwürdig zertrümmerte Bugkorb.

Roccella Ionica erreichten wir am Abend. Wir ahnten nicht, dass aus einer Nacht, die wir geplant hatten, drei werden würden, denn schon am nächsten Tag rumpelten schwere Gewitter über den Hafen, gerade, als wir auslaufen wollten. Die Männer der GUARDIA COSTIERA rieten uns ab, auszulaufen, erzählten von Windstärke 7 draußen. Ein Segler aus Starnberg, der wegen Motorproblemen in den Hafen zurückkam, berichtete von 5 Meter hohen Wellen. Ich? Glaubte beides nicht.

Nach drei Tagen im Hafen sitzen und Winschen fetten hatte ich genug. Beim Aufstehen morgens um halb sechs war die Bucht ruhig wie ein Ententeich. Die Gewitterwarnungen waren vorbei. Nur etwas Wind von da, wo wir hin wollten, würden wir bekommen. Was machte es schon.

Um sechs Uhr Morgens brachen wir auf. Unser Ziel: Rüber über den Golfo di Sqillace in 14 Stunden. Und wenn alles gut lief, gleich weiter die 18 Stunden hinüber zum Absatz des Stiefels, die 85 Seemeilen über den Golf von Tarent.

Ich war klug. Dachte ich jedenfalls. Weil ich rechnete, dass Gegenwind stärker blasen würde als angegeben, wechselte ich noch vor dem Golf die Vorsegel. Die für mühevolles Starkwind-Aufkreuzen exakter arbeitende Fock kam drauf. Die große Allzweck-Genua kam runter. Ich rollte sie ein. Und tuchte sie sorgfältig vorne steuerbords am Bugkorb auf dem Seezaun auf, ordentlich alle 80 Zentimeter mit Bändsel gesichert. Falls ich mich irrte. Und der Wind doch nicht so stark ausfallen sollte.

Kaum draußen, kamen Wind und Welle wirklich exakt aus der Ecke, die wir ansteuern wollten. An Kurs aufs Ziel halten war nicht zu denken. Der Wind kam zudem böig daher. Und brachte aus dem Golfo di Squillace eine ungewöhnlich steile Welle daher. In kurzem Abstand kamen sie an. Kaum dass LEVJE mühsam etwas Fahrt aufgenommen hatte, bohrte sich ihr Bug in eine Wellenwand. Das Deck wurde ein ums andere Mal überspült. Mühsam nahm LEVJE wieder Fahrt auf. Legte sich im zunehmenden Wind auf die Steuerbord-Seite. Und marschierte wieder los. Bis die nächste Gruppe steiler Wellen heranrollte. Und sich das Spiel wiederholte. 
Wie sollte man da jemals die 45 Meilen Weg zurücklegen?

Ich versuchte es auf dem Steuerbordbug.
Ich versuchte es auf dem Backbordbug.

Es half kein Trixen. Nichts brachte uns wirklich voran. Und wenn: Dann eher noch weg vom Ziel. Als der Wind zunahm, blieb ich auf Steuerbordbug. LEVJE legte sich mächtig auf die Steuerbordseite. Und trabte los.

Wer segelt, braucht Kraft. Aber vor allem seine Sinne. Und zwar alle. Die Nase, um riechen zu können, wenn Gas oder Diesel ausströmt. Den Tastsinn, um sich im Dunkel verborgener Winkel an Schrauben heranzutasten. Das Gehör. Von all meinen Sinnen ist mein Gehör am weitesten entwickelt. Ich höre buchstäblich, wenn etwas mit LEVJE nicht in Ordnung ist.

Es war gegen Mittag. Da war dieses merkwürdige Geräusch von vorne. Ich hatte es noch nie vorher gehört. An Bord. Geräusche macht LEVJE immer, die guten Geräusche wiederholen sich. Das Knarzen eines bestimmten Schotts in den Wellen. Das dumpfe Gurgeln aus offenen Bordverschlüssen, wenn LEVJE sich auf die Seite meines Waschraums legt. Man kann sie einordnen. Dieses Geräusch war neu. Irgendetwas in der Art splitternden Holzes vom Bug. Da – wieder! Was war das bloß? Ich hängte die Pinne in den Autopiloten, stand auf der mit voller Lage segelnden LEVJE auf und:

Der Bugkorb, nachdem ich ihn per Spifall und Winsch wieder halbwegs in Position gebracht hatte.

Dort, wo ich sorgsam die Genua auf dem Seezaun aufgetucht hatte, waren der massive Bugkorb und Seereling aus der senkrechten in die Waagrechte gebogen. Der Seezaun stand auf einer Länge von vier Metern nicht mehr nach oben, sondern seitlich ab. Eine Relingstütze war gebrochen. Der Seezaun hing durch. Den Bugkorb hatten nur Vorstag und Fockroller davon abgehalten, vollkommen nach steuerbord zu wandern und dort vollends abzureissen. Der Bugtritt aus daumendicken Teakholz war ebenfalls gesplittert. 

Nur die Genua war fest und sicher auf dem schlapp seitlich baumelnden Seezaun aufgetucht, als wäre nichts gewesen. Sie schwebte dort, wo ich sie befestigt hatte, nur jetzt eben fast ein Meter seitlich des Schiffsrumpfes statt darüber.

Vermutlich hatte die nur kopfgroße Öffnung der eingerollten Genua am Bugkorb wie die Öffnung eines Flugzeugtriebwerkes gewirkt: Sie hatte die Kraft der steilen Welle und LEVJE’s schäumende Bugwelle eingefangen. Und wie ein schwerer Treibanker mit unglaublicher Kraft Bugkorb und Seereling nach hinten gezogen. Eine Sache, die ich bestimmt über fünfzig Mal angewendet hatte, hatte im veränderten Umfeld steiler Wellen und in starker Lage zu einem gewaltigen Schaden geführt.

Das Bild war verheerend. Verbogener Edelstahl. Wie nichts geknicktes 25mm-Rohr. Zersplitterte Holztrümmer des beidseitigen Bugtrittes.

Ich barg die Genua. Sie war arglos eingerollt und unbeschädigt, wie ich sie befestigt hatte.
Ich versuchte, den eingeklemmten Fockroller wieder gängig zu bekommen.
Ich nutzte Spi-Fall und Winschen, um die verbogenen Teile wieder so hinzubekommen, dass sie beim Segeln und Anlegen nicht mehr im Weg waren.
Ich versuchte, den Seezaun zu reparieren und behelfsmässig zu straffen. Ein nicht gestraffter Seezaun ist – vor allem in der Dunkelheit, wenn man der Gewohnheit folgend schnell danach greift – das Unfallträchtigste überhaupt.

Und: Ich schalt ich mich einen Idioten. 
Auch wenn ich mir in meinen kühnsten Träumen einen derartigen Schaden nicht hätte vorstellen können.

Wie alles weiterging?

Wir beschlossen, nicht umzukehren, sondern die restliche Strecke weiter zu segeln.
Zehn Stunden später, gegen 23 Uhr nachts erreichten wir den Hafen von Le Castella bei Crotone. Fuhren im verlassenen Hafen unseren Anleger.

Am nächsten Morgen suchte ich einen Schlosser. Und fand „Pino“.

LEVJE im Hafen von Le Castella: Ohne Bugkorb. Ohne Seezaun.

Pino ist eigentlich die Kurzform von Giuseppe. Gemeinsam demontierten wir den Bugkorb. Pino schnallte ihn aufs Dach seines FIAT PANDA. Und rollte damit aus dem Hafen.

Gegen Abend kam Pino schweißüberströmt wieder zurück. Auf seinem Autodach der reparierte, wieder in Form gebrachte Bugkorb. Und die geschweißte Relingstütze. Pino hatte sich alle erdenkliche Mühe gegeben: Er schweißte den Bugkorb, wo er gebrochen war. Brachte ihn, wer weiß, mit welchen Hebelarmen und Kräften, wieder in seine ursprüngliche Form. Schliff ihn, wo er neue Nähte aufgebracht hatte. Es war perfekte Arbeit. Nur die zerbrochenen Trittbretter am Bugkorb: Die werden bis zum Winter warten müssen. Aber sie sind auch kein Original-Detail.

Pino, der Schlosser von Le Castella, und der wieder eingesetzte reparierte Bugkorb.

Ich bin Pino, der eigentlich Giuseppe Magnolia heißt, zu tiefem Dank verpflichtet. Ihm und all denen, die mir in diesem Land immer wieder weiterhelfen, wenn mal nichts mehr ging. 

Denn dies ist Italien, wie ich es seit bald 40 Jahren immer wieder erlebte und kenne. Wenn Du ein Problem hast: Dann hilft man Dir hier weiter.

Mare Più: heißt „mehr Meer“. 

Und wenn Sie mehr Geschichten 

über die Menschen am Meer lesen wollen:


Wie es ist, auf einem kleinen Segelboot
• Italien
• Griechenland
• Türkei
zu bereisen. Und in fünf Monaten: Von München nach Antalya zu reisen.

Jetzt lesen. Als eBook. Als Print. Hier bestellen.

Auch als Film:  

Im Download. Als DVD. Hier.

Demnächst auch in den CINEPLEX-Kinos 
in Aichach und Germering bei München.

Das sagt die Presse über Buch und Film:

„… ein Sehnsuchtsbuch par excellence.

Und ein echtes sinnliches Erlebnis.“

MÄRKISCHE ZEITUNG im Oktober 2015

„… eröffnet dem Weltenbummler ganz wunderbare Traumziele, auf die man 

bei üblicher Herangehensweise schwerlich gekommen wäre.“

YACHT im Mai 2015 

„Die Besonderheit des einstündigen Streifens ist seine Ruhe. 

Eine Ruhe, die der Film mit poetisch angehauchter Sprache und sinnlichen Bildern von Szene zu Szene eingehender vermittelt.“

SEGELREPORTER im Dezember 2015

„… ein schönes, ein gelungenes Werk, animierend und inspirierend.“

LITERATURBOOT im Juli 2015

„Absolut empfehlenswert!

Für Reisebegeisterte ist ‚Einmal München-Antalya, bitte!‘ definitiv zu empfehlen.“


RATGEBER.REISE. im Juni 2015

  

Von Sizilien in die südliche Adria. Von versunkenen Handys. Gewittern.Und zertrümmerten Bugkörben.

Im Folgenden die Geschichte über meine Reise 
die Schuhsohle des italienischen Stiefels entlang.
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Immer gut für Überraschungen: Die Straße von Messina.

Segeln, ein Schiff unter Segeln halbwegs gekonnt übers Meer zu bewegen, ist für mich Erfüllung. Ich habe lange Jahre davon geträumt, eines Tages zu tun, was ich jetzt tue. Und selbst zwei Jahre intensiven Segelns haben nichts von der Faszination nehmen können, die mich während meiner vier Tage von Sizilien in die Adria begleitete. 

Vielleicht. Vielleicht segle ich, weil ich auf dem Meer in vier Tagen so vieles, so reiches erlebe wie sonst in einem Jahr. 

Catania war der Startpunkt meiner Umsegelung Siziliens. Und auch der Endpunkt. Und ich erreichte ihn vergangene Woche. Wie schon im vergangenen Herbst war ich auch diesmal überrascht von Siziliens zweitgrößter Stadt. Catania kennt man, weil man hier landet oder abfliegt. Für Catania hat man wenig Zeit. Vom quirrligen Leben in der Stadt, von der studentischen Kneipenszene, dem Theatro Bellini und dem Korbflechter bekommt man wenig mit. Zu wenig. Was schade ist. Catania ist nicht unbedingt eine Hübsche. Aber eine Inspirierende allemal. Und damit hat sich Catania einen Platz auf meiner langen Liste jener Orte verdient, in denen ich leben könnte.

Die Geschichte vom versunkenen Handy.

Das Wegstück von Catania bis Crotone begleitete mich Andreas, der sich in LEVJE’s prall gefülltes Buch der Abenteuer mit folgender Geschichte eintrug:

Der Ätna im Sonnenuntergang. Und gleichzeitig das letzte Foto, das Andreas von seinem iPhone versandte.

Wir brachen nach Taormina auf, etwa fünf Stunden mit dem Boot nördlich von Catania. Die Sonne ist hinter dem Ätna verschwunden und beleuchtet wie ein Theaterscheinwerfer die Dampfwolken, die der Vulkan auf 3.300 Meter Höhe ausstößt. An Steuerbord begleiten uns schon eine ganze Weile Delphine. Sie sind klein, knapp einen Meter groß. Eine Schule von etwa zehn Tieren. Einer ist besonders keck: Immer wieder springt er senkrecht aus dem Wasser, vollführt über der Wasseroberfläche eine halbe Körperdrehung, um dann rückwärts wieder im Wasser einzutauchen. 

Kaum erkennbar, doch unübersehbar: Der kleine Delphin, der gerade aus dem Wasser springt. Und rückwärts wieder eintaucht.

Das geht so 10, 15 Mal, immer wieder zeigt uns der kleine Kerl dasselbe Kunststück, das er ein Stück weit querab von uns vollführt. Es ist das Erstaunliche, immer wieder Verblüffende an Delphinen: Wo andere Lebewesen einfach ihr Dasein frissten, indem sie warten, dass Futter vom Himmel fällt oder  auf Beute lauern, zeigen sie: Kunststücke. Sie nähern sich uns nicht einfach. Sie schenken uns etwas – jedenfalls kommt man bei der Begegnung mit diesen Tieren nicht umhin, deren Verhalten auf sich zu beziehen. Wie oft habe ich Delphine erlebt, die 50 Zentimeter vor dem Bug meines Bootes im Kielwasser schwammen, heraufblinzelten. Nie konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Delphine nicht nur die Nähe des Menschen suchen, sondern ihren Spaß haben, etwas mitzuteilen. Es ist, als wären sie sich bewusst, dass da jemand zusieht, ein „Schau’ mal, was ich kann!“ und ein „Kuck mal, wozu ich meine Freiheit nutze!“ In den vier Tagen, den 220 Seemeilen zwischen Sizilien und der Adria sollte ich das noch öfter erleben – siehe meinen neueren Post.

Leider kamen sie nicht näher, blieben auf Distanz. Eine Viertelstunde begleiteten sie uns – dann zogen sie ihrer Wege. Und während die Nacht langsam sank und der Ätna hinter uns immer mehr zum schwarzen Riesen wurde vor seiner goldenen Tapete, während die Delphine fröhlich ihrer Wege zogen, steckte Andreas  auf dem Vordeck sein iPhone in seine Hosentasche. Er tat das, wie man halt sein iPhone in die Hosentasche steckt. Jedenfalls versuchte er es. Denn da, wo seine Hose üblicherweise eine Tasche hat, war diesmal keine. Also hüpfte das iPhone noch einmal fröhlich an Deck auf und vollführte dann, vollendet wie ein Turmspringer, seinen Sprung vom Deck ins Wasser. Mit der Schmalseite voraus. Und fast ohne Spritzer beim Auftreffen. 

Das Handy machte sich ohne weitere Umstände auf den längeren Weg die 235 Meter hinunter auf den Meeresgrund, ohne noch einmal aufzutauchen. Wir versuchten natürlich sofort, hinterher zu telefonieren, um dem iPhone zu sagen: „So gehts ja nicht!“ Aber aus der Wassertiefe kam nicht mal mehr ein „Blubb“, sondern bei Anruf nur die gewohnte Frauenstimme, die darum bat, doch für Herrn Dr. Meyer eine Nachricht zu hinterlassen. Er sei zur Zeit nicht zu erreichen. 

Was dann ja auch eine ganz eigene, tiefere Wahrheit war. 

Von Taormina/Sizilien nach Roccella Ionica/Kalabrien.

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Taormina ist nun wirklich ein touristisches Highlight auf Sizilien. Das kleine Bergnest, das im Dunkel auf der Anhöhe lag und von dessen Amphittheater man einen phänomenalen Blick hat auf den qualmenden Gipfel des Ätna, ist wirklich ein Must See. Aber da wir erst gegen halb elf Nachts ankamen und gleich neben dem Bahnhof den idealen Platz in der Südbucht fanden, um unseren Anker in der Dunkelheit fallen zu lassen, wars nix mit Tourismus. Wir müssen uns mit dem Wissen begnügen, dass das 11.000-Seelen-Nest Taormina jährlich 1,3 Millionen Besucher durchlaufen, was dann das liebe Berlin (3,5 Millionen Einwohner; 2015: 12,5 Millionen Besucher) zumindest von der Einwohner-Besucher-Relation alt aussehen lässt. Alle, alle waren da. Goethe und Sissi. Thomas Mann und Cary Grant. Marlene Dietrich und Greta Garbo. Bloß wir nicht.

Am Morgen um fünf aus den Federn. Ein langer Schlag von 80 Seemeilen über die Straße von Messina und dann die Schuhsohle des italienischen Stiefels Richtung Absatz entlang. Wir holen den Anker im Dunkel vom Meeresgrund, ganz warm ist die Kette, weil das Meer jetzt im August so warm ist. Im Dunkel schleichen wir zwischen den anderen Ankerliegern hinaus, drehen im Schatten der Klippe noch einen Aufschiesser, um in der Dunkelheit unser Großsegel zu setzen. Und dann geht es raus, Kurs Ost-Nord-Ost, Richtung italienisches Festland.

Eigentlich ist für die Wegstrecke bis zur Adria nur schwacher Wind angesagt. Flaute. Nur hier, südlich der Straße von Messina, soll es für die ersten fünf Stunden wie aus einer Düse heraus wehen. Kaum sind wir aus der Felsabdeckung draußen, meldet sich die Düse. Noch im Dunkel nimmt der Wind jede Viertelmeile merklich zu. Und noch bevor die Sonne über der Stiefelspitze aufgegangen ist, haben wir gerefft, was zu reffen war. Der Windmesser zeigt in der Spitze 35 Knoten schräg von vorn, die große Genua ist auf ein Feigenblättchen verkleinert. Trotzdem taucht LEVJE heftig in die Wellen ein, schiebt Lage. Und ich überlege: Was ich eigentlich täte, wenn der Wind noch weiter 

zunähme und mein kleiner Windmesser die 40 Knoten scheinbaren Wind übersteigt. Es sind drei Stunden hartes Steuern: Trotz maximal verkleinerter Segelfläche strebt LEVJE in den Wind, die Pinne auf Kurs zu halten ist kräftezehrendes Oberarm-Training. Im Nu sind Andreas und ich nass, weil krachend Wellen an der Bordwand brechen. Nasses Segeln. Auf nüchternen Magen. Es geht so, bis ich gegen halb acht Uhr endlich feststelle: Der Wind nimmt nun nicht weiter zu.

Die Straße von Messina und ihre ungewöhnlichen Wetterphänomene: Ich schrieb im vorigen Post darüber. Und wie der wütende Wind gekommen war, so schnell ist er wieder vorbei: Kaum haben wir den Trichter hinter uns, endet die Düse abrupt, auf einem Stück von 100 Metern Länge. Als hätte jemand den Strom abgestellt. Man stelle sich ein Fußballfeld vor: Dem Torwart an einem Ende treiben sieben Beaufort Tränen in die Augen. Während der Torwart gegenüber in der Windstille gelangweilt am Pfosten lehnt.

Die Straße von Messina.

Der denkbar merkwürdig zertrümmerte Bugkorb.

Roccella Ionica erreichten wir am Abend. Wir ahnten nicht, dass aus einer Nacht, die wir geplant hatten, drei werden würden, denn schon am nächsten Tag rumpelten schwere Gewitter über den Hafen, gerade, als wir auslaufen wollten. Die Männer der GUARDIA COSTIERA rieten uns ab, auszulaufen, erzählten von Windstärke 7 draußen. Ein Segler aus Starnberg, der wegen Motorproblemen in den Hafen zurückkam, berichtete von 5 Meter hohen Wellen. Ich? Glaubte beides nicht.

Nach drei Tagen im Hafen sitzen und Winschen fetten hatte ich genug. Beim Aufstehen morgens um halb sechs war die Bucht ruhig wie ein Ententeich. Die Gewitterwarnungen waren vorbei. Nur etwas Wind von da, wo wir hin wollten, würden wir bekommen. Was machte es schon.

Um sechs Uhr Morgens brachen wir auf. Unser Ziel: Rüber über den Golfo di Sqillace in 14 Stunden. Und wenn alles gut lief, gleich weiter die 18 Stunden hinüber zum Absatz des Stiefels, die 85 Seemeilen über den Golf von Tarent.

Ich war klug. Dachte ich jedenfalls. Weil ich rechnete, dass Gegenwind stärker blasen würde als angegeben, wechselte ich noch vor dem Golf die Vorsegel. Die für mühevolles Starkwind-Aufkreuzen exakter arbeitende Fock kam drauf. Die große Allzweck-Genua kam runter. Ich rollte sie ein. Und tuchte sie sorgfältig vorne steuerbords am Bugkorb auf dem Seezaun auf, ordentlich alle 80 Zentimeter mit Bändsel gesichert. Falls ich mich irrte. Und der Wind doch nicht so stark ausfallen sollte.

Kaum draußen, kamen Wind und Welle wirklich exakt aus der Ecke, die wir ansteuern wollten. An Kurs aufs Ziel halten war nicht zu denken. Der Wind kam zudem böig daher. Und brachte aus dem Golfo di Squillace eine ungewöhnlich steile Welle daher. In kurzem Abstand kamen sie an. Kaum dass LEVJE mühsam etwas Fahrt aufgenommen hatte, bohrte sich ihr Bug in eine Wellenwand. Das Deck wurde ein ums andere Mal überspült. Mühsam nahm LEVJE wieder Fahrt auf. Legte sich im zunehmenden Wind auf die Steuerbord-Seite. Und marschierte wieder los. Bis die nächste Gruppe steiler Wellen heranrollte. Und sich das Spiel wiederholte. 
Wie sollte man da jemals die 45 Meilen Weg zurücklegen?

Ich versuchte es auf dem Steuerbordbug.
Ich versuchte es auf dem Backbordbug.

Es half kein Trixen. Nichts brachte uns wirklich voran. Und wenn: Dann eher noch weg vom Ziel. Als der Wind zunahm, blieb ich auf Steuerbordbug. LEVJE legte sich mächtig auf die Steuerbordseite. Und trabte los.

Wer segelt, braucht Kraft. Aber vor allem seine Sinne. Und zwar alle. Die Nase, um riechen zu können, wenn Gas oder Diesel ausströmt. Den Tastsinn, um sich im Dunkel verborgener Winkel an Schrauben heranzutasten. Das Gehör. Von all meinen Sinnen ist mein Gehör am weitesten entwickelt. Ich höre buchstäblich, wenn etwas mit LEVJE nicht in Ordnung ist.

Es war gegen Mittag. Da war dieses merkwürdige Geräusch von vorne. Ich hatte es noch nie vorher gehört. An Bord. Geräusche macht LEVJE immer, die guten Geräusche wiederholen sich. Das Knarzen eines bestimmten Schotts in den Wellen. Das dumpfe Gurgeln aus offenen Bordverschlüssen, wenn LEVJE sich auf die Seite meines Waschraums legt. Man kann sie einordnen. Dieses Geräusch war neu. Irgendetwas in der Art splitternden Holzes vom Bug. Da – wieder! Was war das bloß? Ich hängte die Pinne in den Autopiloten, stand auf der mit voller Lage segelnden LEVJE auf und:

Der Bugkorb, nachdem ich ihn per Spifall und Winsch wieder halbwegs in Position gebracht hatte.

Dort, wo ich sorgsam die Genua auf dem Seezaun aufgetucht hatte, waren der massive Bugkorb und Seereling aus der senkrechten in die Waagrechte gebogen. Der Seezaun stand auf einer Länge von vier Metern nicht mehr nach oben, sondern seitlich ab. Eine Relingstütze war gebrochen. Der Seezaun hing durch. Den Bugkorb hatten nur Vorstag und Fockroller davon abgehalten, vollkommen nach steuerbord zu wandern und dort vollends abzureissen. Der Bugtritt aus daumendicken Teakholz war ebenfalls gesplittert. 

Nur die Genua war fest und sicher auf dem schlapp seitlich baumelnden Seezaun aufgetucht, als wäre nichts gewesen. Sie schwebte dort, wo ich sie befestigt hatte, nur jetzt eben fast ein Meter seitlich des Schiffsrumpfes statt darüber.

Vermutlich hatte die nur kopfgroße Öffnung der eingerollten Genua am Bugkorb wie die Öffnung eines Flugzeugtriebwerkes gewirkt: Sie hatte die Kraft der steilen Welle und LEVJE’s schäumende Bugwelle eingefangen. Und wie ein schwerer Treibanker mit unglaublicher Kraft Bugkorb und Seereling nach hinten gezogen. Eine Sache, die ich bestimmt über fünfzig Mal angewendet hatte, hatte im veränderten Umfeld steiler Wellen und in starker Lage zu einem gewaltigen Schaden geführt.

Das Bild war verheerend. Verbogener Edelstahl. Wie nichts geknicktes 25mm-Rohr. Zersplitterte Holztrümmer des beidseitigen Bugtrittes.

Ich barg die Genua. Sie war arglos eingerollt und unbeschädigt, wie ich sie befestigt hatte.
Ich versuchte, den eingeklemmten Fockroller wieder gängig zu bekommen.
Ich nutzte Spi-Fall und Winschen, um die verbogenen Teile wieder so hinzubekommen, dass sie beim Segeln und Anlegen nicht mehr im Weg waren.
Ich versuchte, den Seezaun zu reparieren und behelfsmässig zu straffen. Ein nicht gestraffter Seezaun ist – vor allem in der Dunkelheit, wenn man der Gewohnheit folgend schnell danach greift – das Unfallträchtigste überhaupt.

Und: Ich schalt ich mich einen Idioten. 
Auch wenn ich mir in meinen kühnsten Träumen einen derartigen Schaden nicht hätte vorstellen können.

Wie alles weiterging?

Wir beschlossen, nicht umzukehren, sondern die restliche Strecke weiter zu segeln.
Zehn Stunden später, gegen 23 Uhr nachts erreichten wir den Hafen von Le Castella bei Crotone. Fuhren im verlassenen Hafen unseren Anleger.

Am nächsten Morgen suchte ich einen Schlosser. Und fand „Pino“.

LEVJE im Hafen von Le Castella: Ohne Bugkorb. Ohne Seezaun.

Pino ist eigentlich die Kurzform von Giuseppe. Gemeinsam demontierten wir den Bugkorb. Pino schnallte ihn aufs Dach seines FIAT PANDA. Und rollte damit aus dem Hafen.

Gegen Abend kam Pino schweißüberströmt wieder zurück. Auf seinem Autodach der reparierte, wieder in Form gebrachte Bugkorb. Und die geschweißte Relingstütze. Pino hatte sich alle erdenkliche Mühe gegeben: Er schweißte den Bugkorb, wo er gebrochen war. Brachte ihn, wer weiß, mit welchen Hebelarmen und Kräften, wieder in seine ursprüngliche Form. Schliff ihn, wo er neue Nähte aufgebracht hatte. Es war perfekte Arbeit. Nur die zerbrochenen Trittbretter am Bugkorb: Die werden bis zum Winter warten müssen. Aber sie sind auch kein Original-Detail.

Pino, der Schlosser von Le Castella, und der wieder eingesetzte reparierte Bugkorb.

Ich bin Pino, der eigentlich Giuseppe Magnolia heißt, zu tiefem Dank verpflichtet. Ihm und all denen, die mir in diesem Land immer wieder weiterhelfen, wenn mal nichts mehr ging. 

Denn dies ist Italien, wie ich es seit bald 40 Jahren immer wieder erlebte und kenne. Wenn Du ein Problem hast: Dann hilft man Dir hier weiter.

Mare Più: heißt „mehr Meer“. 

Und wenn Sie mehr Geschichten 

über die Menschen am Meer lesen wollen:


Wie es ist, auf einem kleinen Segelboot
• Italien
• Griechenland
• Türkei
zu bereisen. Und in fünf Monaten: Von München nach Antalya zu reisen.

Jetzt lesen. Als eBook. Als Print. Hier bestellen.

Auch als Film:  

Im Download. Als DVD. Hier.

Demnächst auch in den CINEPLEX-Kinos 
in Aichach und Germering bei München.

Das sagt die Presse über Buch und Film:

„… ein Sehnsuchtsbuch par excellence.

Und ein echtes sinnliches Erlebnis.“

MÄRKISCHE ZEITUNG im Oktober 2015

„… eröffnet dem Weltenbummler ganz wunderbare Traumziele, auf die man 

bei üblicher Herangehensweise schwerlich gekommen wäre.“

YACHT im Mai 2015 

„Die Besonderheit des einstündigen Streifens ist seine Ruhe. 

Eine Ruhe, die der Film mit poetisch angehauchter Sprache und sinnlichen Bildern von Szene zu Szene eingehender vermittelt.“

SEGELREPORTER im Dezember 2015

„… ein schönes, ein gelungenes Werk, animierend und inspirierend.“

LITERATURBOOT im Juli 2015

„Absolut empfehlenswert!

Für Reisebegeisterte ist ‚Einmal München-Antalya, bitte!‘ definitiv zu empfehlen.“


RATGEBER.REISE. im Juni 2015

  

Einhand um Sizilien, Teil VIII.: Mit der Pinne in der einen. Und dem Gelato in der anderen Hand!

In lockerer Folge erzähle ich in dieser Artikelserie meine Reise 
um Sizilien auf meiner 31-Fuß-Yacht LEVJE im Sommer 2016. 

Alle Artikel dieser Reihe finden Sie auf click HIER. 
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Unterwegs in den Gelaterien von Trapani ganz im Westen Siziliens.




Meinen New Yorker Bekannten, nennen wir ihn Rob, denn so heißt er wirklich, treibt sein Interesse alle paar Jahre nach Deutschland. Er ist über 60, Anwalt, und ihn treibt seine Lust, dieses unser Deutschland zu verstehen, regelmäßig für fast einen Monat landauf, landab. Am Ende verfasst Rob für die Freunde in USA einen Bericht über dieses Deutschland, in dem er mich mit klugen Beobachtungen jedes Mal verblüfft.
Rob hält fest:
Was die Deutschen über den VW-Skandal dächten.
Warum die Deutschen lieber in den kleinen Hotelzimmern privat geführter Hotels statt Ketten übernachten.
Warum deutsche Supermärkte in Qualität und Auswahl keineswegs an ihr US-Pendant ran kämen. Nur bei Schokolade und Süßwaren, allenfalls.
Recht so.
Auch was Rob über das Essen in Deutschland schreibt, ist lesenswert. Nur an einer Stelle, lieber Rob, da stutzte ich: „Das beste Eis überhaupt“, schreibt er, das gäbe es in Frankfurt, in der Bockenheimer Landstraße. Grapefruit-Eis.

Nichts gegen Frankfurt. Und schon gar nicht gegen die Bockenheimer Landstraße. Und auch wenn es richtig ist, dass das liebe Deutschland uns gelegentlich, gelegentlich mit umwerfendem Gelato zu verblüffen weiß, so muss doch festgestellt werden: Das ist alles nichts. Gegen Sizilien.

Bei Franco in Marsala: Eis aus pürierten schwarzen (!) Brombeeren (!!) vom Ätna (!!!) und zuletzt mit einem Stich heißer Schokolade übergossen.

Beginnen wir mal mit den verschiedenen Grundsorten: In jeder sizilianischen Gelateria sind Milcheis und Wassereis in verschiedenen Vitrinen getrennt. Wassereis heißt Granita. Eigentlich kann man es eher als intensiv schmeckendes Sorbet bezeichnen. Vereinfacht gesagt, ist Granita einfach zermatschte Frucht, ohne weitere Zutaten (naja, ein bisschen Zucker, vielleicht…) eingefroren. Und zu klitzekleinen gefrorenen Eissplittern gecrushed.

Nehmen wir zum Beispiel die „Gelsi neri del Aetna“, („Brombeeren vom Ätna“), das ich bei Franco in Marsala bekam und die nicht einfach nur Wasser mit Himbergeschmack sind. Nein. Am Gaumen kommt eine Ladung schockgefrosteter pürierter Brombeeren an, in einer Kälte und einer Geschmacksdichte, die 37 Grad Außentemperatur ganz schnell vergessen lässt. Nie werde ich diesen Geschmack vergessen. Und mich darüber zu freuen, dass sogar die zermahlenen Brombeer-Körnchen zu spüren sind, die das ganze so echt machen.

Aber damit nicht genug: Bei Franco läuft wie aus einem Wasserhahn heiße Schokolade, mit der er erst den Keks und dann die eiskalte Granita benetzt. Kaum dass die flüssige Schokolade das Eis berührt, ist sie auch schon zu einer knusprigen Kruste erstarrt. Ich werde noch des öfteren darauf zu sprechen kommen, dass Marsala kulinarisch schon ein ganz besonderes Highlight darstellt in einer Region, wo man meint: Dass es da längst nichts mehr zu toppen gäbe.

Und dann das Milcheis. All die Kreationen zwischen „Sette Veli“ (benannt nach der legendären „Torta Setteveli“) und „Cheesecake con Fragola“ („Käsekuchen-Geschmack, natürlich mit ganzen Stücken von Käsekuchen drin, und eingerührtem Erdbeer-Kompott“, seuffzz!), das gute alte Pistazien-Eis. Dann Nocciola, mit dicken Streifen Nutella eingerührt (Doppel-Seuffz!!), es ist, als ob diesen Sommer noch mal ein Feuerwerk an Eissorten-Erfindungswut am wolkenlosen Himmel über Sizilien abginge. Über Schweinereien, denen ich mich gelegentlich nur verschämt und heimlich hingebe, wenn meine Frau nicht guckt, wie „Kinder-Pingui“ („Kinderschokolade“-Eis), „Rocher“ (Ist voller zerquetschter Rocher-Kugeln) „Mars“ und „Twix“ (alle mit zerquetschten Stückchen!) rede ich nicht.

Das Eis. Es ist dem Menschen quasi in die Wiege gelegt. Denn schon die alten Chinesen, jawohl, die schon wieder, die gerade unsere schöne KUKA-Roboterfertigung geschluckt haben, die haben angeblich das Eis erfunden, indem sie frisch gepressten Fruchtsaft mit kaltem Neuschnee vermengten. Das konnte man vor 2.000, 3.000 Jahren noch tun, weil es noch kein VW gab, das in frischem Neuschnee weitaus mehr Abgaspartikel hinterließ als erlaubt.
Bei den Römern, den Leckermäulern, gab es Eis natürlich auch: Schnelle Läufer brachten Schnee von den Gipfeln des Appenin in die Stadt, wo der Schnee ebenfalls mit Fruchtsaft gemixt wurde. Granita.

Mit den Römern, genauer: Mit den Segnungen des Christentums, verschwand das Eis dann wieder für ganze 600 Jahre von der Bildfläche. Spätestens hier muss endlich einmal ausgesprochen werden, was niemand sagt: Eis-technisch war die Erfindung des Christentums ein Rückschritt. Eis, Gelato kam erst wieder in unsere Hände, als brave Christen während der Kreuzzüge zu Eroberungszwecken im Heiligen Land auftauchten. Und die Muslime sich dafür mit den neuesten Eisrezepten bei den Christen revanchierten. Sie hatten von den Römern die Kunst bewahrt, „Scherbet“ herzustellen – Schnee und Fruchtsaft. Und das teilten sie mit den Christen.

Es war schon mal alles besser in der Welt. Danach war das Eis in der westlichen Welt. Und aus ihr nicht mehr wegzudenken. Vor allem die Amerikaner machten sich keine zwei Jahrzehnte nach dem revolutionären Sieg über die britischen Kolonialherren daran, ihre Unabhängigkeit durch Erfindung der Eismaschine zu krönen und der Welt hinfort in der Erzeugung von Eissorten ein Vorbild zu sein.

Kehren wir zurück nach Sizilien. Milchreis und Granita. Aber wer denkt, dass damit alles erledigt wäre, der irrt. Gewaltig. In Mazara del Vallo, sonst eher etwas herb, verführte mich Paolo von der GELATERIA COPPETTA dazu, ein „Brioche con Gelato“ zu probieren. Ein süßes Rosinen-Brötchen, in der Mitte halbiert. Und mit verschiedenen Eissorten – in diesem Fall „Sette Veli“ und „Cheesecake“ –  gefüllt. So eine Art „Eis-Döner“ in süß. Brüller! Bedächtig darüber sitzend vergesse ich Welt und BREXIT und Umwelt.

Wie alles in der Welt kennt natürlich auch das Eis nicht nur Erfolg und Wachstum und grenzenlose Renditen. Der Softeis-Boom der Siebziger führte zu Problemen mit der Hygiene – heftige Magen-Darm-Infekte waren die Folge, wenn Ei im Eis verwendet wurde. Oder Eis mehrfach auftaute und wieder eingefroren wurde. Oder wenn der Portionier-Löffel drei Tage im gleichen Wasserbecher schwamm. Man erkennt den Profi heute daran, dass er derlei nicht mehr verwendet und den Löffel unter fließendem Wasser reinigt. Ei ist im Gelato eh keins mehr enthalten. Und so schlemme ich mich bedenkenlos einen sizilischen Segelsommer lang von Gelateria zu Gelateria.

Nicht jeder Eishersteller ist gleichermaßen stolz auf die gleichen Dinge. Im schönen Piana degli Albanesi führte mir Giuseppe die Qualität seines Eises vor Augen, indem er das Hörnchen einfach auf den Kopf stellte. „Schau“, sagte er, „So muss das sein! Es muss fest sein. Und darf nicht rausfallen vor lauter Milch.“ Ich war beeindruckt. Aber weniger über Giuseppe’s Theorie, was gutes Eis ausmacht. Sondern über den Dreh mit „Das Eis auf den Kopf stellen“. Ich wage derlei nicht. Weil ich mich eh immer mit dem schmelzenden Eis einsaue. Es ist oft ein Kampf: Wer ist nun schneller: Das Eis? Oder die Hitze? Oder ich mit „Eis-Aufessen“. Neben meinen ständig eingesauten Hosen, die meine Frau genussvoll fotografiert, läuft ständig Gianduia (gesprochen: „Dddschschannduja“, das italienische Wort für Nougat) über meine Pfoten. Am schlimmsten war Eis essen mit der reizenden Desiree. Ich hatte ihr ein Schokoladeneis mitgebracht in der Hitze. Aber da ein heißer Wind wehte, saßen Desiree und ich nur noch zu zweit in einer tröpfelnden Pfütze aus Schokoladen-Eiscreme – sowas verbindet.

Chefin und Mitarbeiterin: Margherita und Francesca in Trapani in der Gelateria PANNA & Co.

Bei all den Schwierigkeiten wird definitiv außer acht gelassen, was für ein Wirtschaftsfaktor das mit dem Gelato mittlerweile in Italien ist. Fünf Milliarden Euro setzt die Branche mittlerweile jährlich um. Das ist mit „Zwei-Euro-Artikeln“ mehr als der halbe Jahresumsatz der Buchbranche in Deutschland. In den 40.000 Gelaterien Italiens arbeiten 150.000 Mitarbeiter – und die Branche verzeichnet: „Wwwwwachstum!“ Dabei darf man das alles nicht unterschätzen: Denn um Eis herzustellen und zu vertreiben, braucht man Eismaschinen. Und Kühlschränke. Und Milch. Und Läden. Ein ganzer Rattenschwanz an Lieferanten verdient also an diesem Wirtschaftsboom kräftig mit.

Debora in Lipari auf der gleichnamigen Insel. Sie hat sich in diesem Jahr mit einer Gelateria selbständig gemacht.

Und wenn man dann denkt: Nun hätte man in Sizilien wirklich, aber auch wirklich alles gesehen und gekostet, was es an Eis so zu schmecken gäbe: Dann steht in einer kleinen Gelateria im Örtchen Lipari plötzlich Debora vor einem. Debora hat sich mit einer kleinen Gelateria CRISPI AL 61 vor kurzem dort selbständig gemacht, wo die Schwimmpontons im Norden des Städtchens Lipari auf der gleichnamigen Insel liegen. Eine Insel-Gelateria, sozusagen. Weil Debora gerade erst angefangen hat, hat sie in ihrer kleinen Gelaterie auch nur sechs, acht Sorten. Aber die haben es allesamt echt in sich. Nach dem ersten Eis musste dann auch gleich ein zweites her. Und das war dann noch mal mindestens genauso gut. Nach ihrem Geheimnis gefragt, sagt Debora: „Ich nehme nur Früchte, die hier auf der Insel wachsen. Von Leuten, die ich kenne. Und dann“, sie kichert verschmitzt, “ verkoche ich die Früchte zu Marmelade. Erst dann kommt das in mein Eis.“

Herrje.

Einhand um Sizilien, Teil VIII.: Mit der Pinne in der einen. Und dem Gelato in der anderen Hand!

In lockerer Folge erzähle ich in dieser Artikelserie meine Reise 
um Sizilien auf meiner 31-Fuß-Yacht LEVJE im Sommer 2016. 

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Unterwegs in den Gelaterien von Trapani ganz im Westen Siziliens.




Meinen New Yorker Bekannten, nennen wir ihn Rob, denn so heißt er wirklich, treibt sein Interesse alle paar Jahre nach Deutschland. Er ist über 60, Anwalt, und ihn treibt seine Lust, dieses unser Deutschland zu verstehen, regelmäßig für fast einen Monat landauf, landab. Am Ende verfasst Rob für die Freunde in USA einen Bericht über dieses Deutschland, in dem er mich mit klugen Beobachtungen jedes Mal verblüfft.
Rob hält fest:
Was die Deutschen über den VW-Skandal dächten.
Warum die Deutschen lieber in den kleinen Hotelzimmern privat geführter Hotels statt Ketten übernachten.
Warum deutsche Supermärkte in Qualität und Auswahl keineswegs an ihr US-Pendant ran kämen. Nur bei Schokolade und Süßwaren, allenfalls.
Recht so.
Auch was Rob über das Essen in Deutschland schreibt, ist lesenswert. Nur an einer Stelle, lieber Rob, da stutzte ich: „Das beste Eis überhaupt“, schreibt er, das gäbe es in Frankfurt, in der Bockenheimer Landstraße. Grapefruit-Eis.

Nichts gegen Frankfurt. Und schon gar nicht gegen die Bockenheimer Landstraße. Und auch wenn es richtig ist, dass das liebe Deutschland uns gelegentlich, gelegentlich mit umwerfendem Gelato zu verblüffen weiß, so muss doch festgestellt werden: Das ist alles nichts. Gegen Sizilien.

Bei Franco in Marsala: Eis aus pürierten schwarzen (!) Brombeeren (!!) vom Ätna (!!!) und zuletzt mit einem Stich heißer Schokolade übergossen.

Beginnen wir mal mit den verschiedenen Grundsorten: In jeder sizilianischen Gelateria sind Milcheis und Wassereis in verschiedenen Vitrinen getrennt. Wassereis heißt Granita. Eigentlich kann man es eher als intensiv schmeckendes Sorbet bezeichnen. Vereinfacht gesagt, ist Granita einfach zermatschte Frucht, ohne weitere Zutaten (naja, ein bisschen Zucker, vielleicht…) eingefroren. Und zu klitzekleinen gefrorenen Eissplittern gecrushed.

Nehmen wir zum Beispiel die „Gelsi neri del Aetna“, („Brombeeren vom Ätna“), das ich bei Franco in Marsala bekam und die nicht einfach nur Wasser mit Himbergeschmack sind. Nein. Am Gaumen kommt eine Ladung schockgefrosteter pürierter Brombeeren an, in einer Kälte und einer Geschmacksdichte, die 37 Grad Außentemperatur ganz schnell vergessen lässt. Nie werde ich diesen Geschmack vergessen. Und mich darüber zu freuen, dass sogar die zermahlenen Brombeer-Körnchen zu spüren sind, die das ganze so echt machen.

Aber damit nicht genug: Bei Franco läuft wie aus einem Wasserhahn heiße Schokolade, mit der er erst den Keks und dann die eiskalte Granita benetzt. Kaum dass die flüssige Schokolade das Eis berührt, ist sie auch schon zu einer knusprigen Kruste erstarrt. Ich werde noch des öfteren darauf zu sprechen kommen, dass Marsala kulinarisch schon ein ganz besonderes Highlight darstellt in einer Region, wo man meint: Dass es da längst nichts mehr zu toppen gäbe.

Und dann das Milcheis. All die Kreationen zwischen „Sette Veli“ (benannt nach der legendären „Torta Setteveli“) und „Cheesecake con Fragola“ („Käsekuchen-Geschmack, natürlich mit ganzen Stücken von Käsekuchen drin, und eingerührtem Erdbeer-Kompott“, seuffzz!), das gute alte Pistazien-Eis. Dann Nocciola, mit dicken Streifen Nutella eingerührt (Doppel-Seuffz!!), es ist, als ob diesen Sommer noch mal ein Feuerwerk an Eissorten-Erfindungswut am wolkenlosen Himmel über Sizilien abginge. Über Schweinereien, denen ich mich gelegentlich nur verschämt und heimlich hingebe, wenn meine Frau nicht guckt, wie „Kinder-Pingui“ („Kinderschokolade“-Eis), „Rocher“ (Ist voller zerquetschter Rocher-Kugeln) „Mars“ und „Twix“ (alle mit zerquetschten Stückchen!) rede ich nicht.

Das Eis. Es ist dem Menschen quasi in die Wiege gelegt. Denn schon die alten Chinesen, jawohl, die schon wieder, die gerade unsere schöne KUKA-Roboterfertigung geschluckt haben, die haben angeblich das Eis erfunden, indem sie frisch gepressten Fruchtsaft mit kaltem Neuschnee vermengten. Das konnte man vor 2.000, 3.000 Jahren noch tun, weil es noch kein VW gab, das in frischem Neuschnee weitaus mehr Abgaspartikel hinterließ als erlaubt.
Bei den Römern, den Leckermäulern, gab es Eis natürlich auch: Schnelle Läufer brachten Schnee von den Gipfeln des Appenin in die Stadt, wo der Schnee ebenfalls mit Fruchtsaft gemixt wurde. Granita.

Mit den Römern, genauer: Mit den Segnungen des Christentums, verschwand das Eis dann wieder für ganze 600 Jahre von der Bildfläche. Spätestens hier muss endlich einmal ausgesprochen werden, was niemand sagt: Eis-technisch war die Erfindung des Christentums ein Rückschritt. Eis, Gelato kam erst wieder in unsere Hände, als brave Christen während der Kreuzzüge zu Eroberungszwecken im Heiligen Land auftauchten. Und die Muslime sich dafür mit den neuesten Eisrezepten bei den Christen revanchierten. Sie hatten von den Römern die Kunst bewahrt, „Scherbet“ herzustellen – Schnee und Fruchtsaft. Und das teilten sie mit den Christen.

Es war schon mal alles besser in der Welt. Danach war das Eis in der westlichen Welt. Und aus ihr nicht mehr wegzudenken. Vor allem die Amerikaner machten sich keine zwei Jahrzehnte nach dem revolutionären Sieg über die britischen Kolonialherren daran, ihre Unabhängigkeit durch Erfindung der Eismaschine zu krönen und der Welt hinfort in der Erzeugung von Eissorten ein Vorbild zu sein.

Kehren wir zurück nach Sizilien. Milchreis und Granita. Aber wer denkt, dass damit alles erledigt wäre, der irrt. Gewaltig. In Mazara del Vallo, sonst eher etwas herb, verführte mich Paolo von der GELATERIA COPPETTA dazu, ein „Brioche con Gelato“ zu probieren. Ein süßes Rosinen-Brötchen, in der Mitte halbiert. Und mit verschiedenen Eissorten – in diesem Fall „Sette Veli“ und „Cheesecake“ –  gefüllt. So eine Art „Eis-Döner“ in süß. Brüller! Bedächtig darüber sitzend vergesse ich Welt und BREXIT und Umwelt.

Wie alles in der Welt kennt natürlich auch das Eis nicht nur Erfolg und Wachstum und grenzenlose Renditen. Der Softeis-Boom der Siebziger führte zu Problemen mit der Hygiene – heftige Magen-Darm-Infekte waren die Folge, wenn Ei im Eis verwendet wurde. Oder Eis mehrfach auftaute und wieder eingefroren wurde. Oder wenn der Portionier-Löffel drei Tage im gleichen Wasserbecher schwamm. Man erkennt den Profi heute daran, dass er derlei nicht mehr verwendet und den Löffel unter fließendem Wasser reinigt. Ei ist im Gelato eh keins mehr enthalten. Und so schlemme ich mich bedenkenlos einen sizilischen Segelsommer lang von Gelateria zu Gelateria.

Nicht jeder Eishersteller ist gleichermaßen stolz auf die gleichen Dinge. Im schönen Piana degli Albanesi führte mir Giuseppe die Qualität seines Eises vor Augen, indem er das Hörnchen einfach auf den Kopf stellte. „Schau“, sagte er, „So muss das sein! Es muss fest sein. Und darf nicht rausfallen vor lauter Milch.“ Ich war beeindruckt. Aber weniger über Giuseppe’s Theorie, was gutes Eis ausmacht. Sondern über den Dreh mit „Das Eis auf den Kopf stellen“. Ich wage derlei nicht. Weil ich mich eh immer mit dem schmelzenden Eis einsaue. Es ist oft ein Kampf: Wer ist nun schneller: Das Eis? Oder die Hitze? Oder ich mit „Eis-Aufessen“. Neben meinen ständig eingesauten Hosen, die meine Frau genussvoll fotografiert, läuft ständig Gianduia (gesprochen: „Dddschschannduja“, das italienische Wort für Nougat) über meine Pfoten. Am schlimmsten war Eis essen mit der reizenden Desiree. Ich hatte ihr ein Schokoladeneis mitgebracht in der Hitze. Aber da ein heißer Wind wehte, saßen Desiree und ich nur noch zu zweit in einer tröpfelnden Pfütze aus Schokoladen-Eiscreme – sowas verbindet.

Chefin und Mitarbeiterin: Margherita und Francesca in Trapani in der Gelateria PANNA & Co.

Bei all den Schwierigkeiten wird definitiv außer acht gelassen, was für ein Wirtschaftsfaktor das mit dem Gelato mittlerweile in Italien ist. Fünf Milliarden Euro setzt die Branche mittlerweile jährlich um. Das ist mit „Zwei-Euro-Artikeln“ mehr als der halbe Jahresumsatz der Buchbranche in Deutschland. In den 40.000 Gelaterien Italiens arbeiten 150.000 Mitarbeiter – und die Branche verzeichnet: „Wwwwwachstum!“ Dabei darf man das alles nicht unterschätzen: Denn um Eis herzustellen und zu vertreiben, braucht man Eismaschinen. Und Kühlschränke. Und Milch. Und Läden. Ein ganzer Rattenschwanz an Lieferanten verdient also an diesem Wirtschaftsboom kräftig mit.

Debora in Lipari auf der gleichnamigen Insel. Sie hat sich in diesem Jahr mit einer Gelateria selbständig gemacht.

Und wenn man dann denkt: Nun hätte man in Sizilien wirklich, aber auch wirklich alles gesehen und gekostet, was es an Eis so zu schmecken gäbe: Dann steht in einer kleinen Gelateria im Örtchen Lipari plötzlich Debora vor einem. Debora hat sich mit einer kleinen Gelateria CRISPI AL 61 vor kurzem dort selbständig gemacht, wo die Schwimmpontons im Norden des Städtchens Lipari auf der gleichnamigen Insel liegen. Eine Insel-Gelateria, sozusagen. Weil Debora gerade erst angefangen hat, hat sie in ihrer kleinen Gelaterie auch nur sechs, acht Sorten. Aber die haben es allesamt echt in sich. Nach dem ersten Eis musste dann auch gleich ein zweites her. Und das war dann noch mal mindestens genauso gut. Nach ihrem Geheimnis gefragt, sagt Debora: „Ich nehme nur Früchte, die hier auf der Insel wachsen. Von Leuten, die ich kenne. Und dann“, sie kichert verschmitzt, “ verkoche ich die Früchte zu Marmelade. Erst dann kommt das in mein Eis.“

Herrje.