Stell dir vor, man darf wieder segeln und keiner fährt los
Do.,28.Mai.20, Franz.Polyn./Gambier/Insel Mangareva, Tag 2188, 20.254 sm von HH
So in etwa muss man sich die Situation in Gambier vorstellen. Seit einer Woche ist der ‚Inter-Island-Travel‘ wieder erlaubt. Zwischen den Archipel-Gruppen darf uneingeschränkt gesegelt werden, hat die polynesische Regierung beschlossen. Halt, uneingeschränkt? Nein, ganz so einfach ist es nicht. Es heißt, dass man in den Tuamotu vor der Ankunft in einem Atoll beim Bürgermeister melden soll, ob man seine Insel anfahren darf.
Ein großer Teil der Segler in Gambier hat keine Lust 450, 500 oder 600 Seemeilen zu segeln, um dann vor verschlossener Tür zu stehen: „du kommst hier nicht rein!“ Dieser Teil lehnt sich zurück und lässt erst mal die ‚Pioniere‘ lossegeln und wartet auf deren Berichte. Ein Drittel der Crews vor Ort gehört zur Gruppe ‚der nicht offiziell Einklarierten‘, die Boote, die nach dem Lockdown noch hier angekommen sind. Für die heißt es immer noch behördlich angeordnet, dass sie direkt nach Tahiti müssen, gehe nicht über die Tuamotu. Viele dieser Segler haben bei der Einreise Reparaturen genannt, die sie an der Weiterreise nach Tahiti hindern, da wäre es nun unglaubwürdig, wenn diese Schiffe in den Tuamotu kreuzen würden. Eine Zwickmühle.
Für eine kleine Gruppe von fünf, sechs Schiffen ergibt sich Morgen oder Übermorgen ein Wetterfenster, so dass diese Gruppe als die ersten Pioniere los segeln wird.
Und was ist mit uns? Wir waren mal wieder besonders schlau. In Angesicht der Tatsache, dass wir ab September nur noch eine gültige Kreditkarte haben werden, dachten wir, wir lassen uns die zwei Karten zuschicken, die zu Hause auf dem Schreibtisch liegen, während wir sowieso nicht weiter dürfen. Die Karten sind seit drei Wochen als Dokumentenversand in der Welt unterwegs: Hamburg => Leipzig => USA => Australien => Neuseeland. Gestern sind sie in Papeete angekommen. Leider erlaubt ‚unser‘ Bürgermeister noch keine Flüge nach Gambier, somit wird die Post mit dem Versorgungs-Schiff hierher transportiert … das Mädchen in der Post hat gleich gesagt, es dauert drei Monate bis unser Brief hier sein wird.
Es ist voll geworden in Gambier. Es stauen sich die Schiffe. Seit Monaten durfte kein Segler die Inselgruppe verlassen, aber aus Südamerika kamen fast täglich noch Schiffe eingetrudelt. Somit sind wir fast vierzig Boote in Gambier. An Tagen mit ruhigem Wetter verteilen sich die Boote auf verschiedene Ankerplätze an den Inselchen – den Motus – am Außenriff. Dann ist alles gut und friedlich. Bei schlechtem Wetter kommen fast alle Schiffe zum Hauptankerplatz nach Rikitea, weil es auf den Motus keinen richtigen Schutz vor dem berüchtigten Süd-Ostwind gibt. Rikitea bietet nicht genug Platz für so viel Schiffe. Das Wasser ist tief – im Mittel 17 Meter – so dass alle viel Kette gesteckt haben. Siebzig Meter sind die Regel.
Unser Nachbar schwoit anders als wir, weil er mit dreißig Meter Kette (viel zu wenig) und siebzig Meter Leine ankert. Die ganze Nacht sitzt er mit seinem Pickhacken an Deck und stupst Atanga bei Berührungsgefahr zur Seite. Achim kriegt ebenfalls kein Auge zu, obwohl der Nachbar tapfer die ganze Nacht Wache geht.
Bei jedem Windwechsel wird umgeankert, weil Schiffe aufs Riff zu schwoien drohen. Jedes Boot versucht sich noch irgendwo dazwischen zu quetschen. Ein kleiner Alptraum. Die brenzligen Situationen häufen sich. Eine große Motoryacht kommt einem Franzosen zu nahe. Das Motorboot ist unbemannt und droht den Segler beim nächsten Winddreher wegzufegen. Schnell kommen von anderen Booten die Schlauchboote zur Hilfe und versuchen das Segelschiff zu schützen bis der Eigner wieder an Bord ist und seinen großen Kahn umankern kann.
Dicht gepacktes Ankerfeld – zu dicht
Wenn das Versorgungs-Schiff kommt, folgt der nächste Alptraum. Wie die Heuschrecken stürzen sich fast alle Crews in die Läden. Sie kaufen, hamstern, bunkern und lassen die Kreditkarte krachen. Die nicht so zahlungskräftigen Einheimischen können da nicht mithalten. Sie bekommen nur einmal in der Woche ihren Lohn. Vom letzten Versorgungs-Schiff soll subventioniertes Mehl verkauft worden sein. Fünfundzwanzig Kilo für sensationelle sechs Dollar. Und günstiges Bier soll es gegeben haben, statt siebzig nur fünfzig Dollar für die Palette. Normalerweise soll ein Gendarm bei solchen Verkäufen Wache stehen, der hat aber wohl durch Abwesenheit geglänzt. Ich glaube, dass weder Mehl noch Bier bei den Einheimischen angekommen sind. Zu schnell ist die Seglergemeinde. Über Funk werden die Nachrichten blitzschnell verteilt und schon düsen die ersten Dinghies an Land. Es sind definitiv zu viele Segler hier, die die Läden leer kaufen. Ein hässlicher Nebeneffekt der Corona-Krise. Es ist an der Zeit, dass sich der Segelboote-Stau auflöst und sich die Segler auf weitere Atolle verteilen.