Kategorie: Atanga

Was für eine Sauerei

Di.,03.Mai. 22, Neuseeland/Whangarei, Tag 2894, 24.696 sm von HH

Heute geht es nun endlich los – unser Osmose geplagter, deswegen vor Monaten um 4,5 mm abgeschälter (wie alles begann) und dann geschliffener Rumpf  (Rückschlag durch unerwartete Löcher) wird wieder aufgebaut.

Im ersten Schritt werden die tiefsten Löcher mit Vinylester und etwas Matte zugespachtelt bzw. geklebt. Es folgen zwei Lagen Glasfasermatte (chopped strand fibre). Gewicht 450 Gramm pro Quadratmeter. Und zum Schluss eine Schicht Spachtelmasse – ebenfalls  aus Vinylester. Alles wird nass in nass auf den Rumpf aufgebracht.

Zuerst kommen ein paar Glasfasermatten-Pflaster auf die schlimmsten Stellen

Wie selbstverständlich sind Achim und ich als Handlanger eingeteilt. Wir sollen die benötigten Matten zuschneiden, die Harze mischen und den beiden Glasfaser-Experten Peter und Ben zuarbeiten.
Der Anfang ist noch entspannt, wir schneiden vier Meter lange Bahnen für den Bug zurecht. Im Grunde genommen, ist es ein wenig wie Tapezieren. Außer, dass die Matte unglaublich fuselt und man in Null-Komma-Nichts überall juckende Glasfasern kleben hat.

Zuschnitt der Matten an einer Art Tapeziertisch

Peter zeigt uns, was beim Harz mischen verlangt wird. Akribisch wird der Arbeitsplatz vorbereitet. Ist alles da? Handschuhe, Lappen, Eimer, Schüsseln, Farbrollen? Ja, alles liegt bereit. „Ist einmal der Härter im Harz, ist die Verarbeitungszeit kurz. Ich will weder Material noch Zeit verschwenden. Also, wenn ich euch antreibe und das böse F-Wort benutze, dann ist das nichts Persönliches“, grinst er uns an. Peter ist ein Alpha-Mann, ein Macher, ein schneller Arbeiter. Anerkannt als Experte für Glas-Arbeiten. Die Jungs mit denen er zusammen arbeitet stehen stramm – wir ebenfalls. Wir knallen die Hacken zusammen.

Ich werde zum Anrühren eingeteilt, Achim trägt das fertig gemischte Harz zu Peter und Ben, bringt ihnen die Matten und hilft beim Festhalten der langen Bahnen, bevor sie fest am Rumpf kleben.“Alle bereit? Gasmasken auf und los geht’s“. Nein halt, eins fehlt noch – Musik. Peter ist Metal-Fan. Und Peter ist es egal, ob andere seinen Musikgeschmack teilen. Zum Glück können wir beide sehr gut damit leben, dass Metallica, ACDC und Ramstein die Arbeit beschallen. Nur versteht man durch die Gasmasken schon schwer genug, was der anderen von einem will. Aber Peters Anweisungen sind einfach: „More resin – mehr Harz.“

Aus einem 20 Kilo Fass fülle ich in einen Messbecher einen Liter Harz ab. Der wird in eine Plastikschüssel umgefüllt und bekommt 1,5 Prozent Härter dazu. Das sind nur 15 Milliliter. Mit Hilfe einer großen Dosier-Pumpen-Füll-Flasche  ist das mess- und machbar. Dann mit dem Spartel ungefähr 30 Sekunden rühren bis sich die Farbe verändert. Dann reißt Achim mir auch schon die Schüssel aus der Hand. Schnell bereite ich den nächsten Liter vor. Und noch einen in Reserve. Achim bringt die leere Schüssel zurück. Um wenigstens etwas Müll zu sparen, wische ich die schnell sauber, um sie wieder verwenden zu können.
In kürzester Zeit ist alles klebrig und mit Glasfasern übersät. Ich kann den Spatel nicht mehr einfach aus der Hand legen. Er klebt am Handschuh fest. Der Messbecher ebenfalls. Umso länger die Aktion dauert, desto schlimmer wird es. Das erste Harz fängt an anzuziehen. Es klebt wie Sau. Zeit zum Verschnaufen liegt nicht drin. „More resin“, schallt es über Guns N‘ Roses. „One more container.“
Es ist für alle anstrengend, egal welchen Job man hat. Dann endlich sind alle Bahnen verklebt und luftfrei festgestrichen.

Mein Arbeitsplatz – in der Tonne links ist das Harz – 6 bis 7 Fässer werden wir davon verbrauchen, wenn wir in ein paar Tagen fertig sind – á 20 Kilo

Giftmischer – Foto Credit Alex von der Ari B

Der fertig mit Matte überzogene noch feuchte Bug

„Wir machen dreißig Minuten Mittag. Dann kommt der Spachtel auf das Harz.“ Peter legt die Werkzeuge vor uns hin. „Bitte gut sauber machen, das brauchen wir Morgen alles wieder.“ Achim und ich starren auf die pappigen Scheren und Rollen. Mit Bergen an Aceton und Lappen rücken wir dem klebrigen Überzug auf den buchstäblichen Pelz. Alles ist überzogen mit Glasfasern und Harz. Billige Malerrollen und Plastiktabletts landen gleich im Müll, da lohnt sich die Reinigung nicht.

Nach zwanzig Minuten sind wir fertig. Unsere mitgebrachten Nudeln vom Vorabend sollten eigentlich in der Werftküche in der Mikrowelle  heiß gemacht werden. Keine Zeit. Kalt verschlingen wir sie neben der Halle auf einem Kantstein. Als ich noch schnell zur Toilette gehe, kommt Peter auch schon zurück.

Wertiges Werkzeug muss schnell sauber gemacht werden – alles wir unglaublich rasch hart

Zehn Minuten Mittagspause mit kalten Nudeln – das Leben ist zur Zeit kein Pony-Schlecken ;-)

Es folgt der zweite Streich: es soll Spachtel auf die noch feuchten Matten. Das Anrühren ist aufwendiger. Diesmal mischen Achim und ich gemeinsam. Für die Spachtelmasse kommt ein halber Liter Harz aus dem gleichen Fass in einen Eimer. Zwei Prozent eines Wachs  dazu – aufgezogen aus einer Flasche mit Hilfe einer Spritze. Es folgen zwei Sorten Mirkoballons. Das ist ein federleichter Füllstoff (3,5 Kilo haben das Volumen von einem Viertel Kubikmeter). Diese Mikroballons verändern die Struktur vom Harz, zur besseren Verarbeitung und Schleiffähigkeit der Spachtelmasse.  Die Kunst ist es soviel Ballons hinzuzufügen, dass Peter mit der Konsistenz zufrieden ist. Am Schluss noch einen Schuss Härter in den Eimer. Das Ganze wird mit der Bohrmaschine gerührt, noch einmal die Ränder mit einem Spachtel sauber gemacht und im Schweinsgalopp zu Peter gerannt. „Zu dünn“! Ich renne zu Achim zurück. Mehr Ballons dazu, rühren, Eimerrand säubern und wieder zu Peter bringen. Der ist jetzt zufrieden. Einen bereits leeren Eimer nehme ich mit, sauber machen und sofort die nächste Mischung ansetzen. Bloß keine Zutat vergessen. Schnell entwickeln Achim und ich ein System, wer für was zuständig ist. Aber Peter ist schnell und die Spachtelmasse schnell alle. Wir schwitzen.

Drei Eimer werden vorbereitet – den Vorlauf brauchen wir – sonst kommen wir hinter Peter nicht hinterher

Schließlich ist auch das geschafft. „Gut gemacht, der Spachtel wurde am Schluss immer besser“. Ein Lob von Peter. Wir schauen zufrieden und freuen uns. „Morgen soll es regnen. Bei Regen können wir nicht glasen. Dann ist die Luftfeuchtigkeit zu hoch. Es muss unter 70 Prozent sein, sonst funktioniert es nicht. Wir werden sehen, was Morgen für ein Wetter ist. Tschüüüß.“

Der gespachtelte Bug – alles leicht rosa – eine Sorte Mikroballons ist rot – die andere weiß – ergibt babyrosa

Achim und ich beseitigen noch die Sauerei des zweiten Aktes. Alles was wir in den letzten Jahren an Plastiktüten eingespart haben, ist mit einem Schlag zunichte gemacht. Eine gerammelt volle Mülltonne ist das Endergebnis. Eimer, Container, Handschuhe. Überreste vom Harz. Alles ungesundes Zeug. Und alles wird auf der Müllkippe landen. Sondermüll ist leider eine Fehlanzeige in Neuseeland.

Kaputt fahren wir in unser gemütliches Zuhause mit dem entzückende Leihkater. Viel Energie haben wir nicht mehr, aber für einen Regentanz reicht es noch. Mit Erfolg. Am nächsten Morgen gießt es wie aus Eimern – wir haben einen Tag Pause. :lol:


13

Im Bootsbauer-Bootcamp

So.,01.Mai. 22, Neuseeland/Whangarei, Tag 2892, 24.696 sm von HH

Am Freitag wurde, wie versprochen, das Harz für unseren Rumpf geliefert. Was fehlt, ist der dazugehöre Härter. Der soll Montag aber nachgeliefert werden. :roll:
Lance beschließt somit spontan, dass mit den Schleifarbeiten an Deck begonnen werden kann. Die zeitraubend zweimal verklebte Plane wird bis zum Cockpit „hoch gekrempelt“, um Platz zu schaffen. Zwei Arbeiter rücken dem Gelcoat ‚dem Weißen‘ mit ihren Flexscheiben zu Leibe. Bis zum Feierabend schaffen sie es bis zum Cockpit. Dann ist Wochenende.

Wir rücken am Samstag an. In unser privates Boot-Camp. In seiner ursprünglichen Definition ist ein Boot-Camp ein Ort der Grundausbildung (in militärischen Belangen). Eine weitere Lektion Bootcamp steht an – es gibt noch etwas Holz um die Winschen am Cockpit herum. Die Winschen sind auf dem alten Holz stehen geblieben (Schlitzschrauben, die von unten nicht zu erreichen sind, haben zu dieser Entscheidung geführt – der Aufwand des Abbaus wäre unverhältnismäßig groß gewesen). Dieses Holz sollte bündig zum Metallzylinder der Winschen abgestemmt werden. Ein mehrfach vergebener Auftrag ans Yard, der bis heute nicht aufgenommen wurde. Achim hat sich das nicht recht zugetraut, so exakt das Holz weg zu meißeln. Aber jetzt hat er die Faxen dicke. Er greift zu Hammer und Stemmeisen. Geht doch! Drei Stunden später stehen alle vier Winschen auf ihrem akkuraten Holzplateau von dem irgendwann nichts mehr zu sehen sein wird. Ich würde sagen, drei Mann-Stunden Arbeitslohn gespart!

Da wir gerade so schön beim Sparen sind, rücken wir auch dem Rest des Gelcoats (das Weiße) hinterm Cockpit zu Leibe. Das Deck soll an diesem Wochenende fertig werden. Auch vor dieser Arbeit  war Achim zurück geschreckt – wie leicht kann man mit einer Flex derbe Dellen in eine eben noch glatte Fläche schleifen? Aber hey, es läuft gut. Nur zwischen den Winschen, an engen Stellen wird es ein klein wenig wellig.

Man achte auf die Plane – der Chef verschwindet gerade im Nebel

Die Schleiferei ist eine unglaubliche Sauerei. Es staubt wie die Hölle. Ich arbeite am Vorschiff (abgeklebte Schraubenlöcher für die wieder zu installierenden Beschläge freikratzen) und bin trotzdem komplett eingemehlt. Ein Blick auf die Plane über dem Cockpit lässt Böses ahnen. Die ganze Abkleberei war eigentlich für die Tonne. Der Staub ist mikrofein unter das Klebeband gekrochen. Dieses gibt spontan seine komplette Klebekraft auf. Schlaffe gelbe Bänder kringeln sich an allen Ecken und Kanten. Anderer Staub nutzt diese Situation bösartig aus und erreicht so auch den letzten Winkel unter der Plane. Die Luken sind zwar extra abgeklebt, aber durch Schraubenlöcher und andere geheime Wege schafft es der Staub bis in den Salon. Eine Dose, die Achim mit nach draußen bringt, ist der Beweis: weiß gepudert der Deckel. Die Abkleberei hätten wir uns wohl sparen können. :cry:

Ist ja nur Staub

Nur Staub – kein Grund zur Sorge durch gute Staubmasken haben wir innerlich nichts abbekommen

Am Ende des Wochenendes ist nun aber das Deck komplett fertig geworden. Der Wiederaufbau kann beginnen und unsere Bootcamp Ausbildung dürfte bald komplett sein.

Noch ein bißchen pusten mit Druckluft und in den Ecken saugen – fertig ist das Deck

 


3

Löcher im Rumpf und andere Probleme

Di.,26.Apr. 22, Neuseeland/Whangarei, Tag 2879, 24.696 sm von HH

Mit einem Tag Verzug beginnen die Rumpf-Schleifarbeiten. Wahnsinn! Eine unglaubliche Sauerei. Der Gestank vom GFK wabert bis vor die geschlossene Halle. Nach anderthalb Tagen ist die Arbeit geschafft. Zurück bleibt zentimeterdick der Staub. Dem rücken die Skipper der Ari B und Atanga zu Leibe. Mit Luftdruck pusten die beiden Männer den Staub von den Schiffen  und fegen so gut es geht den Dreck zusammen. Noch ist Atanga abgeklebt, aber ich bin jetzt schon gespannt, ob es der Staub bis ins Schiffsinnere schaffen konnte.

Das Schleifen hat begonnen – fünf Minuten später sieht man die Hand vor Augen nicht mehr

Ungesunder Staub in unfassbaren Mengen

Der Rumpf wäre jetzt bereit, um drei Lagen neue Glasfasermatte zu bekommen. Und dann eine schlechte Nachricht: Beim Schleifen legen die Arbeiter an Atangas Rumpf Stellen mit grob geflochtener Matte frei. Darunter verbergen sich große Hohlräume. Eindeutig ein Baufehler – die Garantie dürfte allerdings nach 33 Jahren abgelaufen sein. ;-)
Die schlimmsten Stellen werden gleich mit der Flex weggenommen. Tiefe Eindellungen bleiben zurück. Tief bedeutet bis zu 3 mm – da der Rumpf ja schon um 4,5 mm abgeschält wurde, bleibt nicht mehr viel Material übrig. Die Beseitigung der kleineren Löcher werden von Peter zur Crew-Aufgabe degradiert: „Montag ist ein Feiertag. Ihr habt also ein langes Wochenende Zeit, um alle verborgenen Löcher zu finden und aufzubohren. Je mehr ihr findet, desto besser.“ Er drückt uns einen übergroßen Dremel in die Hand. Eine ehrenvolle Aufgabe. Also ran ans Werk. Es sind hunderte (ja, gar tausende) Löcher. Einige sind nur klein, die liegen allerdings dicht an dicht. Bohrspuren mäandern sich über den Rumpf. Wie nach Wurmfraß auf einem Apfel.

Mit dem Dremel versuchen wir alle Löcher zu öffnen

Unter der groben Matte befinden sich die Hohlräume

Rot – durch die Flex aufgeschliffene Löcher

Dienstagmorgen sind wir jedenfalls weisungsgemäß  fertig mit Bohren. Peter hat gleich einen neuen Auftrag für uns. „Bevor wir ans Kleben des kompletten Rumpfes gehen können, müssen erst die tiefen Löcher geschlossen werden. Die Kleinen spachteln wir zu. Ihr könnt die neue Matte für die tiefen Löcher zuschneiden.“
Wir bekommen drei verschiedene Glasmatten hingelegt und getrennt von einander eine Anweisung, wie wir vorzugehen haben. Unser Verständnis, wie groß genau die Flicken zu schneiden sind, widerspricht sich. Dies hat eine Ehegatten-Diskussion zur Folge. :mrgreen:
Nach etwas hin und her einigen wir uns auf Achims Meinung und fangen zu schnippeln an. Wir nummerieren die Löcher, wir nummerieren die dazu gehörigen Flicken in den drei verschiedenen Größen und bilden ein Stapel-System, dass man jeden Flicken-Satz seinem Loch zuordnen kann.
Schnell ist klar, dass die Löcher alle eine ähnliche Größe haben: 5 x4, 6×5, 5×5. Wir produzieren weiter. Bei Loch 38 machen wir Mittagspause. Als wir zurück kommen, ist Peter wieder da. Die Flicken seien zu groß! Aber das würde nichts machen, dann nimmt man einfach einen kleineren Flicken von einem anderen Stapel und sucht sich, was man braucht. @&§$@@ Wir reißen also unsere Stapel auseinander und bilden jetzt nach Flickengröße neu sortierte Haufen.

Glasfaser-Schnippeleien – alles wieder gut nach nerviger Ehegatten-Diskussion

Unsere Flicken – nun neu sortiert

Die nächste schlechte Nachricht folgt: „Wir könnten ja heute mit der Reparatur der Löcher beginnen, aber leider muss ich euch sagen, dass das Harz, was ich für Atanga bestellt habe nicht da ist. Ich habe gerade mit dem Lieferanten telefoniert, die sind noch bei der Produktion. Frühestens Freitag wird geliefert.“

Da warten wir nun wochenlang auf unseren Hallenplatz, der sich immer weiter nach hinten geschoben hat. Und dann ist nicht rechtzeitig das Material bestellt worden? Abends weinen wir ein wenig in die Kissen … nächste Woche soll es dann aber wirklich, wirklich los gehen, dass Atanga wieder chic gemacht wird.


22

Es geht los – nein, doch nicht!

Di.,19.Apr. 22, Neuseeland/Whangarei, Tag 2873, 24.696 sm von HH

Die Ostertage nutzen wir, um unsere Reling abzubauen. Jetzt, wo wir nicht mehr auf dem Schiff wohnen, reduziert sich das Risiko eines Absturzes. Die Relings-Füße stehen noch auf kleinen Teakholz-Inseln, aber die sind einigermaßen flott weggestemmt.
Es verbleibt als letzte Arbeit, bevor der Rumpf abgeschliffen wird, das Schiff staubsicher einzupacken. „Es gibt Tonnen an Staub“, warnt Peter uns, „der kriecht in jede Ritze“. Carla und Alex von der Ari B verpacken ihr Schiff ebenfalls. Zwei Crews, eine Aufgabe – der Wettbewerb hat begonnen. Keiner hat Erfahrung in Schiff einpacken. Es ist wie bei ‚Spiele ohne Grenzen‘. Welche Crew verfolgt welche Taktik, welche Crew hat die besseren Ideen? Was einfach aussieht, birgt so seine Tücken. Aber vier Stunden später sind beide Schiffe komplett mit Folie abgedichtet. Schulter klopfen und Hurra-Rufe schallen durch die Halle: die Schleif-Teams können kommen.

Schön ist auch die Idee bei abgebauter Reling mit Socken auf Plastikfolie zu laufen ;-)

Der Spion luschert vom Nachbarschiff – die Ari B verfolgt ein anderes Konzept mit Zeltkonstruktion

Der Kampf mit den Folien

Dienstagmorgen sind wir pünktlich zum Werft-Arbeitsbeginn um 8:oo Uhr an Ort und Stelle. Die ersten Arbeiter wuseln schon durch die Halle. Vor Staub konserviert mit weißen Mondanzügen, Bein- und Ärmelenden werden mit Tape abgedichtet. Atemschutzmasken, Gehörschutz und Schutzbrillen  liegen zum Einsatz bereit. Gleich geht es los.
Achim und ich schlendern noch einmal über den Hof als uns ein blaues Auto ins Auge fällt. Moment Mal, den Wagen kennen wir doch! Das ist doch unsere Flexi Teek Firma aus Auckland! Da kommt uns Lance, der Werftleiter (Supervisor wie es auf Englisch heißt), entgegen. Im Schlepptau zwei Flexi-Jungs. Er druckst etwas herum. Hüstel, stotter, räusper: er habe vergessen der Firma Bescheid zu sagen, dass der anvisierte Termin zur Vermessung unseres Deck in dieser Woche nicht funktionieren wird. Wir starren ihn an. Die Jungs starren ihn an. Die Entscheidung ist schnell getroffen. Da die Anreise aus Auckland zwei Stunden beträgt, bleibt praktisch keine andere Wahl. Die Vermessung unseres Decks hat heute Vorrang. Das bedeutet, dass unser mühsam eingepacktes Schiff wieder entpackt werden muss. Das dauert übrigens nur fünf Minuten. :mrgreen: Kommando zurück auch für die Schleifteams, sie können ihre Mondanzüge wieder ausziehen. „Das Wieder-Einpacken von Atanga geht aber auf deine Kappe“, Lance nickt bedröppelt. Kein Mitleid, wir sind sauer.
Das Flexi-Team rückt Atanga ebenfalls mit Plastik zu Leibe. Mit einer unelastischen Waben-Folie, die sich wie eine zweite Haut aufs Deck legen lässt. Die einzelnen Teile der Folie werden zu einem großen Stück zusammengeklebt. Viele Stunden wird nur geschnippelt und geklebt. Anschließend werden auf der Folie die Ausschnitte für Luken, sämtliche Kanten und jedes Schraubenloch für zurück zu bauende Decksteile,  markiert. Präzision erforderlich, denn an Hand dieser Folie wird im Werk unser neuer Decksbelag gefertigt. Der Zuschnitt des Musters dauert den ganzen Tag. Helfen können wir nicht, aber falls Fragen auftauchen, bleiben wir dabei. Wir nutzen die Zeit, um die Relingsfüße zu polieren. Um 17:30 Uhr ist das Muster fertig und die Flexi-Jungs ziehen ab nach Auckland. Wir machen ebenfalls Feierabend. Bleibt nur noch Lance … wie wir am nächsten Morgen erfahren, hat er seine eingebrockte Suppe alleine ausgelöffelt. Drei Stunden braucht er, um Atanga wieder in Plastikfolie zu verpacken. Da tut er uns dann doch ein wenig leid. Und wir fragen uns, warum wir zu zweit verfluchte vier Stunden benötigt haben. ;-)

Wie eine zweite Haut wird mit Folie die Decksform nachgebildet

Jeder Deckel, jeder fehlende Beschlag, jede Kante wird mit Filzstift markiert

Der Ausschnitt für die Winschen


4

Umzug zu George und Atanga in die Halle

Mo.,18.Apr. 22, Neuseeland/Whangarei, Tag 2872, 24.696 sm von HH

Seit drei Tagen wohnen wir im zweiten House-Sitting-Heim. Das Haus ist viel kleiner als beim ersten Mal, aber gemütlich eingerichtet. Mittelpunkt ist eine große Wohnküche, die zu zwei Seiten Zugang zum winzigen Garten bietet. Der Garten besteht im Wesentlichen aus Holzdecks  vor und hinterm Haus. Zur Zeit ist er allerdings unnutzbar –  heftiger Dauerregen verhindert jeden Gang nach draußen. Wir haben ein kleines Schlafzimmer und ein eigenes Bad in einer Art Hauswirtschaftsraum mit Waschmaschine und Boiler.
Uns wurde in der Küche Platz in den Schränken frei geräumt, damit wir unsere eigenen Vorräte gut unterbringen können. „Meine Pflanzen gehören dir. Mach im Garten, was du möchtest“. Mit den Worten brausen unsere Gastgeber in den Urlaub.

Unser neues Zuhause – George gehört das größte Sofa

Der Blick von der anderen Seite

Das Goldstück des Hauses ist George. George hat eine Katzenklappe und kann kommen, wann er will. Dadurch gibt es kein Katzenklo zu leeren. Am ersten Abend ist George noch schüchtern, aber das legt sich schnell. Bereits am zweiten Morgen bringt er uns ein Gastgeschenk. Eine fette Ratte liegt tot auf dem Fußabtreter. Wäre jetzt nicht nötig gewesen. ;-) Wir wurden vorgewarnt, aber da war nur von Mäusen die Rede. Ebenso wurden wir informiert, das Geoge nachts ganz gerne ins Bett gesprungen kommt. Diese Idee ruinieren  wir durch eine geschlossene Schlafzimmertür. Hehehe. Nur, das George schlauer ist als wir. In Nacht drei schleicht er sich durch das geöffnete Fenster direkt zu Achim auf’s Kopfkissen. Hehehe, lacht sich nun der Kater in die Pfoten.

Achim und George im Schmuserausch

Anderes Fensterprinzip in Neuseeland – hier konnte George sich problemlos einschleichen

Atanga ist einen Tag nach uns umgezogen. Es gibt drei Hallenplätze auf der Werft. Diese sind heiß begehrt und ein Hallenaufenthalt dauert offensichtlich immer länger als erwartet. Wir und die Crew der Ari B scharren mit den Hufen. Bei beiden Schiffen wurde der Rumpf abgeschält und beide Crews möchten unbedingt, dass Peter (der unbestrittene Laminat-Gott auf den die höchsten Lobgesänge gesungen werden) unsere Rümpfe wieder aufbaut. Peter ist selber Segler und wird im Mai nach Fiji segeln. Umso größer der Druck, dass es endlich weiter geht. Nach einigem hin und her haben die beiden Werftleiter die zündende Idee: zwei Schiffe mit der gleichen Arbeit, beide Schiffe kommen in die gleiche Halle. Das gab es bei Norsand noch nie, zwei Einrümpfer zeitgleich in der Katamaran-Halle. Generalstabsmäßig wurde diese Sensation geplant. Mit Farbe die Positionen der Boote auf dem Hallenboden markiert.

Atanga ist zuerst an der Reihe. Die Halle ist hoch genug, dass wir unseren Windgenerator nicht abbauen müssen. Achim ist erleichtert. Das hätte viel Arbeit bedeutet wegen des durchgehenden Kabels (was unbedingt erhalten bleiben soll) bis zum Schaltschrank. Allerdings versperrt die Planentür  den Eingang, so dass der Generator nur mittig durch das Tor passt. In der Halle selber wird Atanga an die Seite bugsiert, um für die Ari B Platz zu machen. Jetzt stehen wir leicht versetzt Seite an Seite – die Spiele können beginnen.

Dreimal gemessen und immer noch zu flach – nein, geht sich auf – 25 cm Platz sind über

Ist mal ein Schiff im Anmarsch wird die Halle optisch immer kleiner

Aus der Mitte heraus wird Atanga an die Seite geschoben

Zusammen mit der Ari B passen wir trotzdem problemlos rein

Zwei Schiffe – zwei abgeschälte Rümpfe


24

Quarry Gardens

So.,10.Apr. 22, Neuseeland/Whangarei, Tag 2872, 24.688 sm von HH

Eine heranziehende Schlechtwetter-Front zerschießt erneut die Organisation der Belegung der Boot-Hallen auf dem Yard. Der ‚wirklich endgültige‘ Termin wurde erneut um zwei Tage verschoben. Am Ostersamstag kommen wir bestimmt  in die Halle – heiliges Ehrenwort. Okay, es nervt etwas, löst dafür spontan unser Problem der einen Nacht ohne Unterkunft. Zum Glück habe ich noch nichts vorgebucht. Wir hatten schon überlegt, ob wir im Auto übernachten müssen – bei  nächtlichen 15 Grad. ;-)

Bevor uns die Ausläufer des wahrscheinlich letzten Zyklons der Saison erreichen, besuchen wir bei schönstem Sonnenschein die nahe gelegenen ‚Quarry Gardens‘. Dort wollte ich schon die ganze Zeit mal hin. Die Gärten liegen praktisch mitten in Whangarei im Wohngebiet. In einem ehemaligen Steinbruch wurde ein sub-tropischen Garten angelegt. Mit Exoten aus aller Welt. Der Eintritt ist frei. Eine Spende für neue Pflanzen und Werkzeuge ist jedoch willkommen. Die Gartenpflege übernehmen ehrenamtliche Helfer. Nur einen fest angestellten Manager der Anlage gibt es. Es werden ständig Freiwillige gesucht für die Gartenarbeit. Den Prospekt schnappe ich mir. Irgendwann sind die Bootsarbeiten ja wohl mal erledigt – das kann eine schöne Abwechslung werden. Schaun wir mal. Bis dahin freut sich Achim Gartenfreund über meinen monatlich ‚verordneten‘ Besuch dieser tollen Anlage. :mrgreen:

Ein künstlicher Teich wurde angelegt im kreisrunden Kessel des ehemaligen Steinbruchs

Herbstfarben dominieren zur Zeit

Ceiba speciosa aus Südafrika

Zum Dornen gespicktem Stamm gehören diese schönen Blüten mit denen der Baum überreich bestückt ist

Unbeschriftete Blüte – wohl 30 cm hoch

Ficus damaropsis aus Papua Neuguinea – die Blätter dien(t)en dort als Essteller – die Zapfen sind größer als ein Tennisball

Dramatische Wirbel im Kakteen und Sukkulenten Teil des Gartens

Einer ist schöner als der andere

 


10

Verzögerungen

Fr.,08.Apr. 22, Neuseeland/Whangarei, Tag 2869, 24.688 sm von HH

Gefühlt ist Corona weltweit kaum noch ein Thema. Außer in Deutschland und Neuseeland. Nach zwei Jahren geschlossener Grenzen hat Neuseeland seit wenigen Wochen wieder geöffnet. In einem Stufenplan dürfen verschiedene Gruppierungen und ab 2. Mai auch Touristen wieder einreisen.
Mit Öffnung der Grenzen ist natürlich auch Omikron mitgekommen. Im Grunde ist dies die erste Corona-Welle in Neuseeland.
Nun wird getestet, was die Stäbchen hergeben. Entsprechend hoch sind die Inzidenzen und die Anzahl der Menschen, die zu Hause bleiben müssen.
Das führt zu Ausfällen an allen Ecken. Supermarktregale sind leer, weil es keine Fahrer und Packkräfte gibt. Unser Flexi Teek Mann: positiv. Dreiviertel der Belegschaft auf der Werft: positiv. Der Schweißer unserer neuen Püttinge: positiv. Die Arbeit ruht, Zeiten verschieben sich, Termine können nicht gehalten werden. Unser anvisierter Hallentermin natürlich ebenfalls nicht.
Das amtliche Enddatum wurde nun auf den 14. April festgelegt. Sehr gut. Ab 15. April beginnt unser House Sitting Job mit Katze. Dann werden wir eine Nacht obdachlos sein, aber es wird sich schon eine Lösung finden.

Wir freuen uns, dass es jetzt bald weiter geht. Bei uns ist etwas die Luft raus. Die bordeigene Buchhaltung hat es festgehalten. Über fünfhundert Stunden Arbeit haben wir bisher investiert. Nun gibt es am Deck nichts mehr zu tun für uns (fast nichts mehr – außer Pusselkram zu dem wir uns nicht gut motivieren können – hat ja noch Zeit … bis wir in die Halle kommen, das dauert – so lauten die Ausreden).
Die Klappe vom Ankerkasten war das letzte größere Werk. Auch so eine Geld-Spar-Geschichte. Bei der Klappe waren an der Kante einige Hohlräume unterm GFK aufgetaucht. Wir hatten dies Peter gezeigt und der hat die Klappe zur Reparatur mit in die Werkstatt genommen. Nicht passierte. Dann haben wir uns die noch immer kaputte Klappe wieder geholt, damit keiner in den Ankerkasten fällt als der Mast runter kam. Schlussendlich haben wir die Reparatur selber vorgenommen. :roll: Die Hohlräume haben wir aufgeschnitten, schön sauber gemacht, mit Epoxid flüssig vergossen und am Schluss sauber verspachtelt und geschliffen. Unser Epoxid mischen wir schon lange selber. Die Pumpenhübe aus dem West-System aus dem Werft-Shop sind uns auf Dauer zu umständlich geworden und zudem nicht am Wochenende verfügbar. Selbst ist der Giftmischer.

Klappe vorher

Klappe nachher – bestimmt vier Stunden Arbeitslohn gespart

Nicht Breaking Bad, sondern die eigene Chemie-Bude auf Atanga

Wir nutzen die Wartezeit bis zum Hallentermin, um mal wieder etwas anderes als staubige Schiffe zu sehen. Ein Ausflug zu den nahegelegenen Wasserfällen soll es sein. Sehr lohnenswerte Wanderung und nur ein paar Autominuten entfernt. Wunderbar. Tagsüber ist es noch immer sommerlich warm. Nur die Sonne steht bereits herbstlich tief am Horizont. Das malt schöne Farben.

Die Whangarei Falls

Das besondere – man kann einmal um den Wasserfall herumlaufen – oberhalb gibt es eine Brücke

Herbst ist schön

Immer am Fluss entlang


21

Schiff getauscht

So.,01.April 22, Neuseeland/Whangarei, Tag 2862, 24.688 sm von HH

Wir schlendern etwas missmutig über das Yard als wir auf Andrew treffen. Man kommt ins Gespräch, wir klagen unser Leid über unser halb auseinander gerissenes Schiff und dass uns das Projekt über den Kopf zu wachsen droht.
Andrew lacht: „Ich kann euch verstehen. Ich mache das professionell, ich weiß wovon ihr sprecht. Ich kaufe runter gewirtschaftete oder halb fertige Boote, mache sie fertig und verkaufe wieder. “
Andrew ist witzig und interessant. Noch interessanter ist sein Vorschlag. „Auf der Nachbarwerft habe ich gerade einen Katamaran fertig gemacht, wollt ihr euch den mal anschauen?“

Ich mache es kurz. Von einem Katamaran träumen wir schon länger. Viel Platz, Komfortabel am Ankerplatz. Einfach tolle Boote.
Wir sind sofort begeistert von dem Schiff, was er uns zeigt. Es dauert nur drei Tage, dann sind wir uns handelseinig. Andrew nimmt unsere halb fertige Atanga, wir nehmen den sofort segelfertigen Katamaran (okay, wir legen noch etwas Geld oben drauf ;-)  ) und sind mit einem Schlag alle Sorgen los.

Sagt herzlich Willkommen zu unserem neuen Baby. Wir freuen uns wie Bolle.

Das wird Atanga 2 – Bilder von innen folgen


4

Up and downs auf der Baustelle

So.,27.Mrz.22, Neuseeland/Whangarei, Tag 2857, 24.688 sm von HH

Als erstes das ‚up‘: Unser Hallen-Termin wird weiterhin für Mitte April avisiert. Höchste Zeit, dass ich eine Unterkunft finde. Auf der House-Sitting-Plattform tummeln sich zurzeit nur Angebote für drei Tage, maximal eine Woche – zum Teil 20 Kilometer entfernt. Das klingt nicht so attraktiv.
Es gibt auch AirB&B Angebote in Whangarei, meistens sind die Küchen und/oder Bäder mit anderen zu teilen. Ein Bad haben wir jetzt auch nicht für uns alleine, also, was soll’s. Die Preise für AirB&B sind überraschend hoch: Unter Hundert Dollar (ca. 60 Euro) pro Nacht findet sich kaum etwas. Da läppert sich bei einem Monat Aufenthalt ein gutes Sümmchen zusammen.
Also starte ich eine Anfrage in einer Whangarei-Community-Gruppe, ob nicht jemand privat etwas vermietet oder ein House-Sitting benötigt.
Und, tatatataaa, es meldet sich tatsächlich eine Frau. Sie und ihr Mann wollen für fünf Wochen verreisen und sie suchen jemanden, der ihre Katze hütet. Sie wollen genau in der Zeit in den Urlaub in der Atanga in der Halle stehen wird. Fünf Kilometer entfern. Kann man das glauben?
Wir werden zum Vorstellungsgespräch eingeladen: ein charmantes Haus, nette Leute und eine hübsche orangene Katze. George ist zutraulich und verschmust. Das Ehepaar deutet an, dass sie mit uns grundsätzlich einverstanden wären, würden aber gerne vorher mit unseren ersten Gastgebern über unseren Leumund telefonieren. Wir können diese Vorsicht verstehen und geben ihnen die Nummer von Graham. Was sie nicht wissen ist, dass Graham und Julie uns bereits für Ende Juli erneut zum House-Sitting angefragt haben. J Da sollte doch eine gute Bewertung drin liegen. Drückt uns die Daumen. Während ich schreibe, warten wir auf eine Rückmeldung.

Die ‚downs‘ hängen in erster Linie mit dem Wetter zusammen. Whangarei trägt unter Kennern den Beinamen Whangarain. Davon haben wir in dem phantastischen Sommer nicht viel festgestellt (nicht normal heißt es, so ein lang anhaltendes gutes Wetter). So langsam verstehen wir, was gemeint ist. Es regnet jetzt fast jeden Tag. Entweder Sintflut-Regen, der das ganze Yard unter Wasser setzt oder mit Spielverderber-Schauern. Das Deck ist grade getrocknet vom Morgentau (so um 10:00 Uhr), Staubsauger, Schleifer und Werkzeuge liegen bereit, und dann kommt ein Schauer. Nur fünf Minuten Nieselregen, aber man muss schnell alles wegräumen, alles ist wieder nass, die ist Arbeit unterbrochen. So kommen wir nicht voran.

Knöcheltiefe Überflutung

Überflutung nach ein „bisschen“ Regen – schön an dieser Stelle auch das Stromkabel im Wasser

Es geht noch immer um das ‚Weiße‘. Alle Leihgeräte unserer Schiffsnachbarn waren so erfolglos wie unser Schwingschleifer. Dem Gelcoat kommt man in realistischer Zeit und mit realistischem Aufwand nur mit einer Flex an den Kragen. Der Flex-Einsatz ist nur in der Halle erlaubt.
Aber es gibt natürlich auch Ecken, die man mit der Flex nicht erreichen wird. Zwischen den Fenstern und an den Kanten zum Beispiel. Die können wir noch prima vorbereiten, so unsere Idee (mit dem üblichen Spar-Effekt). Mein neuer Freund ist also eine Abzieh-Klinge. Damit geht das Gelcoat einigermaßen runter und ich gewinne auch gleich neue Freunde von den anderen Booten. :lol: Die Geräusche der Klinge gehen durch Mark und Bein: eine Mischung aus Kreide auf der Tafel und Panik im Schweinestall. Das Quietschen ist abartig.

In Flocken hole ich mit dem Abzieher das Gelcoat runter – Achim hat es derweil gemütlich im Schiff

Alle Kanten sind frei – die Halle kann kommen

Schweinearbeit – grade an den unzugänglichen Ecken kommt mir das Gelcoat besonders dich vor

Und was macht Achim? Der hat Knie und erneut einen Job im kühlen Schiff. Er stellt den Antrag für unsere Visa-Verlängerung. Ein Katalog von Fragen, Erklärungen und Dokumenten-Beigaben. Zum Beispiel sollen darlegen, dass wir eine langfristige, echte, belastbare Beziehung zueinander haben. Ja wissen die denn nicht, dass wir seit vier Monaten auf dem Harten stehen und eine Baustelle haben? :mrgreen:


6

Zwischen Menschenverstand und YouTube-Universität

Fr.,18.Mrz.22, Neuseeland/Whangarei, Tag 2849, 24.688 sm von HH

Wir kommen voran. Aber etwas mühsam. Wir fühlen uns manchmal etwas alleine gelassen. Wir vermissen ein Projekt-Management. Jemand, der uns etwas mehr an die Hand nimmt … In einer Comedy-Sendung würde jetzt ein mitleidig-ironisches „ohhhhh“ erklingen.

Jedes Projekt zieht ein Folgeprojekt nach sich. „Ohhhh!“ Inzwischen ist mehr deinstalliert  worden, als wir je geplant hatten. Achim hat sogar die Züge der Püttinge ausgebaut. Davor hat er sehr zurück geschreckt. Muss man dafür doch den halben Salon auseinander bauen. Wer weiß, wie die Züge aussehen? Bei unseren Nachbarn waren die Bolzen zum Teil verrottet. Das gibt den Impuls, dass wir auch mal schauen sollten. Die Bolzen haben ja noch kein Tageslicht gesehen in über dreißig Jahren. Auslöser für unser Problem waren die Abdeckplatten der Püttinge, die an die Püttinge selber angeschweißt waren. Ein unglücklicher Zustand, aber hat man damals so gebaut auf Atanga. Ohne das Ziehen der Züge hätten wir mit dem neuen Deck um die Abdeckplatten herum arbeiten müssen. Teakholz-Klammern waren da schon mal im Gespräch. Die unter die Püttinge geklebt werden sollten. Irgendwie klingt das nach Murks.
Achims Idee (Menschenverstand), die Platten abflexen zu lassen, hat die Facebook-Experten-Gemeinde für doof erklärt. „Du musst die Püttinge ziehen, anders geht es nicht.“
Das war dann einfacher als gedacht. Die Bolzen sind in tadellosem Zustand, die Züge ebenfalls. Die angeschweißten Abdeckplatten werden abgeschnitten, die Püttinge poliert und es gibt neue Platten zum drüber ziehen – alles liegt schon beim Edelstahlschweißer. Folgekosten und Folgeprojekt. „Ohhhh.“

Die Züge unserer Püttinge – durchs Deck bis in den Salonschrank hinein – daran hängen die Wanten und somit der Mast

Das sind unsere Püttinge mit angeschweißter Platte – die kommt jetzt ab

Alles, was abgebaut wird, zieht stundenlanges Putzen und Polieren nach sich. An den meisten Teilen klebt hartnäckiges Sika. Tütenweise legt Achim mir Geheimprojekte, wie er sie nennt, auf meinen Platz. „Geh um die Welt segeln“, haben sie gesagt. „Da kannst du viel erleben“, haben sie gesagt. Dass man dann gebrauchte Schrauben putzt, haben sie verschwiegen.
Unsere Genua-Schienen – 10 Meter  in Summe – sehen schlimm von unten aus. Wir haben angefragt, was neue Scheinen kosten, nur um sie nicht sauber machen zu müssen. :lol: Die 420 Euro darf ich mir jetzt verdienen.

Die Reinigung der Genua-Schinen – möglichst ohne die schützende Eloxal-Schicht zu zerkratzen – mit Zerstörung wäre schneller

Hunderte Geheimaufträge – Bolzen und Schrauben, die noch gut sind verwenden wir wieder – Stichwort Geldbeutel – es läppert sich bei zig Schrauben

Fragen, die wir haben, beantworten wir uns selber oder finden Hilfe in der YouTube-Universität. Dankeswerter Weise haben wir Kontakt zu zwei Bootsbesitzern aufnehmen können, die schon mal Flexi Teek verlegt haben. Hier können wir wichtige Fragen los werden, wie „Dürfen Klampen eigentlich direkt auf dem Flexi Teek angebracht werden?“ „Nein! Zuviel Zug auf den Klampen.“  Aber wenn nein, wie löst man dann das Problem mit dem unterschiedlichem Niveau von Deck und neuem Decksbelag? Schließlich ist das Flexi Teek 5 mm stark.

Vor ein paar Tagen war endlich ein Mitarbeiter der Flexi Teek Firma aus Auckland bei uns. „Alles kein Problem.“ Wir mögen es, wenn Menschen Optimismus verbreiten. Auch, wenn es etwas dick aufgetragen sein mag. Demnächst kommen seine Kollegen, um das Aufmaß unseres Decks vorzunehmen und das Muster für unser neues Deck zu erstellen. Der gute Mann konnte so einige Sorgen zerstreuen. Danke!

„Werdet ihr eigentlich auch selber arbeiten oder lasst ihr alles machen?“ Die Frage wurde uns häufig gestellt als wir von unserem geplanten Decks-Projekt berichtet haben. „Wir werden mithelfen, wo wir können“, war unsere Antwort. Wenn ich überhaupt eine Vorstellung hatte, was auf uns zukommt, dann in der Form, dass wir hin und wieder mal einbezogen werden. Hier und da etwas abbauen, aber ansonsten tatkräftige Arbeiter um uns herum wuseln haben. Wir sind jetzt über drei Monate in der Werft und haben bislang nur für eine Stunde Fremdarbeit für unsere Decksarbeiten bezahlt. Die bestand in Beratung für die Fenster-Abdichtung (die wir übrigens alle dicht bekommen haben  :-) wie ein Regen-Test gezeigt hat) und Gelcoat-Reparatur. Das ist gut fürs Budget, aber nicht nur einmal haben wir uns bereits gefragt, ob das Projekt nicht eine Nummer zu groß für uns sein könnte? „Ohhhhh … „


15

Mast runter

Fr.,11.Mrz.22, Neuseeland/Whangarei, Tag 2842, 24.688 sm von HH

Jetzt ist Atanga endgültig kein Segelschiff mehr. Per Kran wurde der Mast vom Deck gehoben. Die ganze Aktion hat fehlerlos funktioniert. Rigger Gerry ist gut organisiert und der bestellte Kran (der wird vom Nachbar-Gewerk geordert) und Gerry sind um 8:00 Uhr pünktlich zur Stelle. Da der Kran stundenweise bezahlt wird, gibt es im Vorwege von Gerry eine Liste, wie die Wanten und Stagen für den schnellen Abbau vorbereitet werden sollen. „Je schneller es geht, desto günstiger wird es für euch.“ :mrgreen:
Achim bereitet alles vor und reibungslos wird der Kran vom Deck gehoben. Der junge Mann am Kran wirkt ausgeschlafen und hat keinen Tatter an den Joy-Sticks. Gerry befestigt unterhalb der ersten Saling einen Gurt. Dieser wird in den Haken vom Kran gehängt. Die Wanten und Stagen werden endgültig gelöst. Der Mast kann angehoben werden und schwebt dann langsam Richtung Boden. Jetzt nur noch kippen und sanft landet der Mast in den bereit stehenden Gestellen. Voila!
Eine knappe Stunde später (und 250 NZ Dollar ärmer – ungefähr 160 Euro) ist der Mast bereit für seinen Weg zum Lager.

Der Kran wird stabilisiert

Sofort werden die Haken am Ausleger ausgefahren

Der Haken wird zu Gerry runter gelassen

Konzentration am Joy-Stick

Da schwebt er schon

Vorsichtig wird der Mast abgesetzt

Und langsam in die bereit stehenden Gestelle angelassen

Das war’s

Leider klappt nicht alles so reibungslos. Unser Termin für die Halle verschiebt sich von Woche zu Woche. Aus Ende Februar ist nun bereits Anfang April geworden. Aus Hochsommer wird Herbst. Die Nächte sind auch schon deutlich kühler und feuchter. Unser Cupper-Coat-Projekt für den Rumpf ist da eine Diva – zu niedrige Temperaturen und Cupper-Coat kann nicht mehr aufgetragen werden. Hoffentlich läuft uns da nicht die Zeit davon …


10

Luken dicht

Do.,03.Mrz.22, Neuseeland/Whangarei, Tag 2833, 24.688 sm von HH

Wir wohnen wieder auf Atanga. :cry: Schnell, viel zu schnell war die schöne Zeit mit unseren Leihhunden um. Tschüss Marley, tschüss Sally. Aber auch tschüss große Terrasse und tschüss Grill. Leider haben wir kein Anschluss-Haus gefunden, also wohnen wir jetzt wieder in unserem eigenen Chaos. Achim freut sich (home, sweet home :roll: ) – ich hätte gut und gerne noch länger bei Marley und Sally wohnen können. Andererseits sind 150 qm Wohnfläche zu saugen auch so eine Sache.

Unsere Planung ist gut aufgegangen. Ich habe meine Holzrahmen fertig lackiert bekommen. Sogar das Wetter hat mitgespielt, zwei Wochen kein Regen. Jeden Tag konnte ich ohne Probleme mit dem Rad zum Schiff runter radeln. Am Ende hat Sally es geschafft sich auf der Rückseite eines Rahmens mit einem ihrer gestreiften Haare im Lack zu verewigen. Ein nettes Souvenir.

Auf Atanga ist es staubig und nicht besonders gemütlich

Selfie mit Kamera unwilligen Hunden

Tschüss Grill und viel Platz

Alle Teile vom Deck sind demontiert. Auch Achim hat gut was weg geschafft. Jetzt stehen nur noch der Mast (kommt nächste Woche runter) und die Reelingsfüße auf kleinen Holz-Inseln. Ende März haben wir einen Hallenplatz avisiert bekommen.
Zeit für ein Nebenprojekt: unsere Luken. Als wir das Holz um die Fensterrahmen weg geschlagen hatten, wurde uns klar, warum wir soviel Wasser im Bereich der Luken genommen haben. Ein bis zu fünf Millimeter breiter Schlitz befindet sich zwischen Luke und Deck. Die weißen Rahmen sind Bestandteil vom Deck. Sie sind nicht aufgeschraubt oder verklebt.

Diese Schlitze müssen zu. Der Auftrag wurde schon vor vier Wochen von uns an Lance, unseren Supervisor, weitergegeben. Da sich keiner meldet und um den Auftrag reißt, holen uns erneut Rat bei Peter. Er schlägt vor, dass wir (natürlich wir – spart ja Geld für uns) die Schlitze etwas erweitern, schleifen und sauber machen. In eine Plastiktüte sollen wir Epoxid füllen, eine Ecke abschneiden und ähnlich wie bei einer Sahne-Torten-Tüte die Masse in den Schlitz drücken. Job Achim. Ich soll dann mit einem Spachtel die Masse in den Schlitz drücken und mit einem zweiten Gummispachtel die Kante sauber ziehen. :lol: „Wenn ihr gut seid, schafft ihr zwei Luken in einem Rutsch abzuspachten“. Ist die Masse zu dünn, geht es schief und ihr müsst es zweimal machen“.

Dieser Peter. Immer für einen Scherz zu haben. Wir sind nicht gut und die erste Luke müssen wir tatsächlich zweimal abspachteln. Bei Luke zwei und drei klappt es schon besser. Zwei Luken sind noch übrig …

Spalt unter den Fensterrahmen

Schlitz vertieft und sauber gemacht – bis zur roten Linie kommt später noch entsprechend Lagen an GFK und Spachtel rauf – das sollte also hübsch dicht werden

Luke geschlossen mit Epoxid

#nowar    #fckptn   #neinzumKrieg

Natürlich erreichen auch uns die furchtbaren Berichte über den Krieg. Schaut man in die Deutschen Nachrichten, dann gibt es kein anderes Thema. Schaut man in die Kiwi-News, dann findet man Randnotizen. Hier beherrscht noch immer Corona die Schlagzeilen. Und Europa ist weit weg. So unterschiedlich können Ereignisse bewertet werden.

#nowar    #fckptn   #neinzumKrieg


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