Corona – Das Ende von: Moet kunnen?!

Die Niederländer waren ein beneidenswert angstfreies Volk. Das hat sich geändert in den letzten Wochen. Das Virus hat unseren Nachbarn ihre eigene Sterblichkeit gezeigt. Das hat Spuren hinterlassen. Und bringt uns am Ende nur näher zusammen. Hoffentlich

Solch einen Text hatte ich nie im Kopf oder auf irgendeinem redaktionellen Plan stehen. Nie hätte ich erwartet, auf Stegfunk über Tod und Sterben und Angst zu schreiben. Jetzt aber ist es soweit. Warum? Ich glaube, dass in den Niederlanden gerade etwas geschieht, das wir als Dauergäste besser verstehen sollten. Wie gesagt: Ich glaube. Dieser Eindruck entstand aus vielen Gesprächen mit Menschen, die ich gut kenne, mit denen ich teils haarige Situationen auf See erlebt habe. Und die auf einmal völlig unerwartet agieren. Was also ist los bei den Freunden? Ich habe mir dazu ein paar Gedanken gemacht, die erheben natürlich keinen Anspruch auf Richtigkeit. Es soll eher ein Denkanstoß sein. OK?

Angstfrei

„Ja joh, moet kunnen“, „ja klar, das muss gehen“. Moet kunnen ist Teil der Mentalität. Keine Angst, immer vorwärts. Beim Skifahren, beim Autofahren zum Skifahren auf Sommerreifen, beim wirtschaften -denn wer mit Handel viel Geld verdienen will, muss Risiken eingehen-, beim Segeln auf nicht immer gut gewarteten Schiffen, beim häufigen Jobwechsel, beim hochangesehenen Start in die Selbstständigeit. Die Risikobereitschaft der Niederländer war immer höher, als die des Teutonen diesseits der Grenze. Die einzige Angst die es gab, war die vor dem Wasser. Diese kollektive Sorge saß tief in der Volksseele, nicht erst seit 1953. Und die Regierung hat sie dem Volk genommen. Der Deltaplan und seine Umsetzung war so mächtig, so allumfassend, dass das Thema Wasser keines mehr war. Auch diese Naturgewalt hatte man besiegt. Der Rausch dieses Erfolges war so extatisch, dass sogar die Angst vor dem Sterben wich, schließlich hatte man den größten Feind besiegt. Euthanasie wurde offen diskutiert mit der Folge sehr lockerer Regeln. Im Radio laufen Werbespots, die die eigene Beerdigung thematisieren und eine Versicherung dafür bewerben – man stelle sich das in Deutschland vor. Der Tod war etwas, über das man reden konnte. Ent-Tabuisiert. Eine weitere Folge der gefühlten Unsterblichkeit ist ein eher rudimentärer Gesundheitsbereich. Die Kosten für Gesundheitsversorgung für den Versicherten sind gering, die Eigenverantwortung für das Wohlergehen ist hoch, inklusive Selbstbeteiligung bei Behandlungskosten. Darüber gab es einen allgemeinen Konsenz.

Dann kam Corona

Und auf einmal war alles anders. Zu wenige Intensivbetten? Die Aussicht auf eine Auswahl der zu Behandelnden wie in Italien? Abweisung von Alten und zu kranken zu Gunsten von Menschen mit besseren Heilungschancen? Diese Szenarien waren real, viel realer als in Deutschland. Das System war einfach zu schwach ausgelegt. Es gab und gibt viele Tote. Und es gibt einen scheinbar übermächtigen Gegner, der jedoch weniger real, weniger greifbar ist und schwieirger zu verstehen, als etwa das Wasser. Da bekommen die Niederländer wieder Angst. Wie damals vor dem Wasser, weil es eben noch kein wirksames Mittel gegen die Bedrohung gibt, außer den Isolationsmaßnahmen wie wir sie kennen.

Und wie damals nach der Flut setzt man sich zusammen und tut, was nötig ist. Auf einmal hört das Volk auf seine Politiker, die mehr als bei uns eigentlich keine Respektspersonen sind. Die „Overheid“, sonst eher eine Institution der es sich möglichst gewitzt zu entziehen gilt, wird wieder als Autorität wahrgenommen. Menschen, die sonst eher frei und forsch vorausgehen, warten ab, sind vorsichtig. Unternehmer zögern und vertreten Maßnahmen, die sie selbst Tausende Euro kosten, mit Nachdruck. Ich glaube, dass unseren Freunden ihre eigene Sterblichkeit wieder etwas mehr bewusst geworden ist. Und jetzt wird getan, was zum Überleben erforderlich ist. Und das mag auf uns mitunter etwas harsch wirken.

Und was heißt das für uns als Gäste?

Ich glaube, es bedeutet vorallem zwei Dinge:

1) Wir sollten das akzeptieren und verstehen. Wir sind derzeit in den Niederlanden nicht willkommen, auch wenn Häfen aus kommerziellen Gründen nicht final geschlossen werden. Die Aussagen sind eindeutig. Und wer sie verstehen will, der wird begreifen, worum es eigentlich geht. Denn sie haben Angst, dass unsere Anwesenheit die Krankenhäuser und Rettungsdienste zusätzlich belasten könnte und dass deswegen eventuell Entscheidungen getroffen werden müssten, die keiner treffen mag. Man stelle sich vor ein Deutsches Unfallopfer bedarf intensivmedizinischer Behandlung und deswegen kann ein Niederländer nicht vor Corona gerettet werden. Es ist einfach nicht nötig, diese Situation heraufzubeschwören, nur weil man Bötchen fahren mag. Möchten Sie die Schlagzeile dazu beim Koffie met Appelgebak auf dem Telegraaf lesen? Ich kann diese Angst jetzt, nach vielen Gesprächen, etwas besser verstehen, ich kann die Schlussfolgerungen der Niederländer daraus akzeptieren und ich bleibe deswegen bis auf Weiteres weg vom Boot.

2) Wenn die Krise vorbei ist, wird uns das Erlebte näher zusammenbringen, wenn wir heute achtsam mit den Sorgen der Nachbarn umgehen. Denn Angst haben, das verstehen wir Deutschen nur zu gut. Vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, vor Altersarmut, vor Stau auf dem Heimweg. Angst können wir. Und die Niederländer können das jetzt auch etwas besser. Und das wird uns zusammen stärker machen. Wie gesagt, wenn wir jetzt die Angst der Niederländer vor den Auswirkungen von Corona und vor zu vielen Gästen im Land  ernst nehmen. Und irgendwann werden wir das im Cockpit mit dem Bootsnachbarn aus Holland besprechen, mit ganz viel Verständnis füreinander. Und ich hab dann keine Angst mehr vor dem Oude Genever, den er mitbringt. Versprochen.

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