Schuss vor den Bug

Nach 5 Tagen in Oban sollte es endlich weitergehen. Zwar war das Wetter immer noch eher dem Herbst zuzuordnen, aber nach so einer langen Wartezeit wird die kleinste Wetterverbesserung schon zum neuen Frühling ausgerufen. So war ich dann mit meinen Reiseplänen nicht alleine, sondern mehrere Briten wollten ebenfalls weiter. Raus aus der Hafenlethargie, Regenklamotten an, und schon geht es los.

Was folgte war ein eigentlich ekliger nasskalter Morgen. Die Sicht war gerade mal ausreichend zum auslaufen, betrug nur wenige hundert Meter, und zahlreiche Schauer entluden sich über der schottischen Westküste. Doch wenigstens hatten Wind und Seegang nachgelassen. Selbst wenn es ein ungemütlicher Segeltag werden sollte, so lockte am Nachmittag dann wenigstens mal ein neuer Hafen zur Abwechslung. Es sollte nach Islay, der kargen Whiskyinsel ganz im Südwesten der schottischen Inselwelt gehen.
Es ging gut voran. Ich arrangierte mich mit dem Wetter und stampfte gen Süden. Die erste notorische Engstelle, der Sound of Luing wo die ganze Tide wie durch einen Flaschenhals gedrückt wird passierte ich bei Stillwasser. Planung stimmte also. Es klarte ein bisschen auf und hinter dem Flaschenhals tat sich eine neue Landschaft auf. Ich entspannte mich etwas und setzte den neuen Kurs in gehörigem Abstand zum Gulf of Corrryvreckan, der vielleicht bekanntesten und gefährlichsten Stelle in ganz Schottland. Der Flaschenhalseffekt ist dort so ausgeprägt, dass sich fast Science-Fiction-reife Wasserstrudel dort bilden. Durch verschiedene Tideeffekte fließt das Wasser dort zwar mit einer affenartigen Geschwindigkeit, aber etwas später als auf der anderen Seite des Sundes hindurch. Hat den unangenehmen Effekt, dass sich dort fast wasserfallartige Stromschnellen und Wellenberge bilden. Kurzum, selbst die Royal Navy hält diese Durchfahrt simpel für nicht schiffbar. An eine Passage dort war also nicht zu denken, doch auch bei der bloßen Vorbeifahrt ist wegen der reißenden Ströme Vorsicht geboten.

Auf diese Schwierigkeiten war ich aber eben vorbereitet. Es lief auch alles glatter als erwartet. Eigentlich völlig Problemlos nur eine Stunde nach Stillwasser. Ich dachte, dass ich die schwierigen Stellen des heutigen Tages nun hinter mit hatte und freute mich auf eine schöne Segelei den Sound of Jura runter bis nach Islay. Doch dann kam es richtig dicke.

Mit den Overfalls, also den durch Strom hervorgerufenen konfusen Wellen, im vorherigen Verlauf hatte ich gerechnet, doch wo kamen auf einmal diese meterhohen Wellen vor mir her. In der Seekarte fand sich kein entsprechender Vermerk… Ich dachte mir, dass das dann ja wohl nur eine kurze lokale Störung sein könnte, ein Ausläufer eben durch den ich noch schnell durchmüsste. Doch mit jeder Minute wurde das Spektakel mehr. Ich segelte am Wind, doch eigentlich bewegte ich mich nur noch wie ein Korken auf dem Wasser. Das Schiff wurde ständig hin- und hergeworfen. Der Mastfuß war regelmäßig unter Wasser, selbst die Sprayhood hielt das Cockpit nicht mehr trocken. Wellenhöhen in Seglerberichten sind ja immer mit Vorsicht zu genießen, der Hang zum Seemannsgarn nicht gerade selten, und doch bin ich mir sicher, dass diese Wellen regelmäßig über 4m hoch waren. Und keine 15m zwischen den einzelnen Wellentälern lagen. Ein absolutes Chaos. So langsam fragte ich mich nicht nur wo dieser Mist herkam, sondern ob es noch sinnvoll ist überhaupt weiterzufahren. Am Horizont tat sich auf dem Wasser keine sichtbare Verbesserung auf.

Ein glockenartiges Geräusch riss mich aus meinen Überlegungen. Eine Glockentonne?! Nein, sowas gibts hier nicht. Doch die zweite Möglichkeit war noch viel schlimmer. Der Anker hatte sich durch die Wasserberge fast aus seiner Halterung gelöst. Eigentlich ist er mit Bolzen und Splintringen ganz ordentlich gesichert, doch jetzt ist er nur Sekunden davor sich ganz loszureissen. Einer der Bolzen hängt an seiner Sicherungsleine, schlägt an die Flunken und erzeugt dadurch dieses glockenartige Warnsignal. Schnell eile ich, natürlich gesichert, nach vorne und versuche das ganze zu sichern. Durch die Wellenberge bin ich innerhalb von Sekunden nass bis auf die Unterhose. Schnell zurück ins Cockpit und die Tablette aus der Rettungsweste genommen. Wenn die dort vorne auf dem Bug auslöst mehr das ganze mehr als ungünstig. Wieder nach vorne, und alles wieder gerichtet. in jedem Wellental hebe ich vom Deck richtig ab, merke jedes Mal wie mir die Hüfte wieder aufs Deck schlägt. Doch wenigstens ist alles einstweilig gesichert.  Ich sehe aus als ob ich in voller Montur schwimmen gewesen wäre und fühle mich 20kg schwerer. Nicht auszudenken was passiert wäre wenn der Anker sich losgerissen hätte und in dieser See um sich geschlagen hätte.

Umzudrehen versteht sich nun von selbst. Ein neuer Plan für die Weiterfahrt muss her. Selbst raumschots ist die See noch ekelhaft. Umso froher bin ich, als ich  nach einigen Stunden die Crinan Bay erreiche. Ich komme mir vor als ob ich geträumt habe. Der Himmel ist blau, die Vögel zwitschern, das Wasser liegt rührt sich kaum. Hier beginnt auch der Crinan Kanal, der einmal durch die Kintyrehalbinsel nach Osten führt. In geschütztere Gewässer. Ich glaube ich suche mir einen anderen Weg nach Süden…

Die Ruhe und Friedlichkeit dieses kleinen entspannten Kanales wirkt wie Medizin nach diesem Tag. In der Abdeckung der Berge ist es so gut wie windstill. Das Plätschern des Wassers durch die alten Schleusentore hindurch wie eine Audiotherapie nach den tosenden Wellenbergen des Mittags.

Im Nachhinein ist es in meiner Erinnerung dadurch ein sehr eigenartiger Tag. Die Lektion daraus ist sicherlich, in diesem Revier immer besonders wachsam zu sein und vorausschauend zu planen. Selbst wenn die Literatur und Seekarten hier gar keine Schwierigkeiten voraussagen, heißt das nicht, dass Wetter und Tide nicht doch einige Überraschungen bereithalten können. Das war ein Schuss vor den Bug heute.

Bilder gibts von diesem Tag leider nicht sehr viele, ich war einfach zu beschäftigt zwischendrin