Kategorie: News & Blogs

Die vergessenen Schiffe: Unterwegs mit dem FLYING DOLPHIN zwischen den vergessenen Inseln.

Ist man in Griechenland unterwegs von einer vergessenen Insel zur anderen, dann ist für den Inselhopper der  FLYING DOLPHIN, das Tragflügelboot, das schnellste Reisemittel. Von Spetses nach Athen sind es mit dem Auto vier Stunden, per Katamaran-Fähre zweieinhalb Stunden – und mit dem FLYING DOLPHIN etwas über zwei. Und dabei genießt man das einzigartige Erlebnis, in eine Technik einzusteigen, die es heute so gar nicht mehr gibt. Ein bisschen ist es, als wäre man mit der CONCORDE unterwegs, dem Technik-Denkmal der Sechziger und Siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, einer Technik-Ikone, die nur von einem kündet: dem Glauben daran, dass technisch alles, wirklich alles hinzukriegen ist.

Betritt man den engen Bootskörper des FLYING DOLPHIN, der an der Kaimauer schaukelt und schwankt, dann empfängt den Reisenden zweierlei: Die Enge der geschlossenen Röhre, angefüllt mit dem wohligen Geruch nach Diesel und Schmiermittel. Ein Geruch, den Teppiche, Sitze, Sessel in einem FLYING DOLPHIN in den 30, 40 Jahren seiner Nutzung so ausgesetzt waren, dass er diesen vollkommen Unbeteiligten nun auch schon zu eigen wurde. Das Verstauen des Gepäcks in der kleinen Kammer am Einstieg durch ein Besatzungsmitglied ist jedes Mal ein Abenteuer: Der Reisende wird nicht nach der Größe seines Gepäckstücks befragt; sondern danach, wo er hin will. Ist das der letzte Ort auf der Fahrt, kommt das Gepäckstück ganz zuunterst. Alles andere kommt obendrüber, und man darf nicht zu mitfühlend mit der eigenen Bagage sein: Wer zuletzt aussteigt, liegt zuunterst, basta. 

Noch an der Pier wird der FLYING DOLPHIN bei laufendem Motor betankt. Ein Wummern in der engen Röhre von vielen PS, die in den beiden betagten Motoren herumtoben und herumtollen. Tragflächenboote sind eine relativ alte Erfindung, sie kamen, als die ersten Autos über die Straßen rumpelten, Anfang des 20. Jahrhunderts auf. Es ist kein Zufall, dass ein Italiener sie erfand. Kein Zufall deshalb, weil das Italien jener Jahre am ungebremstesten dem Futurismus fröhnte, dem Glaubend daran, dass die Zukunft ja nur eines bringen könne: Das Paradies, erwachsen aus Fortschritt. Aber schon bald beschäftigten sich nur noch Militärs mit der Idee, dass man mit etwas Geschwindigkeit auf zwei kleinen Flügeln fast ohne Widerstand übers Wasser fliegen könne. Deutsche, Engländer, Russen, Amerikaner, selbst der legendäre Felix Wankel war so hingerissen, dass er seinen sagenhaften WANKEL-Motor in ein übers Wasser auf Gleitkufen dahinschießendes Etwas namens ZISCH-2 verbaute. Die Tragflügelboote hatten den Weg in die zivile Nutzung gefunden.

Und unser FLYING DOLPHIN? Mittlerweile nebelt der Ausstoß seiner riesigen schwarzen Qualmwolken die kleinen Verkaufsbuden auf der Pier ein, als wir im Hafenbecken drehen. Kaum legt einer der beiden Piloten oben in der engen Steuerkanzel den Gang ein, macht der FLYING DOLPHIN einen Satz nach vorne. Schiere Kraft, schiere PS schon im Leerlauf, noch ohne dass jemand überhaupt am Gashebel gezupft hätte. Der FLYING DOLPHIN ist ein Kind einer Zeit, in der die Frage nach Spritverbrauch oder Umweltverträglichkeit überhaupt noch nicht erfunden war. „Wir wollen ein möglichst schnelles Transportmittel bauen, das von A nach B übers Wasser fliegt“ lautete die Aufgabe. Und los gings.

Die schwarzen Qualmwolken werden nun wirklich beängstigend, als der Pilot an den Gashebeln spielt und den FLYING DOLPHIN mit der römischen Nummer XVIII aus der Drehung in Fahrt bringt.. Ein Donnern, ein Heulen, ein Pfeiffen aus dem hinteren Viertel des FLYING DOLPHIN, das allein die Motoren bewohnen in einem Reich, das kein Reisender stört. Die Röhre vibriert, der kleine Fernseher, der vorne auf einer Konsole steht, ist mit zwei roten Gurtbändern, wie sie muskulöse Klavier-Transporteuren nutzen, gesichert. Noch mehr Gas, noch mehr Dieselgeruch im Inneren, der Lärm der Vibrationen von allem, was beschlossen hat, im Takt der Kolben nun auch mitzuschwingen: Fensterscheiben, Türen, Innenverkleidungen, Sitze: ein einziges Schwingen, ein einziger Freischwinger, als der Pilot an der Hafenausfahrt erst richtig Gas gibt.

Und dann passiert auch das Wunderbare: Der Rumpf des Tragflügelbootes hebt sich langsam, langsam aus dem Wasser, solange, bis die halbe Fußballfeld große Blechzigarre über dem Wasser schwebt und nur noch auf den metergroßen Flügeln durchs Wasser gleitet, eine feine Schaumspur hinter sich herziehend: Mit sagenhaften 35 Knoten, also über sechzig Stundenkilometer. Ein Brüllen, während der FLYING DOLPHIN roh wie ein ungefederter Güterwaggon über die spiegelglatte See rumpelt und sich leise wiegend elegant wie ein Wasserskifahrer in die Kurven legt.

Aber plötzlich nimmt das Vibrieren ins ungeahnte zu, der Lärm wird infernalisch, die Passagiere halten sich die Ohren zu vor Lärm, fast, dass sie um Gnade betteln, die dann auch der Pilot keine fünf Minuten später erlösend gewährt, indem er mitten auf dem offenen Meer den Motor drosselt, Fahrt herausnimmt. Und dann liegen wir auf dem offenen Meer. Der Motor wummert, der FLYING DOLPHIN schaukelt reglos auf dem Meer, während ein Schiffsmechaniker im ölig-grauen Werkstatt-Overall – jawoll, auch der gehört fest zur Besatzung des kleinen Gefährts – mit einem riesigen Schraubenschlüssel nach hinten in den Motorraum eilt. Die griechischen Passagiere des FLYING DOLPHIN scheinen derlei gewohnt, kaum einer, der von seiner Zeitung aufschaut, als abgehackt eine Entschuldigung der Stewardess über die Bordlautsprecher knackt. Dann gibt der Pilot etwas Gas. Aber das Vibrieren ist immer noch infernalisch, ich rechne fest damit, dass gleich in der Decke der Aluminiumhaut des FLYING DOLPHIN ein Riß klaffen und der FLYING DOLPHIN auseinanderbrechen wird wie die TITANIC. Wieder nimmt der Pilot die Fahrt aus dem Gefährt, die Passagiere bangen nun mit dem Mechaniker im verschmierten Overall, ein Bulle von Mann, er wirds schon richten. Nach fünf Minuten nimmt der FLYING DOLPHIN wieder zaghaft Fahrt auf, mehr, dann noch mehr. Vibrieren weg. Jetzt schießt die Blechzigarre wieder mit Vollgas über die Wellen, die sich jetzt aufbauen, das Vibrieren ist wieder auf Normalmaß reduziert. Bugs, die man noch mit großem Schraubenschlüssel in der Hand eines Bullen reparieren kann: Wo gibts denn das heute noch?

Und so schießt der FLYING DOLPHIN jetzt wieder dahin. Seegang hat sich aufgebaut. Es ist, als wäre man auf einen Preßlufthammer geschnallt, der sich sanft von links nach rechts und rechts nach links wiegt, während er in seiner engen Röhre auf und ab hämmert. An Schlaf ist nicht zu denken. An schreiben dreimal nicht, die Tastatur vor mir würde hüpfen. Es macht aber alles nichts, denn zu schön, zu urtümlich ist die Reise in der engen Blechröhre. Und ich bedauere nur eins: Dass es mir nie möglich war, einmal an Bord einer CONCORDE mitzufliegen. Aber für alle, denen es ja so geht wie mir: gibt es zwischen den vergessenen Inseln ja den FLYING DOLPHIN, den kleinen Bruder der wunderschönen großen Hübschen. Um mal zu sehen, wie das war, damals in den Sechzigern, mit moderner Technik.

Warum ich so gerne einhand segle – Südseetage 4&5

Gestern abend stolperte ich in Faaborg auf meinem Laptop über die „Einhandbibel“ von Andrew Evans. Neben unzähligen Tipps (unter anderem zur Wahl des richtigen Einhandbootes; ich habe da alles instinktiv richtig gemacht) sinniert er aber auch seitenlang über das Einhandsegeln. Und schreibt sinngemäß: „Wenn man ein Segelboot nicht alleine fortbewegen könnte, würde ich mir wohl ein anderes Hobby suchen“. Das trifft für mich den Nagel auf den Kopf. Klar macht es Spaß mit anderen unterwegs zu sein, aber das Gefühl geht nie so tief und intensiv wie beim Alleinesegeln. Andrew hat dafür viele Erklärungen, aber am Ende stehen zwei Gründe über allen anderen. Zum einen ist man ist niemals emotional so offen, wenn jemand dabei ist. Zum anderen geht es um das Gefühl die Verantwortung für alle Entscheidungen vollkommen alleine zu tragen. Mit allen Konsequenzen und Folgen, die diese dann nach sich ziehen. Man kann sich nicht abstimmen, oder jemand um Rat oder Hilfe bitten. Draußen auf See muss man da alleine durch. 

Wenn alles glatt läuft, ist das natürlich unspektakulär, wenn es aber stürmt und Welle läuft, geht es ins Eingemachte. Dann muss man sich zur Ruhe zwingen und auf seine Fähigkeiten vertrauen. Da nützt kein Jammern und Wegducken. Und man findet dabei heraus, ob man der Typ Mensch ist, der man gerne sein möchte. Und nimmt sehr viel von diesem Selbstvertrauen mit ins „reale“ Leben. Und wenn man dann nach so einem Tag die Leinen festmacht, fühlt man sich 4 Köpfe größer und innerlich im Gleichgewicht. Ich liebe dieses Gefühl. Auch wenn einem bei der Ankunft niemand die überstandenen Strapazen ansieht, sie bleiben für immer im Herzen. Und gerade vorhin hatte ich wieder so ein Erlebnis. Doch der Reihe nach:

Nach einem Frühstück samt Meerblick im Handelshafen von Aerosköping machten wir unsere beiden Boote seeklar und liefen Kurs Faaborg. Vorher stimmten wir noch die Routen und die Wegpunkte ab, da es mehrere Möglichkeiten gibt dort in den Hafen zu gelangen. Umso mehr überraschte mich der Funkruf, das Alois auf einer Sandbank bei der Auffahrt sitzt. Sein Pinnenpilot hatte sich beim Setzen der Segel abgeschaltet und dann ging es sehr schnell. Nach einem 180° Grad Törn überlegte ich bereits, wie ich ihm helfen sollte, da sah ich aber schon den Tender einer Megayacht zur Hilfe kommen. Als ich dann bei ihm war war er bereits freigeschleppt und wieder in tiefem Wasser. Es ging an Avernakös Ostküste vorbei und dem dort vorgelagerten Riff aus Steinen. Mein Blick zurück zeigt ihn wieder ausserhalb des Tonnenstriches mit direktem Kurs auf das Riff. Hier würde es bei dem Speed nicht beim Aufsetzen bleiben. Mein Warnruf über Funk wird erhört und er korrigiert den Kurs um dann hoch am Wind zu verhungern und weiter auf das Riff zu treiben. „Fahr eine Wende….jetzt sofort!!!!!!!“. Rufe ich ins Mikrofon. Er hört mich und kommt endlich auf Abstand zu den Steinen. Mann, Mann, Mann. Keine Wunder das ich gerne alleine segel. Faaborg ist mit achterlichen Winden schnell erreicht und wir gehen auch hier in den Handelshafen. Diese ziehe ich JEDER Marina vor. Alles etwas gammelig und fischig, da fühle ich mich gleich zuhause nach 4 Tagen auf See :-) 


 Faaborg kommt näher

Ich kann nicht an mich halten und halte Alois eine Standpauke über Seemannschaft, Theorie und Sorgfalt. Er reagiert überrascht. Aber ich will ja nicht besserwisserisch sein, mache mir nur so meine Sorgen um ihn und sein Boot. Scheuerleiste kaputt, Ruderwelle krumm…wenn das so weitergeht wir das Winterlager teurer als das Boot. Die Stimmung ist danach etwas getrübt und auf dem Weg zum Hafenautomaten denke ich über meine Anfänge nach. Aufgelaufen in Holland und in der Schlei, Fastkollision mit einer Hafenfähre auf der Elbe, sich öfnennde Wantenspanner, ungereffte Starkwindfahrten und noch vieles mehr kommt mir in den Sinn. Aber das ist wohl auch ein Teil des Einhandsegelns. Es schaut einem keiner über die Schulter und gibt Ratschläge. Man muss alle Fehler selber machen und Erfahrungen auch aus Fehlschlägen sammeln. Und am Ende: Wird man so ein besserer Segler, als durch viele Ausbildungstörns in einer Gruppe? Keine Ahnung, auf jeden Fall ein selbstständigerer Segler. Der sich mit allen Aspekten des Fahrtensegelns auskennen muss, da er sich eben nicht auf Experten verlassen kann. Oder sich nur an seinen Stärken orientiert und dann immer dabei bleibt. Faaborg ist eine tolle Stadt, wir laufen kreuz und quer, aber der Sinn einer Segelreise liegt irgendwie auf dem Wasser und nicht an Land.  


 „Wahrzeichen Faaborgs“


 Mann mit Kuh….häh?


 Rauchringe aus Diesel


Handelshafenatmo

Und damit geht es von Faaborg über den Kleinen Belt zurück auf das Festland. Und schon wieder heisst es Entscheidungen zu treffen, denn es gibt eine Sturmwarnung. Wann fahre ich los, wohin, welche Route welche Besegelung. All das wird mich unterwegs einholen. Gegen Mittag soll es erst richtig auffrischen, also heißt es sehr früh loszufahren. Um 0600h treffe ich Alois im Sanitärgebäude, der eigentlich ausschlafen wollte. Heute trennen sich unsere Wege. Er will nach Schleimünde, ich in die Dyvik.Aber er empfängt mich so früh mit Fragen nach der besten Route und den Tonnen und so weiter. Scheint ja doch geholfen zu haben :-) Ich binde das zweite Reff ins Groß. Vor dem Wind laufe ich mit meiner großen Rollgenua sowieso Rumpfgeschwindigkeit, und falls es sehr windig wird oder ich einen anderen Kurs fahren muss, kann ich mir das Reffen auf See sparen.


 Abendrot trotz Schlechtwettervorhersage


 Faaborg bleibt zurück und es geht durch die Ausläufer der dänischen Südsee

Mit viel Rückenwind rausche ich über den Belt, dann entwickelt sich aber eine miese, steile Kreuzsee. Ich muss vor dem Wind kreuzen, um nicht versehentlich durchzuhalsen und freue mich nun über mein Reff. Und dann kommt so ein Moment der das Einhandsegeln so schön macht. Kommt der Regen vor dem Wind….naja, Wind ist relativ. Es bläst ja eh schon die ganze Zeit stark. Eine Hammerböe folgt ca. 5 Minuten nach einem heftigen Regenschauer und drückt mich brutal auf das Wasser. Was mich früher vor Schreck gelähmt hätte, wird nun kurz analysiert. Groß auf, und zuviel Fock. Ich habe mir angewöhnt in diesen Situationen alles ganz bewusst sehr langsam und bedächtig zu machen. Hektik führt nämlich nur dazu Leinen aus der Hand gleiten zu lassen, sich zu verheddern oder zu anderen Pannen. Und das was man eigentlich schnell machen wollte, wird doppelt gemacht und dauert so viel länger. Inzwischen schaffe ich es die Krängung, das Knattern der Segel und das Getöse des Windes komplett auszublenden und meine Prioritätenliste im Kopf ruhig Schritt um Schritt abzuarbeiten. Es sieht bestimmt von außen immer noch eilig aus, aber ich mache jede Bewegung bewusst so langsam, das ich sie nur einmal machen muss. Großschot los. Boot etwas weiter vor den Wind um den Druck aus der Fock zu bekommen. Rollreffleine los und in die rechte Hand. Fockschot los und in die linke Hand. Die Krängung geht aus dem Boot, aber die Fock knattert und knallt. Lose in die Schot und einrollen. Fockschot wieder belegen und holen. Das Segel beruhigt sich. Die Böe verliert an Kraft. Man kann kaum ein paar Meter weit sehen im Regen, der eimerweise angeweht kommt. Ich war darauf vorbereitet und habe Steckschotten bereit und bringe das Tablet in Sicherheit. Schon fühlt sich das Boot wieder stabil an. Autopilot an und auf dem Vordeck die Fockschoten entwirren, die sich wild vertüdelt haben. Alles im Griff und ohne Panik und Angst. Yessss…


 Es wird langsam ungemütlich


Opfer des Windes – mein Hamburgwimpel

Auf den Booten in Sichtweite gehen überall die Segel runter und der Diesel an. Nichts da, ich ziehe das jetzt durch und nach einer langen Kreuz in die Dyvik sitze ich nun voller Stolz hier und schreibe diese Zeilen. Schon mit einer Person an Bord wäre das ganz anders gelaufen. Ich fühle mich dann verantwortlich und muss Kommandos geben, was mich am klaren Denken hindert. Und so fühle ich mich wieder ein Stück gewachsen als Seemann. Auch wenn ich mir sicher bin, das da draussen schon die Gefahr lauert, der ich nicht gewachsen bin. Die mich kleinkriegen wird. Aber das wird mich nicht daran hindern, doch immer wieder aufs Neue ganz alleine auszulaufen. Und hoffentlich stolz zurückzukehren.  


 Die immer ruhige Dyvig

Warum ich so gerne einhand segle – Südseetage 4&5

Gestern abend stolperte ich in Faaborg auf meinem Laptop über die „Einhandbibel“ von Andrew Evans. Neben unzähligen Tipps (unter anderem zur Wahl des richtigen Einhandbootes; ich habe da alles instinktiv richtig gemacht) sinniert er aber auch seitenlang über das Einhandsegeln. Und schreibt sinngemäß: „Wenn man ein Segelboot nicht alleine fortbewegen könnte, würde ich mir wohl ein anderes Hobby suchen“. Das trifft für mich den Nagel auf den Kopf. Klar macht es Spaß mit anderen unterwegs zu sein, aber das Gefühl geht nie so tief und intensiv wie beim Alleinesegeln. Andrew hat dafür viele Erklärungen, aber am Ende stehen zwei Gründe über allen anderen. Zum einen ist man ist niemals emotional so offen, wenn jemand dabei ist. Zum anderen geht es um das Gefühl die Verantwortung für alle Entscheidungen vollkommen alleine zu tragen. Mit allen Konsequenzen und Folgen, die diese dann nach sich ziehen. Man kann sich nicht abstimmen, oder jemand um Rat oder Hilfe bitten. Draußen auf See muss man da alleine durch. 

Wenn alles glatt läuft, ist das natürlich unspektakulär, wenn es aber stürmt und Welle läuft, geht es ins Eingemachte. Dann muss man sich zur Ruhe zwingen und auf seine Fähigkeiten vertrauen. Da nützt kein Jammern und Wegducken. Und man findet dabei heraus, ob man der Typ Mensch ist, der man gerne sein möchte. Und nimmt sehr viel von diesem Selbstvertrauen mit ins „reale“ Leben. Und wenn man dann nach so einem Tag die Leinen festmacht, fühlt man sich 4 Köpfe größer und innerlich im Gleichgewicht. Ich liebe dieses Gefühl. Auch wenn einem bei der Ankunft niemand die überstandenen Strapazen ansieht, sie bleiben für immer im Herzen. Und gerade vorhin hatte ich wieder so ein Erlebnis. Doch der Reihe nach:

Nach einem Frühstück samt Meerblick im Handelshafen von Aerosköping machten wir unsere beiden Boote seeklar und liefen Kurs Faaborg. Vorher stimmten wir noch die Routen und die Wegpunkte ab, da es mehrere Möglichkeiten gibt dort in den Hafen zu gelangen. Umso mehr überraschte mich der Funkruf, das Alois auf einer Sandbank bei der Auffahrt sitzt. Sein Pinnenpilot hatte sich beim Setzen der Segel abgeschaltet und dann ging es sehr schnell. Nach einem 180° Grad Törn überlegte ich bereits, wie ich ihm helfen sollte, da sah ich aber schon den Tender einer Megayacht zur Hilfe kommen. Als ich dann bei ihm war war er bereits freigeschleppt und wieder in tiefem Wasser. Es ging an Avernakös Ostküste vorbei und dem dort vorgelagerten Riff aus Steinen. Mein Blick zurück zeigt ihn wieder ausserhalb des Tonnenstriches mit direktem Kurs auf das Riff. Hier würde es bei dem Speed nicht beim Aufsetzen bleiben. Mein Warnruf über Funk wird erhört und er korrigiert den Kurs um dann hoch am Wind zu verhungern und weiter auf das Riff zu treiben. „Fahr eine Wende….jetzt sofort!!!!!!!“. Rufe ich ins Mikrofon. Er hört mich und kommt endlich auf Abstand zu den Steinen. Mann, Mann, Mann. Keine Wunder das ich gerne alleine segel. Faaborg ist mit achterlichen Winden schnell erreicht und wir gehen auch hier in den Handelshafen. Diese ziehe ich JEDER Marina vor. Alles etwas gammelig und fischig, da fühle ich mich gleich zuhause nach 4 Tagen auf See :-) 


 Faaborg kommt näher

Ich kann nicht an mich halten und halte Alois eine Standpauke über Seemannschaft, Theorie und Sorgfalt. Er reagiert überrascht. Aber ich will ja nicht besserwisserisch sein, mache mir nur so meine Sorgen um ihn und sein Boot. Scheuerleiste kaputt, Ruderwelle krumm…wenn das so weitergeht wir das Winterlager teurer als das Boot. Die Stimmung ist danach etwas getrübt und auf dem Weg zum Hafenautomaten denke ich über meine Anfänge nach. Aufgelaufen in Holland und in der Schlei, Fastkollision mit einer Hafenfähre auf der Elbe, sich öfnennde Wantenspanner, ungereffte Starkwindfahrten und noch vieles mehr kommt mir in den Sinn. Aber das ist wohl auch ein Teil des Einhandsegelns. Es schaut einem keiner über die Schulter und gibt Ratschläge. Man muss alle Fehler selber machen und Erfahrungen auch aus Fehlschlägen sammeln. Und am Ende: Wird man so ein besserer Segler, als durch viele Ausbildungstörns in einer Gruppe? Keine Ahnung, auf jeden Fall ein selbstständigerer Segler. Der sich mit allen Aspekten des Fahrtensegelns auskennen muss, da er sich eben nicht auf Experten verlassen kann. Oder sich nur an seinen Stärken orientiert und dann immer dabei bleibt. Faaborg ist eine tolle Stadt, wir laufen kreuz und quer, aber der Sinn einer Segelreise liegt irgendwie auf dem Wasser und nicht an Land.  


 „Wahrzeichen Faaborgs“


 Mann mit Kuh….häh?


 Rauchringe aus Diesel


Handelshafenatmo

Und damit geht es von Faaborg über den Kleinen Belt zurück auf das Festland. Und schon wieder heisst es Entscheidungen zu treffen, denn es gibt eine Sturmwarnung. Wann fahre ich los, wohin, welche Route welche Besegelung. All das wird mich unterwegs einholen. Gegen Mittag soll es erst richtig auffrischen, also heißt es sehr früh loszufahren. Um 0600h treffe ich Alois im Sanitärgebäude, der eigentlich ausschlafen wollte. Heute trennen sich unsere Wege. Er will nach Schleimünde, ich in die Dyvik.Aber er empfängt mich so früh mit Fragen nach der besten Route und den Tonnen und so weiter. Scheint ja doch geholfen zu haben :-) Ich binde das zweite Reff ins Groß. Vor dem Wind laufe ich mit meiner großen Rollgenua sowieso Rumpfgeschwindigkeit, und falls es sehr windig wird oder ich einen anderen Kurs fahren muss, kann ich mir das Reffen auf See sparen.


 Abendrot trotz Schlechtwettervorhersage


 Faaborg bleibt zurück und es geht durch die Ausläufer der dänischen Südsee

Mit viel Rückenwind rausche ich über den Belt, dann entwickelt sich aber eine miese, steile Kreuzsee. Ich muss vor dem Wind kreuzen, um nicht versehentlich durchzuhalsen und freue mich nun über mein Reff. Und dann kommt so ein Moment der das Einhandsegeln so schön macht. Kommt der Regen vor dem Wind….naja, Wind ist relativ. Es bläst ja eh schon die ganze Zeit stark. Eine Hammerböe folgt ca. 5 Minuten nach einem heftigen Regenschauer und drückt mich brutal auf das Wasser. Was mich früher vor Schreck gelähmt hätte, wird nun kurz analysiert. Groß auf, und zuviel Fock. Ich habe mir angewöhnt in diesen Situationen alles ganz bewusst sehr langsam und bedächtig zu machen. Hektik führt nämlich nur dazu Leinen aus der Hand gleiten zu lassen, sich zu verheddern oder zu anderen Pannen. Und das was man eigentlich schnell machen wollte, wird doppelt gemacht und dauert so viel länger. Inzwischen schaffe ich es die Krängung, das Knattern der Segel und das Getöse des Windes komplett auszublenden und meine Prioritätenliste im Kopf ruhig Schritt um Schritt abzuarbeiten. Es sieht bestimmt von außen immer noch eilig aus, aber ich mache jede Bewegung bewusst so langsam, das ich sie nur einmal machen muss. Großschot los. Boot etwas weiter vor den Wind um den Druck aus der Fock zu bekommen. Rollreffleine los und in die rechte Hand. Fockschot los und in die linke Hand. Die Krängung geht aus dem Boot, aber die Fock knattert und knallt. Lose in die Schot und einrollen. Fockschot wieder belegen und holen. Das Segel beruhigt sich. Die Böe verliert an Kraft. Man kann kaum ein paar Meter weit sehen im Regen, der eimerweise angeweht kommt. Ich war darauf vorbereitet und habe Steckschotten bereit und bringe das Tablet in Sicherheit. Schon fühlt sich das Boot wieder stabil an. Autopilot an und auf dem Vordeck die Fockschoten entwirren, die sich wild vertüdelt haben. Alles im Griff und ohne Panik und Angst. Yessss…


 Es wird langsam ungemütlich


Opfer des Windes – mein Hamburgwimpel

Auf den Booten in Sichtweite gehen überall die Segel runter und der Diesel an. Nichts da, ich ziehe das jetzt durch und nach einer langen Kreuz in die Dyvik sitze ich nun voller Stolz hier und schreibe diese Zeilen. Schon mit einer Person an Bord wäre das ganz anders gelaufen. Ich fühle mich dann verantwortlich und muss Kommandos geben, was mich am klaren Denken hindert. Und so fühle ich mich wieder ein Stück gewachsen als Seemann. Auch wenn ich mir sicher bin, das da draussen schon die Gefahr lauert, der ich nicht gewachsen bin. Die mich kleinkriegen wird. Aber das wird mich nicht daran hindern, doch immer wieder aufs Neue ganz alleine auszulaufen. Und hoffentlich stolz zurückzukehren.  


 Die immer ruhige Dyvig

Südsee Tag 2 -Traumsegelwetter


Heute war ein absolut herrlicher Segeltag. Mit Wind immer raum oder achterlich mit maximal 4 Bft. Dazu strahlender Sonnernschein. Altherrensegeln, ich bin immerhin 52, vom Feinsten von Strynö nach Aerosköping. 


 LA MER in Strynö

 Die Südsee ruft


 Segelschule: Heute Butterfly

Doch zunächst habe ich Alois NIKE zu meinem Beiboot erklärt und ihm meine Handfunke gegeben, damit wir auf Kanal 69 kommunizieren können. Gestern hat es bei ihm noch einigen Bruch an der Scheuerleiste gegeben, als sein Aussenborder kurz vor der Hafeneinfahrt von Strynö ausfiel und er sehr unsanft mit einem holländischem Dreimaster kollidierte, der vor der Einfahrt lag. Die Mannschaft des Dreimasters brachte noch rechtzeitig Holzschilder als Schutz aus. Der Bandholm von Alois hat das natürlich nicht geholfen. Der weitere gemeinsame Weg sollte nun aber wenigstens eine Kommunikationsmöglichkeit bieten, was auch bezüglich Segelstellung und Führung sehr hilfreich war. 


 Vorbei an Marstal mit halbem Wind

 Einhandsegler in Ausbildung

Gestern auf Strynö hatten wir abends noch den Dorfkrug besucht. Quasi das Wohnzimmer für die Insulaner hier. Der recht betagte Wirt sprach überraschenderweise etwas Englisch und kein Wort Deutsch, konnte uns dann aber echte Hausmannskost anbieten. Mein Magen hatte den schlechten Fisch des Vortages damit nun endlich überstanden. Es ist schon merkwürdig sich vorzustellen, das die wenigen Insulaner hier auf so engem Raum zusammenwohnen. Da bleibt sicher absolut nichts unbemerkt oder unkommentiert. Und die letzte Fähre zum Festland fährt um 1915h. Fast wie eine Wohngemeinschaft nur das jeder in eigenen kleinen Häusern wohnt, statt in einem Zimmer. Muss man mögen.


 Sonnenschirm am Himmel


Strynö

Der Törn nach Aerosköping war bei dem Wetter ein Traum und verlief ohne Zwischenfälle. Ausser das ich von einer 24 Fuss Schale versegelt wurde. Zuerst befürchtete ich schon es wäre Alois, der seine Berufung als Regattasegler gefunden hat. Aber so war es dann zum Glück doch nicht. Ich ziehe in Aerosköping den Fischereihafen dem Yachthafen vor und so liegen wir hier nun längsseits an der Kaimauer, sind bei mittlerweile eisigen 16 Grad in die Ostsee gesprungen und haben uns diese Stadt aus bunten, kleinen Hobbit- Häusern angesehen.



Danach haben wir dann direkt zwischen Boot und Wasser gegrillt und über das Leben philosophiert. Großartig. Morgen geht es nun weiter nach Faaborg, das ich seit letztem Jahr immer schon auf eigenem Kiel erreichen wollte. 2014 hatte es ja nur zu einer Fährfahrt von Avernakö aus gereicht. Bilder sagen mehr als 1.000 Worte. Wie immer ist die dänische Südsee ein absolut lohnendes Reiseziel. Und noch habe ich ein paar Tage Zeit :-) 


 Der Vogel hat unbemerkt 2 Würste vom Grill geklaut




Südsee Tag 3 -Traumsegelwetter


Heute war ein absolut herrlicher Segeltag. Mit Wind immer raum oder achterlich mit maximal 4 Bft. Dazu strahlender Sonnernschein. Altherrensegeln, ich bin immerhin 52, vom Feinsten von Strynö nach Aerosköping. 


 LA MER in Strynö

 Die Südsee ruft


 Segelschule: Heute Butterfly

Doch zunächst habe ich Alois NIKE zu meinem Beiboot erklärt und ihm meine Handfunke gegeben, damit wir auf Kanal 69 kommunizieren können. Gestern hat es bei ihm noch einigen Bruch an der Scheuerleiste gegeben, als sein Aussenborder kurz vor der Hafeneinfahrt von Strynö ausfiel und er sehr unsanft mit einem holländischem Dreimaster kollidierte, der vor der Einfahrt lag. Die Mannschaft des Dreimasters brachte noch rechtzeitig Holzschilder als Schutz aus. Der Bandholm von Alois hat das natürlich nicht geholfen. Der weitere gemeinsame Weg sollte nun aber wenigstens eine Kommunikationsmöglichkeit bieten, was auch bezüglich Segelstellung und Führung sehr hilfreich war. 


 Vorbei an Marstal mit halbem Wind

 Einhandsegler in Ausbildung

Gestern auf Strynö hatten wir abends noch den Dorfkrug besucht. Quasi das Wohnzimmer für die Insulaner hier. Der recht betagte Wirt sprach überraschenderweise etwas Englisch und kein Wort Deutsch, konnte uns dann aber echte Hausmannskost anbieten. Mein Magen hatte den schlechten Fisch des Vortages damit nun endlich überstanden. Es ist schon merkwürdig sich vorzustellen, das die wenigen Insulaner hier auf so engem Raum zusammenwohnen. Da bleibt sicher absolut nichts unbemerkt oder unkommentiert. Und die letzte Fähre zum Festland fährt um 1915h. Fast wie eine Wohngemeinschaft nur das jeder in eigenen kleinen Häusern wohnt, statt in einem Zimmer. Muss man mögen.


 Sonnenschirm am Himmel


Strynö

Der Törn nach Aerosköping war bei dem Wetter ein Traum und verlief ohne Zwischenfälle. Ausser das ich von einer 24 Fuss Schale versegelt wurde. Zuerst befürchtete ich schon es wäre Alois, der seine Berufung als Regattasegler gefunden hat. Aber so war es dann zum Glück doch nicht. Ich ziehe in Aerosköping den Fischereihafen dem Yachthafen vor und so liegen wir hier nun längsseits an der Kaimauer, sind bei mittlerweile eisigen 16 Grad in die Ostsee gesprungen und haben uns diese Stadt aus bunten, kleinen Hobbit- Häusern angesehen.



Danach haben wir dann direkt zwischen Boot und Wasser gegrillt und über das Leben philosophiert. Großartig. Morgen geht es nun weiter nach Faaborg, das ich seit letztem Jahr immer schon auf eigenem Kiel erreichen wollte. 2014 hatte es ja nur zu einer Fährfahrt von Avernakö aus gereicht. Bilder sagen mehr als 1.000 Worte. Wie immer ist die dänische Südsee ein absolut lohnendes Reiseziel. Und noch habe ich ein paar Tage Zeit :-) 


 Der Vogel hat unbemerkt 2 Würste vom Grill geklaut




Endlich wieder unterwegs

Die Urlaubssaison geht zu Ende, die Häfen sind wieder leer und es ist eine kurze Schönwetterperiode angesagt. Eventuell die letzte Chance auf etwas Sommer in diesem Jahr. Also packe ich meine Sachen und fahre die stets endlos wirkende Autobahnstrecke an die Flensburger Förde. Unterwegs schnell einkaufen, die Sachen aufs Boot verstauen, umziehen, Diesel starten und….der immer wieder einzigartige Moment des Lösens der Leinen. Die Uhr tickt sofort spürbar langsamer, sobald ich aus der Box gleite. Hinter der Hafenausfahrt gehen sofort die Segel hoch (der Wind kommt von achtern) und dann dieser nächste, immer wieder herzerwärmende, Moment: Motor aus. Nur unter Segeln gleitet La Mer sofort mit 5 Knoten Richtung offene Ostsee. Über Funk erzählt jemand von dem tollen Segelwind von Gelting aus in Richtung Marstal. Damit steht mein Ziel fest. Marstal. Das Tor zur dänischen Südsee. Hier bin ich immer wieder gerne und mit Erreichen von Marstal befinde ich mich bei dem vorhergesagten Ostwind auch schon wieder auf einem sehr langsamen Heimweg. Perfekt. 


 Die Förde bleibt zurück

Jetzt nur noch kurz Alois von dem Ziel berichten. Er bricht von Maasholm aus auf und wir wollten uns treffen. Mit dem Handy in der Hand stehe ich im Cockpit auf den Bänken und lehne über der Sprayhood, als die Sonnenbrille von der Nase rutscht. Instinktiv geht meine rechte Hand nach oben und zack, das Handy prallt auf die Sprayhood, von dort aufs Seitendeck und trotz meines starren Blickes, der es probiert dort zu fixieren, plupp, ins Wasser. Nichts mehr mit verabreden. Er wird sich Gedanken machen, meine Frau anrufen, die wird sich Gedanken machen und bei mir geht nun wohl statt einer Flunder eher die Mailbox ran. Doofe Situation. Bremen Rescue zu rufen mit der Bitte meine Frau zu kontaktieren, erscheint mir überdimensioniert. Also rufe ich zwei vorbeifahrende Yachte mit ihrem Bootsnamen an. Keine Reaktion. Na gut, ich bin ja nun nicht tagelang unerreichbar, sondern nur die 4 Stunden nach Marstal. Wird schon gehen. Rauschefahrt, halber Wind und noch eine kräftige alte Welle. Ich sitze auf dem Vorschiff und lasse Sindbad, meinen Autopiloten, arbeiten. Sommer, Sonne, Meer…traumhaft.


 Südspitze Aerö

Bei Sonnenuntergang mache ich in Marstal fest. Im September wird es ja schon wieder früher dunkel, das hatte ich beinahe vergessen. Kein Alois. Erstmal melde ich ich über EMail bei meiner Frau mit der Bitte ihn zu kontaktieren. Ohne Erfolg. Nur Mailbox. Wenn er man bloß nicht noch im Dunkeln draussen rumschippert. Aber ich habe andere Sorgen, mir ist kotzübel. Wohl von der eingeschweissten Forelle, die nun etwas länger ungekühlt herumlag. Trotzig laufe ich noch durch Marstal um es zu ignorieren, aber dann ist Schluss und der Fisch findet seinen Weg nach draussen. Und danach geht es direkt mit Bauchschmerzen ab ins Bett. Morgens geht es etwas besser und ich bringe den Müll von Bord. An der Müllstation treffe ich wen? Alois, und seine abenteuerliche Geschichte. 

Doch erst einmal sei vorweg erzählt: Alois segelt gerade seit 2 Wochen und hat sich vor ein paar Tagen mit meiner Unterstützung eine Bandholm 24 gekauft. Und beim Überführungstörn wurde er seekrank. Und der Aussenborder ist unzuverlässig. Die Elektrik habe ich ihm bereits soweit gerichtet. Ich dachte er ist auf der Schlei gut aufgehoben für den Anfang, aber Alois träumt von der großen weiten Welt. Also hat er sich kurz erklären lassen, wie er das erste Reff einbindet und ist dann um 1800h auf die Schlei, Kurs Ost. 15 Minuten später wundert er sich bereits warum trotz beider gehissten Segel das Boot keine Fahrt macht. Und das doch nur ein paar Meter neben dem Tonnenstrich. Am Ende kam er mit dem Aussenborder wieder frei und düste mit ordentlich Wind von der Seite Richtung Marstal. 


Da lachen die Möven

Gute 2 Stunden später wurde es dunkel und das Tablet mit der Navigation leer. Die Seekarte gibt nur her, das die Einfahrt nach Marstal im Dunklen nicht zu empfehlen ist. Also bleibt er vor der Einfahrt und wirft den Anker um Mitternacht. Er hat kaum Wind, aber viel Welle, doch der Anker hält. Mit dem ersten Tageslicht ist er dann in den Hafen. Für den ersten Törn einhand ist das eine Menge auf einmal. Respekt. Aber natürlich auch der erhobene Zeigefinger am nächsten morgen für diesen unglaublichen Leichtsinn. Denn: auch das Handy funktionierte nicht, Funk gibt es (noch) nicht an Bord. Nicht gerade ein Vorbild an Seemannschaft, wohl aber an Wagemut und Biss.


 Dänemark Spezial

Ich hoffe, das ich das als Mentor noch kanalisiert bekomme…ich repariere ihm dann noch die Ladebuchse für das Tablet und erkläre ihm sein Garmin Hand GPS, dann breche ich auf Richtung Strynö. Eigentlich nur 5 kurze faule Meilen, wie ich mir denke. Doch Rasmus hat andere Pläne.


 Wind kommt auf

Kurz habe ich in der Windstille von Marstal überlegt, ob ich mein Boot wirklich seeklar machen muss und alles wegräumen soll, wie es meine Bordgesetze befehlen. Dankbar bin ich nun dafür es getan zu haben, denn es hätte einigen Bruch gegeben. Und der Verlust des Handys schmerzt noch. Es gibt übrigens ein neues Bordgesetz bzgl. des Handys. Nur sitzend im Cockpit, und niemals lose in der Tasche. Jedenfalls wird es eine anstrengende Kreuzerei bis zur Hafeneinfahrt und noch darüber hinaus, denn ich laufe gerne bei viel Wind und Welle vor diesen fahrend ein, denn dann kann ich in aller Ruhe Fender und Leinen vorbereiten. Und unvorbereitet geht es in keinen Hafen. Bordgesetz. Alle Leinen wurfbereit über der Reling. Die vorderen Fender draussen. Die behindern nicht in der Box und hier ist immer der Erstkontakt zu Nachbarliegern. Die anderen Fender soweit klariert, das sie nur noch einen Tritt benötigen. Bootshaken griffbereit und das Cockpit aufgeräumt. Ich finde einen wunderbar geschützten Platz längsseits und warte nun wieder auf Alois. 


Hafenidylee auf Strynö

Viel passieren kann ihm auf dem kurzen Stück nicht, und jetzt lernt er eben Reffen und Kreuzen auf die harte Tour. Denn eines ist mal sicher: was man so gelernt hat, vergisst man nie wieder. Geht mir ja ebenfalls so. Man kann sich nicht alles in Ruhe erlesen, manchmal muss es wohl auch weh tun. Und es gibt einem eine gewisse Gelassenheit für das nächste Mal. Und eben kommt mir Alois überraschend entgegen…mit neuen Geschichten im Gepäck. Die erzähle ich dann morgen…denn jetzt geht es in den Dorfkrug :-)


Wäschedampfer Alois

Mare Piu macht einen Film über Segeln. Und er erscheint Ende September.

Irgendwie ist dieser Traum so alt wie mein Traum vom Segeln. Kaum dass ich die ersten Male auf dem Meer war, wollte ich über meine Begeisterung fürs Segeln einen Film machen. 2002 trabte ich los und kaufte mir eine Videokamera. Delphine vor Korsika, die über 10 Minuten im Bug unserer JUANITA mitschwammen, filmte ich. Die ersten Aufnahmen vom Segeln mit zittrigen Knien im Starkwind nördlich Korsika. Aber daraus wurde nichts. 

Irgendwie wollte ich immer davon erzählen, wie es ist, auf dem Meer zu sein. Wie es ist, die Segel zu setzen. Wie es ist, draußen zu sein, auf der Überfahrt von Südfrankreich nach Calvi. Wie es ist in der Nacht auf dem Meer. Wie es sich anfühlt, wieder sicher im Hafen zu sein. Und jetzt ist es soweit: Auf meiner Reise von München nach Antalya entstanden in Italien, Griechenland, Türkei über 1.000 Videoszenen, im Kopf habe ich im vergangenen Jahr ständig an dem Projekt gearbeitet. Bin mit Kameramann Stefano Weber und Susanne im Mai diesen Jahres in die Türkei geflogen, für weitere Aufnahmen.

Den Film jetzt herzustellen hat aber noch mehr Spaß gemacht, als ich das erwartet hatte. Und das hat mit den Menschen zu tun, die ich für die Mitarbeit an diesem ersten Filmprojekt begeistern konnte. Meiner Verlagspartnerin Susanne, von millemari., die sich nach den ersten Videoschnippseln im Herbst sofort für das Projekt begeisterte und die Produktionsleitung übernahm. 
Stefano, der mich mit seinen Kameras eine Woche segelnd von Marmaris bis Rhodos filmend begleitete. 
Manu und Jan von MUSICNSTUFF, die mich für ein langes Wochenende in ihr Tonstudio in Olching ließen und mich in der Kunst des Vorlesens unterrichteten. 
Marco, der die Aufnahmen als Tontechniker begleitete. 
Und ganz besonders Felix von der Münchner EMMAFILM, der sich mit Susanne und mir mehrere Wochenenden um die Ohren haute und mit Herz & Hirn und Know-How den Film erst zu dem machte, was er geworden ist: Etwas, was vom Meer, den Menschen, den Ländern dort erzählt, wie ich immer vom Meer erzählen wollte.

Und jetzt?
Wir sind fast fertig mit den Arbeiten. 

Der Trailer für den Film ist fertig. Und seit heute Abend ist er auf unserer Homepage www.millemari.de zu sehen.

Und jetzt, während ich hier auf Kithira, Monemvasia, Spetses auf LEVJE sitze: Schreibe und filme ich bereits wie ein Besessener. Für meinen zweiten Film, der im Frühjahr 2016 kommen wird.

Aber jetzt hoffe ich erstmal, mit meinem Film nicht nur meinen Nerv und den meines Teams getroffen zu haben: Sondern auch den Nerv der Menschen, die das Meer lieben. So wie wir.

Grüße von LEVJE aus Spetses
Thomas

Die vergessenen Inseln: Spetses. Und der Heilige der kleinen Boote.

Wir sind in Spetses, etwas östlich des Peloponnes, und mit einem Schlag ist hier alles anders: Noch vor wenigen Tagen, am Wochenende, war es voll auf Spetses. Doch nun ist der August passé, und mit ihm die „Ferie Augusti“, der italienische „Ferragosto“; und die Bewohner der Mittelmeerstädte sind heimgekehrt. Es ist ruhiger, auf der Hafenmole von Spetses. Oder nicht?

Tatsächlich haben sich die Bewohner von Spetses heute nur in einem anderen Winkel versammelt, bei der Kirche des heiligen Mamas. Sie steht genau am Meer, ein kleines Kirchlein, in dem von der Decke Schiffsmodelle hängen, ein Kirchlein, einmal im Jahr: Im Mittelpunkt. Es ist die Nacht von Mamas, des Heiligen, der gut zu den Kindern ist. Und deshalb gedenken die Kinder und mit ihnen die Einwohner von Spetses heute des Heiligen in ganz besonderer Weise. Die Kinder bauen in den Tagen vor dem Fest Schiffe mit Lichtern darauf, und heute, am Festtag des Heiligen, zünden sie auf ihren Schiffen die Kerzen an. Und setzen sie vor der Kirche des Heiligen aufs Meer.

Schon weit vor der Kirche von Mamas ist die Hafenmole voller Menschen und verstopft. Die Fiaker, die sonst ihre Kutschen im Trab lässig über die Hafenmole treiben, haben Mühe, ihre Pferde durchs Gedrängel zu bringen. Vor der Kirche: Eine Messe, Gesänge, Litaneien der beiden Priester, diesmal nicht schwarzen Soutanen, sondern in weißen Gewändern. Alte Frauen auf Klappstühlen drumherum. Kinder, die aufgeregt hin und her rennen und vor allem ihre verschiedenen Schiffe ans Meer bringen: Kleine, aus Papier, mit einem Teelicht drin. Autoreifengroße, aus Obstkisten gefertigt. Manche aus halben Kürbissen herausgeschält, eine Kerze bringt sie innen rot zum Leuchten. Manche groß wie eine Männerhand, aus Strohhalmen und Binsen zusammengebunden. Andere aus Broten herausgeschält, ausgehöhlte Sesam-Baguettes, die im Inneren von Kerzen erleuchtet nun aufs Meer hinausstreben. Wieder andere Pyramiden mit hängenden Lichtern. Oder Modelle der Kirche. Rahsegler, manche gleich mit 10 Teelichtern drauf.

Den langen Abend lang bringen Kinder immer neue Schiffe. Manche bekommen nach wenigen Sekunden Schlagseite und versinken zischend. Andere werden von den Wellen an der Mauer zusammengetrieben, ein unentwirrbarer Knäuel voller Kerzenlichter, der in einer Ecke im Strudel wogt. Andere schaffen es hinaus aufs Meer, weit hinaus in die Bucht. Wo sie plötzlich Feuer fangen, ein aufloderndes Lagerfeuer im leichten Abendwind plötzlich mitten auf dem Meer, ein Jauchzen der Kinder, Eltern, die neue Schiffe bringen, große grüne, drei kleine, herzförmige, jede mit einem Licht und alle drei mit einem Faden verbunden. Und den Namen der Kinder darauf. Ein kleines, von innen heraus rot leuchtendes, das über dem Kies auf dem Meeresgrund Fahrt aufnimmt und langsam in die Bucht treibt. Immer neue Boote in allen erdenklichen Formen, als plötzlich ein Feuerwerk über dem Strand losbricht, laut knallend zerspritzen aufsteigende Sterne und stieben, hundert Kometen gleich, über den Himmel über der Bucht. Kaum angefangen, endet das laute Spektakel auch gleich, sekundenlang noch Pulverdampf, der reglos über die Bucht zieht, in der hundert kleine Lichter in den Wellen schaukeln.

Und Mamas, der Heilige? Es gibt verschiedene Legenden über ihn – aber alle führen in den Osten. Er gehörte wohl in die Welle der ersten Christenverfolgung, Mitte des 3. Jahrhunderts. Geboren im Gefängnis des römischen Gangra, heute türkisch Cankiri, weil seine Eltern Christen waren. Sein Vater, der ihn nie sah, weil ermordet, bevor Mamas zur Welt kam. Mit 15 ebenfalls Christ, gefangengenommen, gefoltert, später schwer verletzt und auf der Flucht gestorben. Einer, der den wilden Tieren predigte. Eine andere Geschichte erzählt, wie er einmal, von Häschern zum Gerichtssaal geführt, einem Löwen begegnete, der ein Schaf jagte. Mamas rief den Löwen zu sich – und ritt auf dessen Rücken zum Richter, das Schaf in seinen Armen haltend. Weshalb Mamas auch heute noch auf Ikonen zu erkennen ist als der Heilige, der auf einem Löwen reitet.

Vielleicht ist das so: Jedes Meer hat seine Heiligen. Die Bretagne, Irland, das nordspanische Galizien – und die vergessenen Inseln haben ihre. Es sind eigene Traditionen, Geschichten, die mit Schiffen und Seefahrern, Kriegern und Kreuzrittern, Pilgern und Priestern, Verschleppten und Verprengten irgendwie, den großen Strömungen auf dem Meer gleich, die Heiligen samt ihrer Geschichte von Ost nach West trugen. Und niemand, wirklich niemand kann sagen, wann ein Heiliger wie Mamas denn nun wo zum ersten Mal an Land kam. Und Menschen ihm und keinem anderen im französischen Langres oder in St Mamès oder in Finningen bei Neu-Ulm eine Kirche weihten.

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Vom Autor von MARE PIU:

Ein Mann verliert seinen Job.
Aber statt zu resignieren, begibt er sich einfach auf sein kleines Segelboot.
Und reist in fünf Monaten: Von München nach Antalya.

Mehr erfahren: Hier.

 

Die vergessenen Inseln: Heute auf Spetses. Oder: Reich und Arm, engbeieinander.

 

Ganz ohne Zweifel überrascht die Insel Spetses wie kaum eine andere Insel – und das gleich in vielerlei Hinsicht.
 
Monemvasia verließ ich, weil der Wetterbericht für die folgenden Tage Starkwind aus Nord ankündigte. Aber kaum, dass ich den Hafen von Monemvasia verlassen hatte, und voller Freude, dass endlich mal Wind wehte: schlief er auch schon wieder ein, der Wind. Die Ostseite des Peloponnes – ein Windloch, zumindest in diesem Jahr. 
 
Am nächsten Tag das selbe Spiel: Wetterbericht 5 bft. aus Nord. In der Bucht von Kiparission wehte es – also nix wie raus, 1. Reff. Kaum hatten wir sechs Seemeilen von der Küste weg zurückgelegt: Aus. Flaute. LEVJE liegt klappernd weit vor der Küste in den Kalmen – und in sich überschlagenden Wellen, die meine LEVJE elend hin und herwerfen. Mein Schiff, ein wehrloser Spielball dieser mutwilligen Wellenbrüder aus allen Richtungen. Also Motor.


 
Und weil mich der kürzeste Weg an die Ostseite von Spetses führte, genau zwischen Spetses und dem kleinen, östlich vorgelagerten Inselchen Spetsopoula (ja. Genau so.) hindurchführte, kam ich an einer unwiderstehlichen Bucht vorbei. Windgeschützt nach Norden. Nur einer dieser Schiff gewordenen Segelträume vor Anker. Und das wunderschöne RIVA-Boot eines Deutschen, der im Strohhut in den Himmel schaut. Ich konnte nicht anders. Hier mußte ich sein. Und blieb drei Tage, bis mich der Wind scheuchte, der so garstig am Spätnachmittag des dritten Tages die Wellen in die Bucht trieb: dass ich LEVJE fast auf den Strand setzte, nur um im aller-allerinnersten Winkel der Bucht eine halbwegs geschützte Ecke für uns zwei zu finden.
 
Aber RIVA-Boot und Riesenyacht: Das hatte es in sich. Das mußte ich rauskriegen. Also ruderte ich am am späten Nachmittag mit meinem Dinghi an Land, ließ LEVJE allein schaukelnd in der Bucht zurück und machte mich zu Fuß auf den Weg nach Spetses, etwa drei Kilometer im Norden. 
 
Überraschung Nummer 2:
Während ich in der Hitze des Spätnachmittags auf der kleinen Teerstraße hügelauf, hügelab, nach Norden wackle, stelle ich zweierlei fest: Wunderschöne Villen zuhauf. Nein nicht „Neureichs“, sondern wunderschöner alter Bestand. Keine einzige Architektur, die das Auge stört. Fast Südfrankreich: kleine, verschachtelte Gebäude in parkähnlichen Landschaften. Hinter hohen Mauern plötzlich ein bisschen Bretagne. Wo bin ich hier im Osten von Spetses bloß hingetreten?
Das andere: Dass auf meiner Straße zwar Verkehr ist: Oh ja, jede Menge Roller, Scooter, kleiner Motorräder – aber keine Autos. Spetses gebührt nach Venedig der Ruhm, Insel ohne Auto zu sein. Jedenfalls fast. Sie sind offiziell verboten, auf Spetses. Ein paar Taxen drücken sich schamlos durch engste Gassen, zusammen mit ein, zwei Lieferwagen. Aber das war es dann fast schon. Und noch etwas gibt es zuhauf: Golfcarts. Kleine Elektromobile vom Golfplatz, auf meiner Straße geht es eher zu wie auf einem Golfplatz, sie begegnen mir mehrfach. Und gerade als ich überlege, den Daumen zu recken, hält auch schon eins an. Roberta, mit dem Golfcart ihrer Herrschaft auf Einkaufsfahrt, nimmt mich einfach mit. Und weil sie Philippinin ist und seit 13 Jahren im Dienst ihrer Herrschaft ist, hat sie die Ehre, mir als Erste zu nahezubringen: Was es denn mit Spetses, das die Venezianer „Le Isole delle Spezie“, die Insel der Gewürze tauften, so auf sich hat. Während wir also im kleinen Elektromobil holpernd gen Norden rollen, erklärt mir Roberta: Einmal im Jahr kommt die Familie, für die sie arbeitet, in ihr Sommerhaus hierher nach Spetses. Diesmal für 10 Tage. Aber jetzt, im August, würden das auch die anderen reichen Athener Familien so machen. Jede, ausnahmslos jede der reichen Athener Familien hätte ein Haus, eine Villa auf Spetses, aber in den nächsten Tagen wäre noch besonders viel los, weil die Sprößlinge zweier der reichsten Athener Familien heiraten würden – und das würde wirklich alle, alle anlocken. Auf dem kleinen Betonfeld, direkt an der Straße, auf der wir rumpelnd vorbeirollen, landet gerade ein Hubschrauber, ein Mann im Business-Anzug steigt aus, der Hubschrauber hebt gleich wieder ab. „Time es Money, so leben hier die meisten“, sagt Roberta, ohne ihre kleinen Füße vom Gaspedal zu nehmen, und Klein Tomi reibt sich die Augen, denn eigentlich wähnte er sich in Griechenland und nicht in New York.
 


 
Stotternd läßt Roberta das kleine Gefährt rechts zum Hafen abbiegen. Und da wartet die nächste Überraschung: Kein Hafen, wie man ihn kennt: Sondern ein enger Wasserschlauch, doppelt, dreifach in Reihen vollgestopft mit Booten aller Art: Kleine Fischerboote. Überdachte superschnelle Schlauchboote. Hochmotorisierte Speedboote. Segelyachten. Kaiken und Kunststoffboote, Holzyachten und Was-weiß-ich-noch. Selbst die große Autofähre zur Nachbarinsel – auf dem Foto oben im Hintergrund – schiebt sich hinein in das Gedrängel und läßt ihre stählernde Bugklappe mitten auf den Strand knallen. Ein unglaubliches Durcheinander, augenscheinlich angerührt vom Gott des Chaos, aber – und auch das ist eine Überraschung – es steckt Ordnung drin. Was man im Bild oben sieht, ist nichts anderes als einer jener Werftbetriebe, die vor 200, 300 Jahren mit ihren dort gebauten Kaiken Furore machten. Und im Befreiungskrieg vor 200 Jahren mit ihrer Flotte das Zünglein auf der Waage im Kampf gegen die Türken waren.
 


 
Aber weil heutzutage ja niemand mehr die Kaiken braucht, liegt so manches angefangene Schmuckstück einfach am Wegrand. Und die Werftbesitzer – seelig-lieblich-wohlig gefangen in griechischem Klein-Klein – vermieten einfach ihren knapp bemessenen Platz an Bootsbesitzer. Und so beschließe ich noch am Nachmittag, mit LEVJE genau hierher zu tuckern, mitten hinein in dies Chaos, und mein Glück zu versuchen, hier, wo nichts, aber auch gar nichts aussieht nach einem freien Liegeplatz.
 


 
Und so verschlägt ein launenhaftes Schicksal mich im Hafen von Spetses zum alten Kostas. Der betreibt die Betonmole im engen Hafen, genau gegenüber der weißen Autofähre. Aber: was heißt denn schon „betreiben“? Kostas hat Platz, wo kein Platz ist. Toiletten, Waschgelegenheit? Gibts nicht. Landstrom? Auch nicht. Wasser? Da bringt Kostas einfach seinen schönen blauen Schlauch und schließt ihn irgendwo an einer geheimen Öffnung an, die nur er kennt. Duschen? „Use the shower of your boat“, sagt George, der aussieht wie Kojack und mit seinem Boot neben mir liegt. Sportboot-Marina la-Spetses: Die Fischerboote liegen in zwei, drei Reihen links an der Mole. Und LEVJE wird irgendwo vorne am Molenkopf reingequetscht. Nach zähem „den-armen-Kostas-nerven“ habe ich es auch geschafft, eine von Kostas drei Murings zu ergattern. Denn meine Ankerwinsch will nicht mehr, wie ich will, und um sie zu reparieren, brauche ich einen sicheren Halt. Und für den Morgen ist Starkwind im Hafen angesagt.
 
Und weil das Leben auf Spetses ja voller Überraschungen ist, drum dirigiert Kostas eine der am Abend hereindrängenden Superyachten dahin, wo ja eigentlich nun überhaupt kein Platz mehr ist: Nämlich im Foto oben genau rückwärts an die Spitze seines Molenkopfes.
 

Also liegt plötzlich die BILMAR Zentimeter neben LEVJE. Der Auslass der sirrenden Klima-Anlage ist so groß wie LEVJEs Fock. Ich schaue die stählerne Wand drei Stockwerke hinauf, auf die Brücke. Die BILMAR: 376 Tonnen Gewicht (LEVJE: 3,76 Tonnen), 43 Meter Länge (LEVJE: 9,40 Meter) und 10 Meter Breite (LEVJE: 3,05 Meter), der Eigner der BILMAR ein echt chicer Endfünfziger im feschen Marine-Style (LEVJE-Eigner: steht gerade halbnackt auf der Pier, duscht aus seinem Wasserkanister, die Shampoo-Flasche knallt zum dritten Mal aufs Pflaster).

Vielleicht ist dies ja der Zauber von Spetses, oder einer davon: Reich und arm. Eng beieinander. Zumindest für ein paar Wochen im August.

 

Die vergessenen Inseln: Monemvasia. Am Tag.

Übers Meer sind es nach Monemvasia nur drei Stunden vom Ak Maleas, dem Kap der Stürme, der Südost-Spitze des Peloponnes. Und von Kithira im Süden acht. Und von Kreta 18. Monemvasia, der Felsen mitten im Meer mit der Stadt, über den ich gestern schrieb, liegt günstig, gleich ob man von Ost nach West oder Nord nach Süd will. Entsprechend groß ist auch der Traffic auf dem Meer. Tanker die kreuzen. Containerschiffe, die am Ak Maleas den Kurs ändern, Kreuzfahrtschiffe auf dem Weg vom Bosporus nach Olympia. Es lohnt sich, an dieser Ecke die App von MARINETRAFFIC laufen zu lassen, um auf dem iPAD zu sehen, wer da gerade wohin will, um zu vermeiden, dass LEVJE und ich gerade dumm im Weg irgendeines dahinrauschenden Ozeanriesen herumstehen.

                                                          Weiterlesen bei: Monemvasia. Die Nacht am Meer. Hier.
                                                          Weiterlesen bei: Kithira. Wo Aphrodite dem Meer entstieg. Hier.

Der Fels von Monemvasia: Keine zwei Kilometer lang und wohl nur ein Viertel so breit. An der Südseite, wo der Hang mit 45 Grad ins Meer abfällt: da bauten die Byzantiner ihre Stadt, die an dieser Stelle sicher nicht die erste war. Und sie nannten sie „Moni Emvasi“, „Einziger Zugang“, denn auf die Insel kam man nur über eine 14bogige Brücke, ich schrieb im gestrigen Beitrag darüber.

Vom Meer hinauf zur Felswand sicherten sie ihre Stadt „Moni Emvasi“ mit Stadtmauern, die steil vom  Meer hinaufsteigen. Und ganz oben, auf der Krone, dem Plateau des Felsens, mit einer Festung, die nur über einen einzigen Weg zugänglich ist. Und wüßte ich nicht ganz genau, dass „Helm’s Klamm“ in Tolkien’s HERR DER RINGE ganz woanders liegt: Ich würde hier, genau hier denken: Ich stünde davor, so verschlungen, so verschachtelt, so uneinnehmbar mutet auch heute noch der Zugang an.

Eine Weile war „Moni Emvasi“ Dreh- und Angelpunkt in den Plänen der frühen Byzantiner, das römische Reich zurückzuerobern von den Horden der Völkerwanderung, denen kein Limeswall und kein Alpenkamm zu hoch war, um nicht aus allen Ecken über das römische Europa hereinzubrechen. Was den Peloponnes, was Süditalien anging, gingen diese Pläne zunächst auf. Aber bald war Byzanz zu kraftlos, geschwächt in innere Zwistigkeiten verstrickt und konnte nicht einmal Monemvasia vor weiterer Verwüstung und Verheerung bewahren. Die Stadt war auf sich allein gestellt, bis sich Venedig der Felseninsel im 13. Jahrhundert annahm, nicht uneigennützig, wie immer, und nur bedacht, was sein Reich auf dem Meer, den „Stato da Mar“ von der Adria bis zum Bosporus mehren und sichern könnte.

Die Stadt unter dem rötlichen Felsen gedieh. Monemvasia verlieh dem wichtigsten Mittelalterlichen Wein seinen Namen, er hieß  nur „Malvasier“, weil er hier verladen und nach Nordeuropa verschifft wurde. Venedig baute Kirchen in Monemvasia, noch heute steht fast eine an der anderen und sei es nur als Ruine. Selbst, als die Stadt dann öfter den Besitzer wechselte und von den Venezianern an die Türken und von den Türken wieder an die Venzianer und wieder zurück ging: die Kirchen blieben, als wollte man den heidnischen Geist ausräuchern an jeder Ecke mit Weihwasser und Weihrauch und Sanctus.

Monemvasia: ein Ort der verwinkelten Gassen, in denen man sich leicht zurecht findet, weil die Stadt auf steilem Grund steht: Der Stadtplan kennt nur „nach rechts“, „nach links“, „nach oben“, „nach unten“: ein Labyrinth, das keines ist, die winkeligen Wege führen von Kirche zu Kirche. In der kleinen Basilika sitze ich ein Weilchen. Es war ein traumhafter Moment letztes Jahr: Die alte Küsterin, die die abgebrannten Bienenwachskerzen einsammelte, summte leise, leise einen gregorianischen Choral, ein leises Summen, das im Tonnengewölbe hallte, der Schlag eines Schmetterlingsflügels hier in der Kirche gegen den Lärm der Welt. Wenn ich ehrlich bin: wollte ich ja nur das wieder erleben. Aber wir sind ein Jahr weiter. Die Welt: Sie ist nicht stehengeblieben, sie hat sich weitergedreht. Statt der alten Küsterin ist es nun eine junge Frau, die die Bienenwachs-Kerzen, kaum dass sie entzündet, wieder herausnimmt und wegwirft. Als ich sie frage, nach der alten Frau, mehrfach, versteht sie mich nicht. So bleibt mir nur, für die alte Küsterin mit dem Choral zu beten, dass die Welt es gut gemeint hat mit ihr.

Und vielleicht ist es ein bisschen so auch mit Monemvasia heute: Die Stadt, sie verjüngt sich ständig. Der gelungene Relaunch einer Stadt, die noch vor 40 Jahren von Altern und Aussterben bedroht war, weil gerade noch ein paar Handvoll Leuten in den alten Mauern lebte. Heute: Einladende Hotels, kleine Bars, alles geschmackvoll, selbst die Kreuzfahrtschiffe ankern wieder auf der Reede und bringen mit kleinen Rettungsbooten im Pendelverkehr ihre Gäste an Land, auf die Felseninsel.

Mich aber treibt es aus den Mauern hinaus, auf abgelegene Wege, uralt, von wem auch immer zwischen den Felsen mit Meisseln hindurch geschlagen. Es ist ein alter Weg, der aus dem westlichen Stadttor genau unter dem Felsen entlang in die Abendsonne führt. Wieder einmal streift mein Fuß über Unmengen von Tonscherben, 1.500, 2.000, 3.000 Jahre, die da vor mir auf dem heute selten benutzten Weg liegen.

Der felsige, alte Weg im Abendlicht, hoch über dem Meer, ich könnte ihn ewig gehen in meinen Flipflops im Licht des Abends. Und bevor ich jetzt schon wieder in Jubel ausbreche: Wie schön die Felseninsel im Licht der untergehenden Sonne aussieht, verweise ich jetzt einfach auf meinen letzten Post. Denn der handelt ja nur von einem: Wie sie aussieht, die vergessene Insel: Wenn die Nacht hereinbricht. Über Monemvasia.


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Vom Autor von MARE PIU: 

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Die vergessenen Inseln. Monemvasia. Eine Nacht am Meer.

Zu den schönsten unter den vergessenen Inseln gehört ganz sicher Monemvasia vor der Ostküste des Peloponnes. Ein Felsen, der im Meer liegt, an den sich eine mittelalterliche Stadt schmiegt, jahrhundertelang nur erreichbar über eine Brücke, deren Mittelteil aus Holz bestand und das die Einwohner im Gefahrenfall einfach hochzogen. Und damit war die Insel – wieder eine Insel.

 

Das ging so, bis die Insel um die Jahrhundertwende verwaiste. Und 1971 gerade noch 31 Einwohner zählte. Heute ist Monemvasia wieder „in“: Cafes, Galerien, Tavernen haben in den alten Mauern geöffnet, die Straße entlang des Felsens hoch zur autofreien Stadt ist vollgeparkt bis in die Nacht. „Wir sind nichts ohne ihn“, sagt die Besitzerin der Taverne, die eigentlich aus Kanada stammt, aber seit Jahren hier in der Heimat ihrer Eltern glücklich ist, und deutet mit dem Kopf hinüber ins Dunkel zum Felsen, zur alten Festung von Monemvasia.

Womit wir dann auch beim Thema wären: Der Nacht über Monemvasia. Wenn die Sonne hinter den Bergen des Peloponnes versinkt, dann werfen die Berge ihre Schatten auf den Felsen von Monemvasia. Sie klettern höher und höher am Felsen von Monemvasia, bis die Insel schließlich vollkommen im Dunkel liegt.

Das geht ganz schnell – es dauert keine halbe Stunde vom ersten Schatten am Fuß des Felsen bis zum letzten Zipfelchen Abendröte oben.

Wenn die Nacht fällt, im Sommer, am Meer: Das ist kein gleichmässiges Verdunkeln des Himmels, wie wenn man eine Lampe herunterdimmt. Dämmerung – das ist ein Theaterstück in mehreren Akten. Da gibt es schnelle Akte und dramatische. Und langsame.
Schnell liegt der Felsen im Schatten. Aber dann liegt er lange, lange im Abendlicht, ein schartiger Klotz vor hell erleuchtetem Abendhimmel, während unten, in den Häusern, die ersten Lichter angehen.

 

Vielleicht ist dies das Beständigste an einem Sommerabend am Meer: Wie lange der Himmel sich in Helligkeit hüllt. Kein schnelles Fallen des Dunkels, als ob die Welt unter ein großes Handtuch geriete. Der Himmel: er bewahrt lange, lange sein Leuchten, auch wenn der Rest schon im Dunkel liegt.

 

Und dann, irgendwann: geht alles doch ganz schnell: Das Licht des Tages schwindet. Die Lichter der Nacht kommen: Die Lichter des kleinen Vorortes, die Lichter der Tavernen, die die Nacht zum Tag machen und die der Fels und das Meer von Monemvasia begierig spiegeln, fast wie ein Feuer. Und: die Sterne im tiefen Dunkelblau über uns.

Die Nacht am Meer: Ein Schauspiel.

 

Die vergessenen Inseln: Kythira. Wo Aphrodite dem Meer entstieg.

Woher sie nun wirklich kam, weiß niemand zu sagen. Irgendwoher aus den Tiefen von Zeit und Raum, den unermesslichen Meerestiefen der Menschheitsgeschichte, aus denen Mythen aufstiegen, Blasen gleich, zur Oberfläche, die „Gegenwart“ heißt. Mythen, die sichtbar werden in Geschichten. Mündlich weitergegeben von Generation zu Generation, gedreht und gewendet, umgedichtet, umgedeutet, neu erzählt. Doch im Kern immer dieselbe Geschichte.

Wann und wo entstand ein Abbild eines weiblichen Wesens als Förderin allen Wachsens?
Wann und wo begann die Anbetung einer Frau als Gebärerin?
Mit der Venus von Villendorf, um das Jahr 25.000 vor Christus aus einem faustgroßen Kalksteinbrocken verfertigt, gesichtslos und üppig schön, Muttergottheit? Die es nicht nur einmal gibt, sondern gleich vielfach, wie die große Steinzeit-Ausstellung in Stuttgart Anfang unseres Jahrtausends zeigte?
Begann es mit Ishtar, der wichtigsten Göttin Babylons um 3.000 vor Christus bis in die Jahre der Griechen, zuständig für Krieg und sexuelles Begehren gleichermaßen, für Wachsen und Gedeihen und Verkümmern und Vergehen? Verehrt in Hymnen, ihr Symboltier, der Löwe, angebracht am großartigen Ishtar-Tor, an dem jährlich im Berliner Pergamon-Museum Hunderttausende vorbeischreiten? Und die der Hymnus besingt:

„05   Sie voll schwellender Kraft // mit Liebreiz bekleidet
06   geschmückt mit geschlechtlicher Kraft, // Verführung und Fülle.

14  Das Schicksal von jedeinem // hält sie in der Hand,
15   in ihrem Anblick ist geschaffen Frohsinn,
16   Lebenskraft, Gesundheit, Lebensfülle, Schutz!

17   Über Geflüster, Erhörung // Liebeserweisung, Güte
18   und Zustimmung verfügt sie.
19   Das Mädchen, das ausgesetzt wurde // findet in Ihr eine Mutter.

25   Grausig ist sie unter den Göttern // ist übergroß ihre Stellung
26   Gewichtig ist ihr Wort, // und über diese ist sie mächtig.
27   Ishtar: Unter den Göttern // ist übergroß ihre Stellung.“
(zitiert von: UNIVERSITÄT DUISBURG-ESSEN, INSTITUT FÜR EVANGELISCHE THEOLOGIE unter  https://www.uni-due.de/~gev020/courses/course-stuff/meso-ishtar-hymn.htm)

Oder: Beginnt es mit Astarte, Göttin der Syrer, der Phönizier und anderer westsemitischer Völker an der Küste des heutigen Syrien, Libanon und Israel? Die Astarte verehrten als Himmelskönigin und Liebesgöttin? Mein guter Herodot dachte sich das so jedenfalls, dass damit alles begann, mit den Männern aus Thyros, den Phöniziern, die nach dem großen Zusammenbruch der alten Reiche um das Jahr 1.000 wieder begannen, als Händler das Meer Richtung Westen zu befahren. Sie waren es, sagt Herodot in seinem ersten Buch, sie, „Phoiniker, also Bewohner jenes syrischen Landes“, die die „Tempel auf Kypros von Askalon aus gegründet … und wie man auf Kypros selber zugibt, den Tempel in Kythera“ gegründet haben (Herodot I, 105).

Schenken wir also, während ich LEVJE von Süden, von Kreta kommend, auf die Insel Kythira zusteuere; schenken wir also Herodot für diesmal Glauben, auch wenn die archäologischen Beweise für seine Version bislang fehlen: Dass hier, genau hier auf Kythira, Aphrodite dem Meer entstieg. Botticelli hat sie so gemalt, sie, die später bei den Römern Venus hieß. Aber so schön, wie sich die italienische Renaissance das ausmalte, lief das nicht. Der Gründungsmythos, und hierin entspricht er ganz der mörderischen, kriegerischen Welt der Bronzezeit läuft, wesentlich grausamer. Unversöhnlicher. Kronos war es, Sohn der Gaia und des Uranos, der Erde und des Himmels, der seinem Vater auf Anstiftung der Mutter mit einer Sichel das Gemächt abschnitt. Und es hinter sich ins Meer warf. Eben jener Kronos, der aus Angst, selber entmachtet zu werden, die eigenen Kinder auffraß, auch den Demeter. Nur eines der Kinder überlebte, weil Kronos Frau es vor ihm im Gebirge auf Kreta, nicht weit von hier, keine 50 Seemeilen,  versteckte: Zeus. Aber auch da sind wir noch nicht mit unserer Geschichte.

Sondern bei dem, was Kronos verächtlich ins Meer geworfen hatte. Das brodelte und gischtete im Meer, und brandete und schäumte, der Same des Uranos, der sich mit dem Meer verband. Und dem Geschäume entstieg, so überliefert es Hesiod, Aphrodite. Zum Umfallen schön wie weiland Bo Derek. Und stieg ähnlich wie Bo Derek an Land, hier auf Kythera. Und später auf Zypern.

 

Was aus all dem wurde?

Kronos?
Natürlich überwand ihn sein Sohn Zeus, als er vom Honigwein berauscht dalag. Als Zeus ihn band, spuckte er alle Kinder, die er zuvor gefressen hatte, wieder aus: Hera und Demeter, Poseidon und… Zeus aber steckte Kronos auf eine abgelegene Insel, die Elysischen Gefilde. Und da, so geht der Mythos, lebt Kronos noch heute.

Aphrodite?
Sie legte eine unglaublich steile Karriere hin. Als Liebhaberin, als Göttin, als Model. Als Liebhaberin, weil sie chronisch untreu war. In die Liste ihrer außerehelichen Amouren – verheiratet war sie nämlich auch, mit Hephaistos, dem Schmied, aber der reichte ihr nicht – gehören ettliche prominente Namen, das „Who-is-who“ der griechischen Mythologie. Ares, der Kiregsgott, zum Beispiel. Dem jungen Paris verdrehte sie den Kopf, als der sich unter den drei Göttinen für sie als Schönste entschied – was ihm schlecht bekam. Oder der Trojaner Anchises, ein Irdischer. Aus dieser Beziehung entstand Aeneas, einer der wenigen, die den Untergang Trojas überlebten. Und als Gründer Roms dann auch gleich der Ahnherr von Julius Caesar selbst wurde.
Als Göttin machte sie Karriere, weil die Griechen sie als vielerlei verehrten. Als Himmelsgöttin und Symbol für die überirdische Liebe. Aber auch als Symbol für das irdische Begehren, Göttin der Hetären, als Porné, „die Kitzlerin“. Als Männermordende und Dunkle. Aber auch als Beschützerin der Seefahrer.
Und die Römer? Sie steigerten diese Verehrung noch einmal, indem sie einfach in heilloser Griechen-Verehrung aus Aphrodite Venus machten, eine Göttin für ein Weltreich, das das gesamte Mittelmeer umfasste. Ein Symbol für Jahrtausende.
Als Model machte Aphrodite aber die größten Furore. Botticelli! Watteau! Die Venus von Milo! Die weniger bekannte Venus von Knidos, geschaffen vom unglaublichen Praxiteles! Beide sind noch heute erhalten und können im Internet bestaunt werden. Und von der Venus von Knidos geht die Geschichte, dass die Stadt, über die ich in einem früheren Post schrieb, einst so verschuldet war, dass ihr der Gläubiger anbot, alle Schulden zu erlassen: Wenn sie nur die schöne barbusige Marmorstatue ihm überliessen.
Es spricht für die griechischen Bewohner von Knidos, dass sie genau das nicht machten. Und lieber ehrenhaft ihre immensen Schulden abbezahlten.

 

Kythira?
Ist irgendwie ein Geheimtipp unter meinen vergessenen Inseln. Irgendwie tatsächlich vergessen, das Inselchen gleich südlich des Peloponnes. Und auch Kythira hat seine schöne Tochter fast vergessen, fast. Nur ein einziges Hotel hier in Kapsali, dem netten verträumten Hafenstädtchen unter der venezianischen Festung, heißt nach ihr. Vergessen also – fast. Wären da nicht all die Anbeter der Aphrodite, die von Kreuzfahrtschiffen wie der CLUB MEDITERANEE 2 hierher an Land kariolt werden mit dem der Durchsage des Bordfunks: „Welcome in Kythira. Where Aphrodite was born!“
Aber das kann Kythira ganz locker ab.

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Vom Autor von MARE PIU:


Ein Mann verliert seinen Job.
Aber statt zu resignieren, begibt er sich einfach auf sein kleines Segelboot.
Und reist in fünf Monaten: Von München nach Antalya.

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