Kategorie: News & Blogs

SV El Toro – Christian Schiester + Daniela Bärnthaler AT

WAS IM LEBEN WIRKLICH ZÄHLT

Christian Schiester

SV Squatina – Joergen Holmbo DK

NACH 20 JAHREN HAT DER WINDPILOT SICH DAS BEIN GEBROCHEN

Wann immer ich eine BOWMAN 46 CC sehe, frage ich mich, warum solche Schätze nur noch Hand verlesen vorhanden sind, denn die Linien sind Wohltat und Honig zugleich für Augen und Seele. Leider kann man in derartige Schiffe keine Ikea Möbel oder Einbauküchen montieren, weil Schönheit aussen, drinnen ihre Konsequenzen hat.

Joergen hatte mich von Horta auf den Azoren angerufen, er wollte nach vielen Jahren der Bequemlichkeit unter Windpilot, keinen Meter mehr selber am Ruder stehen. Aber sein Windpilot war krank, hatte sich das Bein gebrochen. Es sollte schnell gehen – GANZ SCHNELL. Das haben mit Hilfe portugiesischer Flugmaschinen fast über Nacht geschafft. Rudermontage ging flott, der Anker wurde zeitgleich an Deck geholt … und Joergen ist zwischenzeitlich in der Heimat eingetroffen … aber die Fotos von seinem schönen Schiff brennen mir immer noch in den Augen.

SV El Toro – Christian Schiester + Daniela Bärnthaler AT

WAS IM LEBEN WIRKLICH ZÄHLT

Christian Schiester

Der Himmel über Peniche.

Seit Mitte Mai folge ich nun einhand segelnd für mein neues Buch den Küsten und Inseln West-Europas. Von Sizilien zu den Balearen. 
Über Südspanien durch die Straße von Gibraltar nach Portugal. 
Und entdecke immer wieder Orte, von denen ich nie zuvor etwas hörte. 
Doch vielleicht ist gerade das das Geheimnis.

Es mag weiß Gott schönere Städte geben in Portugal als Peniche. Das wehrhafte Obidos, ein paar Kilometer landeinwärts. Coimbra. Doch mir gefiel Peniche von der ersten Sekunde an. Ich fühlte mich zuhause. Es war, als wäre ich hier in der Bretagne angekommen. Der kleine Flusslauf mit seinen Schleusen vor der Stadtmauer. Die einfachen Bistros und Cafes entlang der kopfsteingepflasterten Hauptstraße. Der rauhbeinige Charme des Fischereihafens östlich der Marina, über dem werktags  eine Sirene heult, ganz wie über der Ziegelei in dem kleinen Ort im Schwäbischen, wo ich als Kind meine Ferien verbracht hatte. Das Schreien der Möwen, die endgültig hier an diesem Ort anders lärmten als noch ihre schmächtigeren Vettern drüben im Mittelmeer. Ein Geschrei, das mir unmissverständlich sagte, dass ich angekommen war im Atlantik. 

Vor allem aber hatte es mir gleich nach meiner Ankunft der Himmel über Peniche angetan. Duftige Wolken, die gleich Landschaften über dem Ort im blauen Leuchten des Abendhimmels über dem Kastell schwebten, um sich dann irgendwo in der Weite des Blau zu verlieren. Sobald die Leinen fest waren, nahm ich meine Kamera. Und ging auf die Jagd, ohne zu wissen, wohin sie mich führen würde.

Kaum, dass ich das rostige Gitter des Hafens hinter mir gelassen hatte, stand ich auf der Pier und schaute auf den Ort. Ein fast bretonisches Gewirr kleiner Häuschen, die sich in Reih und Glied den schmalen Hügel bis zum wuchtigen Kirchturm hinaufzogen. Einfache Restaurants und Tavernen, die alles andere versprachen als ein 5 Sterne Menü. Ein alter Fischer, der an der Festungsmauer lehnte

und blaue Handzettel für ein Restaurant mit dem Namen eines Fisches verteilte, während ich den Hügel hinauf strebte, um nur ja den besten Punkt, den günstigsten Moment zu erwischen, in dem der Himmel besonders Blau und die Wolken besonders mächtig waren.

Warum bewegt uns ein Anblick, ein Bild? Welche Zahnräder, welche Säfte setzt unser Hirn beim Anblick des tiefen Blau und der Weite in Bewegung, dass das aufkommt, was wir „Begeisterung“ nennen und „Staunen“, zwei der wertvollsten Gefühle, die ich kenne und die man nur allzu leicht im Geschiebe und Getriebe immergleicher Tage verlernt?

Zum Zauber des Reisens gehört die Gabe der Begeisterung. Und ein Stück Nicht-Wissen. Nicht zu wissen, was Dich erwartet, wenn Du eine Stadt betrittst, als wärest Du ein Entdecker aus einer anderen Welt. 

Als ich ankam, wusste ich nichts über Peniche – außer dass mir der Klang dieses Namens gefiel. Peniche, das man weich mit kurzem e und dafür mit endlos langem i aussprach: P’nie:sch. Ich wusste nicht, dass der Fluss mit den Schleusen vor der Stadtmauer kein Fluss war, sondern der Rest eines Meeresarms, der davon erzählte, dass Peniche noch vor ein paar hundert Jahren eine Insel gewesen war. Dass Peniche im Grunde ein Anhängsel der vor der Stadt liegenden Inseln der Berlenguas war. Ich hatte keine Ahnung, dass die Stadt einst wie heute vom Sardinenfang lebt und die zweitgrößte Sardinenflotte Portugals im Hafen liegen hatte. Scheinbar verlassen und vergessen, wie der alte Ort am Abend vor mir lag, hatte ich noch nicht begriffen, dass Peniche von zwei Arten Schwärmen lebt: Den Sardinen- und den Besucherschwärmen, letztere kamen der Sanddünen wegen hierher und 

wohnten in den großen Hotels am langen Sandstrand südlich der Stadt. Ich hatte keine Ahnung, dass die verlassen daliegenden kleinen Häuschen in respektvollem Abstand zur Festung die einstigen Behausungen der Fischer waren, die in diesem ärmlicheren Viertel der Stadt gelebt hatten. Wer mit dem Boot in einer Stadt ankommt, hat stets das Glück des Ahnungslosen, der seine Bekanntschaft mit der schönsten Seite eines Orts macht. Oft ist wie bei der ersten Begegnung der Anflug des Verliebens, der Moment, in dem man nicht mal mehr bemerkt, dass man sein Gegenüber aufmerksamer und aufmerksamer betrachtet, darin versinkt und sich selbst vergisst.

Und manchmal erzählen Mauern etwas über ein Leben. Wie so viele Befestigungen an Portugals Küste verdankt die Mauern von Peniche ihre Entstehung einem Engländer. Sir Francis Drake, der Held meiner Kindertage, war in den 1580ern an dieser Küste unterwegs. Auf der Suche nach einem Stützpunkt, um der spanischen Armada gleich vor ihren Heimathäfen zu begegnen, damit sie gar nicht erst Englands Gewässer erreichen könnte. Zerstörend, weil er den Feind schädigte, wo er es nur konnte und nach und nach eine Art persönlichen Krieg gegen Philipp II. von Spanien und seine Statthalter nicht nur in der Neuen Welt führte. Plündernd, weil es vor allem ums Geldverdienen ging. Er war Unternehmer, genauer gesagt: Freibeuter, der mit dem Kaperbrief ihrer Majestät, doch vor allem mit dem Geld seiner Investoren der Londoner City etwas Gewinnbringendes anstellen musste. Am Interessantesten waren da natürlich die Transporte aus den Gold- und Silberminen Südamerikas nach Spanien. Er griff sie sich, wo er konnte: In der Karibik. Im Pazifik vor der Küste Südamerikas auf seiner Weltumsegelung. Und hier, vor  der Küste Westspaniens und Portugals, in Cadiz. Vor Cabo São Vicente oder vor Lissabon.

Die Kolonialmacht Spanien wirklich aus dem Geschäft drängen? Dafür reichten seine Kräft nicht. Aber den Beginn der Seemacht Großbritanniens markieren. Und dafür sorgen, dass Spanien – um den ungeheuren Gold- und Silberstrom aus Südamerika nicht zu gefährden, seine Küsten schützen und viel Geld für die Sicherung der Transporte ausgeben musste und den Handel empfindlich zu stören: Das konnte er. Und das tat er hingebungsvoll bis an sein Ende.

Und Peniche? Ich werde ein paar Tage bleiben. Und den Geheimnissen des Ortes weiter nachspüren.

SV Lusi – Mike George NZ

CIRCUMNAVIGATION DONE – 33.000 SM

Hello Peter,
We are now nearing New Zealand (3 months & 2000 miles to go) and our Pacific windvane has worked very well since we bent the pushrod off South Africa. It has steered us 33,000 miles around the world, in 3 years, to this point.
Best regards
Mike George – SV Lusi

SV Lusi – Mike George NZ

SV Bajka – Ela + Lukas + Nael + Ilian Erni CH

OVNI 435 VON LE HAVRE NACH TAHITI

Lieber Peter,
Nun haben wir schon den Atlantik und den halben Pazifik überquert und der Windpilot namens Petterson steuert unser Boot tip top. Wir sind begeistert und es macht Spass ihn und das Boot einzustellen.

Wir sind überrascht, dass es immer noch Cruiser gibt, die ohne Windsteueranlage unterwegs sind. Dafür klagen sie darüber, dass sie den Motor laufen lassen müssen, um die Batterien zu laden :=).
Nun haben wir endlich den Film über die Installation des Windpilotes auf unserer Ovni mit Badeleiter fertig. Die Idee mit der Deckelmontage hat prima funktioniert.

Die Montage auf dem Deckel der Badeleiter hat sich bestens bewährt.
Gruess aus Tahiti
SY Bajka
Ela, Lukas mit Nael und Ilias

MONTAGE DER WINDPILOT
BAJKA BLOG

SV Lusi – Mike George NZ

CIRCUMNAVIGATION DONE – 33.000 SM

Hello Peter,
We are now nearing New Zealand (3 months & 2000 miles to go) and our Pacific windvane has worked very well since we bent the pushrod off South Africa. It has steered us 33,000 miles around the world, in 3 years, to this point.
Best regards
Mike George – SV Lusi

SV Lusi – Mike George NZ

Istvan Kopar

DIALOG MIT DEM HERSTELLER FEHLANZEIGE

Istvan Kopar

Antoine antwortet – Istvan nicht

DIE DINGE KOMMEN IN BEWEGUNG

Public dialog

Unter Segeln: Nachts nach Lissabon. Der widerspenstige Fluss. Die Stadt. Und ihre Musik.

Seit Mitte Mai segle ich nun für mein neues Buch entlang den Küsten Europas. Von Sizilien zu den Balearen. Über Südspanien durch die Straße von Gibraltar nach Portugal.
Und jetzt von Sines nach Lissabon. Doch die Route hat ihre Tücken.

Wieder einmal hate ich die Gezeiten unterschätzt. Oh ja: Diesmal hatte ich meinen Tidenkalender studiert. Niedrigwasser in Lissabon um 23.45 Uhr. Das hieß: Bis dahin starker Strom genau gegen mich aus der Stadt hin zum Meer. Ab Mitternacht alles still und keine Strömung mehr. Deshalb hatte ich auch meine Ankunftszeit auf kurz vor Mitternacht verlegt. Und mir einen Hafen ausgesucht, bei dem ich nicht mühevoll gegen den Ebbstrom flußauf motoren müsste. Die Marina von Oreias schien mir am geeignetsten. Nicht so weit von Lissabon entfernt wie das westlich gelegene Cascais. Zudem konnte ich nach Oreias meinen Nordkurs einfach beibehalten und einfach vor Mitternacht den fallenden Strom des Tejo queren. So hatte ich mir das jedenfalls gedacht.

Vor dem Tejo legte der Wind in der Dunkelheit zu. Nicht viel. Nur 15 Knoten. Doch das reichte, um den auslaufenden Ebbstrom der vier Kilometer breiten Mündung in ein gischtendes Gebrodel zu verwandeln. Wind gegen Strom, hatte mir vor Jahren ein italienischer Segler erzählt, der seine Hallberg-Rassy von Southhampton ins Mittelmeer überführt hatte, das könne „lethal“ sein. Tödlich. So schlimm war es nicht, doch beeindruckend allemal, wie die 15 Knoten Brise, die mich den Nachmittag und Abend bis Lissabon geschoben hatten, plötzlich dass braune Flusswasser zu einem wirren Mix aus Strudeln, Zipfelmützen, aufgeworfenen Wellen und an der Bordwand brechenden Wogen werden ließen, dass Levje trotz Vollzeug von einer Seite auf die andere geigte. Und ein ums andere Mal von einem Strudel aus dem Kurs gedreht wurde. Verstärkt wurde das Ganze durch ein Flach, dessen mittendrin liegendes Leuchtfeuer der Insel Bugio war mir ein Trost in der Dunkelheit, während ich den Tejo und damit auch das Fahrwasser der Großschiffahrt im rechten Winkel zu kreuzen suchte. Prompt kam von linkss ein Containerfrachter auf, er tat sich leichter als ich, gegen den Strom anzumotoren, und eh ich mich versah, war der schwarze Bug bedrohlich groß und die sieben hell erleuchteten Stockwerke der Aufbauten bis auf eine halbe Meile an Levje heran. 

„Jetzt aber fix“, rief ich mir zu, während ich den Zündschlüssel drehte und richtig Gas gab, obwohl wir mit vollen Segeln liefen. Ich hatte Glück, denn auch der Frachter drehte beim Leuchtfeuer Bugio nach Süd, ich war aus dem Schneider. Doch kaum das Fahrwasser gequert, kam die nächste Herausforderung. An der Nordseite des Tejo, in Sichtweite der Marina Oreias, setzte der Strom besonders stark. Die Maschine lief. Die Logge zeigte knapp vier Knoten Fahrt durchs Wasser. Doch das GPS zeigte 0 Knoten über Grund. Wie jetzt?! Das Wasser rauschte doch an der Bordwand entlang? Ich gab mehr Gas. Langsam kam die Anzeige. Bei normaler Marschfahrt hatten wir endlich jämmerliche 2 Knoten auf der Logge. Beeindruckend, welche Kraft der über 1.000 Kilometer lange Tejo an der Mündung entwickelt. Ich machte mir Sorgen, wie ich das gewundene enge S der Einfahrt in die Marina Oreias nehmen könnte – zeigte es doch genau in die Strömung. Zwei Mal tief durchatmen. „Du schaffst das! Du wirst jetzt nicht Deine Levje auf die Kaimauer setzen. Denk nach, wie Du’s machst!“ Ich nahm Anlauf. Levje schoß mit sieben Knoten auf die enge Einfahrt zu. Um dem wirbelnden Strom zu entgehen, beschloß ich, die Fahrt im Schiff zu halten und die Einfahrt mit Speed frontal anzusteuern. Noch zehn, noch fünf Meter. Da, die brutal hohe Steinschüttung links und rechts. Hart Ruder nach links, auf die Steuerbordmole zu. Jetzt gibts kein Zurück mehr. Kurz vor der Steuerbordmole hart Backbord auf die Backbordmole zu. Ich erwischte in der Strömung genau die Mitte der Einfahrt. Verflixt eng ist das. Oder scheint es mir jetzt um Mitternacht nur so? Jetzt wieder Steuerbord, dem S folgen. Und plötzlich – Windstille! Und kein gischtender Fluss mehr, sondern Stille. Reglose Stille wie auf einem Dorfteich. Ich war in der Marina. Und deren Vorhafen war tatsächlich kaum größer als ein Dorfteich. Schnell stoppte ich Levje auf. Da hinten am Steg F leuchtete eine Taschenlampe auf. Da war Miguel, der Marinero, mit dem ich telefoniert hatte, ob ichs wirklich wagen könnte. Und wies mich ein. Als ich den Motor abstellte, spürte ich ein leichtes Zittern in den Knien. Und unendliche Erleichterung. 

 

Am nächsten Morgen lag die Insel Bugia, deren grünes Leuchtfeuer mir nachts den Weg gewiesen hatte, friedlich in der Mündung des Tejo, die ich in der Nacht zuvor gequert hatte. Als wäre nichts gewesen. Von der Marina aus wandere ich den Paseo da Mar flußaufwärts und dann zur U-Bahnstation. 


Nach vielen Tagen auf See trifft mich die Großstadt wie eine Keule. Auf dem Weg zum nautischen Museum muss ich tief durchatmen. Nach der Weite draussen nun die Enge. Nach dem langsamen Gleiten nun Beschleunigung. Nach dem Anblick von Felswänden und gleichförmigen Wellen jetzt die Welt in all ihrer Buntheit und Geschwindigkeit, die das Hirn lockt und neckt und kitzelt…

Lissabon ist Auf und Ab. Das Bairro Alto, das Ausgehviertel, liegt auf halber Höhe, ich schlendere die Calçada de Combro entlang zur Praça Luis de Camãos, einem der zentralen Plätze. Jede Stadt hat ihre Musik. Man kann sie schon hundertmal gehört haben. Doch nirgendwo entfaltet Musik mehr Kraft als an dem Ort, an dem sie entstand und dessen Lebensgefühl sich in ihr spiegelt. Ein Bodran-Spieler in einem irischen Pub auf der Dingle-Halbinsel. Sinatra im vorweihnachtlichen New York. Vivaldi an einem Nebeltag über den Sestiere Venedigs. Edward Elgars Pomp & Circumstance klingt nirgendwo ergreifender als in Paddingon Station, West London, gespielt nach Feierabend von den Eisenbahnern selbst. Und jetzt, in Lissabon, spült mich eine Band von den Kapverden mit einem Song von Cesaria Evora vor dem Convento do Carmo, dem beim Erdbeben von 1755 verwüsteten Kloster der Karmeliterinnen, einfach weg.

Doch immer ist Steigerung möglich. Eine Bühne im Bairro Alto. Eine Sängerin mit Band, die einfach den Fado singt, bis sich diese Mischung aus Freude und Trauer auch über mich legt, bei der man nie sicher weiß, ob nun das eine oder das andere die Oberhand gewinnen wird. Nichts kann diese leise Trauer und den Mix dieser Stadt aus Europa und Westafrika besser spiegeln als der Fado an diesem Ort.

Golden Globe Race – Antoine Cousot – Istvan Kopar

SPONSORING – EINBAHNSTRASSE – DER RITT AUF DER RASIERKLINGE

Schuldzuweisungen

In den Straßen von Sines. Die Geschichte eines Entdeckers. Und die eines Restaurantbesitzers.

Mitte Mai bin ich in Sizilien aufgebrochen, um einhand 
für mein neues Buchprojekt um die Westküste Europas zu segeln. 
Seit Anfang Juli bin ich in Portugal unterwegs. Und heute in Sines, 
einer Hafenstadt südlich von Lissabon. 

Sines. Als ich von Süden her auf den Ort zusegelte, zeigte er mir erst seine unschöne Seite. Raffinerien vor der Stadt im Südosten. Auf Reede ankernde Tanker und Spezialschiffe, zwischen denen ich Levje hindurchschlängeln musste. Dann durch den weiten Industriehafen, um den eigentlichen Stadthafen zu erreichen. Doch Sines ist, wie mancher Mensch auch, etwas für den zweiten Blick. Der erhabene Felshügel, der den weitläufigen Sandstrand wie ein archaisches Heiligtum in zwei Hälften teilt, geworfen wie Ayers Rock in den Sand. Die Festung oben vor der Stadt, die den Hafen bewacht. Und in der vermutlich jener in Portugal landauf, landab verehrte Vasco da Gama geboren war. Vasco da Gama, der das Kap der guten Hoffnung umsegelt und die Portugiesen erst ins ostafrikanische Mosambik und dann nach Indien gebracht hatte.

Die Sonne war fast untergegangen, als ich mich im Abendwind von der Marina in den Ort oben hinter der Festung aufmachte. Die leere Promenade am Sandstrand entlangging, wo nur ein einsamer Jogger seine Runden drehte und nichts von dem üblichen Getriebe und Geschiebe zu sehen war, das man sonst im Juli an Stränden kennt. Eine schmale Straße nach oben durch Schilfhalme, die sich im Wind wiegten, bis ich vor den Mauern der Festung stand. Auch da lag der Ort bis auf ein paar Touristen verlassen.

Ein paar Schritte weiter stand ich vor einem eigentümlichen Gebäude. Adega de Sines stand darauf. Ob es die eigenwillige Typografie über der Tür war, in der der Schriftzug Adega de Sines prangte, die mich neugierig machte? Oder die in Weiß und Blau aufgemalten Jugendstil-Ornamente im Putz? Oder das Emblem im Dachfirst, das eine Majestät ankündigte wie der Kopfschmuck eines Pharao? Wie der Ort schien auch die Adega de Sines mit dem aufgemalten Wellenmuster einer anderen Epoche anzugehören. Doch die Farben waren frisch. Das Gebäude gepflegt. Nicht sie waren es, die alt waren. Da liebte und pflegte jemand, was Teil eines früheren Lebens gewesen war, als wäre dies frühere Leben immer noch da.

Als ich eintrat, war da ein hoher Raum, in dem zwei Reihen Holztische standen. Zum Sitzen waren kleine Hocker da, aus schwerem Holz, kantig wie Melkschemel. Die mit vergilbtem Marmor verkleidete Rückwand war mit einem Altar bunter Flaschen verziert, deren Etiketten den Eintretenden ebenso erwartungsvoll ansahen wie die Dinge, die sich im Lauf der Jahrzehnte dort oben versammelt hatten, um der Zeit beim Verfließen zuzusehen. Oder nur, um den Gästen der Adega die Auswahl leichter zu machen? 

Doch das war nicht nötig. Die Speisekarte auf der Tafel an der Wand war einfach. „Cabrito“, ein Zicklein aus dem Ofen. „Febra de Letaio“, mageres Spanferkel vom Grill. „Sardinha asada“, gegrillte Sardinen. Und „o frango“. Grillhähnchen.

Als ich schüchtern fragte, wo ich mich setzen dürfte, wies die Wirtin lächelnd mit offener Hand über die Tische. Zwei Pärchen saßen da und aßen. Während ich mir einen Platz mit Blick auf die Altarwand suchte, füllte sich das Lokal. Weitere Paare. Und zehn Schülerinnen nach einem Wettkampf mit ihren Betreuern. Plötzlich war die eben noch leere Adega voller Stimmengewirr. Geschrei aus der Küche hinter der Altarwand, das unter der hohen Decke der Adega hängen blieb.

Adega. Ich sollte erst später erfahren, dass das Wort „Weinkeller“ bedeutet. Wegen des Weins kamen die Gäste längst nicht mehr. Die Adega de Sines steht in der Gunst der Einwohner hoch, und auch die Internetbewerter katapultieren das Lokal in Sines regelmäßig an die Spitze. Das hatte mit dem Mann zu tun, der im weißen T-Shirt und mit abgearbeiteten Händen an einem der Tische saß. Und gelassen auf Gäste wartete. Tag für Tag, Sonntags ausgenommen, steht Luis Delmar Rodrigues am Grill neben dem Fenster zur Straße. Und grillt Sardinen. Doch vor allem „o frango“, jene plattgedrückte portugiesische Variante eines Hähnchenstücks, zu der dann Luis‘ Frau Edite Pommes mit Salat reicht, über die sich die Schülerinnen am Nebentisch dann auch gleich ausgehungert hermachten.  

Vielleicht ist dies das Geheimnis von Sines, was diesen Ort attraktiv macht. Irgendwie bleibt die Zeit stehen an einem Ort wie Sines und in der Adega. Sie ist nicht „hipp“. Und auch nicht „in“. Und doch ein Ort, an dem man gerne weilt, weil die Dinge Geschichten von einem Leben und anderen von Zeiten erzählen.

Für mich also „o frango“ an diesem Abend. Und die Geschichte von Luis, Edite und der Adega de Sines. Sie ist schnell erzählt. 1976 verließ Luis zusammen mit Edite ihre bisherige Heimat Mosambik. So ruhmreich der landauf, landab verehrte Vasco da Gama und seine Entdeckungen waren, so schwer tat sich Portugal in den Siebzigern und Achzigern, von seiner Idee als Kolonialmacht Abschied zu nehmen und seine Kolonien in die Unabhängigkeit zu entlassen. Erst Kriege einer hochgerüsteten europäischen Seemacht gegen die sich militarisierenden Unabhängigkeitsbewegungen. Kaum war die ersehnte Unabhängigkeit da, verheerende Bürgerkriege in den Kolonien. Rechts gegen Links. Ultras gegen Kommunisten. Reiche gegen Arme. Mosambik versank im Strudel. Luis Delmar Rodrigues hatte dort ein Hotel geleitet. Er hat es in den Wirren des Bürgerkriegs verlassen. Die Geschichte will es, dass Luis und Edite ausgerechnet in diesem Sines landeten, dem Geburtsort des Entdeckers von Mosambik, wo ihre ersten Schritte sie vor das alte Weinlokal mit Namen „Adega de Sines“ führten. Das war 1976, vor mehr als einem halben Jahrhundert. Tio Luis, „Onkel Luis“, wie ihn die Einwohner von Sines längst nennen, beschloß, das Lokal zu übernehmen und machte daraus, was es heute ist. Drinnen. Und draußen.

Vielleicht ist dies die tiefere Wahrheit. „Wir sterben nicht, wo wir geboren sind.“ Wir müssen wandern. Unterwegs sein. Und manchmal finden wir unser Glück ganz unverhofft an einem Ort, von dem wir es uns nie zuvor hätten träumen lassen.

Und Vasco da Gama? Auch er starb nicht, wo er geboren wurde. Nicht in Sines. Sondern weit, weit weg. Auf seiner dritten Fahrt nach Indien. Und ausgerechnet dort, wohin er bahnbrechend den Weg hin geöffnet hatte. Seine Entdeckung dieses Weges war, wonach Silicon Valley wie Startups heutzutage gieren und was man neudeutsch eine „disruptive Innovation“ nennt: Eine Innovation, die die bisherigen Marktführer überflüssig macht. Und einfach ersetzt.

Gewürze, Pfeffer, Seide, Weihrauch, Stoffe. Alles, was 4.000 Jahre nur auf dem langen Weg über die Seidenstraße nach Konstantinopel und von dort übers Mittelmeer in die Städte Zentraleuropas gelangt war, erreichte Westeuropa nun auf direktem Weg von Indien aus. Ohne Zwischenhändler. Und nur auf einem einzigem Transportmittel. Einem einzigen Rahsegler, der die Strecke zwischen Indien und Portugal in einigen Monaten zurücklegte.

Vasco da Gama krempelte mit seiner Entdeckung die Welt um. Er machte sein Portugal reich. Und das Mittelmeer, das 4.000 Jahre das Zentrum und die Wiege Europas gewesen waren, zu einer Sackgasse. Die großen Handelsströme: Die liefen ab jetzt anderswo. Und am Mittelmeer vorbei. Mit gravierenden Folgen. Aber das: Ist eine andere Geschichte als die des Luis Delmar Rodrigues. 
Oder doch nicht?