Kategorie: Blogs

Einhand um Malta (III): Entlang an den Dingli-Cliffs.

Man kennt das. Die Westküsten von Inseln haben oft drei Dinge gemeinsam: Vom Wasser aus sind sie felsig.
Steil.
Und langweilig.
Das gilt für Capraia wie für Lefkas im Ionischen Meer wie für Symi in der türkischen Ägäis. Locken kann das nur, wenn es gleich steil auf über 100 Meter ansteigt wie in Irland, in den Cliffs of Moher – unvergesslich.

Also war auch für mich die Entscheidung nicht einfach. Der Blick in die Seekarte verhieß genau obiges. Und obendrein kaum eine Bucht (nur im äußersten Nordwesten eine Handvoll), kein Ort,
nichts, nirgendwo. Hinzu kam der vorhergesagte Südost mit 4-5 bft. Ideal um im Osten hochzugehen, mit schöner Brise auflandig. Im Westen? Ablandig? Böig und unstet? Geh‘ ich linksrum? Geh ich rechtsrum?

Wer weiß: Wenn ich mich nicht so vollmundig hier auf diesen Seiten zur „Umsegelung Maltas“ vergattert hätte: Ich wäre die Ostseite, an der Valetta und die großen Orte liegen, wieder zurückgesegelt. Ich tat es nicht. Sondern fuhr unter Segeln aus Maltas südlichstem Hafen Marsaxlokk (gesprochen: Marsa:hschlokk), Malta’s Industrieviertel, wie es scheint, an den Containerfrachtern vorbei hinaus gen Westen. Und die Westküste zeigte sich erstmal wie angenommen. Felsig. Steil. Und etwas langweilig.

Der Wind brachte Spannung in die Sache. Hätte ich das für diesen Tag verinnerlicht, wäre es einfacher geworden. Er blies brav aus Südost. Wehte dann noch braver genau die Küste entlang, folgte ihr dann brav, selbst als sie nach Norden schwenkte. Frischte brav auf, was dann LEVJE unter Schmetterlingssegeln zu immerhin sportiven acht Knoten trieb. Mir wars zuviel. Ich drehte bei. Reffte zumindest das Groß. Und stellte dabei fest, dass es mit guten 18-24 Knoten blies. Flotte Fahrt, mit dem Wind.

Es waren die Gesteinsformationen, die ab der Mitte mehr und mehr meinen Blick auf sich zogen, als ich nah an ihnen vorüber segelte. Turmhohe Kanzeln, wie aus einem Block gehauen. Grotten und Höhlen. Tief eingeschnittene Kerben, Kare und Schluchten.

Und plötzlich wurde meine Reise nach Norden zu einer sonntäglichen Passeggiata. Einem Spaziergang unter Segeln entlang an Erdzeitaltern, entlang an dem, was man Ewigkeit nennt. Ich bin kein Geologe. Ich habe von Gestein nun wirklich nicht die geringste Ahnung. Sich an den Schichten entlang bewegen, die aus dem Meer aufgestiegen sind und die das Meer freigelegt hat wie das Messer eines Chirurgen, machte mich still. Und staunen.

Und was war nun zuerst? Die dicke Schicht Kalkstein, die irgendein fernes Meer hinterließ aus seinen Sedimenten? Wie ist das: 10 Jahre Sedimente = 1/100stel Millimeter Kalksteindicke? Wie lange braucht es dann, um Sedimente in dieser Dicke aufzutürmen?
Die dünne Schicht Kalkplatten oben darüber? Wann ist das entstanden? Kenne ich die Anzahl von Nullen, die die Jahreszahl haben muss, „vor unserer Zeitrechnung“?

Das schwarze Gestein auf Meereslinie ganz rechts? Riesige Brocken, vielleicht Basalt, ausgespien in der gewaltigen Vernichtung irgendeines Vulkanausbruchs, ergossen glühend aus dem Erdinneren und langsam abgekühlt.
Oder die Schichten hellen feinen Sandes, angeweht, zu einem Hügel aufgetürmt. Wie lange musste der Wind Sand herüber tragen aus den Wüsten Afrikas? Welche Art von Trockenheit, Jahr-Hunderttausendelang, ist notwendig, um einen Sandberg, Sandschichten wie die im Foto zu erschaffen? Und die unter dem Druck, dem Gewicht darüber liegender weiterer Gesteinsschichten zu festem Sandstein zu verpressen, luftdicht, dauerfeucht zu verbacken? Sandstein, aus dem noch heute die Mauersteine heraus gesägt werden, die der Architektur der Insel ihr Gesicht, ihre Farbe geben, weil noch heute jedes Haus auf Malta daraus gebaut ist?

Was ist das für eine Schicht ganz obenauf, rötlich, wabenartig porös, die überallem ganz zuoberst liegt? Waren es ein weiteres Mal berstende Vulkane? Oder wieder jahr-hunderttausende irgendwelche anderen Kräfte, die notwendig waren, die wabenartige rote Schicht zu formen, oben am Grat, von der Trümmer in Hausgröße abbrachen und zum Meer hinunterrutschten?

Vom Land aus ist diese geheime Welt kaum sichtbar. Man muss schon hierher ans Meer kommen. Ich nehme mir vor, beim nächsten Mal, wenn ich hier entlangsegele und der Wind nicht gar so treibend ist, hier anzulanden. Und mir das alles genauer anzusehen. Die Formen, die Wind und Witterung und Wellen in den Sandstein hinein gehaucht, hinein gewaschen haben, sind wie Monumente. Und während ich noch darüber nachdenke, wie ich das machen könnte mit dem anlanden an dieser faszinierenden Steilküste, tauchen vor mir im Sandsteinberg zwei Höhlen auf. Die zwei Höhlen sind genau auf der Wasserlinie, mit dem Dinghi müsste das doch möglich sein, zu der einen

hinüberzurudern, die ungefähr drei Mannslängen aufragt. Ein vollkommen abgelegener Platz, den ich hier erreicht habe – hier an der Westseite Maltas kommen keine Ausflugsboote entlang, das spielt alles drüben an der Ostküste. Die Höhle, auch sie setze ich auf meine Liste für einen windstillen Tag, ich werde sie mir ansehen. Aber jetzt, während sie langsam zurückbleibt, sieht sie mich an, ein dunkles Auge, das mich aus einem fernen Zeitalter ansieht wie das Auge eines riesigen Urwelt-Haies.

So begeistert bin ich von den Farben, den Formen, die ich hier draussen finde, dass ich meinen ursprünglichen Plan aufgebe, gleich heute zurückzusegeln in die Marina von Mgarr auf Gozo. Nach dem Sandsteinberg kommt ein tiefer Einschnitt, durch den der Südost böig von den Höhen herunter- pfeifft.  Sehr einsam hier. Dann noch eine Bucht. Und weil da ein Segler drinliegt, unter dem Berg aus dem grauen Sand, gehe auch ich dorthin, und lasse meinen Anker fallen, mitten in den Formationen. Mit Folgen. Denn kaum ist die Sonne untergegangen, fegt es zunehmend in Fallböen die Hänge herunter, bis 30 Knoten um Mitternacht. Und während ich kein Auge zumache, weil LEVJE grimmig hin- und hergeschüttelt wird in den heftigen Böen, während ich Ankerwache gehe, denke ich an unsere Lieblingsbucht Tomozina auf Cres – ebenso faszinierend schön. Ebenso einsam. Und jedesmal, wenn ich dort war, tat ich nachts wegen der Fallböen kein Auge zu.

Vielleicht haben gerade diese Buchten das ja so an sich. Wer weiß.

Limitierte Frühbestellerversion des Albums "The Sailing Bassman & Friends"

Voller Stolz verschicke ich gerade die ersten handsignierten Exemplare meines Albums „Zeitmillionär – The Sailing Bassman & Friends“. 2 Jahre Arbeit, 19 Titel, 30 internationale Musiker, 60 Studiotage. Ein riesengroßer Traum wird damit war, und wer mich kennt, weiß wie viel Leidenschaft und Energie ich in dieses Produkt gesteckt habe. Die Musik ist inspiriert von meiner Zeit auf dem Wasser und von meinen Reisen durch Amerika samt meinem Hang zu Country, Rockabilly und Blues. Zusammen mit meinem Label woold records in Hamburg planen wir nun den „offiziellen“ CD-Release samt einer coolen Veröffentlichungsparty vorraussichtlich am 29.6. in Hamburg. 

Wieso verschicke ich denn dann jetzt schon CDs, obwohl diese ja eigentlich „offiziell“ erst nach dem Release verfügbar sind? Da ich bereits viele Anfragen für die CD habe und die Fertigstellung sich aus Gründen immer weiter nach hinten verschoben hatte, haben wir uns zu einer limitierten Version für Frühbesteller entschieden. So können nun die ersten 50 Exemplare der CD zusammen mit „Seriennummer“ und persönlicher Signatur zum Preis von €15.- zzgl. Versand direkt bei mir bestellt werden. Die CDs für die Frühbesteller gehen dann sofort in den Versand und sind somit einen Monat vorher im CD oder mp3-Player! Und als weiteres Dankeschön für das lange Warten gibt es dazu spezielle VIP Tickets mit 10% reduziertem Preis und einem Freigetränk für die Veröffentlichungsparty in Hamburg. 

Dort wird neben einer Vorführung eines Teils meines Filmes „Zeitmillionär“ auch ein Großteil der 30 beteiligten Musiker anwesend sein. Wir werden natürlich Songs aus dem Album performen. Ich stehe für jede Menge Fragen zur Verfügung. Und es wird natürlich auch noch viel Live-Musik mit den großartigen Jungs von BiggsBSonic (inkl. mir am Bass) geben. Und wo so viele Musiker anwesend sind, wird sich sicher auch noch auf der Bühne viel Überraschendes und in dieser Form Einmaliges ergeben. Ich kann es grad selbst kaum abwarten, wo ich diese Zeilen schreibe :-)

Die genaue Location in Hamburg steht noch nicht fest, wir haben aber bereits ein paar sehr gute Ideen und seit gestern auch einen sehr kompetenten Berater an unserer Seite! Als Termin haben wir den 29.6. fest im Auge, denn er ist EM-spielfrei. Die Anzahl der Plätze ist auf jeden Fall begrenzt, so das frühes Reservieren angebracht ist.

Interessenten an der Frühbestellerversion der CD (30 sind jetzt noch über) oder an Tickets für die CD-Releaseparty (Die Plätze werden reserviert, die Tickets für €10.- werden aber erst vor Ort bezahlt) wenden sich bitte direkt an mich unter: [email protected] oder via facebook!

Manöver für Einhandsegler – Folge 4 & 5 – An- und Ablegen in einer Box

VIDEO Einhand durch die Schären #4 – Anlegen in einer Box

VIDEO Einhand durch die Schären #5 – Ablegen aus einer Box

In Folge 4 & 5 meiner Videoreihe zu Einhandmanövern geht es um das An- und Ablegen in einer Box. In Schweden recht selten, sind sie aber in Dänemark und an der deutschen Ostseeküste quasi Standard. Gerade einhand und bei Wind ist es immer etwas tricky hier gute Manöver hinzuzaubern. Der Trick liegt wieder einmal in der Vorbereitung und vor allem darin, nicht zu lange mit dem Überlegen der Heckleinen zu warten, sondern dieses bereits mittschiffs zu machen um wertvolle Sekunden zu gewinnen…doch seht selbst!

Es gibt viele Handbücher für Bootsmanöver aller Art. Doch sehr wenige für Einhandsegler. So saß ich am Start meiner langen Soloreise 2014 durch die Schären ein wenig auf dem Trockenen. Ich wusste nicht wirklich, was mich dort erwartet und wie ich ohne Crew mit allen Situationen umgehen sollte. Aber so ein Schärentörn einhand wurde ja schon oft vor mir unternommen und musste also machbar sein. Von daher  verließ ich mich auf die Methode „Learning-by-doing“. Die hat am Ende funktioniert, war aber anfangs oft unschön. Denn trotz guter Vorbereitung hat man einfach immer zu wenig Zeit und zu wenig Hände. Und dabei geht es buchstäblich um Sekunden. Im Prinzip habe ich daher probiert jedes Manöver auf seine elementarsten Bestandteile herunterzubrechen und so einfach wie möglich zu halten. Und siehe da, irgendwann hatte ich meine Rezepte für alle Situationen gefunden, auch wenn dazu viel herumprobieren gehörte. Und so konnte ich dann am Ende auch endlich Einhand an einer Schäre anlegen. Ein Szenario welches mir anfangs kaum alleine zu bewältigen schien. Schon während der Reise habe ich angefangen meine Manöverrezepte auch auf Video festzuhalten. Zunächst wollte ich diese in meinen Film „Zeitmillionär“ integrieren, das hätte den Film aber extrem lang gemacht und auch sehr speziell für Nichtsegler. 

Filmtrailer „Zeitmillionär“

Daher habe ich nun, zusammen mit ein paar zusätzlichen Erklärungen auf dem Trockenen, eine Reihe von Videos erstellt, die sich speziell an Einsteiger im Einhandsegeln und an potenzielle Schärensegler richten. Und diesen dabei helfen soll, ihren eigenen Stil zu finden. Denn mit Sicherheit hat jeder Segler sein eigenes Rezept und so sind diese Videos auch nicht als Lehrvideos zu verstehen, sondern nur als Anregungen. Jedes Boot und jeder Mensch ist anders. Ich bin mit diesen Methoden jedenfalls einhand heil durch über einhundert Häfen und fünfzig Schleusen gekommen. Aber auch für Segler, die mit Crew unterwegs sind, kann es nicht schaden sich auch einmal mit Einhandmanövern zu beschäftigen. Man kann ja nie wissen, in was für Situationen man gerät. Aus Zeitgründen, und da es alles andere als einfach ist sich bei den Einhandmanövern auch noch selbst zu filmen, sind die Elemente teils etwas wild zusammengeschnitten und wackelig. Geben aber damit auch gut die zeitkritischen Situationen an Bord wieder und sind auch noch vollkommen kostenlos.

Übrigens: Den Film Zeitmillionär gibt es als Download oder DVD hier

https://millemari.de/zeitmillionaer-von-claus-aktoprak/

http://shop.segel-filme.de/zeitmillionar-komplett-hd-filmdownload-bundle.html

Videoupdate #24

Einhand um Malta, Teil II.

Sie heißen mit Vornamen Stanley, Joe und Eliza. Und mit Nachnamen Mizzi, Caruano oder auch einfach nur Borg. Ihre Sprache ist Arabisch. Geschrieben wird in lateinischen, nicht arabischen Buchstaben. 93% der Bevölkerung sind katholisch – und zwar streng. Die Autos auf den Straßen stammen aus aller Herren Länder – aber gefahren wird wie in England: Links.


Der Hafen von Mgarr auf Gozo, maltesisch „Im-Mdscharrr“ gesprochen. Man muss sich aber daran gewöhnen, dass auf Malta Orte mehrere Namen haben. So heißt Mgarr auch Ghainsieliem (gesprochen ‚Aihinsiiel‘). Und wer im Bus auf Gozo nach Mgarr will: der kommt nur weiter, wenn auf dem Bus VAPUR steht. Malta, für Malta-Versteher.

Die Liste der Dinge, bei denen Malta Melting Pot und kultureller Mischmasch ist, reicht lang. REPUBBLIKA TA‘ MALTA, wie sie in der eigenen arabischen Sprache heißt, ist Mitglied der EU, mit 400.000 Einwohnern eines der kleinsten Mitglieder, aber mit 1.400 Einwohnern je Quadratkilometer der dichtbesiedeltste Staat in Europa. Ein bunt schillerndes Inselarchipel von vier Inselchen, deren größte Malta, gerade mal 28 Kilometer lang und durchschnittlich 10 Kilometer breit ist.

Malta bietet Superlative: Es ist kleiner als Deutschlands kleinstes Bundesland Bremen. In seiner Bevölkerungsdichte nur 15% darunter. Malta hat um 300 Sonnentage pro Jahr und 27 Banken, deren Namen ich nicht kenne und deren Geschäftsmodelle ich nur erahnen kann und nicht weiß, ob ich das wirklich möchte. Und: Malta hat sehr niedrige Steuern. Und über den gesamten Archipel hinweg Immobilienpreise wie München.

Malta liegt – von allen Richtungen aus – in der Mitte des Mittelmeeres. Von Sizilien aus sind es nach Gozo gerade mal 45 Seemeilen, die jetgetriebenen Katamaran-Fähren Valetta – Pozzallo fegen die Strecke mit über 35 Knoten in gerade mal 90 Minuten entlang – mit bis zu 340 LKWs im Bauch versteht sich. Ich brauchte auf LEVJE dafür knapp acht Stunden, meine acht Weinflaschen eingerechnet  ;-)). Speed ist nicht alles – siehe dazu meinen Bericht über die Überfahrt…

                                                            … weiterlesen bei: Einhand von Sizilien nach Malta. Hier.


Malta lernte ich 1980 kennen. Als 19jähriger war ich allein hierher gereist, angelockt hatte mich ein Buch über die Belagerung Maltas durch die Türken im 16. Jahrhundert. Meine Frau versucht mir immer zu erklären, ich hätte damals karotten-rotes Haar besessen, sei ungewöhnlich hellhäutig gewesen – was ich seit je heftigst dementiere. Aber an Malta zerbröseln meine Dementis: Es war Juni 1980, eine Stunde am Strand reichte für Sonnenbrand an beiden Füßen, der in Wahrheit Verbrennungen waren. Für drei Tage konnte ich nur liegen, nicht laufen. Leider hatte ich zu lesen nur einen Band mit Lessing-Gedichten dabei. Da 1980 Hotelzimmer nicht nur auf Malta meist eine öde Angelegenheit waren (Fernseh war Luxus, Smartphone war Zukunft), lernte ich eben wimmernd Lessing Gedichte auswendig. Ein paar kann ich heute noch.

Unterwegs in den Tempeln von Gigantija.

Wie damals, vor 36 Jahren, lockt mich auch heute Malta’s Geschichte. Es gab bereits in den Achziger Jahren eine Menge zu sehen: Rätselhafte Gleisspuren im Fels an vielen Stellen auf der Insel, die „Cart Tracks“. Gewaltige steinerne Anlagen aus einer Zeit weit vor unserer Zeit. Niemand hatte damals Antworten oder Erklärungen für diese Rätsel. Heute weiß man deutlich mehr: Das letzte Jahrzehnt brachte eine Menge Forschungsergebnisse und die Gewissheit, dass diese Inseln Schauplatz der ersten europäischen Hochkultur waren, deren Sakralbauten fast doppelt so alt wie Stonehenge oder die Pyramiden der Pharaonen sind.

Die St. Paul’s Catacombs. Ein riesiges Gewirr unterirdischer Gänge, Kammern, Stollen, Nischen, Schächte. Ein Labyrinth – und unter der alten Hauptstadt Mdina/Rabat nicht das einzige. Denn da gibt es noch die St. Agatha’s Catacombs, die St. Katald Catacombs, die St. Augustine’s Catacombs, die…

In den kommenden Wochen möchte ich die Inseln unter Segeln umrunden und über Buchten und Häfen berichten. Ich werde über die Tempel von Gigantija schreiben und über die unter dem heutigen Rabatt liegende Totenstadt berichten. Über die Menschen, die hier leben.

Ein maltesischer Seemann auf der Fähre nach Gozo. Mit ungewöhnlicher Akribie schießt er die Pilotleine für die rechts außen liegenden Festmacher-Trossen auf – damit beim Anleger auch wirklich alles klappt ;-))

Und natürlich: Über das große Blau, in das die Inseln eingebettet liegen.

Die Marina von Mgarr auf Gozo. 

Wenn Sie keinen Post versäumen wollen: Einfach oben rechts außen auf dieser Seite Ihre eMail hinterlassen. Und nicht vergessen, den Link im nachfolgenden Bestätigungsmail anzuklicken.

Auf zu neuen Ufern – Der deutsche Götakanal

Am Ende des letzten Jahres habe ich die Ostsee fast komplett in einem Törn gesehen. Natürlich gäbe es noch unzählige Ecken und Häfen zu entdecken; ein ganzes Seglerleben reicht nicht aus um die Ostsee komplett zu kennen, so hört man oft. Und doch habe ich irgendwie den Drang in der nächsten Saison etwas ganz anderes zu entdecken. Und so wandern die Blicke im Winter oft über Karten der nordeuropäischen Küsten. Wo könnte es nur hingehen? Holland? Zu voll. England? Vielleicht ein wenig für die kleine Nonsuch, und so viel Zeit  werde ich dieses Jahr nicht haben. Also am Ende doch wieder den großen Urlaub in der Ostsee verbringen? Doch einige Grübelrunden später stand das Hauptziel für die nächste Saison fest. Und es liegt nicht einmal 100km Luftlinie von Kappeln entfernt. Sogar näher als mein Arbeitsplatz in Hamburg. Und doch ist es mir auf dem Wasser völlig neu…

Als Kind hatte ich das Glück fast jedes Jahr Urlaub auf den nordfriesischen Inseln machen zu können. Für mich als Nordseekind gehören die endlosen Sandstrände, die breiten Dünengürtel und Sandbänke mit Seehunden zu den schönsten Küstenformen die ich mir vorstellen kann. Und die sind and er Ostsee nunmal ziemlich selten. Tausende Deutsche würden nie woanders urlauben als auf Sylt, Amrum, oder Föhr. Und doch gibt es dort kaum Wassertourismus. Wenn sich die Ostseesegler mal in die Nordsee verirren, dann sind es meist die ostfriesischen Inseln oder die Elbe, Klar, die Nordfriesischen sollen ein anspruchsvolles und wenig erschlossenes Revier sein, schwierig zu navigieren und immer im Einklang mit den Gezeiten zu befahren,  doch wiegt es das durch die schon mit der von Land aus traumhaften Landschaft auf. Und speziell auf Sylt müsste es doch den einen oder anderen erfahrenen Hamburger Segler im Urlaub geben der sich schon mal dasselbe gedacht hat. Hüstel Hüstel… Und jetzt werde ich jedenfalls mal schauen was da so dran ist, und ob es sich lohnt diesen Landstrich mit dem Schiff außen vor zu lassen. Es geht zu den nordfriesischen Inseln!

P1090170

Schon im Mai geht es los. Der erste Tag der Reise ist kaum eine große Erwähnung wert. Es geht von Kappeln nach Kiel und in den Nord-Ostsee-Kanal. Das spannendste am Tag war noch die Flotte an Schiffen die vom Hamburger Hafengeburtstag am letzten Wochenende auf dem Weg zurück die Ostsee waren. Gorch Fock, Shtandart, und allerlei graues Kleingetier kamen mir entgegen. Während ich noch auf die Schleuse wartete kamen die deutschen Schnellboote aus der Schleuse gepest. Diese haben die komische Angewohnheit immer wenn ich sie treffe die Stereoanlage voll aufgerissen zu haben. Der Kapitän muss echt locker drauf sein. Das letzte Mal hatte ich das Vergnügen als ich die Elbe, ebenfalls auf dem Rückweg vom Hafengeburtstag hinabgedümpelt bin, und auf einmal Musik hörte. Noch während ich schaute ob ich vielleicht das Radio angelassen hatte, wurde ich von einem Schnellboot überholt. 3 Mann auf dem Außenfahrstand mit Sonnenbrille und es lief „Highway to the Danger Zone“ in fahrwasserausfülender Lautstärke. Tom Cruise lässt grüßen….

P1070420

Abends machte ich dann vor der Gieselauschleuse fest. Wie so oft auf den Kanaltouren ins Winterlager. Doch bisher war hier immer Endstation. Doch am folgenden Tag ging ich dann das erste Mal zum Schleusenmeister in seine Dienststube – „Eintritt nur in dienstlichen und Schifffahrtsangelegenheiten gestattet“. Statt die schnelle Route über die Elbemündung wähle ich den landschaftlichen reizvolleren Weg über die Eider. Nach nur einem Tag „Anreise“ bin ich also in völlig neuen Gewässern unterwegs. Das hätte ich letztes Jahr ja auch einfacher haben können!; )

Die Kenner werden es schon bemerkt haben. Zur Zeit ist die Gieselauschleuse leider für die Schifffahrt gesperrt. Dieser Törn fand bereits im Mai 2015 statt. Hoffen wir mal, dass sie bald wieder funktioniert, damit vielen das folgende traumhafte Revier ohne den Umweg über die Elbe ermöglicht wird. An der Einsatzbereitschaft des Personals vor Ort mangelt es sicher nicht. 

Doch entgegen seinem Türschild entpuppte sich der Geselle als außerordentlich hilfsbereiter und lustiger Zeitgenosse. Ein Eindruck der sich in den nächsten Tagen häufen sollte… Und kurze Zeit später öffnete sich die Brücke und das Schleusentor – die ich sonst immer als unbewegliche Kulissen wahrgenommen habe – und ich war auf der Eider. Gefühlt sofort ein anderes Revier als vorher.

P1070480

Die Eider ist ein verträumte Flusslauf und windet sich von hier in zahllosen Schleifen bis zur Nordsee. Wegen ihrer  Beschaulichkeit wird sie auch oft als deutscher Göta Kanal bezeichnet. Ein Eindruck den ich in teilen wohl bestätigen kann. Nach einer weiteren unspektakulären Schleuse einige Kilometer weiter befinde mich in einer ausgewiesenen Binnenlandschaft. Immer wieder geht es durch kleine Dörfer und Siedlungen, am Ufer befinden sich Bäume die bis ins Wasser ragen und am Ufer stehen Schafe. Genau wie vor einem Jahr hat auch diese verträumte Binnenlandschaft trotz der Motorstunden sofort eine beruhigende Wirkung auf mich. Man ist hier sofort in einer komplett anderen Welt; hier drehen die Uhren langsamer. Was man auch daran merkt, dass ich den ganzen Tag über nur in vereinzelten Dörfern mal kurz Handyempfang habe. Und noch eine Tatsache ist hier ganz ähnlich wie im Göta Kanal. Hier gibt es, abgesehen von einigen Ausflugsdampfern, keine Berufsschifffahrt mehr. Das hat den schönen Nebeneffekt, dass die Sportschifffahrt hier Priorität 1 ist. Schleusen, Brücken, alles geht nach Anforderung sofort für mich auf. Doch selbst in unserer Größe sind hier nicht viele Boote unterwegs. Ich könnte mir gut vorstellen in der Hochsaison noch mal einige Tage hier zu verbringen um dem Trubel anderswo an Nord- und Ostsee auszuweichen. Könnte man hier besser segeln, wäre ich bestimmt länger hier geblieben, aber die Natur gleicht auch dieses kleine Manko alle mal aus.

P1070554

Später mach ich eine kleine Mittagspause in einem der vorbeigleitenden Dörfer namens Süderstapel. Obwohl der Hafen weit im Binnenland liegt, gibt es hier einen kleinen Hafen voll mit stattlichen Yachten und sogar eine kleine Werft. Soweit zum maritimen. Was mich im Ort selbst erwartet überrascht mich aber noch viel mehr. Süderstapel ist verschlafen, hübsch, und mutet fast dänisch an. Klar, war ja auch alles lange Zeit dänisches Gebier hier… Statt einem gesichtslosen Dorf auf dem platten Land erwartet mich an diesem von allen Bundesstraßen und Autobahnen umgangenen Ort ein wahres Kleinod. Lange Zeit wandere ich ziellos umher, an kleinen Katen und liebevoll gepflegten Gärten bevor es mich weiterzieht. Eigentlich hätte ich hier auch gut übernachten können, doch wegen Crewverstärkung zieht es mich noch einen Hafen weiter auf die andere Uferseite nach Nordfeld.

P1070576

Mit jedem Meter wird die Landschaft nordseeähnlicher. Schon seit geraumer Zeit säumen kleine Sommerdeiche das Ufer. Bis zur Errichtung der Schleuse Nordfeld 1936 war dieses Gebiet, welches heute die tidefreie Binneneider bildet, nämlich von den Gezeiten durchspült. Nun wird das Fahrwasser auch noch mit den nordseetypischen Pricken markiert. Bald darauf mache ich an einem kleinen Steg fest an dem schon einige Boote liegen. Hafenmeister gibt es hier keinen. Der Hafen gehört einem kleinen Wassersportverein. Ein zufällig vorbeischauendes Mitglied kassiert von mir ganze 8€ und schließt die Duschen für mich auf. Hier gehen die Uhren noch anders als an den großen touristischen Zentren der Ostseeküste. Auch wieder ein Eindruck der sich in den nächsten Wochen noch positiv verstärken sollte.

Schon hier, direkt an der Schleuse zu den Gezeiten riecht es nach Nordsee. Die salzige Luft lässt mich mich sofort wie Zuhause fühlen. Bisher war die Nordsee meist recht biestig zu mir, doch nun freue ich mich auf das spannende neue Revier vor mir. Morgen geht es erst richtig los.

Bildschirmfoto 2016-05-24 um 13.50.03

 

Carcassonne und wie es weiter ging

IMG_5664Am 30.04. fahre ich, mal wieder bei Regen, nach Carcassonne. Mittlerweile bin ich dieses Wetter gewohnt. Habe mein Zelt über den Mast gelegt und stehe darunter, dick eingepackt in Ölzeug. In Südfrankreich, ein paar Stunden vorm 1. Mai.
Die wenigen Schleusen bis Carcassonne sind schnell gemacht. An einer treffe ich auf Metin, den Schleusenmeister. Wir unterhalten uns zunächst auf Englisch, dann meint er, dass sein Deutsch wesentlich besser sei und wir plaudern über seine Zeit in Bremen, Frankreich und den Job am Kanal. Hätte gerne länger dauern können, aber ich muss weiter und mache gegen Mittag endlich in Carcassonne fest.
Geschafft!
Carcassonne war mein großes Ziel dieser Reise für den 30. April. Hier wollte ich mich mit Sabrina treffen.
Am Abend kommt sie, nach einem 1.300 Kilometer Nonstop Etmal, mit unserem Auto hier an. Endlich wieder zu Zweit an Bord!

Die Zeit nach dem Wiedersehen wurde allerdings von der Nachricht über den plötzlichen, unglaublich frühen Tod eines guten Freundes überschattet. Die Stimmung an Bord ist stark getrübt. Wir bleiben noch zwei Tage im Hafen und fahren dann mit gemischten Gefühlen weiter in Richtung Mittelmeer. Sabrina mit dem Auto von Schleuse zu Schleuse nebenher, oder ich im Auto und Sabrina mit Eos im Canal-du-Midi.
Es fällt schwer, Spaß dabei zu haben. Trotzdem freuen wir uns über die kurze Zeit gemeinsam.
Sabrina fährt Eos zum ersten Mal Einhand und obwohl sie schon lange nicht mehr mit ihr unterwegs war, klappt alles wunderbar.
Nur der Tag an den Schleusen in Beziers läuft überhaupt nicht rund. Wir brauchen etwa 5 Stunden für die Schleusentreppe und die anschließende einzelne Schleuse im Ortskern. In den 5 Stunden müssen wir etwa 4 Stunden warten. Koordination? Information? Fehlanzeige.
Das Gelände um die Treppe selbst ist eine große Baustelle, komplett abgeriegelt, mit hohen, abgeschlossenen Zäunen. Sabrina braucht etwa eine Stunde, um zum Boot zu kommen. Es gelingt am Ende nur, weil der Kapitän einer großen Peniche sie mit seinem Schiff von der einen zur anderen Seite übersetzt.
Am Ende dieses Tages, am 05. Mai, erreichen wir im Prinzip das Mittelmeer. Eos wird an den Erdnägeln, etwa 1,5 Kilometer vom Meer entfernt, im Kanal festgebunden und wir bleiben zwei Tage hier, bevor Sabrina wieder mit dem Auto zurück nach Deutschland fährt.

Ich überlege, ob ich Eos eine Weile allein im Kanal lasse und mit zurück fahre, aber entscheide mich schließlich schweren Herzens dagegen und bleibe an Bord.

Unter Segeln nach Malta.

Wenn ich mich richtig einschätze, bin ich nicht unbedingt ein mutiger Mensch. Ich meide Horrorfilme und Grusel. Ich habe nie welche gesehen. Ich werde es wohl auch nie. Als Kind ging ich hohen Rutschen und Achterbahnen aus dem Weg. Ich traute mich nicht.

Ich halte mich auch heute noch nicht für mutig. Ich weiß auch nicht, was mich heute bewegt, immer wieder auf meinem kleinen, einfachen Boot von 1987 allein hinauszufahren. Ich weiß nur, wie mich draussen, wenn das Land hinter mir zu Schemen verblasst und Land voraus noch nicht erkennbar ist, oft ein Gefühl überrascht: In der Weite alle Angst verloren zu haben, mich sicher zu fühlen, vermeintlich, im Unwirtlichen, wo alles nur noch Bewegung ist. Und kein Halt nirgends. Mich irgendwie geborgen zu fühlen dort, wo nur noch Himmel und Wind und Wasser um mich ist.

Ich hatte mir Sorgen gemacht, vor der Überfahrt. Der Winter an der Südküste Siziliens war ungewöhnlich mild und freundlich gewesen, kaum Stürme. Aber im Mai war plötzlich alles anders. Es scheint, als würde schlechtes Wetter in Deutschland keinen Tag später seinen Weg über Rhone-Tal, Mistral hierher ins südliche Mittelmeer finden und einen böigen Nordwest schicken, der sich tagelang zwischen 5 und 7 Beaufort bewegt, ein kalter Wind, der nach diesigen Tagen Himmel und Luft und Landschaft über Sizilien blank putzt, dass es eine Freude ist.

Nicht genug damit. Die Wetterberichte, die am Tag vorher noch „abflauen“ und „14-18 kn“ ankündigten, korrigierten sich bis zum Morgen des betreffenden Tages regelmäßig auf „17-27 kn“, und oft genug zeigte mein kleiner Handwindmesser keine drei Meter über dem Boden auch 30 kn an.

Meinen Aufbruch von Marina di Ragusa nach Malta verschob ich deshalb mehrfach. Nicht dass LEVJE, mein 31-Fuß-Schiff, das nicht abkönnte, zumal halber Wind. Nicht dass 50 Seemeilen, etwa 10 Stunden Überfahrt, nicht allein zu schaffen wären. Ich kann zwar nur ahnen, was für Wellen das bei acht Windstärken sein mögen da draußen, wo der Meeresboden zwischen Sizilien und Malta von über Tausend auf einhundert Meter ansteigt, auch das könnte mein Schiff sicher ab. Aber vor Kurzem hatten wir das Vorstag zerlegt – die ganze Anlage demontiert, gereinigt, und manches andere auch. Kein Wetter für einen allerersten Testschlag nach langem Winter. Ich wäre lieber dafür ein paar Stunden an der Küste entlanggesegelt – für den Fall des Falles.

Aber dann brachte das Wetter seine eigenen Notwendigkeiten ins Spiel: „Dienstag nach Pfingsten unverändert Nordwest 16-26 kn. Mittwoch und folgende Tage: 10 Knoten. Aus Süd“. Da, wo ich hinwollte. Die Wahl hieß: „Morgen rausgehen. Und den Starkwind nutzen.“ Oder ab Mittwoch: „10-12 Stunden unter Motor gegenan.“

Ich entschied mich fürs Erstere. Weil der Wind am späten Nachmittag immer deutlich auffrischte, beschloss ich, ganz Früh am Morgen loszusegeln.

Aufbruch.

Um 4.30 Uhr weckt mich mein iPAD. Ich war sowieso jede Stunde wach geworden. Gemein, wie er war, war der Wind am Vorabend nach fulminantem Schlußspurt bei Sonnenuntergang eingeschlafen. Das weite Hafenbecken zum ersten Mal seit Tagen im Abendlicht still wie ein Ententeich. Frohgemut hatte ich meine Entscheidung richtig geheißen, hatte Seestiefel, Schwerwetter-Klamotten, Rettungsweste und Lifebelt aus dem Schrank geholt und im Salon ausgebreitet. Als ob ich mich beschwören wollte: „Morgen? Wird nicht wieder verschoben! Morgen gehst Du raus!“

Kaum liegt die gelbe Schwerwetterjacke im Salon, beginnt der Wind von Neuem zu orgeln. Er holte nur zwei Stunden Luft. Um Mitternacht werde ich wach, das Rigg vibriert im Wind und mit ihm das ganze Boot. Und so geht es bis Morgens um drei, ich schlafe, angespannt, mit offenen Ohren. Um 4.30 Uhr dann – Stille draußen. Ruhe. Ich stehe auf, tappe zum Niedergang, schaue hinaus dahin, wo sich im Osten Grau zeigt. Stille. Noch ein kurzer Blick in den Wetterbericht: Der verhieß etwas ganz anderes, ich stelle fest: Die Vorhersagen in WINDGURU haben noch einmal zugelegt, sagen mehr Wind voraus.

Blöd. Soll ich? Ich checke zwei weitere Wetterberichte. Aberglaube. Alle haben noch einmal ihre Prognose verschlechtert. Was mache ich? Warnende innere Stimmen. WANN soll man drauf hören? WIE soll man drauf hören?

Dann besinne ich mich auf meine alte Regel. „Geh nachschauen, wenn es draußen vor dem Zelt raschelt“. Ich habe über diese Regel schon einmal geschrieben, in einem Post über die Angst beim Segeln. „Geh nachschauen, was draußen ist!“ „In unserem Kopf geht es viel bedrohlicher zu als draussen“, kommentierte mir damals Anna. Ich betrachte kurz und liebevoll mein Schiff, dessen Details. Den Mastfuß. Die Bändsel, die im Niedergang hängen. Ihre Pinne. Soweit hat LEVJE mich nun schon einhand getragen, von Slowenien nach Antalya, und von Antalya hierher über Kreta nach Sizilien. Irgend etwas wird nicht funktionieren. Aber LEVJE wird mich auch nicht vollkommen hängen lassen, da draussen, wenn’s heftig wird. Los!

                                                                                 Weiterlesen bei: Reden wir mal über die Angst.

Sonnenaufgang Marina di Ragusa 5.53 Uhr. Ich starte LEVJE’s Motor. Hole die Vorsegel-Persenning herunter. Es ist gut, dass ich sie draufgelassen hatte, sie ist klatschnass. Tau. Das heißt im Mittelmeer eigentlich: Schönes Wetter. Ein gutes Zeichen. Nebenan steckt Aylin den Kopf aus dem Boot, wie jeden Morgen grüße ich sie auf Türkisch mit einem „Gün Aydin, Aylin hanim!“, was ihr ein Lächeln entlockt und ein fröhliches „Gün Aydin, Thomas Bey!“ Ihr Mann, Goran, ist auch schon wach, im schwedischen Holzfäller-Hemd krabbelt er aus der Kuchenbude ihrer weit gereisten HALLBERG-RASSY. Aylin, die mir in nettem türkischen Englisch zuruft, dass das Wetter nur hier an der Küste schlecht, aber vor Malta deutlich besser werden würde. Noch einen Schluck Tee. Er ist nicht mehr warm, ich nehme mir zum x-ten Mal vor, die kürzlich zu Bruch gegangene Thermoskanne endlich zu ersetzen. Ein kurzer Blick ringsum, die Sonne kriecht in meinem Rücken langsam über die flache Küste.

Ich starte den Motor. Beruhigendes Bullern. Meine Bugleinen habe ich am Abend vorher auf Slip gelegt. Ich werfe zuerst die achtere Lee-Muring los. Dann gehe ich langsam zum Bug. Springe in meinen Seestiefeln hinunter auf die Pier, werfe die Lee-Bugleine los. Dann steige ich zurück auf LEVJE. Nur ein Windhauch aus Nordwest. Überhaupt nicht die jetzt für sechs Uhr Morgens angekündigten 14-16 kn. Ich warte, bis auch dieser Hauch verebt ist, um nur nicht auf Aylin und Goran’s Boot getrieben zu werden, vor ihrer beider Augen meinen Ableger zu verpatzen. Dann hole ich die Bugleine ein. Langsam zieht die achtere Muring LEVE nach hinten aus der Box, ich löse die Muring, ziehe LEVJE von Hand an der glibberigen Muring noch weiter in die Gasse. Hafenschlunz an den Händen. Meer. Kaltes Salzwasser. Grüner Glibber. LEVJE zieht langsam nach hinten, ich lasse die Muring ins Wasser fallen, schaue ihr nach, wie sie langsam, langsam im Türkis versinkt. LEVJE dreht rückwärts in die Gasse ein, wie ich es wollte, ich lege den Vorwärtsgang ein, lege die Pinne hart steuerbord, und LEVJE nimmt langsam Fahrt auf. Aylin und Goran winken im Morgenlicht. Ich bin stolz. In Marina di Ragusa, wo in diesem Winter viele Segler überwinterten, wurde jeder Segler, wenn er aufbrach, von seinen Nachbarn, mit denen er Seite an Seite den Winter verbrachte, verabschiedet. So habe auch ich mein kleines Abschiedskomittee, das mir winkt und „Fair Winds“ zuruft! Ich bin gerührt – denn Aylin und Goran auf ihrer CANTANA 3, sie waren gute Nachbarn. Sehr gute!

Auf der Mole der bullige Marinero, mit dem ich neulich in Streit geriet. Beinahe wäre es eskaliert, sein belehrender letzter Satz „Ich hätte bei acht Windstärken nichts auf der Außenmole verloren, es sei gefährlich, „Cosi funziona Italia!““ hatte mich zum Explodieren gebracht. Streiten auf Italienisch – hat was! Aber nun steht „Cosi-funziona-Italia!“ um sechs auf der Mole, dem Schauplatz unserer Debatte, winkt mir lebhaft und ruft „Buon Vento!“, den Abschiedsgruß der italienischen Segler. Los!

Und dann sind wir um die Mole herum. Schwell. Schwell aus Südwest. Ich muss für die nächsten Stunden Richtung Malta, zur Insel Gozo, Kurs Südsüdwest, 195 Grad steuern. Was heißt das denn? Doch nicht den angekündigten Nordwest? Macht nichts. Der Schwell ist jedenfalls so unangenehm, dass ich sofort beschließe, das Großsegel zu setzen, damit das Boot nicht so sehr hin und her geigt. Geklapper im Rigg, Gegeige unter mir, ich mag das nicht am Morgen, stolpere mehr als dass ich stehe oder gehe, übers Cockpit, so geht das gar nicht, hoch mit dem Großsegel, dann liegt LEVJE auf einer Seite und es wird deutlich ruhiger. Großsegel-Setzen klappt auf Anhieb – außer dass ich mal wieder das Großfall beim Einhängen ins Segel um die Leinen des Lazy-Jack vertörne. Idiot. Aber dann ist das Großssegel oben, der neue Schnappschäkel am Großschotblock hält den Druck, die neuen Travellerblöcke laufen etwas zäher. Mal sehen, wo Paolo, der Segelmacher, das Großsegel geflickt hat? Sieht ok aus. Leichter Wind aus Nordwest. LEVJE liegt ruhig im Schwell.

Wir motoren durch die Wellen. Zeit für ein zweites Frühstück. Etwas San Daniele, etwas Provolone di Ragusa, steinhartes Brot, das schmeckt am besten, zwei getrocknete schwarze Oliven. Das Herumstehen hat den Tee auch nicht wärmer gemacht, die Thermoskanne, sie fehlt, zum 100sten Mal. Langsam nimmt der Nordwest zu, er ist immer noch weit entfernt von jeder schlechten Vorhersage.

Gegen acht Uhr kann ich den Motor abstellen. Ich habe die Genua ausgerollt, wir laufen nun mit etwas mehr als fünf Knoten bei 12 Knoten Wind dahin. Etwas vorlicher als halber Wind – mehr Süd sollte es nicht werden. Langsam verschwindet die Küste Siziliens hinter mir im morgendlichen Dunst. Ein italienischer Trawler, der ächzend die Last seines Netzes zieht, quert meinen Kurs, der Fischer winkt mir aus dem engen Fenster seines Steuerhauses zu. Ein freundlicher Mensch, in der Weite des Wassers, fern vor der Küste. Alles läuft. Nur die Pinne: sie quietscht bei jeder Drehung fürchterlich. Der Autopilot muss sich mühen.

Segel am Horizont weit hinter mir, auf meinen Kurs. Da will noch jemand nach Malta. Und nutzt das Wetterloch.

Der Wind nimmt zu. Wir sind jetzt bei 15 Knoten, bei vorlichem Wind hätte ich längst reffen müssen, aber bei diesem halben Wind sind wir schnell unterwegs, 5,8 bis 6,3 Knoten zeigt das iPAD als Speed-over-Ground, das ist nicht schlecht für LEVJEs 31 Fuß Länge. Wenn nur dieses widerwärtige Geräsch von der Pinne nicht wäre. Ich gehe unter Deck, hole mir die Dose mit Gleitöl, vielleicht ist ja nur das obere Ruderlager vom sandigen Regen in Sizilien voll. Wenn es regnet, in Sizilien, dann kommt der Regen immer aus Süd. Und weil die Wüste so nah ist, ist der Regen hier immer rot von Wüstenstaub. Nach jedem Regen ist LEVJE gescheckt wie ein Gepard, überall rote Farbtupfer, die Leinen über den Winter sind alle sandfarben, die meisten habe ich einfach in Marina di Ragusa in die Waschmaschine gesteckt. Aber je mehr ich mich mit dem Öl Mühe: Das Quietschen, es bleibt. Merkwürdig. Es kommt immer, wenn der Autopilot die Pinne nach Steuerbord drückt, ein melodisches, auf meinen Knochen schabendes Kriiieeeek — Kriiiieeek — Kriiiieeek. Vielleicht ist ja die Ruderwelle verbogen? Sven vermutete das im Herbst.

Die Wellen. Und ein Problem.

LEVJE läuft nun richtig schön, hält konstant über sechs Knoten. Die Schaumkronen im Westen haben deutlich zugenommen, aus dem Schwell sind lange Roller geworden. LEVJE liegt zu schräg, die Segelfläche ist zu groß. Und vor allem: Sie hat plötzlich eine ungute Neigung, aus dem Ruder zu laufen, unser Kurs sieht auf dem Wasser wie besoffen aus. wie eine Schlangenlinie auf dem Wasser. Schlangenlinie unter Autopilot ist ja schon ok. Aber dies hier ist eindeutig zu viel. Irgendwie blöd. Ich beschließe zu reffen. Also ins Groß das erste Reff. Weil LEVJE ein Sieben/Achtel-Rigg besitzt, beginne ich immer hier. Und weil der Wind einen Moment härter weht, denke ich: gleich gehts jetzt los! Und beschließe, gleich das zweite Reff einzubinden. Schon Arbeit. Nach vorne turnen. Reffkausch im Reffhaken am Lümmelbeschlag einhängen. Wieder nach hinten. Reffleine dicht holen. Alles funktioniert. Sehr gut. Aber zweites Reff? Das war nun auch übertrieben, nach dem langen Winter sind wir etwas aus der Übung. Nur noch viereinhalb Knoten, so wird das auch nix. Trotzdem bin ich vorsichtig, betrachte mir das Ganze erst mal 10 Minuten. LEVJE segelt eindeutig aufrechter, angenehmer. Der befürchtete Windsprung ist ausgeblieben. Auch keine Windzunahme, nichts. Nur das Quietschen der Pinne ist geblieben. Und die Schlangenlinie.

Kriiieeeek — Kriiiieeek — Kriiiieeek.

Ich reffe aus aufs erste Reff. Sehr gut. LEVJE beschleunigt wieder auf über sechs Knoten. Eindeutig die richtige Besegelung. Ich sehe zu, wie mein Schiff läuft, freue mich darüber, wie die Segel stehen, wie die Segel ziehen. Freue mich über mein Schiff. Und gleichzeitig malt mein Hirn über das Geräusch der Pinne. Ich gehe nach unten, lasse LEVJE für einen Moment selber laufen. Lege mich in meine Koje, krieche nach hinten, über mein Bett, durch meine Koje hindurch, bis ganz nach hinten ins Achterschiff, da wo ich das Dinghi gestaut habe. Da wo der Ruderkoker, das Rohr, in dem das Ruder läuft, von oben nach unten durchs Schiff läuft. Ich höre, wie keine Zwanzig Zentimeter neben meinen Kopf bei sechs Knoten das Wasser am Schiff entlanggurgelt, spüre unter mir im Dunkel des engen Winkels fast 200 Meter Wassertiefe, auf denen mein Schiff unter Autopilot gerade führerlos dahingleitet. Der Ruderkoker. Ich konzentriere mich ganz auf ihn. Kriiieeeek — Kriiiieeek — Kriiiieeek. Das Geräusch kommt genau von da. Aber nicht vom oberen Ruderlager. Sondern von unten. Vom unteren Ruderlager!?

Ich gehe wieder nach oben. Der Wind hat noch einmal leicht zugenommen, 18-20 Knoten zeigt der Windmesser nun konstant, Spitze 22 kn, aber weil alles fast Halbwind ist, nimmt LEVJE es locker. Nur die Schlangenlinie wird extremer.

Drei Stunden. Ich habe jetzt etwa ein Drittel geschafft. Bin 17, 18 Seemeilen von Sizilien entfernt, das ich längst hinter mir nicht mehr erkennen kann. Bin 26 Seemeilen von Malta entfernt, ringsum nur Wasser, die lang anrollenden Wellen aus Westsüdwest, kein kurzes Mittelmeer-Adria-Hick-Hack, bei dem sich die Wellen im 2,50-Meter-Abstand folgen, sondern laaaaange, weite Roller. LEVJE, die jugendliche, nimmt sie wie eine Jolle, wie ein federleichtes irisches Curagh, mit dem die Fischer an der Westküste das Meer befuhren, ein mit Fell bespanntes Etwas aus Holzstäben auf dem Atlantik, das sich wie ein Korken über die Wellen bewegt. So segelt LEVJE.

Kriiieeeek — Kriiiieeek — Kriiiieeek.

Ich muss was tun. So geht das nicht. Ich hänge den Autopiloten aus, nehme die Pinne in die Hand. Das ist nicht normal?! Sie vibriert in meiner Hand. Sie zittert regelrecht. Ich kenne das, von früher, vom Motorrad. Da ist ein Lager kaputt. Hat die Ruderwelle doch irgendwann etwas abbekommen? Nicht dass ich wüsste! Mein Hirn überlegt krampfhaft, ob ich irgendwo doch an einem Stein aufgesetzt habe? Oder die Pinne bei der langen Überfahrt im Herbst von Korfu nach Sizilien nachts von einem treibenden Baumstamm im Starkwind etwas abbekam?

                                                                          Weiterlesen bei: Von Korfu nach Sizilien. Hier.                                                                  

Aber mir fällt nichts ein. Während ich überlege, zittert die Pinne in meiner Hand in langsamen Ausschlägen. Sie pulsiert. Und was am Übelsten ist: Wenn LEVJE, weil wir zuviel Segel draufhaben, nach luv giert, in den Wind schießen will, kostet es mich alle Kraft, die Pinne zu mir nach Steuerbord zu ziehen. Und LEVJE wieder auf Kurs zu bringen. Und das alles unter Zunahme des schabenden, merkwürdigen Geräusches. Kann eine verbogen Pinne so ein Geräusch verursachen?

Ich beschließe, den Autopiloten zu schonen. Und LEVJE von Hand zu steuern. So kann ich die Schlangenlinie verkleinern. Und die Ausschläge auf ein Minimum reduzieren. Das häßliche Geräusch, der Kraftaufwand, sie bleiben.

Trotzdem macht das Steuern Spaß. Ich mache mir zwar Gedanken, was ich tun würde, wenn das Ruder vollständig blockiert. Was ich machen würde, wenn es ausfällt? An der Nordküste Kroatiens habe ich mal jemanden angetroffen, einen slowenischen Segler, dessen Ruder gebrochen war, der hilflos auf 10 Meter im Wind vor Umag geankert hatte. Ich habe ihn damals abgeschleppt, fast drei lange Stunden die sechs Seemeilen über die Grenze bis nach Piran, wo wir die slowenische Küstenwache verständigten, die ihn dann übernahm. Sein Boot hinter mir im Schlepp, das damals ebenfalls die übertriebene Schlangenlinie fuhr. Ich überlege, was ich tun würde, in so einem Fall, und so weit draußen. Aber so schlimm scheint es nicht zu sein. Das Ruder ist schwergängig, aber der Zustand der Schwergängigkeit ist stabil. Das Boot lässt sich gut Steuern, nur Kraft kostet es, und das Gefühl, dass da zwei harte Flächen aufeinander scheuern, wo es eigentlich leicht gleiten sollte, das ist blöd.

Ich beschließe, den Autopiloten noch einmal einzuspannen. Und mir die Sache unter Deck genau anzusehen. Hole mir Katrins Schminkspiegel aus ihrem Schapp. Und meine stärkste Taschenlampe. Räume den Ruderkoker unter Deck frei. Leuchte den ganzen Ruderkoker eingehend ab, eingeklemmt ins enge Dunkel von LEVJEs Heck. Farbe blättert ab. Jahrelanger Dreck. Und während ich von hinten mit dem Spiegel, das dachrinnengroße Rohr ableuchte, sehe ich auf der anderen Seite, eigentlich unsichtbar für mich, eine rostige Warze. Schnell lege ich mit Stahlwolle frei, was sich unter Rost und Korrosion befindet. Ein Schmiernippel! Ein Ventil, dafür gedacht, regelmässig etwas zu fetten! Das habe ich noch nie gesehen! Da habe ich nun jedes Frühjahr meinen Motor akribisch gewartet. Mich ums Rigg gekümmert und um alles, woran Segler zuerst denkt. Aber dass sich unsichtbar auf der von mir abgewandten Seite ein Schmiernippel befindet, der mich förmlich um drei Teelöffel Fett anzubetteln scheint: Daran habe ich nicht gedacht. Und Fettpresse habe ich auch keine an Bord. Hätten Sie gerade zufällig eine zur Hand? Für einen einzigen Schmiernippel? Den einzigen an Bord?

Ich erlöse den armen Autopiloten von seiner Quälerei mit der schwergängigen Pinne. Fast die Hälfte der Distanz habe ich zurückgelegt. Hoffentlich hat meine Nachlässigkeit nicht zuviel am Lager selbst beschädigt? Es sind schließlich gewaltige Kräfte am Werk, jetzt, wo der Windmesser regelmäßig Richtung 22 Knoten klettert und LEVJE immer mehr in den Wind schießen will. Aber der Zustand bleibt stabil, ich steuere mein Boot eben selber von Hand. Ich konzentriere mich ganz auf die Telltales im Vorsegel, um nur ja wenig Ausschläge zu produzieren. Ich reffe aufs zweite Reff, um Druck aus dem Schiff zu nehmen. LEVJE läuft.

Noch etwa 18 Seemeilen bis zum Ziel, die Mgarr-Marina auf Gozo im Channel zwischen Malta und Gozo. Ich bin allein da draußen. Mein Schiff segelt stabil. Das Ruderproblem, die Schwergängigkeit verschlechtern sich, aber nur geringfügig. Mein Oberarm schmerzt, es kostet Kraft, LEVJE immer wieder aus der Schlangenlinie zurückzubringen. Aber dafür ist das hier draußen alles auch zu herrlich. Diese ganz andere Welt, die sich zeigt, wenn man das Land hinter sich gelassen hat. Nur noch Wasser und Wind und Himmel. Das Gefühl, in den Wellen dieser Welt geborgen zu sein, wächst in mir. Mir fällt ein, was Aylin gestern auf ihrer Facebook-Seite postete, es scheint so richtig, was Moitessier über die Weite, die er fand, schrieb:

„I am a citizen of the most beautiful nation on earth,
a nation whose laws are harsh yet simple,
a nation that never cheats,
which is immense and without borders,
where life is lived in the present.
 In this limitless nation of wind, light and peace,
there is no other ruler besides the sea.“

Es ist alles so groß, so unglaublich und weit, dass alles, was ich mir an Sorgen an Land jemals gemacht habe, winzig klein ist plötzlich, klein und nichtig, ein Fitzelchen, genauso wie die Insel, die hinter mir liegt. Etwas, was ein anderer Kosmos ist, ein unglaublich weiter Kosmos, in dem so ganz andere Gesetze gelten.

Delfine!

Und als wollten sich die Gesetze dieser ganz anderen Welt nachdrücklich in Erinnerung bringen, sehe ich plötzlich einen Schatten im Bug. Ein langer Schatten, ein dunkler Fleck, nur sekundenlang. Ich hänge den Autopiloten ein. Und sause nach vorn. Ein kleiner Delfin. Vielleicht 1,50 lang. Mit weißem Bauch. Delphinus delphis, ein Gemeiner Delphin. Noch einer. Sie machen sich einen Spaß daraus, den Bug der in Schlangenlinie dahinpreschenden LEVJE zu queren, bei voller Fahrt, quer knapp unter dem Bug hindurchzutauchen, blitzschnell wegzudrehen, in die Tiefe zu verschwinden. Meine Schlangenlinie mit ihrer Schlangenlinie zu kreuzen, gemeinsam schreiben wir Zeichen, Worte, Muster in die Weite, die gleich wieder fort sind. Und vergessen. Plötzlich tauchen sie wieder auf, sind wieder da im Bug meines Schiffes, lassen sich im Tempo zurückfallen, was ihnen alles einfällt, im Bug mitschwimmen, wieder abtauchen, wieder auftauchen. Bewegung, die eine Sprache, Kommunikation ist, die ich mehr ahne als verstehe. Oder jedenfalls nur so viel: Leben ist Freude. Ist Spiel.

Und? Wieviele Delfine können Sie auf dem Bild entdecken. Ein Tipp: Es sind vier…

Sie scheinen mir zuzulächeln, die beiden. Es scheint schon eine ganze Weile so zu gehen, ohne dass ich sie bemerkt hätte. Ich husche nach hinten, ins Cockpit, um meine Kamera zu holen. Als ich sie endlich habe, sind die Delphine – weg. Ich halte angestrengt Ausguck. Und dann sehe ich sie wieder: an Steuerbord, querab. Nicht zwei, sondern fünf, sechs. Sie sind alle nicht groß, etwa Kindergröße. Und wie innig miteinander spielende Kinder schrauben sich die sechs durch die Wellen, knäueln, schmiegen, kuscheln sich im schnellen Schwimm umeinander, nähern sich LEVJE an. Entfernen sich. Ein geschmeidiges, schnelles Gleiten durch die Wellen, knapp unter der Meeresoberfläche, ein sich Balgen. Dann – weg! Ich bleibe allein zurück auf LEVJE. Und bin benommen vor Glück, wie immer, über Delphine und ihre Art, mit uns Kontakt aufzunehmen, mit uns zu kommunizieren.

„Thanks for all the fish!“

Ankunft. Und Epilog.

Ich erreichte Mgarr-Marina am Nachmittag gegen 16 Uhr. Ich schreibe nun nicht darüber, dass mich der Wind auf den letzten drei Seemeilen vor dem Hafen von Mgarr auf Gozo mit 24-26 Knoten erwischte. Weil der Nordwest in der Düse zwischen Inseln sich noch einmal mächtig verstärkt.
Segeln ist: Versuchen zurechtzukommen mit dem Wenigen, das man hat, in dem, was man vorfindet.

Ich schreibe auch nicht darüber, dass es Kraft kostete, aufzubrechen und loszufahren, mich jedenfalls, wie immer.

Aber dass es sich gelohnt hat, weil alles von der Warte dort draußen plötzlich klein ist und mich diese Erfahrung jedes Mal aufs Neue bewegt, wo ich doch dachte: „Ich kenne das.“ Dies will ich festhalten.

In den nächsten Tagen berichte aus Malta, einer weiteren vergessenen Insel.

___________________

Soeben bei millemari. erschienen:



Der Musiker Claus Aktoprak ein halbes Jahr unterwegs 
in den schwedischen Schären.
Was für Erfahrungen er machte …. hier zum Trailer.

_________________

Mare Più: heißt „mehr Meer“. 
Und wenn Sie mehr Geschichten 
über die Menschen am Meer lesen wollen:


Ein Mann verliert seinen Job.

Aber statt zu resignieren, begibt er sich einfach auf sein kleines Segelboot.

Und reist in fünf Monaten: Von München nach Antalya.
Was passiert, wenn wir unser angestammtes Leben ändern?

Jetzt lesen. Als eBook. Als Print. Hier bestellen.

Auch als Film:  



Im Download. Als DVD. Hier.

Das sagt die Presse über Buch und Film:

„… ein Sehnsuchtsbuch par excellence.
Und ein echtes sinnliches Erlebnis.“
MÄRKISCHE ZEITUNG im Oktober 2015

„… eröffnet dem Weltenbummler ganz wunderbare Traumziele, auf die man 
bei üblicher Herangehensweise schwerlich gekommen wäre.“
YACHT im Mai 2015 

„Die Besonderheit des einstündigen Streifens ist seine Ruhe. 
Eine Ruhe, die der Film mit poetisch angehauchter Sprache und sinnlichen Bildern von Szene zu Szene eingehender vermittelt.“
SEGELREPORTER im Dezember 2015

„… ein schönes, ein gelungenes Werk, animierend und inspirierend.“
LITERATURBOOT im Juli 2015

„Absolut empfehlenswert!
Für Reisebegeisterte ist ‚Einmal München-Antalya, bitte!‘ definitiv zu empfehlen.“

RATGEBER.REISE. im Juni 2015

Unterwegs in Sizilien.

Es ist Frühjahr. Und weil LEVJEs alte Vorsegel-Furlex-Roll-Anlage ein wenig klemmt, haben Sven und ich die ganze Anlage abmontiert und am Steg zerlegt. Ganz schön tricky und einfach gemacht, es würde sich allein schon lohnen, mal über so etwas Raffiniertes wie eine Vorsegel-Roll-Anlage von 1992 zu schreiben [interessiert das jemand? Bitte Kommentar hinterlassen, ab 10 Kommentaren schreibe ich ;-)].

Kaum ist Sven in den Mast geklettert, kaum ist das ganze Vorstag samt Rollern, Schlitten, Schienen, Rutschern, Ösen, Kegeln ausgehängt, kaum liegt die 8 Meter lange Pracht sich windend vor uns auf der Holzpier, zerrupfen wir es auch schon in seine Einzelteile. Und irgendwann, nachdem wir zwischen 7 Schienenstücken, Vorstag-Draht mit Haken- und Ösen, Abstandshaltern, Distanzhalte-Haken, Einfädlern, zerlegten Winschtrommeln sitzen, perlen uns aus eben jenen Winschtrommeln kleine Kugeln entgegen. Kugeln aus Kugellagern. „Die sehen aber fertig aus“, sagt Sven mit Kennerblick, als ich jede der Kugeln aufgefangen, in einem Wechselbad aus Diesel, WD-40 und Krepp-Papier gescheuert, gereinigt, vom Schmutz der letzten Jahre entfettet habe. 104 Kugeln. Allesamt sehen sie matt aus, ermattet vom jahrzehntelangen eingequetscht Dienst tun müssen, sich drehen müssen, wenn irgendwo einer zieht. Den Winter reglos eingesperrt sein, weil keiner da ist, um mal zu ziehen. Nein, wen wundert, dass die erbsengroßen Kugeln nicht mehr blinken mögen.

104 Kugeln. 
Und wo kriegen wir neue her, an der sizilianischen Südküste, hier im freundlichen Badeort Marina di Ragusa, spezialisiert auf 104 furiose Sorten Gelati, nicht aber Kugellager? Wir packen unser Bündel, das kleine schwarze Gummischälchen mit den 104 Kugeln, setzen uns in unseren geliehenen FIAT PANDA und rollen von der Küste weg in die Hügel, hinauf ins schöne Ragusa. Dort sitzt der YANMAR-Händler meines Vertrauens, zwar repariert er meist nur YANMAR-Landmaschinen, aber hin und wieder ist eben auch ein Schiffsdiesel dabei. Und seit er mir die Wasserpumpe für meinen Schiffsdiesel, die in Deutschland beim Händler satte 1.100 €, in der milden Türkei 800 € kostet, fürs halbe Geld beschafft hat, liege ich Mustafa, der die „Ricambi“, das Ersatzteillager betreut, eh zu Füßen. Als ich ihm mein schwarzes Schälchen mit den 104 Kugeln hinhalte, schweigt er einen Moment. Denkt nach. Und sagt dann: „Modica.“ „Modica??“ „Ihr müsst nach Modica. Da gibts einen Laden, der hat nur Spezialwerkzeug. Und Kugellager.“



Also rollen wir im Panda den atemberaubenden Hügel der 70.000 Einwohner-Stadt Ragusa hinunter und über eine ebenso atemberaubende Schlucht – ich schrieb über sizilianische Schluchten in einem vorigen Beitrag – in die 54.000-Einwohner Stadt Modica. Modica ist nicht klein. Es gibt Modica Alta, oben auf dem Hügel. Und Modica Bassa, unten in der Schlucht. Und nach mancherlei Auf- und Ab und hügelan und hügelab im kleinen Panda, das schwarze Schälchen mit den 104 Kügelchen sorgsam auf den Knien wie einen Schatz balancierend, stehen wir im Laden von Salvatore. Ich bin entzückt. Der Laden, sein Angebot, besteht aus lauter Zangen, Hebeln, Werkzeugen, die ich nie im Leben vorher sah. Sie sind meist rot. Geile rote Sprengring-Zangen sehe ich an der Wand. In mindestens 17 Größen, mit unterschiedlichen Griffen. Andere rote Stahlteile, gewunden, gebogen, hakenartig, hebelkräftig – alles Dinge, um irgendetwas aufzubekommen, Festsitzendes zu lösen, zu öffnen, was sich mit Finger, Häkelnadel, Schraubenzieher einfach nicht lösen, aufbekommen lässt. Salvatores Laden: Ein einziges Sammelsurium an Gerätschaften, um irgendetwas zu aufzuschrauben, umzubiegen, festzuziehen, abzuziehen, anzutreiben. Und: Salvatores Laden in Modica, in dem wir mit unserem schwarzen Schälchen und den 104 Kugeln in einer Reihe hinter drei anderen Bittstellern wie beim Rabbi stehen, ist einer der Gründe, warum ich mir um Italien wirtschaftlich wenig Sorgen mache. Italien besitzt kaum große Aktiengesellschaften, wie wir sie kennen. Dafür Abertausende von Familienbetrieben, die irgendetwas Spezielles herstellen, vertreiben. Familienbetriebe, die für irgend etwas ganz Spezielles wie Grappa, Fahrradsättel oder aus Metall gestanzte Brotkörbe und Zitronenpressen Weltmarktführer sind. Die Salvatores – sie tragen das Land.

Salvatore, mit Vollbart, selber sitzt hinter dem Tresen, Werkzeuge sind in dem engen, 3,50 hohen Raum um ihn gruppiert wie ein Bühnenbild. Ein Kunde nach dem anderen tritt vor, äußert seine Bitte. Als wir dran sind, halte ich ihm mein schwarzes Schälchen hin mit den 104 Kugeln. Salvatores Vollbart entfahren kehlige Laute, sizilianisch, das ich nun gar nicht verstehe, während er eines der Kügelchen wiegend, wägend zwischen Fingern wie Schraubstöcken dreht. „Non o, non da Inox“. Das habe ich verstanden. Salvatore verschwindet kurz hinter dem Bühnenbild, irgendwo in der Tiefe, ein Scharren im Hintergrund, ein schwerer Karton, der sachte in großen Pranken zu Boden geht. Dann ist er wieder da. Genau die Kügelchen, die wir gerne hätten. Erbsengroß. Und wunderschön blinkend. Nagelneu. Nur leider nicht aus Edelstahl. Sie würden rosten, die 104 Kügelchen, samt Lagerschalen würde Meer und Salzwassergischt sie innerhalb Wochen einfach zu bröseligen Klumpen Rost verbacken. Wieder gurgelt der Vollbart, während er die Kügelchen zwischen seinen harten Handwerkerfingern dreht. „Ma son buon“. Er sagt, meine matten Kügeln wären nicht schlecht?! 

Ohne hinzusehen, greift Salvatore einen Magneten aus der Tiefe seiner schweren Schublade, er ist fingerlang und bananenförmig. Der Magnet zieht drei, vier Kügelchen an, Salvatore wiegt den Magneten leicht, die Kügelchen perlen hängend die Krümmung entlang, fallen nicht ab. „Son buon“, gurgelt es aus dem Vollbart, er grinst uns an. Und besieht sich die Lagerschalen. „Tornatore“, dröhnt der Vollbart. Und „pulire“. Eine Dreherei, um die Lagerschalen auf Vordermann zu bringen! Salvatore beschreibt uns einen Weg irgendwohin, ich verstehe nur „al fine dell villagio“, am Ortsende, wir verabschieden uns fröhlich von Salvatore, dem Rabbi. Und kullern im Panda wieder hügelauf, hügelan, unser schwarzes Schälchen sachte auf den Knien balancierend, begleitet, geführt, engelsgleich, von zwei begeisterten Frauenstimmen aus zwei Navigationssystemen unserer zwei Tabletts, weil Sven und ich herausfinden wollen, welches unserer beiden Navi’s denn in den Härten steil ansteigender, winkeliger Einbahn-Kleinstadt-Gassen Siziliens denn nun wirklich nicht aufgibt. Aber am Ende funktioniert die uralte, vor-Software-Navigation am besten: Einfach jemand fragen. Und schon der fünfte, den wir ansprechen, kennt  Giovanni, den Tornatore. Er liegt an der steil ansteigenden Straße, drei Mal sind wir vorbeigefahren, Rabiner, Magier brauchen nun mal kein Ladenschild. Nur eine Werkstatt mit Drehbänken. Giovanni sieht sich die Teile an. Wir sollen in einer Stunde, besser zwei wiederkommen. Kurz vor sieben also.



Zwei Stunden also. Und weil italienische Kleinstädte, die meisten jedenfalls, schön sind und geheimnisvoll, wie Frauen – die meisten jedenfalls! – lassen wir unser Schälchen mit den  104 Kügelchen im Panda vor Giovannis Werkstatt zurück. Und streichen durch die Stadthügel. Allerdings nicht lang. Sven hat sich sogleich verguckt: Er ist fasziniert von den Schokoladen, die da im Schaufenster liegen, geformt wie Legosteine. Und schon stehen wir in der Pasticceria, dem Süßwarenladen von Giovanni, dem Konditor. Er stellt die Schokolade in kleinen Ziegelsteinchen selber her, seit bald 25 Jahren, wo er den Laden von seinem Schwiegervater übernahm. Er steht fröhlich grinsend mit seiner Frau hinter seinem Tresen. Ob er denn im Internet wäre, in Google, wenn ich nun über ihn schriebe, über ihn 



berichten würde? Na klar. Und ich bitte, meine Leserin, meinen Leser dieses Blogs: Sollten Sie nach Modica kommen diesen Sommer oder wann immer, doch Giovani zu erzählen, dass er nun tatsächlich in GOOGLE wäre. Und der Ciocolato di Modica, den Giovani herstellt, ebenfalls.



Überhaupt: Ciocolato di Modica! Es gibt sie in fast jedem Laden in Modica und auch in Marina die Ragusa. Dicke Blöcke bitterer Schokolade, deren Zuckerkristalle immer noch erhalten sind, eine Mischung aus süß und bitter, die herrlich an den Zähnen knirscht, während man im Mund voll reinen Kakaos zu sein scheint. Das Rezept, erzählt Giovani, ist alt. Im 16.Jahrhundert sei es nach Modica gekommen, die Spanier waren wir 600 Jahre Herren Siziliens und haben es aus Spanien mitgebracht. Das Besondere ist, dass Ciocolato di Modica eigentlich nur daraus besteht: Aus einer speziellen Sorte Kakao. Und Zucker. Vielleicht noch ein Gewürz. Etwas Zimt. Oder Vanille. Oder Ingwer. Oder Chilli. Nüsse. Aber 



sonst: Nichts. Keine Milch. Keine Butter. Kein Pflanzenfett. Nichts. Ein Reinheitsgebot nur für Schokolade. Und weil Giovani auch sein Eis selber macht, können wir nicht umhin, Giovani auch gleich noch zwei Eis abzukaufen, das Leben kann schön sein, wenn 104 Kügelchen es mal so richtig auf Trab bringen.



Wir streifen weiter durch die Hügel von Modica. Nicht nur, dass ich oben am Dom der schrumpelig-warzigen Zitronenfrucht, der Cedri, nicht widerstehen kann, die man am Stand oben vor der Kirche bekommt und mit peperonciertem Salz isst. Wir stolpern in den „FIAT Club di Modica“, der oben vor der Kirche seine Prunkstücke aufgebaut hat. Ein FIAT Cinquecento schöner als der andere, eine nette Ansammlung knuddeliger kleiner Kisten, gemacht für steile Winkel und Schlagloch-Pisten, die sich auf Sizilien „Autostrada“ oder „Strada Statale“ nennen. Es ist ziemlich hart für die Stoßdämpfer, will man auf diesen Straßen unterwegs sein und mit dem Verkehr mithalten. Italienische Autofahrer sind, sagen wir, „zügig“ unterwegs, wer schleicht, tuts bitte rechts am Straßenrand, und da ist die Piste noch holpriger. 

Und gleich auf der anderen Seite der zu einer fahrbaren Gelateria umgebaute Fiat, der Gelati e Grannite, das sizilianische Sorbet. Zwei Kügelchen. Heute schon zum zweiten Mal. Macht vier. Es ist aber auch zu verführerisch, in keinem anderen Land der Erde möchte ich leben, was Essen und Trinken angeht, was die Küche angeht: die einfachen Dinge, sind die Menschen hier, auch die einfachen, Könige.



Als es kurz vor sieben ist, stehen wir vor Giovanni. Er sieht müde aus. Und zeigt uns stolz die Lagerschalen. Er hat sie in die Drehbank gespannt und einmal abgedreht. Sauber sehen sie nun wieder aus, wie neu. Nun dürften sich die 104 Kugeln auch wieder wohlfühlen. Und die Genua sollte sich wieder leichter ausrollen lassen.

Und Giovanni? Er ist eigentlich Albaner. Er kam vor 15 Jahren hierher nach Modica, nicht aus Not, aber auf der Suche nach einem besseren Leben als Zuhause. Und warum nach Modica? Sein Cousin wäre hier gewesen, hätte ein Restaurant eröffnet gehabt, das gut funktionierte. Also sei er nach Modica gekommen, hätte hier neu angefangen. Und heute: Ist die Dreherei, der Betrieb seiner. Er lebt gut hier. Und hätte er mir nicht seine Geschichte erzählt – dann hätte ich Giovani für einen waschechten Sizilianer, einen Bewohner dieser Insel gehalten. 

Aber vielleicht ist er ja genau das.

Mare Più: heißt „mehr Meer“. 
Und wenn Sie mehr Geschichten 
über die Menschen am Meer lesen wollen:


Ein Mann verliert seinen Job.

Aber statt zu resignieren, begibt er sich einfach auf sein kleines Segelboot.

Und reist in fünf Monaten: Von München nach Antalya.
Was passiert, wenn wir unser angestammtes Leben ändern?

Jetzt lesen. Als eBook. Als Print. Hier bestellen.

Auch als Film:  



Im Download. Als DVD. Hier.

Das sagt die Presse über Buch und Film:

„… ein Sehnsuchtsbuch par excellence.
Und ein echtes sinnliches Erlebnis.“
MÄRKISCHE ZEITUNG im Oktober 2015

„… eröffnet dem Weltenbummler ganz wunderbare Traumziele, auf die man 
bei üblicher Herangehensweise schwerlich gekommen wäre.“
YACHT im Mai 2015 

„Die Besonderheit des einstündigen Streifens ist seine Ruhe. 
Eine Ruhe, die der Film mit poetisch angehauchter Sprache und sinnlichen Bildern von Szene zu Szene eingehender vermittelt.“
SEGELREPORTER im Dezember 2015

„… ein schönes, ein gelungenes Werk, animierend und inspirierend.“
LITERATURBOOT im Juli 2015

„Absolut empfehlenswert!
Für Reisebegeisterte ist ‚Einmal München-Antalya, bitte!‘ definitiv zu empfehlen.“

RATGEBER.REISE. im Juni 2015

Besuch an Bord

IMG_5469 KatzeAls ich noch in Toulouse im Hafen lag, hatte ich unerwarteten Besuch. Sie hat mir kurz einen Schreck eingejagt, als sie mich mit ihren großen, blauen Augen durch das Fenster angestarrt hat. Eine schnuckelige, dreifarbige Katze.
Bleiben wollte sie nicht und ist kurze Zeit später wieder von Bord gegangen. Ich konnte ihr auf die Schnelle auch nichts anbieten. Auf so einen Besuch war ich einfach nicht vorbereitet.
Am nächsten Tag habe ich eine kleine Menge Katzenfutter besorgt, falls der Streuner oder die Streunerin nochmal wiederkommen sollte, um anzuheuern. Aber ich habe vergeblich gewartet. Das hübsche Tier hat sich leider nicht nochmal blicken lassen.

Also bin ich am 27.04. wieder los. Raus aus Toulouse und vorbei an einer Schlange von Dauerliegern. Kilometerlang lagen die Penichen am Kanalufer. Manche hatten ihre beste Zeit schon lange hinter sich, manche waren auch wunderschön restauriert und zu einem Haus auf dem Wasser umgebaut.
Bis auf die Penichen, einer defekten Schleuse und einer Grundberührung mittig im Fahrwasser, hatte der Tag nichts spektakuläres zu bieten. Die Grundberührung hatte ich kurz vor einer Schleuse. Zum Glück war der Propeller bereits ausgekuppelt und Eos nicht mehr allzu schnell. Das Boot stand mehr oder weniger sofort und ich wäre fast in die Kajüte gepurzelt. An der Stelle war das Wasser vielleicht noch einen dreiviertel Meter tief. Wir saßen mit beiden Kielen auf Grund. Nur das linke Drittel des Kanals war noch befahrbar. Erkennen konnte man das im Vorfeld nicht. Eos ließ sich mit etwas Gas wieder zurück fahren. Dann ging es vorsichtig weiter.
Am Abend war ich in Negra und habe an einem kleinen Stadtanleger übernachtet.

Der 28.04. war der Tag, an dem ich endlich die Scheitelhaltung erreicht habe. Der höchste Punkt des Kanals, auf etwa 190 Metern über dem Meer. Ich hatte mir ehrlich gesagt mehr davon versprochen. Es soll ein Denkmal für den Erbauer geben. Gesehen habe ich davon nichts. Die Anlegemöglichkeiten sind auch eher bescheiden. Der Kanal ist in der Scheitelhaltung so schmal, das man nur kurz vor der Schleuse Platz hätte, ohne jemanden zu behindern. Dieser Platz ist allerdings für Boote vorgesehen, die geschleust werden wollen. An einer anderen Stelle war das Ufer viel zu flach für Eos. Also bin ich weiter gefahren, habe mich aber trotzdem sehr gefreut, oben angekommen zu sein. Mit der Schleuse L’Ocean hatte ich sie hinter mir, die letzte Schleuse nach oben. Ab jetzt geht es bis zum Mittelmeer nur noch bergab. Das ist wesentlich leichter, als Einhand in den kleinen Schleusen aufwärts zu fahren.

Leider hat sich während meiner Fahrt durch die Scheitelhaltung langsam raus kristallisiert, dass ich an diesem Tag nicht mehr den nächsten Hafen erreichen kann und wahrscheinlich irgendwo im Niemandsland festmachen muss.
Aber es kam mal wieder anders. Ich habe vor der ersten Schleuse nach unten zunächst festgemacht und meine Leinen umgebaut, um Eos leichter abwärts bringen zu können. Anschließend bin ich in die Kammer gefahren. Wie gewohnt allein. Während ich Eos an der Mittelleine an einem Poller halte, sagt der Schleusenmeister vor sich hin: „Zwei Boote.“
Tatsächlich, hinter mir taucht eine Motoryacht auf und schiebt eine ordentlich Bugwelle vor sich her. Eine Premiere. Die erste Schleuse, in der ich nicht allein bin. An Bord der Yacht, zwei Freunde aus England. Der Anleger in der Schleuse war schnell und richtig gut. Die beiden haben ihr Boot im Griff und hinter uns schließt sich das Tor.
Während es nach unten geht, erzählen sie mir, dass sie heute unbedingt noch zum nächsten Hafen nach Castelnaudary wollen.
Wir besprechen uns kurz und als sich das Tor öffnet, ist die Motoryacht und Eos bereits in Bewegung. Ich fahre mit hoher Drehzahl und versuche möglichst dran zu bleiben. Die Motoryacht ist allerdings deutlich schneller. Trotzdem passt der Ablauf perfekt. Die beiden fahren vor, einer springt ab, öffnet die Schleuse. Dann fahren sie in die Kammer und ohne dass Zeit verloren geht komme ich mit Tempo hinterher gefahren. Einer steht dabei schon mit der Hand auf dem Knopf bereit und es geht bereits abwärts, wenn ich gerade eben die Leine um den Poller geworfen habe.
Die beiden sind meine Chance, doch noch den Hafen zu erreichen. Leider haben wir an einer Schleuse Gegenverkehr und müssen warten, ansonsten läuft das Rennen wie geschmiert. Und wo wir schon beim Thema sind, es wechselt eine Menge Bier von der Motoryacht den Besitzer und die Schleusenmeister helfen mit. Die Hoffnung, dass wir ein wenig in den Feierabend überziehen dürfen wächst und wir kommen immer näher an die letzte Schleuse des Tages.
Es klappt, wir werden noch einmal abwärts geschleust und nochmals wechselt Hochprozentiges den Besitzer. Alle sind glücklich und ich fahre nun entspannt hinter der Motoryacht Castelnaudary entgegen.
Als ich dort ankomme, drehe ich noch eine kleine Runde durch den See, bevor ich Eos am Stadtanleger festmache.

Kurze Zeit später steht jemand neben dem Boot und wir kommen ins Gespräch. Hocine ist neugierig, woher ich komme und wohin ich will. Wir reden übers Reisen, Segeln und sind irgendwann bei Peace und U2. Die Wellenlänge stimmt und ich komme spät in die Kajüte.
Am nächsten Morgen steht Hocine vor Eos und ich gucke verschlafen aus dem Boot. Dachte zuerst, er wollte nur Tschüss sagen, aber nein, er will mit!
Ich überlege kurz und sage schließlich: Ja!
Während ich Eos startklar mache, besorgt er noch Jacke, Mütze und etwas Proviant für den Tag und wir gehen, nach einer kurzen Einweisung, gemeinsam auf die nächste Etappe. Für Hocine die erste Fahrt an Bord einer Segelyacht.
Durch die Schleusen kommen wir heute super schnell. Ab jetzt muss ich sie auch nicht mehr selbst bedienen. Ab Castelnaudary sind bis zum Mittelmeer noch an allen Schleusen Schleusenmeister. Durch Hocine erfahre ich heute auch viel mehr. Denn er bekommt natürlich viel schneller die unterschiedlichsten Infos von den Leuten am Kanal, als ich das mit Fremdsprachen sonst schaffe.
So vergeht die Fahrt fast wie im Flug, bei tollem Wetter und interessanten Gesprächen.

Abends machen wir die Leinen in Bram fest, quatschen noch eine Weile und Hocine geht schließlich wieder von Bord und fährt mit dem Bus zurück nach Castelnaudary.

Die Farbe BLAU.

Vergangene Woche sandte mir Angelika Gebhard für die Neuausgabe ihres Segelklassikers MIT ROLLO UM DIE WELT ein Vorwort, um das wir gebeten hatten. In diesem Vorwort, das mich sehr bewegte, weil sie darin ausführlich beschreibt, was von einer großen Segelreise bleibt, erwähnt sie unter anderem über ihre Begegnung mit der Kultur der alten Polynesier:

„Allein die Farbe Blau kennt in der alten polynesischen Sprache über 300 Schattierungen und Begriffe.“

300 Worte. Nur für BLAU! Das saß! Seitdem grundle, google ich, wie das denn mit BLAU im Deutschen ist. Und? Was denken Sie: Wie viele Worte gibt es im Deutschen für Blau?

Beflügelt wurde die Recherche auf der Suche nach dem Blau noch durch einen kleinen Schlag auf LEVJE etwa 20 Seemeilen die sizilische Südküste hinunter, wobei die Fotos entstanden. Es war der erste Tag nach längerem Nordwest-Starkwind. Das Meer in der flachen Küstenzone immer noch aufgewühlt, doch die Schlammfarbe des sturmbewegten Meeres längst dem großen Türkis gewichen. Ich gebe gerne zu: Dies ist meine Lieblingsfarbe Blau. Diese Mischung aus Blau. Und Grün. Und hellem Grau. Und eigentlich dachte ich bislang: Wenn ich diese Farbe sähe, die gäbe es nur an einem Ort, dann wüsste ich, wo ich befände: Nämlich in der nördlichen Adria. Aber das stimmt definitiv nicht.

Ob es stimmt, was man über Fischer und manche Naturvölker auf dem Meer sagt? Dass sie an der Farbe des Meeres erkennen könnten, wo genau sie sich gerade befänden?

Die Farbe des Meeres. Sie wird bestimmt, „gemixt“ aus verschiedenen Faktoren: Dem Einfallswinkel des Sonnenlichtes, der sich zwar täglich, aber vor allem im Lauf der Jahreszeiten ändert. Wir erinnern uns an die Gesetze der Lichtbrechung? Nein? Egal! Jedenfalls bricht die Wasseroberfläche das Licht. Wasser, das eigentlich durchsichtig ist, „filtert“ ab zunehmender Tiefe die verschiedenen Farben des Lichts. Und zurück bleibt: BLAU. Je flacher Licht einfällt, desto mehr davon wird reflektiert. Je weniger Licht ins Wasser eindringt, desto mehr Braun, Schwarz scheint das Wasser.

Nachts? Sind alle Wasser schwarz. Das ist auf dem Meer genauso wie im Gänseteich in der Weilachmühle, auf der Alpaka-Farm meines Freundes Christian in Oberbayern. Faustregel: Je „höher Sonne“, umso „Meer Blau“!

Und dann fangen die Schwierigkeiten auch schon an. Denn für alles Weitere ist nicht mehr jahreszeitlicher Stand der Sonne, ihre Höhe, sondern anderes verantwortlich. Im Wasser schwebende Sedimente, beispielsweise. Ich erinnere mehr: Während etwa zwei, drei Wochen im Jahr ist die Farbe in meiner Heimat auf den oberbayerischen Seen so wie die oben. Nur etwa zwei, drei Wochen – und genau um die Zeit der Sommersonnenwende herum, die uns ja schon in knapp fünf Wochen ereilt und wo der Sommer, kaum dass er begonnen, auch gleich wieder vorbei ist. Und noch schneller ist das dann auch mit dem Türkis vorbei.

Sedimente also. Das Zweite. Die kleinen feinen Teilchen, die im Wasser schweben, wenn es aufgewühlt war. Oder wenn ein Fluss wie die großen Nordadria-Ströme Tagliamento, Piave, Isonzo und auch der Po helles Gesteinsmehl aus den Bergen ins Mehr spülen. Sie „schweben“ im Wasser. Und geben ihm dann je nachdem eine ganz eigene Note. Und das Ganze findet statt, ob ich da bin. Oder auch nicht.

Denn dies ist dann der dritte Faktor: Wahrnehmung. Was sehe ich eigentlich für ein Blau, und was ist das Blau, das im gleichen Moment meine Frau wahrnimmt? Oder ihre griechische Landschildkröte? Genau das gleiche Türkis, das mich so entzückt?

Ein weiteres kommt hinzu, und es hat mit Licht und Sedimenten gleichermaßen zu tun. Deren Gehalt im Wasser verändert sich. Machen Sie doch einen Test: Ich habe die Fotos dieses Posts strikt in der Reihenfolge ihrer Aufnahme eingebaut. Das erste entstand beim Ablegen. Das letzte am frühen Nachmittag. Es wird „blauer“ – je höher die Sonne steht, je weniger Sedimente im Wasser sind. Es wird immer blauer. Und deshalb ist es an der kroatischen Adriaküste eigentlich immer Tiefblau, wie in Griechenland auch, weil dort wenige Flüsse ins Meer münden und deren Sedimente dorthin tragen. Und deshalb ist die Ostsee auch… aber da kommen Sie jetzt selber drauf!

Ja – und wie ist das denn nun mit Polynesisch der Ureinwohner und der Farbe BLAU im Deutschen? Da gibt es dann – soweit es das Deutsche betrifft – überraschende Aspekte. Zum einen, dass das Deutsche sooooo schlecht nicht ist, was BLAU angeht. Immerhin 50 verschiedene Synonyme listen einschlägige Synonymseiten im Web auf. Scheinbar gut.

Aber sieht man sich die Synonymlisten genauer an, stellt man fest, dass es für die FARBE BLAU nur wenige Worte gibt: Türkis. Ultramarin. Azur. Veilchenblau. Hellblau. Himmelblau. Stahlblau. Indigo. Jeansblau. Zschitscherin-Vogelschwanz-Blau? (Mein Vorschlag für eine neue Autositz-Auswahlfarbe??). Graublau. Und so weiter.

Die meisten Synonyme beziehen sich auf etwas anderes: Blau wie ein Veilchen, nämlich. Alkoholisiert. Beduselt. Berauscht. Beschickert. Beschwipst. Besoffen. Betütert. Bezecht. Sternhagelvoll. Stockbetrunken. Sturzbesoffen. Voll. Voll wie eine Strand-Haubitze (… immerhin mal was mit „Meer“). Angeheitert. Fertig. Zu.

Und so sieht das stocknüchterne Ergebnis meiner Recherche nach der Bedeutung von BLAU im Deutschen aus:

1. So ganz schlecht sind wir Deutsche nicht. Ein paar BLAU-Begriffe haben wir schon auch!

2. Naturvolk sind die Deutschen nach dieser Sprachanalyse lange keines mehr – schaut man sich die Begriffe an. Vielleicht noch in einem Winkel ihres Herzens, der immer wieder BLAU sucht.

3. BLAU in dieser Sprache hat oft mit Produkten zu tun. Etwas, das man kaufen kann, ist oft mit BLAU ausgeschmückt.

4. Was die SYNONYME angeht: Zu allermeist haben diese mit dem Ergebnis übermäßigen Alkoholkonsums zu tun.

Nun ja. Derlei ernüchternde Ergebnisse können an zwei Dingen wenig ändern:

Das Blau des Meeres ist, was es ist. Mir geht immer noch das Herz auf bei diesem Anblick.

Und die alte Kultur der Polynesier? Was ist aus dem Blau in der polynesischen Sprache geworden? Ich fürchte, die Bedeutungen von BLAU haben dort vermutlich unter dem Einfluss dessen, was wir „Zivilisation“ nennen, eine ähnliche Richtung eingeschlagen – siehe Punkt 1 bis 4.

Ich nehme mir vor, Angelika Gebhard zu fragen.
Oder zumindest das Vorwort noch mal zu lesen.

Angelika Gebhard, Mit Rollo um die Welt, neu ab € 7,99.
Rollo Gebhard, Leinen los. Wir segeln um die Welt, neu ab € 7,99.
Mehr Infos? Hier!

Pantalica

Es gibt Orte, an die ich auf meinen Reisen immer wieder zurückkehre. Orte, die mich magisch anziehen. Wahrscheinlich ist das alles leicht erklärbar: Ein „guter Moment“. Vor langer Zeit.
Aber was leicht erklärbar scheint, ist in Wahrheit der Anfang der Schwierigkeit zu erklären: Was einen „guten Moment“ denn nun eigentlich ausmacht? Was die Ingredienzen sind, die man einfach aus dem Regal nehmen muss – und dann kommt er heraus, als chemische Reaktion, als Endergebnis, als Fertigprodukt, „der gute Moment“?

Pantalica besuchte ich Mitte der Neunziger zum ersten Mal. Die Ingredienzen, die den Moment damals schufen: Die erste Reise mit meiner neuen Freundin. Katja, die vorschlug, dahin zu fahren, ich wusste nichts von Pantalica. Zwei große Schluchten, die sich auf einander zubewegten. Zwei Flüsse, Anapo und Calcinara, die sich tief, tief eingegraben hatten durch die Kalkschichten, die irgendeinem fernen Erdzeitalter-Ur-Ur-Meer entstiegen waren. 5.000 (!!) in den Fels gehauene Grabkammern, die meisten oben an der Felskante, nie unten. Die meisten nach Osten und Süden, selten nach Norden. Die Wanderung durch das dichte, tiefe Grün im damaligen Mai, das so gar nicht meinem Bild vom verbrannten Sizilien entsprach. Leuchtend roter Mohn. Lupinen. Kniehohes Gras. Meine Sorge, als ich durch die dichten Halme streifte, ich könnte hier, genau hier von einer Schlange gebissen werden, eine Sorge, die mich, der ich im Ausland viel wandere, selten streift. Warum hier?
Pantalica. Zwei Canyons, eine Stunde vom Meer, von Siracusa entfernt.

Die Welt, durch die wir uns bewegen, ist voller Gewissheiten. Das Wetter wird morgen soundso. Dies ist meine Handynummer. Das gibts heute Abend zu essen. Und wenn jemand stirbt, dann kommt der Bestatter. Tatsächlich ist die Art, wie wir mit dem Tod umgehen, jenem, der uns in unserem unmittelbaren Umfeld betrifft, Ausdruck unserer Kultur. Friedhöfe. Orte ehrenden Gedenkens. Teure Grabsteine. Ein Name, zwei Jahreszahlen. Ein paar Blumen.

Vor allem dank Ethnologen und Archäologie weiß man, dass die Arten, wie Kulturen mit dem Tod ihrer Angehörigen umgehen, in die Myriaden gehen. Es ist immer wieder erstaunlich, welchen Variationsreichtum es gibt. Steinzeitliche Kinder, in hockender Position auf den Inseln der Ägäis in Tonkrüge gebettet. 
Die bronzezeitliche Fürstin, deren Grab man keine 30cm unter der Grasnarbe beim Bau des Gymnasiums Grünwald bei München fand, liegend, den Kopf mit einem Bronzekranz bekrönt, den Blick der leeren Augen für immer nach Südosten. 
Die Kelten im gerade 100 Kilometer entfernten Manching, die mit den Schädeln von Verstorbenen und Feinden unter ein und demselben Dach lebten. 
Die heutigen Toten, die wir außerhalb der Wohnorte auf eigenen Arealen in die Erde betten. Und den Gärtner mit der Grabpflege betrauen. 
Die Grabkammern von Pantalica. Einfach in die Felsen gehauen, in die aus dem dichten Grün zwischen Oliven, Macchie, Pistazien herausragenden Vorsprünge, Felsnasen, Hangkanten.

Die Archäologen sagen, dass Pantalica besiedelt wurde etwa zu der Zeit, als Troja unterging. 
Als die Fürstin von Grünwald bestattet wurde, etwa im 13. Jahrhundert vor Christus. 
Längst wurde das Meer befahren, 5.000 Jahre zuvor war wohl von hier, von Sizilien aus, ein Volk aufgebrochen und hatte 50 Seemeilen weiter südlich, auf den Inseln von Malta, eine einzigartige Zivilisation mit den gewaltigen Steintempeln von Hagar Quim begründet. 
1.300 vor Christus? Die Minoer befuhren zu diesem Zeitpunkt bereits 800 Jahre auf festen Handelsrouten das östliche Mittelmeer. Um die gleiche Zeit waren Mykenier, deren Erben, nach Eroberung Troyas im Niedergang begriffen. 
Ägypter schlugen sich um 1.300 unter Ramses II. mit den Hatti an der Grenze im heutigen Palästina herum. Eine unruhige Ecke, heute wie damals, warum eigentlich? 
Keine allzuferne Zeit also, die Zeit von Pantalica. Keine Epoche, über die wir nichts wüssten. 1.300 vor Christus: Eine Zeit, in der große Wanderbewegungen einsetzen. Eine Welt, die nach längerer Phase „stabiler“ Verhältnisse dabei ist, in Umordnung, Neuordnung, Chaos, Veränderung überzugehen. Schatten am Horizont. Dunkle Wolken. Neuankömmlinge, die fremde Sprachen sprechen und auf Booten kommen. Beginnende Bewegung überall im östlichen und mittleren Mittelmeer – auch auf Sizilien.

Es waren wohl Menschen von den Küstenregionen im Osten und Süden Siziliens, die sich unter dem Druck neuer, übers Meer gekommener Siedler offensichtlich von den Küsten weg Richtung Landesinneres bewegten. Die Namen der Neuankömmlinge, zusammengefasst in fremd anmutenden Namen von Völkern: Ausonier. Morgetaner. Und auch: Sikeler. Sikeler, die der Insel mit den drei Kaps für alle Zeit den Namen geben sollten: Sizilien. Shekelet, von denen die alten Schriftsteller erzählen. Jene, die vorher an den Küsten gesiedelt hatten, suchten Zuflucht vor ihnen auf den schwer zugänglichen Höhen zwischen den beiden Canyons von Pantalica. Um irgendwo dort ihre neue Stadt zu gründeten. Von ihr ist nichts erhalten, man weiß nicht, wo sie lag, man weiß nur, dass der Höhenrücken besiedelt war für 600 Jahre. Solange, bis die Griechen kamen.

Was blieb, waren Grabkammern. Über 5.000 von Ihnen liegen in der Landschaft verstreut, manche einzeln, manche in Gruppen eng beieinander liegend, so eng: man könnte meinen, dies wäre über Jahrhunderte Bestattungsanlage einer Familie und aller ihrer Angehörigen gewesen. Und 150 Meter weiter der einer anderen Sippe. Was verblüfft, ist der Aufwand, den die Lebenden für die Toten mit Schaffung der Grabkammern betrieben. Der in den Fels gemeisselte Eingang misst ungefähr ein Meter mal ein Meter fünfzig. Dahinter ein kleiner Raum, breiter und höher als der Eingang, im Volumen etwa ein, zwei Kubikmeter groß. 
Vermutlich wurden Holzgerüste errichtet, um überhaupt Kammern in drei, vier Metern über dem Boden errichten zu können. Wir befinden uns in der Bronzezeit. Presslufthämmer, Dynamit, Gesteinsbohrer waren noch 3.300 Jahre weit weg – Erfindungen unserer Jahrhunderte. Stattdessen: Einfache Meissel aus in Hartholz gespanntem Gestein. Und aus weicher Bronze. Weichmetall, das auf harten Kalkstein-Fels auftrifft. Kleine Gesteinssplitter, die ein Hammer man mit jedem Schlag auf den Bronzemeissel wegsprengt. Ein paar kleine Steinsplitter mit jedem Schlag. Der Meissel, der an dem harten Gestein schnell stumpf wird. Sich vielleicht rasch verbiegt.

Sie sind nicht groß, die Grabkammern. Vielleicht etwas mehr als ein- bis eineinhalb Kubikmeter. Die Eingangsöffnung ist so klein mit ein Meter mal ein Meter zwanzig, dass an jeder Grabkammer eigentlich immer nur ein einziger Mann arbeiten kann. Mehrere würden sich behindern, in der beengten Eingangsöffnung sich gegenseitig im Weg stehen, nein, das geht gar nicht. 
Also ein Mann, der an einer Grabkammer arbeitet. Wie lange braucht ein Mann mit einfachstem, splitterndem Stein- und sich verbiegenden weichen Bronze-Meisseln und Werkzeugen, um etwa einen Kubikmeter harten Kalksteins abzusprengen, abzulösen, Steinchen für Steinchen, bis eine Grabkammer fertig ist? Eine von Fünftausend? 
Die Rechnung ist einfach: Nehmen wir an, jeder Hammerschlag sprengt Splitter und Stäubchen und Steinsprengsel im Volumen eines kleinen Spielwürfels aus dem Gestein. Etwa einen Kubikzentimeter. Dann bräuchte es zwischen ein und zwei Millionen Hammerschlägen, um eine Kammer herauszumeisseln. 1.000.000 bis 2.000.000 Schläge.  Gehen wir weiter davon aus, dass ein guter Arbeiter, ein ausgebildeter Mann etwa 40 Schläge pro Minute ausführen kann. Pausen eingerechnet. Dann schafft er 2.400 Schläge in der Stunde – was dann immerhin der Gesteinsmenge eines Würfels mit  13,4 Zentimeter Kantenlänge entspräche. Könnte der Mann jeden Tag etwa sechs Stunden in derartigem Tempo arbeiten – Pausen und Zeiten für Abräumen der Trümmer eingerechnet, Werkzeug wird „gestellt“, dann: Wäre eine solche Grabkammer nach knapp 140 Tagen fertiggestellt. 140 Tage. Vier Monate und ein halber. Ein halbes Jahr, grob geschätzt, also.

Gehen wir davon aus, dass mehrere Männer an einer Grabkammer arbeiteten. Nicht gleichzeitig, sondern nacheinander, um sich abzulösen. Dann liesse sich die Zeit für die Fertigstellung auf siebzig Tage verkürzen – vielleicht auch deutlich weniger, wenn Tag und Nacht und „rund um die Uhr“ gearbeitet worden wäre.

Wahrscheinlich ist, dass die Grabkammern nicht sämtlich „aus einem Guss“ entstanden. Die Sikeler, die sie errichteten hinterliessen keine schriftlichen Zeugnisse. Forscher unterscheiden verschiedene Komplexe an vier unterschiedlichen Stellen von Pantalica.  Gemeinsam ist ihnen, dass sie in den fünf, sechs Jahrhunderten ihrer Nutzung mehrfach und immer wieder genutzt wurden. Verschlossene Kammern, in denen bereits mehrere Tote bestattet waren, wurden für weitere Beisetzungen geöffnet. Als Archaeologen um 1910 mit der Erforschung des Höhenrückens begannen, fanden sie die Kammern, die heute leer sind, mit ein und sieben Toten beiderlei Geschlechts – zusammen mit den typischen Bronzezeit-Beigaben wie Tonkrügen, Bronze-Dolchen, Fibeln. 

Was es aber mit den Riten der Sikeler auf sich hatte, ihren Toten in den Hängen regelrecht Häuser hoch oben in den Felsen zu errichten so wie im Leben auf Erden, was sie bewog, ihnen Alltagsgegenstände mit in ihre letzten Wohnungen zu geben, dies wird ihr Geheimnis bleiben.

Was aus alldem wurde?
Die erste Kultur von Pantalica?
Etwa mit dem 7. Jahrhundert vor Christus endet die Nutzung der Grabkammern. Pantalica – oder wie immer der Name des Ortes gewesen sein mag, und seine Bewohner gerieten unter Druck und in die Konflikte der an der Ostküste städtegründenden Griechen. Vermutlich von Griechen aus Syrakus wurde die Stadt im 7. Jahrhundert zerstört.

Die zweite Kultur von Pantalica?Noch verschiedene Male wurde der Höhenrücken zwischen den beiden Flüßen Ort der Zuflucht. Die nächste große Besiedlung fand statt, als sich im 7. Jahrhundert Raubzüge der Araber mehrten. Und die frühchristlich Reströmisch-byzantinische Bevölkerung ebenfalls die Flucht ergriff. Sich landeinwärts auf den geschützten Höhenzügen niederließ. Und die Höhlen ein weiteres Mal besiedelte.

Pantalica heute?
Ein großer Naturpark, in dem der Seewind über die Canyons hinwegstreicht. Ein einsamer Fleck – für mich immer wieder ein Highlight Siziliens, nur etwa 50 Minuten von Siracusa und der Küste entfernt. 

Und für alle, die Fernweh & Meeres-Sehnsucht jetzt gleich befeuern wollen:


Was passiert, wenn wir unser Leben ändern?

Jetzt lesen. Als eBook. Als Print. Ab € 9,99. Hier bestellen.