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SV Chirena – Pia Adrario + Harald Mahatsek AT

DREI JAHRE MIT WINDPILOT IM ATLANTIK UNTERWEGS

Lieber Peter Förthmann,
aus gegebenem Anlass ( Ihr Vertreter in Horta, Harry Schank hat uns in Empfang genommen und war uns mit Holzarbeiten, die nach der Überfahrt notwendig waren, sehr hilfreich) schreibe ich Ihnen einen Kurzbericht:
Wir sind 07/2015 in Griechenland gestartet und sind über die Kanaren und Kapverden in die Karibik gesegelt.

Die Hurricanesaison 2016 haben wir in Grenada abgewettert und haben dann von 12/2016 bis 08/2017 die Karibik und anschließend Puerto Rico, die Dom.Rep., Kuba,die Bahamas und die US Ostküste genossen. Ende August haben wir in Baltimore bei der Tidewater Marina unser Winterlager bezogen. Da waren wir nicht ganz glücklich; abgesehen davon, daß wir einen kräftigen Sturmschaden hatten,waren alle Reparaturen maßlos überteuert.

Unsere Überfahrt von der Delaware Bay nach Flores war anspruchsvoll. Unter anderen hat uns eine heftige Welle ein Solarpanel zerstört und den Seezaun eingedrückt. Harry hat es wieder gut gemacht, siehe oben.
Mittlerweilen habe wir Horta, Graciosa und Pico besucht und liegen nun in Velas auf São Jorge. Bis Ende des Monats wollen wir noch auf den Azoren bleiben und planen,dann nach Portugal überzusetzen, wo wir für das Boot ein Winterlagen suchen.

Soviel in Kürze. Ausdrücklich möchte ich auf die guten Dienste hinweisen,die uns der Windpilot geleistet hat. Das war wohl die beste Investition, die wir beim Ausrüsten des Bootes getätigt haben! Bei allen längeren Fahrten hat er uns gut gelenkt, die Überfahrt von den USA auf die Azoren sind wir ausschließlich mit dem Windpilot gefahren, da unser elektrischer Autopilot unmittelbar nach Abfahrt den Dienst quittiert hat.

Wir denken, daß man auch Gutes ausdrücklich aussprechen soll, daher diese Zeilen.
Mit freundlichen Grüßen
Harald Mahatsek
Pia Adrario
CHIRENA. HR 38

Nordspaniens wilde Küsten. Unter Segeln von Coruna ostwärts.

Seit Mitte Mai bin ich in von Sizilien aus unterwegs, um einhand 
für mein neues Buchprojekt um die Westküste Europas zu segeln. 
Nach den Balearen, Gibraltar und Portugal bin ich im Moment 
an der nordspanischen Küste unterwegs.  

Aufwachen in der Bucht von Cedeira, vier Stunden östlich von Coruna. Zum x-ten spannt sich knarrend Levjes Ankerkette. Es hat Wind. Ich stecke den Kopf aus dem Niedergang. Ein grauer Himmel über dem Leuchtturm, der mir gestern um Mitternacht den Weg in die Bucht an den Untiefen vorbei wies und jetzt wie ein Kapelle friedlich auf dem Felsen mit dem Kiefernwäldchen steht. Zu ihren Füssen brechen die langen Wellen aus dem Norden, ich höre ihr Donnern bis hierher. Sonst ist alles still an diesem Morgen in der Bucht von Cedeira.

Ich sehe mir kurz den Wetterbericht an. WINDY sagt Südwest mit Windstärke sechs voraus. In Böen mehr. Das ist Wind von achtern. Ideal, um ein großes Stück nach Osten zu segeln. Ich schaue kurz hinüber zu den anderen Yachten, die hier vor Anker Schutz suchten. Nichts rührt sich. Sie wollen wahrscheinlich alle nach Westen, gegen den Wind also. Für sie bedeutet das: Einen Tag Pause. Für mich: Segeln.

Ich bereite mein Schiff vor. Unter Deck alles gründlich verstauen. Es wird Seegang geben, nichts soll herumfliegen. An Deck aufräumen, was in der Nacht vor Müdigkeit liegenblieb. Ein Tee. Eine Schale mit warmen Haferflocken. Los jetzt. Noch am Anker setze ich das Großsegel mit 2. Reff – lieber klein anfangen als groß nachgeben, wer weiß schon, was draußen los ist. Tatsächlich schlägt es wild um sich in einer ersten Böe, Levje schwoit an der zu langen Ankerketter. Bei mehr als drei Meter Tiedenhub an der galizischen Küste stecke ich lieber zuviel als zu wenig, auch wenn die Ankerwinsch jetzt alle Mühe hat. Kaum frei, steuere ich Levje aus dem Schutz der Hafenmole hinaus. Tatsächlich. Hier rollen die Wellen aus Nordwest an, die ich am Fuss des Leuchtturms brechen sah. Da ist die Untiefe, bei Ebbe gut sichtbar. Für einen kurzen Moment sehe ich zwischen zwei Wellenkämmen einen Fischer auf seinem Boot, der noch im Schutz der Bucht seine Fischkörbe zum Grund hinunterlässt. Ich sehe ihn nur, wenn er oder ich auf dem Wellenkamm sind. Sonst ist er in den Wellen verschwunden, obwohl er keine 50 Meter entfernt ist.

Kaum bin ich aus der Bucht, kommen zum Schwell aus Nordwest auch noch Wellenberge aus Südwest. Kreuzsee. Aber nicht die kleine, hackige, die ich aus dem Mittelmeer kenne. Sondern alles mal Faktor 3-5. Die Abstände, in denen die Wellen anrollen. Ihre Höhen, ihre Täler.

Nur der Wind lässt sich in der Bucht bislang nicht blicken. Levjes siebeneinhalb Tonnen schleudern in diesem Wirrwarr grausam hin und her. Im Nu gehts drunter und drüber. Was bislang sicher unter Deck verstaut war, macht sich polternd auf die Reise. Vor allem die Dinge in den obersten Regalen nutzen die Gelegenheit für einen Ausflug. Alles, was ich sicher verstaut wähnte. Schwere Bücher. Das Schneidbrett. Ein Teil der italienischen Cafetiera. Schreibblöcke. Im Cockpit siehts nicht besser aus. Das gereffte Großsegel ist so wirkungsvoll wie ein Papiertaschentuch. Raus jetzt aus dem Gekabbel. Auf einem Wellenkamm sehe ich draußen Schaumkronen. Dort muss Wind sein – ich gebe Gas, um Levje dahin zu bringen, wo der Wind ist.

Keine Meile vor der Küste finden wir ihn. Erst 14, dann 18, dann stetig über 20 Knoten aus Südwest. Die Genua im 1. Reff, das Groß im 2., bringe ich Levje vor den Wind. Endlich Kraft im Segel. Das furchtbare Hin und Her legt sich, als der Wind mein Schiff von halbrechts mit Kraft durch die Wellen drückt. Wir liegen nun leicht auf der Seite.

Atlantiksegeln. Es ist so anders als alles, was ich aus Mittelmeer und Ostsee kenne. Erst recht hier draußen sind die Wellen hoch. Mal bin ich oben auf einem Wellenkamm. Dann wieder tief im Wellental. Als ich etwas zittrig den Motor abstelle, frage ich mich, ob da unten in so einem weiten Wellental überhaupt der Wind hinkommt, ob ich da überhaupt segeln kann oder ob wir wie eine Suppenschüssel in so einem Wellental einfach windlos liegenbleiben. Doch meine Sorge ist unbegründet. Selbst mit meiner geringen Segelfläche verliert Levje kaum Fahrt, wenn sie aus einem Wellental wie ein LKW auf den nächsten anrollenden Wellenkamm hinaufklettert. Oben kurz verharrt, als wolle sie die Aussicht genießen, um im nächsten Augenblick mit Karracho den langen Hang wieder hinunterzusegeln.

Noch immer überlagern sich seitlicher Nordwest- und achterlicher Südwest-Schwell, das macht das Segeln etwas unbequem, mein Schiff eiert immer noch hin und her. Mal bin ich im Wellental. Mal oben. Mal rauscht eine achterliche Welle unter uns seitlich durch und beschleunigt uns. Mal rollt von Nordwest eine Wasserwand an – so wie die, zu der ich jetzt beklommen hinaufschaue, so hoch scheint sie mir. Als sie Levjes Bordwand fast erreichen, sinkt mir das Herz in die Hose. Gleich wird sie über uns brechen. Ich hab nicht mal das Steckschott eingesteckt, denke ich in diesem Moment. Doch mein Schiff klettert, als wäre sie federleicht und nur ein Korken auf den eben noch drohenden Hügelkamm. Als wäre sie nichts als ein nur mit Fellen überzogenes Curragh von den irischen Araninseln. Kaum oben auf dem Gipfel, verharrt mein Schiff. Schaut sich oben um. Und surft drüben wieder runter.

Herzklopfen und unbändige Freude wechseln sich in mir ab. Jubel und Bangen. 25 Knoten Wind. Doch alles passt. Wir schwanken zwar immer noch stark in den Wellen, wenn sich die Kreuzseen unter uns abwechseln, doch wir laufen mit fast 7 Knoten dahin. Und den langen Hang einen Wellenkamm hinunter in der Spitze bis neuneinhalb Knoten. Ich gewöhne mich langsam an die Situation, lerne, dass die Wasserwände, wenn sie fast zum Greifen nah sind, für mein Schiff nichts Außergewöhnliches sind, sondern einfach Bestandteil seines Elements.

Cabo Ortegal mit den vorgelagerten Klippen kommt vor mir in Sicht. Mit dem nachfolgenden Cabo Estaca ist Cabo Ortegal der nördlichste Punkt Spaniens. Danach geht es nicht mehr auf nördlichen sondern südöstlicheren Kursen weiter. Das sollte ruhiger werden. Doch jetzt vor dem Kap legt der

Wind noch einmal zu und raumt vor dem Hindernis. Ich kann unseren Kurs nicht mehr sauber halten, die Genua fällt ein, wir steuern auf die vor dem Kap liegenden Klippen zu. Unheimliche Geräusche gibt die Genua von sich, wenn sie einfällt und im nächsten Moment sich strafft und mit einem Ruck am Vorstag reißt. Bei dem achterlichen Wind eine umständliche Wende vor den Felsen fahren ist nicht drin. Ich beschließe zu halsen, mittlerweile habe ich auch bei diesen Windstärken Vertrauen in die Halse. Ich spiele das Manöver vorher im Kopf durch, was ich zu tun habe, muss jetzt sitzen, denn auf den Rest habe ich keinen Einfluss. Noch einen Moment aufs nächste Wellental warten. Tief Luft holen. Dann los. Großschot dichtholen, so dicht wie nur möglich. Sachte, sachte auf leisen Sohlen durch den Wind. Großschot auf. Nur für die Genua brauche ich viel Kraft.

Auf meinem neuen Kurs sieht die Wellenlandschaft nun ganz anders aus. Ich fahre nun entlang der anrollenden Wasserwände aus Nordwest, sie sind auf diesem Kurs noch beeindruckender in dem Moment, in dem sie Levje fast erreicht haben. Da. Hinter den Wellenkämmen. Ein Fahrtenkatamaran taucht aus dem Wellental weiter nördlich auf, ich hab ihn überhaupt nicht gesehen. Er läuft unter Maschine in Gegenrichtung, es ist bestimmt kein Zuckerschlecken, gegen die Wellen aus Nordwest und Südwest gleichzeitig anzugehen. Doch auch das ist anscheinend machbar, ich beobachte ihn, wie er alle Roller gegen sich hat und sich langsam nach Westen vorwärtskämpft, während Levje im Vergleich dazu stabile Fahrt macht. Auch der Skipper scheint uns unter Segeln beobachtet zu haben. Er wendet nach einer Weile und steuert auf unserem Kurs dem Kap entgegen, wo er vor den Brechern zu Füssen des Leuchtturms in die Bucht eindreht, um sich vor dem geschützten Sandstrand südlich des Leuchtturms einen Ankerplatz zu suchen.

Für einen Moment bin ich versucht, es ihm gleichzutun. Nach fünf Stunden Segeln bin ich ziemlich erschöpft. Ich hätte große Lust, Levje vor einen der geschützten Sandstrände zu steuern. Den Anker fallen zu lassen. Und einfach nach den Nebeltagen das simple Sonne, Sand und Meer zu genießen. Doch der Wind ist zu gut, und zu selten hatte ich hier oben den richtigen Wind aus der richtigen Richtung, als dass ich ihn jetzt verstreichen lassen könnte. Ich bin zwar auch zum Spass hier – aber wenn ich in drei Wochen in der Bretagne sein will, sollte ich segeln, wenn Wind zum Segeln da ist.

Und so bleibe ich draußen. Tatsächlich beruhigt sich hinter Kap Ortegal kurz der Wind – vor allem der Südwest-Schwell ist weg, er blieb am Kap wie einer Molenwand hängen. Selbst als der Wind gelegentlich dort, wo Flusstäler in der gebirgigen Küste enge Düsen bilden, bis in die 30 Knoten hinein auffrischt, bleibt es angenehmes Segeln.

Nach mehr als neun Stunden und über sechzig Seemeilen erreiche ich den Eo, den Grenzfluss zwischen Galizien und Asturien. Und lasse in der Ria de Ribadeo, vor dem gleichnamigen Ort zwischen zwei Untiefen mitten im Fluss Levjes Anker fallen.

Damit war der Tag zu Ende. Doch die Nacht in einer Ria: Die sollte mich erneut auf Trab halten. Doch das ist eine andere Geschichte.

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Galiziens wilde Küsten: Santiago de Compostela. Am Ende eines langen Weges.

Seit Mitte Mai bin ich in von Sizilien aus unterwegs, um einhand 
für mein neues Buchprojekt um die Westküste Europas zu segeln. 
Nach den Balearen, Gibraltar und Portugal bin ich im Moment an der nordspanischen Küste 
in A Coruna. Keine Zugstunde entfernt liegt Santiago de Compostela –
für die, die ankommen, Ziel und Ende eines langen Weges.

Eines haben alle gemeinsam, wie weit und aus welchen Motiven sie immer hierher zu Fuß gingen: Wenn sie ankommen, sind sie erschöpft. Erschöpft und glücklich, es bis hierher geschafft zu haben. Glücklich, das Ziel, das sie sich selber setzten, erreicht zu haben.

An diesem Sonntag Nachmittag sind es Hunderte, die vor der Kathedrale des Heiligen Jakob eintreffen, nach wochenlanger Wanderung einander erst in die Arme und wenig später zu Boden sinken. Es herrscht Ausgelassenheit. Freude. Erschöpfung. Erleichterung. Es fühlt sich bunt an, und nach Happening, auf dem Platz vor der Kathedrale.

Wenige Schritte neben mir ist Jean-Francois auf das warme Steinpflaster des Kathedralenplatzes gesunken und betrachtet frohgemut die heruntergelaufene Sohle seines rechten Trekkingschuhs. 1.550 Kilometer ist er in knapp zehn Wochen hierher gelaufen. Allein am heutigen Tag waren es 38 Kilometer. Auch er ist erschöpft. Aber nicht wirklich. Wenn Neuankömmlinge ihn bitten, doch von ihnen das obligate Ankunfts-Selfie mit der Kathedrale im Hintergrund zu schießen, ist er schneller auf den Beinen als ich.

Jean-Francois ist aus Quebeq. Und den Weg geht er nun schon zum 4. Mal. Was ihm so eine Reise bringt, frage ich Jean-Francois. „Das eine ist: Verantwortung für mich selbst zu übernehmen. Für mich. Und für jede meiner Entscheidungen. In jeder Minute, die ich auf dem Weg unterwegs bin. Ich bin nicht mehr ferngesteuert hier von irgendeinem ‚Sei um 8 hier. Erledige das‘. Ich bin verantwortlich für das, was geschieht.
Das andere ist: Selbstvertrauen. Vor allem das. Ich weiß mittlerweile, ich schaffe das. Und wenn ich es will, dann schaff ich es wieder.“

Über seine Antwort bin ich erstaunt. Sie unterscheidet sich in nichts von dem, was ich antworten würde, wenn mich jemand fragte, was mir denn sechs Monate Segeln um Europa brächte. Ist meine Reise eine Pilgerschaft? Bin ich ein Pilger wie Jean-Francois?

„Ich brauche nicht viel zum Leben. Na klar: Hin und wieder ein Flugzeug. Irland. Kroatien. Wenn ich als Kanadier Schengen-Land für kurze Zeit verlassen muss. Aber sonst: Ich brauche nicht viel.“

Alles an ihm sieht professionell aus. Und wenig derangiert, wie man nach 1.550 Kilometern erwarten könnte. Sauberes Hemd. Gepflegte Hände. Ein Mann, der Hochschul-Lehrer sein könnte, wache kleine Augen hinter der Hornbrille. Wen er denn auf seiner Reise getroffen hätte, frage ich ihn.

„Man trifft vier Gruppen von Menschen. Da sind zum einen die christlichen Pilger. Die gibt es nach wie vor. Und dann sind da Leute, die den Weg aus spirituellen Gründen gehen. Egal, ob sie eine Auszeit suchen oder einfach nach Selbsterfahrung.

Die dritte Gruppe sind Leute, die das aus rein sportlichen Gründen machen. ‚Kilometer Laufleistung‘ zählt – und von den christlichen Pilgern sondern sie sich strikt ab, mit denen wollen sie nichts zu tun haben.

Und dann gibt es da noch eine vierte Gruppe. Leute, die das rein aus touristischen Gründen machen. Eine Wallfahrt ist eigentlich die günstigste Art von Reise, die man unternehmen kann. Übernachten für 6 Euro. Mittag- und Abendessen für 3 Euro. Man trifft gerade diese letzte Gruppe immer häufiger an. Aber vielleicht war die Wallfahrt ja immer so. Der Weg war immer derselbe. Die Gründe, ihn zu gehen, waren doch immer ganz unterschiedliche. Da ist sich der Jakobsweg in den 1.200 Jahren seiner Geschichte treu geblieben.“

Und er, der den Weg nun schon zum vierten Mal gegangen ist?

„Ich mag die Landschaft. Ich mag die Stimmung. Ich kann allein gehen, wenn ich es mag. Oder mit Menschen reden. Santiago selber hat für mich mittlerweile keine Bedeutung mehr. Hier aber haben alle nur eben dieses eine Ziel: Und das ist Santiago de Compostela. Ich bin auch schon in Japan den Shikoku-Pilgerweg gewandert, mit seinen 88 Schreinen. Da ist es anders. Jeder einzelne Schrein ist das Ziel. Es gibt kein übergeordnetes Ziel. Jeder der Orte auf dem Weg ist zugleich das Ziel.“

Wieder frage ich mich, ob Jean-Francois und mich nicht mehr verbindet, als ich denke. Ob nicht nur er, der Katholik aus Quebeq ein Pilger ist.

Jean-Francois ist kein strenger Katholik. Er schätzt die Traditionen, er schätzt den Wert der Riten. Sie sind wichtig. Doch auch er hat auf seinen Reisen seine Erfahrungen mit der Religion gemacht.
„Der Katholizismus ist nicht nur in Spanien ist streng. Ich habe erlebt, dass Leute auf dem Jakobsweg eher ausgeschlossen wurden: ‚Du bist nicht katholisch. Du darfst am Abendmal nicht teilnehmen‘. Der Buddhismus, wie ich ihn auf dem japanischen Pilgerweg erlebte, ist da offener. Auf dem Shikoku-Weg lassen Japaner auch einen Nicht-Buddhisten an jeder Zeremonie teilnehmen. Sie leiten ihn sogar während der Zeremonie an.“

Wir plaudern, während wir auf den warmen Steinen sitzen. Dann ist es Zeit für uns zu gehen. Mein Weg führt zurück zum Zug. Jean Francois möchte noch weiter, der Jakobsweg ist in Santiago de Compostela noch nicht zu Ende. Er will noch weiter nach Muxia, bis zur Kirche auf den Klippen, vor denen ich im Nebel ankerte.

Nicht vergessen werde ich, wie Jean-Francois sich verabschiedete. „Bis bald“, sagt er mit heiterer Gewissheit, „Wir sehen uns wieder.“ Er sagt das nicht als Floskel. Sondern so, als blieben wir durch unser Gespräch, unsere Begegnung für immer verbunden.

Galiziens wilde Küsten. A Coruna. Der Strand. Und die Austern.

Seit Mitte Mai bin ich von Sizilien aus unterwegs, 
um einhand für mein neues Buchprojekt um die Westküste Europas 
bis in die Bretagne zu segeln. 
Fast bis Ende Juli war ich in Portugal unterwegs, bevor ich Spaniens Nordküste erreichte.

Es ist der Zeitpunkt gekommen, mich heute zu outen mit einer finsteren Leidenschaft, die manchem meiner Leser übel aufstossen wird und die selbst meine liebe Frau, die geduldig Mucken wie mich und meine halbjährliche Abwesenheiten erträgt, verständnislos dreinschauen lässt. Ich esse gerne Austern.

Wie mit jeder Unart, tue ich das meistens heimlich. Und irgendwo. Wo mich niemand kennt. Es ist keineswegs so, dass ich mich dafür schämen würde. Austern sind in den Augen der meisten Menschen nun mal was anderes als Bratkartoffeln. Austern polarisieren. Sie lassen niemanden gleichgültig. Die einen lieben sie. Den anderen sind sie pures Luxus-Geschlabber, den dritten sind sie nur letzteres. Bei meiner Frau und meinen Freund Josef, beide sonst Freunde guter Lebensart, sind Austern nach jeweils heftigen Salmonellen-Vergiftungen vor vier Jahrzehnten der blanke Schrecken. Also tue ich, was ich tue, meistens heimlich. Und esse halt Austern, wenn gerade niemand dabei ist. Eigentlich esse ich Austern nur, weil ich dabei an einen Menschen und seine Geschichte denken will, so wie jedem von uns bei einem bestimmten Gericht ein ganz bestimmter Mensch und eine Begebenheit dazu einfällt. Meine Geschichte von dem Mann mit dem Austern trage ich seit Jahren mit mir herum. Doch eine gute Geschichte will erzählt werden. Also heute: Austern. In Coruna.

Auf meinen Wanderungen zum Torre de Hercules, der am anderen Ende der Stadt liegt und über den ich gestern schrieb, lernte ich Coruna kennen. Ich stolperte in die schönsten Ecken der Stadt: Von den weißen Erkern und Veranden der Häuser rund um die Marina, denen man in Coruna wieder und wieder begegnet, bis zum Sandstrand auf dem Foto ganz oben, der sich einsam und doch wie ein Kleinod unmittelbar vor der Stadt erstreckt. Denn welche Großstadt – Coruna hat immerhin eine Viertelmillion Einwohner – kann schon von sich behaupten, sie hätte unmittelbar am Stadtzentrum einen derart prächtigen und Sandstrand wie die Playa de Riazor – die noch dazu an der Stelle liegt, die das alte Coruna auf seiner Insel über Jahrhunderte mit dem Festland verband.

Und dann entzückten mich noch manch andere Gebäude in Coruna, über deren Äußeres man streiten mag, aber deren Baukörper so harmonisch in die Rundung über der Bucht gesetzt war, dass es eine Freude war. Wenige Schritte von dem Gebäude oben liegt in einem abgelegenen Winkel, fast zwischen Mietskasernen und Feuerwehrhaus, eines der besten Fischrestaurants Corunas, die A PEIXARIA . Sie sah einfach aus von außen, und wie ein Ort, an den man seine Gäste schon mit besonderer Küche und nicht mal eben mit simplem Meerblick überzeugen und bei der Stange halten musste. Weils drinnen laut war, nahm ich draußen Platz, saß allein, neben mir nur ein paar jugendliche Schlemmer, die ihre wenigen Kröten für ein gutes Abendessen zu dritt mit Freunden zusammengekratzt hatten.

Auf der Speisekarte: 15 Fischgerichte. 5 Vorspeisen. Austern darunter. Ich überlegte. Erwog den Wochentag, denn Montags würde ich keinen Fisch essen, weil die Fischer ja zum Wochenende nie auf dem Meer wären und es eigentlich erst frühestens ab Dienstag fangfrischen Fisch gäbe. Erwog die alte Regel mit den Monaten ohne „r“, in denen man keine Muscheln essen sollte. Aber mein Münchner Fisch- und Muschelhändler, der – was Austern angeht – meine finstere Leidenschaft teilt, hatte diese Regel längst auf den Sperrmüll antiquierter Meinungen geworfen, weil sie aus Zeiten stammen würde, in denen Kühlung und Transportwege längst noch nicht so kontrolliert und  organisiert waren wie heute. Nach Hin und Her im Kopf wagte ich mich an meine Bestellung. Als Vorspeise: Zwei Austern. Ein leichter Weißwein dazu. Hurra.

Was dann kam, verblüffte mich. Nicht nur, dass die Muscheln für den Sommer ungewöhnlich fett waren und nicht mager, weil Muscheln wie Menschen in der Hitze eben nicht viel zu sich nehmen mögen, nein: Sie stammten auch hier aus der Gegend, ein paar Kilometer nördlich von Coruna. Und waren in einer leichten Vinaigrette mit einer Kugel Vanilleeis angerichtet, das leicht in der kalten Austernschale schmolz. Ich machte mich etwas zögerlich an die Arbeit. Vanilleeis mit Auster in Vinaigrette? Aber der Geschmack war der Hammer. Der intensive Geschmack des kalten Meeres, den die Auster in sich trug, mit der zarten salzigen Säure der Vinaigrette und der schmelzenden Vanillesüße der Eiskugel hinterher. Das war ein ungeahntes Erlebnis.

Jetzt ging alles ganz schnell: Die zweite Auster war schneller vom Teller, als mir lieb war. Ich winkte dem Kellner, es war mir etwas unangenehm, ob er mit dem Hauptgang noch warten könne. Ich würde noch gerne von den Austern nehmen…

Ich dachte dabei an Claude Lanzmann, den vor wenigen Wochen verstorbenen Regisseur des legendären Films SHOA, voller Respekt. Und einem seiner Austern-Gelage, bei dem er und seine zwei Mitstreiter an einem Abend 60 Austern verspeist hatten. Und ich dachte an den Mann aus dem Dorf in Oberbayern, in dem ich aufgewachsen war, und wegen dem ich eigentlich überhaupt hier saß. Und Austern aß.

Er war Landarzt gewesen, in meinem Dorf. Und „Jahrgang ’20“. Grob. Schroff. Doch hinter der Grobheit seines kantigen Äußeren eine ungeheure Menge Empathie verborgen, als wolle sie geschützt sein wie ein Neugeborenes. Aber das sagte mir damals noch nichts, als ich zum ersten Mal mit 14 in der kleinen Praxis am Bahnhof mit einem Dorn in der Ferse saß. Er beugte seinen kahlen Schädel in dem zu eng sitzenden Arztkittel über meine Ferse und besah sich die Sache. Griff nach hinten, wo in einer Petrischale ein Skalpell wartete. „Wollen Sie die Stelle nicht vorher betäuben?“ fragte meine Mutter, deren Griff an meiner Schulter schlagartig fest wurde. Der Kahlkopf blickte kurz auf. „Aah baaaah“, hörte ich ihn sagen. Und dann stach auch schon das Skalpell blitzschnell in meine schmerzende Ferse, ehe ich überhaupt wusste, was er da tat. Ich machte einen Satz Richtung Decke, vor plötzlichem Schmerz, vor Überraschung, zum Umfallen bleich und doch zu bleich, um wütend zu sein, was der Doktor da mit mir machte.

Doch die grobe Kur des Doktors zeigte Wirkung. Sie war die Richtige gewesen. Zwei Tage später konnte ich wieder normal laufen – der Dorn war rausgespült, alles war gut. Ich dachte an den Doktor mit gemischten Gefühlen. Er hatte gewusst, was er da tat, kein Zweifel. Und hatte mir geholfen. Aber ob ich das so noch mal brauchte?

Jahre später. Ich war längst aus dem Dorf, das eine Kleinstadt geworden war, weggezogen. Da erzählte mir meine Mutter vom Doktor. Dass er vielen auf seine einfache, kantige Art geholfen hatte und nur bei einer Sorte Patienten wirklich grob wurde: Wenn sie weinerlich waren. Dass er selbst an Leukämie erkrankt war und die Krankheit ihn innerhalb eines Viertel Jahres dahingerafft hatte. Aber noch ans Krankenbett, noch in der Krankheit, in der ihm niemand helfen konnte, hatte er sich von seiner Frau erbeten, ihm einmal wöchentlich ein, zwei frische Austern zu bringen, die er so sehr liebte. Der Geruch des kalten Meeres…

Aber damit endet die Geschichte vom Doktor und den Austern noch nicht. „Jahrgang ’20“. Er war, wie mein Schwiegervater, 1920 geboren. Einer von denen wie mein Schwiegervater, die als  Medizinstudenten im 3. Semester sich plötzlich an irgendeiner Front in einem Zelt wiederfanden, um sich über die zerschossenen und zerfetzten Leiber Gleichaltriger zu beugen und sie irgendwie wieder zusammenzuflicken. Um ihnen zu helfen. Mit wenig mehr zur Hand als einem Skalpell und Nadel und Faden. Einer von denen, die lebenslang die Frage mit sich herumtrugen, warum ausgerechnet sie als einer von drei des Jahrgangs ’20 das Gemetzel überlebt hatten. Und die anderen zwei nicht.

Zum „Jahrgang ’20“ gehörte es, niemals über diese Frage zu sprechen. Und niemals über das Grauen, das ihre Augen gesehen hatten. Und es doch niemals zu vergessen. Der Doktor, der in der Gemeinde ein geachteter Mann war, hatte vor seinem Tod zum Kopfschütteln aller verfügt, dass er nicht in einem Sarg bestattet werden wollte. Sondern in einer einfachen Kiste aus Birkenbrettern. So wie diejenigen, so sagte er es, denen er nicht hatte helfen können, die man einfach verscharrt hatte, irgendwo.

Durch die anbrechende Dunkelheit schlenderte ich zurück in den Hafen von Coruna. Ich denke gelegentlich an den Doktor. Vielleicht esse ich ja auch die Austern nur, damit ich ihn nicht vergesse. Es gibt schlechtere Gründe, Austern zu essen, als die Erinnerung an einen Menschen zu bewahren. Ich weiß, ich werde auf meiner Reise in die Bretagne sicher noch öfter Austern essen. Und an den Doktor denken. Und seine Geschichte.

Galiziens wilde Küsten. Durch den Nebel nach A Coruna. Zum ältesten Leuchtturm der Welt.

Seit Mitte Mai bin ich von Sizilien aus unterwegs, 
um einhand für mein neues Buchprojekt um die Westküste Europas 
bis in die Bretagne zu segeln. 
Fast bis Ende Juli war ich in Portugal unterwegs, bevor ich Spaniens Nordküste erreichte.

Kap Finisterre. Das Ende der Welt. Es gibt viele Kaps in vielen Sprachen, die diesen Namen tragen.

Meine Reise entlang Portugals Küste bis Mitte Juli war klimatisch so ganz anders, als ich erwartet hatte. Ich hatte mit vielem gerechnet. Hitze. Hohe Wellen. Starkwind und gleißendes Licht. Stattdessen war ich meist bei Windstille unterwegs. Und in Dunst und diesiger Sicht. Selbst den Portugiesen war ihr Wetter nicht geheuer: Seit Mai war kaum ein Sommertag, wie sie es eigentlich gewohnt waren.

In Nordspanien war das Wetter nicht anders. Im Gegenteil. Die Grenze, die Portugal von Nordspanien trennt, war nicht erkennbar. Nördlich von Vigo, am Kap Finisterre, das spanisch Cabo Fisterra heißt und Spaniens äußerster westlichster Zipfel ist, steuerte ich stundenlang durch dichten Nebel. Galizien, Spaniens regenreichste Ecke, hieß mich willkommen. Fahren war nur mit Radar möglich. Es sah, was ich nicht sehen konnte. Das Kap vor mir. Und ein Boot, das wenige 100 Meter im Nebel verborgen mich begleitete. Ich sah es nicht, doch es wich nicht, wie ein treuer Hund. Nach einer halben Stunde wurde es mir unheimlich, wie es einem unheimlich ist, wenn man eine Grenze überschritten hat. Ob es in Nordspanien Piraten gab? Das Boot blieb mein Radarschatten, es folgte mir. Als für einen kurzen Moment der Nebel aufriss, sah ich, dass es ein Segler war, der wie ich auf Cabo Fisterra zuhielt.

Das Kap selbst fand ich nur auf dem Radar: Eine gelb geriffelte Linie, die das Auge des Radars sah und auf den Bildschirm zeichnete, auf die ich zuhielt. Als ich näherkam eine Handvoll Felsen, die aus dem Nebel hervor wie Gespenster lugten. 

Wie so oft am Abend, lichtete sich der Küstennebel. Ich erreichte die Bucht von Camarinhos, ein traumhafter Platz, geschützt vor einem Sandstrand.

Am Morgen lag dichter Nebel über der Bucht. Kein Geräusch war von der noch am Abend lebhaften Kleinstadt am Ufer zu hören. Keine Lärm aus dem Hafen. Oder vom Volksfetsplatz. Alles war still, als wäre die Welt nicht nur in Nebel, sondern dick in Watte gehüllt.

Nur die Sonne war zu sehen, die an diesem Morgen irgendwo über den Wolken auf Levjes taunasses Deck schien. Taubehangene Spinnweben am Seezaun. Als wäre ich im September in meiner Heimat in Bayern unterwegs. Doch dies hier war zweifellos Spanien. Ich hatte es anders erwartet.

Als ich Camarinos am nächsten Mittag verließ, wurde das Wetter schlechter. Der Nebel verschwand nach kurzer Aufheiterung, Regenwolken zogen von Nordwesten heran. Der Himmel verdüsterte sich, die Sicht verringerte sich. Am späten Nachmittag zog ich mir Seestiefel und Regenjacke an. Feiner Nieselregen setzte ein, der englischen Herbstregen glich, während der Regenwind Levje weiter nach Nordosten Richtung A Coruna trieb, auf ein großes Bauwerk zu, das ich schon von weitem durch den Niesel sah. Und das irgendwie drohend im Grau aussah.

Es war Abend, als ich die Stadt erreichte. Genauer gesagt: Ich sah ihre Silhouette querab. Erst die Hochhäuser. Dann im Inneren einer Bucht den langen, nach Norden zugewandten Sandstrand. Und dann eine vorgelagerte einsame Insel, auf der jener riesige Turm stand, den ich seit Stunden vor mir durch den Nieselregen gesehen hatte.

Erst in den folgenden Tagen sollte ich ihn bei Tageslicht sehen. Und herausfinden, dass es der älteste Leuchtturm der Welt war, der noch in Betrieb war. Ich sollte herausfinden, dass der „Torre de Hercules“ Corunas Wahrzeichen war. Die Römer hatten den Turm errichtet, wenige Jahre, nachdem

im Osten ein Mann namens Jesus von Nazareth hingerichtet worden war. Davon wusste vermutlich im römischen Brigantium – so hieß die kleine Hafenstadt an der inneren Bucht – kaum jemand. Auch der Architekt nicht, den man mit dem Bau beauftragt hatte, Gaius Sevius Lupus. Er stammte aus Aeminium, dem portugiesischen Coimbra, und ließ in den 65 Meter hohen Bau alle Bau-Raffinesse seiner Zeit mit einfließen. Nicht ein einziger Turm sollte es werden, um dem Bauwerk Stabilität zu geben. Sondern an diesem extremen geografischen Punkt der römischen Welt, an der der Schiffsverkehr aus Gibraltar nach Britannien und zu den Rhein-Provinzen verlief, sollte etwas Dauerhaftes entstehen. Zwei Türme ersann der Architekt, beide von quadratischem Grundriss, doch ineinander gesteckt. Und verbunden durch eine Rampe, die zwischen dem Inneren und dem Äußeren Turm nach oben lief und die zugleich ähnlich einer Treppe als stufenloser Weg nach oben führte. 

Man weiß nicht, wieviele Sklaven nötig waren, wie lange sie schufteten, um das gigantische Bauwerk fertigzustellen. Roms Wirtschaft war eine Sklavenwirtschaft, die fortwährenden Kriege an den Grenzen spülten immer neue Sklaven ins Reich. Sie waren in Hülle und Fülle vorhanden. Ihre Geschichte kennt man nicht.

Heute führt der Weg über normale Treppen nach oben, von der früheren Rampe, die nach oben führte, haben die Jahrhunderte nichts übrig gelassen. Doch das Licht des römischen Leuchtturms, das ist noch vorhanden. Eine überdimensionale Öllampe, groß wie ein Wagenrad, die man bei Ausgrabungen

vor ein paar Jahren entdeckte. Ein Stein wie ein Mühlstein. Eine Mulde in der Mitte, deren Öl die Lichtquelle war und die über einen großen Hohlspiegel aus der Turmkammer nach draußen geleitet wurde. Versuche von Studenten ergaben, dass das Licht auf eine Distanz von 10 Seemeilen gut sichtbar war. Dass man hier derartigen Aufwand hatte einen guten Grund: Eine Seekarte im Museum des Torre de Hercules zeigt hunderte von Wracks, die unmittelbar vor den Kaps Galiziens liegen. Schon die Römer müssen die Verluste gespürt haben, die an dieser wilden Küste entstanden.

Nach den Römern verfiel das Gebäude. Weder die Germanenstämme, Sueben und Westgoten, die nach den Römern kamen, noch die Mauren hatten die Kraft oder das Interesse, den Turm instand zu halten. Die Schifffahrt, wie die Römer sie gekannt hatten, Massengütertransport und Massentransportweg für Waren, neue Ideen und Religionen: Diese Art von Schifffahrt brach zusammen. Was sich danach an Seefahrt erhielt, blieb für 1.000 Jahre das gefahrvolle Geschäft einzelner. Bis man sich im Zeitalter der Entdeckungsfahrten auch am Kap wieder an den Turm der Römer als Leuchtturm erinnerte. Und gelegentlich nachts einen eisernen Korb mit brennenden Kohlen an die Turmspitze hängte.

Das Bauwerk verfiel. Der Außenturm wurde als Steinbruch genutzt fürs nahe Coruna, seine Kirchen,  seine Festungen. Erst mit Napoleon kam das Interesse an einem Leuchtturm wieder in die Welt. Und seither ist das Licht auf dem Torre de Hercules nicht mehr erloschen. Allen Nebeln zum Trotz.

Les Sables d´Olonne – Stimmungen

KURZWEILIG – HEISS – UND AUGENSCHMAUS

LSO – Stimmungen

Les Sables d´Olonne – Stimmungen

KURZWEILIG – HEISS – UND AUGENSCHMAUS

LSO – Stimmungen

Urlaub fällt flach

Heiß ist es, Wasser fehlt überall!

Da gerade fast alle unter der Hitze leiden, brauche ich ja nicht lang und breit berichten. Nur soviel: Nomade sitzt so gut wie fest. Am Liegeplatz ist noch ne Handbreit Wasser unterm Kiel, aus dem Hafen würden wir allerdings nicht mehr kommen.

Da Sabrina seit heute Urlaub hat und es momentan so aussieht, als ändert sich in der nächsten Zeit nichts an der jetzigen Situation, haben wir kurzfristig umgeplant. Der Urlaub mit Nomade fällt zwar flach, aber wir haben ja noch unsere Räder. In Kürze mehr…

Yachthafen Wesel

Istvan Kopar – MIndelo findings

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WIND VANE SELF-STEERING – LESSONS – Part II

Mindelo findings

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Folge 17 – Von den Aland Inseln nach Finnland

Die Video-Episode

Eine neue Folge des Videologbuchs ist Online. Viel Spaß damit!
Unterstützt von

Durch den Nebel. Durch die Lagunen von Aveiro.

Seit Mitte Mai bin ich von Sizilien aus unterwegs, 
um einhand für mein neues Buchprojekt um die Westküste Europas bis in die Bretagne zu segeln. 
Seit Anfang Juli bin ich in Portugal unterwegs. 
Durch Zufall verschlägt es mich in die Lagunen von Aveiro.

Seit Gibraltar war es vorbei gewesen mit dem Mittelmeer-Sommer. Ein ungewöhnlicher Sommer, sagten selbst die Portugiesen. Das Wetter war grau und dunstig, meist startete ich Levjes Motor im windstillen Grau irgendeines Flusshafens, der träge von den Gezeiten durchspült wurde. Die Sonne, die am Morgen den Dunst über mir zum Leuchten brachte. In Figueira da Foz auf dem anderen Flussufer eine Feldlerche, die unsichtbar gebettet im milchigen Licht über den Marschwiesen ihr endloses Lied sang.

Ich fuhr weiter nach Norden. Es blieb grau tagsüber. Die Wellen als große Roller von Nordwesten, majestätische Hügelketten, die Levje sanft anhoben, um sie danach ebenso sanft in eine Wellental gleiten zu lassen, bis aus dem Grau die nächste Hügelkette sanft anrollte. Atlantikwelle – so ganz anders als die Wellen des Mittelmeers.

Am Nachmittag plötzlich vor mir hohe Molen im Nebel. Ein kurzer Blick in die Seekarte: Ria de Aveiro stand da. Und dahinter war ein war eine Marschlandschaft eingezeichnet, durchzogen von Adern, die alle der einen großen Arterie zustrebten, an deren Ende ich jetzt stand. Eine Lagune. Ich beschloss, einzulaufen, spontan dem größten der Flüsse zu folgen, und legte Ruder auf die Einfahrt. Kaum hatte ich die Molen passiert, setzte die Strömung ein. Der Fluss strömte mit fast drei Knoten dem Meer entgegen, wo Levje eben noch mit sechs Knoten dahinfuhr, zeigte das GPS nur nur 3 Knoten. Und Wirbel. Und Zipfelmützen. Und Strudel. Wasser, das auf breiter Front wirbelnd zur Mündung drängte, achtlos, ob da jetzt jemand drauf fuhr oder nicht. Vom einen Moment auf den anderen Levje einfach so in einem der großen Wirbel aus dem Kurs drehend, als wäre sie ein Spielzeug auf einer Drehscheibe. Ob ich dort vorne in der Einfahrt vor dem Sandstrand ankern sollte? Ein Fischer gab die Antwort. Er überholte uns rechts außen, was sollen Ebbe und Flut, er gab einfach Gas und stampfte langsam gegen die Strömung an.

Wir kamen mit 2-3 Knoten zwischen den hohen Steinmolen voran. Es machte nichts. Ein paar Angler  warfen aus ihren kippeligen Booten ihre Ruten aus. Auf dem Sandstrand, der Praia da Barra, Sommerfreuden von Strandurlaubern im lichtlosen Grau. Ein hoher Leuchtturm. Nach einer halben Meile hatten wir den gröbsten Sog der Mündung hinter uns. Der Fluss lag hinter uns. Ein Frachter der uns folgte.

Lagunen. Immer wieder zogen sie mich an. Von Gezeiten, Flüssen und Kanälen durchzogenes Marschland am Meer. Ich kenne die Lagunen im Mittelmeer, ich habe viel Zeit in den Lagunen der Nordadria verbracht, als ein langes Wochenende alles war, was ich an Zeit hatte. Erst die Lagunen von Grado. Dann die von Marano und Lignano. Und dann so oft es ging, in die Lagunen von Venedig, selbst im Winter auf dem Boot. Lagunen gibt es auch in Griechenland, im Golf von Patras in Mesolonghi, wo sie den Rogen der Meeräschen ernten, einsalzen und zu Brotlaiben geformt als Delikatessen verkaufen. Und hier in Portugal ganz im Süden die Lagunen von Faro. Jetzt also die Lagunen von Aveiro.

Lagunen. Sie erzählen die Geschichte eines ungeahnt reichen Lebensraums. Und die von Salz und Fisch. Und manchmal gerät eine Fahrt durch die Lagunen zu einer Reise durch die Geschichte, sie sind wie ein offenes Buch, das berichtet, wie sie einst besiedelt wurden.

Wir haben noch immer zwei Knoten Strom gegen uns. Doch der Fluss ist nun ruhiger geworden, Strudel und Wirbel, wo der Fluss aufs Meer trifft, sind nun ein gleichmässigen Strömen gewichen. Levjes Motor wird nun von Süßwasser durchspült, denke ich, während wir am Ufer langsam an den Schlickbänken entlanggleiten, vor denen Sammler von Steckmuscheln ihre einfachen Boote vertäut haben.

Lagunen. Wahrscheinlich beginnt ihre Geschichte genau damit: Mit Jagen und Sammeln. Mit den Fischern in ihren kippeligen Booten. Und den Sammlern. Mit denen, die früh entdeckten, dass die Lagunen Nahrung in Hülle und Fülle boten, die die Gezeiten jeden Tag freilegen. Im Brackwasser gedeihen alle Arten von Fischen und Krebsen. Aber vor allem die freiliegenden Schlickbänke ziehen immer wieder die Muschel-Liebhaber an. Während Levje gegen zwei Knoten Strom flussaufwärts anmotort, passieren wir sie wieder und wieder, wie sie barfuss im Schlamm des Flusses waten und tiefgebückt nach Muscheln stochern. Soweit man es weiß, fing damit alles an in den Lagunen: Mit dem „Ernten“ dessen, was sie hergaben. Vorausgesetzt, man war bereit, ein Leben zu leben, das dem eines Wasservogels ähnlicher war: Sommer wie Winter auf dem Wasser, Umgeben vom Geruch nach Werden und Vergehen.

Eine Flussbiegung. Dahinter mündet einer zweiter Fluss. Auf der freiliegenden Schlickbank ist eine ganze Familie, die dort ihr Boot vertäut hat und jetzt im Flusschlamm nach Muscheln stochern. Hinter ihnen sehe ich weitläufige flache Gevierte, in denen Wasser steht. Salinen. Ob man die immer noch zur Salzgewinnung nutzt, denke ich, während ich im trägen Strom Ruder lege.

Auch dies gehört zur Geschichte der Lagunen: Nach dem Sammeln kam die Salzproduktion. Weiter hinten, wo vor der Stadt Alveiro die Industriebetriebe längst den Marschwiesen gewichen sind, liegen die einfachen Gevierte in den sumpfigen Marschwiesen, in die man mit der Flut das Meerwasser einströmen lässt. Dann abriegelt. Und es dann einfach über Wochen verdunsten lässt. Das „Fleur du Sel“ ensteht so, der feine auskristallisierte Salzschaum, der so kostbar ist. Und das grobkörnige Salz auch. Salz war der Grundstoff, um Fisch zu konservieren. Am Anfang wahrscheinlich nur den für den eigenen Bedarf, den die Lagunen hergaben.

Salz: Es war das Konservierungsmittel der Antike bis weit in die Neuzeit. Salzfleisch. Salzhering, Ancovis in Salz, Kapern in Salz: Ohne Salz wäre die Menschheit nie so weit gekommen, wie sie kam. Salz wurde erst abgelöst als Konservierungsmittel durch eine Erfindung, die vermutlich mehr Menschenleben rettete als die ganze Pharma-Industrie zusammen: Durch die Entdeckung der Kühlung von Lebensmitteln durch Eis. Und die nachfolgende Erfindung des Eisschranks. Aber das ist noch nicht so lange her.

Eben zieht wieder der Nebel über den Fluss. Wir haben immer noch zwei Knoten Strom gegen uns, doch ein leichter Wind weht vom Meer her über die Marschen. wir kommen damit gut voran. Ein Silberreiher steht auf einem Bein im Wasser und beobachtet uns reglos.

Irgendwann stellten die Fischer fest, dass sie mehr Salz und mehr Fisch produzierte, als sie selber verbrauchten. Sie begannen, mit dem Salzfisch zu handeln, wo er doch nun haltbar war und gleich in zwei Tagen gegessen werden musste. Weil es vor allem in den umliegenden Städten, im Binnenland, in Coimbra, in Porto dankbare Abnehmer gab, bauten sie dieses Geschäft aus. Und fischten nicht mehr nur in den Lagunen, sondern auch draußen auf dem Meer. Die Produktion von Salzfisch wurde umfangreicher. Und der Handel dehnte sich weiter aus.

Im Nebel tauchen am rechten Ufer Schemen auf: Ich steuere Levje näher heran. Drei Trawler liegen vor den Fischfabriken vertäut, als wäre dies der Ort, an dem ihre Fahrt endete. Sie waren sicher mal stolze Trawler, die auf weite Fahrt gingen und portugiesische Namen und Orte an weit entfernte Orte trugen: São Rafael, der Name des Erzengels, den so viele portugiesische Schiffe trage, weil er der portugiesische Heilige der Seefahrenden ist. Praia da Eriçeira, benannt nach dem  vor Lissabon – und nach dem Hafen, der einst einer bedeutendsten Portugals war. Muryosa. Mit ihren breiten Hecköffnungen waren sie vermutlich Kabeljaufischer, die meistens weit im Nordatlantik und Nordpolarmeer unterwegs waren. Auch ihre Geschichte beginnt mit dem Salz, das die Lagunen im Überschuss produzierten. Das eine war: Den Fisch fangen. Das andere: ihn haltbar zu machen. Erst dann konnte man ihn zu Geld machen, indem man damit handelte. Die Geschichte des Bacalao, des gesalzenen Stockfischs, ist die, wie man nicht nur den Fang aus den Lagunen mit dem Salz konservierte, sondern immer weiter hinausfuhr, weiter und weiter. Dorthin, wo schon die Pilgerväter auf ihrer Mayflower schwärmten, dass man den Fisch mit einem Eimer aus dem Meer schöpfen konnte, so sehr wimmelte es dort. Gemeint ist der Kabeljau. Und gemeint sind die Gebiete zwischen Island und Neufundland. Aber was half es, wenn es dort Fisch im Überfluss gab, den man nur hier zu Geld machen konnte? Also nahmen sie auf ihre Fahrten Salz mit. Um den Fisch gleich an Ort und Stelle einzusalzen, haltbar zu machen. Und als Bacalao, als eingesalzenen und getrockneten Stockfisch sackweise verkaufen zu können. Die Hallen und Firmengebäude, erzählen samt der davor liegenden rottenden Schiffen, wovon die Gegend um Aveiro einst reich wurde und wovon sie heute noch lebt. Vom Fisch, der irgendwo anders gefangen und noch an Bord verarbeitet wird.

Ein stählerner Rahsegler, der an Leinen voller grünem Seetang am Ufer rostet. Was wohl seine Geschichte ist? Ob der Viermaster mal ein Passagierschiff war? Ob er auf einen findigen Unternehmer wartet, der ihn grundsaniert, Kairos tauft und für Reisen an historische Orten einsetzt? Ob er auf seine letzte Reise nach Indien zur Verschrottung wartet? Die Dinge gehen ihren Weg.

Der Fluss wird enger. Nach dem Tidenkalender müsste der Strom jetzt langsam schwächer werden. Wir haben jetzt fast Ebbe. Ich bin mit Levje allein auf dem Fluss unterwegs, am Ufer liegen die Schlickbänke vollends frei. Die Kronen der Schilfhalme rascheln im Nebel im schwachen Wind erhaben auf ihrem schlammigen Buckel. Verfallende Backsteingebäude am Ufer, Wasser, was durch ein dickes Rohr aus einem Salinengeviert in den jetzt tief liegenden Fluss herabstrudelt. Es ist gut, dass wir genau zur Ebbe vor Aveiro ankommen. Denn zwischen mir und der Stadt ist in der Seekarte eine Starkstromleitung über den Fluss eingezeichnet. Levjes Mast misst vom Wasser bis zur Spitze 16 Meter, ich weiß nicht, wie hoch die Leitung über den Fluss führt. Das fehlte jetzt noch, ein kurzer Stromschlag in Levjes Mast. Oder die heruntergerissene Stromversorgung einer Siedlung. Ich frage einen Segellehrer, der in seinem Schlauchboot die Kinder in ihren Optis auf dem Fluss begleitet, in mageren Portugiesisch, wie hoch die Leitung 100 Meter weiter flussaufwärts ist. Doch er zuckt nur die Schultern. Besser so als eine falsche Auskunft nur aus Höflichkeit, es hätte üble Folgen. Ich rufe noch mal in der Marina an. Endlich hebt jemand ab. Vivaldi heisst er. Und Vivaldi sagt, ich könne beruhigt sein: Die Leitung liefe bei Ebbe mindestens 22,50 Meter über den Fluss. Doch beruhigt bin ich noch nicht, als ich die Leitung im enger und enger werdenden Fluss erreicht habe. Von unten bin ich hilflos, kann meine Höhe vor den Leitungen nicht einschätzen, also schaue ich hinüber zu den drei Fischern am Ufer, die miteinander palavern. Ob sie gleich in Geschrei ausbrechen, weil ich den Leitungen zu nahe komme? Nein, sie schenken mir keine Beachtung. Alles frei. Ich gebe Gas. Und erreiche die Marina.

In die Stadt? Als mir Vivaldi hilft, Levje im leicht strömenden Fluss fest zu vertäuen, sagt er, es wären keine 20 Minuten entlang am Kanal und der alten Saline von Aveiro. Ob ich nur eine Nacht bleiben wolle? Er lächelt. Das  würden die meisten sagen, bevor sie Aveiro gesehen hätten.

Und tatsächlich ist dieses Aveiro ein munterer Ort. Schon auf dem Kanal begegnen mir die langen, bunt bemalten Kähne, die barcos moliceiros. Früher benutzte man sie zu Ernte und Transport des Seetangs, den man als Dünger wie überall im Mittelmeer von den Sandstränden auflas und auf die Felder schaffte. Heute finden auf ihnen Ausflugsfahrten bis zur Schleuse und der dortigen Saline statt. Die Schiffe sind fast so lang wie der Kanal breit ist. Das Wenden im Kanal ist ein Kunststück, für das ich die Steuerleute bewundere wie für ihre Boote, die sie mit Liebe bemalt haben. Häufig sind sie am Bug oder am Heck mit Geschichten aus der Geschichte geschmückt, die irgendeinen Bezug haben zu jenem Ort, aus dem ihre Eigner stammen.

So wie der Bug des Kahnes, der sich O L’Ameirense nennt. Eigentlich will ich ja nur die schmucken Giebelhäuser entlang des Ufers fotografieren, die stummen Zeugen, wie sehr diesem Aveira aus Salz und Fisch, aus der Nähe von Meer und Land über viele Jahrhunderte immer wieder Wohlstand erwuchs. Aber Garantie für Wohlstand auf alle Ewigkeit war das keine. Als um 1575 herum die Mündung ins Meer – dort wo heute noch der Sandstrand in der Einfahrt ist – für ein paar Jahre verlandete, war Aveiro plötzlich abgeschnitten. Vom Meer. Aber das blieb nicht lang so.

Heute? Ist Aveiro ein geschäftiger Ort. Und nicht nur wegen des Tourismus, der sich vor allem im Zentrum der Stadt um die Kanäle herum abspielt und wo meine geliebten Sardinendosen gleich schaufensterweise nebeneinander in ihren bunten kunstreichen Verpackungen angeboten werden. Er spielt die kleinste Rolle. Nein, Aveiro geht es gut, dank Hafen, dank Firmen wie Bosch und anderen. Auch wenn das mit dem Salz und dem Fisch keine so große Rolle mehr spielt, kann es sich doch ein Fischer aus Aveiro heute leisten, seine Tage als gebräunter alternder Gigolo im schwarzen Hemd nebst Sakko und Einstecktuch auf seiner Bank vor dem Sardinen-Schaufenster zu sitzen. Und den Touristen hinter der stylischen Sonnenbrille entspannt lächelnd zuzusehen, wie sie durch sein Aveiro schwärmen. 

Aber auch ich gerate ins Schwärmen. Spätestens in dem kleinen Fischlokal auf der anderen Seite des Kanals, wo mich der Kellner begeistert anschaut, als ich zwischen frittierten Scampi und frittiertem Aal mich für Letzteres entscheide. Als er mich voller Freude über meine Entscheidung aufklärt, in wievielen Gerichten seiner Küche der Aal eine Rolle spielt, ahnt er ja nicht, dass es einst die Fischer im slowenischen Isola waren, auch so einem alten Salinenort, die mich vor vielen Jahren zum gegrillten Aal bekehrten. Die frittierten kleinen Aal-Enden, die ich in der Marisqueira Mare Cheia von Aveiro bekomme: Sie sind zum eiskalten Vinho verde ein Gedicht.

Hat schon was. Dieses Aveiro. Und seine Lagunen.

Bis hin zum Singen des Windes in den Wanten und dem leichten Gluckern und Glucksen des Flusses unter Levje, während ich einschlafe.