Kategorie: Blogs

Freud und Leid auf dem Ship-Yard

Do., 01.Aug.19, Franz.Polyn./Tahiti/Phaeton, Tag 1887, 18.355 sm von HH

Die erste heiße Dusche seit acht Monaten. Ach, was rede ich, die erste Dusche überhaupt seit acht Monaten. Der Duschraum hat Aufputz-Leitungen und einen blinden Spiegel. Das Wasser kommt als Strahl ohne Brause einfach aus der Wand. Aber es ist heiß und in unendlicher Menge verfügbar. Es ist herrlich ohne Waschbewegungen einfach nur unter dem heißen Wasser zu stehen. Eine typische Männer-Werft-Dusche wird zur Wellness-Oase.

Das war’s aber auch schon an Genuss. Der Rest ist eine schwierige Angelegenheit. Milliarden Mücken wollen uns leer saugen. Tagaktive Quälgeister, die sogar im strahlenden Sonnenschein über uns herfallen. Ohne dauerhafte Salbung mit Antimücken- Gift würden wir getötet werden.
Der Weg zur Toilette ist lang und unbeleuchtet. Querfeldein führt ein Schleichweg am Ship-Yard und den Marina-Liegern vorbei. Rattengroße Krebse haben dort ihre Löcher gebuddelt. Nach Regen verwandelt sich der Weg in einen rutschigen Schlammpfad. Von den nachtaktiven Mücken auf dem Weg dorthin will ich gar nicht reden. Also verlässt im Dunkeln keiner mehr das Schiff, es komm der berüchtigte Pipi-Eimer zum Einsatz. Wichtig nur, dass man morgens bei der Entleerung mit dem brisanten Inhalt nicht stolpert. :mrgreen:

Das Werft-Internet ist nicht an Bord verfügbar. Durch die Installation eines einfachen Repeaters wäre die Sache behoben, so empfängt nur ein elitärer Teil der Land-Steher das (gute) Netz. Es gibt auf dem Gelände keine „nette“ Sitzecke mit ein paar Tischen, so dass wir auf einem Steg auf der Erde sitzend müssen, um Empfang zu haben. Nach Einbruch der Dunkelheit ein Selbstmord-Unterfangen. Da hilft es auch nicht, den Laptop als Hotspot (danke nochmal für den guten Tipp) einzurichten.

Die Dusche ist nach einer Woche noch immer heiß und ein Genuss, aber leider wird dort nicht mehr sauber gemacht. Der Werftbetrieb hat so eine Art Betriebsferien, denn die halbe Belegschaft erscheint seit Montag nicht mehr zur Arbeit. Einschließlich der Putz-Fee. Geschätzt nutzen dreißig Menschen zwei Toiletten und zwei Duschen. Wie die Waschräume nach einer Woche aussehen, kann sich jeder vorstellen. Zumal es häufig regnet und alle mit ihren Matsch-Füssen in die Nasszellen latschen. Der Müllsack quillt über von benutztem Klopapier.

Mit den Betriebsferien ist auch der Mittags-Service ‚Essen-auf-Rädern‘ eingestellt worden. Das ist schade. Aus einem Kofferraum raus konnte man von ‚Mama Tahiti‘ frisch gekochte Hausmannskost kaufen: Curry-Eintopf mit Huhn, Kartoffeln und Reis. Für 5 Dollar kein Fastfood-Mist, sondern gutes Essen. Ein Imbiss in Laufnähe fehlt leider. Eine Bude in der man abends ein kaltes Bier, Pommes und ein halbes Hähnchen bekommt. Es gibt nur ein Nobelrestaurant, in dem man sich mit Dreck unter den Fingernägeln nicht blicken lassen kann. Die müden Knochen, die abends nach dem Sofa schreien, müssen erst noch vor dem Herd stehen und was kochen.

Eine Waschmaschine existiert in der Marina ebenfalls nicht. Es gibt wohl einen Wäsche-Service, aber von der Preispolitik fühle ich mich auf den Arm genommen. Je mehr Wäsche man abgibt, desto teurer wird das Kilo. Außerdem ist der Typ schwer zu fassen zu kriegen. Also wasche ich mit der Hand. Zwischen Alex, der sein Schiff schleift und Gilbert, der sein Schiff mit Grundierung spritzt. :mrgreen: Aber so viel Süßwasser habe ich nie wieder zur Verfügung. Nur zum Tankauffüllen ist es nicht geeignet. Wenn es geregnet hat, kommt Sand mit aus der Leitung.

Werft-Romantik

 

Auch Werft-Romantik

Wir sind nicht das Prinzenpaar, aber ein sauberer Waschraum, Licht auf dem Weg zur Toilette und ein Internet-Empfang auf allen Stehplätzen wäre schon schön. Wer Puff-Preise verlangt, kann nicht nur Brause ausschenken. Wo bleibt der Champagner?

Achim hat jetzt das Schließen der Löcher übernommen

SV Atlantis – Ingrid + Ernst-Friedrich Bartels NZ

ZWEIHUNDERT MAILS IN ACHT JAHREN!

Whangarei NZ

SV Imagine – Veronika + Wolfgang Wappl AT

NACH DREI WELTUMSEGELUNGEN SCHON WIEDER IN POLYNESIEN

EINE ÜBERRASCHUNG IN WORT UND VIDEO

Ja Donnerschlag, das nenn´ ich eine tolle Überraschung!

Zwei entspannte Österreicher, eine schicke Imagine Yacht, und die berühmten Damen, derentwegen man den halben Spielball umrundet … um endlich mal in Natura bewundern zu können, welche unglaublichen Bewegungen diese Palmen Damen … mit der Körpermitte anzustellen in der Lage sind. Fast will es nicht glauben … könnte schwindelig darüber werden … muss vermutlich Jahre lang trainiert worden sein, ggf. mussten dabei sogar Bandscheiben entfernt werden, um solche Amplituden machen zu können.
herzlich
Peter 01.08.2019

Lieber Peter,
Du bist zwar vielleicht nicht selbst hierher gesegelt, hast aber so vielen Leuten die Fahrt hierher (& noch viel weiter) so viel einfacher & angenehmer gemacht, das zählt für die nächste Reinkarnation viel mehr! (;-))
Einstweilen
Fair winds
Wolfgang und Veronika

SV Carpe Diem – Fritz Erkelenz GER

WO IST FRITZ GEBLIEBEN – WO WURDE DIE CARPE DIEM GESICHTET?


Kürzlich erhielt ich den Anruf von Harry in Horta, ob ich etwas von Fritz Erkelens gehört hätte. Die CARPE DIEM sei vor einigen Monaten von Mindelo mit Nordkurs ausgelaufen next Port Horta, wo er bis heute nicht eingetroffen ist. Verschiedene Telefonate ergaben keine besseren Informationen, weshalb nun bei MCS ein SEARCH REQUEST eingestellt wurde.

SV Pico Ingrid+Fritz Erkelenz DE

Fritz hat über Jahrzehnte begeistert Seereisen mit seiner Frau Ingrid gemeinsam unternommen. Leider ist Ingrid in 2013 verstorben, Fritz wurde zum Einhandsegler … hatte die PICO ( eine Reinke S10 ) verkauft und ist seitdem mit CARPE DIEM, einer Reinke S11, unterwegs.

Unser aller Hoffnung gilt einem Lebenszeichen!
Hamburg 3.8.2019
Peter Foerthmann

Von England nach Irland und Schottland (21): Von Islay nordwärts. Wie ein Fluss im Gebirge.

Meine diesjährige Segelreise führt mich seit Juni  

die englische Südküste vom Solent nach Westen zu den Scilly Isles. Von dort kam ich über die irische See nach Dublin und weiter an die schottische Westküste, wo ich unterwegs zu den Hebriden bin.

Ein Samstag Nachmittag gegen 16 Uhr, irgendwo vor der schottischen Westküste. Zuhause wäre ich an einem Samstag wie diesem wahrscheinlich zum Sperrmüll gefahren. Wäre einkaufen gewesen, für ein nettes Abendessen zu zweit oder mit Freunden. Der Samstag wäre klar gewesen. 

Jetzt kann ich nicht einmal sagen, wo wir genau sind. Ich kann zwar meine Position auf Grad und Sekunde genau angeben oder in der Seekarte nachsehen, aber da lese ich nur Namen von Inseln, von denen ich noch nie gehört habe. Recht voraus liegt die Insel Seil. Die  Insel rechts heißt Luing. Links sind Scarba und Lunga. Südlich von Scarba sind kleine Wogen in die Seekarte eingezeichnet. Und fettgedruckt THE GREAT RACE. Das verstehe ich. Es ist eine Warnung, dass in dieser Durchfahrt starke Stromschnellen sind. Schottland pur, irgendwo dort, wo die Lowlands in die Highlands übergehen und aus Hügeln Berge werden.

Der Vormittag war turbulent. Nach dem Ablegen von der Whisky-Insel Islay, deren Namen vor ein paar Jahrzehnten auch noch keiner kannte, kam ein frischer Nordwest auf. Er schob uns mit 25, 30 Knoten entlang der Insel Jura nach Nordosten. Jura, wo George Orwell in einem einsamen Bauernhaus hier irgendwo im Norden der Insel sein Manuskript Nineteen Eighty Four schrieb, 1984.  Ein Sozialist, der im spanischen Bürgerkrieg gekämpft hatte und jetzt mit dem Überwachungsstaat, der daraus in Stalin-Russland entstanden war, rigoros abrechnete. Er war schon krank, als er im Norden von Jura kurz nach dem Krieg ankam. In der nur mit Torfbrocken heizbaren Bauernkate  von Barnhill auf Jura wurde er vollends krank, schrieb unentwegt weiter, bis man ihn in eine Klinik nach Glasgow einlieferte. Es dauerte über ein Jahr, bis er 1948 sein Manuskript an den  Verlag senden konnte. Aus dem Zahlendreher entstand der Welterfolg, aber den erlebte George Orwell nicht mehr. Barnhill und sein Haus muss man hier irgendwo oben an der Küste von Jura sehen.

Jura links. Die Isle of Anna rechts. Der Wind mal mit 15 Knoten, mal mit 35 Knoten. Im langen Sound of Jura fühlte sich Segeln wie ein launisch-stürmischer Herbsttag auf den heimatlichen Seen in Oberbayern.  Ich stand stundenlang am Steuer und vergaß die Welt und das, was ich mir eigentlich vorgenommen hatte an diesem Samstag Vormittag: Abspülen, Schreiben, ein Rührei in die Pfanne hauen. Sogar dass ich einen Pullover anziehen wollte in der kalten Brise vergaß ich, ich stand in Hemd und Hose am Steuer, wenn Levje sich querlegte, und badete in den erfrischenden Böen des Nordwest. 

Jetzt am Nachmittag hat sich meine Welt auf drei Farben reduziert. Auf die stahlblaue Farbe des Meeres. Auf das satte Grün der Inseln. Auf das duftige Graurosa der Wolken, die keine 100 Meter über die Inseln zu schweben scheinen und es nicht schaffen, das zarte Blau des Himmels zu verdrängen.

Dann ist schlagartig der Wind weg. Die Segel flappen, doch statt des Windes ist plötzlich ein kräftiger Strom da. Nur aus der falschen Richtung. Wo wir eben noch mit 7 Knoten dahinglitten, setzt jetzt Strom. Erst mit 4, dann mit 5 Knoten in der Durchfahrt. Wo Jura endet und die Insel Scarba beginnt, wird die Durchfahrt enger. Die Gegenströmung setzt jetzt mit 5 Knoten aus Norden.

Die Oberfläche des Meeres hat sich verändert und sieht aus wie ein Spiegelei: Glänzend glatte Wölbungen wie Dotter, wo breite Wirbel aus 40 Meter Tiefe vom Meeresgrund heraufgedrückt werden. Und rund um die Dotteraugen gezackte Zipfelmützen und Schaumkronen auf dem Meer. „Wir bewegen uns wenigstens in der richtigen Richtung“, sagt Sven, als er aufs GPS schaut, das gerade 1 Knoten Speed over Ground anzeigt, während die Logge 6,5 Knoten angibt. Man wird bescheiden, was das Vorwärtskommen bei diesen Bedingungen angeht. Bescheiden und demütig.

Dann zeigt das GPS plötzlich 0. Das Wasser rauscht mit 5,5 Knoten an Levje Bordwänden entlang. Wir stehen unter vollen Segeln bei 15 Knoten Wind im Strom. Und jetzt?

Sven gibt als erster klein bei. Er startet den Motor. Bei 1.800 Umdrehungen Marschfahrt zeigt das GPS endlich eine Reaktion: 1,2 Knoten. Das ist die Geschwindigkeit, mit der sich  mein Einkaufswagen samstags im Dorfladen selbständig macht. „Wenigstens bewegen wir uns in der richtigen Richtung.“

Ein Leuchtturm kommt auf der winzigen Insel voraus in Sicht. Ein gedrungener weißer Turm mit Laterne, zwei Gebäude, eine Mauer, die aussieht, als umfasse sie einen Friedhof. Sonst nichts. Fladda heißt die Insel, das kommt wohl von den Wikingern und heißt „flache Insel“. Tatsächlich ist Fladda nicht größer als ein Fußballfeld, und die Häuser auf der Insel scheinen in Privatbesitz. Wie man auf der winzigen Insel wohl lebt, wo das Meer kraftvoll dahinströmt wie ein Fluss im Gebirge, wenn der auch noch zweimal am Tag vehement die Richtung wechselt? Das einsame Leben dort, nur ein paar Meter über dem Meeresspiegel, es kann einem ganz schön was abverlangen, denke ich mir, während ein Wirbel eine große gelbe Qualle an die Oberfläche spült und ich dem norwegischen Segler nachblicke, den die Strömung rasend schnell an uns vorbei nach Süden trägt.

Immer wieder bin ich fasziniert von der Landschaft, ihrer Leere, ihrer Weite. Manchmal ist sie nur leer und grau. Dann wieder liegt sie vor mir wie ein hautfaltiger Nacktmull in grün, der im Wasser vor sich hin döst. Wären nicht die drei, vier Segler, denen wir an diesem Tag begegnen und die Fähre, die zwischen dem Leuchtturm der Insel Lismore und der vorgelagerten Insel mit der rotweißen Bake durchgeht: Die Einsamkeit meines Nachmittags wäre vollkommen.

Aber wohin mit uns am Samstag Abend, für die Nacht? Den letzten Hafen Oban haben wir längst rechts liegen lassen, vor lauter Begeisterung. Die Buchten um Jura und die nördlichen Inseln sind „Mausefallen“, man kommt nur mit der Flut in die Bucht hinein, bei Ebbe ist man eingesperrt und dazu verdammt, wie in einer Badewanne auf die nächste Flut zu warten. Weiter also, weiter bis fast die Sonne untergeht und wir den Loch Aline erreichen. Ein See, der sich hinter der Burgruine auftut und den man durch eine flache Durchfahrt erreicht. Langsam, ganz langsam steuere ich Levje durch die enge, flache Einfahrt, während Sven unten Pasta kocht. Ein idealer Ankergrund, der bombenfest hält, während eine Seerobben mir beim Ankern kurz zuschaut und sich dann gelangweilt im Wasser schneutzt. 

Was für ein Samstag.

Von England nach Irland und Schottland (20): Islay, Laphroig, Lagavulin und Ardbeg. Eine Insel und der Whisky.

Meine diesjährige Segelreise führt mich seit Juni  

die englische Südküste vom Solent nach Westen zu den Scilly Isles und von dort über  Dublin und Nordirland an die schottische Westküste  zur Insel Islay.

Es war einmal eine Insel. Sie lag weit im Westen vor der schottischen Küste, war wunderschön und viel, viel fruchtbarer als all die anderen Inseln ringsherum. Schafe grasten drauf und kernige Kerle wohnten auf ihr, mit Bärten lang wie Teppichfransen und ungeschorenem Haupthaar, die karierte Faltenröcke trugen und aus Spaß Messer in der Socke stecken hatten. Und weil die Kerle auf der Insel so kernig waren, beschlossen sie, ihr Getreide nicht rauszurücken, damit daraus pappiges Supermarkt-Scheibenbrot hergestellt würde, sondern es zu mälzen, um mit dem Malz die Hefepilze zu mästen, damit die Alkohol produzierten, den man dann destillieren könnte. 

Doch weil nichts langweiliger ist reiner Apothekenalkohol drum beschlossen sie, das scharfe Zeug erst in gebrauchten Sherryfässern jahrelang wegzusperren, um nach einem Jahrzehnt oder so das ganze mit etwas torfigem Wasser aus den Gumpen der Gegend zu strecken. „Whisky“ nannten die kernigen Kerle das brennende scharfe braune Zeug, das dabei herauskam. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann machen sie das noch heute.

Die Insel, über die ich schreibe, heißt Islay. „Aaaailiiiii“ wird das gesprochen. Von der Marina Port Ellen aus, dem einzigen Hafen, kann man die Südküste entlangwandern. Das ist reizvoll, nicht nur wegen der Schafe, sondern weil hier im Abstand von zwei Kilometern gleich drei nahmhafte Whiskybrennereien liegen: Laphroig. Lagavulin. Und Ardbeg.

Eine Gruppe kerniger bayrischer Landsleute steht vor dem Visitor Center in der Destillerie Laphroig, ein paar Schritte südlich der Küstenstraße entlang der Felsküste der Insel Islay. Ich habe Levje am Morgen in der Marina von Port Ellen hinter den Getreidefrachtern geparkt und bin mit Sven und Ida von Port Ellen losgelaufen. Und 45 Minuten später stehen wir hier.

Meine bayrischen Landsleute strahlen, während sie vor dem Schild Visitor Center warten, als würden sie gleich zum Empfang beim wiederauferstandenen Franz Joseph Strauß vorgelassen. Sie sind Kenner der Materie, keine Frage. Auf das hier haben sie lange gewartet. Drinnen unter dem grünen Schild Visitor Center geht es nüchtern her. Bücher, Schürzen, Shirts und Kappen mit der Aufschrift LAPHROIG. Und natürlich die Flaschen in den aufwändig bedruckten Edelkartons. „Irgendwie siehts hier auch nicht anders aus wie im Duty Free von Palma de Mallorca“, denke ich mir. Nur dass die Frauen in Palma ganz wuschig werden wegen des Parfüms, aber die bayrischen Männer sind nicht wuschig, aber eben voller heiliger Vorfreude auf das was da gleich kommt. Die Führung.

Ich boxe mich durch die hoffnungsfrohe Gruppe an den Schalter. „You want me to book you in?“, fragt mich die Studentin hinter dem Tresen. Dabei weiß ich doch noch gar nicht, welche Tour es gibt. Eine Verkostung? In etwa 5 Stunden. Kostet 30 schottische Pfund pro Person, mit Klein-Ida, die sich 20jährig nichts aus Whisky macht, also schlappe 110 Euro für  uns drei und ein paar Stamperl Whisky, die sie hier offensichtlich „drums“ nennen. Aber mit der Führung wirds nichts. „Die nächste in vier Stunden um halb drei“, lässt mich die Studentin wissen.

Naja. Ab jetzt vier Stunden lang den Kleiderständer mit den LAPHROIG-Sweatshirts drehen und Baseballkappen probieren ist kein wirklicher Pausenfüller. Und wenn ich mich in die Bar neben den Sweatshirts setze, brauche ich spätestens in einer halben Stunde keine „drums“ mehr. Aber wir sind ja zu Fuß. Wandern wir doch einfach weiter. Eine halbe Stunde weiter liegt ja der kleine Weiler Lagavulin. So wollte ich mal mein Boot nennen, viele Jahre ist das her.

Gesagt. Getan. Lagavulin ist tatsächlich ein Weiler. Und das Betriebsgelände von Lagavulin sieht auch nicht anders aus wie das von Laphroig. Groß. Weiß. Mit ein paar Jaguars und großkalibrigen Range Rovers auf dem Firmenparkplatz. Und verlassen unter den beiden kirchturmartigen Mälzerei-Hauben, die an ein strenges Schweizer Karthäuserkloster erinnern.

Im Visitor Center sagt mir eine der beiden Studentinnen hinter dem Kassentresen, an dem man Lagavulin-Sweatshirts und -Baseballkappen kaufen kann, dass die nächste Tour bereits ausgebucht sei. Ich sehe zwar niemand, aber zum Glück gäbe es ja die nächste Tour. In viereinhalb Stunden wäre die.

Wir wandern ein bisschen auf dem Firmengelände herum. An den Wänden hängen Fotografien kerniger Kerle, mit Bärten lang wie Teppichfransen und ungeschorenem Haupthaar, die sich im Kilt um einen Mann im Kilt mit stahlhartem Blick scharen. Man hat es wenigstens schön gemacht bei Lagavulin, ein Raum ist noch so dekoriert, wie er zu Zeiten der kernigen Kerle auf den Fotos war, Feuer im Kamin und tiefe Sessel, ja, schön war die alte Zeit. Eine der Studentinnen empfiehlt uns, doch bis zur nächsten Führung die Bar aufzusuchen, aber wir sind noch nicht am Ende mit unserem Latein und wandern einfach eine halbe Stunde weiter. In der nächsten Bucht, da liegt ja Gottseidank der kleine Weiler Ardbeg. Weil das am weitesten von Port Ellen weg ist, kommt da bestimmt keiner so leicht hin.

Die Wanderung entlang der Küste ist wunderschön. Und wo kann man schon so herrlich an einem Inselufer auf einem durchgehend geteerten Wanderweg von Destille zu Destille wandern, während auf der winzigen Straße große Automobile und gewaltige Traktoren an einem vorbeirauschen? Auf Islay scheinen die Dinge wirklich gut zu laufen.

Die Schafe, sie haben jedenfalls nichts von ihrem Gleichmut verloren. „Hauptsache kauen“, denken sie, während ich dem Segler draußen vor der Küste zusehe. Eine halbe Stunde später, nach einer Wanderung über Hügel und durch Wälder und über torfige Flüsschen stehen dann vor der Destille am Meer.

Auch hier ist das mit der Führung nicht so leicht hinzubekommen, sagt mir die Studentin hinter dem Tresen bedauernd. Aber wir könnten doch inzwischen in die Bar gehen… 

Doch Ardbeg hat gegenüber den Anderen die Nase an einer Stelle vorn. Hier gibts ein Restaurant. Es kommt ungefähr so daher wie die Klosterwirtschaft von Andechs bei mir daheim um die Ecke. Groß, und viele Menschen werden hier von meist ahnungslosen jungen Leuten bedient, die halt in Teilzeit hier jobben. Aber das Essen ist mindestens so gut wie in Andechs. Ich entscheide mich erneut für Haggis – obwohl ich weiß, was für ecklige Sachen da drin sind (siehe meinen vorvorletzten Post) schmeckt das doch gar zu gut. Auch diesmal 

kommt der Haggis als kleines Törtchen daher: Unten Haggis. In der Mitte Steckrübenpüree. Oben drauf „Mash“, Kartoffelbrei. Was mich dann aber wirklich begeistert, ist das harmlos dreinschauende Glas mit Whisky links. Der haut mir mit seinen 56% am helllichten Tag alle Lichter raus. So langsam wird der Tag mein Freund.

Und die kernigen Kerle im Kilt? Die, die das Zeug destillieren? Gibt es die noch irgendwo hier auf dem Gelände?

Soweit es mein Zustand erlaubt, wandere ich auf dem Firmengelände herum. Alle Türen stehen offen, doch die Gebäude sind verwaist und stehen unbelebt herum wie ein Freilichtmuseum. Nur die riesigen Lagerhallen scheinen voll belegt.

Ich werfe einen Blick in die Mälzerei. Kein Mensch. Kein Geräusch. Ein paar Schritte weiter höre ich jemand arbeiten. Ja richtig. Da steht einer auf der Trittleiter und schleift das Türblatt ab. Und sonst? Macht denn hier keiner Whisky? 

Auch bei den übermannsgroßen Destillationskolben ist kein Mensch. Selbst der einzige Mann im Kilt zwischen den Whiskyfässern trägt etwas ratlos seine Wasserflasche hin und her, er entpuppt sich als Besucher, wie ich. Ich vermisse ein altes Gesicht auf dem Gelände. Ein Gesicht, das davon erzählt, wie es ist, in guten wie in schlechten Tagen für „seine“ Whisky-Destille jeden Morgen aufzustehen. Aber langsam bin ich mir sicher, hier in Ardbeg werde ich dieses ehrliche alte Gesicht so wenig finden wie in Lagavullin oder Laphroig. Und auch nicht in Caol Ila wenige Kilometer nördlich oder in Bowmore oder in Bruichladdich. Sie alle sitzen hier auf Islay.

Am Ende unseres Weges finde ich das ehrliche alte Gesicht dann doch, als ich mich mit Sven mit einem Sack Wäsche unter dem Arm zum Büro des Hafenmeisters aufmache. Ian heißt der Hafenmeister der kleinen Marina. Er ist Mitte sechzig, trägt eine Halskrause. Jeden Tag um 17 Uhr dreht er seine Runde um Hafen, um zuzusehen.

„Ich bin auf der Insel Lewis geboren, weit draußen auf den äußeren Hebrideninseln. Als junger Mann hab ich Arbeit gesucht und kam hierher nach Islay. 1986 war hier auf Islay alles am Hund. Leute, die weggingen. Häuser die verfielen, weil eine Destille nach der anderen hier dicht machte. Whisky wollte keiner mehr haben, Bitter Lemon und Gin Tonic waren angesagt. Ich war Telefontechniker hier, und wer von den Destillereibesitzern Glück hatte, der verkaufte, bevor er dichtmachten musste.

Und irgendwann ging das alles wieder los. Ich glaube ja, dass alles mit Fernost anfing, dort kam die Sache mit dem Whisky wieder ins Laufen. Aber von den alten Destillerien sind nur nur noch Namen geblieben. Aber seitdem gehts aufwärts in Islay.“

Ian grinst, als ich ihn frage, warum ich keine Arbeiter in den Destillerien sah.

„Die Mälzereien sind längst außer Betrieb, alles wird jetzt zentral hergestellt, was an gemälztem Getreide benötigt wird, hier in der Mälzerei von Port Ellen. Gebrannt wird in den Destillen immer noch, aber das wird alles zentral ferngesteuert, da kannst Du niemandem bei der Arbeit zusehen. In den einstigen Destillen wird vor allem wird der Brand in den großen Lagerhallen gelagert. Ich wünschte, Du hättest eine Führung mitgemacht. Aber ganz verkehrt sind Deine Beobachtungen ja nicht. Viel zu sehen? Gibts beim Whisky-Brennen wirklich nicht mehr.“

Und Islay?

„Die Insel ist heute wohlhabend, dank dem Whisky. Der brachte die Besucher zurück. Ohne Whisky keine Besucher. Ohne Besucher kein Geld. Viele Besucher wollen auch bleiben. Häuser sind auf Islay längst keine mehr zu kaufen, die Preise schossen enorm in die Höhe. Und ich? Ich träume, je älter ich werde, von dem Ort und der Insel, von der ich komme. Von Lewis und den äußeren Hebriden.“

Von England nach Irland und Schottland (19): Mull of Kintyre. Eine Halbinsel. Ein Song. Und die Whisky-Inseln.

Meine diesjährige Segelreise führt mich seit Juni  

die englische Südküste vom Solent nach Westen zu den Scilly Isles und von dort über Dublin und Nordirland zur Küste Süd-Schottlands.

Es ist, als hätten der Himmel und das Meer eine Pause eingelegt. Das Meer verharrt fast reglos unter einem dramatischen Wolkenhimmel, der noch nicht eins ist mit sich, ob er an diesem Spätnachmittag  noch einmal einen Eimer Sonne oder einen Eimer Regen über uns auskippen soll. 

Es ist Donnerstag, irgendwann kurz vor halb sechs. Der Wind, der eben noch da war, hat sich verzogen, wir liegen, wo wir liegen, wie in einer Pfütze. Nur noch ein schwacher Hauch fängt sich in dem großen gelben Schwachwind-Vorsegel über Levjes Bug, er treibt uns gerade mal mit eineinhalb Knoten weiter, ein schlendernder Passant wäre ein rasender Roland dagegen. Aber selbst unsere 1,5 Knoten sind nur graue Theorie. Der Strom, der vom Kap vor uns kommt, dem Mull of Kintyre, raubt uns die Fahrt. Die Logge zeigt 1,5, das GPS, das unsere Fahrt über dem Meeresboden anzeigt, sagt „0“. Wir segeln – aber auf der Stelle. Wenn das so weitergeht, sind es noch 8 Stunden bis zur Halbinsel Kintyre und ihrer südlichen Spitze, dem Mull of Kintyre.

Doch Geschwindigkeit ist nicht alles im Leben. Einfach nur sein in dieser Weite, sich spüren in diesem ungeheuerlichen Innehalten um uns herum, das ist schon viel. Mir bedeutet es in diesem Moment fast alles. 

Blicke ich nach vorn, sehe ich den Schwarm gänsegroßer Basstölpel in einer Linie majestätisch wie Schwäne über die Wasseroberfläche vor Levje ziehen und weit im Westen verschwinden, wo die Sonne hinter den Regenwolken steht und sie erleuchtet. Schaue ich hinter mich nach Südosten, sehe ich den Leuchtturm wie den Turm Isengarts einsam auf seinem Felskegel stehen. Neben Levje sitzen zwei Trottellummen auf dem Wasser, ein Elterntier und ein kleineres Jungvogel. Die pinguinähnlichen Vögel gemächlich wie die Entlein auf einem winzigen Dorfteich und nicht sechs Meilen, zehn Kilometer vom nächsten Land entfernt. Immer wieder habe ich Freude an den possierlichen Tieren, irgendein Ahnherr von ihnen muss einst Modell gestanden haben für Plastik-Badeentchen. In diesem Moment treibt der Strom sie zu nahe an Levjes Rumpf heran. Ein paar hektische Kopfwendungen, wenn Levje an sie herankommt, ein leicht beschleunigter Schlag mit den Schwimmfüssen, dann macht es ein leises „Pfluntsch“ auf dem Wasser und die beiden tauchen einfach Schnabel voraus in die Tiefe, wo sie sich für Minuten vor dem großen blauen Ungetüm in Sicherheit bringen. Abhauen kann wirklich kinderleicht aussehen.

Die Meeres-Landschaft, in der wir gerade windlos liegen, ist wie ein riesiges Amphittheater. Hinter mir der lange Schlauch des Loch Ryan, an dessen südlichem Ende wir die erste schottische Nacht im Hafen von Stranraer verbrachten. Im Osten die seltsam rundliche Insel Ailsa Craig, die sich aus dem Meer erhebt wie ein Totenschädel, der im nächsten Moment in voller Größe aus dem Wasser auftaucht. Im Norden die Meerenge, hinter der Insel Arran muss irgendwo der lange Loch Clyde mit den Häfen von Glasgow am Ende liegen.

Im Nordwesten voraus die Halbinsel Kintyre. Steile Felsen am Kap, die mit den sattgrünen Flächen ein seltsames Webmuster bilden, ein Ornament, eine Zeichenfolge, die ich so wenig deuten und lesen kann wie das Punktmuster, das der nächste Schwarm Basstölpel knapp über der Wasseroberfläche auf den Horizont vor mir tupft. Es gibt keinen Maler in diesem Moment, der die Ornamente malt, und keinen, der diese Schrift schreibt. Und doch ist es für mich in diesem Augenblick wie ein Text, dessen Bedeutung ich nur ahnen kann und in dem auch ich vorkomme als winziger Punkt.

Mull of Kintyre. Mull: Das gälische Wort für Vorgebirge. Der Name beschreibt das Gebirge an der Südspitze der Halbinsel Kintyre, die von hier aus mehr als 70 Kilometer weit aus dem Atlantik bis ins schottische Hochland in den Atlantik ragt. Der südlichste Punkt, an dem wir stehen, ist zugleich auch die engste Stelle Irland und Schottland die hier nur 17 Kilometer trennen. Irgendwo hier muss Paul McCartney seine Farm mit dem Studio gehabt haben, wo er den Song Mull of Kintyre aufzeichnete. Als der Song ein Millionenhit geworden, würde er sagen, er schrieb ihn aus keinem anderen Grund, als nur der Landschaft hier zu huldigen. Wenn es wahr wäre, könnte ich ihn beim Anblick der Landschaft gut verstehen, anders als damals, als ich den Ohrwurm zum ersten Mal hörte. Ich war 17, ich war mal wieder verliebt, und Paul McCartney lieferte die richtige Klangtapete für mein Lebensgefühl. Wäre nicht Ex-Beatle Paul McCartney der Sänger gewesen sondern Udo Jürgens, hätte man das mit Kintyre-Dudelsäcken unterlegte Stück als Schnulze abgetan. Aber so? War es einfach 1978 pure Sehnsucht auf schwarzem Vinyl, das sich als erste Schallplatte überhaupt in UK über zwei Millionen Mal verkaufte. Doch davon ist Mull of Kintyre gänzlich unbeeindruckt.

19.30 Uhr. Wir stehen vor Mull of Kintyre. Ganz links von mir sehe ich in der Ferne einen Tanker langsam vor der nordirischen Küste dahin schleichen. Immer mehr Schwärme von Basstölpeln ziehen langsam nach Norden, knapp an uns und knapp an der Wasseroberfläche vorbei. Was sie wohl dort vorne hinter dem Mull of Kintyre in der großen grauen Wand suchen?

Von Westen setzt leichter Regen ein, er zieht in Schlieren aus dem Grau über das grüne Webmuster des Vorgebirges, das eben noch grün leuchtete und jetzt hinter dem grauen Vorhang verschwindet.

Schlagartig ist Schluss mit dem Innehalten der Natur. Während die Regenfahnen über uns hinwegziehen, tauchen am Kap Seehunde nahe bei Levje auf. Sie schwimmen treuherzig wie Dackel um Levje. Erst drei. Dann fünf. Dann sind es zehn, die mit unverhohlener Neugier Kreise um das große blaue Teil ziehen. „Seid ihr was zum Spielen?“, scheinen die Schlappohren zu fragen. Ich bin wie Sven und Ida fasziniert von den Tieren, fotografiere wie ein Wilder und sehe nicht, was meine Kamera bereits sieht und rechts oben in der Ecke bereits festhält:

Races! Brechende Wellen! Stromschnellen! 

Urplötzlich setzen hackige Wellen ein, sie brechen, obwohl kein Wind weht, als würde hier der Meeresboden ansteigen und wir gleich auf eine Untiefe laufen. Levje kracht mit lauten Scheppern voran, doch es ist keine Untiefe, sondern das Wellental nach der ersten brechenden Welle. Um uns ist das Wasser tief genug, alles frei. Die Seehunde sind vergessen, wir geigen plötzlich durch die Wellen, das Schiff wird ungut hin und her geworfen, wir suchen Halt, um nicht umgeworfen zu werden im Cockpit. Die graue Regenwand vor uns hat uns und die eben noch vorhandene Weite in lichtloses Grau gepackt. Wir müssen hier irgendwie aus diesen windlosen Stromschnellen raus, ein Glück, dass ich stur war und darauf bestand, den großen Blister wegzuräumen, so ist wenigstens das Schiff seeklar für die Stromschnellen. Zehn Minuten brauchen wir, dann sind wir durch die Stromschnellen hindurch. Prasselnd setzt Regen ein, in dem das nahe Kap Mull of Kintyre hinter uns versinkt, als wäre es niemals da gewesen.

Hinter dem Mull of Kintyre ändere ich den Kurs. Unser Ziel ist Islay, „Aaailii“ gesprochen, eine der inneren Hebrideninseln im Nordwesten, 20 Seemeilen, 35 Kilometer weiter. Knapp vier Stunden geht es erst durchs große Grau, das wie Watte um uns liegt, bevor der Wind wieder da ist. Bis 23 Uhr ist es taghell, um Mitternacht tappen wir mit dem allerletzten Licht des Sonnenuntergangs entlang an Felsen und weißen und grünen Blinklichtern in die gut befeuerte Hafenbucht von Port Ellen und suchen nach einem Platz zum Ankern. Da, zwei Yachten vor uns vor Anker. Noch einen Kreis auf dem Wasser gedreht, den Anker fallen lassen, dann kann ich den Motor abstellen. Hundemüde und hellwach zugleich, bin ich aufgewühlt vom Mull of Kintyre und diesem Tag. Und neugierig auf Islay und Port Ellen. Namen, die nach schottischem Whisky schmecken.

Aber so neugierig mich die Lichter der still daliegenden Insel Islay machen: Mull of Kintyre wird mich weiter begleiten, nicht bloß als längst vergessener Song, sondern von jetzt als Ort, an dem der Himmel und das Meer eine Pause einlegten. Und mir einen besonderen Moment schenkten.

Videoupdate #47

Ich bitte mal kurz um eure Aufmerksamkeit, denn ich habe euch etwas wichtiges mitzuteilen:
Heute Nachmittag waren wir mit Filou am Strand und obwohl ich mir für diesen Sommer ein Filmverbot zwecks voller Fokussierung auf die Restauration auferlegt hatte, war eine kleine Kamera mit dabei. Dieser glückliche „Zufall“ hat dazu geführt, dass ihr nun fast live Filous erste Bahnen audiovisuell miterleben dürft.
Viel Spaß mit Videoupdate #47
(Zu 100% mit Solarstrom vor Anker produziert!)

Von England nach Irland und Schottland (18): Das erste Mal Schottland. Das erste Mal Haggis.

Was tut man, wenn man den Tag auf seinem Boot im Nebel und Regen verbrachte und zum ersten Mal in einem schottischen Hafen festmacht? Man trabt durch den Regen und die Kleinstadt und sehnt sich nach einem gemütlichen Pub. Etwas Warmes braucht der Mensch.

Im südschottischen Stranraer ist das zunächst nicht so einfach. Die Stadt war bis vor wenigen Jahren Fährhafen hinüber ins nahegelegene Belfast, bis die Fährgesellschaft beschloss, den Hafen ein paar Seemeilen weiter nach Norden zu verlegen, weil der von Stranraer verlandete. Der Ort hat das bis heute nicht verwunden. So verwegen der Name immer klingt, so verwegen man ihn mit „Straanraaaaaar“ auch ausspricht: Die Hauptstraße der Kleinstadt ist verwaist, ein paar magere Schreibwarenläden und ein Plastik-Fingernagel-Studio, von guten Pubs ist nichts zu sehen. Nur Tripadvisor ist unerschütterlich und sagt, es gäbe Licht am Ende des Ortes. Wenn wir uns 20 Minuten durch den schottischen Nieselregen entlang der Bucht ostwärts kämpften, dann wäre da Henry’s Bay House Restaurant, dessen Küche immerhin 500 Leute zu viereinhalb von fünf Sternen hinriss. Wärme. Whisky. Wohlbefinden.

Tatsächlich liegt Henry’s Bay House dort, wo Stranraers Wohnhäuser enden. Und eigentlich sieht es auch so unscheinbar aus wie ein Wohnhaus. Aber das einstige Wohnzimmer ist voll, ein Tisch mit Meerblick ist noch frei. „Haggis ’n Blackpudding“ steht auf der Speisekarte, als Antipasto, na dann los. Das verstehe ich wenigstens, wenn ich schon kein Wort verstehe von dem, was die Kellner mir zu sagen versuchen.

Es ist pure Neugier, die mich reitet. Jener derbere Teil meiner bayrischen Küche, Schlachtplatte, Blut und Leberwürste, Kesselfleisch und saures Lüngerl sind mir zutiefst zuwider, vor rotem Preßack laufe ich bis heute schreiend davon. Meine Begegnung mit „Trippa a la Fiorentina“, gekochtem Kuhmagen in Streifen mit Tomaten- soße, dem florentinischen Traditionsessen, hat die Sache eher noch verschlimmert. Auch das, was wir heute als gehobene typisch mediterane Küche begreifen, war einst nichts anderes als „Arme-Leute“-Küche, für die verwertet wurde, was sich kein anderer auf den Teller legen mochte. „Spaghetti allo Scoglio“ ist das Gericht, für das aus dem Meer in den Topf kam, „was am Felsen hängengeblieben“ war. Spaghetti Bolognese waren, bevor man dafür bestes Hack verwendete, auch mal eher kleingehackte Schlachtabfälle. Die „Roba Vieja“ in Spanien, „alte Klamotten“, bringt heute restaurantmäßig die Leftovers von gestern auf den Tisch und der Pfälzer Saumagen verkocht zerkleinert, was keiner wirklich essen mag.

Da kommt mein Haggis mit Blackpudding. Schön sieht er aus, unter einer Whisky-Sahne-Sauce mit Pilzen. Eine Art Lasagne aus Haggis- und Blackpudding-Schichten, Blutwurst. Ein erster zaghafter Stich mit der Gabel. Konsistenz eines heimatlichen Fleischpflanzerls, einer Bulette, wie man auch dazu sagt.

Aaaaaaaah. Der Geschmack einer gekochten Bratwurst-Füllung entfaltet sich am Gaumen, ein leichter Duft nach Majoran und Muskatnuß. Konsistenz von lange im Bratgut mitgekochtem Getreidekörnern. Nein, das ist ja phantastisch. Ich denke, Haggis werde ich jetzt öfter essen. Auch Sven und Ida, die mit mir segeln, sind mit meiner Wahl durchaus einverstanden. Begeistert vom schottischen Essen und Haggis im Besonderen traben wir später durch den Nieselregen. Ich beschließe, fortan ein Haggis-Fan zu sein, fast wie der schottische Nationaldichter Robert Burns singe ich auf dem Heimweg zu Levje das Loblied des schottischen Haggis.

Doch so einfach ist das alles nicht. Essen findet im Kopf statt, und zunächst mal eine Etage oberhalb  des Gaumens, mit dem Denken. Als ich nach meinem zweiten Mal Haggis nachlese, was das denn eigentlich ist, sehe ich die Dinge anders. Wikipedia zitiert ein schottisches Kochbuch, daß das folgende Rezept für Haggis „nichts für schwache Nerven“ sei. Weniger, weil man als „Kochbehälter“ einen tierischen „Behälter“ den Magen eines Schweins nimmt. Auch nicht, weil man dafür Herz, Leber und Lunge in einer leichten Fleischbrühe kocht, sondern weil der Autor dezent darauf hinweist, dass beim Kochen die an der Lunge hängende Luftröhre unbedingt über den Topfrand hängen muss.

Ist  alles feingehackt und zerkocht, kommt das dann mit Pfeffer, Muskat, Nierenfett und Hafermehl in den umgedrehten Schweinemagen und wird stundenlang gekocht.

Nach der Lektüre bin ich mir nicht mehr soooooo sicher, ob ich noch mal Haggis essen oder gar ein Gedicht wie Robert Burns auf Haggis schreiben werde, das die Schotten am nationalen Burns-Feiertag Ende Januar zusammen mit Haggis angeblich genießen. 

Was ich aus meinem Haggis-Erlebnis lerne, ist die immer gleiche Erfahrung mit dem Essen: „Seelig sind die geistig Armen.“ Oder: Ein bisschen Ahnungslosigkeit brauchts, will der Mensch glücklich sein. Oder will ich jetzt wirklich genau wissen, was denn jetzt alles in heutigen Brotbackmischungen meines braven Dorfbäckers, einer Pizza beim Lieblingsbäcker oder einem simplen Semmelknödel alles drinsteckt? Und selbst der fortschrittlichste Veganer wird zugeben müssen, dass er auch nicht weiß, was immer drinsteckt in Tofu und Fermentiertem.

Nein. Der Haggis ist nur ein Beispiel. Abgesehen davon: Haggis gibt es nicht nur nach dem angegeben Rezept. Es gibt ihn – selbstverständlich – auch nach „Original Recipe“ Glutenfrei. Und auch vegetarisch, auf dem Foto ganz rechts.

Aber will ich wirklich wissen, was in der ersatzhalber statt Lunge verkochten Möhre wirklich drinsteckt?

Von England nach Irland und Schottland (17): Von tauchenden Trottellummen und Basstölpeln. Wo Irland und Schottland sich nahekommen.

Meine diesjährige Segelreise führt mich seit Juni  

die englische Südküste vom Solent nach Westen zu den Scilly Isles. Von dort kam ich in einem langen Schlag nach Irland und bin nun über Dublin 
Richtung Nordirland.

Früh am Morgen haben wir uns auf den Weg gemacht. Sven und ich sind meist um sechs Uhr auf den Beinen, Svens Tochter Ida nutzt die Zeit, um auszuschlafen, während wir rumpelnd den Anker vom Grund heraufholen, Levjes rumpelnden Motor starten und mit der ersten Strömung hinausmotoren aus dem Loch Strangford, die Küste Nordirlands entlang, die links von uns im Morgenlicht liegt. Man ist hier allein mit sich, nur ein Fischer teilt den morgendlichen Frieden vor der Mündung des großen Sees, der fast bis nach Belfast hinaufreicht. 

Doch kaum ist links am späten Vormittag die irische Küste  verschwunden, taucht rechts  aus Regen und Nebel die schottische Küste auf. Irland und Schottland liegen an dieser Stelle gerade mal 35 Kilometer auseinander, ein Stück weiter nördlich, vor der schottischen Halbinsel Mull of Kintyre, sind es noch weniger, gerade 17 Kilometer.

Langsam schleichen wir uns ran an die Küste. Grenzen, schrieb ich einmal, existierten auf dem Meer nicht, man kann keine Linien ins Meer ritzen oder Mauern darauf betonieren. Grenzen sind

in unserem Kopf, und die erstmalige Ansteuerung an eine nebelverhangene verregnete Küste, wenn man am Morgen im Sonnenlicht lossegelt, weckt das Gefühl, eine magische Grenze überschritten zu haben, irgendwohin, wo noch nie ein Mensch vorher war, das winzige eigene Ich sowieso nie.

Es regnet. Ich sitze unter der Sprayhood und blicke hinüber zum Ufer, das im Grau irgendwie trostlos wirkt. Schottland scheint ein einsames Land zu sein. Am Ufer das erste Gehöft seit Stunden. Eine steinerne Säule im Meer, die eine Untiefe markiert, kein Ort nirgendwo, so scheint es.

Vor der Steinsäule tummeln sich in Scharen Trottellummen, sie sehen niedlich aus. Anders als ihr Name es sagt, sind sie alles andere als trottelig oder gar niedlich. Eine hat einen silbrig glänzenden Fisch im Maul, sie hat ihn halb hinuntergewürgt und kann sich nicht entscheiden, ob sie erst schlucken oder besser fliehen soll. Mit hektischen Kopfbewegungen schwimmt sie weg vom herannahenden blauen Rumpf, Gier oder Furcht ringen in dem kleinen pinguinartigen Vogel miteinander, ich blicke ihr lange nach, ihr und ihrem silbern gefüllten schwarzen Schnabel, bis sie sich zu dem entschließt, was Trottellummen nun mal mit Angreifern von oben machen:

Sie breitet die Flügel, zeigt mir ihren Hintern – und taucht einfach weg in die Tiefe. Ein Vogel, der sein Heil nicht in der Luft sucht, wenn es eng wird?

Tatsächlich sind die Trottellummen hervorragende Taucher. An Land stehen und watscheln sie aufrecht und plattfüßig herum wie Pinguine. Wenn sie fliegen, sehen sie aus wie Akku-Staubsauger mit drangeschraubten Flatterflügeln. Doch das Wasser ist ihr Element. Bis zu 180 Meter (!) in die Tiefe treiben ihre Flügel sie auf ihrer Unterwasserjagd nach Heringen und Sprotten, auf ihren Tauchgängen flügeln sie unter Wasser mit geöffnetem Schnabel durch Schwärme von Fischen hindurch, wie tief die auch sein mögen. Fliehen sie, haben sie als einzige Vögel die Wahl: Vor dem, was von unten nach ihnen schnappt, steigen sie in die Luft. Und kommt ein dicker Brummer an wie Levje von oben, dann tauchen sie einfach weg, vor uns abgetauchte Trottellummen sehe ich minutenlang nicht mehr.

Die Vogel scheinen die mir fremde steinerne Säule im Meer zu lieben. Auch die Vogelwelt ist hier vor Schottland plötzlich eine andere. Die Witzfiguren der schwarzen Kormorane sind plötzlich verschwunden, als hätte es sie nie gegeben. Stattdessen steigen die gelbköpfigen Basstölpel nahe beim Boot auf, um sich im Regen wie ein Pfund Wurst aus großer Höhe ins Wasser platschen zu lassen auf der Jagd nach Fischen. Ungelenk sieht es jedenfalls von Ferne aus – aber da sollte ich mich mächtig täuschen.

Irgendwie griesgrämig sehen sie aus, schlechtgelaunt, mit stechendem Blick neben den possierlichen Trottellummen. Nur sind Basstölpel größer, fast wie Gänse sind ihre Flügel weiter hinten am Körper angeschraubt als bei den lieb-netten Lummen. In welchen der Vögel ich mich mehr widererkenne? Natürlich in den griesgrämigen Basstölpeln, sie neigen zu murrigem Einzelgängertum, während die Trottellummen meist zu zweit auftreten: eine große, das Elterntier, neben einer kleinen.

Ob niedliche Trottellummen oder griesgrämig dreinschauende Basstölpel: Allesamt sind sie miserable Starter aus dem Wasser. Ich könnte sie stundenlang beobachten, vor allem die unbeholfenen Basstölpel, denen man spätestens beim schwerfälligen Abheben die Gänse-Verwandschaft ansieht.

Auch ein Regentag auf dem Meer kann faszinierend sein. Der markante Leuchtturm von Corsewall Point erinnert mit seinem gewaltigen Nebelhorn vor dem Turm daran, dass das Wetter in Schottland öfter mal schlecht ist. Noch zwei Stunden haben wir um das Kap mit dem Leuchtturm herum, dann erreichen wir Stranraer. Ich bin gespannt, was ich da finden werde.

Von Irland und England nach Schottland (16): Lough Strangford, Nordirland.

Meine diesjährige Segelreise führt mich seit Juni  

die englische Südküste vom Solent nach Westen zu den Scilly Isles. Von dort kam ich in einem langen Schlag über die irische See in Irland an und segle nun 
die irische Ostküste hinauf.

Bis hierher war alles friedlich. Ein windstiller Tag, an dem wir von Howth und der Insel Irelands Eye heraufmotoren. Ein beschauliches Gleiten entlang der sanften Hügel- Landschaft Nordirlands, die nur Hin- und wieder von einer Ruine oder einem Bauernhaus unterbrochen wird.

Und dann zeigt das GPS plötzlich 10 Knoten Geschwindigkeit über Grund an. Doppelt soviel wie üblich. Und doppelt soviel, wie der Geschwindigkeitsmesser als Fahrt durchs Wasser anzeigt. Wie eine geheime Kraft zieht uns der Strom, der gerade herrscht, mit satten fünf Knoten in den Strangford Lough, den See, der sich links von uns öffnet. Wir sind in der Einfahrt in den 26 Kilometer langen Einschnitt an der Nordostküste Nordirlands, der fast bis zu den Vorstädten von Belfast ganz im Norden reicht.

Mitten im breiten Mündungstrichter steht ein weißer Turm auf einer Sandbank, die wie ein Riegel vor der Einfahrt liegt. 10 Knoten Speed. Das ist viel, wenn uns jetzt etwas in die Quere kommt wie die Sandbank, wird Ausweichen zum hastigen Manöver, bei dem wir selbst mit Levjes starkem Motor in der schnellen Strömung Schwierigkeiten haben werden, uns freizuhalten. Uns ist unheimlich, die Kormorane, die auf dem weißen Turm ihre Flügel zum Trocknen ausbreiten, scheinen wie Geier, die auf Beute warten. Der Turm ist oben rot bemalt, eine Markierung, dass sich die eigentliche Einfahrt irgendwo rechts von dem Turm befindet, dort wo das Wasser merkwürdige Wirbel und Kreise an der Oberfläche bildet und Zipfelmützen, kleine brechende Wellen. Anomalien, die man dort findet, wo das Wasser schnell strömt.

Eigentlich sagt der REEDS ALMANACH, das große Telefonbuch, das die Küsten um Großbritannien in einem Sammelsurium voller Namen, Zahlen und Abkürzungen beschreibt, dass in diesem Moment Hochwasser sein müsste – der höchste Stand der Flut, an dem das ewige Hin und Her der Gezeiten zu einem Stillstand kommt. „Slack“ heißt der englische Ausdruck, wenn kein Strom mehr setzt und das Boot irgendwo hin treibt. Aber hier ist gerade nicht „slack“, sondern das Gegenteil. Unsere Fahrt durchs Wasser scheint normal, nur wenn ich zum Ufer hinüberblicke, kann ich erkennen, wie schnell Levje gerade über den Grund dahinschießt. 

Und an den Bojen im Fluss sehe ich es. Bojen, die Fischer ausgelegt haben, um ihre Reusen, ihre „Fish-Traps“ wiederzufinden, die sie auf 30, 40 Meter Tiefe versenkten. Sie wissen, dass sich dort, wo das nährstoffreiche Wasser des Sees aus dem Strangford Lough auf das hereinströmende Meerwasser trifft, sich die Tiere des Meeres wie zum Dinner an einer Tafel versammeln. Die ganze Nahrungskette ist hier an einem Ort versammelt: Kleintiere, die den Fischen ins Maul gespült werden. Kleinere Räuber, die von größeren geschluckt werden oder Möwen und Seeschwalben, die einfach nur ihre Schnäbel kurz in die Wasserwirbel hineinpicken wie einen Zahnstocher, um an Meeresgetier von der Wasseroberfläche aufzulesen, was sich von unachtsam im eigenen Fresswahn zur Meeresoberfläche wirbeln lässt.

Vor der alten Burgruine liegen die Rotoren eines gelben Gezeitenkraftwerks zur Wartung vertäut. Weil die Strömung hier Jahr und Tag beständig setzt, hat man bereits vor zehn Jahren begonnen, in der Strömung des Strangford Lough Türme zu installieren, mit zwei Rotoren, die sich unter Wasser vom Tidenstrom angetrieben wie Flugzeugpropeller drehen und Generatoren antreiben. Mehr als ein Megawatt soll die Anlage bringen.

Eben hat sich unsere Geschwindigkeit auf acht Knoten verringert. Aber nur für einen kurzen Moment, in den Strudeln vor der rotweißen Untiefenmarkierung und dem Wachturm sind wir wieder mit zehn Knoten unterwegs. Große Blasen aufsteigenden Meerwassers, die Levje in voller Fahrt aus dem Kurs drehen, trügerisch glatte Flächen aus der Tiefe kommenden Wassers, die an ihren Rändern kleine Strudelkinder ausbilden. Ob man eine Chance hätte, hier durchzuschwimmen, wenn man ins Wasser fiele? Ich weiß es nicht. Ich bin mir aber sicher, dass der Strom mit seinen 5 Knoten mit einem Schwimmer macht, wozu er lustig ist. Im Herbst in der Bretagne schwamm ich meinem Bootshaken hinterher, als er ins Wasser gefallen war. Schnell hatte ich ihn erreicht, dann aber mehr als eine halbe Stunde gebraucht, um die 100 Meter wieder flussaufwärts zu kommen. Damals waren es nur 0,5 Knoten Strom gewesen, ein Zehntel dessen, was jetzt gerade dort herrscht.

Hinter der Wegmarkierung tut sich der Hafen von Portaferry auf. Von dort kreuzt die Fähre nach Strangford über den See. Malerisch sehen die beiden Orte ja aus, doch der Hafen von Portaferry liegt mitten im Strom am Flussufer. Ob es hier ein Pub gibt, um Abends die Beine auszustrecken, Musik zu hören und ein Bier zu trinken? Sieht nicht so aus. Ein Segelclub am Ufer, ein Hotel, das eine liegt so verlassen da wie das andere. Als wir im Internet nachsehen, gibt es in Portaferry und Strangford gerade mal zwei Kneipen, der Rest sind Cafes, die jetzt um sieben längst geschlossen sind. Ungewisse Aussichten also auf Entspannung. Gewiss ist nur, dass wir beim Anlegen bei drei Knoten Strom ein heikles Manöver vor uns haben, im fliessenden Wasser treibend genau in die Lücke zwischen den anderen Booten zu treffen.

Es wird also nichts mit einem Bier und dem Blick aus einem Pub auf den schnellströmenden Fluss.

Dann lieber ankern vor der Villa mit Park und dem Herrenhaus auf dem Hügel, wo hohe Nadelbäume stehen, die alles andere überragen als wären sie hohe Zedern, die einst ein Reisender vom Ufer des östlichen Mittelmeeres zurückbrachte in seine Heimat, als hätte er gewusst, dass hier im Golfstrom die Bäume des Mittelmeers Wurzeln schlagen.

Wir lassen uns noch ein Stück flussaufwärts treiben vom Strom, in den See hinein, dann drehen wir um und ankern vor dem Hügel mit dem Herrenhaus  und dem Gezeitenkraftwerk. Zwei Stunden später, als Sven, Ida und ich über heißen Kartoffeln mit salziger Butter im Cockpit sitzen, hat sich der Strom beruhigt. Levje liegt nun träge im See wie die Schiffe vor dem Hafen. Aber es wird nicht lange dauern, dann wird der Strom in Gegenrichtung einsetzen, aus dem Inneren des Strangford Lough heraus, während wir tief schlafen, wird er wieder kentern und mit gleicher Kraft wieder in den See hineinspülen.

Morgen Früh, wenn sich das Spiel gegen 7.00 Uhr morgens ein weiteres Mal umkehrt und der Strom wieder aus dem See hinaus ins Meer setzt, wollen wir los. Uns auf dem windstillen Wasser vorbei an Strangford und den Fischern hinaus aufs Meer spülen lassen und von dort zur schottischen Küste übersetzen.

Sie ist ja nicht weit von hier, gerade mal die Distanz von München nach Augsburg, 50 Minuten Autofahrt wären es, wenn man ein Auto benutzen könnte. 

Aber noch braucht man ein seetüchtiges Schiff dafür. So eins wie Levje.

Von England nach Irland und Schottland (15): Dublins Norden: In Howth und auf der Insel Irelands Eye.

Meine diesjährige Segelreise führt mich seit Juni  

die englische Südküste vom Solent nach Westen zu den Scilly Isles. Von dort kam ich in einem langen Schlag im River Suir in Waterford an und segle nun von Dublin 
an der irischen Küste entlang langsam nordwärts, 
Richtung Nordirland und Schottland.

Was macht man eigentlich an einem x-beliebigen Donnerstag in Dublin? 

Man könnte sich das BOOK OF KELLS ansehen. Oder durch eines der Dubliner Museen treiben lassen. Oder sich einfach mal hinsetzen und alle Gedanken aufschreiben, die einem an diesem Donnerstag durchs Hirn schießen. Vom Ersten bis zum Letzten. Alle nacheinander. Den ganzen Strom eines Bewusstseins aus Assoziation, Erinnerung, Vorurteil.

Aber halt. Das hat doch schon einer gemacht? Ausgerechnet hier in Dublin, und ausgerechnet ein Ire. James Joyce beschreibt in seinem ULYSSES einen einzigen Tag, den Donnerstag, den 16. Juni 1904, an dem er seine Helden auf ihren Gängen und ihren Gedanken kreuz und quer durch Dublin begleitet. Den Anzeigenverkäufer Leopold Bloom ebenso wie den jugendlichen Stephen Dedalus. Was diesen Tag den Iren so prominent macht, dass sie nur wegen dieses Buches aus dem 16. Juni einen Feiertag machten, den Bloomsday, der ihnen genauso wie der St. Patricks Day einen Eintrag im Kalender wert ist.

Man könnte aber auch hinauffahren in den Nordosten Dublins an die Küste und an die Strände von Howth und Malahide, wo man eben hinfährt wie die Dubliner es an einem Wochenende tun. Howth liegt eigentlich auf einer Halbinsel, die nur über eine schmale Sandbank oben im im Foto mit dem Festland verbunden ist. Howth heute ist vor allem ein Fischereihafen, 

was nicht weiter bemerkenswert wäre, denn Fischer gibt es wirklich in jedem irischen Hafen. 

Aber unter den vielen Berufsständen, die ich mir im Leben genauer ansah, was denn nun der Richtige für mich wäre, beeindruckten mich Fischer, weil es einfach der wandlungsfähigste und anpassungsfähigste Berufsstand ist. Vielleicht, weil es einer der ältesten ist? Wenn wir das Wort Fischer hören, denken wir an jemanden, der halt einen kalten Fisch aus dem kalten Wasser zieht. Schon richtig. Aber es ist ein Unterschied, ob jemand netzweise Sardinen oder Makrelen in Dosen schaufelt. Oder ob er sich auf Krabben und Hummer und Seeteufel und Austern spezialisiert hat. Für die, die eben gerne sowas essen.

In Howth haben sie sich auf Letzteres spezialisiert, und das mit ungeheurem Raffinement. Die „Fishmonger“, die Fischhändler sind hier einer neben dem anderen, man wähnt sich im Paradies. Natürlich gibts bei ihnen auch Cod oder Haddock, den Kabeljau für „Fish ’n Chips“. Aber neben Hummer, Langusten und Austern entdecke ich im Regal der Fischhändler ebenso Brie de Meaux, erlesenen Roquefort oder Stilton. Mit der in Butter geschwenkten und leicht mit Pfeffer bestreuten Hammelniere wie James Joyce‘ Held Leopold Bloom gibt sich in Howth keiner mehr zufrieden, hier ist schlemmen angesagt. Und die Zeilen auf dem Fischrestaurant lassen den genußsüchtigen Segler natürlich juchzen, es könnte kein schöneres Motto geben für einen Tag unter Segeln:

„Where there’s always a breeze and there’s never a gale
and the fish jump on board with a swish in their tail
and lie at your leisure, there’s nothing to do
and the captain is below making tea for the crew.“

Nein, auf die britische Küche ist auch kein Verlass mehr. Sie ist weit besser als der miese Ruf, der ihr vorauseilt, jedenfalls verblüfft sie mich manchmal heftig. Howth ist ein kulinarisches Paradies. Und ein

landschaftliches dazu, denn vor der Küste liegt die unbewohnte Insel Ireland’s Eye, vor der wir ankern und den Strand hinauf laufen nach oben, auf den Gipfel von Irelands Eye, wo man eine herrliche Aussicht hat. Auf Howth, den Fischerort. Aber auch auf die einzigen 

beiden Gebäude auf der Insel oder das, was von ihnen übrig geblieben ist. Den Ruinen des kleinen Kirchleins aus dem 8. Jahrhundert. Und dem Genuesenturm, einem der vielen „Martello-Towers“ auf einem Felsvorsprung, der die irische Küste einst vor der Landung napoleonischer Truppen bewachen sollte.

Martello-Tower gibt es viele vor Dublin. Und eigentlich kam ich ja nur nach Howth, weil hier zwei von ihnen stehen, der eine eben auf der unbewohnten Insel und der andere in Howth selber. Ich bin auf der Suche nach dem einen Martello-Tower, auf dem das erste Kapitel des ULYSSES spielt, in dem sich der unnachahmliche Buck Mulligan im Morgenmantel auf ebenso unnachahmliche Weise rasiert.

Nein, gelesen haben muss man den ULYSSES nicht. Aber dies Dublin lieben, dies Dublin mögen, das fällt einem schon ungemein leichter, wenn man Abends an Bord mit dem ULYSSES in der Hand nach Austern aus Howth und einem Absacker-Bier einschläft. 

Man kann seine Tage auf jeden Fall unnützer verbringen als in Dublin. 
Vor allem x-beliebige Donnerstage.