Kulturzentrum Tjibaou
Di., 09.09.25, Neukaledonien/Nouméa, Tag 4.119, 29.265 sm von HH
Die am meisten beworbene Sehenswürdigkeit in Nouméa liegt sieben Kilometer von der Marina entfernt. Wir mieten uns ein Auto. Das ist zwar teurer als Taxi fahren, hat aber den Charme, dass wir anschließend noch einkaufen fahren können.
Auf dem parkähnlichen Gelände fallen sofort zehn Pavillons ins Auge. Vor dreißig Jahren vom italienischen Architekten Renzo Piano entworfen, sollen sie die traditionelle Form der Kanak-Wohnhütten imitieren. Architektonisch ansprechend; stehen sie in einer lockeren Reihe zwischen hochgewachsenen Araukarien.
Ansprechende Architektur
Bis 28 Meter hohe Pavillons – zehn Stück
aufwendig in Material und Verarbeitung
Im Inneren der Rondelle finden wir zeitgenössische Kunst der Kanak. Erstaunlich für ein Kulturzentrum. Wir hatten Antikes erwartet.
Jean-Marie Tjibaou, der Gründer des Kulturzentrums und ehemaliger Anführer einer Unabhängigkeitsbewegung der Kanak, wollte die Kultur der Kanak in die Zukunft gerichtet sehen. Der Verzicht auf antike Kunstwerke hat noch einen praktischen Grund: Die Kanak lassen sich von Artefakten ihrer Ahnen abschrecken, da sie Angst haben, bösen Geistern auf einer Art Friedhof zu begegnen. Neben wechselnden Ausstellungen finden Konzerte und Konferenzen in den einzelnen Pavillons statt.
Viel Antikes ist nicht zu sehen in Tjibaou.
Zeitgenössisches hat Vorrang. Eine Künstlerin hat 12 jährige Kinder Ausstellungsstücke zeichnen lassen.
Zeitgenössische Kunst – witzig – eine lebensgroßes Rindvieh aus plattgewalzten Corned Beef Dosen gebaut.
Der Bau des Kulturzentrums Tjibaou wurde von Frankreich finanziert. War trotzdem umstritten, da die Baukosten in einem schlechten Verhältnis zu den lokalen Mitteln standen. Es gibt Schätzungen, dass der Bau zwischen 30 und 40 Millionen Euro betrug – das entspricht 85 Millionen heute.
Das Holz für die aufwendigen Konstruktionen stammt aus Afrika. Iroko-Holz, was besonders dauerhaft im tropischen Klima sein soll. Die Hüllen sind im Inneren mit steuerbaren Lüftungslamellen ausgestattet.
Die Latten der Pavillons sind aufwendig gearbeitet – das verrottbare Holz zeigt erste Ermüdungserscheinungen.
Wir sind fast alleine auf dem großen Gelände. Nur eine kleine Armee an Gärtnern, Putzleuten und anderem Personal ist unterwegs, um das Kulturzentrum in Schuss zu halten Die Frau an der Kasse erzählt, dass keine Touristen mehr kommen. Seit der Bus nicht mehr fährt, sind es noch weniger geworden.
Nachbau eines Wohnhaus der Kanak – im Hintergrund die Pavillons.
Hoch gebaute Hütte des Häuptlings
Eingang der Häuptlings-Hütte
Nach dem Besuch haben wir noch Zeit, mit dem Auto weiter Richtung Norden zu fahren. Der größte Supermarkt Nouméas ist unser Ziel. Der ist abgebrannt. Wir drehen um und suchen uns einen anderen Supermarkt. Immer wieder kommen wir an niedergebrannten Geschäften, Autohäusern und Lagerhallen vorbei. Während der Unruhen vor einem Jahr brannten 200 Geschäfte ab, 14 Menschen kamen ums Leben. Hintergrund der Aufstände war eine Reform des Wahlrechts. Viele nicht indigenen Bewohner hätten bei den Provinzwahlen teilnehmen dürfen. Kanaks sahen darin eine Schwächung ihrer Einflussmöglichkeiten. Die Aufstände sind nach einigen Monaten niedergelegt worden. Eine Entscheidung über das Wahlrecht wurde ausgesetzt.
„Unter dem Kessel brodelt es“, beschreibt unser französischer Liegenachbar die Situation. Noch immer sind im Umland von Nouméa Straßensperren mit Militär besetzt. Vor einem Monat kamen im Bougival-Abkommen die Vorschläge, dass Neukaledonien ein Staat innerhalb der Französischen Republik werden soll. Doppelte Staatsbürgerschaften und mehr Autonomie für die Kanak.
Die führende Unabhängigkeitsbewegung lehnt diese Vorschläge ab. Das Abkommen enthält keine Option einer Volksabstimmung über eine komplette Unabhängigkeit. Außerdem muss das Referendum in Frankreich noch verfassungsrechtliche Schritte durchlaufen. Hat Frankreich noch ein funktionierendes Parlament? Der Pleitegeier zieht seine Kreise. Frankreich dürfte aktuell andere Sorgen haben, als sich um die 260.000 Einwohner zu kümmern.
Wasserwerfer der Gendarmerie an offenen, aber besetzten Straßensperrpunkten. Wir wurden nicht kontrolliert.
Sandsäcke und schusssichere Westen machen ein komisches Gefühl.
Es bleibt angespannt in Neukaledonien. Australien hat entsprechend seine Reisewarnung für Neukaledonien angehoben auf „erhöhte Vorsicht walten lassen“. Amerikanische Segler, die wir gesprochen haben, verfolgen die Strategie, statt ‚bonjour‘ lieber ‚hello‘ zur Begrüßung zu sagen. Damit man sie nicht für Franzosen hält.
Wir fühlen uns wohl im Ort. Die Leute sind freundlich und hilfsbereit. Eine erhöhte Polizeipräsenz auf dem Markt und in der Stadt gibt Sicherheit und sorgt gleichzeitig für Bedenken. Wir haben uns gegen eine geplante, dreitägige Tour in den Norden des Landes entschieden. Nicht nur der brodelnde Kessel, sondern auch eine verrückte Preispolitik bei der Autovermietung treibt uns dazu. Bis zu 250 Euro für Reinigungskosten – innen und außen – stehen im Kleingedruckten, wenn das Auto nicht sauber ist. Was bedeutet ‚sauber‘, fragen wir nach. Schulterzucken: „Es kommt darauf an.“