Kategorie: Mare Più

Unterwegs auf dem Meer. Ein Resümee in 11 Punkten.

Vor Methoni, der Südwest-Spitze des Peloponnes.

Anfang August waren es zehn Wochen, die ich auf dem Meer segelnd unterwegs war. In Slowenien Mitte Mai aufgebrochen, die italienische Ostküste hinuntergesegelt, hatte ich Brindisi hinter mir gelassen und in einem langen Schlag mit günstigem achterlichem Wind die Straße von Otranto durchsegelt. Was hat mich damals beschäftigt, 10 Wochen, nachdem ich aufgebrochen war? In meinem Zettelkasten fand ich folgenden Beitrag. Und weil vieles davon nicht nur nach 10 Wochen richtig war, sondern heute noch richtiger ist: Für das, was man Segeln, für das, was man die „Kunst zu Leben“ nennt: deshalb dieser Beitrag heute.

Ich weiß sehr wohl, dass ich gerade etwas lebe, wovon viele Menschen träumen, denn ich habe selbst lange Jahre davon geträumt, einmal längere Zeit auf dem Meer unterwegs zu sein, und sei es auch nur für sechs, sieben Wochen. Kurz alles hinter sich lassen.

Aber: Kann man das? Darf man das? Und wie ist das jetzt? 
Hier mein Resümee nach zehn Wochen Segelreise:

 
 
1. Der beste Satz über die Kunst zu leben?
 
„It’s difficult to keep things in balance.“
Stammt von Brian, 68, seit 12 Jahren die Sommer segelnd in Griechenland verbringend. Eigentlich auf die Frage, wie er es schaffe, seit ebenso langer Zeit mit drei Partnerinnen in regelmäßigen Wechsel zusammenzuleben. Und die kennen sich alle.

2. Das überflüssigste Verhalten an Bord?
 
Das Haar in der Suppe suchen. Und finden.
Kleinigkeiten zum Wichtigen erheben: Will sagen: die Bucht ist herrlich. Das Wasser so blau, blauer gehts nicht. Aber: Im Kaffee ist leider zu viel Milch. Es ist zu heiß. Es schaukelt zu sehr.

Ist das Glas halbvoll? Oder ist es halbleer? 

Es ist so einfach, das zu sehen, was fehlt. Statt dem, was man bereits HAT. Was bereits da ist.
So viel einfacher, das Negative zu sehen. Und sich genau auf dies Negative zu fokussieren. Genau dies Negative im Alltag überhand nehmen zu lassen. 
Es ist eine unendlich schwierigere Übung: trotz negativer Dinge, Ängsten und realen Sorgen zum Trotz einen glücklichen Moment zu leben.
 
 
3. Drei Dinge, ohne die es plötzlich gar nicht mehr geht?
Es sind plötzlich sehr, sehr einfache Dinge:


 


 


Auflösung: Wasser, mein Hut und das Ipad.

 
 
 
4. Drei Dinge, die so überflüssig sind, dass ich 10 Wochen nicht daran gedacht habe?
Fernsehen.
Shopping-Center.
Der spezielle Bojen-Bootshaken von AWN.
 
 
4. Der meistgehörte Satz an Bord?
 
„Ooooch neeee.“
 
Immer dann, wenn:
– ein Knoten nicht aufgeht.
– das Lebensmittelschapp klemmt und ich nicht an die Spaghetti komme, während das Wasser kocht.
– eine Schraube, die aufgehen soll, frisst.
– eine Schot partout nicht durch die Öse will.
– Aceto und Öl von den Tomaten mit Mozzarella im Seegang über die beige Hose kleckern.
– der Kühlschrank vergessen wurde anzuschalten und Käse, Butter Laufen lernen.
– der Wind einschläft eine Minute, nachdem ich fünf Minuten mit Segelsetzen und -trimmen beschäftigt war.
– die Tunfischdose mit Öl ganz unten im Lebensmittelschapp ausgelaufen ist.
– ich über den dunklen Fleck auf dem Salonpolster grüble – und dann die nässend-gärenden Überreste der Tomate in meinem Rucksack finde, die ich vom Einkauf vor fünf Wochen dort vergaß.
– der 13. Angelhacken plötzlich futsch ist, weil ich auf 10 Meter Wassertiefe vor der Wende vergaß, die 30 Meter lange Schleppangel einzuholen.
– der Schäkel jetzt dringend zugehen muss, der sich aber unter Zug natürlich nicht schließen lässt.
– die Fockschot sich in der Wende zum 23. Mal unter dem Bootshaken verklemmt.
– sich alle meine Gläser quer durchs Boot auf den Boden ergießen und in Trümmer gehen, weil ich nach 8 Stunden „raumschots“ plötzlich auf „hoch am Wind“ gehen musste und das Gläserschapp nicht schloss.
– die Ankerwinsch plötzlich ächzend nicht mehr will.
– die Bugfenster-Dichtung sich eigentümlicherweise statt mit dem Boot mit der Fensterscheibe dauerhaft verklebt.
– die Milch, die auf dem Gasherd viel zu schnell heiß wird und überkocht.
– ich beim Übergeben der Festmacher im Hafen einen weiteren Festmacher in der braunen Hafenbrühe versenke.
Die Liste der „Och-Nee’s“ ist ohne Ende. Sie wird täglich weitergeführt.
 
 5. Das empörendste Verhalten bei Anderen?

Rücksichtslos, ahnungslos und unseemännisch ankern.
Schwätzer, die einen in die Irre schicken.

6. Das empörendste Verhalten bei mir?
Mich zuviel über solche Leute ärgern.
 
 
7. Drei Dinge, denen ich am meisten dankbar sind und auf die ich vertraue?
 

 

 

 
 

8. Die beste Begegnung? Mit wem würde ich gerne mal ein, zwei lange Abende verbringen?
 

             In den Straßen von Levkada, dem Hauptort auf Lefkas.

 
Mit Dieter von METRONIX Yachtelektronik in Lefkas.
 
Die Suche nach einem defekten kleinen Messinglager, das meinen Autopiloten lahmlegte, stiftete in Lefkas folgende Begegnungen, und ich möchte in meinem Leben keine davon missen:
 
– mit Roula vom NAUTILUS-Shop: hat mir rappszapps neue Kugellager für die ebenfalls defekte Ankerwinsch aus Athen organisiert.
– mit Robert vom Marina-Shop in Lefkas. Selber Segler, Niederländer, vor vielen Jahren in Lefkas hängengeblieben, Griechin geheiratet, heute der größte Laden im Hafen. Acht Angestellte, die rund um die Uhr Boote reparieren. Von ihm lerne die kluge Einsicht, dass Hersteller wie RAYMARINE oder JABSCO zwar keineswegs die besten Produkte bauen; aber deswegen unverzichtbar sind, weil man deren Ersatzteile auch noch im letzten Erdenwinkel bekommt.
– Andreas vom Sailland. Ein stiller, kluger Mann, der mir drei Mal weitergeholfen hat. Organisiert mir zuletzt eine neue Isolierung für meine Kühlschrank-Zuleitung und nimmt dann 2 € von mir. Und schickt mich wegen der Messingbuchse zu Dieter.
– Dieter: Österreicher. Elektronik-Ingenieur und Tüftler. War mit 43 verantwortlich für ca. 80 Service-Techniker einer deutschen Firma. Gefeuert. Dann 12 Jahre Segeln gegangen. Wo er überall war: das sagt er nicht. In Lefkas hängengeblieben. Vor drei Jahren einen Yacht-Elektronik-Laden in Lefkas übernommen. Heute glücklich. Aber mit Wehmut in der Stimme, wenn er über seine Jahre auf dem Meer erzählt. Dieter HAT die Messingbuchse rumliegen. Aber die dreiviertel Stunde vorher: die wir über das Leben quatschten: die war das Wertvolle.

9. Was habe ich beim Segeln fürs Leben gelernt?
 
Schauen. Erst mal schauen.
Damit ich nie vergesse:
Egal, ob man in eine Bucht einläuft.
Über die defekte Ankerwinsch nachdenkt.
Oder den kaputten Autopiloten.
Einen Ankerplatz sucht.
Oder einen Menschen zum ersten Mal sieht: Auf den eigenen Blick vertrauen. Erst dann: machen.
 

10. Die stärkste Erfahrung, die ich nach 10 Wochen an Andere unbedingt weitergeben will?
 
Lebe Deinen Traum.
Unbedingt. Unbedingt. Unbedingt.
Was immer es ist.
Finde den richtigen Zeitpunkt dafür.
 
Noch Tage vor meiner Abreise habe ich mich gefragt: Darf ich das? Kann ich das? Einfach losziehen? Ich habe Jahre damit verbracht, darüber nachzudenken, ob es richtig ist, meiner Neigung zum Segeln, meinem Segeltraum zu folgen. Und auf eine längere Fahrt zu gehen. Um jede Huk, die auf meinem Weg liegt und um die ich herumschauen wollte, einmal herumschauen. Und entdecken: was dahinter ist liegt.
 
Vertrauen Sie Ihren Traum. Ihn zu verwirklichen, gibt ungeheuer viel Kraft. Ich hätte es nicht gedacht.
 

11. Und was lernt man auf einer längeren Reise fürs Leben?
Wer lossegelt und sich auf eine längere Reise, zumal auf dem Meer, einlässt: der weiß nicht, was ihn erwartet.
Was wiederfährt einem?
Was ist da draußen zu lernen?
Wird man ein anderer? Ein besserer? Was ändert sich?

In den langen Jahren, in denen ich meinen Segeltraum träumte, habe ich mich das gefragt. In diesen Jahren habe ich immer wieder Charles Darwin’s REISE MIT DER BEAGLE gelesen und als Hörbuch gehört, es begleitete mich als Urahn eines Buches von einer Seereise, als staunenswertes Abenteuerbuch voller Naturbeobachtungen. Und dies nicht nur deshalb, weil Darwin es Jahre nach seiner legendären Reise als jugendlicher Seekadett und Wissenschafts-Novize veröffentliche. Von dieser fünfjährigen Reise um Südamerika herum und zu den Galapagos-Inseln brachte Darwin seine Evolutionstheorie mit. Daneben 368 Seiten zoologische und 1.383 Seiten geologische Beobachtungen. 1.529 in Spiritus konservierte Arten. 3.907 Häute, Felle, Knochen, Pflanzen. Und 770 Seiten Reisetagebuch. Und schöner und treffender, wie diese Seiten enden, kann man es nicht sagen, was eine solche Reise bringt:

 
„… unbedingt sein Glück zu versuchen und auf Reisen zu gehen, wenn möglich über Land, ansonsten: lange zu bleiben. Er kann versichert sein, dass er – allenfalls in seltenen Fällen – keinen derartigen Schwierigkeiten oder Gefahren begegnen wird, wie er sie am Beginn vorraussieht.

Unter einem moralischen Gesichtspunkt sollte eine solche Reise ihn 
– gutwillige Geduld lehren, 
– Freiheit von Selbstsucht, 
– die Gewohnheit, für sich selbst zu handeln, 
– und aus jedem Geschehnis das Beste zu machen, 
kurzum: er sollte die charakteristischen Eigenschaften des Seemanns besitzen. 
 
Reisen sollte ihn auch Mißtrauen lehren, aber gleichzeitig wird er entdecken: wieviele wahrhaft gutherzige Menschen es gibt, mit denen er nie zuvor Kontakt hatte und auch nie mehr wieder haben wird, und die dennoch bereit sind, ihm die uneigennützigste Hilfe zu gewähren.“
 
                                                                                                         Charles Darwin, 
                                                                                                         Die Fahrt mit der Beagle, 
                                                                                                         letztes Kapitel.
                                                                                                         

 

 

Der Segler im Winter. Und die vergessene Insel. Oder: Mallorca anders.

Der nordöstlichste Punkt Mallorcas: der Leuchtturm von Kap Formentor. Ein Leuchtturm an unwirtlichem Ort, oben auf den letzten Klippen und jetzt, ungewohnt im Winter, im milden Licht der untergehenden Sonne.

Egal, ob man jemals auf dieser Insel war oder nicht, ob wir sie zu kennen meinen oder nicht: Kaum eine Insel weckt in uns so viele Bilder, Assoziationen, Gedanken, Urteile wie Mallorca. Umso verblüffender ist der Winter auf der Insel. Leere Strände. Verlassene Buchten. Küstenorte und Häfen, einsam und still. Geschäfte und Läden geschlossen, Hotels am Strand verwaist. Es ist ein stilles Flanieren die breiten Küstenalleen in Port de Pollença. Am Strand ist niemand. Im Hafen arbeiten ein paar Fischer an ihren Booten, bringen Antifouling auf und Opfer-Anoden – jetzt schon? – ungewohnt im frühen Januar für den Segler, der ihnen bei der Arbeit zuschaut. Ob in der großen Marina von Alcùdia oder im kleinen Port de Soller: verlassen liegen die Boote, leergefegt und dunkel wie die Läden der Shipchandler und Yachtbroker und Teilehändler. Draußen in der großen Bucht schaukeln ein paar Ankerlieger auf Reede. Draußen unter Segeln ist keiner.

Das Wetter ist herrlich in diesen Tagen, bis auf ein paar Wolken über dem Hafen. Nicht der Regen, der hier im Winter am Meer so ganz anders ist als alles, was wir am Land kennen. Vor dem die Menschen selbst in den Landstädten ihre Hauseingänge mit Brettern verschalken, so fett und schwer fallen die Tropfen, dass im Nu die Hauseingänge überwunden werden von den Fluten und die schmalen Häuser voll Wasser stehen. Nein, es ist schönstes Wetter, „ein kleiner Sommer“, fast windstill, nur ein paar Slicks auf dem Wasser, wenn die Sonne ihre Bahn aufs Wasser zeichnet und der lange, lange Sonnenuntergang ins Weinglas einen Regenbogen zaubert.

Der Segler im Winter: Der kann hier träumen. An einsamen Stränden liegen. Durch leere Häfen streifen. Spanischen Lauten lauschen. Boote kucken. Pläne schmieden, was im Frühjahr noch zu tun ist, auf dem eigenen Boot. Denn lange wird es nicht mehr dauern: dann stehen wir unter dem Boot, schauen uns das fertige Antifouling an und schrauben, kurz bevor der Travellift kommt und das Boot wieder ins Wasser geht, Opfer-Anoden auf Welle und Kiel.

Mallorca im Winter ist anders. Eine vergessene Insel. Proper zwar, gepflegt. Auch im Winterschlaf. Aber wie so oft lohnt das, was wir zu kennen meinen und nicht der Rede wert, die Mühe des genau Hinschauens. Und eine Reise in ganz ungewohnter Jahreszeit.

Die vergessenen Schiffe: Das Wrack der Olympia. Oder: The Big Blue.

Das Wrack der OLYMPIA an der Wesstspitze der Kykladeninsel Amorgos.

Da liegt sie, eingebettet ins tiefe, tiefe, tiefe Blau. Rostfarben. Immer noch gut erkennbar. Ein ungenutztes Rettungsboot hinten auf dem Oberdeck. Fenster, Türen längst von Wind und Wellen herausgeschlagen. Kein Kapitän mehr, der neben dem Steuerhaus steht. Und einen Anleger fährt.

Was genau genau vor 35 Jahren, am 13. Februar 1980 auf dem Frachter OLYMPIA, vormals INLAND, IMO-Nummer 51 61 653 vor der Westspitze der griechischen Insel Amorgos vor sich ging, ist nicht mehr zu rekonstruieren. Ob sie einen Maschinenschaden hatte. Ob sie im auffrischenden Meltemi Anker warf und der nicht hielt. Ob sie eigentlich ein Schmugglerschiff war oder nicht. All das ist unklar. Klar ist, dass dieser Tag ihr letzter als seetüchtiges Schiff war. Sie lief auf Grund, schlug Leck. Selbst ein herbeigerufener Schlepper, die MATSAS STAR, war nicht mehr in der Lage, sie von den Felsen zu ziehen.
Man gab sie auf. Ließ sie liegen. Dort, wo sie gestrandet war. Das Schlimmste für den, der ein Schiff – ob groß, ob klein – führt. Ein braves Schiff. Und dessen schlimmes Ende.

Ein gestrandetes Schiff ist ein schrecklicher Anblick. Es ist das Sinnbild des Scheiterns. Nicht nur: „Es hat nicht geklappt.“ Sondern: Es ist nicht wieder gut zu machen. Irreversibel. Nicht zu ändern. Aus. Vorbei.

Und doch begann am 13. Februar 1980 das zweite Leben des Frachters OLYMPIA. Ein viel berühmteres, als der Frachter, den man 1950 im ostenglischen Goole auf der legendären gleichnamigen Werft gebaut hatte, zu Lebzeiten jemals hatte. Denn acht Jahre später entdeckte ein ehemaliger Tauchlehrer das Wrack auf Amorgos. Er war Kind zweier Tauchlehrer. Hatte seine Kindheit in Italien, Griechenland, dem damaligen Yugoslawien an der Küste verbracht. Wollte eigentlich Meeresbiologie werden. Aber das hatte eine Tauchunfall verhindert. Unwiderruflich.

Aber manchmal ist nicht vorüber, was vorüber zu sein scheint. Der Mann hatte mit 15, 16 als Schüler seine ersten Romane angefangen: Einen über eine Frau, die allein die Welt rettet, das fünfte Element. Einen über den Wettkampf zweier Taucher. Wer von ihnen beiden ohne Hilfsmittel tiefer tauchen könne: der liebenswert laut lärmende Enzo. Oder der still lächelnde Jacques, der mit den Delphinen schwamm.


Der Mann, der das Wrack der Olympia entdeckte, hieß Luc Besson und war Regisseur. Und der Film heißt The Big Blue. Und die Szene, die das Wrack der Olympia unsterblich machte, beginnt mit dem schönen, in der an wunderschönen Worten schwerreichen italienischen Sprache, dem laut laut über die Klippen hinaus gerufenen italienischen Hilferuf „AAiiiuuuuuuutooooooo.“

„Aiuto!“

Der Film ist längst Kult geworden bei denen, die das Meer lieben. Ein Film, den man wieder und wieder sehen mag ob der Schönheit seiner Bilder vom Meer. Ob der faszinierenden Geschichte zweier, die dem Meer, dem tiefen, tiefen Blau auf – ja genau: unergründliche Weise verfallen sind.

Die nicht wissen, warum das so ist. Und doch jeden, jeden Tag in Gedanken dort sind.
Auf dem Meer.


Die Ankerbucht an der Westspitze von Amorgos. Mitten drin mein Schiff LEVJE. Und wenige 100 Meter entfernt das Wrack der OLYMPIA.

Von Menschen und von Schiffen: Die vernachlässigten Schiffe.

Sie gehören zum Bild eines jeden Hafens: vernachlässigte Schiffe. Hier an einem Ort, den pro Jahr unzählige Yachten passieren: An der Einfahrt in den Kanal von Levkas, die man im Hintergrund sieht, und vor der Festung Santa Maura.

Es ist Teil des Traums. Und es gehört zum Segeln dazu, vom ersten Moment an, seit ich zum ersten Mal als frischgebackenes Mitglied einer Eignergemeinschaft mit dem Bandschleifer in der Hand auf der Werft von Andrea und seinem Babbo am Containerhafen von Livorno stand. Dort wo unser ganzer Stolz lag: Unsere JUANITA, eine FEELING 36, Baujahr 1983. Es gehörte von da ab zum Jahreslauf, einmal im Jahr zu Dritt, das Auto voll gepackt mit Werkzeug, Ausrüstung, Töpfen voll Abbeizmittel, Antifouling, Blauem Peter in ranzigen Arbeitsklamotten für eine Woche nebeneinander auf dem Boot zu stehen. Schadhaftes auszubessern. Neues anzubringen. Dem Motor, diesem dauernden Sorgenkind, mal wieder die ganze Aufmerksamkeit zu schenken, damit er uns nur ja gewogen blieb, die Segelsaison über.

Zum Anblick von Andrea’s Werft gehörte neben den dort kreuz und quer eng nebeneinander aufgepallten Booten auch solche, auf denen im Frühjahr niemand stand. Solche, zwischen denen von Jahr zu Jahr das Unkraut höher schoss. Die sich von Jahr zu Jahr auf ihren Pallhölzern zur Seite neigten, müde von der Last der Jahre, tatsächlich aber, weil niemand mehr erschien, Schadhaftes auszubessern oder gar Neues anzubringen. Ich erinnere mich an eine gewaltige Segelyacht aus Stahlbeton, auch damit wurden schon Boote gebaut in den 70ern, 80ern, ein riesiger grauer Klotz in der Dunkelheit mitten aus dem Unkraut aufragend, wir konnten nicht anders, neugierig und aus maschinenbaulicher Neugier, als uns das Trumm in der Nacht aus der Nähe und von Innen anzusehen, Ein Gefährt zum Angsthaben ob seiner schieren Wucht, ein uralter Riese, grau, vernachlässigt, an manchen Stellen, an denen der Beton abgeplatzt war, kam sichtbar rostendes Stahlgeflecht zum Vorschein. „End of Life“, sagen Betriebswirtschaftler und Marketingleute über ein Produkt.

Es gehört aber nicht nur zum Anblick einer Werft. In jedem Hafen kann man in irgendeinem Winkel ein vernachlässigtes Schiff sehen, das einen dauert. Im pittoresken Piran ebenso wie im lauten Marmaris. Natürlich steckt hinter jedem dieser Schiffe eine Geschichte, und wenn ich könnte: dann würde ich sie aufschreiben, nicht nur die eine Geschichte meines Bootes, so wie Lefteris, dem ich in Korfu begegnete und der sich unrettbar in eine ABEKING & RASMUSSEN-Werft aus den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts verliebte. Oder die Geschichten, die der Seemann mit den traurigen Augen erzählt, der in Ancona Holzboote repariert. Sondern alle Geschichten, jede einzelne, die diese Boote erzählen. Geschichten erzählen, das können diese Boote, ja.

Es ist Teil des Traums. Ob arm, ob reich: In bester Absicht, voll Zuversicht und Vertrauen in sich und seine Kraft erwirbt man ein Boot. Lebt seinen Traum, ob groß, ob klein, ob dauernd oder nur wochenweise auf dem Wasser. Aber manchmal passiert dann etwas Unvorhergesehenes. Neigungen und Vorlieben ändern sich: Und das Boot, einst geliebt und gehätschelt, gerät aus den Augen, aus dem Sinn. Wird vernachlässigt. Mit Booten ist es wie mit Menschen.

Oder Schlimmeres geschieht, wir können uns nicht mehr kümmern.

Vernachlässigte Boote: das sind Spiegel unseres Selbst, unseres Daseins, unseres Umgangs mit Zeit und Älterwerden. Und Älterwerden, auch das ist Teil unseres Daseins. Es kommt nur nicht vor. Weder in unseren Träumen. Noch in den Hochglanzprospekt vom neuen Boot, den wir uns gerade ansehen.

Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass vernachlässigte Boote ihre Würde verloren haben. Ihr Zustand ist bemitleidenswert. Nichts, was wir uns für uns selbst noch jemand anderen wünschen würden.

Also: kümmern wir uns! Um unsere Boote. Aber vielleicht morgen auch mal um jemanden, der vernachlässigt ist. Der uns irgendwie einfach gerade begegnet. Denn das Leben: es ist voll von Begegnungen und Chancen. Jeden Tag. Für jeden. Auf dem Meer. Im Hafen. An Land.

7 Tipps, wie Sie es 2015 schaffen, 7 Wochen Segeln zu gehen.

Blick aus Monemvasia auf den östlichen Peloponnes. Ein Ort und eine Landschaft, die es wert sind, ein paar Mühen auf sich zu nehmen. Und aus dem Alltag auszubrechen. Siehe dazu auch das letzte Foto dieses Beitrages.

Gute Vorsätze. Ich konnte nie ohne. Ich kann nicht ohne. Und heute ist es Zeit, ein paar davon zu fassen. Neujahr ist auch Neustart. Ein bisschen jedenfalls immer. Die Chance, einfach mal neu anzufangen. 
Und deshalb: 7 Tipps, wie Sie es in 2015 schaffen, 7 Wochen Segeln zu gehen.

Familie. Und Beziehung. 
Will einer Segeln gehen, gehören meistens zwei dazu. Oder mehrere. Einer der segelt. Und einer, der „mitmacht“, die Entscheidung mitträgt, damit einverstanden ist. Egal, wie viele es sind: Hier hilft nur reden. Reden Sie frühzeitig über Ihrem Traum, einfach mal länger Segeln zu gehen. Setzen Sie Ihren Traum in die Welt, indem Sie ihn aussprechen. Beobachten Sie sich selber dabei, wie Sie Ihren Traum formulieren, und was Ihnen an diesem Traum wichtig ist.

Egal, ob man allein segeln geht oder zu zweit: Der Partner, die Partnerin müssen bei dieser Entscheidung „im Boot sein“, die Entscheidung mittragen. Hier hilft nur: reden. Wie beim nächsten Punkt auch.

Der liebe Job.

Sie sind angestellt. Sie sind sehr gut in Ihrem Job. Die Firma kann nicht auf Sie verzichten. Das ist ausgezeichnet! (Vorausgesetzt, Sie sind nicht so dumm und halten sich für nicht ersetzbar. Glauben Sie mir: das ist JEDER.)
Keine Firma kann es sich leisten, einen wichtigen Mitarbeiter zu frustrieren. Gehen Sie in mehreren Schritten vor:

1. Zeigen Sie Ihrem Chef über einen längeren Zeitraum, dass die Dinge dann gut laufen, wenn Sie im Urlaub sind. Aufträge kommen rein, obwohl sie nicht da sind. Die Abteilung läuft, wenn sie weg sind. Die Kunden machen keinen Radau, obwohl sie nicht im Haus sind.

2. Nähren Sie in Ihrer Firma das Gerücht: „Es läuft, wenn ich nicht da bin.“

3. Müssen Kollegen mit ins Boot, sprechen Sie frühzeitig mit ihnen. Erarbeiten Sie fertige Lösungen für Ihre Firma, wie das in Ihrer Abwesenheit klappen könnte. Unter guten Kollegen ist „dieses Jahr Du, nächstes Jahr ich“ immer möglich. Wichtig ist nur: dass Sie Ihrem Chef ein fertiges Konzept präsentieren. Eine Lösung, zu der er nicht nein sagen kann. Chefs sind Menschen, die froh sind um jedes Problem, das sie nicht zu lösen haben.

Erst, wenn Sie für jeden Punkt eine fertige Lösung haben, zünden Sie Stufe Drei:
Verhandeln Sie mit Ihrem Chef eine Auszeit von acht bis zehn Wochen. Platzen Sie damit nicht einfach in sein Büro. Sondern vereinbaren Sie mit ihm einen Gesprächstermin über die grundsätzliche Beurteilung Ihrer Arbeit. So etwas macht man nicht im Vorbeigehen. 
Die zehn Wochen wird er Ihnen nicht geben. Die acht Wochen vielleicht. Sechs mit Hartnäckigkeit immer. 

Fazit: Man muss drüber reden. Aber nicht „Holter-die-Polter“, sondern nach Plan. Und gründlicher Vorbereitung.


Das übliche türkische Transportmittel: ein Dolmus (gesprochen: Dolmusch). Klein, günstig, einfach. Und dank hervorragenden türkischen Handynetzes überall an den Küsten mit bester und schneller Internet-Verbindung.

Noch etwas:
Internet machts möglich: Niemals vorher in der Geschichte der Arbeit war der Zeitpunkt so günstig fürs „ortsungebundene Arbeiten“. In den fünf Monaten meines Törns fand ich als Segelnder, der kreuz und quer Küsten und Länder Slowenien, Italien, Griechenland und Türkei bereiste, dort beste Internet-Abdeckung vor. 5 oder 10 Gigabyte schnelles Netz für weit weniger, als ein vergleichbarer deutscher Handyvertrag kostet.
Jedes dieser Länder verfügt über bessere Handy-Netze und Internet-Anbindung als Deutschland. Auf dem Meer. An Land. Auf dem Meer, weil Handy-Netze überall die alte Seekommunikation ersetzen.
Es ist leider so: Wer mit dem türkischen Kleinbuch, dem Dolmus, von Marmaris zweieinhalb Stunden durchs türkische Hinterland an den Golfen entlang nach Bodrum fährt, hat durchgehend schnelle Internet-Verbindung. Und kann vom rumpelnden Bus aus ohne weiteres seine Kommunikation erledigen. 
Wer mit dem ICE von München nach Hannover fährt, fliegt wenige Kilometer nach München aus dem Netz. Oder zahlt für „Bord WLAN“ extra.

Weiterlesen: Über Segeln und Internet in Italien. Hier.
Weiterlesen: Über Segeln und Internet in Griechenland. Hier.
Weiterlesen: Über Segeln und Internet in der Türkei. Hier.

Das liebe Geld.

Denken Sie am Anfang daran: jeder Törn hat ein Ende. Und wie geht es danach weiter? Falls Sie nicht sofort in ein/in Ihr berufliches Verhältnis zurückkehren können, schaden ein paar Gedanken nicht: 

Wie lang werde ich brauchen, wieder etwas zu verdienen? 
Was brauche ich an monatlichen Rücklagen, bis wieder etwas reinkommt? 

Für einen Törn selber ist die Kostenrechnung nicht schwer. Denn SIE haben es selbst in der Hand, wie teuer Ihr Törn wird.
Mit der Wahl Ihres Schiffes. 
Mit der Wahl des Segelreviers.

Mit letzterem entscheidet man, wie teuer das Ganze wird. Ein Beispiel: Italien ist wunderschön. Hat aber wenig Inseln und noch weniger Buchten. Also muss man fast jeden Abend in den Hafen. Das kostet Liegegebühren. Und schon die alten Fahrensleute wußten: „Hafen meiden! Die Kohle ist weg!“. Aber nicht nur die Liegegebühren hauen rein. Als Freund guten Essens und guter Weine bleibe ich in Italien nur selten Abends auf Levje. Die Stadt ruft: Demgemäß kostet ein vierwöchiger Italientörn mit einem 31 Fuß Boot für eine Person schnell mal 3.000 Euro aufwärts, Treibstoff und Liegegebühren eingerechnet. 
Anders Griechenland: Viele Buchten. Kaum Häfen. Und wenn: dann kosten sie wenig. Hier hat man bereits unter 1.000 Euro im Monat ein herrliches Leben. In Kroatien und der Türkei wirds – aufgrund teurer Häfen – etwas teurer. Aber man hat es als Segler ja selber in der Hand, ob man ankert oder jede Nacht im Hafen verbringt. Im Schnitt, so habe ich in einem früheren Beitrag einmal geschrieben und die Kosten zusammengetragen, kostet mich Segeln um die 1.600 € bis 1.800 € monatlich.
Frankreich sicherlich teurer, Spanien ebenfalls. Nord- und Ostsee: je nachdem. Karibik: Kann man so oder so machen: Anreise teuer. Kann aber meist gut buchteln. Essen gehen? Überwiegend verzichtbar.

Fazit: Man hat es selbst in der Hand, wie teuer die Reise wird.

Weiterlesen bei: Was kosten eigentlich fünf Monate Segeln gehen? Hier.
Weiterlesen bei: Ein Schiff, um fünf Monate damit Segeln zu gehen. Hier.

„Ein Schiff! Ein Schiff!“


   Auf Milos: Die Bucht Agiou Dimitri ein paar Seemeilen nordwestlich der Hauptstadt.

Man muss nicht immer gleich eins kaufen. Denn eine Segelyacht zu besitzen, ist unter rationalen Gesichtspunkten eigentlich kaum vertretbar: 
Es ist nicht billig in der Anschaffung. 
Es verschlingt viel Zeit, man muss sich darum kümmern. 
Es verschlingt viel Geld für Liegeplatz und Unterhalt. Es liegt die meiste Zeit ungenutzt rum.
Und wer an einem Neujahrstag in irgendeiner Marina offen Auges spazierengeht, kann schnell abzählen, wie oft der Traum vom großen Törn geträumt, wie selten er gelebt wird.

Trotzdem: für mich ist auf dem eigenen Schiff Reisen das Schönste. Und: der Gebrauchtboot-Markt für Segelyachten bietet große Möglichkeiten: so günstig wie jetzt kam man lange Zeit an kein Schiff.

Ein zweiter Weg ist die Eigner-Gemeinschaft. Ein Schiff zu mehreren: das spart Kosten. Mit technischen Problemen ist man nie allein, zu Dritt löst sich etwas immer leichter. Und schöne Strecken kann man auch zurücklegen, wenn man gut koordiniert und nacheinander im Sommer zum Beispiel von Istrien in die Ägäis oder von der Türkei auf die toskanischen Inseln überführt. Verhandeln Sie aber schon bei Ihrem Einstieg in die Eigner-Gemeinschaft das Recht, einmalig das Schiff für drei Monate zu nutzen. Denn Gerangel gibts in Eigner-Gemeinschaften mit schulpflichtigen Kindern naturgemäß beim Thema „Wer darf wie lang in welchen Ferien“.

Leo hingegen hat’s ganz anders gemacht: Er hat sich als Selbständiger seinen Traum von einem sechswöchigen Ägäis-Törn erfüllt, indem er mit dem Vercharterer redete, bei dem er immer buchte. Er bekam sein Schiff, das er von vorangegangenen Törns gut kannte, von seinem Vercharterer für sechs Wochen zu Sonderkonditionen.

Zum Schluß das Allerwichtigste: 
Was immer ihr Traum ist, ob ein Segeltörn oder was immer ist: 
Warten Sie nicht, bis Sie sechzig sind. Dann machen Sie’s garantiert nicht mehr. 
Leben ist JETZT.


    Felsen und Stadt von Monemvasia auf dem Ostpeloponnes.

                                                               Weiterlesen bei: Wieviel Dinghi braucht der Mensch? Hier.
                                                               Weiterlesen bei: Der Traum vom großen Schiff. Hier.
                                                                    Weiterlesen bei: Monemvasia. Hier.

                             Sie möchten jeden neuen Artikel von Mare Più gleich bei Erscheinen erhalten?    

                             So geht’s : 

                             1. Einfach E-Mail-Adresse oben rechts bei „News & neue Artikel… eintragen“. 
                             2. Das Bestätigungsmail von FEEDBURNER abwarten.

                             3. Den Link im FEEDBURNER-Mail einfach anklicken. Fertig.

Was vom Sommer übrig bleibt. Oder: Was ist Segeln, Teil II.

Zu leicht. Viel zu leicht vergesse ich: was vom Sommer, vom Segeln in diesem Jahr übrig blieb. Das Leben hier. Freunde. Familie. Das Weihnachtsfest. Es ist schön. Draussen liegt Schnee. Drinnen ist es warm. Das Zusammensein ist schön. Trotzdem.

Was vom Sommer übrig bleibt.

Da sind zunächst einmal Bilder.
Bilder von Orten, die ich besuchte, Gegenden, die zum ersten Mal sah.
Was bleibt: sind Begegnungen mit anderen Menschen. Kurze Momente im Hafen. Kleine Gespräche auf der Pier unterm Abendhimmel der südlichen Türkei. Oder irgendwo in der Stadt. Gesichter, die sich eingebrannt haben.
Was bleibt ist: die Erinnerung an Spektakuläres, was ich in mehr als 5 Monaten erlebte.
Was bleibt ist: Bilder, wie es ist, auf dem Meer zu sein.
Was bleibt ist: die Erinnerung an das Einfache. An das „nicht-alles-haben-können, aber-wohlig-zufrieden-mit-dem-sein, was-da-ist.“

Was ist Segeln? Hier ein zweiter Versuch darüber. Und viele Vorschläge, wohin Ihre Segelreise in 2015 gehen könnte:

                                                                Weiterlesen bei: Was ist Segeln, Teil I. Hier.

1. Orte
Orte. Das sind bewohnte, besiedelte Orte. Dazu gehören legendäre Orte wie Venedig. Und fast ist es müßig, das zu sagen:

Oder der Dom von Trani in Süditalien, an den ich mich seit Jahren erinnere und den ich immer wieder aufsuchen werde ob seiner Schönheit, direkt am Meer.

Aber auch Landschaften und Gegenden, die unbewohnt sind, gehören dazu. Die Lagunen von Venedig.

Die Einsamkeit und Gottverlassenheit des südöstlichen Peloponnes.

Die Schönheit des Klosters von Chozoviotissa auf Amorgos, in dem noch drei Mönche leben. Der Abt mit den zwinkernden Augen. Darüber werde ich im Januar berichten werde.

Der Berg Tahtali Dag in der südlichen Türkei. Der Berg der Götter oberhalb der antiken Stadt Phaselis. Der fast direkt am Meer von 0 auf 2.365 Meter ansteigt. Auf den ich Nachschauen ging und nichts anderes entdeckte als schneeige, schneidende Einsamkeit. Und eine überwältigende Aussicht.

Auf dem Tahtali Dag: Oben Schnee, unten Strand. Nämlich der von Kemer, zwischen den Drahtseilen der Seilbahn.

                                    Weiterlesen bei: Alle Artikel über Venedig. Wie man nach Venedig segelt. Wo  
                                                                       man in Venedig anlegt. Wen man in Venedig trifft. Hier.
                                    Weiterlesen bei: Mit der Segelyacht durch die Lagunen von Venedig. Hier. 
                                                                                                                                                Und hier.
                                    Weiterlesen bei: Auf Amorgos: Kloster Chozoviotissa. Hier. Ende Januar 2015.
                                    Weiterlesen bei: Der Dom von Trani. Hier.                                     
                                    Weiterlesen bei: Ankern vor dem Tahtali Dag. Der Berg der Götter. Hier.
                                    Weiterlesen bei: Auf dem Tahtali Dag. Hier. Ab Ende Januar 2015 

2. Begegnungen
Segeln ist Reisen durch Landschaften. Aber auch durch Menschen. Und so sehr ich oft geneigt war, zu denken: „Eigentlich komme ich ganz gut ohne Menschen aus“, so richtig ist genau das Gegenteil: „Ich brauche die Menschen“. Gerade, wenn ich auf dem Meer unterwegs bin.

Es sind oft die älteren Menschen, die es mir mit ihren Geschichten angetan haben. Die, die fast hinter sich haben, was die meisten von uns vor sich haben. Die, die irgendwo am Meer ein kleines Geschäft betreiben, auch jetzt im Alter noch einer Tätigkeit nachgehen, obwohl sie eigentlich zu alt dafür sind. Die, die es im Alter geschafft haben, im Leben zu stehen, etwas zu wissen über die Menschen, weil sie immer mit Ihnen kommunizierten, im Laden, im Beruf, ein Leben lang.

So wie Slobo, der mir gezeigt hat, dass Sprache überwertet ist.

Wie Cirillo Marocco in seiner Ferramenta in Grado.

Wie die beiden Fischer aus Trani, die beiden schlauen Burschen.

Wie der freundliche Herr Dimitris in Korfu, der mit mir wortlos seine Seeigel teilte.

Wie Medine, die Wäscherin aus Finike, über die ich Mitte Januar berichten werden.

                                                                       
                                         Weiterlesen bei: Slobo. Oder: Sprache ist überbewertet. Hier.
                                         Weiterlesen bei: Die Ferramenta des Cirrillo Marocco in Grado. Hier.
                                         Weiterlesen bei: Saverio Pastor, der Meister der Fòrcola aus Venedig. Hier.
                                         Weiterlesen bei: Dimitris. Oder: Wie schmecken eigentlich Seeigel? Hier.
                                         Weiterlesen bei: Wie wäscht man eigentlich auf Langfahrt? Oder: Medine          
                                                                    bügelt einen blauen Schlafanzug. Hier ab 15.1.2015
                                         Weiterlesen bei: Alle Artikel lesen über „Menschen am Meer.“ Hier.

3. Das Vergangene.
Was bleibt: ist auch die Erinnerung an Vergangenes. An die Menschen, die vor uns gelebt haben und auf deren Spuren ich fast überall auf meiner Route an den Küsten stoße. Es ist wie ein kostbares Buch, das sich manchmal vor mir öffnet und in dem ich nachlese: wie es früher, vor Jahrzehnten, vor Jahrhunderten, vor Jahrtausenden an diesem Ort war.

    Kopf eines römischen Händlers im Museum von Antalya.

Es ist: als würden uns die Menschen über Jahrtausende ansehen, uns direkt. Zu uns sprechen. Mahnend. Wissend. Unendlich geduldig. Gütig. Und streng zugleich.


    Spätrömische Mosaiken in den Ruinen von Nikopolis, der Stadt des Augustus bei Preveza.

Und oft ist das, was von Ihnen blieb, nicht mehr als ein leises Mahnen. So wie in Patara. Wo die Gegenwart auf drei Epochen trifft: Das lykische Grab aus dem 6. Jahrhundert vor Christus. Das römische Stadttor aus dem 2. Jahrhundert nach Christus. Und die Ruinen aus der frühen Epoche der Islamisierung im 8. Jahrhundert.

4. Das Spektakuläre
Gelegentlich schleicht sich auch die Erinnerung an Spektakuläres ins Bild.


Die Erinnerung an MICOPERA TRENTA, das Kranschiff, das half, die COSTA CONCORDIA vor Giglio wieder richtig rum zu drehen. Und der mich in Ortona jeden Morgen weckte, als er mit dem Geräusch eines überdimensionalen Druckluftschraubers angeworfen wurde.

An die Gewitter, die ich unterwegs erlebte, vor Korfu. Vor Vieste.

An das langsame Gewitter, den Blitz über mir in der Gemiler Reede.

An die Wolkentürme über dem Meer. Aber damit sind wir dann schon bei m wichtigsten Punkt. Bei:

                                                       Weiterlesen bei: Der Kran, der die COSTA CONCORDIA wieder        
                                                                                                                      richtig rum drehte.Hier
                                                       Weiterlesen bei: Von schnellen Gwittern. Und von langsamen. Hier

5. Auf dem Meer.
Und dies sind die stärksten Bilder. Wie es war. Wie es ist auf dem Meer.

Wie es war mit Levje in den Lagunen von Grado. Und mit LEVJE auf der Fahrt durch die Lagunen von Venedig.

Die Erfahrung, einhand im Starkwind durch die Straße von Otranto zu Segeln, hinauszuschauen zu den Wellenkämmen und keine Angst zu spüren, sondern Freude.

Die Einfahrt in die große Bucht von Milos.

Die goldene Straße, die der Mond in der Bucht von Milos übers Wasser zeichnet. Genau auf LEVJE zu.

Die Ansteuerung von Antalya in der Abenddämmerung, hindurch zwischen anderen Frachtern.

Es sind einfache, ziemlich einfache Freuden, die das Leben lebenswert machen.

                                             Weiterlesen bei: In den Lagunen von Grado. Hier.
                                             Weiterlesen und Video schauen bei: Einhand durch die Straße 
                                                                                                                           von Otranto. Hier.
                                           

6. Simple Things.
Überhaupt ist es das Einfache, was die Schönheit des Segelns ausmacht. Das Einfache, was einen intensiven Eindruck hinterlässt. Zwei Festmacher, die nach zwei, drei einfachen Windungen jeder Belastung durch Wind und Welle standhalten.

    … wie heißt doch der Knoten gleich wieder?

Die Einfachheit, mit der ich meine zwei, drei Dinge an Bord von LEVJE staue.

Die Einfachheit des äußeren Lebens. Zum Beispiel auf dem großen Markt jeden Samstag tagsüber in Finike.

                   
                                                     Weiterlesen bei: Was für einer ist das denn? Mit Knoten ist es wie
                                                                                                                                  mit Menschen. Hier.
                                                     Weiterlesen bei: Ein Schiff, um fünf Monate damit zu Segeln. Hier.
                                                     Weiterlesen bei: Was kosten fünf Monate Segeln im Mittelmeer. Hier.

                             Sie möchten jeden neuen Artikel von Mare Più gleich bei Erscheinen erhalten?    

                             So geht’s : 

                             1. Einfach E-Mail-Adresse oben rechts bei „News & neue Artikel… eintragen“. 
                             2. Bestätigungsmail von FEEDBURNER abwarten.

                             3. Den Link im FEEDBURNER-Mail einfach anklicken. Fertig.

Was ist eigentlich Segeln?

Für die einen ist es das Nonplusultra. Das, wofür sie leben, auch wenn sie im täglichen Leben etwas ganz anderes machen. Und fest im Leben stehen. Vor vielen Jahren las ich die Geschichte eines Chirurgen, dessen Tochter sagte: „Eigentlich hat mein Vater nur fürs Segeln gelebt. Für die Stunden auf dem Wasser. Er hat seinen Beruf geliebt. Und seine Familie. Aber gelebt hat er nur für die Stunden auf dem Wasser.“

Wie leicht kann jeder die Bilder dieses Sommers in sich wachrufen, jetzt, wo die Dunkelheit der Nacht am längsten und der Tag nicht über ein kurzes Grau hinauskommt. Damit ich nicht vergesse. Die Bilder, die ich oft in quälend langen Meetings wachrief: Das Türkis des Meeres im Juli, das oft in ein Grün übergeht, bevor der Regen einsetzt. 
Damit ich nicht vergesse.
Segeln ist: Im Niedergang sitzen und dem Regen zuschauen. 
Segeln ist: Auf dem Vordeck in der Sonne liegen, Musik hören, während LEVJE im Wind schwoit. Segeln ist: das Sieben-Uhr-Abendläuten an einem Sommerabend ankernd in der Bucht von Cres. Der Frieden im Hafen von Antalya, ein Glas kalten Weiswein in der Hand, nach einem langen Segeltag. 
Segeln ist: Nachts in LEVJE’s Koje leicht in den Schlaf gewiegt werden. Ein schwereloses Schaukeln. Und Einschlafen im leisen Geplätscher an der Bordwand. 
Segeln ist: Neugierig hinter jede Huk schauen wollen, immer weiter. Fahren wollen, immer weiter. Segeln ist… 

Damit ich nicht vergesse:  

Segeln ist:
Herausfinden, was man wirklich braucht.
Was man nicht braucht. 

Als ich die ersten 10 Wochen auf dem Meer unterwegs war, schrieb ich einen Beitrag darüber, was ich brauche. Und was ich nicht brauche. Es waren überwiegend einfache Dinge, die im Gegenzug zu vorher plötzlich Bedeutung hatten. 
Meinen Hut. Als Schutz vor sengender Sonne. 
Die Flasche Wasser in der Juli-Hitze. 
Das Ipad, auf dem ich meine gesamte Navigation mache. Und weil es meine Verbindung zur Welt ist. Und noch einige Sachen fielen mir ein. Aber es waren alles sehr, sehr einfache Dinge. 

Das Leben wird auf verblüffende Weise einfach, man braucht kein Buch mehr zu lesen mit dem Titel „Simplify your Life“. Denn das Leben wird einfach, auch in den paar Wochen, die man als „Jahresurlaub“ auf dem Meer verbringt. Es ist, als würden Leinen von uns abfallen, die uns in diesem Augenblick hierhin zerren. Und im nächsten dorthin – aber selten in die Richtung, in die WIR ursprünglich eigentlich mal wollten. Das Gezerre: es hat ein Ende. Beim Segeln.

                                                                          Weiterlesen bei: Resümee nach 10 Wochen. Hier.
                                                                          Weiterlesen bei: Wär ich Gott, würd ich hier     
                                                                                                     wohnen: Im Dom von Trani. Hier

Segeln ist: 
Wir. Und die Elemente.

19. Dezember 2014. Ein Tag irgendwo in einem wohlhabenden Land mitten in Europa:
Es ist schwierig, die Kräfte und Mächte zu verstehen, die an diesem Tag in diesem Land auf mein Leben einwirken. Und vor allem: mein Leben sehr dominant bestimmen.
Die Elemente, die Jahrtausende unser Leben bestimmten, haben wir gezähmt. Scheinbar. Der Winter macht uns keine Angst mehr. Ein Gewitter nehmen wir in unserer zentralbeheizten, vollgedämmten Wohnung kaum noch wahr. Ein trockener Sommer, der früher Hunger verhieß, bringt uns nicht um. Was früher sichtbar Einfluß hatte auf unser Leben ist heute gebändigt. Es zeigt nur gelegentlich die Krallen: Tsunamis, Taifune, Orkankatastrophen, die kennen wir nur mehr aus dem Fernsehen. Was früher unser Leben bestimmte: es ist weg.

Aber vor allem: Es wurde ersetzt durch Kräfte und Mächte, die wir nicht mehr sinnlich erfahren. Und schlimmer noch: nicht mehr verstehen. Warum hat der Zug heute früh schon wieder eine halbe Stunde Verspätung? Und schmeißt meinen Tag um? Ein Aufsichtsrat nickt die Entscheidung seines Vorstands ab, diese oder jene neue Firma zu gründen. Oder dieses oder jenes Produkt massiv in den Markt zu drücken. Was ist das, „Aufsichtsrat“? Hat es ein Gesicht? Kann ich es beschimpfen, gar ohrfeigen, wenn ich wütend bin? Irgendeines Unternehmens Werbekampagne weckt den Wunsch in mir, dieses oder jenes sofort zu bestellen, zu kaufen, „haben“ zu wollen. Kenne ich dieses Unternehmen? Na klar, sagen wir: „ich kenne die Marke“. Aber kenne ich meine Beweggründe, warum ich dies, das, jenes jetzt haben will? Und: wenn ich anfange, in dem Brei, „Marke“ genannt, herumzukratzen, auf den Boden des Topfes schauen zu wollen: was bleibt dann? Am Boden des Topfes oft nicht mehr als die leere Begriffe. „Umsatz“, „Shareholder Value“, „Wachstum“, „Rendite“ haben kein Gesicht.
Nein, die Kräfte, die bestimmend auf unser Leben einwirken, sind nicht mehr zu verstehen. Anders als früher Gott, haben sie kein Gesicht. Sie sind zu vielfältig geworden. Es ist zu komplex geworden.

Für den, der segelnd auf dem Meer unterwegs ist, reduziert sich die Undurchschaubarkeit dessen, was unser Leben bestimmt, ganz erheblich: „Nordwest 4-5 mit Seegang 2.“ Dies ist die Kraft, die heute meinem Segeltag bestimmt. Segeln schärft den Blick, für das, was unser Leben bestimmt. Und was wirklich in diesem Leben wichtig ist.

Klar gibts auch da Unvorhergesehenes: LEVJE’s Kühlwasserpumpe, die plötzlich mitten in den Wellen den Motor warnend pfeiffen läßt, weil sie den Geist aufgibt. Der Meltemi, der halt nicht als „Nordwest 4-5“, sondern als „6-7“ daherkommt. Oder eine leichte Lebensmittelvergiftung, die mich flachlegt. Oder ein Hafenmeister, der vor LEVJE austickt.

Wir beherrschen die Kräfte, die unser Leben bestimmen, auf dem Meer ebensowenig wie die Kräfte an einem x-beliebigen Tag in dem wohlhabenden Land mitten in Europa. Der Unterschied ist: auf dem Meer verstehen wir die Kräfte, die auf unser Leben wirken. Wir sehen sie. Wir können sie sinnlich erfahren. Wir können uns auf sie einstellen. Wir verstehen sie. Fast zu 100%. Sie sind einfach. 
Und vielleicht ist es das, was uns auf dem Meer sagen läßt: „Das Leben ist hier draußen so wunderbar einfach.“

                                               
                                                 Weiterlesen bei: Reden wir mal über die Angst. Hier.
                                                 Weiterlesen bei: 5 Monate Segeln – was bringt das? Hier.
                                                 Weiterlesen über den grollenden Hafenmeister von Peschici und       
                                                                    das liebe Geld? Hier.

Segeln ist: 
„Da wird eine Taste gedrückt. 
Und ein Urprogramm beginnt unweigerlich in uns abzulaufen.“

Für die manchen ist Segeln auch ein bisschen Hassliebe. Eigentlich ist für sie ihr Leben, das sie am Land leben, vollkommen in Ordnung. Es passt alles. Alles ist gut. Und im Lot.

Aber wehe, wenn sie auf dem Meer unterwegs sind: Dann ist alles anders. Der Blick in die Weite. Der leichte Wind, der besänftigend durch die Alltagsklamotten streicht. Das sanfte Wiegen auf dem Wasser. Dann wird etwas aufgerufen. Etwas wachgeküsst. Etwas, was mir Richard, ein alter Segler auf einem meiner ersten Törns mit den Worten des Ingenieurs und Erfinders, der Richard im Leben nun mal war, so erklärt hat: „Es ist, als wären wir ein Kassettenrecorder: Am Meer wird in uns eine Taste gedrückt. Und ein Lied oder ein Software-Programm, dass seit Urzeiten in uns einprogrammiert ist, beginnt zu laufen.“

Segeln ist:
„Das dümmliche Grinsen.“

Gelegentlich kommen, wie auf meiner fünfmonatigen Reise von Triest nach Antalya, auch Menschen aufs Boot und begleiten mich ein Stück. Freunde, die schon mal mitgesegelt sind. Meistens nehme ich jemanden mit, Freunde, Kollegen, weil ich denke, dass wir uns etwas zu sagen haben. Ich stelle mir vor, dass ich gerne mit Ihnen einen Abend in der Bucht verbringe: Dass wir gemeinsam abends Gedanken übers Leben lustvoll & locker drehen und wenden, so wie eine Auberginenscheibe in Mehl und Ei, bevor sie in die Pfanne kommt. Manchmal sind es Menschen, die ich gut kenne. Und die das Segeln kennen. Manchmal sind es Menschen, die ich kaum kenne. Denn am liebsten nehme ich Menschen mit, die eigentlich noch nie gesegelt sind. So wie Andreas, der mich in diesem Sommer begleitet hat vom Peloponnes bis Milos. Es hat mich immer gereizt, Menschen mitzunehmen, die noch nie gesegelt sind. Darüber, wie man vorher rausfindet, ob Segeln etwas für jemanden ist, ob er seekrank wird oder nicht, schrieb ich bereits in meinem Beitrag über das Segeln mit Nichtseglern.

                                                                                         Weiterlesen bei: Segeln mit Nichtseglern.

Um herauszufinden, ob sich jemand beim Segeln auf dem Boot wohlfühlt, gibt es einen einfachen Dreh: Sind die Leinen los, sind wir vom Liegeplatz weg, sind wir draußen unter Segel, dann drücke ich demjenigen einfach LEVJE’s Pinne in die Hand: „Halt mal kurz.“ Ganz absichtslos.

Für den, der noch nie gesegelt ist, ist die Pinne ein totes Stück Holz. Ein Fremdkörper. Etwas, das so verkehrt in der Hand ist wie 15 Regenwürmer. Aber oft stellt sich auf dem Gesicht desjenigen etwas ein, was ich „das dümmliche Grinsen“ nenne. Konzentration. Entspannung. Freude. Darüber, wie sich das Schiff, LEVJE, anfühlt, wenn man sie durch die Wellen steuert. Wie sich LEVJE leicht auf die Seite neigt und beginnt, mit leicht wiegenden Bewegungen durch die Wellen zu gleiten, zu schnüren wie ein Fuchs, der im Schnee konzentriert einer Fährte folgt. Dreieinhalb Tonnen, die sich, schwer wie ein 31-Fuß-Stahlcontainer, doch leicht wie eine reinweiße Feder vom Wind fortwehen lassen.  Ein leichtes Grinsen im Gesicht. Ein Konzentriertsein auf das Schiff, auf LEVJE, und wie sie auf leichte Bewegung der Pinne reagiert. Es ist viel, was sich in so einem Moment auf dem Gesicht desjenigen abspielt. Aber das „dümmliche Grinsen“: es ist unübersehbar. Es kündet von Glück. Und davon, dass hier eine(r) angekommen und am richtigen Platz ist.

Segeln ist: 

„Meinen Ort finden.“

Sulu Adasi, die Insel Sulu: eine Tagesreise südsüdwestlich von Antalya gelegen.

Segeln: das ist für mich meinen Ort finden. Nein, keinen bestimmten geografischen Ort auf der Landkarte, den man einfach nur finden müßte, weil man dann dort, ja nur dort: glücklich sein, sein Glück finden könnte. Nein, darum geht es nicht. 
Der Ort, um den es geht, ist ein anderer: Der Ort ist: „Wer bin ich in der Welt?“ Denn so merkwürdig es ist: auf dem Meer weiß ich das. Denn die Wellen und vor allem eine vergessene Insel wie Sulu, sie liegt eine halbe Tagesreise südlich Antalya, die ordnen mich ein in die Welt. Sie betten mich ein in den Kosmos. Und ich verstehe plötzlich, wenn der Anblick von Sulu mir sagt: Du bist zwar ein unendlich kleines Teil im Getriebe der Welt. Unendlich mikroskopisch klein in den Jahrmillionen, die es brauchte, um dieses Inselchen so zu schaffen, wie es heute unbewohnt, vergessen, gleichgültig im Meer liegt. Und doch: Du bist. Ein Teil des Ganzen. 

Um dies zu verstehen, ist es notwendig, kurz in den westlichen Teil des Mittelmeeres zurückzukehren, nach Capraia nördlich von Elba. Es war in der Bar Massimo auf Capraia, wo ich vom Tod meiner Großmutter erfahren hatte. Sie war gestorben in ihrem 97. Jahr, genau einen Tag nach ihrem Geburtstag und wenige Tage, nachdem ich sie ein letztes Mal besucht hatte. Ein paar Monate, nachdem sie, wie mancher alte Mensch es tut, einfach beschlossen hatte, nichts mehr zu sich zu nehmen. Und wie ein alter Elefant ins Dickicht zu gehen, allein, um sich zum Sterben niederzulegen, irgendwo. Sie hatte mehrere Wochen nichts mehr zu sich genommen, war in ein Dämmer hinübergeglitten, irgendetwas zwischen Schlaf und Ohnmacht, aß nicht mehr, trank nicht mehr, sprach nicht mehr, reagierte nicht mehr. Nur noch ihre geliebte Tasse Bier, die ließ sie sich von mir ein paar Tage vorher zum Mund führen.

Als ich von ihrem Tod erfuhr, war ich traurig. Traurig, weil sie nicht mehr da war, traurig, weil wir das, was wir gemeinsam hatten, unsere Begegnungen nun wirklich und endgültig Vergangenheit und vorbei waren. In dieser Stimmung waren wir um Korsika herum unterwegs. Ich hörte abends im engen Hafen von Bastia den überwältigenden Klang der Kirchenglocken. Und dachte an meine Großmutter. Wir umsegelten die Südspitze von Capraia, da wo lange Steinreihen aus wer weiß welchem urgeschichtlichen Erdzeitalter sich die kargen Hänge hinaufziehen, eine Steinreihe neben der anderen, ein Stein nach dem anderen: als hätte hier ein uraltes Volk einen Kultort hinterlassen. Ein Denkmal, bei dem alle unsere Vorfahren, unsere Ahnen, zu Stein geworden, aufgereiht stehen. Einer nach dem Anderen. Vom ersten Bakterium, mit dem alles begann, über jeden, jeden einzelnen, der daraus entsprang und danach kam, bis hin zu mir. Eine lange, lange Reihe. Vor mir. Keiner auch nur denkbar ohne den davor. Ohne all jene davor, die notwendig waren, um diesen einen hervorzubringen. Und das Leben weiterzugeben.

In diesem Augenblick auf Capraia fühlte ich, wie stark diese Verbindung ist, ich stellte mir die Gesichter all derer vor, die meine Vorfahren waren: Sammler, Jäger, Bauern die meisten. Männer und Frauen. Bettler, Königinnen, Heilige, Mörder waren sicher darunter. Priester und Pestkranke. Mönche und Magnaten. Bauern und Betschwestern. Und Sänger und Säufer. Bei mir, bei jedem von uns. Wir sind die Summe, das Endergebnis einer unendlich langen Reihe von Lebewesen, von Menschen. Manchmal, wenn ich in dem wohlhabenden Land mitten in Europa gerade nicht weiß, wer ich bin: dann stelle ich sie mir vor: die lange Reihe der Lebewesen, die nötig waren, um mir das Leben zu geben. Mir die Fackel in die Hand zu drücken. Und jetzt bin ich der, der gerade die Fackel trägt. Und sie weitergeben wird.

Und dies ist, was mir oft das Reisen auf dem Meer vermittelt: Meinen Ort in der Welt. Winzig, winzig klein, und unbedeutend wie die karge unbewohnte, die vergessene Insel Sulu. Und doch ein Teil des großen Ganzen. Verbunden mit allem. Im weiten Meer.

                                             Weiterlesen bei: Die rätselhaften Vogelmenschen der Daunier. Hier.

                             Sie möchten jeden neuen Artikel von Mare Più gleich bei Erscheinen erhalten?    

                             So geht’s : 

                             1. Einfach E-Mail-Adresse oben rechts bei „News & neue Artikel… eintragen“. 
                             2. Bestätigungsmail von FEEDBURNER abwarten.

                             3. Den Link im FEEDBURNER-Mail einfach anklicken. Fertig.

Mare Più macht ein Buch. Über Segeln im Gewitter. Mit Erfahrungen der Community für die Community.

                                                         Das Cover unseres ersten Buches, das ab März 2015 als eBook erhältlich ist.

Im Gewitter Segeln ist Extremerfahrung. Innerhalb Minuten auftretende Starkwinde, Böen mit über 60 Knoten, Platzregen, Hagel, Null Sicht. Für Minuten. Für Stunden.

                                                     Weiterlesen bei: Von schnellen Gewittern. Und von langsamen.

Gewitter trifft jeden auf dem Meer im Lauf eines Seglerlebens. Niemand ist davor gefeit. Es gibt kaum eine andere Situation, in der es derart auf seglerisches Können, eigene Instinkte und gute Seemannschaft ankommt. Und Glück. 

Wer kann, meidet Gewitter. Wer durchsegeln muss, ist auf sich selbst angewiesen. Denn: Jedes Gewitter ist anders. Es gibt wenig Regeln dafür. Es gibt kaum Informationen. Es gibt viele Halbwahrheiten.

Und: Es gibt kein Buch dazu, weder im Deutschen noch im Englischen.

Unser erstes Buch, das wir in unserem heute gegründeten Verlag millemari. herausbringen, will diese Lücke schließen. Es wird ein ungewöhnliches Buch sein, das im März 2015 erscheint, in vielerlei Hinsicht:
Es wird nicht aus der Feder des EINEN Experten stammen.
Es wird sehr viel Know-how beinhalten.
Es wird kein trockenes Fachbuch sein.
Hier berichten Segler für Segler von ihren Extremerlebnissen.
Ihr Wissen, ihre Erfahrungen helfen auch Dir durchs nächste Gewitter.

Wir sammeln die Geschichten von Seglern, die Gewitter auf See erlebt haben. Die Erfahrung mit den vielfältigen Folgen und Schrecken haben, die ein Gewitter auf See mit sich bringt. Wir suchen das, was Segler zu sagen haben über das Phänomen Gewitter. Wir suchen die Erfahrungen aller Segler. Um sie allen Seglern zur Verfügung zu stellen.

Wir beide, Susanne Guidera und ich, sind leidenschaftliche Segler. Und erfahrene Verlagsleute. Wir haben den Ehrgeiz, ein völlig neues Werk zu machen, das zunächst als eBook erscheinen wird. Ein Werk, das eine Community für sich selbst schreibt.

11 Segler haben bereits ihre Geschichten zugesagt. 6 davon haben ihre Beiträge bereits abgegeben. Das Cover ist fertig. Mindestens 14 weitere Autoren suchen wir noch. 
Hast Du da Draußen etwas Außergewöhnliches erlebt? 
Etwas, das Du jedem anderen Segler ans Herz legen würdest, wenn er in ein Gewitter hinein segelt?
Ein ungewöhnliches Erlebnis im Gewitter auf See?

Dann: Zeig’s uns! Schreib uns. Wir wollen nur Dein Allerbestes: Dein allerbestes Erlebnis im Gewitter auf dem Meer.

Schicke uns unter Nennung Deiner Mail- und Postanschrift ein Mail mit dem Stichwort „GewitterSegeln“. Wir antworten. Mit allem, was Du wissen musst, um einen gelungenen Beitrag für unser Buch GEWITTERSEGELN zu schreiben.

Du mußt kein Autor sein. Nur Deine Erfahrung zählt. Als Segler. Im Gewitter.

Das Team des heute gegründeten Verlags millemari.
                                                     Susanne Guidera
                                                    Thomas Käsbohrer

                                    

Unter Segeln: Von schnellen Gewittern. Und von langsamen.

Ein Blitz über Gemiler Reede. Gut erkennbar sein gleißender Entsehungsort ganz oben, dort, wo sogar Regen und Nässe aufgrund der gewaltigen Hitze zu verdampfen scheinen.

Gewitter gibt es verschiedene. Gewaltige Gewitter, solche, an die man sich noch nach Jahren und Jahrzehnten erinnert. Und leichte. Laute und leise. Solche, die schnell heranziehen. Und schnell gehen. Und solche, die langsam kommen. Und lange bleiben.

In Gemiler-Reede – ich schrieb über die Insel, auf der Sankt Nikolaus gelebt hatte – wollte ich eigentlich nicht lange bleiben. Aber weil die Ecke so faszinierend ist, blieb ich drei, vier Tage. 

                                                                      Weiterlesen bei: Gemiler Reede. Oder: Sankt Nikolaus.

All die Tage hatte es rundum gegrummelt. An dem Tag besonders. Hohe Quellwolken bauten sich über den Nachmittag auf. Oben, ganz oben auf der Insel, dort: wo eine der ersten von fünf Kirchen errichtet wurde, wo der heilige Nikolaus gelebt hatte.

Wieder einmal erkennt man auf dem obigen Bild gut, wie sich „Wolken höher als breit“ bilden, vor allem oben rechts im Bild. Ein Warnsignal. 

Dazu am frühen Abend erste dunkle Wolken, über der Kirchenruine unten. Ich ruderte über die Bucht zurück zu LEVJE. Die schaukelte friedlich an ihrem Ankerplatz, ich hatte eine Landleine ausgebracht, nur eine. Teils aus Faulheit, teils aus Überlegung: Wenn ich raus müßte mitten in der Nacht, weil der Anker schlechter hält als die eine Landleine, dann käme ich schneller weg.

Es grummelte. Im Norden, hinter den Bergen. Es grummelte auch noch, als die Sonne unterging, und erste Blitze das dämmrige Grau hinter den Bergen erhellten. Aber immer noch war alles friedlich. So friedlich, dass ich ganz gemächlich LEVJE’s Bimini aufstellte, um Cockpit und Niedergang vor dem Regen zu schützen. Meinen abendlichen Rundgang an Deck machte. Gemütlich in die Bucht schaute. Und hinauf in die grummelnden Berge. Dämmerung. Kein Anlaß zur Sorge.

Leichter Niesel setzte ein. Leicht, ganz leicht. Mir fiel die alte Regel ein. Ein Kinderreim fast, aber so geht er:

„Kommt der Regen vor dem Wind, Skipper birg die Segel geschwind.
Kommt der Wind vor Regen. Skipper kann sich Schlafen legen.“

Eine Warnung. Wenn es vor dem ersten Windstoß zu regnen beginnt: dann wird’s heftig. Ich fragte mich, ob das auch fürs Mittelmeer gilt. Aber die Antwort kam. In Gestalt des Gewitters, das langsam, unendlich langsam über die Berge im Norden hinunter zur Gemiler Reede kroch.

Der erste Windstoß. Nicht arg. Ein Lüftchen eher, der Böencharakter nur daran erkennbar, dass die Windrichtung nicht die rechte war. Und gleich wieder eine andere war. Kalte Luft. Die Landleine spannte sich, triefte, als sie aus dem Wasser kam. Der Regen wurde härter. Die Böen setzten wilder ein, und Blitze zuckten durch die Nacht. Doch diesmal auf unserer Seite der Berge. Das Gewitter war da. Die Blitze. Nah. Ziemlich nah.

Oft im Gewitter – vor allem draußen auf See – ist der Blitz das, was aller Augen und Emotionen auf sich zieht. In ihm stecken Gewalten, die wir uns nicht vorstellen können. Natürlich ist der Einschlag eines Blitzes das Schlimmste, was einer Yacht passieren kann. Blitze so wie der, den ich in dieser Nacht auf dem ersten Foto ganz oben festgehalten habe.

Kaum jemand weiß: wie eine Yacht nach dem Einschlag eines Blitzes aussieht. Halten die Wanten? Gibts unten, unter Deck, da wo der Mastfuss sitzt und der Blitz wieder hinausfährt, ein großes Loch? Wie übersteht man es, wenn in meternahem Umkreis 10.000de Volt Strom durch Leitungen jagen, die dafür nicht gemacht sind? Ich weiß es nicht. Aber ich werde es herausfinden.

Ich dachte an meine schwäbische Großmutter. Sie fürchtete in ihrem Leben nichts und niemand. Sie hatte fünf Kinder großgezogen, allein. Hatte heimlich für Juden gearbeitet während des Krieges. Ihren Mann rausgepaukt, als der im Wirtshaus zu laut über die Nazis schimpfte. Und am Tag später mit Haft bedroht wurde. Nur eines fürchtete sie: Gewitter. 
Ihre bewährte Ausrüstung dagegen: 1 Kopfkissen. 1 Wetterkerze. 1 Weihwasser-Fläschchen. 1 Rosenkranz. Wenn Gewitter war, dann zündete sie im Fenster die schwarze Wetterkerze an. Zog sich das Kopfkissen über den Kopf. Und betete den Rosenkranz herunter, unter gelegentlichem sich-besprengen mit einem Schuß Weihwasser. Wir Kinder fanden es urkomisch.



Die Blitze in dieser Nacht waren nah am Boot. Blitz und Donner fielen zusammen, beides in ein und demselben Augenblick. Schläge, bei denen ich unwillkürlich den Kopf einzog. Sehr laute Schläge. Der Regen wurde heftiger. Der Wind kam von den Bergen und trieb den Regen genau in den Niedergang. Blöde Landleine. Hätt‘ ich LEVJE doch lieber schwojen lassen. Dann läge sie jetzt im Wind. Und ich säße trocken in meinem Niedergang…

Teilweise war der Wind so heftig, dass meine Dinghi-Paddel – ich hatte sie neben den Seezaun gelegt – über Bord geweht wurden. Irgendein merkwürdiges Geräusch hatte mich den Kopf aus dem Niedergang stecken lassen. Ich spurtete los, um meine Paddel zu retten, die brav in Lee genau an der Bordwand trieben. Zu hoch. Also auf den Bauch gelegt, längelang, dahin, wo vorher die Paddel lagen. Und jetzt daumendick das Regenwasser übers Deck rann. Tropfnass, von einem Moment auf den Anderen. Jetzt bin ich schon nass, ich schau gleich noch, ob der Anker vorn hält…

Triefend wie meine Landleine erreichte ich meinen Niedergang, durch den die Böen immer noch die Regenschwaden trieben. Regen am Meer ist einzigartig. Aber in der südlichen Türkei einfach beeindruckend. Ich suchte mir im Donnern trockene Klamotten. Und zündete mein Petroleum-Licht an. So, wie meine Großmutter ihre Wetterkerze.

Das Gewitter dauerte eineinhalb Stunden. Es stand genau über der Bucht. Es bewegte sich kaum. Es schepperte noch nahe am Boot, als ich mich irgendwann schlafen legte. Irgendwann wird man zu müde, vom langen Aufpassen. Und schließlich: wir lagen ja vor Anker. Der hielt.



Am nächsten Morgen war die Welt friedlich. Nur ein paar graue Fahnen am Oktoberhimmel zeigten, dass die Nacht davor irgendetwas anders gewesen war, über der Gemiler Reede. 

                                                                      Weiterlesen bei: Ist es gefährlich, im Gewitter zu Segeln?
                                                                      Weiterlesen bei: Ankermanöver im Gewitter.

Levje’s Lieblinge: Wie Wunden am Meer schneller heilen.

Letztes Jahr, in der Bucht von Bozukale: Vor den Stegrestaurants kann man wunderbar schwimmen, das Wasser ist ganz klar, und die antiken Ruinen rundum beeindruckend. Ein Teil meiner Crew geht ins Wasser. Josef kommt blutend wieder, er verletzte sich an der rostigen Steg-Badeleiter, ein 2mm tiefer Schnitt im Ballen.

Das war’s für Josef, Schluß mit Schwimmen. Für den Rest der Woche auf dem gecharterten Boot. Genau unten am Ballen. Es wird lange nässen. Und schlecht heilen.

Vom Nachbarboot kommt ein älterer Franzose. Große schiefe Nase, wirres Haar. Stellt sich auf französisch als Arzt vor. Hält eine grüne Tube in der Hand. Irgendwas. Brummelt, es würde schneller heilen damit. Ich bin vorsichtig. Aber Josef, ganz Haudegen, sagt: „Drauf damit“. Es ist so eine Art grüner Heilerde, die der französische Arzt auf die Wunde gibt. Pflaster drauf. Fertig.

Ich bin skeptisch. Aber der Franzose hatte Recht: nach eineinhalb Tagen ist die Wunde geschlossen. Josef hüpft wieder barfuß herum. Und kann für den Rest des Törns ins Wasser. Gepriesen sei der französische Arzt. Und seine PATE D’ARGILE VERTE:

Ich habe mir das Mittel besorgt und hatte es auf meiner fünfmonatigen Reise dabei: Wie schnell holt man sich einen stark blutenden Kratzer am Bein. Beim Legen der Landleine. Beim Schwimmen. Aber mit der grünen Heilerde waren alle Wunden nach etwas mehr als 24 Stunden geschlossen. Ich bin entzückt. Es ist einfach. Es hilft. Es stimuliert die Selbstheilungskräfte des Körpers. 

Grüne Tonerde – und davon bitte nicht irritieren lassen – ist eigentlich für die Reinigung der Haut gedacht, so steht es auf der Verpackung. Und nur zu allerletzt kommt der Hinweis, dass das Mittel auch die Wundheilung beschleunigt. 

Und wer noch nicht weiß, was Skipper & Skipperin sich außerdem zu Weihnachten unter den Weihnachtsbaum legen sollen:

In einem früheren Beitrag stellte ich bereits zwei Bücher vor, die meinen Winter retteten.

                                                              Weiterlesen bei: Wie der Segler über den Winter kommt. Hier.

Heute zwei, drei weitere Bücher:
Für jeden Kroatiensegler sind die Bücher aus dem ALBUM-VERLAG ein Muß. Meist dreht es sich bei den alten Fotografien, die zwischen 1850 und 1918 aufgenommen wurden, um die Geschichte Istriens. Und die österreichische Marine, die jedem der istrischen Küstenorte neben den Venezianern bis heute ihr prägendes Gesicht gab. Der Band über Pola gehört dazu, ein kleines, reizvolles Büchlein, das auf LEVJE immer neben mir auf dem Bett liegt, das ich wieder und wieder ansehe. Bilder, Fotos aus einer anderen Welt, versunkenen Welt. Genauso wie die MARINEBILDER mit einzigartigen Fotografien des Marinefotografen Alois Beer, der bis 1916 ungehindert Zugang zu den österreichischen Flottenstützpunkten in Istrien hatte. Von seinen über 12.000 erhaltenen Fotos beschäftigen sich allein 2.000 nur mit Pula und Triest.

                                                               Weiterlesen bei: Von Menschen und von Schiffen. Kaiser   
                                                               Franz-Josef und sein Schlachtschiff VIRIBUS UNITIS. Hier.

Ein weiteres Buch, das meinen Winter rettete und mich auf LEVJE immer begleitet, ist David Abulafia’s DAS MITTELMEER. Eine Monografie des Mittelmeers von der frühen Steinzeit bis in unsere Gegenwart. Eine unglaublich gute Zusammenfassung des aktuellen Forschungsstandes vieler Disziplinen, dessen Reiz darin liegt, dass Abulafia einfach kurzweilig und flott schreibt und nie den roten Faden verliert. Eine besondere Lust ist es, an langen Winterabenden das Buch zu lesen und mit dem Ipad immer gleich Orte und archäologische Funde im Web aufzusuchen. Wahrlich: ein Buch, das meinen Winter rettete. Ich habe die 1.000 Seiten mehrmals gelesen. Und verdanke David Abulafia viele, viele Anregungen zum Verständnis mancher Orte, die ich auf meinem fünfmonatigen Törn bereiste so wie diese drei Ägäis-Inseln:

                                                           Weiterlesen bei: Das 5.000 Jahre alte Steinzeitmesser von Milos.
                                                           Weiterlesen bei: Milos. Oder: Wenn Tonscherben anfangen zu  
                                                                                                                                                  erzählen.

                                                           Weiterlesen bei: Ein Schiff, um 5 Monate zu Segeln. Hier.

Die vergessenen Inseln: Gemiler Reede. Oder: Wer war der Mann, der Sankt Nikolaus heißt?

Ankern beim Gebeinhaus: Wer der heilige Nikolaus war und was er mit Gemiler Reede, den St. Nikolaus-Inseln zu tun hat: das berichtet dieser Artikel.

Wer war er bloß, der Mann, der uns in diesen Tagen im roten Mantel so oft auf den Weihnachtmärkten, in Kaufhäusern und Kindergärten begegnet? 

Die Spurensuche beginnt in der südlichen Türkei. Segelrevier-technisch gesprochen, lebte Sankt Nikolaus genau zwischen dem Golf von Fethiye und dem Golf von Antalya. Er war ein Kind dieser Küste, er ist hier aufgewachsen, er hat immer an dieser Küste gelebt, er hat sie nie verlassen. Zumindest als Lebender nicht.

Geboren wurde er zwischen 270 und 286 nach Christus im prosperierenden römischen Patara, keine Tagesreise südöstlich von Fethiye und der Gemiler Reede. Patara ist heute noch zu besichtigen, eine antike Ruinenstadt an der Küste, verlandet, versunken in wehendem Sand eines der schönsten, längsten Sandstrände der Türkei. Sein Onkel weihte ihn mit 18 zum Priester – zu einem Zeitpunkt, als Kirche heimlich und Christsein tödlich war. Vermutlich geriet er in die große diokletianische Christenverfolgung, die von 303 an 10 Jahre in einem letzten großen Aufbäumen versuchte, das Christentum gewaltsam zurückzudrängen, wie ein Hund die lästigen Flöhe abzuschütteln, die sich im Fell des römischen Staatsapparates festgesetzt hatten. Im Westen war man damit einigermaßen lax. Die Behörden in den Ostprovinzen des Reiches setzten die staatlich angeordnete Verfolgung mit grausamer Konsequenz um. Georg, Maragrete und Katharina von Alexandrien waren nur einige prominente Zeitgenossen von Nikolaus, die dem Verfolgungsapparat zum Opfer fielen. 


Blick auf die Gemiler Reede am Abend.

Nikolaus wurde vermutlich in dieser Zeit gefangen genommen, mißhandelt, wenn nicht gefoltert. Als man vor wenigen Jahren seinen Schädel in Bari aus dem Grab holte und einer Gesichtsrekonstruktion unterzog, stellte man fest, dass seine Nase zu Lebzeiten schwer gebrochen war und seitdem schief in seinem großen Gesicht saß. Die Gerichtsmediziner fanden heraus, dass er ein ungewöhnlich kleiner Mann gewesen sein muss: 1,60 groß. Aber mit bemerkenswert großen Kopf. In dem eine schiefe Nase saß.

                      Blick von den Kirchenruinen nach Osten, Richtung Patara.

Mit dem Jahr 313 endete die Christenverfolgung. Mehr noch: Christentum wurde Staatskult. Der Wind hatte gedreht. Auch in dem kleinen Ort Myra, dem heutigen Demre, ein paar Seemeilen südwestlich von Antalya und nahe der Hafenstadt Finike, wo LEVJE gerade liegt. Nikolaus war hier Abt, später wahrscheinlich Bischof.


Von den Kirchen hinunter zum Ankerplatz.     

Es muss in diesen Jahren gewesen sein, dass er Gemiler Reede besucht und vielleicht auch einige Zeit hier auf der Mönchsinsel gelebt hat. Vielleicht sogar kurz begraben war. Jedenfalls ist seine Verehrung auf diesen vergessenen Inseln besonders groß. Man erzählte sich viele, viele Geschichten von dem Mann aus Myra, der noch zu seinen Lebzeiten Feldherren im Kerker und Seeleuten im Sturm erschien. Und sie rettete aus Not und Bedrängnis.

Etwa fünf Kirchenruinen fand man auf der einstigen Klosterinsel Gemiler. Ruinen seit dem späten Mittelalter, als die Osmanen über das Festland hinaus auf Meer und Inseln griffen und byzantinische Mönche die Inseln räumten. Bis dahin war Gemiler Reede, die Nikolaus-Inseln, ein wichtiger Hafen auf der Route ins Heilige Land. Ein „Must-See“ für einen jeden Pilger, um dem heiligen Nikolaus seine Verehrung zu bezeugen. Und damit auch ein ungewöhnlich prosperierender Hafen, dessen mittelalterliche Kaimauern, Reeden, Lagerhallen man heute noch die ganze Nordküste mit Staunen sieht.


Hier wollte man begraben sein: Eine Insel voller Gräber, Grabkammern, Beinhäuser, Totenhaus. All das zeugt davon, wie verbreitet die Verehrung von Sankt Nikolaus über die Jahrhunderte war.

Im Insel-Inneren stehen mittelalterliche Ruinen an diesem Ort herum, es sind viele: dem heiligen Nikolaus geweihte Kirchen. In den Felsen gehauene Steingräber. Unzählige Totenhäuser vermeintlich bedeutender Menschen, die beim Erweckungsruf des jüngsten Gerichts nahe, nahe beim Heiligen und auf heiligem Boden sein wollten. Als Klassenprimus in der ersten Bank, sozusagen. 

Die Verehrung riss auch nicht ab, als italienische Kaufleute im Herbst des Jahres 1087 die Gebeine des heiligen Nikolaus aus der heute noch stehenden Nikolaus-Kirche in Demre stahlen. Heiligenklau, Reliquien-Diebstahl war groß in Mode. Die Liste prominenter Heiligen, die in diesen Jahren angeblich „zum Schutz vor heidnischen Seldschuken“ aus Gräbern christlicher Kirchen gerissen und zufällig nach den größten Hafenmetropolen Italiens „schützend“ verfrachtet wurden, ist lang: San Marco nach Venedig. Sankt Andreas nach Amalfi. Sankt Matthäus nach Salerno. Sankt Johannes der Täufer nach Genua. Sankt Thomas nach Orthona. Jede mächtige Hafenstädte dieser Zeit brauchte einen Apostel in ihren Mauern. Oder das, was von ihm übrig war. 

     Der Mann im roten Mantel: Ob hochmittelalterliches Abbild des Sankt Nikolaus oder nicht: 
     Diese Malerei hat sich in einer Kirchenwand von Gemiler – wenn auch beschädigt – 
                                   über sechs, sieben Jahrhunderte erhalten.

Die Kaufleute, die die Gebeine von Sankt Nikolaus klauten, waren vergleichsweise spät dran bei diesen Ereignissen. Sie waren aus Bari, und vermutlich war die Mission lange geplant, mit der sie die Gebeine von Sankt Nikolaus heimlich nach Bari schafften. Wo noch heute jedes Jahr vom 7.-9. Mai die Ankunft der Gebeine von San Nicolà, denn so heißt er hier, in der Stadt mit großem Brimborium, Umzügen, Herumtragen der Reliquien des San Nicolà in der Stadt und im Hafen gefeiert wird. Und hier ruht er auch noch heute. Wenn nicht gerade eine Gesichtsrekonstruktion, ein Umzug oder anderer Trubel seinen ewigen Schlaf stören.

                                   Weiterlesen bei: Was Sie über das Segeln in der Türkei wissen müssen.

                                   Weiterlesen bei: Die vergessenen Inseln: Hier.

                                   Weiterlesen bei: 5 Monate Segeln. Was hat mir das gebracht? 7 Erfahrungen
                                   Weiterlesen bei: Reden wir mal über die Angst. Hier.

                                    Ich möchte gerne jeden neuen Artikel von Mare Più bei Erscheinen erhalten: 

                                    1. Einfach E-Mail-Adresse oben rechts bei „News & neue Artikel… eintragen“. 
                                    2. Bestätigungsmail von FEEDBURNER abwarten.
                                    3. Den Link im FEEDBURNER-Mail einfach anklicken.

Von Menschen und von Schiffen: Wie 50 Männer 50 Schiffe im Jahr bauen.


    Für die einen sinnlose Holztrümmer, für die anderen wertvolles Werkzeug: Fast alles an einer Yacht entsteht aus Formteilen und nach Schablonen. Wie eine Yacht entsteht, zeigt dieser Beitrag.

Ein nebliger Dezembertag an einem kleinen See vor den Alpen. Der barocke Turm der Dorfkirche ist im Grau kaum zu sehen. Eiskalter Ostwind streicht um die drei Werkshallen oben auf dem Hügel. Die Luft riecht nach Schnee von den Bergen. Dies ist der Ort, an dem die Werft ihre Yachten baut. 400 Kilometer vom Meer entfernt. Seit bald 70 Jahren. 50 Männer. Die 50 Schiffe im Jahr bauen. Von 24 bis 53 Fuß Länge. Die Werft heißt SUNBEAM. Und der Ort im Nebel ist Mattsee. Und er liegt in Österreich, 20 Kilometer von Salzburg entfernt, von Mozartkugeln, Trachten-Moden, Weihnachtsmarkt.

Wieso man so weit vom Meer entfernt seegehende Yachten bauen kann? Günter Ambrosi, der für den Verkauf zuständige Mann, lacht sein keckerndes Lachen. „Ein gute Yacht bauen: Das hat erst mal nichts mit der Beherrschung von Wind und Wellen zu tun. Sondern mit der Beherrschung des Werkstoffes.“ Und dieser Werkstoff heißt Harz. Und Härter. Und Glas – genauer: Glasfasern.


    Der Stoff, aus dem die Träume sind: Glasfasermatten.

In Mattsee experimentieren, bauen, arbeiten sie mit diesem Werkstoff seit den frühen 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts. Die Väter der beiden heutigen Werftbesitzer waren Schreiner. Tischler. Bootsbauer. Sie bauten kleine Holzjollen. Für den heimischen Mattsee, den Mondsee und den Attersee. Als der neue Werkstoff – die mit Harz und Härter getränkten Glasfasermatten – aufkam, begannen die Brüder damit zu experimentieren. Bauten ihre ersten Jollen und stellten diese auf den Bootsmessen vor. Am Anfang steht die Beherrschung des Werkstoffes. Und das ist der Grund, warum kaum eine der Werften im deutschsprachigen Raum am Meer entstand. BAVARIA im mainfränkischen Giebelstadt – 1978 gegründet von einem Fenster-Fabrikanten. DEHLER in Freienohl im Sauerland.  

Am Anfang: Die Idee.


    Ideen, Zeichnungen, Pläne – wieder und wieder verworfen. Ein Papierabfall-Behälter in der Werft.

Am Anfang eines neuen Boots steht die Idee. Aus Gesprächen mit Kunden und aus der Beobachtung dessen, was am Markt gerade gut verkauft wird, entsteht eine Vorstellung davon, wie ein neues Boot aussehen könnte und was es auszeichnen soll. „Meistens entwickeln wir so etwas, wenn wir am Feierabend ganz zwanglos ein Bier miteinander trinken, der Günter, der Gerhard und ich“, sagt Manfred Schöchl, dem die Werft zusammen mit Gerhard Schöchl gehört. Aus der Idee entstehen erste Skizzen. Und aus den Skizzen: die Form – eine Positivform.

Schritt 2: Laminieren.

Die Positivform ist ein aus Sperrholz, Schaumstoff, Styropor, Pappelleisten geleimtes, getackertes, gespachteltes Modell in Originalgröße. Es enthält alle Details. Für den Bootskörper. Für das Deck. Für Einzelteile wie Backskistendeckel, Salonhimmel und ähnliches. Von dieser formgenauen, oberflächenbrillanten Bauteil-Vorlage, der Positivform, stellen die Männer die Negativform her – die Grundform, in der der Bootsrumpf produziert wird. Oder das Deck. Oder einzelne Bauteile, wie der Salonhimmel oder ein Backskistendeckel.


    Die Negativform eines 40 Fuß-Schiffes vom Heck her gesehen. In sie werden nach spezieller Vorbereitung die mit Harz und Härter getränkten Glasfasermatten gelegt.

Die Produktion des Schiffes beginnt in der Laminierhalle mit der Grundform. Diese wird zunächst gereinigt. Dann noch mal gereinigt. Dann mit Wachs als Trennmittel bestrichen. Im Anschluss kommen mit dem Pinsel mehrere Millimeter Gelcoat drauf – das, was man als Bootsbesitzer an seinem Schiffskörper als erstes wahrnimmt. Und dann werden nach einem detailliert vorgegebenen Lagenplan die mit Harz und Härter getränkten Glasfasermatten aufgebracht. Lage für Lage werden die getränkten Glasfasermatten in die Rumpfform eingelegt. Der Bootsrumpf entsteht. 15 Männer brauchen für den Rumpf einer 40er etwa 14 Tage.

    Die Negativform von Außen in ihrem Formkorb. Im Vordergrund links: die Negativform eines Schiffsdecks.

Für jeden der derzeit lieferbaren acht Bootstypen gibt es nur eine einzige Negativform. Ob es nicht Sinn machen würde, gleich mehrere Negativformen, zum Beispiel von der neuen 40er zu haben? Dann könne man doch gleich mehrere Bootskörper parallel und effizient produzieren? Der Produktionsleiter lächelt: „Theoretisch ginge das. Aber das Laminieren ist nicht das Problem. Sondern der Ausbau in der nächsten Halle, der Ausbauhalle. Wenn wir hier mit dem Laminieren fertig sind und die Rumpfhülle kann nicht gleich rüber in den Ausbau, weil die drüben mit dem aktuellen Auftrag noch nicht fertig sind: Dann geht hier nichts weiter. Der Engpass liegt immer drüben in der Ausbauhalle“, erklärt er den Produktionsprozess.


    Der Rumpf ist fast fertig: in die eingelegten und bereits trockenen Glasfasermatten des Rumpfs werden nun die Formstücke für die Bilge eingelegt. Und einlaminiert.

Schritt 3: Der Ausbau in der Ausbauhalle.


    Mannshoch, tonnenschwer: Der Kiel des neuen 40-Fuß-Modells der Werft.    

Warum das so ist, sehen wir beim Betreten der Ausbauhalle. Mannshohe Gusskiele für das brandneue 40er-Modell stehen herum. Leere Negativformen für Deck und Rümpfe. Fünf bis zehn weitere Kiele. Fertige Holzteile für den Innenausbau. Es riecht streng nach Chemie. Überall liegen Werkzeuge, Behälter, Schleifer und Hobel. Schläuche, Kabel, Leitungen, die in den oben offenen Rumpf einer 40er hineinlaufen wie in einen Patienten nach der Operation, wenn das Leben wieder Stück für Stück in ihn gebracht wird. Die Männer montieren gerade den Innenausbau. Ausbau – das heißt: Einbau des Bodens und des Motors. Einziehen aller Kabel in die Kabelkanäle. Einbau der kompletten Innenraum-Elektrik wie Beleuchtung, Heizung, Warmwasser. Auch die Navigationselektronik ist dabei. Einbau der Querschots, der Salonmöbel, des Bads, der Pantry. Und der Kojen.


    Eine 40-Fuß-Yacht wird ausgebaut: gut erkennbar sind beide Querschotts. Der senkrechte „Schacht“ in der Bildmitte ist der Niedergang, mit dem bereits fertig eingebauten VOLVO-PENTA-Motor.    

Alle Kabel, Seeventile und natürlich die Holzteile, die die Werft in ihrer eigenen Schreinerei anfertigt, finden hier ihren vorbestimmten Platz. Wie in eine offene Schüssel werden die Teile einzeln an den Rumpf gebracht, hineingehievt und dann sorgfältig eingebaut, bei noch nicht montierter Deckseinheit.


    Der Salon: Gut erkennbar der Eingang in die Toilette. Links davon die bereits montierte Panel der Schiffselektrik. Davor die Pantry mit gelb abgedeckter Spüle. Dahinter der Eingang in die Koje.

Der Innenausbau: ein kompliziertes Gewerk, umfasst es doch Holzbau, Elektrik und Elektronik sowie den Einbau des Motors. Um 12 Meter Schiff mit dem Innenausbau fertigzustellen, ist ein bunt gemischter Haufen an Schreinern, Tischlern, Bootsbauern, Elektrikern und Elektronikern zugange, um dem Traum eines Seglers Gestalt zu geben. Facharbeiter, Angelernte, Lehrlinge, Helfer – sie alle sind Teil der Werft. „Ich kann mich noch genau erinnern“, sagt Günter Ambrosi, der Verkaufsleiter, „wie ich als Lehrling bei Schöchl angefangen hab. Eine Ankerwinsch fürs Heck der 37er PAMINA, die hab ich 1997 als erstes einbauen dürfen. Der Eigner war leidenschaftlicher Mittelmeer-Segler. Und hatte nur einen Arm – deshalb die Heck-Ankerwinsch. Und die PAMINA mit meiner Heck-Ankerwinsch liegt heute immer noch in Porto San Giorgio an der Nordadria.“ Man kennt seine Kunden – und begleitet sie über Jahrzehnte.


    Die Niedergangstreppe einer Yacht, noch unlackiert, in der Schreinerei.

Sämtliche Holzteile stellt die werfteigene Tischlerei selbst her, in der Werft hat sie, ebenso wie die Schlosserei, ein kleines eigenes Reich. Mit allem, was zu einer traditionellen Tischlerei gehört: 


Schraubzwingen hängen an den Wänden. Schrauben, Leimtöpfe, Schleifpapier für die Bandschleifer. Und überall hängen Formstücke – Formstücke für fast alles und jedes einzelne hölzerne Bauteil eines jeden Schiffes, das in der Werft gebaut wird und gebaut wurde. Für die Niedergangstreppe, „die Stiege“ einer 39er, deren Formstück für die Seitenwrange man im Foto unten rechts erkennt.

Die Tischler produzieren hier praktisch alles, was das Boot an Holzteilen benötigt: Von der Pinne bis zur Pantry. Von der Navi-Ecke bis zum Niedergang, vom Schapp bis zum Schuber. Sie sind stolz darauf, dass das Furnier für die gesamten Seitenschapps des Salons aus einem einzigen Stück geschnitten wird. Das über die ganze Salonlänge läuft. Auch die Lackierung aller Holzteile geschieht hier in der Schreinerei, so dass das fertige Holzteil nur durch die Schreinereitüre hinausgerollt wird in den Halle nebenan, dahin, wo die leeren Yachtrümpfe auf Ihr Innenleben warten.

Auch die Beschläge fertigt die Werft selber: Belegklampen. Bug- und Heckkörbe. Seezäune. Sind Deck und Rumpf miteinander verschraubt, kommt die Yacht für zwei Wochen ins Tauchbecken. Man legt das Boot einfach ins Wasser. Und überprüft vor der Auslieferung, ob alle Borddurchlässe sicher sind. Ein simples und einfaches Verfahren. Das aber bösen Ärger beim Kunden vermeiden hilft.

Und wie lange braucht man, um sich ein neues Yachtmodell auszudenken? Manfred Schöchl, zusammen mit seinem Cousin Gerhard Schöchl Eigner der Werft und dort für Technik und Entwicklung zuständig, lächelt: „Das dauert ein bis zwei Jahre. Wir reden einfach darüber, was Kunden gerade suchen. Was dem Kunden bei einer Yacht gerade wichtig ist. Das ändert sich alle paar Jahre.“ Die Kunden seien andere geworden. Früher waren Yachtbesitzer Segler, die mit Pirat oder Opti angefangen hatten und dann langsam auf die Yacht umstiegen. Und sich vergrößerten. „Ganz anders der heutige Kunde: der ist begeisterter Chartersegler. Unser Kunde kommt heute von der Charter. Er weiß genau, was ihm an seiner Charteryacht nicht gefallen hat. Er steigt aufs eigene Schiff um und erwartet, dass alles so zuverlässig funktioniert, wie er das von seinem Auto her kennt. Eine große Herausforderung für Yachtbauer.“ Und noch etwas fällt Manfred Schöchl dazu ein: „Früher wurde beim Kauf einer Yacht viel über Technik im Hinblick auf Sicherheit gesprochen. Wenn ich heute anfange und sage: ‚Wir verwenden für die Kiel-Halterung nur 20er-Kielbolzen…‘, dann kann es schon vorkommen, dass mich ein Kunde unterbricht und sagt: ‚Sülz mich nicht voll. Wenn ich nicht wüsste, dass Ihr gute Yachten baut, wäre ich nicht hier.‘ Sicherheit und Verlässlichkeit einer Yacht werden heute genauso wie beim Auto stillschweigend vorausgesetzt. Darüber wird nicht mehr geredet.“


    Stilleben in der Schreinerei.

50 Männer, die 50 Schiffe im Jahr bauen. Für Männer. Denn immer noch sind Bootskäufer fast ausnahmslos männlich. Die meisten verheiratet. Und beim Bootskauf ist die Ehefrau immer dabei. Aber welche Rolle spielen die Frauen beim Yachtkauf? Manfred Schöchls Antwort verblüfft: „Ohne die Ehefrau verkaufe ich kein Schiff. Sie trifft die Entscheidung mit. Das geht soweit, dass wir wesentliche Teile einer Yacht auf die Frauen hin konzipieren: die Inneneinrichtung, die Funktionen der Pantry, die Kojen. Das muss alles genauso funktionieren, wie man das von seiner modernen Wohnung und vor allem von seiner Küche her kennt. Segeln: Das war früher ‚Camping auf dem Wasser.‘ Mit Bunsenkocher. Heute ist das alles anders. Das Design eines Schiffes, die Segelleistung, die Sicherheit: Die schneidern wir auf den Mann zu. Das gesamte Innendesign von der Matratze bis zur Schlingerleiste am Salontisch: Das machen wir nur für die Frauen. Denn schließlich: Ohne die Frauen würde hier auch in der Werft nix funktionieren.“

                                                                     Weiterlesen bei: Von Schiffen und von Menschen