Kategorie: Mare Più

Durch die südöstliche Ägäis: Von der Türkei nach Kreta. Und: Mein nächstes Buchprojekt.

Eines ist sie ganz bestimmt, die östliche Ägäis: Ein Ort, an dem man allein sein kann.

Schon auf meiner ersten Reise von München nach Antalya im vergangenen Sommer schrieb ich über die Schönheit und Abgelegenheit dieser Landschaft. Amorgos, Levitha, Kynaros: Inseln, die mir in den Wellen so verlassen schienen, dass ich sie durchsegelte mit dem Gefühl, hier nur ein Störenfried zu sein. Es war, als hätten LEVJE und ich einen Garten betreten, der nicht für uns geschaffen war, einen Ort, an dem ich kleines Menschlein und auch jeder andere Mensch einfach nur eine jahrtausende alte Ordnung störte. 

                                                                      Weiterlesen bei: Amorgos. Hier.

Die südöstliche Ägäis: was ist das eigentlich?

In der rechten oberen Ecke der Karte das türkische Festland, von wo ich mit lEVJE vor einer Woche startete. Dann – im Uhrzeigersinn nach links unten: Symi. Rhodos mit den rechts vorgelagerten Inselgruppe von Chalki und Alimia. 
Das langgestreckte Karpathos. 
Amathia. Kasos. 
Und links von dem roten Pfeil, der die Position von LEVJE und mir genau in diesem Augenblick auf dem knapp 40 Seemeilen langen Schlag über das offene Meer markiert: Kreta, mein Ziel, dessen Ostküste ich heute Abend erreichen werde.

Wie eine Kette von Trittsteinen liegen die Inseln der südöstlichen Ägäis aneinander. Und Trittsteine waren und sind sie tatsächlich. Keine Insel ist von der anderen viel weiter als 30 Seemeilen entfernt. Auch mit einem Boot, das langsamer ist als LEVJE, etwa einem dickbauchigen minoischen Frachtsegler, wie sie vor über 3.500 Jahren voller Amphoren, Kupfer und Zinn auf dieser Strecke segelten, ist das genau eine Tagesreise von Insel zu Insel. Auch dies ist ein uralter Handelsweg: Als ich in der Bucht von Seskli, von wo beide Fotos dieses Posts stammen, um LEVJE herum schnorchelte, war der Meeresboden unter LEVJE übersäht von großen Amphorentrümmern. Vermutlich ein ebensolcher dickbauchiger Frachter, vielleicht minoisch, vielleicht 1.500 Jahre jünger und römisch, wer mag das schon sagen, der mit seiner Ladung dort gesunken ist. Nur zwei Küsten auf diesem uralten Handelsweg fehlen in der Karte: die in das Gewebe des Handelsnetzes der Antike unbedingt hinein gehören: Das östliche Ende des Mittelmeers mit Syrien, dem Libanon und Israel, von wo die Phönizier kamen. Und das Land der Ägypter. 

Meine Reise begann auf dem türkischen Festland, nördlich von Rhodos: in Marmaris. Dann hinüber nach Rhodos, in die Hauptstadt, die ganz im Norden liegt. Von dort segelte ich in einem Tagesschlag nach Symi – ich schrieb über die Insel.

                                                                   Weiterlesen bei: Marmaris. Und eine neue Matratze. Hier.                     
                                                                   Weiterlesen bei: Symi. Eine deutsche Geschichte. Hier.

Von Symi ein paar Stunden nach Seskli. Vom unbewohnten Seskli, wo nur ein paar Fischer netzeflickend auf ihren Booten die Abgeschiedenheit mit mir teilten, nach Chalki westlich Rhodos. In einem langen Schlag hinunter ganz in den Süden von Karpathos. Und von Karpathos heute nach Kreta.

Von jedem dieser Orte werde ich in den nächsten Tagen und Wochen berichten. Und wenn alles gut geht: der Wind immer aus der richtigen Richtung weht und der Meltemi wie jetzt gerade in diesem Augenblick LEVJE mit sechseinhalb Knoten übers Meer treibt: wenn ich so fleißig bin, wie ich gerne sein möchte: Dann wird dies ein kleiner Teil meines nächsten Buches werden, das im Herbst erscheinen soll mit dem Titel: DIE VERGESSENEN INSELN.

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Die vergessenen Inseln: Symi. Und eine deutsche Geschichte.

Vom lärmenden Marmaris sind es nur ein paar Stunden mit dem Segelboot zur griechischen Insel Symi. Symi liegt, ähnlich wie alle Inseln an der türkischen Süd- und Westküste, nur zwei, drei Seemeilen vom türkischen Festland entfernt. Und doch erinnert den, der den Hauptort von Symi anläuft, außer ein paar Motoryachten wohlhabender türkischer Unternehmer nichts, aber auch gar nichts daran, dass er sich nur einen Steinwurf weit von der Türkei und von Asien entfernt befindet. Der Euro ist plötzlich wieder Zahlungsmittel und nicht die türkische Lira. Der Supermarkt bietet plötzlich wieder Schinken, Speck und Bratwürste an. Und das Glöcklein des kleinen Klosters oben am Berg ruft mehrmals täglich hektisch und schrill zum Gebet, wo vorher aus Lautsprechern das „Allahu akbar“ des Muezzins erklang.

Symi war Anfang des letzten Jahrhunderts Zentrum der Schwammtaucherei, ein mühsames und oftmals tödliches Geschäft. Die Taucheranzüge waren einfach und schwer, die Luftversorgung über den Kugelhelm mehr schlecht als recht. Und doch lebte der Ort gut davon, auch als die Italiener 1912 in einem Vorgeplänkel zum ersten Weltkrieg der Türkei mir nichts, dir nichts den Krieg erklärten und dem in Agonie liegenden osmanischen Reich einfach die Inseln vor seiner Festlandsküste wegnahm. Auf Symi war ab 1912 Amtsprache Italienisch, wie auch die kleine Stadtansicht oben zeigt.

Als es mit der Schwammtaucherei zu Ende ging, wanderten viele Familien von den Schwammtaucher-Insel aus. Meist nach Amerika, wo sich die Nachfahren der Schwammtaucher bevorzugt in Florida niederließen, in einem Ort namens „Tarpoon Springs“ und dort ihr Glück machten.

Heute lebt Symit mit und von den Touristen. Symi hat so gar nichts gemein mit dem Pauschaltourismus, der sich an der türkischen Küste zwischen Bodrum und Marmaris drängelt. Ein Ort, der nur im Sommer mit der Fähre zu erreichen ist für die wenigen. Symi ist Modell für den gelungenen Wandel: Kleine nette Hotels, edle Bars, nette Schuhgeschäfte. Ein gehobener Individual-Tourismus, klug und mit EU Fördermitteln realisiert, bringt im Sommer Geld an die Kais von Symi. Selbst die Fischer, der wendigste Berufsstand am Meer in dessen jahrtausendealter Geschichte, haben die Zeichen der Zeit begriffen und jagen nicht mehr tumber Dorade oder schlauem Wolfsbrasch nach. Nein: mit ihren Reusen gehen Sie auf Shrimpsfang. Ein einträgliches Geschäft. Der Fischer, zu dessen blauem Kahn ich heute morgen in der Bucht hinüberschwamm und der in der einsamen Bucht im Zelt kampiert, bot mir das Kilo Symi-Shrimps, frisch vom Boot für 25 Euro an. 

Am Morgen gehe ich zum Bäcker. Aber wieder einmal hat Blaise Pascal Recht: „Die Abenteuer beginnen, wenn wir unser Zuhause verlassen“. Denn während ich mich im Gassengewirr am Hafen nach einem Bäcker umsehe, sehe ich plötzlich das da:

Am Straßenrand liegen vier Kanonenrohren aus der Zeit der Türkenkriege, wer weiß, ob von Türken oder Venezianern gegossen. Und dazwischen, blank und schwarz, ein deutsches Geschützrohr aus dem II. Weltkrieg: Das Rohr eines 8,8cm Geschützes, eine schreckliche Waffe, die in der Perfektion ihrer industriellen Fertigung den Krieg unnötig verlängerte und unzählige Leben kostete.

Und während ich den Bäcker Bäcker sein lasse und frisches Brot mir von einem Moment auf den anderen Wurst ist, während ich darüber nachsinne, wie dieses Geschützrohr 2.000 Kilometer von Deutschland entfernt an die türkisch-griechische Grenze kommt, wird mir klar, dass ich vor dem hiesigen Museum stehe. Ein kleines, bunt bemaltes Haus mit steilen Stiegen, dessen Türen noch verschlossen sind. Eine Frau mit ihrem zehnjährigen Sohn kommt plötzlich aus dem Gebäude, es ist ihr Museum, dessen Türen sie für mich öffnen. Und in der Kühle des Museums finde ich an diesem Vormittag zwischen Wehrmachts-Essgeschirr und anderen Utensilien das folgende Foto:

Es zeigt einen untersetzten Mann in Wehrmachts-Uniform, die Hand nachlässig zum Hitler-Gruß erhoben, mit trotziger Miene. Der Mann ist eben von einem Kriegsschiff auf ein feindliches übergestiegen. Er steht vor zwei englischen Offizieren, einem der Royal Navy und einem der Army, die beide mit der selbstbewußten Geste des untersetzten Mannes nichts anzufangen wissen.

Der Mann in der Wehrmachts-Uniform ist Otto Wagener. Und seine Geschichte ist eine deutsche Geschichte, und sie hat mit Symi zu tun. Otto Wagener wird im Dreikaiserjahr 1888 in Durlach bei Karlsruhe geboren und besucht, nicht unüblich für einen Industriellensohn, die Kadettenschule. Die militärische Laufbahn ist vorgezeichnet, im I. Weltkrieg dient Wagener als Kompanieführer in Belgien und Frankreich. Glaubt man Wikipedia, das Wageners Karriere detailliert wiedergibt, dann scheidet Wagener noch vor Kriegsende aus dem Armeedienst aus – „ohne besondere Anerkennnung“ – und engagiert sich nach Kriegsende bei den Freikorps, einem Sammelbecken rechter Gesinnung. Bis in die Mitte der Zwanziger Jahre hinein besucht er Vorlesungen in Sozial- und Wirtschaftsgeschichte in Karlsruhe und Würzburg, wo er an der Universität den Ehrendoktor erhält. Ab 1929 ist Wagener in der SA aktiv und tritt am 1. Oktober 1929 mit der Mitgleidsnummer 152.203 in die NSDAP ein. Rasch steigt Otto Wagener in die Reichsleitung der NSDAP auf. Er ist Wirtschaftsfachmann von Herkunft und Ausbildung, von August bis Dezember 1930 führt er die SA als oberster SA-Führer.

Im April 1933, wenige Monate nach dem Machtantritt Hitlers, übernimmt Wagener das „Wirtschaftspolitische Hauptamt der NSDAP“, er sieht sich bereits als Wirtschaftsminister Hitlers. Doch Wagener überspannt den Bogen – der ehrgeizige Plan platzt. Hermann Göhring weist mithilfe abgehörter Telefonate dem Führer nach, wie Wagener allzu sehr an Strippen zog, um sein Karriereziel zu erreichen. Hämisch notiert Joseph Goebbels Ende Juni 1933 in sein Tagebuch:

„Bei Hitler [gewesen]…Dicke Luft. Wagner [ein Schreibfehler Goebbels‘ ] hat an den Chef [Adolf Hitler] Telegramme geschickt. Will Wirtschaftsminister werden. Chef wütend… Wagners [sic] dummes Gesicht…“

Noch am selben Tag verliert Otto Wagener alle seine Ämter und verschwindet in der Versenkung. Während des Röhm-Putsches wird er interniert und entgeht nur aufgrund eines Versehens der geplanten Erschießung. 1937 bewirbt sich Wagener dann erneut um Aufnahme in die SA. 

Den II. Weltkrieg erlebt Wagener zunächst in untergeordneten Positionen. Im Herbst 1943 wechselte Italien, ehedem Verbündeter Hitler Deutschlands, auf die Seite der Alliierten. Und Otto Wagener, Kommandeur des Sicherungsregiments 111, steigt im April 1944 zum „Oberkommandeur Ägäis Ost“ auf. Auf den seit dem italienisch-türkischen Krieg 1912 von Italien besetzten Inseln werden nun deutsche Truppen stationiert, Italiener als Kriegsgefangene interniert. Otto Wagener schlägt sein Haptquartier in Rhodos auf. Unter seinem Kommando stehen etwa 6.000 Soldaten, verteilt über die Inseln der östlichen Ägäis, darunter auch das „Strafbataillon  999“, dem Heinz Konsalik in seinem Bestseller-Roman aus den 70ern ein Denkmal setzte. Wagener läßt das KZ Kallithea auf Rhodos errichten, sorgt für die Deportation von Juden nach Auschwitz-Birkenau, ordnet Erschießungen italienischer Kriegsgefangener an.

Aufgrund alliierter Bombardements von Rhodos verlegt Otto Wagener in den letzten Kriegswochen sein Hauptquartier von Rhodos nach Symi, in den Hauptort der Insel. Ein großer Teil der Stadt wird nach der Verlegung ebenfalls von Alliierten bombadiert und zerstört. Symi leidet. Am 8. Mai 1945 unterschreibt der untersetzte Mann dort in Symi in einem Haus am Hafen die Kapitulation der deutschen Truppen in der Ost-Ägäis. Und übergibt die Inseln an die Engländer. Zwei Jahre später wird Symi nach jahrhundertelanger Zugehörigkeit zum osmanischen Reich, zu Italien und deutscher Besatzung dann griechisch.

Das Haus, in dem Otto Wagener die Kapitulation unterschrieb, steht heute noch in Symi am Hafen. Es beherbergt im ersten Stock eine Galerie und im Erdgeschoß ein Restaurant. Wo man, wenn man Glück hat, auch Symi-Shrimps essen kann.

Otto Wagener aber starb am 9. August 1971 im oberbayrischen Chieming, am Ostufer des Chiemsees. Allerdings nicht, ohne ein Buch zu hinterlassen: „Hitler aus nächster Nähe. Aufzeichnungen eines Vertrauten 1929-1932“, das posthum 1978 von dem britischen Historiker Henry Ashby Turner bei Ullstein in Berlin herausgegeben wurde.

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Die vergessenen Inseln: Symi. Und eine deutsche Geschichte.

Vom lärmenden Marmaris sind es nur ein paar Stunden mit dem Segelboot zur griechischen Insel Symi. Symi liegt, ähnlich wie alle Inseln an der türkischen Süd- und Westküste, nur zwei, drei Seemeilen vom türkischen Festland entfernt. Und doch erinnert den, der den Hauptort von Symi anläuft, außer ein paar Motoryachten wohlhabender türkischer Unternehmer nichts, aber auch gar nichts daran, dass er sich nur einen Steinwurf weit von der Türkei und von Asien entfernt befindet. Der Euro ist plötzlich wieder Zahlungsmittel und nicht die türkische Lira. Der Supermarkt bietet plötzlich wieder Schinken, Speck und Bratwürste an. Und das Glöcklein des kleinen Klosters oben am Berg ruft mehrmals täglich hektisch und schrill zum Gebet, wo vorher aus Lautsprechern „Allahu ekber“ des Muezzins erklang.

Symi war Anfang des letzten Jahrhunderts Zentrum der Schwammtaucherei, ein mühsames und oftmals tödliches Geschäft. Die Taucheranzüge waren einfach und schwer, die Luftversorgung über den Kugelhelm mehr schlecht als recht. Und doch lebte der Ort gut davon, auch als die Italiener 1912 in einem Vorgeplänkel zum ersten Weltkrieg der Türkei mir nichts, dir nichts den Krieg erklärten und dem in Agonie liegenden osmanischen Reich einfach die Inseln vor seiner Festlandsküste wegnahm. Auf Symi war ab 1912 Amtsprache Italienisch, wie auch die kleine Stadtansicht oben zeigt.

Als es mit der Schwammtaucherei zu Ende ging, wanderten viele Familien von den Schwammtaucher-Insel aus. Meist nach Amerika, wo sich die Nachfahren der Schwammtaucher bevorzugt in Florida niederließen, in einem Ort namens „Tarpoon Springs“ und dort ihr Glück machten.

Heute lebt Symit mit und von den Touristen. Symi hat so gar nichts gemein mit dem Pauschaltourismus, der sich an der türkischen Küste zwischen Bodrum und Marmaris drängelt. Ein Ort, der nur im Sommer mit der Fähre zu erreichen ist für die wenigen. Symi ist Modell für den gelungenen Wandel: Kleine nette Hotels, edle Bars, nette Schuhgeschäfte. Ein gehobener Individual-Tourismus, klug und mit EU Fördermitteln realisiert, bringt im Sommer Geld an die Kais von Symi. Selbst die Fischer, der wendigste Berufsstand am Meer in dessen jahrtausendealter Geschichte, haben die Zeichen der Zeit begriffen und jagen nicht mehr tumber Dorade oder schlauem Wolfsbrasch nach. Nein: mit ihren Reusen gehen Sie auf Shrimpsfang. Ein einträgliches Geschäft. Der Fischer, zu dessen blauem Kahn ich heute morgen in der Bucht hinüberschwamm und der in der einsamen Bucht im Zelt kampiert, bot mir das Kilo Symi-Shrimps, frisch vom Boot, für 25 Euro an. 

Nein, da gehe ich dann lieber am Morgen zum Bäcker. Aber wieder einmal hat Blaise Pascal Recht: „Die Abenteuer beginnen, wenn wir unser Zuhause verlassen“. Denn während ich mich im Gassengweirr am Hafen nach einem Bäcker umsehe, sehe ich plötzlich das da:

Am Straßenrand liegen vier Kanonenrohren aus der Zeit der Türkenkriege, wer weiß, ob von Türken oder Venezianern gegossen. Und dazwischen, blank und schwarz, ein deutsches Geschützrohr aus dem II. Weltkrieg: Das Rohr eines 8,8cm Geschützes, eine schreckliche Waffe, die in der Perfektion ihrer industriellen Fertigung den Krieg unnötig Weise verlängerte und unzählige Leben kostete.

Und während ich den Bäcker Bäcker sein lasse und frisches Brot mir von einem Moment auf den anderen Wurst ist, während ich darüber nachsinne, wie dieses Geschützrohr 2.000 Kilometer von Deutschland entfernt an die türkisch-griechische Grenze kommt, wird mir klar, dass ich vor dem hiesigen Museum stehe. Ein kleines, bunt bemaltes mit steilen Stiegen, dessen Türen noch verschlossen sind. Eine Frau mit ihrem zehnjährigen Sohn kommen plötzlich aus dem Gebäude, es ist ihr Museum, dessen Türen sie für mich öffnen. Und in der Kühle des Museums finde ich an diesem Vormittag zwischen Wehrmachts-Eßgeschirr und anderen Utensilien das folgende Foto:

Es zeigt einen untersetzten Mann in Wehrmachts-Uniform, die Hand nachlässig zum Hitler-Gruß erhoben. Der Mann ist eben von einem Kriegsschiff auf ein feindliches übergestiegen. Er steht vor zwei englischen Offizieren, einem der Royal Navy und einem der Army, die beide mit der selbstbewußten Geste des untersetzten Mannes nichts anzufangen wissen.

Der Mann in der Wehrmachts-Uniform ist Otto Wagener. Und seine Geschichte ist eine deutsche Geschichte, und sie hat mit Symi zu tun. Otto Wagener wurde im Dreikaiserjahr 1988 in Durlach bei Karlsruhe geboren und besuchte, nicht unüblich für einen Industriellensohn, die Kadettenschule. Die militärische Laufbahn war vorgezeichnet, im I. Weltkrieg diente Wagener als Kompanieführer in Belgien und Frankreich. Glaubt man Wikipedia, das Wageners Karriere idetailliert widergibt, dann schied  Wagener noch vor Kriegsende aus dem Armeedienst aus – „ohne besondere Anerkennnung“ – und engagierte sich nach Kriegsende bei den Freikorps, einem Sammelbecken rechter Gesinnung. Bis in die Mitte der Zwanziger Jahre hineinbesucht er Vorlesungen in Sozial- und Wirtschaftsgeschichte in Karlsruhe und Würzburg, wo er an der Universität den Ehrendoktor erhält. Ab 1929 ist Wagener in der SA aktiv und tritt am 1. Oktober 1929 mit der Mitgleidsnummer 152.203 in die NSDAP ein. Rasch steigt Otto Wagener in die Reichsleitung der NSDAP auf. Er ist Wirtschaftsfachmann von Herkunft und Ausbildung, von August bis Dezember 1930 führt er die SA als oberster SA-Führer.

Im April 1933, wenige Monate nach dem Machtantritt Hitlers, übernimmt Wagener das „Wirtschaftspolitische Hauptamt der NSDAP“, er sieht sich bereits als Wirtschaftsminister Hitlers. Doch Wagener überspannt den Bogen – der ehrgeizige Plan platzt. Hermann Göhring weist mithilfe abgehörter Telefonate dem Führer nach, wie Wagener allzu sehr an Strippen zog, um sein Karriereziel zu erreichen. Hämisch notiert Joseph Goebbels Ende Juni 1933 in sein Tagebuch:

„Bei Hitler [gewesen]…Dicke Luft. Wagner [sic!] hat an den Chef [Adolf Hitler] Telegramme geschickt. Will Wirtschaftsminister werden. Chef wütend… Wagners [sic] dummes Gesicht…“

Noch am selben Tag verliert Otto Wagener alle seine Ämter und verschwindet in der Versenkung. Während des Röhm-Putsches wurde er interniert und entging nur aufgrund eines Versehens der geplanten Erschießung. 1937 bewarb sich Wagener dann erneut um Aufnahme in die SA. 

Den II. Weltkrieg erlebte Wagener zunächst in untergeordneten Positionen. Im Herbst 1943 wechselte Italien, ehedem Verbündeter Hitler Deutschlands, auf die Seite der Alliierten. Und Otto Wagener, Kommandeur des Sicherungsregiments 111, stieg im April 1944 zum „Oberkommandeur Ägäis Ost“ auf. Auf den seit dem itaiienisch-türkischen Krieg 1912 von Italien besetzten Inseln wurden nun deutsche Truppen stationiert, Italiener als Kriegsgefangene interniert. Otto Wagener schlug sein Haptquartier in Rhodos auf. Unter seinem Kommando standen etwa 6.000 Soldaten, verteilt über die Inseln der östlichen Ägäis, darunter auch das „Strafbataillon  999“, dem Heinz Konsalik in seinem Bestseller-Roman aus den 70ern ein Denkmal setzte. Wagener ließ das KZ Kallithea auf Rhodos errichten, sorgte für die Deportation von Juden nach Auschwitz-Birkenau, ordnete Erschießungen italienischer Kriegsgefangener an.

Aufgrund allierter Bombardements von Rhodos verlegte Otto Wagener in den letzten Kriegswochen sein Hauptquartier von Rhodos nach Symi, in den Hauptort der Insel. Ein großer Teil der Stadt wurde nach der verlegung ebenfalls von Alliierten bombadiert und zerstört. Symi litt. Am 8. Mai 1945 unterschrieb der untersetzte Mann dort in Symi in einem Haus am Hafen die Kapitulation der deutschen Truppen in der Ost-Ägäis. Und übergab die Inseln den Engländern..

Das Haus, in dem Otto Wagener die Kapitulation unterschrieb, steht heute noch in Symi am Hafen. Es beherbergt im ersten Stock eine Galerie und im Erdgeschoß ein Restaurant. Wo man, wenn man Glück hat, auch Symi-Shrimps essen kann.

Otto Wagener aber starb am 9. August 1971 im oberbayrischen Chieming, am Ostufer des Chiemsees. Allerdings nicht, ohne ein Buch zu hinterlassen: „Hitler aus nächster Nähe. Aufzeichnungen eines Vertrauten 1929-1932“, das posthum 1978 von dem britischen Historiker Henry Ashby Turner bei Ullstein in Berlin herausgegeben wurde.

Der Mensch und seine Sachen: Was ist eigentlich die richtige Matratze für mich? Oder: Vicdan und Halil, Yachtpolsterer inMarmaris.

Schon lange sinne ich einer Frage von einigem Gewicht nach: Was ist eigentlich die richtige Matratze für mich? Wer sich einmal an Land mit dieser Frage ernsthaft beschäftigt hat und mit ihr beim Matratzenhändler seiner Wahl aufschlug, der weiß aus leidvoller Erfahrung zweierlei: Mit zunehmenden Alter von Mensch und Matratze hat diese Frage nicht nur Gewicht. Sie wird buchstäblich drückend. Und mit dem nackten Einsatz von Geld ist sie auch nicht zu lösen.

Zwar besitzt meine LEVJE vom Typ DEHLER 31 hervorragende Matratzen, die meine matratzenkritische Katrin und mich jederzeit begeisterten: aber in den langen Nächten im Winter in südtürkischen Finike war doch nicht zu übersehen: dass ich durch den Schaumstoff hindurch die hölzerne Unterlage spürte. Zeit also, die leidige Matratzenfrage einer Lösung zuzuführen. Und welcher Ort eignet sich dafür besser als das schöne Marmaris?

 

 

Eigentlich ist Marmaris ja eine Stadt mit zwei Gesichtern: Des Nachts die Ausgeburt der Hölle, was den Lärm angeht, der aus der Bar-Street quillt: eine Kakophonie von zusammengerechnet 19 Oktoberfesten, 13 Hard-Rock- und Techno-Konzerten. Ein unqualifizierter Lärmbrei, zusammengerührt aus Technogewummer und orgiastischen Männerschreien, ein ohrenschmerzender Lärmmüll, in dem man noch drei Kilometer entfernt in der kleinen Marina wachliegt und vergeblich nach brauchbaren Trümmern irgendeines Lieblings-Songs stochert. Nichts da. Nur eckelfarbene Lärmschmiere, die außen und innen um meine LEVJE wabert, als wäre selbst LEVJE nichts anderes als eine Lautsprecherbox. Tagsüber aber zeigt Marmaris dem Segler ein ganz anderes, ein freundliches, ja geradezu begeisterndes Gesicht: Die Marina brummt und summt vor lauter Ausbesserungsarbeiten, es geht zu wie in Patrick O’Brian’s JACK AUBREY-Romanen, wenn der Held sich auf die Suche nach neuen Spieren und 12-Pfündern für seine SOPHIE macht. Da reiht sich Ausrüstungsladen an Ausrüstungsladen, blinkende Edelstahlteile lassen mein Herz höher schlagen und supertolle Ankerwinschen im Schaufenster. Neue Spielsachen für LEVJE gäbe es da zuhauf, die Jagdsaison von einem zum anderen Laden ist eröffnet. Und auch ein YANMAR-Händler ist da, der meine Seewasserpumpe für LEVJE um sagenhafte 250 EURO günstiger anbietet als der stets freundliche Händler vom Bodensee, der schlappe 1.050 EURO für das etwa faustgroße Teil von mir will. Marmaris: ein Paradies. Selbst die Türken sagen, dass es keinen Ort gibt, an dem man ein Schiff besser überholen lassen kann und mehr Teile fände als hier in Marmaris. Und mittendrin im Paradies, nur wenige Schritte von dort, wo nachts der Lärmbrei aus den Häusern zum Himmel quillt: treffe ich auf Vicdan und Halil, von Beruf „döseme“: ehrbare Yachtpolsterer.


 
Vicdan und Halil betreiben ihre Yachtpolsterei nun schon seit zehn Jahren. Und als ich mit meinem Kummer unter dem Arm in Form von LEVJEs Matratze vor Ihnen stehe, wissen Sie auch irgendwie gleich, wie es jetzt weitergeht. Vicdan, die fürs Reden und Übersetzen im Betrieb zuständig ist, breitet gleich vor mir aus, was es da an Sachen gibt. LATEX-Matratzen. Schaumstoff-Matratzen. Schaumstoff-Matratzen. Schaumstoff-Matratzen mit extra weichem 3cm-Schaumstoff oben drauf. „Eigentlich“ sagt Vicdan, „sind Matratzen nach zehn Jahren am Ende und sollten ausgetauscht werden. Aber das macht eigentlich niemand.“ Aus ihrem zarten Englisch ragt das deutsche Wort „kaputt“, das sie verwendet, heraus wie ein Fels, vor dem mein  Gewissen ganz kleinlaut steht, weil LEVJE’s Matratzen nun wirklich älter als zehn Jahre sind. Aber der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Und gerade auf dem Boot ist die Methode „lieber alt und wissen was man hat als neu und nur vermeintlich problemlos“ nicht die schlechteste.
 

 

Da ich gerne hart schlafe, entscheide ich mich nach Probeliegen für die Schaumstoff-Matratze. Die ohne Softie-Dingsbums obendrauf. „Männer halt“, wie meine reizende Freundin Susanne ob meiner Begeisterung für Ankerwinschen und derlei seufzend wenige Minuten vorher ausstieß. Wobei ihr Seufzen schon einen wahren Kern hat: Denn das mit dem „Probeliegen“ ist ja schon ein tückisches Ding, und das nicht nur in der Türkei: Ist das, was man eben beim Liegen als „angenehm hart“ empfand, auch heute Nacht kurz nach halb vier immer noch angenehm? Kann ich denn jetzt schon sagen, wo es heute Nacht drücken, zwicken wird? Wo meine Wirbel knacken werden? Nein, Probeliegen ist echt nur ein Placebo. Trotzdem: lieber zu hart als zu weich. 
Also macht sich Halil mit seinem Heißschneider flugs ans Werk, um meine Matratze zuzuschneiden. Es macht Spaß, ihm bei der Arbeit zuzuschauen, und es geht auch verflixt schnell. Als Halil fertig ist, bin ich so verzückt vom Ergebnis: dass ich beschließe, schnell noch in die Marine zurückzufahren und auch Katrin’s Matratze zu erneuern. Rapszaps.
 

 

Und so kam LEVJE an diesem Nachmittag zu zwei neuen Matratzen. Herzhaft freute ich mich auf die Nacht. Aber es kam, wie es kommen musste: Irgendwann wurde es auf LEVJE morgens halb vier. Umhüllt vom zähen Lärmbrei, der aus der Kilometer entfernten Bar Street an der Netsel Marina herüberdrang und mir Ohren, Mund und Nase verklebte, Umsummt von Myriaden von Mücken fühlte sich die Matratze plötzlich – hart an. Sehr hart. Sehr sehr hart. Mit eiskalter Klarheit schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass Katrin nie, nie wieder LEVJE betreten würde, wenn sie auf dieser Matratze schlafen müsste. Also trabte ich schon am frühen Morgen wieder in die Stadt, die zweite Matratze unterm Arm, und betrat mit sorgenvoller Miene Vicdan und Halil’s Laden am Fluß. Aber wie man aus der Literatur weiß: ist einem richtigen Yachtpolsterer kein menschlicher Kummer fremd. Und so fanden die beiden eine Lösung. 
 
Ich aber werde weiter auf meiner neuen Matratze schlafen. Erstens ist ja nicht nur die hart. Ich bin es auch. Und zweitens kündigte die gute Vicdan an: dass meine Matratze ja schon bald, bald weicher werden würde. Nämlich in etwa drei Jahren.
 
Mal sehen, wer nachgibt.
 
Und wer jetzt Appetit auf neue Matratzen bekommen hat: die Firma von Vicdan und Halil heißt AKTIF DÖSEME und ist nur wenige Schritte von der Netsel Marina entfernt: Einfach am MIGROS MARKT den Fluß und über die zweite Brücke nach links aufs andere Ufer. Die beiden sind echt nett und betreiben ihr Geschäft schon über zehn Jahre. Und da sie pro Jahr etwa für 200 Yachten tätig sind, macht das in zehn Jahren ….

 

Der Mensch und seine Sachen: Was ist eigentlich die richtige Matratze für mich? Oder: Vicdan und Halil, Yachtpolsterer inMarmaris.

Schon lange sinne ich einer Frage von einigem Gewicht nach: Was ist eigentlich die richtige Matratze für mich? Wer sich einmal an Land mit dieser Frage ernsthaft beschäftigt hat und mit ihr beim Matratzenhändler seiner Wahl aufschlug, der weiß aus leidvoller Erfahrung zweierlei: Mit zunehmenden Alter von Mensch und Matratze hat diese Frage nicht nur Gewicht. Sie wird buchstäblich drückend. Und mit dem nackten Einsatz von Geld ist sie auch nicht zu lösen.

Zwar besitzt meine LEVJE vom Typ DEHLER 31 hervorragende Matratzen, die meine matratzenkritische Katrin und mich jederzeit begeisterten: aber in den langen Nächten im Winter in südtürkischen Finike war doch nicht zu übersehen: dass ich durch den Schaumstoff hindurch die hölzerne Unterlage spürte. Zeit also, die leidige Matratzenfrage einer Lösung zuzuführen. Und welcher Ort eignet sich dafür besser als das schöne Marmaris?

Eigentlich ist Marmaris ja eine Stadt mit zwei Gesichtern: Des Nachts die Ausgeburt der Hölle, was den Lärm angeht, der aus der Bar-Street quillt: eine Kakophonie von zusammengerechnet 19 Oktoberfesten, 13 Hard-Rock- und Techno-Konzerten. Ein unqualifizierter Lärmbrei, zusammengerührt aus Technogewummer und orgiastischen Männerschreien, ein ohrenschmerzender Lärmmüll, in dem man noch drei Kilometer entfernt in der kleinen Marina wachliegt und vergeblich nach brauchbaren Trümmern irgendeines Lieblings-Songs stochert. Nichts da. Nur eckelfarbene Lärmschmiere, die außen und innen um meine LEVJE wabert, als wäre selbst LEVJE nichts anderes als eine Lautsprecherbox. Tagsüber aber zeigt Marmaris dem Segler ein ganz anderes, ein freundliches, ja geradezu begeisterndes Gesicht: Die Marina brummt und summt vor lauter Ausbesserungsarbeiten, es geht zu wie in Patrick O’Brian’s JACK AUBREY-Romanen, wenn der Held sich auf die Suche nach neuen Spieren und 12-Pfündern für seine SOPHIE macht. Da reiht sich Ausrüstungsladen an Ausrüstungsladen, blinkende Edelstahlteile lassen mein Herz höher schlagen und supertolle Ankerwinschen im Schaufenster. Neue Spielsachen für LEVJE gäbe es da zuhauf, die Jagdsaison von einem zum anderen Laden ist eröffnet. Und auch ein YANMAR-Händler ist da, der meine Seewasserpumpe für LEVJE um sagenhafte 250 EURO günstiger anbietet als der stets freundliche Händler vom Bodensee, der schlappe 1.050 EURO für das etwa faustgroße Teil von mir will. Marmaris: ein Paradies. Selbst die Türken sagen, dass es keinen Ort gibt, an dem man ein Schiff besser überholen lassen kann und mehr Teile fände als hier in Marmaris. Und mittendrin im Paradies, nur wenige Schritte von dort, wo nachts der Lärmbrei aus den Häusern zum Himmel quillt: treffe ich auf Vicdan und Halil, von Beruf „döseme“: ehrbare Yachtpolsterer.



Vicdan und Halil betreiben ihre Yachtpolsterei nun schon seit zehn Jahren. Und als ich mit meinem Kummer unter dem Arm in Form von LEVJEs Matratze vor Ihnen stehe, wissen Sie auch irgendwie gleich, wie es jetzt weitergeht. Vicdan, die fürs Reden und Übersetzen im Betrieb zuständig ist, breitet gleich vor mir aus, was es da an Sachen gibt. LATEX-Matratzen. Schaumstoff-Matratzen. Schaumstoff-Matratzen mit extra weichem 3cm-Schaumstoff oben drauf. „Eigentlich“ sagt Vicdan, „sind Matratzen nach zehn Jahren am Ende und sollten ausgetauscht werden. Aber das macht eigentlich niemand.“ Aus ihrem zarten Englisch ragt das deutsche Wort „kaputt“, das sie verwendet, heraus wie ein Fels, vor dem mein  Gewissen ganz kleinlaut steht, weil LEVJE’s Matratzen nun wirklich älter als zehn Jahre sind. Aber der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Und gerade auf dem Boot ist die Methode „lieber alt und wissen was man hat als neu und nur vermeintlich problemlos“ nicht die schlechteste.

Da ich gerne hart schlafe, entscheide ich mich nach Probeliegen für die Schaumstoff-Matratze. Die ohne Softie-Dingsbums obendrauf. „Männer halt“, wie meine reizende Freundin Susanne ob meiner Begeisterung für Ankerwinschen und derlei seufzend wenige Minuten vorher ausstieß. Wobei ihr Seufzen schon einen wahren Kern hat: Denn das mit dem „Probeliegen“ ist ja schon ein tückisches Ding, und das nicht nur in der Türkei: Ist das, was man eben beim Liegen als „angenehm hart“ empfand, auch heute Nacht kurz nach halb vier immer noch angenehm? Kann ich denn jetzt schon sagen, wo es heute Nacht drücken, zwicken wird? Wo meine Wirbel knacken werden? Nein, Probeliegen ist echt nur ein Placebo. Trotzdem: lieber zu hart als zu weich. 

Also macht sich Halil mit seinem Heißschneider flugs ans Werk, um meine Matratze zuzuschneiden. Es macht Spaß, ihm bei der Arbeit zuzuschauen, und es geht auch verflixt schnell. Als Halil fertig ist, bin ich so verzückt vom Ergebnis: dass ich beschließe, schnell noch in die Marine zurückzufahren und auch Katrin’s Matratze zu erneuern. Rapszaps.

Und so kam LEVJE an diesem Nachmittag zu zwei neuen Matratzen. Herzhaft freute ich mich auf die Nacht. Aber es kam, wie es kommen musste: Irgendwann wurde es auf LEVJE morgens halb vier. Umhüllt vom zähen Lärmbrei, der aus der Kilometer entfernten Bar Street an der Netsel Marina herüberdrang und mir Ohren, Mund und Nase verklebte, Umsummt von Myriaden von Mücken fühlte sich die Matratze plötzlich – hart an. Sehr hart. Sehr sehr hart. Mit eiskalter Klarheit schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass Katrin nie, nie wieder LEVJE betreten würde, wenn sie auf dieser Matratze schlafen müsste. Also trabte ich schon am frühen Morgen wieder in die Stadt, die zweite Matratze unterm Arm, und betrat mit sorgenvoller Miene Vicdan und Halil’s Laden am Fluß. Aber wie man aus der Literatur weiß: ist einem richtigen Yachtpolsterer kein menschlicher Kummer fremd. Und so fanden die beiden eine Lösung. 

Ich aber werde weiter auf meiner neuen Matratze schlafen. Erstens ist ja nicht nur die hart. Ich bin es auch. Und zweitens kündigte die gute Vicdan an: dass meine Matratze ja schon bald, bald weicher werden würde. Nämlich in etwa drei Jahren.

Mal sehen, wer eher nachgibt.

Und wer jetzt Appetit auf neue Matratzen bekommen hat: die Firma von Vicdan und Halil heißt AKTIF DÖSEME und ist nur wenige Schritte von der Netsel Marina entfernt: Einfach am MIGROS MARKT den Fluß und über die zweite Brücke nach links aufs andere Ufer. Oder hier auf  die Website von Vicdan & Halil. Die beiden sind echt nett und betreiben ihr Geschäft schon über zehn Jahre. Und da sie pro Jahr etwa für 200 Yachten tätig sind, macht das in zehn Jahren ….

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Die vergessenen Orte: Termessos. Der Dichter. Und der Tod auf dem Meer.



Natürlich fallen dem, der nach Termessos kommt, diese Zeilen ein. Und bleiben wie ein Ohrwurm, während man durch die Trümmer von Tempeln, Türmen, Toren schreitet:

„My name is Ozymandias, King of Kings.
Look on my works, ye mighty, and despair!“

„Seht, was ich schuf, Ihr Mächtigen, und verzweifelt!“ Der englische Romantiker Percy Bysshe Shelley schrieb dies um 1820 herum, als die tonnenschwere Kolossalstatue von Ramses II. London erreichte. Und zum allerersten Mal der Öffentlichkeit einer Industrienation präsentiert wurde, was vergangene Kulturen wie die Ägypter an Gewaltigem zu schaffen in der Lage waren. Kann es sein, dass es vor unserer Zeit Zivilisationen gab, die noch Perfekteres geschaffen hatten als wir? Von dem doch nur Trümmer blieben?

Wer die lange Bergstraße hinauf vom Meer auf über 1.000 Meter Höhe erklimmt und die Ruinen von Termessos erreicht, ist verblüfft. 

Eine einstmals perfekte Welt liegt da, in ihren Ausmaßen und ihrer Perfektion heute noch erkennbar, ahnbar. Ein Amphittheater liegt da, man blickt von der Höhe hinunter auf Antalya. Fast meint man, die Bewohner von Termessos hätten es hier errichtet, um hinunterspucken zu können auf die Stadt, die Attalos von Pergamon um 200 vor Christus gründete und die heute noch nach ihm heißt. Aber Attalos waren Sie nicht gram, die Termessier, er ist, glaubt man den alten Schriftstellern, einst in den Mauern von Termessos auf ihrer Prachtstraße, dem Königsweg geritten. Was nicht jedem vergönnt war. Alexander der Große zum Beispiel, dem lebenslang nur wenig an Zielerreichung versagt blieb. Der bei Belagerung von Termessos zwei Generäle verloren und danach das Unternehmen abgebrochen haben soll mit der Begründung:  „Ich lasse meine Armee nicht vor einem Adlernest verbluten.“

Termessos widerstand ihm, wie lange Jahrhunderte den Persern, die das Gebiet der heutigen Türkei um 600 vor fast vollständig unterworfen hatten. Termessos war uneinnehmbar: Auf einem Gebirgssattel liegend, ein lange besiedelter Platz. Termessos wurde nicht eben mal so erbaut. Vermutlich dauerte es es über ein Jahrtausend, bis die Stadt aus Stein mitten im Gebirge aussah wie zu ihrer Blütezeit kurz vor und nach Christi Leben. Eine Bergfestung, klug angelegt, gesichert durch Abgründe und Mauern, die heute noch stehen. Wasser, ohne das kein Leben möglich ist, sammelten die Termessier in riesigen Zisternen: Schluchten, Kavernen, die die Baumeister der Termessier oben am Abhang mit Gewölben überdachten. Und die heute noch vorhanden sind.

Termessos. Drei mächtige Schläge mit harter Faust auf einen Tisch. Teller scheppern. Gläser fallen um. Besteck liegt durcheinander. 
Was von Termessos heute noch übrig ist, sieht genaus so aus, als hätte dies stattgefunden: Eine Riesenfaust, die dreingeschlagen hat. Die Gebäude aus fugenlos zusammengesetzten Steinblöcken einknicken, mannshohe Säulen, meterdicke Steinquader einfach durcheinander purzeln ließ wie Bauklötze. Eine blühende Stadt, zerstört in einer handvoll Sekunden. Warum die prächtige Stadt danach aufgegeben, nicht wieder aufgegebaut wurde, ist unklar, ein Rätsel. Lauschen wir einfach weiter Shelley:

„Nothing beside remaines. Round the decay
of that colossal wreck, boundless and bare,
the lone and level sands stretch far away.“

Percy Bysshe Shelley, Dichter, Romantiker, schrieb diesen Zeilen. Er war 30 Jahre alt, als er mit seinem Boot vor dem toskanischen Archipel in einen Sturm geriet. Er starb am 8. Juli 1822 auf diesem Segeltörn vor Viareggio.

Die vergessenen Orte: Termessos. Der Dichter. Und der Tod auf dem Meer.



Natürlich fallen dem, der nach Termessos kommt, diese Zeilen ein. Und bleiben wie ein Ohrwurm, während man durch die Trümmer von Tempeln, Türmen, Toren schreitet:

„My name is Ozymandias, King of Kings.
Look on my works, ye mighty, and despair!“

„Seht, was ich schuf, Ihr Mächtigen, und verzweifelt!“ Der englische Romantiker Percy Bysshe Shelley schrieb dies um 1820 herum, als die tonnenschwere Kolossalstatue von Ramses II. London erreichte. Und zum allerersten Mal der Öffentlichkeit einer Industrienation präsentiert wurde, was vergangene Kulturen wie die Ägypter an Gewaltigem zu schaffen in der Lage waren. Kann es sein, dass es vor unserer Zeit Zivilisationen gab, die noch Perfekteres geschaffen hatten als wir? Von dem doch nur Trümmer blieben?

Wer die lange Bergstraße hinauf vom Meer auf über 1.000 Meter Höhe erklimmt und die Ruinen von Termessos erreicht, ist verblüfft. 

Eine einstmals perfekte Welt liegt da, in ihren Ausmaßen und ihrer Perfektion heute noch erkennbar, ahnbar. Ein Amphittheater liegt da, man blickt von der Höhe hinunter auf Antalya. Fast meint man, die Bewohner von Termessos hätten es hier errichtet, um hinunterspucken zu können auf die Stadt, die Attalos von Pergamon um 200 vor Christus gründete und die heute noch nach ihm heißt. Aber Attalos waren Sie nicht gram, die Termessier, er ist, glaubt man den alten Schriftstellern, einst in den Mauern von Termessos auf ihrer Prachtstraße, dem Königsweg geritten. Was nicht jedem vergönnt war. Alexander der Große zum Beispiel, dem lebenslang nur wenig an Zielerreichung versagt blieb. Der bei Belagerung von Termessos zwei Generäle verloren und danach das Unternehmen abgebrochen haben soll mit der Begründung:  „Ich lasse meine Armee nicht vor einem Adlernest verbluten.“

Termessos widerstand ihm, wie lange Jahrhunderte den Persern, die das Gebiet der heutigen Türkei um 600 vor fast vollständig unterworfen hatten. Termessos war uneinnehmbar: Auf einem Gebirgssattel liegend, ein lange besiedelter Platz. Termessos wurde nicht eben mal so erbaut. Vermutlich dauerte es es über ein Jahrtausend, bis die Stadt aus Stein mitten im Gebirge aussah wie zu ihrer Blütezeit kurz vor und nach Christi Leben. Eine Bergfestung, klug angelegt, gesichert durch Abgründe und Mauern, die heute noch stehen. Wasser, ohne das kein Leben möglich ist, sammelten die Termessier in riesigen Zisternen: Schluchten, Kavernen, die die Baumeister der Termessier oben am Abhang mit Gewölben überdachten. Und die heute noch vorhanden sind.

Termessos. Drei mächtige Schläge mit harter Faust auf einen Tisch. Teller scheppern. Gläser fallen um. Besteck liegt durcheinander. 
Was von Termessos heute noch übrig ist, sieht genaus so aus, als hätte dies stattgefunden: Eine Riesenfaust, die dreingeschlagen hat. Die Gebäude aus fugenlos zusammengesetzten Steinblöcken einknicken, mannshohe Säulen, meterdicke Steinquader einfach durcheinander purzeln ließ wie Bauklötze. Eine blühende Stadt, zerstört in einer handvoll Sekunden. Warum die prächtige Stadt danach aufgegeben, nicht wieder aufgegebaut wurde, ist unklar, ein Rätsel. Lauschen wir einfach weiter Shelley:

„Nothing beside remaines. Round the decay
of that colossal wreck, boundless and bare,
the lone and level sands stretch far away.“

Percy Bysshe Shelley, Dichter, Romantiker, schrieb diesen Zeilen. Er war 30 Jahre alt, als er mit seinem Boot vor dem toskanischen Archipel in einen Sturm geriet. Er starb am 8. Juli 1822 auf diesem Segeltörn vor Viareggio.

Menschen am Meer: Feisal, der Fischausnehmer auf dem Fischmarkt vonFethiye. Oder: Wie man seinen Job mit Würde macht.

Mitten im bunten Lichtermeer des Fischmarkts von Fethiye hat auch Feisal seinen kleinen Fischstand. Eigentlich übersieht man Feisals Stand leicht, denn ganz in der Mitte ist der große Stand, das Rondell, aus dem heraus 20 Fischverkäufer aus 14 Ständen heraus dem Besucher ihre Waren lauthals anbieten, die der Kunde dann ein paar Meter weiter in ein Restaurant seiner Wahl zur Zubereitung trägt – ich schrieb darüber.


Feisal also hätte ich fast übersehen an seinem kleinen Stand. Seine Auslage ist kleiner, und er und sein Helfer sprechen auch die unschlüssigen Käufer nicht an wie die übrigen Fischkäufer. Feisal kann warten. Und im Übrigen: hat Feisal immer etwas zu tun, im Gegensatz zu den Fischverkäufern, die ihr Geld mit guten Worten machen. Und dazwischen auf iPhone oder Zigarettenschachtel kucken.

Feisal ist Fischausnehmer. Den ganzen Abend über bringen ihm die Restaurants die Fische herüber, die die Kunden bei den Fischhändler gekauft haben. Im Minutentakt steht ein Küchenhelfer an Feisals Stand, stellt ihm wortlos eine hellblaue Tupperschüssel hin mit etwas drin, was bloß totes Tier und noch nicht Tafelfreude ist. Wortlos nimmt Feisal die Tupperschüsseln an, mal ist es eine Dorade, mal drei Wolfsbarsche, mal 15 riesige Garnellen. Wortlos weiß Feisal, was zu tun ist: Er nimmt aus, er filettiert, er schneidet in Scheiben, tranchiert, häutet, säubert, zerlegt. Entgrätet, entschuppt. Woher Feisal eigentlich weiß, wann er nur schuppen und ausnehmen, wann er filettieren muss, blieb mir an dem langen Abend, an dem ich ihn beobachtete, ein Rätsel. Worte fallen an seinem Stand wenige. Feisal ist beschäftigt. Vielleicht gibt es ja ein geheimes Signal, die Art und Weise, wie der Fisch in der Tupperschüssel liegt, die Feisal mitteilt, was diesmal zu machen ist. Vielleicht ist es aber auch so: Man kennt sich, Feisal und die Jungs aus den Restaurants.

Feisal ist konzentriert und mit Freude bei der Arbeit. Eigentlich ist es keine schöne Arbeit. Feisal hat die Hände stundenlang in eiskaltem fließenden Wasser. Den glitschenden Fischen die Gedärme aus dem Leib nehmen, ist ebenso wenig jedermanns Sache wie im eisigen Geglitsche kraftvoll mit scharfem Stahl zu hantieren. Doch Feisal macht es mit einer Kunstfertigkeit und Hingabe, die den Betrachter überrascht. Allein das scharfe Messer hält Feisal in gefühlt 22 verschiedenen Positionen in der Hand, je nachdem, ob er ausnimmt, schuppt, entgrätet oder filettiert: je nach Zweck liegt das Messer anders in seiner Hand. Es geht Ritsch-Ratsch, während Feisals Blick langsam über den Markt schweift, die Bewegungen kommen automatisch, er muss gar nicht mehr hinsehen, was er macht, die Bewegungen, in denen das scharfe Messer an der Hand vorbeigeht, sind lange trainiert. All dies erinnert mich an die Kunstfertigkeit, mit der venezianische Gondoliere die Gondola rudern. Es sieht einfach aus, ist aber sehr schwierig.

Hinzu kommt, dass Feisal ja auch gar nicht wie ein Kellner, sondern wie ein König an seinem Stand steht und seine Arbeit verrichtet. Feisal trägt ein teures Hemd, eine geschmackvolle Cordhose und feine, hellbraune Slipper. Was er trägt, ist ein feiner Hinweis darauf, dass alles, was er macht, mit Bewußtsein macht, in jedem Augenblick bewußt tut. Schürze benutzt Feisal keine. Irgend so ein pseudo-praktisches, degradierendes Arbeitshosen-Etwas mit absurd vielen Taschen wäre fehl an ihm. Er hat die Ärmel seines Hemdes einfach aufgekrempelt, sauber und macht seine Arbeit. Und trotzdem: So sehr auch die Schuppen beim raschen Streifen des Messers in hohem Bogen umherfliegen mögen, so sehr auch Wasser und Fisch-Spritzer beim Ausweiden herumfliegen: Keine Schuppe landet auf Feisals Hemd, kein Fleck ist auf Feisals Cordhose, kein Tropfen fällt auf Feisals Slipper. Unverletzt und ohne Narben sind die gepflegten Hände.

Wie lange er das denn schon mache, frage ich Feisal. Über 32 Jahre, sagt er. Eigentlich sei er Fischer gewesen, aber irgendwie hätten sie halt auf dem Fischmarkt einen Fischausnehmer gebraucht, und so sei er halt Cleaner geworden. Als ich Feisal frage, wieviele Fische er denn in seinem Leben schon ausgenommen habe, stutzt er. Das habe er sich nie überlegt. Er weiß auch nicht, wieviele Fische er an einem Abend in der Hand hat, als ich versuche, mit ihm eine kleine Hochrechnung über sein Lebenswerk anzustellen. 16, schätzt er. Aber die habe ich alleine in der letzten halben Sunde schon gezählt. Wie merkwürdig, dass Feisals Können so gar nichts mit Zahlen und Mengengerüsten zu tun hat. Feisal macht einfach bewußt. Jeden Tag. An seinem kleinen Stand auf dem Fischmarkt von Fethiye, vom Nachmittag an, jeden Abend fast bis Mitternacht. Und, wie Feisal schmunzelnd sagt, noch zehn Jahre lang.
Wer also will: der kann Feisal, den Fischausnehmer also noch eine zeitlang beobachten. Auf seinem kleinen, unscheinbaren Fischstand auf dem Fischmarkt von Fethiye.

Menschen am Meer: Feisal, der Fischausnehmer auf dem Fischmarkt vonFethiye. Oder: Wie man seinen Job mit Würde macht.

Mitten im bunten Lichtermeer des Fischmarkts von Fethiye hat auch Feisal seinen kleinen Fischstand. Eigentlich übersieht man Feisals Stand leicht, denn ganz in der Mitte ist der große Stand, das Rondell, aus dem heraus 20 Fischverkäufer aus 14 Ständen heraus dem Besucher ihre Waren lauthals anbieten, die der Kunde dann ein paar Meter weiter in ein Restaurant seiner Wahl zur Zubereitung trägt – ich schrieb darüber.

                                           Weiterlesen bei: Wie der Zackenbarsch doch noch auf den Grill kam. Hier.

Feisal also hätte ich fast übersehen an seinem kleinen Stand. Seine Auslage ist kleiner, und er und sein Helfer sprechen auch die unschlüssigen Käufer nicht an wie die übrigen Fischkäufer. Feisal kann warten. Und im Übrigen: hat Feisal immer etwas zu tun, im Gegensatz zu den Fischverkäufern, die ihr Geld mit guten Worten machen. Und dazwischen auf iPhone oder Zigarettenschachtel kucken.

Feisal ist Fischausnehmer. Den ganzen Abend über bringen ihm die Restaurants die Fische herüber, die die Kunden bei den Fischhändler gekauft haben. Im Minutentakt steht ein Küchenhelfer an Feisals Stand, stellt ihm wortlos eine hellblaue Tupperschüssel hin mit etwas drin, was bloß totes Tier und noch nicht Tafelfreude ist. Wortlos nimmt Feisal die Tupperschüsseln an, mal ist es eine Dorade, mal drei Wolfsbarsche, mal 15 riesige Garnellen. Wortlos weiß Feisal, was zu tun ist: Er nimmt aus, er filettiert, er schneidet in Scheiben, tranchiert, häutet, säubert, zerlegt. Entgrätet, entschuppt. Woher Feisal eigentlich weiß, wann er nur schuppen und ausnehmen, wann er filettieren muss, blieb mir an dem langen Abend, an dem ich ihn beobachtete, ein Rätsel. Worte fallen an seinem Stand wenige. Feisal ist beschäftigt. Vielleicht gibt es ja ein geheimes Signal, die Art und Weise, wie der Fisch in der Tupperschüssel liegt, die Feisal mitteilt, was diesmal zu machen ist. Vielleicht ist es aber auch so: Man kennt sich, Feisal und die Jungs aus den Restaurants.

Feisal ist konzentriert und mit Freude bei der Arbeit. Eigentlich ist es keine schöne Arbeit. Feisal hat die Hände stundenlang in eiskaltem fließenden Wasser. Den glitschenden Fischen die Gedärme aus dem Leib nehmen, ist ebenso wenig jedermanns Sache wie im eisigen Geglitsche kraftvoll mit scharfem Stahl zu hantieren. Doch Feisal macht es mit einer Kunstfertigkeit und Hingabe, die den Betrachter überrascht. Allein das scharfe Messer hält Feisal in gefühlt 22 verschiedenen Positionen in der Hand, je nachdem, ob er ausnimmt, schuppt, entgrätet oder filettiert: je nach Zweck liegt das Messer anders in seiner Hand. Es geht Ritsch-Ratsch, während Feisals Blick langsam über den Markt schweift, die Bewegungen kommen automatisch, er muss gar nicht mehr hinsehen, was er macht, die Bewegungen, in denen das scharfe Messer an der Hand vorbeigeht, sind lange trainiert. All dies erinnert mich an die beiläufig geübte Kunstfertigkeit, mit der venezianische Gondoliere die Gondola rudern. Es sieht einfach aus, ist aber sehr schwierig.

                                                                     Weiterlesen bei: Wie man eine Gondola rudert. Hier.
                                                                     Weiterlesen bei: Beim Meister der Forcòla. Hier.

Hinzu kommt, dass Feisal ja auch gar nicht wie ein Kellner, sondern wie ein König an seinem Stand steht und seine Arbeit verrichtet. Feisal trägt ein teures Hemd, eine geschmackvolle Cordhose und feine, hellbraune Slipper. Was er trägt, ist ein feiner Hinweis darauf, dass alles, was er macht, mit Bewußtsein macht, in jedem Augenblick bewußt tut. Schürze benutzt Feisal keine. Irgend so ein pseudo-praktisches, degradierendes Arbeitshosen-Etwas mit absurd vielen Taschen wäre fehl an ihm. Er hat die Ärmel seines Hemdes einfach aufgekrempelt, sauber und macht seine Arbeit. Und trotzdem: So sehr auch die Schuppen beim raschen Streifen des Messers in hohem Bogen umherfliegen mögen, so sehr auch Wasser und Fisch-Spritzer beim Ausweiden herumfliegen: Keine Schuppe landet auf Feisals Hemd, kein Fleck ist auf Feisals Cordhose, kein Tropfen fällt auf Feisals Slipper. Unverletzt und ohne Narben sind die gepflegten Hände.

Wie lange er das denn schon mache, frage ich Feisal. Über 32 Jahre, sagt er. Eigentlich sei er Fischer gewesen, aber irgendwie hätten sie halt auf dem Fischmarkt einen Fischausnehmer gebraucht, und so sei er halt Cleaner geworden. Als ich Feisal frage, wieviele Fische er denn in seinem Leben schon ausgenommen habe, stutzt er. Das habe er sich nie überlegt. Er weiß auch nicht, wieviele Fische er an einem Abend in der Hand hat, als ich versuche, mit ihm eine kleine Hochrechnung über sein Lebenswerk anzustellen. 16, schätzt er. Aber die habe ich alleine in der letzten halben Sunde schon gezählt. Wie merkwürdig, dass Feisals Können so gar nichts mit Zahlen und Mengengerüsten zu tun hat. Feisal macht einfach bewußt. Jeden Tag. An seinem kleinen Stand auf dem Fischmarkt von Fethiye, vom Nachmittag an, jeden Abend fast bis Mitternacht. Und, wie Feisal schmunzelnd sagt, noch zehn Jahre lang. 
Wer also will: der kann Feisal, den Fischausnehmer also noch eine zeitlang beobachten. Auf seinem kleinen, unscheinbaren Fischstand auf dem Fischmarkt von Fethiye.

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Lust statt Last: Der Weg zurück vom Boot zum Flugplatz. Oder: DieGeschichte von Dolmus und Otogar.

Meist ist der Weg zurück nach dem Törn kein fröhlicher. Lag auf dem Hinweg noch alles Schöne in froher Erwartung vor einem, geht jetzt der Weg zurück. Die Aussichten, in den engen Flieger gepfercht zu werden und am Montag wieder am Schreibtisch zu sitzen, tun ein übriges. Aber statt in ein Taxi zu steigen, was in der Türkei stets teures Vergnügen ist, das sich die normale Bevölkerung niemals leistet, kann man ja mal das Alltagsgefährt von Otto-Normal-Türkin und -Türke besteigen: den Kleinbus, den sie liebevoll „Dolmus“ nennen (gesprochen: Dolmusch). Und das ist allemal ein günstiges Vergnügen mitten drin im Leben: Kostet die fünfminütige Fahrt mit dem Taxi hinein nach Marmaris etwa 22 Lira (umgerechnet 7 Euro), besteigt man den Dolmus für denselben Weg nur für 2 Lira – 65 Cent. Aber etwas Zeit muss man schon mitbringen, für den Dolmus.

                                                              Weiterlesen bei: Wie sieht eigentlich so ein Dolmus aus? Hier.

Meine Reise beginnt dort, wo nachts die Dolmuse schlafen: Im Otogar, dem Busbahnhof. Ein Otogar ist – wie unser deutscher Bahnhof und unsere Raststätten – ein Ort, an dem man viel über eine Gesellschaft lernen und erfahren kann. Wie verhält sich eine Gesellschaft? Wie organisiert sie sich und ihr „unterwegs-sein“, das Lust und Broterwerb gleichermaßen dient? Ist eine Gesellschaft mit sich selbst beschäftigt? Oder hilfsbereit? Nach welchen Regeln kommt man vorwärts?

Nehmen wir mal einen x-beliebigen deutschen Großstadtbahnhof. Den von Köln. Oder Hannover. Oder von München. Das ist gleich, denn wesentlich unterscheiden tun sie sich, außer dass in Hannover ein Ernst-August davor steht, in Köln ein Dom und in München ein HERTIE, nicht sonderlich. Zwei Dinge fallen sofort ins Auge: Hektik ist angesagt. Menschen, die schnellen Schritts von A nach B eilen, nach geheimem Plan und Marschbefehl wie Ameisen eines Waldameisen-Baus. Ein organisiertes Durcheinander, ein Vorbeihasten, vor Schnelligkeit den eigenen Weg berechnen, gebremst nur, wenn man sich verrechnet hat und in einen zur gleichen Seite ausweichenden Entgegenkommer rennt. Ein rasches „Time is money“, in dem Verweilen schon gar nicht angesagt ist, in dem das „ich muss aber doch heute noch…“ unseres Alltags über den Perons regiert. Das zweite, was auffällt: Ausschließlich system-gastronomisch organisierte Ess-Meilen, die den Reisenden auf seiner Hatz durch bundesrepublikanische Bahnhofszentren begleiten. Systemgastronomie von BACKWERK bis BURGER KING, von GOSCH bis HUSSEL, von McDONALDS bis NORDSEE. Alles, alles folgt den Gesetzen der Effizienz. Effizienz ist unser aller Kundenwunsch, das geht bei ALDI los und reicht bis „Bahnhof“. In der Diktiertheit unseres Lebens kommt der Zauber des Reisens und Verreisens unter die Räder.

Leichter hat man es da, ist man einmal außerhalb von Raum und Zeit, wie im Urlaub. Zum Beispiel in einem türkischen Otogar. Das Wort allein ist in der an Pragmatismus reichen türkischen Sprache schon ein Witz. Eine Kreuzung aus „Auto“ und „La Gare“. Nicht genug damit: jedes Dorf hat seinen Otogar. Eisenbahn gibt es hier in der Südtürkei nicht. Das Land ist überzogen von einem feinmaschigen Netz von Buslinien: Die kleinen Busse, die man hier „Dolmus“ nennt und „Dolmusch“ ausspricht. Mit denen man für zwei Lira, umgerechnet 66 Cent, aus den Vorstädten hineinrollt. Den mittelgroßen Bussen, die im Stundentakt zwischen den Städten hin hund herpendeln und in denen die dreistündige Reise von Fethiye nach Marmaris 28 Lira kostet, etwas mehr als neun Euro. Sie alle treffen sich im Otogar. 

Männer stehen dort in geschäftigen Grüppchen herum, palavern. Der Himmel weiß, worüber. Ein Mann, der auf altem Roller am Straßenrand Frau und Kind abliefern, für die Fahrt in die große Stadt, eine junge Mutter mit ihrer kleinen Tochter. Großmütter, die am Straßenrand stehen, mit großen Packen. Die Türkei ist ein Land, in dem gerne viel transportiert wird, werktags und feiertags, irgendwer steht immer am Straßenrand, irgendwer hat immer einen Ballen geschultert, um ihn von links nach rechts oder rechts nach links zu transportieren, Ameisen, doch statt mit effizienz-getrimmten Räderkoffern mit Ballen, Packen, Packeten bepackt. Aber anders als die Waldameisen bei uns daheim stehen die Menschen hier. Und warten. Ich habe aber noch nicht herausbekommen, worauf. Irgendwer – ob alt, ob jung – steht immer mitten im gottvrlassenen „nowhere“ am Straßenrand. Und wartet auf irgendwas.

Blickt man auf weitere Unterschiede, wird man schnell fündig. Der Otogar ist, dank südlichen Klimas, immer unter freiem Himmel. Im wesentlichen ist der Otogar eine Männerwelt, ein kleines bisschen getragen wie in Italien von der Männer-Bündelei untereinander. Ein Beispiel: Aushängende Fahrpläne gibt es nicht. Wer irgendwo in will: der fragt einfach einen Mann, der meist im weißen Hemd und schwarzer Hose vor einem Dolmus steht. Als ich neulich herumirrte auf der Suche nach einer passenden Verbindung schwankend zwischen Bus, Leihwagen und sonstwas für die sechsstündige Reise von Marmaris nach Antalya, traf ich im Otogar auf Mehmet. Als ich ihn – ratlos, wie denn das lange Stück am besten zu bewältigen sei, genervt von räuberischen Taxifahrern – als ich Mehmet also entnervt im Gewühl des Otogars von Marmaris ansprach, wie ich denn am besten mein Wegstück zurücklege, lautete seine lapidare Antwort aus dem Stegreif und ohne irgendwo nachzublättern:

„8.15 tomorrow to Fethiye. 
10.30 from there 3 hours to Antalya. 
Half an hour Taxi to Havalimane.“ 

Das saß. Ein bisschen Mut gehört allerdings dann schon dazu, sich dem Wort eines Weißhemds wie Mehmet anzuvertrauen und vielleicht den mühsam ergatterten Flieger zu versäumen. Aber dies lernte ich schnell in der Türkei: Ein Wort ist ein Wort. Und so ließ ich also Leihwagen und Taxi getrost sein. Und begab mich mit geschultertem Seesack zum Otogar. Kaufe von irgendjemand im weißen Hemd, der vor einem Dolmus steht und ein Bündel mit Banknoten in der Hand hält, mein Ticket. Denn Schalter gibt es auch nicht. Dafür aber Männer im weißen Hemd. 

Der Bus fuhr pünktlich ab. Aber just, als wir in den Otogar von Fethiye einrollen, passiert uns ein Bus mit der Aufschrift „Antalya“. „Mist. Der ist weg. Mein Flieger? Winke, winke???“ Fragezeichen purzeln reißenden Bächen gleich durch meinen Kopf. Aber kaum bin ich meinem Bus entstiegen, steht ungefragt ein Mann in weißem Hemd vor mir: „Antalya?“ fragt er. Ich bejahe. „Come“, sagte er, „bus leaving.“ Ungefragt schreitet er voran, wieder einmal ist hier in der Türkei mein Vertrauen ins Leben gefragt. Der Mann verläßt den Busbahnhof, geht schnellen Schrittes um den Häuserblock, ich hasste ihm nach mit geschultertem Seesack, hinterher, einmal ums Karree. Auf die Hauptstraße. Dort ist eine Ampel. Die steht auf Rot. Davor steht gerade der Bus nach Antalya. 
Der Fahrer steigt aus, nimmt meinen Seesack. Öffnet die Tür. Ungefragt. Und schon bin ich drin.

Noch einen Unterschied gibt es, der mich in den Ländern des Mittelmeers und auch hier in der Türkei fasziniert: Handy-Netz und Internet funktionieren. Lückenlos. Auf vielen Fahrten mit Dolmus und Bus quer durch die südliche Türkei war dies immer ein großes Erlebnis, vom kleinen Bus aus überall im Internet sein und arbeiten zu können. Ein echtes Aha-Erlebnis für den, der mit dem ICE von München nach Hannover reist. Denn kaum hat dies Wunderwerk der Technik den Münchner Hauptbahn verlassen: Schon ists vorbei mit Netz – für Stunden. Sind wir wirklich so effizient, wie wir uns gebärden?

Auch im türkischen Dolmus trifft sich „tout-le-monde“, Hauptsache mit Ballen und Säcken bepackt. Und während ich diesen kleinen Post schreibe, interessiert sich ein kleiner Junge auf dem Nachbarsitz neben mir, er barfuß wie sein Vater, für das, was ich da treibe. Und weil er mir so interessiert bei der Arbeit auf dem iPAD zusieht, stelle ich mein iPAD mal ganz schnell um und zeige ihm darauf sein Spiegelbild: Was Vater und Sohn höchlich amüsiert und die übrigen Angehörigen der Fahrgemeinschaft im Dolmus erst mal mit verhaltener Begeisterung betrachten. Das Leben ist einfach, der Kleine hat Freude mit seinem Spiegelbild, erklärt es seinem Vater. Er ist noch frei von sehnenden Gedanken an HALO 3 und WORLD-OF-WARCRAFT. Scheinbar. Denn er und sein Vater und das kleine behinderte Mädchen, das mit den beiden reist, sind Syrer. Drei von 1,7 Millionen, die die Türkei seit Ausbruch des Krieges aufgenommen hat. Wie bitte? Das wäre ja fast so: als würden die 80 Millionen Einwohner Deutschlands mal eben die Bevölkerung Sloweniens bei sich aufnehmen?

Vater und Sohn sprechen kein Englisch, kein Türkisch, irren auf wer-weiß welchen Wegen durch die Türkei. Kurz vor Antalya bittet mich der Vater um einen Stift. Auf einem kleinen Zettel kritzelt er Ziffern, eine Telefonnummer. Ich verstehe nicht, was er von mir möchte. Aber dann begreife ich: ich möge doch diese Nummer für ihn anrufen. Ich wähle die Nummer, gebe ihm das Handy, er telefoniert, reicht es quer durch Bus zum Fahrer, damit der mit der Person am anderen Ende der Leitung spricht. Offensicht weiß der Familienvater nicht, wo er jetzt mit den Kindern in Antalya hin soll. Aber das ist schnell geklärt. Am Otogar von Antalya, groß, überdacht, modern, trennen sich die Wege. Es ist so schrecklich wenig, was ich für die drei tun kann.

Und so widme ich diesen Post, während in Deutschland die Bahn nicht funktioniert, weil ein paar wenige Leute wegen nicht verstehbaren „wer-darf-wen-vertreten“-Hickhacks streiken, dem türkischen Dolmus und den Menschen, die mit ihm reisen. Ich schrieb diesen Post während dreistündiger Fahrt von Fethiye nach Antalya, durch mongolische Steppen, entlang an schneebedeckten Dreitausendern und antiken Hügelfestungen. Vorbei an Pappelhainen und menschenleerer Ödnis. Dem türkischen Bussystem, das sich – wiewohl auf den ersten Blick etwas rückständig – doch als ausgesprochen „effizient“ erweist: was Zuverlässigkeit und Internet und Arbeiten von unterwegs angeht. Und: den Blick aufs wirkliche Leben.

                                       Weiterlesen über: Segeln in der Türkei. Hier. 

                                       Weiterlesen über: Die vergessenen Inseln. Hier.

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Lust statt Last: Der Weg zurück vom Boot zum Flugplatz. Oder: Die Geschichte von Dolmus und Otogar.

Meist ist der Weg zurück nach dem Törn kein fröhlicher. Lag auf dem Hinweg noch alles Schöne in froher Erwartung vor einem, geht jetzt der Weg zurück. Die Aussichten, in den engen Flieger gepfercht zu werden und am Montag am noch engeren Schreibtisch zu sitzen, tun ein übriges. Aber statt in ein Taxi zu steigen, was in der Türkei stets teures Vergnügen ist, das sich die normale Bevölkerung niemals leistet, kann man ja mal das Alltagsgefährt von Otto-Normal-Türkin und -Türke besteigen: den Kleinbus, den man dort liebevoll „Dolmus“ nennt (gesprochen: Dolmusch). Und das ist allemal ein günstiges Vergnügen mitten drin im Leben: Kostet die fünfminütige Fahrt mit dem Taxi hinein nach Marmaris etwa 22 Lira (umgerechnet 7 Euro), besteigt man den Dolmus für denselben Weg nur für 2 Lira – 65 Cent. Aber etwas Zeit muss man schon mitbringen, für den Dolmus.

                                                              Weiterlesen bei: Wie sieht eigentlich so ein Dolmus aus? Hier.

Meine Reise beginnt dort, wo nachts die Dolmuse schlafen: Im Otogar, dem Busbahnhof. Ein Otogar ist – wie unser deutscher Bahnhof und unsere Raststätten – ein Ort, an dem man viel über eine Gesellschaft lernen und erfahren kann. Wie verhält sich eine Gesellschaft? Wie organisiert sie sich und ihr „unterwegs-sein“, das Lust und Broterwerb gleichermaßen dient? Ist eine Gesellschaft mit sich selbst beschäftigt? Oder hilfsbereit? Nach welchen Regeln kommt man vorwärts?

Nehmen wir mal einen x-beliebigen deutschen Großstadtbahnhof. Den von Köln. Oder Hannover. Oder von München. Das ist gleich, denn wesentlich unterscheiden tun sie sich, außer dass in Hannover ein Ernst-August davor steht, in Köln ein Dom und in München ein HERTIE, nicht sonderlich. Zwei Dinge fallen sofort ins Auge: Hektik ist angesagt. Menschen, die schnellen Schritts von A nach B eilen, nach geheimem Plan und Marschbefehl wie Ameisen eines Waldameisen-Baus. Ein organisiertes Durcheinander, ein Vorbeihasten, ein vor Schnelligkeit den eigenen Weg berechnen, gebremst nur, wenn man sich verrechnet hat und in einen zur gleichen Seite ausweichenden Entgegenkommer rennt. Ein rasches „Time is money“, in dem Verweilen schon gar nicht angesagt ist, in dem das „ich muss aber doch heute noch…“ unseres Alltags über den Perons regiert.

Das zweite, was auffällt: Ausschließlich systemgastronomisch organisierte Ess-Meilen, die den Reisenden auf seiner Hatz durch bundesrepublikanische Bahnhofszentren begleiten. Systemgastronomie von BACKWERK bis BURGER KING, von GOSCH bis HUSSEL, von McDONALDS bis DUNKIN‘ DONUTS. Alles, alles folgt den Gesetzen der Effizienz. Effizienz ist unser aller Kundenwunsch, das geht bei ALDI los und reicht bis „Bahnhof“. In der Diktiertheit unseres Lebens kommt der Zauber des Reisens und Verreisens unter die Räder.

Leichter hat man es da, ist man einmal außerhalb von Raum und Zeit, wie im Urlaub. Zum Beispiel in einem türkischen Otogar. Das Wort allein ist in der an Pragmatismus reichen türkischen Sprache schon ein Witz. Eine Kreuzung aus „Auto“ und „La Gare“. Nicht genug damit: jedes Dorf hat seinen Otogar. Eisenbahn gibt es hier in der Südtürkei nicht. Das Land ist überzogen von einem feinmaschigen Netz von Buslinien: Die kleinen Busse, mit denen man für zwei Lira, umgerechnet 66 Cent, aus den Vorstädten hineinrollt. Den mittelgroßen Bussen, die im Stundentakt zwischen den Städten hin hund herpendeln und in denen die dreistündige Reise von Fethiye nach Marmaris 28 Lira kostet, etwas mehr als neun Euro. Sie alle treffen sich im Otogar. 

Männer stehen dort in geschäftigen Grüppchen herum, palavern. Der Himmel weiß, worüber. Ein Mann, der auf altem Roller am Straßenrand Frau und Kind abliefert, für die Fahrt in die große Stadt, eine junge Mutter mit ihrer kleinen Tochter. Großmütter, die am Straßenrand stehen, mit großen Packen. Die Türkei ist ein Land, in dem gerne viel transportiert wird, werktags und feiertags, irgendwer steht immer am Straßenrand, irgendwer hat immer einen Ballen geschultert, um ihn von links nach rechts oder rechts nach links zu transportieren, Ameisen, doch statt mit effizienz-getrimmten Räderkoffern mit Ballen, Packen, Packeten bepackt. Aber anders als die Waldameisen bei uns daheim stehen die Menschen hier. Und warten. Ich habe aber noch nicht herausbekommen, worauf. Irgendwer – ob alt, ob jung – steht immer mitten im gottvrlassenen „nowhere“ am Straßenrand. Und wartet auf irgendwas.

Blickt man auf weitere Unterschiede, wird man schnell fündig. Ein Otogar ist, dank südlichen Klimas, immer unter freiem Himmel. Im wesentlichen ist ein Otogar eine Männerwelt, ein kleines bisschen getragen wie in Italien von der Männer-Bündelei untereinander. Ein Beispiel: Aushängende Fahrpläne gibt es nicht. Wer irgendwo in will: der fragt einfach einen Mann, der meist im weißen Hemd und schwarzer Hose vor einem Dolmus steht. Als ich neulich herumirrte auf der Suche nach einer passenden Verbindung schwankend zwischen Bus, Leihwagen und sonstwas für die sechsstündige Reise von Marmaris nach Antalya, traf ich im Otogar auf Mehmet. Als ich ihn – ratlos, wie denn das lange Stück am besten zu bewältigen sei, genervt von räuberischen Taxifahrern – als ich Mehmet also entnervt im Gewühl des Otogars von Marmaris ansprach, wie ich denn am besten mein Wegstück zurücklege, lautete seine lapidare Antwort aus dem Stegreif und ohne irgendwo nachzublättern:

„8.15 tomorrow to Fethiye. 
10.30 from there 3 hours to Antalya. 
Half an hour Taxi to Havalimane.“ 

Das saß. Ein bisschen Mut gehört allerdings dann schon dazu, sich dem Wort eines Weißhemds wie Mehmet anzuvertrauen und vielleicht den mühsam ergatterten Flieger zu versäumen. Aber dies lernte ich schnell in der Türkei: Ein Wort ist ein Wort. Und so ließ ich also Leihwagen und Taxi getrost sein. Und begab mich mit geschultertem Seesack zum Otogar. Kaufe von irgendjemand im weißen Hemd, der vor einem Dolmus steht und ein Bündel mit Banknoten in der Hand hält, mein Ticket. Denn Schalter gibt es auch nicht. Dafür aber Männer im weißen Hemd. 

Der Bus fuhr pünktlich ab. Aber just, als wir in den Otogar von Fethiye einrollen, passiert uns ein Bus mit der Aufschrift „Antalya“. „Mist. Der ist weg. Mein Flieger? Winke, winke???“ Fragezeichen purzeln reißenden Bächen gleich durch meinen Kopf. Aber kaum bin ich meinem Bus entstiegen, steht ungefragt ein Mann in weißem Hemd vor mir: „Antalya?“ fragt er. Ich bejahe. „Come“, sagte er, „bus leaving.“ Ungefragt schreitet er voran, wieder einmal ist hier in der Türkei mein Vertrauen ins Leben gefragt. Der Mann verläßt den Busbahnhof, geht schnellen Schrittes um den Häuserblock, ich hasste ihm nach mit geschultertem Seesack, hinterher, einmal ums Karree. Auf die Hauptstraße. Dort ist eine Ampel. Die steht auf Rot. Davor steht gerade der Bus nach Antalya. 
Der Fahrer steigt aus, nimmt meinen Seesack. Öffnet die Tür. Ungefragt. Und schon bin ich drin.

Noch einen Unterschied gibt es, der mich in den Ländern des Mittelmeers und auch hier in der Türkei fasziniert: Handy-Netz und Internet funktionieren. Lückenlos. Auf vielen Fahrten mit Dolmus und Bus quer durch die südliche Türkei war dies immer ein großes Erlebnis, vom kleinen Bus aus überall im Internet sein und arbeiten zu können. Ein echtes Aha-Erlebnis für den, der mit dem ICE von München nach Hannover reist. Denn kaum hat dies Wunderwerk der Technik den Münchner Hauptbahnhof verlassen: Schon ists vorbei mit Netz – für Stunden. Sind wir wirklich so effizient, wie wir uns gebärden?

Auch im türkischen Dolmus trifft sich „tout-le-monde“, Hauptsache mit Ballen und Säcken bepackt. Und während ich diesen kleinen Post schreibe, interessiert sich ein kleiner Junge auf dem Nachbarsitz neben mir, er barfuß wie sein Vater, für das, was ich da treibe. Und weil er mir so interessiert bei der Arbeit auf dem iPAD zusieht, stelle ich mein iPAD mal ganz schnell um und zeige ihm darauf sein Spiegelbild: Was Vater und Sohn höchlich amüsiert und die übrigen Angehörigen der Fahrgemeinschaft im Dolmus erst mal mit verhaltener Begeisterung betrachten. Das Leben ist einfach, der Kleine hat Freude mit seinem Spiegelbild, erklärt es seinem Vater. Er ist noch frei von sehnenden Gedanken an HALO 3 und WORLD-OF-WARCRAFT. Scheinbar. Denn er und sein Vater und das kleine behinderte Mädchen, das mit den beiden reist, sind Syrer. Drei von 1,7 Millionen, die die Türkei seit Ausbruch des Krieges aufgenommen hat. Wie bitte? Das wäre ja fast so: als würden die 80 Millionen Einwohner Deutschlands mal eben die Bevölkerung Sloweniens bei sich aufnehmen?

Vater und Sohn sprechen kein Englisch, kein Türkisch, irren auf wer-weiß welchen Wegen durch die Türkei. Kurz vor Antalya bittet mich der Vater um einen Stift. Auf einem kleinen Zettel kritzelt er Ziffern, eine Telefonnummer. Ich verstehe nicht, was er von mir möchte. Aber dann begreife ich: ich möge doch diese Nummer für ihn anrufen. Ich wähle die Nummer, gebe ihm das Handy, er telefoniert, reicht es quer durch Bus zum Fahrer, damit der mit der Person am anderen Ende der Leitung spricht. Offensicht weiß der Familienvater nicht, wo er jetzt mit den Kindern in Antalya hin soll. Aber das ist schnell geklärt. Am Otogar von Antalya, groß, überdacht, modern, trennen sich die Wege. Es ist so schrecklich wenig, was ich für die drei tun kann.

Und so widme ich diesen Post, während in Deutschland die Bahn nicht funktioniert, dem türkischen Dolmus und den Menschen, die mit ihm reisen. Ich schrieb diesen Post während dreistündiger Fahrt von Fethiye nach Antalya, durch mongolische Steppen, entlang an schneebedeckten Dreitausendern und antiken Hügelfestungen. Vorbei an Pappelhainen und menschenleerer Ödnis. Dem türkischen Bussystem, das sich – wiewohl auf den ersten Blick etwas rückständig – doch als ausgesprochen „effizient“ erweist: was Zuverlässigkeit und Internet und Arbeiten von unterwegs angeht. Und: den Blick aufs wirkliche Leben.

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Bewohner des Meeres: Was aus dem Zackenbarsch und einem verhindertenDinner auf LEVJE entstand.

Im vorigen Post erzählte ich die Geschichte dreier Menschen. Und eines Zackenbarsches, der eigentlich unser Abendmenü werden sollte. Aber weil abrupt das Gas aus war, kaum dass der Zackenbarsch das Licht des Herdes von innen erblickt hatte, fiel das fulminante Menü ins Wasser.

Was also tun mit einem Zackenbarsch, der den Bauch voller Knoblauch und feiner Kräuter hat und kaum erwärmt auf einem Karoffelbett und Wurzelgemüse herumlieg? Ihn aufgeben? Kam gar nicht infrage. Dafür ist der „orfoz“, wie ihn die Türken nennen, zu sehr echte Delikatesse in der Türkei. Aber: wir hatten schnell einen Plan, wie wir doch noch zu unserem Zackenbarsch kommen würden: morgen, und ganz ohne Gas.

Also packten wir den prächtigen Kerl erstmal weg. „Sott’olio“, wie die Italiener sagen, unter eine Menge Olivenöl, und mit den Kräutern, wie er war. Und während wir ihn so betrachteten, den herrlichen Fisch, und in den Kühlschrank schoben: erzählte er uns etwas über sein Leben.

Man erkennt ihn an seinem großen vorstehenden Unterkiefer und dem langen Kamm an Rückenstacheln. Auffällig ist auch seine braunrote Farbe. Und die Flecken. Irgendwie erinnert er an einen Karpfen. Groß wird er, über einen Meter lang. In den Meeren um Florida wird er sogar über zwei Meter. Und alt. Sein Leben lebt er als Einzelgänger, sucht sich irgendwo am Riff eine Höhle. Da lebt er dann, mit anderen Zackenbarschen, wie ein zurückgezogener Rentner in seiner Wohnanlage. Für sich. Aber in Blickweite der anderen. Und da, in seiner Riffhöhle wartet auf Beute: Meist kleinere Fische oder Krebschen, die er mit blitzschnellem Vorstoß aus seiner Höhle packt und mit rascher Öffnung des riesigen Mauls in sich saugt. Zackenbarsche sind, obwohl sie mehr Ähnlichkeit mit Karpfen haben, erstaunlich gute Jäger. Sie sind, wie manche Menschen, die ich kenne, echt „faule Socken“: das lange Verfolgen der Beute ist ihre Sache nicht. Das blitzschnelle Zustoßen und dann wieder träge in der Behausung verharren: dies schon.

Der Zackenbarsch sieht immer etwas übellaunig, wo nicht gar beleidigt aus. Das liegt an seinem langen, markanten Unterkiefer. Aber warum und worüber er schlechter Laune oder gar beleidigt ist: darüber schweigt er sich aus, der Zackenbarsch. Vielleicht liegt es daran, dass er in der Türkei wie auch anderswo im vergangenen Jahrzehnt zuviel gejagt wurde. Mit dem Netz kommt man ihm nicht bei. Nur mit der Angel oder schlimmer: mit der Harpune. Und so beschloß der Zackenbarsch, der eigentlich sehr standorttreu ist und immer in seiner Wohnanlage lebt: dass es Zeit sei für Veränderung. Und deshalb hat er sich in den letzten Jahren einfach – zurückgezogen. In viel größere Tiefen. Feisal, der Fischausnehmer auf dem Fischmarkt von Fethiye – über ihn werde ich in meinem nächsten Beitrag schreiben – erzählt mir, dass die Fischer jetzt an den Zackenbarsch in Tiefen von 200, 300 Metern und mehr herankommen. An den Steilküsten der Türkei keine Seltenheit.
 
Und dies macht ihn dann auch so teuer: Die Jagd auf ihn ist aufwändigste Angelegenheit, ihm einfach mit dem Netz beikommen zu wollen, lässt den Zackenbarsch kalt. Und so ist der Zackenbarsch eine teure Delikatesse. Ibrahim, der Restaurantbesitzer, über den ich im vorigen Beitrag schrieb und der mir einen verkaufte, hatte ungefähr zehn, fünfzehn frische in seiner Kältetruhe.
 

Allein schon deshalb dürfen wir unseren Zackenbarsch nicht verkommen lassen. Die Lösung: ist der Fischmarkt von Fethiye. Am Abend motoren wir die zweieinhalb Stunden über den Golf und tragen unseren Zackenbarsch zum Fischmarkt von Fethiye. Und weil der mit der Besonderheit aufwartet, dass man dort seinen Fisch nicht nur bei den laut schreienden Fischverkäufern in der MItte des Marktes kaufen, sondern ein paar Meter weiter in jedem der umliegenden Restaurants abgeben und zubereiten lassen kann: kommt unser Zackenbarsch am Abend auf den Grill. Und erweist sich, sobald er auf unserem Teller lag, aller Mühen wert. Mit frischem Salat und einfachem türkischen Weißwein ein echtes Gedicht. Fast wie ein Seeteufel.
 
Seien wir also einen Moment dankbar: Dafür, dass der Zackenbarsch auf unserem Teller landete. Und dafür: dass zur rechten Zeit auf LEVJE das Gas ausging.