Monat: Juli 2019

ADAC Marina-Klassifikation

Das Herzstück des ADAC Skipper-Portal ist der ADAC Marina-/Hafenführer, in dem mehr als 2800 Marinas in 31 Ländern ausführlich beschrieben werden. Sie finden neben Hafenvideos auch Informationen zur Ansteuerung, Infrastruktur und Sehenswürdigkeiten.

Die Redaktion des ADAC Hafenführers hat es sich von Beginn an zur Aufgabe gemacht, Marinas in ganz Europa nach einem einheitlichen Klassifikationssystem zu bewerten. Die wichtigsten Stärken eines Hafens werden herausgestellt und dem Leser transparent vermittelt. So gibt die ADAC-Marina-Klassifikation in zwei Leistungsskalen Auskunft über das Angebot in den zentralen Bereichen Technik und Service sowie Verpflegung und Freizeit.

Einzelbewertungen innerhalb der beiden Bereiche werden zusammengefasst und in einer leicht verständlichen Skala anhand von Steuerrädern verdeutlicht: je mehr Steuerräder, desto besser und vielseitiger der Service oder die Ausstattung.

Der Hafenführer wird permanent weiterentwickelt und ausgebaut. Zu diesem Zweck haben der ADAC und der Delius Klasing Verlag eine Kooperation geschlossen, auf deren Basis die Hafendaten erweitert, aktualisiert und gepflegt werden.
Ab sofort werden Inspekteure entsandt, die Reviere in ganz Europa bereisen, um Marinas zu prüfen und gemäß der Steuerradbewertung zu klassifizieren. Die erhobenen Daten fließen dann direkt in die Hafendatenbank des ADAC Skipper-Portals ein und garantieren den Wassersportlern aktuellste Daten für Ihre Törnplanung.

ADAC Mitglieder nutzen auch bereits die Möglichkeit im Skipper-Portal Häfen zu bewerten. Die Erlebnisse und Erfahrungen der Skipper auf ihren Törns sind eine wichtige Ergänzung zu den regelmäßigen Berichten der geschulten ADAC Marina-Inspekteure und der Steuerradklassifikation.

Zusätzlich haben ADAC Mitglieder und Inhaber des Internationalen Bootsscheins (IBS) vom ADAC haben die Möglichkeit, Ankerplätze zu melden und dabei Gleichgesinnten wichtige Hinweise zur Ansteuerung, zum Ankergrund zu nautischen Besonderheiten sowie zur Infrastruktur an Land zu geben.
Die Meldung erfolgt über ein Online-Formular, dieses kann bei entsprechender Zoomstufe auch bequem durch einen Klick in die Seekarte aufgerufen werden.

Tag 2 nach Tahiti

So., 21.Jul.19, Pazifik, Tag 1876, 18.343 sm von HH
Atanga kommt mir vor wie ein Pferd, dass nach langen Wintermonaten im Stall auf die Weide entlassen wird. Der Kahn legt sich in die Riemen und zieht. Raus aus den Tuamotus, so schnell es geht. Wäre man abergläubisch, könnte man glauben, das Schiff hat einen eigenen Willen. ;-) Wir kommen gut voran und haben bereits nach 48 Stunden bereits 270 Seemeilen von der Strecke nach Tahiti hinter uns. Im Halbkreis umschiffen wir die Atolle, die wir eigentlich besuchen wollten. Hier im Norden liegen die Inseln dichter beieinander. Nur fünfzig bis achtzig Meilen liegen zwischen den Atollen.
Der Wind bläst mit perfekten 4 bis 5 Windstärken, mal halb, mal achterlich. Trotz gerefftem Groß für die Nacht machen wir sechs, zeitweise sieben Knoten Fahrt. Atanga zieht wie ein Pferd. Noch 156 Meilen direkter Weg.

Ankunft auf Raroia

Fr., 19.Jul.19, Franz.Polyn./Tuamotu/Raroia/Ngarumaoa, Tag 1874, 18.073 sm von HH
Der Pass von Hao hat die erwartete ausgehende Strömung, als wir um 12:00 Uhr dort ankommen. Perfekt. So langsam glaube ich, dass unsere Berechnungen Kopf und Hut haben. Mit milden zwei Knoten Strömung und harmlosen Kabbelwasser spuckt uns die Lagune aus. Wir haben jetzt 27 Stunden Zeit noch bei vernünftigem Tageslicht in Raroia anzukommen. Bei 160 Seemeilen wird das eng. Und richtig, in der Nacht lässt der Wind nach, der anfängliche Schnitt von sechs Knoten geht runter auf fünf. Schnell ist klar, das bedeutet eine zweite Nacht auf See.
Die Bedingungen sind nicht schlecht; Wind schräg von hinten, nicht zu viel Schwell; könnte schlimmer sein. Um Mitternacht in Nacht zwei erreichen wir bereits Raroia. Im Windschatten- bzw. Schwellschatten des Atolls machen wir es uns gemütlich und liegen bei. Unsere Lieblingsmethode seit Pitcairn, um Zeit zu schinden. Fast bewegungslos treiben wir bis zum Morgengrauen vor dem Passeingang. Dann heißt es rein in den Pass, Hebel auf den Tisch, Augen zu und durch. Das nächste Stillwasser soll erst um 13:00 Uhr sein, so lange wollen wir nicht warten. Fünf Knoten blasen uns entgegen. Das Wasser sieht schauerlich aus: Handballfeld große Flächen sind spiegelglatt gezogen; daneben kocht und brodelt wie im Zaubertrank-Topf. Dazwischen gibt es Strudel, die aussehen als wollten sie uns in die Tiefe ziehen. Wasser wirbelt durcheinander, wir erreichen den Bereich der stehenden Wellen. Atanga müht sich langsam vorwärts. Ich gebe mehr Schub, sonst fahren wir rückwärts. Quälend langsam kommen wir voran und dann, zack, wie abgeschnitten, reißt die Strömung ab. Wir sind im Atoll.
Wir tuckern gemütlich vor den Ort, keine fünf Meilen weiter. Es ist noch früh, nicht mal 8:00 Uhr. Der Weg dorthin ist gut betonnt. Der Anker fällt auf zwölf Meter. Tiefe Plätze sind die Regel auf den Tuamotu, nicht die Ausnahme. Hier wollen wir bleiben bis der Wind etwas nachgelassen hat und die Sonne höher steht. Dann wollen auf die unbewohnte Seite des Atolls.
Aber der Mensch plant und Gott sitz auf seiner Wolke und haut sich vor Lachen die Hände auf die Schenkel: bereits um 9:00 Uhr steht fest, wir brechen auf, direkter Weg Tahiti. Ankunft in vier Tagen. Warum? Was ist passiert? Die Geschichte gibt es Morgen. ;-)

Von Irland und England nach Schottland (16): Lough Strangford, Nordirland.

Meine diesjährige Segelreise führt mich seit Juni  

die englische Südküste vom Solent nach Westen zu den Scilly Isles. Von dort kam ich in einem langen Schlag über die irische See in Irland an und segle nun 
die irische Ostküste hinauf.

Bis hierher war alles friedlich. Ein windstiller Tag, an dem wir von Howth und der Insel Irelands Eye heraufmotoren. Ein beschauliches Gleiten entlang der sanften Hügel- Landschaft Nordirlands, die nur Hin- und wieder von einer Ruine oder einem Bauernhaus unterbrochen wird.

Und dann zeigt das GPS plötzlich 10 Knoten Geschwindigkeit über Grund an. Doppelt soviel wie üblich. Und doppelt soviel, wie der Geschwindigkeitsmesser als Fahrt durchs Wasser anzeigt. Wie eine geheime Kraft zieht uns der Strom, der gerade herrscht, mit satten fünf Knoten in den Strangford Lough, den See, der sich links von uns öffnet. Wir sind in der Einfahrt in den 26 Kilometer langen Einschnitt an der Nordostküste Nordirlands, der fast bis zu den Vorstädten von Belfast ganz im Norden reicht.

Mitten im breiten Mündungstrichter steht ein weißer Turm auf einer Sandbank, die wie ein Riegel vor der Einfahrt liegt. 10 Knoten Speed. Das ist viel, wenn uns jetzt etwas in die Quere kommt wie die Sandbank, wird Ausweichen zum hastigen Manöver, bei dem wir selbst mit Levjes starkem Motor in der schnellen Strömung Schwierigkeiten haben werden, uns freizuhalten. Uns ist unheimlich, die Kormorane, die auf dem weißen Turm ihre Flügel zum Trocknen ausbreiten, scheinen wie Geier, die auf Beute warten. Der Turm ist oben rot bemalt, eine Markierung, dass sich die eigentliche Einfahrt irgendwo rechts von dem Turm befindet, dort wo das Wasser merkwürdige Wirbel und Kreise an der Oberfläche bildet und Zipfelmützen, kleine brechende Wellen. Anomalien, die man dort findet, wo das Wasser schnell strömt.

Eigentlich sagt der REEDS ALMANACH, das große Telefonbuch, das die Küsten um Großbritannien in einem Sammelsurium voller Namen, Zahlen und Abkürzungen beschreibt, dass in diesem Moment Hochwasser sein müsste – der höchste Stand der Flut, an dem das ewige Hin und Her der Gezeiten zu einem Stillstand kommt. „Slack“ heißt der englische Ausdruck, wenn kein Strom mehr setzt und das Boot irgendwo hin treibt. Aber hier ist gerade nicht „slack“, sondern das Gegenteil. Unsere Fahrt durchs Wasser scheint normal, nur wenn ich zum Ufer hinüberblicke, kann ich erkennen, wie schnell Levje gerade über den Grund dahinschießt. 

Und an den Bojen im Fluss sehe ich es. Bojen, die Fischer ausgelegt haben, um ihre Reusen, ihre „Fish-Traps“ wiederzufinden, die sie auf 30, 40 Meter Tiefe versenkten. Sie wissen, dass sich dort, wo das nährstoffreiche Wasser des Sees aus dem Strangford Lough auf das hereinströmende Meerwasser trifft, sich die Tiere des Meeres wie zum Dinner an einer Tafel versammeln. Die ganze Nahrungskette ist hier an einem Ort versammelt: Kleintiere, die den Fischen ins Maul gespült werden. Kleinere Räuber, die von größeren geschluckt werden oder Möwen und Seeschwalben, die einfach nur ihre Schnäbel kurz in die Wasserwirbel hineinpicken wie einen Zahnstocher, um an Meeresgetier von der Wasseroberfläche aufzulesen, was sich von unachtsam im eigenen Fresswahn zur Meeresoberfläche wirbeln lässt.

Vor der alten Burgruine liegen die Rotoren eines gelben Gezeitenkraftwerks zur Wartung vertäut. Weil die Strömung hier Jahr und Tag beständig setzt, hat man bereits vor zehn Jahren begonnen, in der Strömung des Strangford Lough Türme zu installieren, mit zwei Rotoren, die sich unter Wasser vom Tidenstrom angetrieben wie Flugzeugpropeller drehen und Generatoren antreiben. Mehr als ein Megawatt soll die Anlage bringen.

Eben hat sich unsere Geschwindigkeit auf acht Knoten verringert. Aber nur für einen kurzen Moment, in den Strudeln vor der rotweißen Untiefenmarkierung und dem Wachturm sind wir wieder mit zehn Knoten unterwegs. Große Blasen aufsteigenden Meerwassers, die Levje in voller Fahrt aus dem Kurs drehen, trügerisch glatte Flächen aus der Tiefe kommenden Wassers, die an ihren Rändern kleine Strudelkinder ausbilden. Ob man eine Chance hätte, hier durchzuschwimmen, wenn man ins Wasser fiele? Ich weiß es nicht. Ich bin mir aber sicher, dass der Strom mit seinen 5 Knoten mit einem Schwimmer macht, wozu er lustig ist. Im Herbst in der Bretagne schwamm ich meinem Bootshaken hinterher, als er ins Wasser gefallen war. Schnell hatte ich ihn erreicht, dann aber mehr als eine halbe Stunde gebraucht, um die 100 Meter wieder flussaufwärts zu kommen. Damals waren es nur 0,5 Knoten Strom gewesen, ein Zehntel dessen, was jetzt gerade dort herrscht.

Hinter der Wegmarkierung tut sich der Hafen von Portaferry auf. Von dort kreuzt die Fähre nach Strangford über den See. Malerisch sehen die beiden Orte ja aus, doch der Hafen von Portaferry liegt mitten im Strom am Flussufer. Ob es hier ein Pub gibt, um Abends die Beine auszustrecken, Musik zu hören und ein Bier zu trinken? Sieht nicht so aus. Ein Segelclub am Ufer, ein Hotel, das eine liegt so verlassen da wie das andere. Als wir im Internet nachsehen, gibt es in Portaferry und Strangford gerade mal zwei Kneipen, der Rest sind Cafes, die jetzt um sieben längst geschlossen sind. Ungewisse Aussichten also auf Entspannung. Gewiss ist nur, dass wir beim Anlegen bei drei Knoten Strom ein heikles Manöver vor uns haben, im fliessenden Wasser treibend genau in die Lücke zwischen den anderen Booten zu treffen.

Es wird also nichts mit einem Bier und dem Blick aus einem Pub auf den schnellströmenden Fluss.

Dann lieber ankern vor der Villa mit Park und dem Herrenhaus auf dem Hügel, wo hohe Nadelbäume stehen, die alles andere überragen als wären sie hohe Zedern, die einst ein Reisender vom Ufer des östlichen Mittelmeeres zurückbrachte in seine Heimat, als hätte er gewusst, dass hier im Golfstrom die Bäume des Mittelmeers Wurzeln schlagen.

Wir lassen uns noch ein Stück flussaufwärts treiben vom Strom, in den See hinein, dann drehen wir um und ankern vor dem Hügel mit dem Herrenhaus  und dem Gezeitenkraftwerk. Zwei Stunden später, als Sven, Ida und ich über heißen Kartoffeln mit salziger Butter im Cockpit sitzen, hat sich der Strom beruhigt. Levje liegt nun träge im See wie die Schiffe vor dem Hafen. Aber es wird nicht lange dauern, dann wird der Strom in Gegenrichtung einsetzen, aus dem Inneren des Strangford Lough heraus, während wir tief schlafen, wird er wieder kentern und mit gleicher Kraft wieder in den See hineinspülen.

Morgen Früh, wenn sich das Spiel gegen 7.00 Uhr morgens ein weiteres Mal umkehrt und der Strom wieder aus dem See hinaus ins Meer setzt, wollen wir los. Uns auf dem windstillen Wasser vorbei an Strangford und den Fischern hinaus aufs Meer spülen lassen und von dort zur schottischen Küste übersetzen.

Sie ist ja nicht weit von hier, gerade mal die Distanz von München nach Augsburg, 50 Minuten Autofahrt wären es, wenn man ein Auto benutzen könnte. 

Aber noch braucht man ein seetüchtiges Schiff dafür. So eins wie Levje.

Abschied von Hao

Mo., 15.Jul.19, Franz.Polyn./Tuamotu/Insel Hao/d’Otepa, Tag 1870, 17.889 sm von HH

Es geht weiter. Am Mittwoch brechen wir nach Raroia auf, ein kleineres Atoll, nur 150 sm entfernt. Das ist eine schlecht zu kalkulierende Distanz. Je nach Wind kann das einen oder zwei Tage dauern. Wir brechen am Nachmittag auf, zum vermeintlichen Stillwasser. Die Lagune ist im Augenblick recht leer, der Wasserstand niedrig. Der Wind weht seit Tagen schwach, so dass wir wenig Strömung am Passausgang erwarten.

Nach dem Sturm wurden wir noch mit zwei Tagen Dauerregen belohnt. Unbeachtet davon geht das Heiva-Festival auch schlechtem Wetter weiter. Der Wettbewerb ‚tanzende Mütter‘ wird einfach unter die Überdachung des Rathauses verlegt. Dort ist es etwas eng für die properen Damen, aber die Tanzfreude ist ungebrochen. Südsee-Hüftschwung vom Feinsten. Die Frauen führen beim Tanz ihre Fingerspitzen an den Mund, an die Augen und dann in die Ferne. In diesen Tänzen liegen alle Versprechen dieser Welt.
Es ist „lausig kalt“ – die Zuschauer erscheinen mit fellbesetzen Kapuzen auf dem Kopf. Der einzige Moderator von Hao, wir nennen ihn Günther Jauch, der beim Kirchenfest, im College und jetzt beim Haiva den Ton angibt, trägt Socken in seinen üblen Altherren-Schlappen zu kurzer Hose. Günther ist ein echter Pausenclown und hält das Publikum mit schlüpfrigen Anmerkungen bei Laune. Über die Schlüpfrigkeit ist jeder Zweifel ausgeschlossen – seine Gesten sind eindeutig und das Publikum hält sich die Hand vor den Mund beim Lachen.

Exotik und Erotik

Schöne Frauen wollen Miss Heiva werden

Schöne Frauen, schöne Kostüme

Das Heiva ist ein bunter Mix aus Kirmes, Bundesjugendspielen, Bastel-Wettbewerben mit Muscheln oder Blüten und Sport-Wettkämpfen: Schwimmen, Fahrradfahren oder Kokosnuss-Weitwurf . Oder es muss mit einem Speer eine Kokosnuss in zehn Meter Höhe getroffen werden. Statt mit Bananen, wie auf der Osterinsel, werden auf Hao mit zehn Kilo (Damen) oder dreißig Kilo (Herren) Kokosnüssen auf der Schulter Staffelläufe abgehalten. Außerdem gibt es die Wahl zu Miss Haiva und Mister Haiva – moderiert von Günther.

Ein Treffer von fünfzig Speeren – als Feind ist man sicher auf Hao

 

Immer gute Laune die Polynesier

Mit dem Speer eine Kokosnuss treffen – Wettkampf der Frauen

 

Speere einsammeln für die nächste Runde

Ein besonderes Spektakel für uns ist das Kokosnuss-Wettschlachten. Die Herren knacken 50 Nüsse in knapp zwanzig Minuten. Wer so reinhaut, dem steht der Schweiß auf der Stirn. Das, bei Achim übliche, Abpellen der zähen Bastschicht von der inneren Nuss entfällt. Mit einer Axt werden die Nüsse mit einem Schlag gespalten. Eine sehr effektive Methode, die auch auf Atanga Einzug erhalten wird. Die Kopra wird mit einem gebogenem Messer aus den Nusshälften gebrochen. Die Zuschauer werden mit Flatterband davon abgehalten in den Gefahrenbereich der Äxte zu laufen, während die Nussknacker sogar auf Sicherheits-Flip-Flops verzichten. Da mag man gar nicht hinschauen.

Mit der Axt wird barfuss auf die Nüsse eingedroschen

Kokosnuss-Wett-Knacken

Nussknacker

 

Der Sieger am Ende

Das Schul-Boot hat inzwischen die College-Kinder angeholt, mit bitteren fünf Tagen Verspätung. Der Transport wäre genau das Richtige für deutsche Helikopter-Eltern :mrgreen: . Der klapprige Katamaran hat den Sturm auf See abgewettert und ist nicht nach Tahiti umgedreht. In den acht Meter (Angaben der Crew) hohen Wellen ist ihnen eines ihrer Rettungsboot abgerissen. Das konnten sie zwar retten, aber es ist unbrauchbar. Als die Kinder endlich an Bord sind, nachfünf Monaten geht es endlich nach Hause, streikt eine der Maschinen vom Katamaran. Bei geringer Fahrt fährt der Kat im Kreis und kommt nicht aus dem kleinen Hafen. Wir Segler geben mit den Dinghies Schlepphilfe (an diese Stelle gehört der Affe, der sich die Augen zuhält). Hat der Kahn mal Fahrt im Schiff, so kann er auch geradeaus fahren. Goodbye, liebe Kinder… kommt heil an.

Der Schulkatamaran braucht Schlepphilfe

 

Die Oma, die bislang unsere Wäsche gewaschen hat, kommt mit einer schlechten Nachricht vorbei: die Trommel ihrer Maschine dreht nicht mehr. Sie steht mit einem bedauernden Gesicht und unseren Säcken Dreckwäsche vor dem Schiff. Bislang konnte ich mich gut vor großer Handwäsche drücken. Irgendwo gab es immer eine Wäscherei oder einen Waschsalon. Und wenn ich durch die halbe Stadt mit dem Rad fahren musste.
Aber jetzt bin ich fällig. Zum Glück sind letzte Woche Bettwäsche und Handtücher in dem Gerät gelaufen. Die Wassertanks sind vom Regen prall gefüllt, so dass der Skipper nicht jeden Liter Wasser skeptisch beäugt. Aber zwei Maschinen Dreckwäsche machen einen krummen Rücken und Hände einer Wasserleiche. Am Ende habe ich kaum Kraft mehr zum Wringen. Zehn Dollar kostet eine Maschinenladung bei Oma, das ist guuuut angelegtes Geld, wie ich finde.

Am 14. Juli feiert Hao die Befreiung der Bastille. Wir sind halt in Frankreich. Die wichtigen Dorfgrößen, die frischgekürten Miss and Mister Heiva und Vertreter des öffentlichen Dienstes treten zum Apell an. Bei der französischen Hymne singt das Publikum verhalten mit, bei der polynesischen sind alle textsicher und schmettern mit.

Die bunte Welt der frisch gekrönten Häupter

 

Und so ist jeden Tag etwas los auf Hao. Das Haiva wird noch zwei Wochen weiter gehen, ohne uns. Wir müssen weiter, wollen wir noch weitere Inseln in den Tuamotu sehen. Spätestens Anfang September möchten wir auf Tahiti sein. Dort wartet Arbeit am Schiff auf uns und einige Ersatzteile sind zu besorgen.
Maururu, Hoa, es war toll mit dir.

Unser abendlicher Blick von der Terrasse

Schleuse Zaaren bis auf Weiteres gesperrt

Das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Eberswalde hat mit seiner Pressemitteilung vom 12.07.2019 bekanntgegeben, dass die Schleuse Zaaren in der laufenden Saison 2019 nicht mehr befahrbar sein wird.

„Die Schleuse Zaaren kann nach derzeitigem Kenntnisstand bis zum Ende der Saison 2019 leider nicht mehr in Betrieb gehen.  Infolge eines plötzlich aufgetretenen Baugrundproblems mussten am 05.07.19 die Bauarbeiten am Oberhaupt zunächst eingestellt werden. Beim Herausziehen der 16 m langen Baugrubenspundbohlen hat sich
das gesamte Oberhaupt aufgrund des Fließsandes um ca. 2 cm gesetzt. Das WSA Eberswalde hat die Bundesanstalt für Wasserbau, Sachgebiet Baugrunddynamik, hinzugezogen und einen Gutachter beauftragt, um
die Ursache feststellen zu lassen und geeignete Maßnahmen zum sicheren Weiterbau festzulegen.
Somit kann infolge erforderlicher Messprogramme, Untersuchungen und Gutachten nach derzeitigem Kenntnisstand die Schleuse bis zum Herbst 2019 wahrscheinlich nicht mehr eröffnet werden.
Damit bleibt die Schleuse bis auf Weiteres gesperrt und wird spätestens zum 01.04.2020, dann aber voll automatisiert zur Selbstbedienung, allen Nutzern wieder zur Verfügung stehen.“

Die Mecklenburger Seenplatte ist somit nicht mehr auf direktem Weg auf Wasserstraßen vom Berliner Raum aus erreichbar. Ein möglicher Umweg führt über die Untere Havel, die Elbe und die Elde-Müritz-Wasserstraße, damit ist die Strecke mit mehr als 400 Kilometern fast doppelt so lang wie der direkte Weg über die Obere Havel. Für die Seenplatte gibt es keine Einschränkungen bei der Befahrung.

In unserer letzten Meldung zur Sperrung der Schleuse Zaaren berichteten wir bereits über die Auswirkungen und die Forderungen des ADAC und BVWW sowie des Bündnis für Wasserstrassen.

Von England nach Irland und Schottland (15): Dublins Norden: In Howth und auf der Insel Irelands Eye.

Meine diesjährige Segelreise führt mich seit Juni  

die englische Südküste vom Solent nach Westen zu den Scilly Isles. Von dort kam ich in einem langen Schlag im River Suir in Waterford an und segle nun von Dublin 
an der irischen Küste entlang langsam nordwärts, 
Richtung Nordirland und Schottland.

Was macht man eigentlich an einem x-beliebigen Donnerstag in Dublin? 

Man könnte sich das BOOK OF KELLS ansehen. Oder durch eines der Dubliner Museen treiben lassen. Oder sich einfach mal hinsetzen und alle Gedanken aufschreiben, die einem an diesem Donnerstag durchs Hirn schießen. Vom Ersten bis zum Letzten. Alle nacheinander. Den ganzen Strom eines Bewusstseins aus Assoziation, Erinnerung, Vorurteil.

Aber halt. Das hat doch schon einer gemacht? Ausgerechnet hier in Dublin, und ausgerechnet ein Ire. James Joyce beschreibt in seinem ULYSSES einen einzigen Tag, den Donnerstag, den 16. Juni 1904, an dem er seine Helden auf ihren Gängen und ihren Gedanken kreuz und quer durch Dublin begleitet. Den Anzeigenverkäufer Leopold Bloom ebenso wie den jugendlichen Stephen Dedalus. Was diesen Tag den Iren so prominent macht, dass sie nur wegen dieses Buches aus dem 16. Juni einen Feiertag machten, den Bloomsday, der ihnen genauso wie der St. Patricks Day einen Eintrag im Kalender wert ist.

Man könnte aber auch hinauffahren in den Nordosten Dublins an die Küste und an die Strände von Howth und Malahide, wo man eben hinfährt wie die Dubliner es an einem Wochenende tun. Howth liegt eigentlich auf einer Halbinsel, die nur über eine schmale Sandbank oben im im Foto mit dem Festland verbunden ist. Howth heute ist vor allem ein Fischereihafen, 

was nicht weiter bemerkenswert wäre, denn Fischer gibt es wirklich in jedem irischen Hafen. 

Aber unter den vielen Berufsständen, die ich mir im Leben genauer ansah, was denn nun der Richtige für mich wäre, beeindruckten mich Fischer, weil es einfach der wandlungsfähigste und anpassungsfähigste Berufsstand ist. Vielleicht, weil es einer der ältesten ist? Wenn wir das Wort Fischer hören, denken wir an jemanden, der halt einen kalten Fisch aus dem kalten Wasser zieht. Schon richtig. Aber es ist ein Unterschied, ob jemand netzweise Sardinen oder Makrelen in Dosen schaufelt. Oder ob er sich auf Krabben und Hummer und Seeteufel und Austern spezialisiert hat. Für die, die eben gerne sowas essen.

In Howth haben sie sich auf Letzteres spezialisiert, und das mit ungeheurem Raffinement. Die „Fishmonger“, die Fischhändler sind hier einer neben dem anderen, man wähnt sich im Paradies. Natürlich gibts bei ihnen auch Cod oder Haddock, den Kabeljau für „Fish ’n Chips“. Aber neben Hummer, Langusten und Austern entdecke ich im Regal der Fischhändler ebenso Brie de Meaux, erlesenen Roquefort oder Stilton. Mit der in Butter geschwenkten und leicht mit Pfeffer bestreuten Hammelniere wie James Joyce‘ Held Leopold Bloom gibt sich in Howth keiner mehr zufrieden, hier ist schlemmen angesagt. Und die Zeilen auf dem Fischrestaurant lassen den genußsüchtigen Segler natürlich juchzen, es könnte kein schöneres Motto geben für einen Tag unter Segeln:

„Where there’s always a breeze and there’s never a gale
and the fish jump on board with a swish in their tail
and lie at your leisure, there’s nothing to do
and the captain is below making tea for the crew.“

Nein, auf die britische Küche ist auch kein Verlass mehr. Sie ist weit besser als der miese Ruf, der ihr vorauseilt, jedenfalls verblüfft sie mich manchmal heftig. Howth ist ein kulinarisches Paradies. Und ein

landschaftliches dazu, denn vor der Küste liegt die unbewohnte Insel Ireland’s Eye, vor der wir ankern und den Strand hinauf laufen nach oben, auf den Gipfel von Irelands Eye, wo man eine herrliche Aussicht hat. Auf Howth, den Fischerort. Aber auch auf die einzigen 

beiden Gebäude auf der Insel oder das, was von ihnen übrig geblieben ist. Den Ruinen des kleinen Kirchleins aus dem 8. Jahrhundert. Und dem Genuesenturm, einem der vielen „Martello-Towers“ auf einem Felsvorsprung, der die irische Küste einst vor der Landung napoleonischer Truppen bewachen sollte.

Martello-Tower gibt es viele vor Dublin. Und eigentlich kam ich ja nur nach Howth, weil hier zwei von ihnen stehen, der eine eben auf der unbewohnten Insel und der andere in Howth selber. Ich bin auf der Suche nach dem einen Martello-Tower, auf dem das erste Kapitel des ULYSSES spielt, in dem sich der unnachahmliche Buck Mulligan im Morgenmantel auf ebenso unnachahmliche Weise rasiert.

Nein, gelesen haben muss man den ULYSSES nicht. Aber dies Dublin lieben, dies Dublin mögen, das fällt einem schon ungemein leichter, wenn man Abends an Bord mit dem ULYSSES in der Hand nach Austern aus Howth und einem Absacker-Bier einschläft. 

Man kann seine Tage auf jeden Fall unnützer verbringen als in Dublin. 
Vor allem x-beliebige Donnerstage.

Dieses verflixte Französisch

Mi., 10.Jul.19, Franz.Polyn./Tuamotu/Insel Hao/d’Otepa, Tag 1865, 17.889 sm von HH

Die Französisch-Stunden sind beendet. Vanessa muss nach Tahiti zurück.
Es ist unglaublich, wie viel Mühe sie sich mit uns gemacht hat. Zum Abschluss gab es sogar einen Test. Schriftlich und mündlich. :shock: Individuell auf uns zugeschnitten.
Natürlich hat Achim mit 85 Punkten um 10 Punkte besser abgeschnitten als ich. Erstens ist er ein elender Streber und zweitens wittere ich Schiebung bei der Bewertung des mündlichen Teils. Zwischen Achim und Vanessa passt kein Blatt Papier. Wir hatten die beste Lehrerin, die wir uns wünschen konnten und haben eine Freundin gewonnen. Wir freuen uns schon auf ein Wiedersehen in Tahiti.
Übrigens würde sie auch anderen Seglern Unterricht geben. Wer Interesse hat, seine Französisch während einen Aufenthalts auf Tahiti aufzupolieren, soll sich bei uns melden und wir stellen dann den Kontakt her.

Und haben wir auch was gelernt? Ja, schon. Es hilft beim Lesen von Aushängen und dem ausführlichen Wetterbericht. Wir erkennen jetzt ein Verb und verstehen die lustigen Liaisons, die geschrieben verwirrend aussehen. Aber im Prinzip ist die Sprache unlernbar. Einen vernünftigen Satz raus zu bringen, fällt uns beiden schwer. Zu viele nicht gesprochene Buchstaben, zu viele Ausnahmen, zu viele Nasal-Laute.

Die Einheimischen haben ebenso ihr Probleme: „Ich hasse Französisch“, kommt ja nicht von ungefähr. Ihre Aussprache und Grammatik sei recht fehlerhaft, erzählt uns Vanessa.
Die Franzosen in ihrer Selbstverliebtheit in die eigene Sprache, haben den Polynesiern Französisch als einzige Amtssprache aufs Auge gedrückt. Mit der Folge, dass einige der Polynesischen Sprachen vom Aussterben bedroht sind. Alles zielt darauf ab, die Frankophonie zu fördern. 70 % der über 15-jährigen sprechen zu Hause Französisch.
Auf Hao dreht sich die Welt noch etwas langsamer. Hier hört man die Einheimischen untereinander nur Tahitianisch sprechen.

Französisch, eine Sprache, die altmodisch und gestelzt rüber kommt. Selbst der Wetterbericht malt Blumenbilder, statt mit Fakten aufzuwarten: „Der Himmel zeigt sich grau in grau, wie ein Gemälde im ‚Grisaille‘-Stil“. „Zwischen den Wolken blitzen, schelmisch gar, einige Sonnenstrahlen hervor“. Da kann man schon mal mit den Augen rollen. Und doch würden wir sie gerne sprechen können.

Eine Sprache, die keine Wörter für 70, 80 und 90 kennt. Stattdessen sagt man 60 plus 10; 4 mal 20; und ganz schlimm, 4 mal 20 plus 10. Die Belgier und französischen Schweizer machen diesen Blödsinn nicht mit und haben Wörter für diese Zahlen erfunden. Praktisch!

„Eine Sprache, die so schwer ist, dass für andere Sprachen die Gehirnkapazität nicht mehr ausreicht“, um einen Schweizer zu zitieren.

Wir haben eine Menge gelernt, aber am Ende bleibt das Fazit: In Französisch sind wir gut, nur mit der Sprache hapert es. :mrgreen:

Von England nach Irland und Schottland (13): Dublins Kneipen. Dublins Straßen.

Meine diesjährige Segelreise führt mich seit Juni  
die englische Südküste vom Solent nach Westen zu den Scilly Isles. Von dort kam ich in einem langen Schlag nach Irland und im letzten Post in Dublin an.


„What a lovely pub!“

Der Satz kommt vom Mann am Nebentisch. Sven und seine Tochter Ida, die seit heute da sind, nippen andächtig an ihrem Cider, dem perlenden Cidre, und schielen aufs Etikett ihrer Gläser. Sie sind besser im Errichten einer unsichtbaren Mauer und lassen mich allein mit dem Mann am Nebentisch, der nur zu mir spricht. Ich verstehe ihn kaum. Ob es damit zu tun hat, dass er mit seinem Glas Guinness erheblichen Vorsprung vor mir mit meinem hat? Er sitzt vermutlich schon seit Nachmittag bei der Arbeit hier im Pub in der Pearse Street, gleich bei der Pearse Train Station. Es hat vor allem mit der eigentümlichen Aussprache zu tun, in der der Mann den Satz bringt.

„Whuddd u luffffly pub!“

Ein zweites Mal fällt der Satz. Was für ein Land, dessen Sprache nur einen einzigen Vokal braucht, um auszudrücken, dass die Welt gerade richtig Klasse ist. Wir Deutschen haben  fünf Vokale, aber selbst mit denen schaffen wir das im Alltag nur ausgesprochen selten. Der Mann hat sichtlich Schlagseite, während seine Hand wie die eines Schöpfers huldvoll über das Innere des Pearse Pub  weist und seine Augen von mir Beifall für seine Schöpfung fordern. 

Wie bin ich nur hierher geraten? Zuhause trinke ich ja nie Bier. Aber seit ich vor drei Wochen vor der Isle of Wight aufgebrochen bin, trinke ich ausschließlich Bier. Jene dunkle Biersorte, die hier irgendwo in Dublin ein paar Kilometer weiter flussaufwärts am rechten Flussufer von Arthur Guinness erfunden wurde. Und weil irgendein durchtriebener Marketingmann die trotzige Behauptung in die Welt setzte, Guinness würde mit jedem Meter besser schmecken, den man sich der Brauerei am Liffey nähere, drum sitze ich jetzt hier im Pearse. Meine Testreihe in Dublin.

Der Marketingmann hat jedenfalls nicht mal unrecht. Das scheint auch mein Tischnachbar so zu sehen mit seiner Äußerung. Nur bei dem Adjektiv „lufffly“, da stimme ich meinem Nachbarn nicht zu. Viele Adjektive treffen auf das Pearse zu, aber „lovely“ am wenigsten. „Trotzig“ erscheint mir angemessener. Liebenswert trotzig, wie die Iren es sind. Als ich gestern auf dem Weg in die Stadt zum ersten Mal an dem kleeblattgrün bemalten Gebäude vorbeikam, verwarf ich den Gedanken, den ersten Test mit dem Guiness und den Kilometern hier zu beginnen. Wenn ich wo reingehe, egal ob Hotel oder Kneipe, will ich auch wissen, wie ich da wieder rauskomme. Das war mir beim Pearse nicht unbedingt klar. „Ireland. The only people that fought an empire.“ prangt stolz außen auf der Hauswand zwischen dreiblättrigen Kleeblättern, Harfen und dem Konterfei eines artig und trotzig zugleich blickenden Mannes in Anzug und grüner Krawatte, der nicht nur der Kneipe, sondern auch der ganzen Straße und dem danebenliegenden Bahnhof den Namen gab. 

Padraig Pearse war ein braver Lehrer hier in Dublin. Aber das Leben wollte es, dass er nicht nur Schulklassen auf Wanderungen auf die Dingle Halbinsel führte, sondern Iren in den Aufstand gegen die Briten. „Ein unfreies Irland wird niemals friedlich sein!“ wurde sein Wort, das die Losung war. Als der Osteraufstand 1916 fehlschlug, wurde er noch im selben Jahr von den Briten in Dublin hingerichtet. Solcherart ist also der Geist, der über dem Pearse Pub schwebt und webt.

„Whuddd u luffffly pub!“

Der Mann am Nebentisch ist jedenfalls richtig glücklich hier. Toll! Ein kleines Volk, das das „u“ zum allerschönsten Buchstaben der Welt erklärt hat! Ich signalisiere dem Mann am Nebentisch Zustimmung, schließlich ist das ja heute nicht das erste Bier in meiner Testreihe. Meine Reise begann ein paar Schritte weiter im Kennedys, das ist gleich hinterm Trinity College und nahe dort, wo dieses Dublin gegründet wurde. Es waren Wikinger, die mit ihren Langschiffen den Liffey heraufgerudert kamen und hier irgendwo auf dem Boden unter meinen Füssen eine Siedlung gründeten, nahe einer Stelle, die „schwarzer Teich“, „Duib Leann“ oder „schwarze Brühe“ heißt. Es konnte ja keiner ahnen, dass Arthur Guinness ein Jahrtausend später am selben Ort die Sache mit der „schwarzen Brühe“ derart perfektionieren würde, dass es dem Mann am Nebentisch und mir eine reine Freude ist.

Wikinger also. Natürlich waren sie Totschläger und Sklavenhändler, aber ebenso begnadete Händler und Handwerker, die ihre Stadt am Liffey zum Blühen brachten. So sehr, dass zwei verfeindete irische Großkönige ihr gieriges Auge auf die Stadt warfen. Der eine aus dem Süden. Der andere aus dem Norden. Brian Boru, der aus dem Süden, siegte in der Schlacht von Clontarf gegen den aus dem Norden, der sich mit den Wikingern verbündet hatte, gegen seinen Schwager Mael Sechnaill und Sigtrygr Seidenbart. Und weil Brian Boru siegte über die Wikinger und nur seine Harfe das Gemetzel überlebte, darum ist die Harfe das Symbol irischen Trotzes, das stolz überall prangt, wo Iren sind: Auf jeder Guiness-Dose. Auf der Heckflosse jedes Ryan-Air-Fliegers. Und außen auf dem Pearse. Bryan Borus Harfe steht heute inmitten des Trinity Colleges im ältesten Lesesaal, dem großen unter dem  

Tonnengewölbe. Was macht es denn schon aus, dass die Harfe vermutlich erst 500 Jahre nach seinem Tod in der Schlacht von Clontarf gebaut wurde? Sie ist und bleibt die Ahnherrin aller irischen Harfen. 

Leutselig wendet sich der Mann am Nebentisch wieder mir zu.

„Whuddd u luffffly pub!“

„Ja, ich hab das „u“ auch sehr, sehr lieb.“, antworte ich ihm im Geiste. „Genauso lieb wie Du.“ 

Was ein Guinness so alles mit einem anstellt mit jedem Meter, den man der Brauerei näher kommt. Oder liegts daran, dass ich beim dritten Glas bin? Der Mann am Nebentisch hält sich aber nicht lang auf, er will mir erklären, was es mit dem Gemälde über seinem Kopf auf sich hat. Ein junger Mann ist drauf zu sehen, ein Dreißigjähriger mit zwei Jahreszahlen. 

„Sie haben ihn erschossen. Hier vorn an der Straßenecke.“ Der Mann am Nebentisch sagt die Sätze erstaunlich klar. Die Ulster Volunteer Force aus dem Norden hat hier viele Morde auf dem Gewissen. Und Martin kurz vor dem Friedensschluß 1998 war eines der letzten. War ein netter Bursche.“

Der Mann blickt in sein Glas. Wieder einmal begreife ich, was dieses Europa eigentlich alles erreicht hat. Den Friedensschluss in Nordirland. Frieden im Baskenland. Eine der Leistungen ist es, Frieden in die Regionen gebracht zu haben, die sich vorher bitter bekämpften.

Vielleicht haben die Iren ja recht. Mit ihrem Trotz, an ihrer Sprache festzuhalten. An ihrem Trotz, in der EU ihren Schutz zu sehen vor dem großen, jahrhundertealten Nachbarn im Osten. Vielleicht haben sie mit all dem Recht. Ich denke daran, als ich am nächsten Tag vor dem GPO stehe in Dublin, das für die Dubliner mehr ist als nur das General Post Office, wo die Busse enden, sondern der Ort, an dem sie für ihre Unabhängigkeit kämpften.

Ich denke daran, als ich vor dem alten Holzbriefkasten des GPO mit den irischen Worten stehe. Anders als der Mann und ich kommt dieses Gälisch mit vielen Vokalen aus, sie machen die Schönheit dieser Sprache aus. 

Aber den Zustand, in dem man nur noch ein „u“ braucht, um die Schönheit der Welt zu erkennen: Den möchte ich trotzdem nicht missen.

Und wie ist die Versorgungslage?

So., 07.Jul.19, Franz.Polyn./Tuamotu/Insel Hao/d’Otepa, Tag 1862, 17.889 sm von HH

Die Lage wird ernster, ist aber noch immer nicht hoffnungslos. :mrgreen:
Es gibt drei Minimärkte auf Hao. Im Prinzip haben sie alle das gleiche und doch nicht viel: ein paar Konserven wie Erbsen, Bohnen und rote Beete; Reis, Mehl, Milchpulver und einige andere Grundnahrungsmittel; seit fünf Monaten abgelaufene Wraps und in bescheidener Auswahl gefrorenes Fleisch. Aber es gibt richtigen Käse (teuer), vier (warum?) Sorten Butter, fünf Sorten Margarine (noch ein größeres warum?), darunter zwei Sorten mit Olivenöl.
Die Preise sind weiterhin hoch, aber ein bisschen günstiger als in Gambier. Ein Glas Gewürzgurken ist für 7 USD zu haben, eine Minipackung Rosinen kostet 4,50 USD.
Wir haben in der Zwischenzeit das Geheimnis der roten Preisaufkleber entdeckt. Alles mit roten Preisen ist subventionierte Ware: Butter, Waschmittel, Kaffee, getrocknete Bohnen und ab und zu ist auch mal ein Leckerli darunter. Da macht Frankreich die Spendierhosen auf und ein Liter Milch ist fast so günstig wie in Deutschland. Die subventionierten Artikel kosten auf allen Inseln Französisch Polynesiens das gleiche.
Neben Emmentaler und Camembert haben die Franzosen auch das Baguette auf den Inseln eingeführt. Ebenfalls subventioniert. Wer morgens um 6:00 Uhr beim Becker ist, bekommt eine knusprige Stange für 70 Cent.

Obst und Gemüse sind Mangelware. Okay, stimmt nicht ganz. Man kann einen Beutel Brokkoli für 9 USD tiefgefroren bekommen. Neulich habe ich Bananen ergattert (5 USD/Kilo) und grüne Paprika (15 USD/Kilo). Wenn das Versorgungs-Schiff da war, gibt es für kurze Zeit Kartoffeln, Kohl, Zwiebeln und Möhren. Überlagerte Ware, viel zu feucht transportiert, die nach kurzer Zeit verdirbt. Kartoffeln und Zwiebeln müssen einen Tag in der Sonne trocknen. Tomaten und Äpfel kaufe ich schon gar nicht mehr, da hat man keine Freude daran.
Wir haben noch vier Pampelmusen übrig aus Gambier, dann ist auch das zu Ende.

Kochen ist irgendwie schwierig und die Kochexperimente in der Atanga-Küche sind nicht immer ein Hochgenuss: Achtung, Kohl geht nicht gut zu Spaghetti :lol: .
Aber angebratener Speck mit Kartoffeln und einigen Kichererbsen funktioniert wunderbar mit Kokosmilch. Die machen wir selber aus gesammelten Nüssen. Dafür muss man ein gutes Stück mit dem Rad fahren, in unbewohntes Gebiet. Die Einheimischen sammeln vor der Tür selber jede Nuss. Ein wichtiger Bestandteil ihrer Nahrung.

Wichtige Nahrungsquelle – Hybrid-Nuss mit unglaublichem Ertrag

Die gute Nachricht: es gibt kein Ciguatera auf Hao. Alle Fische können gegessen werden. Gerald geht regelmäßig harpunieren und hat uns schon Fisch zum Grillen mitgebracht.
Beim lokalen Fischer gibt es Thunfisch. Frisch gefangen am Pass am Außenriff. Auf meine Frage, was er kosten soll, sagt er 10 USD/Kilo. Das kommt mir etwas teuer vor, der Preis in Gambier beträgt die Hälfte. Aber ich handel nicht, da ich nicht jeden Cent aus den Einheimischen raus quetschen will. Zum Glück mache ich es nicht. Das Stück, was er mir aus dem Fisch schneidet, wiegt über drei Pfund und ich bekomme die gleiche Menge gefroren obendrauf geschenkt. Alles für 10 USD! Ein Festschmaus.

Die Läden leeren sich, wenn das Versorgungs-Schiff lange nicht da gewesen ist. Es gibt dann keine Milch, keinen Käse oder Kartoffeln mehr. Ich muss dann mehr an die eingekochten Vorräte ran. Zusehend werden die Schränke leerer. Sogar die letzte Dose Würstchen aus Deutschland ist gegessen. Abgelaufen 2016. :-) Ich habe es tatsächlich geschafft eine der heiligen Dosen in die Südsee zu retten.

Wir warten jetzt nur noch auf das nächste Schiff zum Nachbunkern. Das soll in ein paar Tagen kommen und dann geht es weiter.

 

 

Von England nach Irland und Schottland (12): In Dublin. Bei Cathy in der Poolbeg Marina.

Meine diesjährige Segelreise führt mich seit Juni  

die englische Südküste vom Solent nach Westen zu den Scilly Isles. Von dort kam ich in einem langen Schlag im River Suir und in Waterford irische Ostküste hinauf bis Dublin.

Nach vier Wochen auf See: Dringend fälliger Waschtag in der Poolbeg Marina Dublin. LEVJE ist nicht das große Schiff, nein, sondern das mit der flatternden Bettwäsche.

Mein Abend vor Sorrento Point kurz vor Dublin war traumhaft gewesen. Eine ruhige Nacht fast auf offener See vor einer Kulisse wie in Neapel. Doch alles hat ein Ende, das Leben ist kein Ponyhof, als die Sonne aufgeht, wirft mich starke Dünung aus Südost aus meiner Koje. Ich koche eine Tasse Tee, hole den Anker und breche auf nach Norden, zwischen der Insel mit dem Genuesenturm und den Villen am Ufer in Richtung Dublin.

Ich schrieb bereits, dass die Ostküste Dublins arm an brauchbaren Häfen sei. In Dublin ist das anders, es gibt drei große Marinas. Die größte mit dem unaussprechlichen Namen Dun Laoghaire in der breiten Bucht von Dublin. Dann Howth im Norden. Und dann die Poolbeg Marina, mitten zwischen Containerterminals und Fährhäfen am Liffey gelegen.

Während Levje langsam durch Kreuzsseen nach Norden motort, bereite ich meine Ankunft vor. Poolbeg antwortet auch beim achten Anruf nicht, Howth ignoriert meine Funksprüche. Dun Laoghaire antwortet sofort, und weil der Name ganz einfach „Dann Liiirii“ ausgesprochen wird, weil der sagenhafte König Lear hier seine keltische Ringwallfestung, seinen „Dun“ hatte und sich hier sein großes Drama abspielte, scheint mir alles unkompliziert und die Suche nach einem Liegeplatz erledigt. 

Doch als ich näherkomme, ist mir die Marina zu groß, 1.000 Schiffe liegen hier. Das ist sicher ok. Doch weil ich 2001 an Bord eines Containerfrachters als einziger Passagier in Dublin gewesen war, habe ich nur eines im Sinn: Auf dem River Liffey zu liegen, und mitten im Hafen, in der Poolbeg Marina.

Doch Poolbeg antwortete einfach nicht.

Eines Menschen Herz ist ein rätselhaftes Ding und seine Stimme ebenso. Man braucht, um der Stimme seines Herzens zu folgen, manchmal vor allem eins: Hartnäckigheit. 

Vor der Einfahrt in den Kanal funke ich Dublin Port Control an. Bitte um Erlaubnis, die Großschifffahrtsstraße den Liffey hinauf benutzen zu dürfen bis zur Poolbeg Marina. Als ich  Freigabe habe, steuere Levje am roten Leuchtturm mit der Nase, dem Nebelhorn, in den Liffey hinein und den Fluss hinauf.

Ich liebe die großen Häfen. Das hautnahe Mittendrin sein auf dem eigenen Boot neben den turmhohen Stahlwänden von Containerfrachtern und wendenden Kreuzfahrtriesen, dem Dröhnen kraftvoller Schlepper, dem Schlagen von Stahl auf Stahl, wenn Container von riesigen Kränen im Buch von Containerschiffen verschwinden, dem Fiepen der kleinen Container-LKWs, dem Sirren, den Tausenden Geräuschen, die ein echter Hafen mit sich bringt, in dem man am Steuer seines Schiffes steht. Normalerweise bin ich lärmempfindlich, bloß ein dudelndes Radio auf einem Nachbarboot kann mich schon auf die Palme bringen, aber der selbst nachts niemals endende Lärm eines richtigen Hafens, den stecke ich einfach weg und schlafe seelig grinsend ein. Ich bin auf dem Weg genau dorthin, wo ich hinwill: Zur Poolbeg Marina. 

Hinter dem letzten Containerkran und dort, wo rechts die großen Docks für die Kreuzfahrtschiffe liegen, liegt links die kleine Marina. Nicht mehr als vielleicht 60, 80 kleinere Segler sind an den Stegen vertäut, vor die ich Levje steuere, während vor mir gerade  ein Schlepper ausgerechnet die DEUTSCHLAND im Fahrwasser dreht. Ausgerechnet das Traumschiff aus der gleichnamigen Serie, mit der so viele ihr Fernweh verbinden.

Zum x-ten Mal greife ich zum Telefon. Rufe die Nummer der Poolbeg-Marina. Plötzlich ist jemand dran, eine Frauenstimme, ich sage mein Sprüchlein auf. „Klar hab ich einen Liegeplatz für Dich“, sagt die Frauenstimme in Dubliner Akzent. „Schau hier rüber, über den Wellenbrecher. Ich stehe hier oben vor dem Gebäude und winke. Mach am Wellenbrecher fest. Ich schicke Dir Damian runter, er hilft Dir beim Anlegen.“

Tatsächlich steht da oben eine ältere Frau in Blond und winkt heftig. Na dann los. Dann steht auch schon ein älterer Mann auf dem Steg, er nimmt mit zittrigen Fingern meine Leinen an, die ich ihm zuwerfe. Während ich Levje an den Steg bugsiere, hält er die Leine in der Hand. Ein Segler ist er jedenfalls nicht, ungewöhnlich in einem Hafen, kein Segler würde das so machen, ich bitte ihn mehrfach, den Festmacher schnell um die eiserne Klampe auf der Pier zu legen. Ein Windstoß, und Levje würde den Mann mir nichts, Dir nichts ins Wasser ziehen. Dann bin ich da. Schiff fest. Alles gut.

Damian grinst. Und Cathy steht vor mir. Wenn es das lebende Denkmal einer Frau gibt, für die Männer Aufstände vom Zaun brechen, weil eine Frau sie anführt, dann ist es Cathy. Cathy O’Connor, die einfache Hafenmeisterin der Poolbeg Marina. In ihr sind sie widergeboren, die Molly Pitcher aus New Jersey, die Maria Pita, die A Coruna vor der Eroberung durch Drake bewahrte, die unbekannte Frau, die vorneweg den Sturm auf die Bastille anführte. 

„Du brauchst eine Waschmaschine?,“ fragt sie. „Du hast Glück. Vorgestern kam die neue Waschmaschine, Damian hat sie mir gestern installiert. Du wirst der erste sein, der Sie benutzt. Nein, Waschpulver brauchst Du keins. Damian geht mit Dir und zeigt Dir, wie das Ding funktioniert.“

Und während Damian vorangeht, mir den kleinen Anbau zeigt, in dem ich ihm mit meinem dicken Packen Schmutzwäsche folge, während Damian mit bebender Hand einen Halbliterbecher voll Waschpulver großzügig auf sämtliche verfügbaren Fächer der Schublade verteilt, denke ich über Cathy nach.

Sie hat viel gesehen in ihrem Leben. Vielleicht nicht von der Welt, aber ganz sicher vom Leben. Ihre Augen verraten es, erzählen von einem harten Leben, von nie vermisstem Reichtum, von einem Stall voller allein erzogener Kinder, von harten Zeiten und davon, dass sich doch alles gelohnt hat, weil das Herz am rechten Fleck sitzt.

„Dein Boot ist 11,30 Meter lang? Ich schreib hier 11 Meter rein, ja? Das ist fünf Euro günstiger pro Nacht als wenn ich 12 Meter schreibe. Zahlen? Kannst Du wenn Du gehst. Hier hast Du den Schlüssel für den Steg. Und wenn Du abends ein Bier trinken willst, wir haben bis Mitternacht geöffnet.“ Sie deutet auf John, den grinsenden Farbigen, der an der Theke Gläser spült.

Die Männer, die Cathy umgeben. Damian und noch ein älterer, Tommy mit dem klaren Blick aus tiefblauen Augen, den Cathy gerade an der Bar einweist. Ich bin vorsichtig geworden, deren Alter zu schätzen, seit ich feststelle, dass Männer, die für mich steinalt aussehen, sich hinterher als zehn Jahre jünger als ich entpuppen. Damian, ein einfacher Mann im sauberen Shirt, der Cathy hilft, wo er nur kann, obwohl er niemals ein Boot besaß. Tommy mit dem blitzenden Blick. John. Die Männer lieben Cathy, da mag ihr Gesicht noch so voller Falten und ihre zittrigen Hände noch so abgearbeitet sein: Die Männer tun für sie, was sie tun können. 

Drei Waschmaschinen voll wasche ich an diesem Tag und hänge sie auf der Wäscheleine auf, die rings um Levje gespannt habe. Ich lasse sie flattern im Wind, bis sich am Abend das nächste Kreuzfahrtschiff an die Pier vor Levje legt. MEIN SCHIFF heißt es. „Wohlbefinden“, „Harmonie“, „Ruhe“ haben Marketingleute mit schöner Schreibschrift mannshoch auf die blauen Bordwände malen lassen. Ich denke mir nur, während ich mich auf den Weg in die Stadt mache: Obs ein wirklich ein Kreuzfahrtschiff wie die MEIN SCHIFF braucht, um all das zu finden, wonach unser Herz oft sucht? Ich glaube nicht. Es braucht einen Ort, ganz sicher. An diesem Ort aber vor allem Menschen wie Cathy O’Connor, die ihren Männern Sinn und ein Zuhause gibt. 

Aber vielleicht ist gerade das das Schwierige, genau diesen einen Ort zu finden. 

Von England und Irland nach Schottland (11): Die irische Westküste bis Dublin

Meine diesjährige Segelreise führt mich seit Juni  
die englische Südküste vom Solent nach Westen zu den Scilly Isles. Von dort kam ich in einem langen Schlag im River Suir und in Waterford an will nun weiter nach Dublin die irische Ostküste hinauf.

Morgens um 5 bin ich hellwach. Das liegt nicht nur daran, dass hier in Irland es ab drei bereits zu dämmern beginnt und die Dunkelheit keine sechs Stunden dauert. Es liegt auch daran, dass ich mir Sorgen mache.

Gestern war ich fünf Seemeilen durch Untiefen und Sandbänke hindurch der Mündung des River Slaney bis zur Stadt Wexford gefolgt. War zweimal auf Grund gelaufen und hatte die Stadt mit knapper Not erreicht. Heute Morgen um 7.20 Uhr will ich mit der ersten Flut auslaufen. Anders als mit der Flut komme ich nicht hier raus, über die Sandbände durch den engen Kanal.

Es ist ein grauer Tag. Doch diesmal geht alles leichter. Im Fischereihafen, wo ich im mitten im Fluss vor der Stadt und der Pier mit den großen Trawlern liege, ist alles ruhig. Nur ein paar wildgewordene kleinere Fischerboote röhren wie wildgewordene Mopeds Richtung Flussmündung, während ich den Anker hole, der als Mitbringsel vom Flussgrund ein zwei Meter langes verrostetes Kabel mit raufbringt. Mein Bootshaken schickt es schnell wieder in die Tiefe, ich gehe zurück ins Cockpit und gebe Gas. Vorbei an den gelbvioletten Flaggen, vorbei an der Insel mit der Ruine, hinein ins flach.

Ich folge diesmal der Linie, die Navionics vorgibt und die für diesen Fluss erstaunlich präzise ist. Zwei mal kratze ich mit Levjes zwei Meter Kiel über den Sand in zwei Meter Tiefe, es sind bange Momente, jeden Augenblick rechne ich damit, dass der Tiefenmesser plötzlich wie gestern gnadenlose 1,80, dann 1,70 anzeigt, gefolgt von einem Rumms. Aber alles geht gut. Die Seehunde, die genauso wie gestern neugierig die Köpfe aus dem Wasser heben, was der Trottel da über ihren Sandbänken, bekommen heute anders als gestern kein Hafenkino geboten. Als ich draußen bin, atme ich tief auf. Nur die Frage, warum ich derlei riskanten Unfug treibe, beschäftigt mich. Das Leben will gelebt sein. Der Mensch ist ein überaus neugieriges Wesen. Und wenn ich auch ein Trottel bin, der sein Schiff gestern auf die Sandbank setzte, so habe ich doch etwas gewagt und das Leben gespürt mit all seiner Furcht und dem Jubel, es doch geschafft zu haben.

Draußen ist die Welt herrlich. Die Weite der See an diesem Morgen, der Anblick eines roten Fischers im großen Grüngrau, der mir die Weite noch bewusster macht, als er vor uns vorbeizieht. Geborgen in der Weite, getragen von der Grenzenlosigkeit.

Nach Norden hin wird die Landschaft bergiger, die Lagunenlandschaft am Ufer verschwindet. Die Wicklow Mountains, ein großes Naturschutzgebiet, schicken ihre Ausläufer bis ans Meer. Der Leuchtturm von Wicklow Head mit seinem typischen roten Geländer markiert Irlands östlichsten Punkt.

Eigentlich will ich ja nur bis Arklow, eine kleine Stadt am Fluss Avoca, die ich am frühen Nachmittag erreiche. Aber die Einfahrt in den Fluss ist so eng, die verfallenden Industriegebäude vom Meer her so trostlos, dass ich weiterfahre. Nein, heute nicht noch einmal in einem flachgehenden Fluss aufsetzen. Heute Nacht will ich sicher schlafen. Dann fahre ich lieber noch die 80 Kilometer weiter bis Dublin.

Überhaupt ist die Südwestküste Irlands reich an verfallenden Fabriken und arm an brauchbaren Häfen. Auf dem 45 Seemeilen langen Stück zwischen Wexford und Dublin gibt es gerade drei Häfen, nur eine davon ist eine Marina. Die anderen beiden, Arklow und Wicklow, scheinen mir eher Arbeitshäfen an schmalen Flussläufen zu sein, in denen ich mich mit den 1,60 Meter meiner alten Levje weit wohler fühlen würde. 

Noch immer fahre ich ohne irische Gastlandflagge herum. Das geht so gar nicht. Ich krame meinen prallen Flaggensack hervor und hole mir einfach eine Italienische. Grün, weiß, rot ist die italienische Flagge. Und grün, weiß, orange die irische. Grün für die Katholiken, und orange für die Protestanten? Ich werde das Nachlesen. Jedenfalls tuts eine verwaschene italienische Flagge in Irland auch. Oder bin ich Trottel jahrelang Italiens Küsten mit einer irischen Flagge rauf- und runtergefahren? Vielleicht ist dieses Europa einander näher, als wir denken.

Noch drei Stunden bis Dublin. Am Spätnachmittag ist das Meer und der Himmel darüber in seinen schönsten Farben: Am Himmel ein zartes Leuchten, das Meer ein stahlblaues Glänzen. Als ich zum Ufer hinüberblicke, sind die verfallenden Fabriken verschwunden. Stattdessen sehe ich Baukräne, die direkt am Meer Bürohochhäuser hochziehen. Ist dies das wirtschaftliche Geheimnis des „Keltischen Tigers“, wie man die boomende irische Wirtschaft respektvoll nannte: Nichts mehr produzieren. Aber dafür Bürogebäude hochziehen, die die Europazentralen von AMAZON und GOOGLE und sonstiger Megakonzerne beherbergen? Ist Irland wie Manhattan oder Hong Kong eine Insel, auf der nichts mehr produziert, aber dafür umso eifriger Rechnungen geschrieben werden nicht für Dinge, sondern für Dienstleistungen? Ich werde es herausfinden.

Am Abend ist der Wind jedenfalls verschwunden. Das Meer liegt wie ein Stück Seidentuch, fast reglos. Ein Containerfrachter, der zwischen den beiden Inseln vor der Bucht von Dublin hervorkriecht, er hat es nicht eilig, und sich irgendwo in der Weite des Leuchtens verliert.

Und dann sind es tatsächlich die Inseln vor Dublin, an denen ich buchstäblich hängenbleibe, Dalkey und in der Ferne im Norden Howth. Auf Dalkey steht, als könnte es an diesem Abend mit seinem italienisch roten Leuchten nicht anders sein, ein Genueserturm, der jedem Kap auf Korsika zur Ehre gereichen würde. Eine allererste Ahnung überkommt mich, dass dies Dublin mehr mit dem Mittelmeer gemeinsam haben könnte, als der Breitengrad das hergibt.

Als ich in der Karte nachsehe, heißt das Kap – Sorrento Point, nach dem Sorrent in der Bucht von Neapel. Ich kann nicht anders, mein Vorsatz, diese Nacht unbedingt ruhig schlafen zu wollen schwindet, ich muss hier ankern in dieser herrlichen Bucht und den Abend genießen, mag der Schwell mich heute Nacht auch noch so quälen.

Die großen Kiefern am Ufern, die vereinzelt wie Pinien dastehen. Das alte rosa Gebäude, stehengeblieben scheint es mir seit den Tagen von James Joyce, ausgerechnet ein Ire war es, der ein Buch nach dem größten Seehelden des Mittelmeers benannte, ULYSSES. Das rote Haus, es könnte 

ebensogut auf den Klippen von Piran oder Portoroz stehen. Die alte Villa. Die Gärten. Die in den Fels gehauene Helling für ein Ruderboot. Die Steilklippen. Der Strand. Dies alles sind Requisiten aus einem anderen Stück, das Mittelmeer heißt. Und doch heißt diese Stadt, vor der ich liege: Dublin.

Viele Städte weben an einem Mythos. Palermo, die Stadt der Staufer. Athen, die Stadt der Antike. Ich bin vor Jahren viele Tage den Liffey hinaufgeschlendert und hinunter: Doch der Mythos Dublin, dem kam ich nicht auf die Spur. Aber hier am Sorrento Point an diesem Abend verstehe ich: Es ist der Mix, der Dublin an dieser Stelle ausmacht. Der Mix aus irisch, britisch und italienisch, der über meinem Abend liegt in dieser Bucht, während ich hinausschaue in die Bucht, die südlich liegt. 

Als wäre ich in der Bucht von Sorrent. Und nicht vor Dublin.