Wer braucht schon die boot?

Es ist Donnerstag während der boot-Woche und ich habe keine Kopfschmerzen. Das ist gleichsam gut wie ungewöhnlich. Denn eiegntlich wäre gestern Ausstellerparty gewesen. Und die ist immer ziemlich gut. Gut genug jedenfalls für ein leichtes Ziehen im Nacken am Donnerstag. Schon zwei Jahre geht es mir jetzt Donnerstags im Januar besser als in früheren Jahren. Besser geht es auch den Weften. Einige berichten von Rekordauftragsbeständen. Mehr zu tun gab es nie. Wer heute bestellt, bekommt sein Boot 2024. Und das trotz andauernder Preiserhöhungen.

Ebenso beim Zubehör aller Orten frohe Gesichter: Es läuft, also für die Händler, die Material von den Herstellern bekommen. Die Lösung heißt Onlinehandel. Der war immer schon wichtig, hat aber während Corona an Bedeutung gewonnen. Auch der Chartermarkt zieht wieder deutlich an. Zwei Jahre Urlaub im eigenen Land sind genug, Kroatien, Mallorca und Co sind gut gebucht – wohl auch wegen des durchwachsenen Sommers 2021.

Wenn Messen in der bisherigen Logik der wichtigste Link zwischen Kunde und Anbieter im Wassersport waren, scheint dieses Paradigma in den Coronajahren kräftig gelitten zu haben. Und diese Veränderung hin zum digitalen Kundenfang ist folgerichtig, denn zuletzt war insbesondere die boot, sagen wir mal, schwierig geworden. Es wurde viel geguckt von Besuchern, auf den Ständen der großen Werften waren lange Schlangen vor den Booten. Wenn man endlich drauf durfte, waren noch 20 andere Besucher mit im Salon des 34-Fußers. 17 davon trugen Rucksäcke. Ein Dilemma für die Werften: Wie die Spreu vom Weizen trennen? Wie die potentiellen Käufer von den Guckern unterscheiden? Das ist aber wichtig, um die enormen Kosten für den Standplatz, den Transport der Schiffe und die Hotelunterbringung der Mannschaft  zu rechtfertigen.

Und dann sieht man nur Kiele. Schiffe auf dem Trockenen. Wer die Cannes Boat Show oder die Hiswa te Water kennt, weiß wie viel schöner In-Water-Messen sind – und wie viel günstiger für die Werften: Kaum Transportkosten und niedrigere Standgebühren machen die Sache deutlich erträglicher. Und gute virtuelle Bootsrundgänge sind ebenfalls möglich. Die Werften berichten, dass gerade dadurch auch ganz unmittelbar Boote verkauft werden. Eine runde durchs virtuelle Schiff, und schon wird gekauft. Unvorstellbar aber offenbar Realität. Die Schlacht um den Kunden wird von den Werften längst bei Google, Insta und Co geschlagen.

Und mal ehrlich: In den Zubehörhallen stehen meist gelangweilte Aushilfen auf den Ständen. Echte Fachleute, die sich ernsthaft mit dem Problem des Kunden an Bord befassen wollen oder können, muss man suchen. Und die Stände mit den Fachleuten sind oft – zu Recht – so gut besucht, dass auch dort wenig Austausch stattfindet. Also: Visitenkarte mitnehmen und nach der Messe telefonieren. Diese Auswahl geht allerdings auch per Internet, eine Messe braucht es dazu nicht.

Ölzeug anprobieren? Ja, das mag sein. Das geht auf der Messe. Geht aber auch online, drei Jacken kommen lassen, die, die passt behalten. Ist ökologisch auch nicht schlimmer, als 500 Kilometer Autofahren zur Messe um dort drei Jacken anzuprobieren.

Schade, aber die boot ist scheinbar überflüssig geworden, betrachtet man die Tatsachen.

Und doch. Ich weiß nicht, wie es ihnen geht, aber die online Weihnachtsfeier mit Glühwein war einfach nicht dasselbe, wie das echte Treffen mit den Kollegen in feierlicher Atmosphäre wie in den Jahren zuvor. Wir alle haben uns an Zoom und Teams gewöhnt, ein echtes Meeting mit Kunden oder Kollegen ist dennoch etwas Anderes, besser, produktiver, persönlicher.

Ist unser Hobby nicht im Besonderen ein schöner Gegenentwurf zur digitalisierten Welt? Klar, die Elektronikhersteller wollen uns glauben machen, dass mehr Technik an Bord besser ist, aber ist es nicht das Direkte, das Einfache, das den Spaß an der Sache Wassersport ausmacht? Der Plausch auf dem Steg, der Austausch mit den anderen Crewmitgliedern auf längeren Schlägen, die Auseinandersetzung mit den Elementen? Ist ein Rundgang über eine Messe nicht ein wenig wie ein Urlaub auf dem Boot? Mal hierhin, mal dorthin, eben anlegen, etwas Neues entdecken, sich treiben lassen durch das Lieblingsrevier (Messehalle…). Andere dabei beobachten, einen Kaffee trinken oder ein Bier. So ein Messebesuch auf der boot war und ist ein Highlight in einem ansonsten trüben Monat. Der Wendepunkt der bootsfreien Zeit. Emotionales Gelaber? Vielleicht.

Am Ende bleibt in meiner boot-Welt nur das Fazit, dass es eigentlich nur noch nostalgische Gründe sind, die eine Messe vom Format der boot rechtfertigen. Ob das aber ausreicht, die Show weitergehen zu lassen ist fraglich. Wohl auch, weil ihm das sehr bewusst ist, hat boot-Chef Petros Michelidakis bis zuletzt mit aller Macht für seine boot gekämpft. In diesem Jahr vergebens. Vielleicht auch in Zukunft. Es würde mich freuen, wenn ich mit meiner Einschätzung völlig falsch liege, denn an einem Donnerstag im Januar habe ich gerne Kopfschmerzen…

 

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