Meinung: Rettungswesten

Früher, jaaaa, da war ich im Team: Weste? Brauch ich nicht! So war es das gelernte Verhalten von all den durchgewetterten Seebären, die ich seinerzeit noch bewunderte. So nen Kram braucht ein Segler nur, wenn er vor Kap Hoorn mehr als 50 Knoten Wind hat. Sonst aber: Unnötig.

Dann aber kam ein kleiner Matrose an Bord, der sollte bitte Weste tragen. Und naja: Die ganze Erziehung nützt nichts, sie machen einem doch alles nach. Also: Weste an. Punkt! Weniger aus Überzeugung, mehr aus pädagogischen Überlegungen heraus. Mittlerweile können alle gut schwimmen an Bord, die Westen sind aber geblieben. Eine leichte 150N von Spinnlock für die Tage in kurzer Hose und T-Shirt und eine 275N von Secumar für die Ölzeugtage. Denn es hat ein durch eigenes und fremdes Nachdenken ausgelöstes Umdenken eingesetzt. Die Fragen, die ich mir dabei gestellt habe und deren Antworten darauf sind simpel. Ich möchte meine Überlegungen dazu hier gerne teilen, vielleicht sind die ja für den einen oder anderen hilfreich:

Was geschieht, wenn ich als Einhandfahrer über Bord gehe?

Die Antwort darauf ist ganz simpel: Gar nichts. Niemanden interessiert es, keiner dreht um. Keiner kommt, um einen zu holen. Wie auch? Denn niemand bemerkt etwas. Das geschieht frühestens, wenn das unbemannte Schiff gefunden wird. Um die Alarmierung bei den doch häufigen Einhandfahrten dennoch zu ermöglichen, kam an die Weste eine kleine PLB. Die kostet nicht die Welt, ist so groß wie eine Zigarettenschachtel, aber sie ruft im Unglücksfall über Satelliten Hilfe. Und das funktioniert, so sagen es die Retter, sehr zuverlässig. Man geht über Bord, die Weste löst aus, die PLB ruft Hilfe und dann heisst es abwarten und warm bleiben. Die Chancen stehen dann ganz gut, wenn man sich, wie ich zumeist, in hiesigen, küstennahen und stark befahrenen Gewässern aufhält.

Über Bord mit Crew?

Hier sollten die Chancen besser stehen, sollte man meinen. Ich glaube, das ist eher nicht so. Hand aufs Herz: Wann haben sie zuletzt mit einer Crew, egal ob es die Stammbesatzung oder eine Gruppe von Freunden ist, auf einem Schiff den MOB Fall geübt und dabei die Notrollen klar besprochen und dokumentiert? Ah, danke. Dachte ich mir doch. Üben heisst dabei es auch wirklich zu machen und nicht im Winter am Kamin daheim mal drüber zu plaudern. Und selbst wenn es gelingt, die Yacht wieder zum MOB hin zu manövrieren, so ist dieser noch lange nicht wieder an Bord. Was macht die Frau, wenn der Mann über Bord geht? Wenn sie die Yacht zu ihm hinfährt, kann sie ihm allenfalls besser beim Sterben zuschauen, sicher, wenn auch nur leichter Seegang herrscht. Tut mir leid, aber so ist die Realität. Übrigens auch bei größeren Crews, bei denen durchaus kräftige Männer mit an Bord sind. Auch die Fälle sind bei der BSU hinlänglich dokumentiert.

Leichte Unterkühlung und schon fehlt alle Kraft um beim an Bord kommen mitzuhelfen. Großschot? Dirk? Fall? Das ist alles theoretisch. Wann haben sie zuletzt mal eben den Schäkel am Fußblock der Großschot geöffnet? Der ist meist so dermaßen fest, da geht gar nichts. Und an der Weste befestigt, tief unten im Wasser von Deck aus, ist der Block dann noch lange nicht. Und die Kraft mit einer Winsch 120 Kilogramm nassen Mensch aus dem Wasser zu ziehen, haben viele (Männer und Frauen) ohnehin nicht. Über die Badeplattform im Seegang? Lebensgefährlich, denn sie geht heftig auf und ab. Ein Treffer am Kopf und die Rettung wird zur Bergung! Auch Assistenzsysteme alá Catch n‘ Lift wollen ausprobiert sein. Kaufen und an die Reling schrauben zählt bestenfalls fürs gute Gewissen, aber nicht im Ernstfall. Die Lösung bei einem MOB mit Crew kann nach meinen Überlegungen nur sein:

Zuerst einen Notruf absetzen! (Das müssen alle an Bord auch können! Keine Angst, die Retter kommen dafür sehr gerne herausgefahren!)
Zum MOB hinfahren und in der Nähe bleiben. Das erleichtert die Auffindbarkeit.
Rettungsversuch unternehmen

Die Profis kommen meist rasch und holen die Menschen schnell und sicher (waagerecht bei Unterkühlung) aus dem Wasser. Die Zeit, die sie dafür benötigen dürfen, um die Aktion zu einem guten Ende zu führen, ist länger, wenn der Mensch im Wasser eine Weste trägt. Auch ist er besser auffindbar.

Also Westenpflicht?

Nein! Denn die nutzt nichts. Wer durch eine Pflicht zum Tragen der Weste gezwungen werden muss, wird dies mit Widerwillen tun. Dann wird sie nicht gewartet, nicht eng genug verschlossen (eng genug ist deutlich enger als man denkt!) und der bei dem aus dem Wasser ziehen so wichtige Beingurt wird vergessen. Nur dann ist die Weste leider sinnlos. Schlimmer noch: Sie vermittelt womöglich eine Sicherheit, die es nicht gibt und verleitet zum Leichtsinn. Ich glaube, es muss ein Verständnis für die Sinnhaftigkeit entstehen. Dazu habe ich mir einige Fakten überlegt, die für mich so stichhaltig erschienen, dass ich heute gerne Weste trage:

Es ist unverschämt, seinen Liebsten aus Leichtsinn zuzumuten, einem beim Sterben zusehen zu müssen
Auch Retter retten lieber. Leichen bergen mögen die nicht. Denen das zuzumuten ist sehr egoistisch
Die Weste verlängert die Zeit zwischen über Bord gehen und sterben. Damit verschafft sie Menschen die helfen Zeit. Die ist sehr wertvoll
Zum Ertrinken reicht auch der kleinste Tümpel: Auch wer betrunken ohne Weste von der Stahlmotoryacht fällt, weil es mit dem Kegelclub so gemütlich ist, wird das vielleicht nicht überleben
Es ist wie mit dem Gurt im Auto: Er stört nicht. Im Gegenteil: Mittlerweile wird er ja eher vermisst, wenn er -zum Beispiel im Bus- nicht da ist. Also: Man gewöhnt sich dran.
Wer beim Kauf auch auf Tragekomfort achtet, wird sich schneller an die Weste gewöhnen

Übrigens: Egal ob mit oder ohne Weste, das Wichtigste ist und bleibt nicht über Bord zu gehen. Eine Hand fürs Schiff ist dabei ein guter Anfang.

Das Obige sind wie gesagt meine Überlegungen. Wer zu einem anderen Ergebnis kommt, der möge das tun. Was nicht geht: Jemanden der eine Weste trägt, deswegen mit einer abfälligen Bemerkung versehen. Bei allen, bei denen ich das in der Vergangheit getan habe, möchte ich mich entschuldigen! Ich sehe das heute anders. Danke.

 

 

 

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