Raus auf die Nordsee

Ich war aufgeregt. Wie ich bereits vor einigen Wochen schrieb war der Horizont hinter Helgoland immer irgendwie die Grenze des zu ersegelnden Reviers. Zwar habe ich im Osten schon viel gesehen, aber weiter als hinter den Helgoländer Horizont erschien mir mit der kleinen Nonsuch irgendwie nie eine Option zu sein. Und nun sollte aber genau das passieren. Zwar habe ich schon wieder Zeit für einen längeren Törn gefunden, aber die Zeit ist trotzdem begrenzt. Gleichzeitig soll die englische Ostküste über weite Strecken uninteressant und anstrengend sein. So sagten es zumindest die einschlägigen Törnführer. Warum also nicht mal ein neues Abenteuer wagen und sich von Helgoland direkt auf den Weg nach Schottland machen? Gutes Wetter natürlich vorausgesetzt…

Das waren meine Gedanken während der Törnplanung und nun saß ich tatsächlich in den ersten Julitagen auf der Terrasse meiner Eltern und studierte die Wetterkarten. In nicht einmal 2 Tagen sollte sich ein Wetterfenster öffnen, welches die direkte Passage zulassen würde. Von Aufregung war zu diesem Zeitpunkt noch nicht viel zu spüren, es gab einfach zu viel zu tun.
Das sollte sich in den letzten Stunden vor der Abfahrt ändern. Das Level der Aufregung stieg fast minütlich. Als es dann um kurz vor 24:00 in Cuxhaven „Waving Goodbye“ hieß und wir die Leinen loswarfen handelte ich eigentlich nur noch instinktiv. Der Kopf war überall und nirgendwo. Wenigstens hatte sich ein guter Freund gefunden diese Passage mit mir zusammen zu unternehmen. Alleine wäre das für das erste Mal offene See mit diesem Schiff wahrscheinlich doch etwas zu aufreibend geworden.
Wir verließen Cuxhaven so spätabends um das Wetterfenster so gut wie möglich nutzen zu können. Eine Erkenntnis dieser Reise war nämlich definitiv, dass die Nordsee mit 26Fuß machbar ist, allerdings sollten die Bedingungen so stabil wie möglich sein. Die Fahrt aus der Außenelbe war dann allerdings gleich ein echter Kampf. Der Wind der letzten Tage zog eine beachtliche See nach sich, die trotz des flauen Windes sich gegen des Ebbstrom stellte. In der Dunkelheit sah man noch dazu keine einzige See anrollen. Es krachte und polterte, und als schließlich die -eigentlich gesicherten- ersten Gläser aus den Schapps flogen und sich am gegenüberliegenden Salonfenster (Bitte mal den Flugweg bildlich vorstellen!) zerschlugen, fragte ich mich kurzzeitig ob dieser Trip tatsächlich so eine gute Idee ist. Im Morgengrauen legten wir dann schließlich auch noch mal für 3 Stunden auf Helgoland an um noch einmal einige Stunden ohne Seegang zu pennen und die weitere Beruhigung des Wetters abzuwarten.


Eine gute Idee, denn nach diesen 3 Stunden Schlaf und einer Tasse Kaffee setzte sich die Sonne durch und die Stimmung sah wieder anders aus. Nochmal schnell eingekauft und los gehts. Zumindest während der ersten Stunden war es ein komisches Gefühl Helgoland in dieser Richtung hinter sich zu lassen, aber sobald die Insel außer Sicht war legte sich die Anspannung. Offenbar tatsächlich eine Kopfsache… Wir dösten in der Sonne und genoßen es nicht mehr wie ein Schießhund auf den Kurs aufpassen zu müssen. Das ist nämlich definitiv das entspannteste am Blauwassersegeln ;-) . Der Schiffsverkehr wurde zunehmen weniger und durch die Nacht musste dann sogar ausschließlich der Motor ran. Für die Eingewöhnung war das wohl ganz gut.

In der Nacht dann plötzliche Aufregung. Ein unerwartetes Geräusch. Nämlich der SMS Ton des Iphones. 60sm von der Küste entfernt entlockte mir das zunächst ein Stirnrunzeln. Das Rätsel löste sich aber schnell auf. Offenbar strahlten die Windparks hier draußen Handynetz aus und so konnten wir noch ein letzten Gruß nach Hause schicken. Die Abfahrt war geschafft. Der psychologisch schwierigste Teil wie wir dachten.

Mit der untergehenden Sonne begann dann auch unser Wachsystem. Auch wenn die erste Schicht vor Aufregung natürlich noch niemand schlafen konnte. Interessant war zu sehen, dass hier draußen, wo die Augen durch fast keine Lichter mehr geblendet werden, es selbst mit einigen Wolken fast nicht mehr komplett dunkel wird.

Zum Ende meiner Morgenwache begann ich dann damit ein kleines Seefrühstück zu bereiten und den Abwasch des Abendbrots zu erledigen. Und dann passierte es. Die Nordsee forderte ihr erstes Opfer: Obwohl ich die Knoten mehrfach überprüft habe überlebte unser Kochtopf das erste Einweichen außenbords nicht mehr. Er ruht jetzt 70sm nördlich von Schiermonnikoog und bietet vielleicht irgendeinem Meeresgetier als künstliches Riff ein neues Zuhause. Klingt fast nach einer lustigen Story, aber von nun an musste beim Kochen echt improvisiert werden!

Noch genoßen wir den wieder zunehmenden Südwind. Der Windpilot steuerte, wir saßen im Cockpit und begannen ozeanphilosophische Gespräche über Gott und die Welt zu führen. Eigentlich wollten wir Kartenspielen, aber keiner von uns konnte Skat oder Rommee so plötzlich noch erklären. Und ein Autoquartett war nicht an Bord. Und mangels Internet zum Überprüfen macht „manuelles“ Autoquartett mit gemerkten Angaben einzelner Autos wegen des Beschisspotenzials nur kurze Zeit Spaß ;-)
Also quatschten wir über dies, und das und jenes, freuten uns über die Ruhe und begannen das Blauwassersegeln so richtig zu genießen.

Währenddessen wurde der Wind allerdings immer stärker. Beim nächsten Logbucheintrag war er bereits deutlich stärker als im letzten gezogenen GRIB Bericht vorhergesagt.  Der Horizont verschwand nun stets in den Wellentälern. So langsam wurde es unangenehm, denn wir waren grad so ungefähr am weitesten von Land weg wie es in der Nordsee nur geht. Und die Windspitzen sollten noch nicht erreicht sein…