Loch Oich – Nicht nur der geographische Höhepunkt des Kanals…

Auch die nächste Schleuse in Aberchalder strahlt Ruhe und Fröhlichkeit aus. Gleich hinter der folgenden Brücke beginnt der zweite See im Kanalverlauf, Loch Oich. Der erste Blick auf die Karte bringt zwar etwas Ernüchterung, da dieser sehr flach und schmal sein soll, und damit bei den heutigen Bedingungen nicht wirklich zum Segeln geeignet. Auf jeden Fall ist er aber die höchstgelegene Stelle im Kanal. Schon der Schleusenwärter empfing mich mit den Worten „Welcome to the top!“.

Doch vom ersten Moment an täuscht der Karteneindruck. Loch Oich ist nicht nur schmal, sondern auf beiden Ufern von hohen Bergen gesäumt. Noch höher als die am Loch Ness, bis zu 500m geht es hinauf. Die Vegetation ist teilweise bis in den See hineingewachsen. Kleine Felsen mit Bäumen drauf erheben sich immer wieder mitten aus der Mitte des Lochs. Selbst das Fahrwasser muss sich immer wieder um diese Bauminseln herumwinden. Das ganze macht fast den Eindruck eines kleinen Urwaldes. Schnell steht für mich fest, dass ich hier eine Nacht verbringen will. Nur fällt es mir gar nicht so einfach einen passenden Ankerplatz zu finden, da der Wind in der Nacht um 180° drehen soll. Auch muss man sehr vorsichtig sein wegen der Fallwinde die dann die Berghänge runterwehen…

Trotzdem finde ich einen geeigneten Platz. Genau neben einem halb versunkenen Wrack und einer Burgruine auf einer Anhöhe. Ich freue mich schon, kann die Aussicht eines Ankerplatzes doch nicht mehr viel besser sein, und doch ist die Freude nur von kurzer Dauer. Der Anker will irgendwie heute auch nach dem fünften Versuch einfach nicht halten. Fast schon resignierend überlege ich an einem anderen Platz zu wechseln als ich einen kleinen leeren Steg neben der Burgruine finde. Also schnell dorthin und dort angelegt. Eine kurze Recherche später steht fest, dass dieser Steg zu einem typisch schottischen Landhotel direkt um die Ecke gehört. Also dort mal schnell nachgefragt und wer dort zu Abend isst darf tatsächlich über Nacht liegenbleiben. Besser geht es doch nun wirklich nicht mehr! Ich liege also an einem sicheren Steg zwischen dem Wrack, hohen Bergen zu allen Seiten und der Burgruine. Erst als ich einige Tage später ein neues Buch beginne stelle ich fest das die Burg, Invergarry Castle, sogar eine Hauptrolle im „Celtic Ring“ spielt.

Was folgt ist ein exzellentes Dinner in einem alten schottischen Herrenhaus. Dafür dass laut Bildern auch Prinz Charles hier regelmäßig zum Bäume umarmen vorbeikommt sind die Preise sogar wirklich günstig. Das Dinner wird – typisch britisch – mit Tee mit Blick auf Loch Oich in der Bücherei beendet. Britischer kann ein Abend wohl nicht mehr werden. Und ein wirkliches gutes Essen von Zeit zu Zeit als Abwechslung zum Bootsalltag hebt die Laune doch enorm!
Auch am morgen drauf kann ich mich an den Anblicken dieses ruhigen Platzes – den ich sogar ganz für mich alleine hatte – nicht sattsehen. Für mich ist Loch Oich nicht nur der geographische Höhepunkt des Kanals. Tatsächlich hat es mir an der ganzen Strecke nirgendwo besser gefallen.

Dementsprechend kann ich mich dann auch erst gegen Mittag von meinem Lieblingsplatz lösen und dümpel auf dem Kanal dem nächsten See entgegen. Loch Lochy, also quasi „Seeiger See“ oder so… Auf dem Kanalstück bis dahin sehe ich kaum mal die Sonne, so hoch stehen die Fichten auf beiden Seiten des Ufers. Die üppige Vegatation von Loch Oich zieht sich fort und so fahre ich fast wie durch einen ganzen Wald.

Dem kurzen Kanalstück folgt dann recht schnell Loch Lochy. Die Strecken auf den schottischen Lochs überwiegen auf dem Caledonian Kanal nämlich deutlich. Nur etwa ein Drittel der Strecke verläuft in Kanalstrecken, der Rest auf den Seen. Angekommen auf dem seeigen See fällt mir vor allem eines auf. Schon wieder sind die Berge auf beiden Seiten des Lochs höher geworden. Laut Karte geht es regelmäßig bis zu 900m rauf. Man kann sich kaum vorstellen wie gigantisch das tatsächlich aussieht. Ohne Vergleichsobjekt mit bekannter Größe kann man nie sagen ob die Berge 50m hoch sind und nur wenige hundert Meter entfernt, oder eben fast einen Kilometer hoch und mehrere Meilen weit weg. Erst wenn beispielsweise ein Boot irgendwo im See zu sehen ist fällt einem auf wie riesig die Landschaft hier tatsächlich ist. Ganz am Ende des Lochs kommt dann sogar der Sockel von Ben Nevis in Sicht. Der sagenumwobene höchste Berg Großbritanniens dessen Gipfel an 300 Tagen im Jahr von Wolken umgeben ist. Eine wirklich eigenartige Szenerie. Von meinem Liegeplatz für die kommende Nacht an der Gairlochy Schleuse habe ich den perfekten Ausblick auf die Bergkette. Wenn mir jemand erzählen würde, dass das die Alpen sind, ich würde es glauben. In kühlen Wintern soll es dort sogar ein kleines Skigebiet geben. Mit dem Boot in den Alpen. Auch mal was Neues…