Flensburg – Westlichster Punkt der Ostsee – N 54° 49,88´ E 009° 23,17´ – Oder: Wenn die Marine 3 mal hupt

Eine Sache gab es noch zu erledigen. Nach Flensburg fahren. Den westlichsten Punkt der Ostsee bei Flensburg-Kupfermühle zu erreichen. Und auch das habe ich nun geschafft.

Ein kalter grauer Morgen in einem Hafen der dänischen Südsee. Beim ersten Weckerklingeln tropft es noch aufs Vorluk, pustet durch den Deckslüfter, und halb Dunkel scheint es auch noch zu sein. Also eigentlich ganz klares Hafentagswetter. Trotzdem schäle ich mich aus meiner Bettdecken-Schlafsack Konsturktion und mache die Nonsuch ablegeklar. Der Wind ist einfach zu gut heute. Südost zu Ost, Bft 4-5, perfekter Wetter für den Schlag in die Flensburger Förde. Die nächsten Tage soll es eher ruhig sein, also muss ich den Wind inklusive Nebenwirkungen mitnehmen.

Warum aber eigentlich Flensburg? Eigentlich ist ein Törn dorthin nichts Besonderes. Ein Ort, der schon zum Kappelner Dunstkreis gehört, eher ein Wochenendziel darstellt, und ja irgendwie schon Deutschland ist. Das wollte ich ja eigentlich so lange wie möglich vermeiden. Flensburg stellt aber auch den westlichsten Punkt der Ostsee dar. Und nachdem ich in diesem Sommer bereits den südlichsten, östlichsten, und nördlichsten Punkt besucht habe kann ich es mir einfach nicht nehmen lassen dort auch noch vorbeizuschauen.
Nonsuch macht schnelle Fahrt, obwohl das Wetter immer ekliger wird. Die Sicht beträgt gerade mal 2km und es nieselt. Die Insel Alsen zieht nur schmenhaft vorbei. Aber gegen Mittag kommt es dann zu einem emotionalen Moment. Aus dem Dunst vor mir taucht der Leuchtturm Kalkgrund auf. Das stählerne Ungetüm markiert den Eingang zur Flensburger Förde. Vor allem aber liegt er in deutschen Gewässern! Es ist also so weit. Nach 6 Monaten bin ich wieder in Deutschland angekommen! Ich sehe kein Land, und auch der “Rote Riese” ist nur schwer im Dunst auszumachen, und trotzdem überkommt mich eine Freude. Das erste Mal bin ich nicht unglücklich darüber, dass die Reise bald zu Ende ist, sondern stolz auf das bisher Erreichte und freudig auf die Rückkehr in die Heimat. Trotzdem eine komische Szenerie. Ich bin komplett allein und von dunklem Nebel umgeben, nur der Leuchtturm und Ich. Fast fühle ich mich wie in einem Traum.

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Die Realität holt mich aber schnell wieder ein: Auf einmal gibt es ohrenbetäubenden Krach. Der Leuchturm verschwindet im Dunst. Er hat sein Nebelhorn angeworfen, die Sicht sinkt auf wenige Dutzend Meter. Na klasse, schon wieder. Mein ständiger Begleiter diesen Sommer. Dazu fängt es an bestialisch zu regnen. Einer dieser Moment in denen man sich fragt, warum man morgens nicht einfach im Bett geblieben ist. Und doch lache ich fast. Den Moment des Glücks und Triumphs lasse ich mir doch nicht von etwas Wasserdampf kaputtmachen.
Zum Glück ist nicht viel los. Die wenigen Segelboote die noch unterwegs sind Ausbildungsschiffe der deutschen Marine. Und die haben alle AIS. So vergeht auch diesel Nebel zum Glück ohne irgendwelchen gefährlichen Situationen. Irgendwann ist dann auch Alles wieder vorbei. Und mit Alles meine ich auch Alles. Es klart auf, der Regen lässt nach, und der Wind ist weg. Und zwar komplett, bis auf dem letzten Fitzel. Die Flensburger Förde liegt spiegelglatt vor mir. Auch egal, wenigstens konnte ich den größten Teil des Tages segeln. Überhaupt lerne ih das Wetter mit allen seinen Facetten in den letzten Tagen dieser Reise erst zu schätzen. Monatelang war es Alltag mit den Elementen zu leben, und wenn es neblig war, kein Wind gab oder geregnet hat, war das einfach nur lästig. Lästiger als wenn es eben in der Hamburger Innenstadt regnet, denn ich lebe ja halb draussen. Jetzt aber, wo man jede Empfindung noch stärker als vorher wahrnimmt, lässt einen auch solches Wetter glücklich werden. Denn obwohl es eigentlich nur Flensburg ist, habe ich mal wieder das Gefühl am Ende der Welt angekommen zu sein. Es ist komplett Windstill und ruhig, die tiefliegenden Wolken und letzten Nebelschwaden ziehen vorbei. Fast wie Mittelerde erscheinen die Ochseninseln, die langsam vorbeiziehen. Stimmungsvoller hätte diese Fahrt doch eigentlich nicht werden können.

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Noch kurz bevor ich dann den westlichsten Punkt erreicht habe, passiert das eigentlich viel größere Highlight des Tages. Flensburg ist mein erster deutschen Hafen. Und nach alter Väter Sitte werden die Gastlandflaggen aller besuchten Länder nach einer großen Reise im ersten Hafen des Heimatlandes, sowie bei Ankunft im Heimathafen gesetzt. Es ist Tradition und Ehre zugleich. Das erste Mal flattern also alle Flaggen unter der Saling. Nur leider ist doch Verkehr auf der Förde. Von hinten kommt ein Marineschiff schnell auf. Ein Minenleger oder so ähnlich, also kein kleines Teil. Typische Reaktion eines Seglers: “Na der überholt mich ja, ich hab also Vorfahrt.” Terrierkomplex nenne ich das immer. Der Minenleger kommt also immer näher und nur langsam dreht er zur Seite weg. Der Kommandant und Ich begaffen uns dabei durchs Fernglas. Wer zuerst blinzelt verliert. Dann aber die Überraschung: Er kommt auf die Brückennock und winkt fröhlich herüber. und hebt den Daumen beim Anblick der Nonsuch. Dann verschwindet er wieder in der Brücke. Sekundenbruchteile später blökt sein Horn auf. Habe ich also doch was falsch gemacht? Nein: Tuuuuut Tuuuuuut Tuuuuuut. Drei Mal lang. Das Grußsignal! Wieder kommt er raus und winkt. Ich freue mich tierisch, und erwidere mit zweimal kurz. Wobei meine Tröte da eher armselig klingt.
Ich kann nicht mal sagen ob Stolz oder Freude in diesem Moment überwiegen. Auf jeden Fall eine mega tolle Geste. Schöner kann ein erster Empfang in der Heimat ja fast nicht ablaufen.

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Und dann ist es so weit. Ich erreiche den westlichsten Punkt der Ostsee, an der kleinen Grenzbrücke bei Flensburg-Kupfermühle, ganz in der letzten Ecke der Flensburger Förde. Eigentlich kein besonderer Platz, aber für mich könnte er gerade nicht wichtiger sein. Zwar ist es natürlich noch etwas Anderes in Töre einzulaufen, aber das Erreichen des westlichsten Punktes komplettiert diese Reise. Ich habe die gesamte Ostsee von Westen nach Osten, von Süden nach Norden bereist. Ein tolles Gefühl. Und wie in einem Film laufen bei mir die ganzen letzten paar Meilen bis Flensburg einzelne Szenen aus dem Sommer ab.

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In Flensburg anzukommen ist dann ein Kontrastprogramm. Wieder einmal der Lärm der Stadt (auch wenn der hier mir irgendwie unsympathischer als zum Beispiel in Göteborg erscheint ;-) ), Leute die einen im Supermarkt auf Deutsch ansprechen, und  überhaupt. Ich verbringe den Abend lieber an Bord mit Blick auf den Museumshafen und dem ersten Döner seit 6 Monaten. Das ist im Ostseeraum nämlich irgendwie noch nicht angekommen. Und ich mache das erste seit Monaten wieder mit Heckpfählen fest. Kleine Randnotiz, aber auch irgendwie ein komisches Gefühl.

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Aber irgendwie zieht es mich doch noch wieder raus. Und nach Dänemark. Anstatt in Flensburg zu bleiben geht es für mich nach Kegnaes, auf der dänischen Seite der Förde. Noch einmal vor Anker liegen. Und wieder ist die Szenerie absolut genial. Obwohl es tagsber genug Wind zum Segeln gab, legt sich jetzt wieder ein Dunstschleier und spiegelglatte See über das Hørup Hav. Ich nutze die Zeit ohne Ablenkung von Land und schwelge in Erinnerungen. Und für einige Sekundenbruchteile bin ich wieder auf See. Im Bottnischen Meerbusen. Im frischen Haff vor Kaliningrad, im Götakanal oder irgendwie hinter einer namenlosen Schäre…
Noch bis Sonntag… Kommt doch auf ein Bier vorbei wenn ihr in der Nähe seid! ;-)