Auf Nessies Spuren und einer der 7 schönsten Orte Europas

Wie schon der Göta Kanal scheint der Caledonian Canal einen also zu entschleunigen. Bisher zwar nur aus Zwang, aber mal sehen was die Tage noch so bringen denke ich mir. Vorfreude ist ja schließlich auch die schönste Freude, also wird Loch Ness eben erst morgen erkundet. Erstmal lerne ic abends im Hafen Herrmann kennen. Ein weiterer Deutscher Einhandselger hier oben. Im Gegensatz zur Ostsee sind wir hier oben echt eine Seltenheit. Einige Holländer gibt es, einige Norweger und Schweden, aber Deutsche habe ich bisher echt selten hier gesehen. Vielleicht ändert sich das ja je weiter ich nach Süden komme…

Gleich nach Öffnung der Schleusen morgens um 8 geht es dann in Dochgarroch los. Nach den vergangengen Starkwindtagen liegt das Loch Ness heute ganz ruhig und friedlich vor uns. Auch das Leben am ist noch nicht so richtig aufgewacht. Trotzdem gibt es massig zu entdecken. Ankerplätze die mit antiken Wracks gesäumt sind, Herrenhäuser, Seehunde und kleine Dörfer. Das alles vor der unglaublich imposanten Kulisse der bis zu 350m hohen Berge. Einfach ein herrlicher Morgen. Passend zu dieser Kulisse komme ich dann noch auf die merkwürdige Idee das Ganze mit Dudelsackmusik von Spotify zu untermalen. Das Bild hättet ihr an Bord echt sehen müssen…

Irgendwann kommt das ehemals mächtige Urquhart Castle in Sicht. Ein mittelalterliches Schloss und DIE Attraktion in Loch Ness. Von Nessie natürlich mal abgesehen. Der Steg direkt davor ist leider für die Ausflugsschiffe reserviert, doch daneben steigt der Grund offenbar steil an. Perfekt um vor Heckanker zu gehen. Dafür gibts dann gleich bewundernde Blicke vom Aufseher, das Konzept hat er nämlich noch nicht gesehen, ist aber völlig einverstanden damit. Die Erkundung des Schlosses kann also losgehen. Und zwar schnell, denn in Invergordon liegen laut seiner Aussage die Disney Magic, Mein Schiff (in unnachahmlicher schottischer Aussprache „MiinSkiff“), und Aida. Wenn die hier aufschlagen wird man das Ganze eher nicht mehr genießen können. Schon Sultan Saladin im 11. Jhd. hatte mit uns Seglern nämlich eins gemeinsam: Die Angst vor aufschlagenden Kreuzfahrern. ;-)

Ich gehöre ja generell nicht zu den Geschichtsvergessenen, aber hier gibt es tatsächlich mehr als nur alte Steine zu entdecken. Das Urquhart Castle ist mutmaßlich bereits seit etwa 500 n.Chr. besiedelt und wurde bis zu seiner Zerstörung 1745 immer wieder modernisiert und ausgebaut. So erfährt man hier auch einen schnellen Überblick über die schottische Geschichte.Wie einige kleine Puzzlestücke. Und mit jeder besuchten Attraktion fügt sich das Bild der schottischen Geschichte ein wenig mehr zusammen. Und mittlerweile bin ich der Meinung dass diese mehr zu bieten als Whisky und Kneipenmusik hat, sondern vielleicht wirklich eine der vielseitigsten und interessantesten in Europa ist. Und auch warum die Schotten der Meinung sind eine eigene Identität zu haben und vielleicht unabhängig von England sein sollten ist vielleicht nicht ganz von der Hand zu weisen…

Selbst wenn man nun gar nichts mit Geschichte zu tun hat lohnt sich der AUfstieg in die alten Gemäuer. Der Ausblick aus dem markanten Grant Tower über die Highlands, den Great Glen (das große Tal, und das Loch Ness ist nämlich wirklich einmalig. Klar, ursprünglich war dieser ja auch mal zur Überwachung gebaut worden…

Leider mache ich auf der Spitze auch eine unnangenehme Entdeckung. Der zuvor tagelange Westwind hat gedreht. Und nun kommt er Nonsuch vor Heckanker genau von hinten entgegen. Also Schluss mit Entdeckerspielen und im Schweinsgalopp zurück zum Schiff. Macht nix, mittlerweile ist es auch wirklich ziemlich voll geworden.

Nach dem Anker aufholen kommt mir aber die positive Seite des Winddrehers in den Kopf: Für den Rest des Weges kommt der Wind nun genau von hinten! Welche Wohltat nach den Motorstunden der vergangenen Tage! Parasail-Time! Schnell ist alles an Bord vorbereitet und Nonsuchs neues rotes Kleid kommt wieder zum Einsatz. Viel besser könnte es doch kaum laufen. 10kn Wind platt vorm Laken, Das Boot läuft mit dem stabil stehenden Parasail, dem durch seinen Flügel auch kleine Böen oder Windlöcher nichts ausmachen, gut an die 6 Knoten. Hätte ich ja mit meinem alten Gennaker mit meinem dicken alten Mädchen vorm Wind nicht für möglich gehalten. Obwohl noch 20SM Loch Ness vor mir liegen vergeht der Rest des Tages wie im Flug. Der über 200m Tiefe See mit seinem torfgeschwärzten Wasser rast nur so unter mir vorbei. Viel schneller als erwartet kommt das kleine Schleusendörfchen Fort Augustus an seinem südwestlichen Ende in Sicht. Schluss vor heute. Nessie ist mit übrigens nicht über den Weg geschwommen. Schon in Eyemouth hatte mir der Hafenmeister aber die wahrscheinlichste Theorie für die Sichtungen verraten. Und die teile ich jetzt mit euch. Achtung, wer in seinem Glauben an Seemonster gelassen werden möchte, schnell unter dem nächsten Bild weiterlesen ;-) Nessie sind in Wirklichkeit Kegelrobben. Die scheint es nämlich auch in Loch Ness zu geben, und sie haben die Angewohnheit manchmal in einer Reihe hintereinander herzuschwimmen. Nur das Leittier guckt aus dem Wasser um die Lage zu checken. Die anderen zeigen nur ihre Rücken. So entsteht der Eindruck ein riesiges Seemonster mit vielen Windungen schwimmt dort durchs Wasser. Macht Sinn für mich, und Kegelrobben habe ich tatsächlich gesehen… Vielleicht also auch DIE eine??!

Ich mache fest und gehe mit Herrmann erst mal in den Pub zum Dinner. Fort Augustus hat keine richtige „High Street“. Das Dorfzentrum reiht sich viel eher auf beiden Seiten der 5er Schleusentreppe entlang. Ganz süß, aber auch wirklich klein, den fast schon hinter der ersten Häuserzeile ist Schluss mit dem Dorfkern. Immerhin wohnen auch nur wenige Hundert Menschen hier. Auch das alte Kloster ist leider nicht zu besichtigen, ist dort heute doch ein exclusives Hotel untergebracht. Trotzdem ist der kleine Ort völlig überfüllt. Vor allem mit chinesischen Touristen.Auf Nachfrage erfahre ich, dass sich diese auf einer Europareise zu den 7 schönsten Orten in 7 Tagen befinden. Und da müsste ein Besuch in Fort Augustus ja wohl dabei sein! Also sind wir hier wohl in einem der schönsten Orte Europas gelandet zu sein. Hinter einer Häuserecke dann ein neues Tageshighlight: Da übt in seinem Vorgarten doch tatsächlich jemand Dudelsack. Und kein älterer Herr auf Brauchtumssafari, sondern ein junger Typ in meinem Alter! Die Schotten leben ihre Kultur tatsächlich nicht nur für die Touristen… Ein Hinweis übrigens an dieser Stelle mal: Obwohl Fort Augustus einer der Hauptanlaufplätze auf der Kanalstrecke ist, gibt es selbst hier keinen Strom und keine Wasserschläuche. Kein Drama, aber das sollte man vor einer Schottlandreise schon eingeplant haben um keine unschönen Überraschungen zu erleben…

Leider wird der schöne Eindruck am nächsten Morgen etwas getrübt, als das Schleusenpersonal wieder ziemlich patzig und lustlos agiert. Alles geht irgendwie nur dreimaligem Nachfragen und Verweis auf Absprachen mit dem Office. So schade bei den traumhaften Landschaftseindrücken der Gegend… Selbst das Überlegen der Leinen  auf die Poller von uns beiden Einhandseglern ist eine absolute Zumutung für die Jungs. Und das obwohl sie zeitweise zu viert um die Schleuse rumstehen. Hoffentlich wird das bald etwas besser…

Im fünften Stock angekommen halte ich auch nur für ein kleines Mittagspause am oberen Steg und dann gehts weiter. Noch ohne zu wissen, dass nun das schönste Stück Kanal vor mir liegen würde. Die Landschaft wird lieblicher und bewaldetet. Am linken Ufer scheucht doch tatsächlich ein Golfer eine Schafherde mit wilden Schwüngen seines Schlägers davon. Schottland wie es leibt und lebt. Die nächste Schleuse, Kytra, ist dann auf einmal so ganz anders als alle anderen bisher. Die Schleusenwärterin ist eine nette ältere Dame, alles ist mit Blüchen bepflanzt und das alte Büro sieht aus wie aus Disneyland. Endlich kam so richtig entspannte Urlaubsstimmung auf, und der schönste Teil des Caledonian Canal sollte vor mir liegen…