Auf der Nordsee – Teil 2

Mittlerweile hat der Wind auf 21kn aufgefrischt. Irgendwie genau das was ich exakt mitten auf der Nordsee nicht haben wollte. Zwar stimmt die Richtung, etwas vorlicher als Raumschots, und irgendwo in der westlichen Ostsee wäre es der perfekte Segelwind und man würde das Lachen gar nicht mehr aus dem Gesicht bekommen, aber irgendwie gelten hier draußen auf der Nordsee andere Gesetze.
Hier ist Niemand mehr. Heute morgen haben wir den letzten Dampfertreck und die letzte Gasplattform hinter uns gelassen. Das AIS bleibt nun leer. Keine Kontakte. Hier sind wir jetzt komplett auf uns allein gestellt. 180km/h auf der heimischen leeren Autobahn zu fahren macht ja irgendwie Spaßl. Aber auf einer sibirischen Landstraße im Nirgendwo macht einen das leicht nervös. Wenn jetzt ein Reifen platzt hilft keiner so schnell. Ich denke dieser Vergleich verdeutlicht meine Gefühlslage so ungefähr.
Der Wind nimmt auf 6 Windstärken zu. Überraschend schnell baut sich eine beachtliche See auf. Lang, und hoch zwar, aber auch mit unruhig brodelnden Schaumkronen obenauf. Durch die schnellen Höhenwechsel in den Wellentälern wird das Wasser immer mal wieder durch die Cockpitlenzer gedrückt. Das kleine Boot kommt etwas an seine Grenzen. Ist ja am Ende immer noch ein Kielschwerter. Obwohl es im Bezug auf Kurs und Gschwindigkeit eigentlich ein affengeiles Segeln ist kann ich es irgendwie momentan nicht genießen. Zu ungewohnt ist noch das Gefühl hier draußen wirklich komplett auf sich allein gestellt zu sein. Nervosität aus Unerfahrenheit.

Nonsuch jedoch macht ihren Job prima. Eigentlich ist sie ja gar nicht für diese Verhältnisse gebaut, und doch reitet sie jede Welle weich ab, der Windpilot steuert zuverlässig und das Rigg steht auch blendend. Das beruhigt mich etwas. Wenigstens war meine Einschätzung, dass das Schiff diese Reise abkann nicht falsch. Es ist also wirklich eher der Skipper der sich an sein neues Abenteuer noch gewöhnen muss….

Trotz der zeitweiligen Nervosität kann ich im Nachhinein nichts anderes sagen als das die Nordsee trotzdem zahm war. Offensichtlich hat sich unser Topfopfer gelohnt. Gegen Abend nimmt der Wind wieder ab und wir können uns sogar ein schönes warmes Abendessen bereiten. Mangels Alternative allerdings nur im Wok mit flachen Seitenwänden. Meine Ölhose kann heute noch ein Lied von dieser Kochsession denken.
Ihr merkt vielleicht bereits an der lockereren Schreibweise, dass ich mich Stunde um Stunde mehr an das Blauwassersegeln gewöhnt habe. So kommt die nächste Nacht schon mit etwas Entspannung und ich kann in der Freiwache bereits wieder gut schlafen. Als ich die Nachtwache übernehme liegen die Randbereiche der Doggerbank querab. Auf ihnen trohnt ein fast 120m hoher Sendemast, dessen rotes Aero-Licht, obwohl weit südlich von uns gelegen, uns fast die ganze Nacht verfolgt. Eine ganz komische Stimmung und Kulisse ist das. Der Himmel ist grau und bedeckt, wir sind immernoch 300km vom Land weg, und mitten im Nichts steht dieses fast schon bedrohlich wirkende rote Licht in der Luft. Fast die ganze Nacht beäuge ich das Ganze dann auch. Die Anspannung bleibt hoch.

4 Stunden Schlaf und einen Sonnenaufgang später mache ich nun das dritte Mal Frühstück und Kaffee auf See. Dieser Tag steht im starken Kontrast zum gestrigen, denn so langsam stellt sich eine gewisse Gelassenheit und fast schon etwas Routine ein. Zumindest beim Kaffeekochen. Mir wird eine weitere Besonderheit des Blauwassersegelns bewusst. Bei den normalen Tagestörns ist die eigene Stimmung meist mehr oder weniger konstant, hier gibt es ein ständiges Auf und ab, man lebt richtig auf dem Meer mit allen Facetten und ist nicht nur für einige Stunden tagsüber zu Gast solange es einem angenehm ist.
Je mehr Gelassenheit sich einstellt desto mehr Zeit bleibt auch für diese typischen Hochsee-philosophoschen Gedankengänge und Gespräche. Wenn es nicht gerade pustet hat man hier draußen alle Zeit der Welt über Gott und die Welt nachzudenken ohne irgendeine Ablenkung. Kein Handynetz, nichts Ablenkendes, eine echte Wohltat (und das sage ich als jemand der sonst echt gern am Handy klemmt).
Pünktlich zu dieser zufriedenen Stimmung taucht auch der erste Delphin der Reise aus und dreht eine Runde ums Schiff. Die Blauwassernervosität von uns beiden zeigt sich nun mal anders: Wir sind zunächst völlig perplex und der Außenbordskamerad ist schon wieder verschwunden bevor ich die Kamera zücken konnte. Also gibt es für euch leider keine typisch kitschigen „Delphine-spielen-am-Bug“ Fotos.  Wer aber so langsam wieder auftaucht sind die Fischer. So langsam merken wir, dass wir uns dem Land wieder nähern. Also gibt es wieder etwas mehr zu tun…. Kleine Feierstunde dann aber noch am Nachmittag: Wir überqueren den Nullmeridian. Auch wieder so ungewohnt, dass wir beide die nächsten paar Logbucheinträge aus reiner Gewohnheit immer noch „E“ ins Logbuch eintragen.

Das Laden der Wetterberichte wird mehr und mehr zum festen Fixpunkt im Tagesablauf. Fast so wie die Tagesschau an Land. Der nächste Wetterbericht den wir über das extra für die Fahrt gemietete Satellitentelefon ziehen bringt allerdings wieder etwas Ernüchterung. Auch wie meistens die Tagesschau…  Unser Wetterfenster wird immer kleiner. Schon am nächsten Nachmittag soll es wieder mit 25kn auf der Nordsee wehen. Unklar wieviel die Realität da noch draufpacken wird. Unser eigentlichen Ziel Peterhead in Aberdeenshire werden wir in der verbleibenden Zeit nicht mehr erreichen können. Zumindest wenn wir nicht das Risiko eingehen wollen mit der kleinen Nonsuch in das dicke Wetter zu geraten. Ich bin zwar kein Weichei, aber dieser Schiffsgröße sind auf dem offenen Meer einfach Grenzen gesetzt. Soviel haben die letzten Tage gezeigt. Nun macht sich aber die sorgfältige Planung der letzen Tage bezahlt. Ich habe den Kurs ja mit Absicht nicht genau auf Peterhead gesetzt, sondern eine „Banane“ in Richtung Britisches Festland gefahren. Und so haben wir jetzt die Möglichkeit einen Hafen zu wählen den wir in den verbleibenden 18std. erreichen können. Die Wahl fällt auf das schottische Arbroath. Der Kurs wird angepasst, die Tiden und Karten gecheckt und so geht es nach einem weiteren Abendessen auf See (diesmal ohne Flecken auf der Hose) in die nächste Nacht. Kurz vor 12 werd ich wach und mache mich bereit die Nachtwache wieder zu übernehmen. Statt Kaffee schnell eine Heisse Tasse aufgesetzt, 4 Schichten Klamotten (im Juli!) an, und los. Der Wind weht kalt und hat bereits etwas gedreht und zugenommen. Aber alles noch kein Problem. Ich richte mich im Cockpit ein und beginne die Wellen zu beobachten…