Kategorie: News & Blogs

Neuer Blogeintrag auf yacht.de

Liebe Leser, wir haben in den vergangenen Wochen viele Meilen abgerissen und sind nun gestern Abend auf Exuma angekommen. Mitten in den Bahamas. Ein traumhaftes Fleckchen. Für YACHT-Online habe ich gerade zusammengefasst, was die letzten Wochen so alles passiert ist ……

Schlimmer geht immer

Gestern auf dem Weg die Flensburger Förde hinaus frischte der Wind immer weiter auf und die Wellen nahmen schnell an Höhe zu. Das liegt wohl auch an der Lage und der damit verbundenen Düse. Mir war es egal,denn ich hatte mir so etwas schon gedacht und war sowieso auf Krawall gebürstet. Außerdem finde ich es immer wieder beruhigend auch in solchen Situationen unterwegs zu sein und das Boot im Griff zu haben. Im 2.ten Reff macht „La Mer“ eigentlich alles mit, aber es waren doch sieben lange Kreuzschläge und am Ende ein paar Stunden nötig um die 12 Meilen zu abzureißen. Bei der Welle und dem Strom in die Förde auch kein Wunder. Aber aufgeben zählt nicht, auch wenn ich von allen unter Motor überholt wurde. Nur noch ums Kap und dann mit halbem Wind Kurs Alssund. Seit Stunden regnet es ununterbrochen, selbst mein T-Shirt ist schon nass. Schlimmer kann es ja nicht mehr werden, dachte ich mir. Und prompt legte der Wind so zu, wie ich es nie vorher erlebt hatte. Am Ende hatte ich  nur noch ein Stück Fock in Badehandtuchgröße stehen und krängte trotzdem um 30 Grad. Zum ersten Mal hörte ich das berühmte Tosen des Sturmes. Unheimlich, aber auch großartig sich dem Wind zu stellen. „La Mer“ hielt die Höhe bei guten 5 Knoten, kein Grund zur Sorge. Wie wild schlingerte ich mit dem bißchen Fock quer zu den Wellen, die das Boot zusätzlich auf die Seite drückten. Aber das Boot machte alles mit und es tat gut einmal auszuprobieren was möglich ist. Denn wenn man seine Skala des Schreckens nach oben erweitert hat, fühlt sich alles vorher erlebte später harmlos an. Ja ja, ihr lacht. Ihr, die schon Schlimmeres erlebt habt. Alle anderen vielleicht auch nicht. 

Heute ging es dann weiter in die Dyvig, wieder gegen enorme Windböen und weisses Wasser. Machte mir nun heute nichts mehr aus, hatte ich ja gerade Schlimmeres erlebt. Und so lässig  fuhr ich mir dann ich dann beim Anlegen in einer Riesenbox bei brutaler Böe einen Festmacher in den Propeller. Man lernt eben nie aus. Schlimmer geht es wohl kaum noch, dachte ich mir, als das Boot endlich fest lag und ich erstmal zu Beruhigung in der Plicht saß, bevor ich weitere Dummheiten mache. Doch dann sehe ich, wie ein Segelboot ein anderes Boot einschleppt, dem ebenfalls ein Tampen von der Bugklampe in der Schraube hängt…nur fehlt diesem Boot auch noch der gesamte Mast. 

Schlimmer geht immer…der Wind soll heute auch vor der deutschen Ostseeküste ziemlich gewütet haben. Und ich frage mich gerade, ob ich morgen Vormittag bei 10 Grad Wassertemperatur  schwimmen gehen sollte. Der Neoprenanzug liegt leider trocken in der Garage. Na mal sehen, was sich morgen noch so ergibt. Zwei 5 Kronen Stücke für die warme Dusche danach liegen jedenfalls schon bereit.

Lust statt Last: Der Weg zurück vom Boot zum Flugplatz. Oder: DieGeschichte von Dolmus und Otogar.

Meist ist der Weg zurück nach dem Törn kein fröhlicher. Lag auf dem Hinweg noch alles Schöne in froher Erwartung vor einem, geht jetzt der Weg zurück. Die Aussichten, in den engen Flieger gepfercht zu werden und am Montag wieder am Schreibtisch zu sitzen, tun ein übriges. Aber statt in ein Taxi zu steigen, was in der Türkei stets teures Vergnügen ist, das sich die normale Bevölkerung niemals leistet, kann man ja mal das Alltagsgefährt von Otto-Normal-Türkin und -Türke besteigen: den Kleinbus, den sie liebevoll „Dolmus“ nennen (gesprochen: Dolmusch). Und das ist allemal ein günstiges Vergnügen mitten drin im Leben: Kostet die fünfminütige Fahrt mit dem Taxi hinein nach Marmaris etwa 22 Lira (umgerechnet 7 Euro), besteigt man den Dolmus für denselben Weg nur für 2 Lira – 65 Cent. Aber etwas Zeit muss man schon mitbringen, für den Dolmus.

                                                              Weiterlesen bei: Wie sieht eigentlich so ein Dolmus aus? Hier.

Meine Reise beginnt dort, wo nachts die Dolmuse schlafen: Im Otogar, dem Busbahnhof. Ein Otogar ist – wie unser deutscher Bahnhof und unsere Raststätten – ein Ort, an dem man viel über eine Gesellschaft lernen und erfahren kann. Wie verhält sich eine Gesellschaft? Wie organisiert sie sich und ihr „unterwegs-sein“, das Lust und Broterwerb gleichermaßen dient? Ist eine Gesellschaft mit sich selbst beschäftigt? Oder hilfsbereit? Nach welchen Regeln kommt man vorwärts?

Nehmen wir mal einen x-beliebigen deutschen Großstadtbahnhof. Den von Köln. Oder Hannover. Oder von München. Das ist gleich, denn wesentlich unterscheiden tun sie sich, außer dass in Hannover ein Ernst-August davor steht, in Köln ein Dom und in München ein HERTIE, nicht sonderlich. Zwei Dinge fallen sofort ins Auge: Hektik ist angesagt. Menschen, die schnellen Schritts von A nach B eilen, nach geheimem Plan und Marschbefehl wie Ameisen eines Waldameisen-Baus. Ein organisiertes Durcheinander, ein Vorbeihasten, vor Schnelligkeit den eigenen Weg berechnen, gebremst nur, wenn man sich verrechnet hat und in einen zur gleichen Seite ausweichenden Entgegenkommer rennt. Ein rasches „Time is money“, in dem Verweilen schon gar nicht angesagt ist, in dem das „ich muss aber doch heute noch…“ unseres Alltags über den Perons regiert. Das zweite, was auffällt: Ausschließlich system-gastronomisch organisierte Ess-Meilen, die den Reisenden auf seiner Hatz durch bundesrepublikanische Bahnhofszentren begleiten. Systemgastronomie von BACKWERK bis BURGER KING, von GOSCH bis HUSSEL, von McDONALDS bis NORDSEE. Alles, alles folgt den Gesetzen der Effizienz. Effizienz ist unser aller Kundenwunsch, das geht bei ALDI los und reicht bis „Bahnhof“. In der Diktiertheit unseres Lebens kommt der Zauber des Reisens und Verreisens unter die Räder.

Leichter hat man es da, ist man einmal außerhalb von Raum und Zeit, wie im Urlaub. Zum Beispiel in einem türkischen Otogar. Das Wort allein ist in der an Pragmatismus reichen türkischen Sprache schon ein Witz. Eine Kreuzung aus „Auto“ und „La Gare“. Nicht genug damit: jedes Dorf hat seinen Otogar. Eisenbahn gibt es hier in der Südtürkei nicht. Das Land ist überzogen von einem feinmaschigen Netz von Buslinien: Die kleinen Busse, die man hier „Dolmus“ nennt und „Dolmusch“ ausspricht. Mit denen man für zwei Lira, umgerechnet 66 Cent, aus den Vorstädten hineinrollt. Den mittelgroßen Bussen, die im Stundentakt zwischen den Städten hin hund herpendeln und in denen die dreistündige Reise von Fethiye nach Marmaris 28 Lira kostet, etwas mehr als neun Euro. Sie alle treffen sich im Otogar. 

Männer stehen dort in geschäftigen Grüppchen herum, palavern. Der Himmel weiß, worüber. Ein Mann, der auf altem Roller am Straßenrand Frau und Kind abliefern, für die Fahrt in die große Stadt, eine junge Mutter mit ihrer kleinen Tochter. Großmütter, die am Straßenrand stehen, mit großen Packen. Die Türkei ist ein Land, in dem gerne viel transportiert wird, werktags und feiertags, irgendwer steht immer am Straßenrand, irgendwer hat immer einen Ballen geschultert, um ihn von links nach rechts oder rechts nach links zu transportieren, Ameisen, doch statt mit effizienz-getrimmten Räderkoffern mit Ballen, Packen, Packeten bepackt. Aber anders als die Waldameisen bei uns daheim stehen die Menschen hier. Und warten. Ich habe aber noch nicht herausbekommen, worauf. Irgendwer – ob alt, ob jung – steht immer mitten im gottvrlassenen „nowhere“ am Straßenrand. Und wartet auf irgendwas.

Blickt man auf weitere Unterschiede, wird man schnell fündig. Der Otogar ist, dank südlichen Klimas, immer unter freiem Himmel. Im wesentlichen ist der Otogar eine Männerwelt, ein kleines bisschen getragen wie in Italien von der Männer-Bündelei untereinander. Ein Beispiel: Aushängende Fahrpläne gibt es nicht. Wer irgendwo in will: der fragt einfach einen Mann, der meist im weißen Hemd und schwarzer Hose vor einem Dolmus steht. Als ich neulich herumirrte auf der Suche nach einer passenden Verbindung schwankend zwischen Bus, Leihwagen und sonstwas für die sechsstündige Reise von Marmaris nach Antalya, traf ich im Otogar auf Mehmet. Als ich ihn – ratlos, wie denn das lange Stück am besten zu bewältigen sei, genervt von räuberischen Taxifahrern – als ich Mehmet also entnervt im Gewühl des Otogars von Marmaris ansprach, wie ich denn am besten mein Wegstück zurücklege, lautete seine lapidare Antwort aus dem Stegreif und ohne irgendwo nachzublättern:

„8.15 tomorrow to Fethiye. 
10.30 from there 3 hours to Antalya. 
Half an hour Taxi to Havalimane.“ 

Das saß. Ein bisschen Mut gehört allerdings dann schon dazu, sich dem Wort eines Weißhemds wie Mehmet anzuvertrauen und vielleicht den mühsam ergatterten Flieger zu versäumen. Aber dies lernte ich schnell in der Türkei: Ein Wort ist ein Wort. Und so ließ ich also Leihwagen und Taxi getrost sein. Und begab mich mit geschultertem Seesack zum Otogar. Kaufe von irgendjemand im weißen Hemd, der vor einem Dolmus steht und ein Bündel mit Banknoten in der Hand hält, mein Ticket. Denn Schalter gibt es auch nicht. Dafür aber Männer im weißen Hemd. 

Der Bus fuhr pünktlich ab. Aber just, als wir in den Otogar von Fethiye einrollen, passiert uns ein Bus mit der Aufschrift „Antalya“. „Mist. Der ist weg. Mein Flieger? Winke, winke???“ Fragezeichen purzeln reißenden Bächen gleich durch meinen Kopf. Aber kaum bin ich meinem Bus entstiegen, steht ungefragt ein Mann in weißem Hemd vor mir: „Antalya?“ fragt er. Ich bejahe. „Come“, sagte er, „bus leaving.“ Ungefragt schreitet er voran, wieder einmal ist hier in der Türkei mein Vertrauen ins Leben gefragt. Der Mann verläßt den Busbahnhof, geht schnellen Schrittes um den Häuserblock, ich hasste ihm nach mit geschultertem Seesack, hinterher, einmal ums Karree. Auf die Hauptstraße. Dort ist eine Ampel. Die steht auf Rot. Davor steht gerade der Bus nach Antalya. 
Der Fahrer steigt aus, nimmt meinen Seesack. Öffnet die Tür. Ungefragt. Und schon bin ich drin.

Noch einen Unterschied gibt es, der mich in den Ländern des Mittelmeers und auch hier in der Türkei fasziniert: Handy-Netz und Internet funktionieren. Lückenlos. Auf vielen Fahrten mit Dolmus und Bus quer durch die südliche Türkei war dies immer ein großes Erlebnis, vom kleinen Bus aus überall im Internet sein und arbeiten zu können. Ein echtes Aha-Erlebnis für den, der mit dem ICE von München nach Hannover reist. Denn kaum hat dies Wunderwerk der Technik den Münchner Hauptbahn verlassen: Schon ists vorbei mit Netz – für Stunden. Sind wir wirklich so effizient, wie wir uns gebärden?

Auch im türkischen Dolmus trifft sich „tout-le-monde“, Hauptsache mit Ballen und Säcken bepackt. Und während ich diesen kleinen Post schreibe, interessiert sich ein kleiner Junge auf dem Nachbarsitz neben mir, er barfuß wie sein Vater, für das, was ich da treibe. Und weil er mir so interessiert bei der Arbeit auf dem iPAD zusieht, stelle ich mein iPAD mal ganz schnell um und zeige ihm darauf sein Spiegelbild: Was Vater und Sohn höchlich amüsiert und die übrigen Angehörigen der Fahrgemeinschaft im Dolmus erst mal mit verhaltener Begeisterung betrachten. Das Leben ist einfach, der Kleine hat Freude mit seinem Spiegelbild, erklärt es seinem Vater. Er ist noch frei von sehnenden Gedanken an HALO 3 und WORLD-OF-WARCRAFT. Scheinbar. Denn er und sein Vater und das kleine behinderte Mädchen, das mit den beiden reist, sind Syrer. Drei von 1,7 Millionen, die die Türkei seit Ausbruch des Krieges aufgenommen hat. Wie bitte? Das wäre ja fast so: als würden die 80 Millionen Einwohner Deutschlands mal eben die Bevölkerung Sloweniens bei sich aufnehmen?

Vater und Sohn sprechen kein Englisch, kein Türkisch, irren auf wer-weiß welchen Wegen durch die Türkei. Kurz vor Antalya bittet mich der Vater um einen Stift. Auf einem kleinen Zettel kritzelt er Ziffern, eine Telefonnummer. Ich verstehe nicht, was er von mir möchte. Aber dann begreife ich: ich möge doch diese Nummer für ihn anrufen. Ich wähle die Nummer, gebe ihm das Handy, er telefoniert, reicht es quer durch Bus zum Fahrer, damit der mit der Person am anderen Ende der Leitung spricht. Offensicht weiß der Familienvater nicht, wo er jetzt mit den Kindern in Antalya hin soll. Aber das ist schnell geklärt. Am Otogar von Antalya, groß, überdacht, modern, trennen sich die Wege. Es ist so schrecklich wenig, was ich für die drei tun kann.

Und so widme ich diesen Post, während in Deutschland die Bahn nicht funktioniert, weil ein paar wenige Leute wegen nicht verstehbaren „wer-darf-wen-vertreten“-Hickhacks streiken, dem türkischen Dolmus und den Menschen, die mit ihm reisen. Ich schrieb diesen Post während dreistündiger Fahrt von Fethiye nach Antalya, durch mongolische Steppen, entlang an schneebedeckten Dreitausendern und antiken Hügelfestungen. Vorbei an Pappelhainen und menschenleerer Ödnis. Dem türkischen Bussystem, das sich – wiewohl auf den ersten Blick etwas rückständig – doch als ausgesprochen „effizient“ erweist: was Zuverlässigkeit und Internet und Arbeiten von unterwegs angeht. Und: den Blick aufs wirkliche Leben.

                                       Weiterlesen über: Segeln in der Türkei. Hier. 

                                       Weiterlesen über: Die vergessenen Inseln. Hier.

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Lust statt Last: Der Weg zurück vom Boot zum Flugplatz. Oder: Die Geschichte von Dolmus und Otogar.

Meist ist der Weg zurück nach dem Törn kein fröhlicher. Lag auf dem Hinweg noch alles Schöne in froher Erwartung vor einem, geht jetzt der Weg zurück. Die Aussichten, in den engen Flieger gepfercht zu werden und am Montag am noch engeren Schreibtisch zu sitzen, tun ein übriges. Aber statt in ein Taxi zu steigen, was in der Türkei stets teures Vergnügen ist, das sich die normale Bevölkerung niemals leistet, kann man ja mal das Alltagsgefährt von Otto-Normal-Türkin und -Türke besteigen: den Kleinbus, den man dort liebevoll „Dolmus“ nennt (gesprochen: Dolmusch). Und das ist allemal ein günstiges Vergnügen mitten drin im Leben: Kostet die fünfminütige Fahrt mit dem Taxi hinein nach Marmaris etwa 22 Lira (umgerechnet 7 Euro), besteigt man den Dolmus für denselben Weg nur für 2 Lira – 65 Cent. Aber etwas Zeit muss man schon mitbringen, für den Dolmus.

                                                              Weiterlesen bei: Wie sieht eigentlich so ein Dolmus aus? Hier.

Meine Reise beginnt dort, wo nachts die Dolmuse schlafen: Im Otogar, dem Busbahnhof. Ein Otogar ist – wie unser deutscher Bahnhof und unsere Raststätten – ein Ort, an dem man viel über eine Gesellschaft lernen und erfahren kann. Wie verhält sich eine Gesellschaft? Wie organisiert sie sich und ihr „unterwegs-sein“, das Lust und Broterwerb gleichermaßen dient? Ist eine Gesellschaft mit sich selbst beschäftigt? Oder hilfsbereit? Nach welchen Regeln kommt man vorwärts?

Nehmen wir mal einen x-beliebigen deutschen Großstadtbahnhof. Den von Köln. Oder Hannover. Oder von München. Das ist gleich, denn wesentlich unterscheiden tun sie sich, außer dass in Hannover ein Ernst-August davor steht, in Köln ein Dom und in München ein HERTIE, nicht sonderlich. Zwei Dinge fallen sofort ins Auge: Hektik ist angesagt. Menschen, die schnellen Schritts von A nach B eilen, nach geheimem Plan und Marschbefehl wie Ameisen eines Waldameisen-Baus. Ein organisiertes Durcheinander, ein Vorbeihasten, ein vor Schnelligkeit den eigenen Weg berechnen, gebremst nur, wenn man sich verrechnet hat und in einen zur gleichen Seite ausweichenden Entgegenkommer rennt. Ein rasches „Time is money“, in dem Verweilen schon gar nicht angesagt ist, in dem das „ich muss aber doch heute noch…“ unseres Alltags über den Perons regiert.

Das zweite, was auffällt: Ausschließlich systemgastronomisch organisierte Ess-Meilen, die den Reisenden auf seiner Hatz durch bundesrepublikanische Bahnhofszentren begleiten. Systemgastronomie von BACKWERK bis BURGER KING, von GOSCH bis HUSSEL, von McDONALDS bis DUNKIN‘ DONUTS. Alles, alles folgt den Gesetzen der Effizienz. Effizienz ist unser aller Kundenwunsch, das geht bei ALDI los und reicht bis „Bahnhof“. In der Diktiertheit unseres Lebens kommt der Zauber des Reisens und Verreisens unter die Räder.

Leichter hat man es da, ist man einmal außerhalb von Raum und Zeit, wie im Urlaub. Zum Beispiel in einem türkischen Otogar. Das Wort allein ist in der an Pragmatismus reichen türkischen Sprache schon ein Witz. Eine Kreuzung aus „Auto“ und „La Gare“. Nicht genug damit: jedes Dorf hat seinen Otogar. Eisenbahn gibt es hier in der Südtürkei nicht. Das Land ist überzogen von einem feinmaschigen Netz von Buslinien: Die kleinen Busse, mit denen man für zwei Lira, umgerechnet 66 Cent, aus den Vorstädten hineinrollt. Den mittelgroßen Bussen, die im Stundentakt zwischen den Städten hin hund herpendeln und in denen die dreistündige Reise von Fethiye nach Marmaris 28 Lira kostet, etwas mehr als neun Euro. Sie alle treffen sich im Otogar. 

Männer stehen dort in geschäftigen Grüppchen herum, palavern. Der Himmel weiß, worüber. Ein Mann, der auf altem Roller am Straßenrand Frau und Kind abliefert, für die Fahrt in die große Stadt, eine junge Mutter mit ihrer kleinen Tochter. Großmütter, die am Straßenrand stehen, mit großen Packen. Die Türkei ist ein Land, in dem gerne viel transportiert wird, werktags und feiertags, irgendwer steht immer am Straßenrand, irgendwer hat immer einen Ballen geschultert, um ihn von links nach rechts oder rechts nach links zu transportieren, Ameisen, doch statt mit effizienz-getrimmten Räderkoffern mit Ballen, Packen, Packeten bepackt. Aber anders als die Waldameisen bei uns daheim stehen die Menschen hier. Und warten. Ich habe aber noch nicht herausbekommen, worauf. Irgendwer – ob alt, ob jung – steht immer mitten im gottvrlassenen „nowhere“ am Straßenrand. Und wartet auf irgendwas.

Blickt man auf weitere Unterschiede, wird man schnell fündig. Ein Otogar ist, dank südlichen Klimas, immer unter freiem Himmel. Im wesentlichen ist ein Otogar eine Männerwelt, ein kleines bisschen getragen wie in Italien von der Männer-Bündelei untereinander. Ein Beispiel: Aushängende Fahrpläne gibt es nicht. Wer irgendwo in will: der fragt einfach einen Mann, der meist im weißen Hemd und schwarzer Hose vor einem Dolmus steht. Als ich neulich herumirrte auf der Suche nach einer passenden Verbindung schwankend zwischen Bus, Leihwagen und sonstwas für die sechsstündige Reise von Marmaris nach Antalya, traf ich im Otogar auf Mehmet. Als ich ihn – ratlos, wie denn das lange Stück am besten zu bewältigen sei, genervt von räuberischen Taxifahrern – als ich Mehmet also entnervt im Gewühl des Otogars von Marmaris ansprach, wie ich denn am besten mein Wegstück zurücklege, lautete seine lapidare Antwort aus dem Stegreif und ohne irgendwo nachzublättern:

„8.15 tomorrow to Fethiye. 
10.30 from there 3 hours to Antalya. 
Half an hour Taxi to Havalimane.“ 

Das saß. Ein bisschen Mut gehört allerdings dann schon dazu, sich dem Wort eines Weißhemds wie Mehmet anzuvertrauen und vielleicht den mühsam ergatterten Flieger zu versäumen. Aber dies lernte ich schnell in der Türkei: Ein Wort ist ein Wort. Und so ließ ich also Leihwagen und Taxi getrost sein. Und begab mich mit geschultertem Seesack zum Otogar. Kaufe von irgendjemand im weißen Hemd, der vor einem Dolmus steht und ein Bündel mit Banknoten in der Hand hält, mein Ticket. Denn Schalter gibt es auch nicht. Dafür aber Männer im weißen Hemd. 

Der Bus fuhr pünktlich ab. Aber just, als wir in den Otogar von Fethiye einrollen, passiert uns ein Bus mit der Aufschrift „Antalya“. „Mist. Der ist weg. Mein Flieger? Winke, winke???“ Fragezeichen purzeln reißenden Bächen gleich durch meinen Kopf. Aber kaum bin ich meinem Bus entstiegen, steht ungefragt ein Mann in weißem Hemd vor mir: „Antalya?“ fragt er. Ich bejahe. „Come“, sagte er, „bus leaving.“ Ungefragt schreitet er voran, wieder einmal ist hier in der Türkei mein Vertrauen ins Leben gefragt. Der Mann verläßt den Busbahnhof, geht schnellen Schrittes um den Häuserblock, ich hasste ihm nach mit geschultertem Seesack, hinterher, einmal ums Karree. Auf die Hauptstraße. Dort ist eine Ampel. Die steht auf Rot. Davor steht gerade der Bus nach Antalya. 
Der Fahrer steigt aus, nimmt meinen Seesack. Öffnet die Tür. Ungefragt. Und schon bin ich drin.

Noch einen Unterschied gibt es, der mich in den Ländern des Mittelmeers und auch hier in der Türkei fasziniert: Handy-Netz und Internet funktionieren. Lückenlos. Auf vielen Fahrten mit Dolmus und Bus quer durch die südliche Türkei war dies immer ein großes Erlebnis, vom kleinen Bus aus überall im Internet sein und arbeiten zu können. Ein echtes Aha-Erlebnis für den, der mit dem ICE von München nach Hannover reist. Denn kaum hat dies Wunderwerk der Technik den Münchner Hauptbahnhof verlassen: Schon ists vorbei mit Netz – für Stunden. Sind wir wirklich so effizient, wie wir uns gebärden?

Auch im türkischen Dolmus trifft sich „tout-le-monde“, Hauptsache mit Ballen und Säcken bepackt. Und während ich diesen kleinen Post schreibe, interessiert sich ein kleiner Junge auf dem Nachbarsitz neben mir, er barfuß wie sein Vater, für das, was ich da treibe. Und weil er mir so interessiert bei der Arbeit auf dem iPAD zusieht, stelle ich mein iPAD mal ganz schnell um und zeige ihm darauf sein Spiegelbild: Was Vater und Sohn höchlich amüsiert und die übrigen Angehörigen der Fahrgemeinschaft im Dolmus erst mal mit verhaltener Begeisterung betrachten. Das Leben ist einfach, der Kleine hat Freude mit seinem Spiegelbild, erklärt es seinem Vater. Er ist noch frei von sehnenden Gedanken an HALO 3 und WORLD-OF-WARCRAFT. Scheinbar. Denn er und sein Vater und das kleine behinderte Mädchen, das mit den beiden reist, sind Syrer. Drei von 1,7 Millionen, die die Türkei seit Ausbruch des Krieges aufgenommen hat. Wie bitte? Das wäre ja fast so: als würden die 80 Millionen Einwohner Deutschlands mal eben die Bevölkerung Sloweniens bei sich aufnehmen?

Vater und Sohn sprechen kein Englisch, kein Türkisch, irren auf wer-weiß welchen Wegen durch die Türkei. Kurz vor Antalya bittet mich der Vater um einen Stift. Auf einem kleinen Zettel kritzelt er Ziffern, eine Telefonnummer. Ich verstehe nicht, was er von mir möchte. Aber dann begreife ich: ich möge doch diese Nummer für ihn anrufen. Ich wähle die Nummer, gebe ihm das Handy, er telefoniert, reicht es quer durch Bus zum Fahrer, damit der mit der Person am anderen Ende der Leitung spricht. Offensicht weiß der Familienvater nicht, wo er jetzt mit den Kindern in Antalya hin soll. Aber das ist schnell geklärt. Am Otogar von Antalya, groß, überdacht, modern, trennen sich die Wege. Es ist so schrecklich wenig, was ich für die drei tun kann.

Und so widme ich diesen Post, während in Deutschland die Bahn nicht funktioniert, dem türkischen Dolmus und den Menschen, die mit ihm reisen. Ich schrieb diesen Post während dreistündiger Fahrt von Fethiye nach Antalya, durch mongolische Steppen, entlang an schneebedeckten Dreitausendern und antiken Hügelfestungen. Vorbei an Pappelhainen und menschenleerer Ödnis. Dem türkischen Bussystem, das sich – wiewohl auf den ersten Blick etwas rückständig – doch als ausgesprochen „effizient“ erweist: was Zuverlässigkeit und Internet und Arbeiten von unterwegs angeht. Und: den Blick aufs wirkliche Leben.

                                       Weiterlesen über: Segeln in der Türkei. Hier. 

                                       Weiterlesen über: Die vergessenen Inseln. Hier.

                             Wer keinen Post von Mare Piu versäumen und  jeden neuen Artikel gleich bei       
                              Erscheinen erhalten will: 
                             1. Einfach E-Mail-Adresse oben rechts bei „News & neue Artikel… eintragen“. 
                             2. Bestätigungsmail von FEEDBURNER abwarten.

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Bewohner des Meeres: Was aus dem Zackenbarsch und einem verhindertenDinner auf LEVJE entstand.

Im vorigen Post erzählte ich die Geschichte dreier Menschen. Und eines Zackenbarsches, der eigentlich unser Abendmenü werden sollte. Aber weil abrupt das Gas aus war, kaum dass der Zackenbarsch das Licht des Herdes von innen erblickt hatte, fiel das fulminante Menü ins Wasser.

Was also tun mit einem Zackenbarsch, der den Bauch voller Knoblauch und feiner Kräuter hat und kaum erwärmt auf einem Karoffelbett und Wurzelgemüse herumlieg? Ihn aufgeben? Kam gar nicht infrage. Dafür ist der „orfoz“, wie ihn die Türken nennen, zu sehr echte Delikatesse in der Türkei. Aber: wir hatten schnell einen Plan, wie wir doch noch zu unserem Zackenbarsch kommen würden: morgen, und ganz ohne Gas.

Also packten wir den prächtigen Kerl erstmal weg. „Sott’olio“, wie die Italiener sagen, unter eine Menge Olivenöl, und mit den Kräutern, wie er war. Und während wir ihn so betrachteten, den herrlichen Fisch, und in den Kühlschrank schoben: erzählte er uns etwas über sein Leben.

Man erkennt ihn an seinem großen vorstehenden Unterkiefer und dem langen Kamm an Rückenstacheln. Auffällig ist auch seine braunrote Farbe. Und die Flecken. Irgendwie erinnert er an einen Karpfen. Groß wird er, über einen Meter lang. In den Meeren um Florida wird er sogar über zwei Meter. Und alt. Sein Leben lebt er als Einzelgänger, sucht sich irgendwo am Riff eine Höhle. Da lebt er dann, mit anderen Zackenbarschen, wie ein zurückgezogener Rentner in seiner Wohnanlage. Für sich. Aber in Blickweite der anderen. Und da, in seiner Riffhöhle wartet auf Beute: Meist kleinere Fische oder Krebschen, die er mit blitzschnellem Vorstoß aus seiner Höhle packt und mit rascher Öffnung des riesigen Mauls in sich saugt. Zackenbarsche sind, obwohl sie mehr Ähnlichkeit mit Karpfen haben, erstaunlich gute Jäger. Sie sind, wie manche Menschen, die ich kenne, echt „faule Socken“: das lange Verfolgen der Beute ist ihre Sache nicht. Das blitzschnelle Zustoßen und dann wieder träge in der Behausung verharren: dies schon.

Der Zackenbarsch sieht immer etwas übellaunig, wo nicht gar beleidigt aus. Das liegt an seinem langen, markanten Unterkiefer. Aber warum und worüber er schlechter Laune oder gar beleidigt ist: darüber schweigt er sich aus, der Zackenbarsch. Vielleicht liegt es daran, dass er in der Türkei wie auch anderswo im vergangenen Jahrzehnt zuviel gejagt wurde. Mit dem Netz kommt man ihm nicht bei. Nur mit der Angel oder schlimmer: mit der Harpune. Und so beschloß der Zackenbarsch, der eigentlich sehr standorttreu ist und immer in seiner Wohnanlage lebt: dass es Zeit sei für Veränderung. Und deshalb hat er sich in den letzten Jahren einfach – zurückgezogen. In viel größere Tiefen. Feisal, der Fischausnehmer auf dem Fischmarkt von Fethiye – über ihn werde ich in meinem nächsten Beitrag schreiben – erzählt mir, dass die Fischer jetzt an den Zackenbarsch in Tiefen von 200, 300 Metern und mehr herankommen. An den Steilküsten der Türkei keine Seltenheit.
 
Und dies macht ihn dann auch so teuer: Die Jagd auf ihn ist aufwändigste Angelegenheit, ihm einfach mit dem Netz beikommen zu wollen, lässt den Zackenbarsch kalt. Und so ist der Zackenbarsch eine teure Delikatesse. Ibrahim, der Restaurantbesitzer, über den ich im vorigen Beitrag schrieb und der mir einen verkaufte, hatte ungefähr zehn, fünfzehn frische in seiner Kältetruhe.
 

Allein schon deshalb dürfen wir unseren Zackenbarsch nicht verkommen lassen. Die Lösung: ist der Fischmarkt von Fethiye. Am Abend motoren wir die zweieinhalb Stunden über den Golf und tragen unseren Zackenbarsch zum Fischmarkt von Fethiye. Und weil der mit der Besonderheit aufwartet, dass man dort seinen Fisch nicht nur bei den laut schreienden Fischverkäufern in der MItte des Marktes kaufen, sondern ein paar Meter weiter in jedem der umliegenden Restaurants abgeben und zubereiten lassen kann: kommt unser Zackenbarsch am Abend auf den Grill. Und erweist sich, sobald er auf unserem Teller lag, aller Mühen wert. Mit frischem Salat und einfachem türkischen Weißwein ein echtes Gedicht. Fast wie ein Seeteufel.
 
Seien wir also einen Moment dankbar: Dafür, dass der Zackenbarsch auf unserem Teller landete. Und dafür: dass zur rechten Zeit auf LEVJE das Gas ausging.
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Bewohner des Meeres: Was aus dem Zackenbarsch und einem verhinderten Dinner auf LEVJE entstand.

Im vorigen Post erzählte ich die Geschichte dreier Menschen. Und eines Zackenbarsches, der eigentlich unser Abendmenü werden sollte. Aber weil abrupt das Gas aus war, kaum dass der Zackenbarsch das Licht des Herdes von innen erblickt hatte, fiel das fulminante Menü ins Wasser.

Was also tun mit einem Zackenbarsch, der den Bauch voller Knoblauch und feiner Kräuter hat und kaum erwärmt auf einem Karoffelbett und Wurzelgemüse herumlieg? Ihn aufgeben? Kam gar nicht infrage. Dafür ist der „orfoz“, wie ihn die Türken nennen, zu sehr echte Delikatesse in der Türkei. Aber: wir hatten schnell einen Plan, wie wir doch noch zu unserem Zackenbarsch kommen würden: morgen, und ganz ohne Gas.

                                                                   Weiterlesen bei: Unterwegs im Golf von Fethiye. Hier.
                                                                   Weiterlesen bei: Wie sieht eigentlich ein Zackenbarsch aus?

Also packten wir den prächtigen Kerl erstmal weg. „Sott’olio“, wie die Italiener sagen, unter eine Menge Olivenöl, und mit den Kräutern, wie er war. Und während wir ihn so betrachteten, den herrlichen Fisch, und in den Kühlschrank schoben: erzählte er uns etwas über sein Leben. 

Man erkennt ihn an seinem großen vorstehenden Unterkiefer und dem langen Kamm an Rückenstacheln. Auffällig ist auch seine braunrote Farbe. Und die Flecken. Irgendwie erinnert er an einen Karpfen. Groß wird er, über einen Meter lang. In den Meeren um Florida wird er sogar über zwei Meter. Und alt. Sein Leben lebt er als Einzelgänger, sucht sich irgendwo am Riff eine Höhle. Da lebt er dann, mit anderen Zackenbarschen, wie ein zurückgezogener Rentner in seiner Wohnanlage. Für sich. Aber in Blickweite der anderen. Und da, in seiner Riffhöhle wartet auf Beute: Meist kleinere Fische oder Krebschen, die er mit blitzschnellem Vorstoß aus seiner Höhle packt und mit rascher Öffnung des riesigen Mauls in sich saugt. Zackenbarsche sind, obwohl sie mehr Ähnlichkeit mit Karpfen haben, erstaunlich gute Jäger. Sie sind, wie manche Menschen, die ich kenne, echt „faule Socken“: das lange Verfolgen der Beute ist ihre Sache nicht. Das blitzschnelle Zustoßen und dann wieder träge in der Behausung verharren: dies schon.

Der Zackenbarsch sieht immer etwas übellaunig, wo nicht gar beleidigt aus. Das liegt an seinem langen, markanten Unterkiefer. Aber warum und worüber er schlechter Laune oder gar beleidigt ist: darüber schweigt er sich aus, der Zackenbarsch. Vielleicht liegt es daran, dass er in der Türkei wie auch anderswo im vergangenen Jahrzehnt zuviel gejagt wurde. Mit dem Netz kommt man ihm nicht bei. Nur mit der Angel oder schlimmer: mit der Harpune. Und so beschloß der Zackenbarsch, der eigentlich sehr standorttreu ist und immer in seiner Wohnanlage lebt: dass es Zeit sei für Veränderung. Und deshalb hat er sich in den letzten Jahren einfach – zurückgezogen. In viel größere Tiefen. Feisal, der Fischausnehmer auf dem Fischmarkt von Fethiye – über ihn werde ich in meinem nächsten Beitrag schreiben – erzählt mir, dass die Fischer jetzt an den Zackenbarsch in Tiefen von 200, 300 Metern und mehr herankommen. An den Steilküsten der Türkei keine Seltenheit.

Und dies macht ihn dann auch so teuer: Die Jagd auf ihn ist aufwändigste Angelegenheit, ihm einfach mit dem Netz beikommen zu wollen, lässt den Zackenbarsch kalt. Und so ist der Zackenbarsch eine teure Delikatesse. Ibrahim, der Restaurantbesitzer, über den ich im vorigen Beitrag schrieb und der mir einen verkaufte, hatte ungefähr zehn, fünfzehn frische in seiner Kältetruhe.

Allein schon deshalb dürfen wir unseren Zackenbarsch nicht verkommen lassen. Die Lösung: ist der Fischmarkt von Fethiye. Am Abend motoren wir die zweieinhalb Stunden über den Golf und tragen unseren Zackenbarsch zum Fischmarkt von Fethiye. Und weil der mit der Besonderheit aufwartet, dass man dort seinen Fisch nicht nur bei den laut schreienden Fischverkäufern in der MItte des Marktes kaufen, sondern ein paar Meter weiter in jedem der umliegenden Restaurants abgeben und zubereiten lassen kann: kommt unser Zackenbarsch am Abend auf den Grill. Und erweist sich, sobald er auf unserem Teller lag, aller Mühen wert. Mit frischem Salat und einfachem türkischen Weißwein ein echtes Gedicht. Fast wie ein Seeteufel.

Seien wir also einen Moment dankbar: Dafür, dass der Zackenbarsch auf unserem Teller landete. Und dafür: dass zur rechten Zeit auf LEVJE das Gas ausging.

Klappe Die Erste

Ich hatte gerade ein Meeting mit dem Experten und Kameramann für mein Filmprojekt und….mein erstes jemals geschriebenes Drehbuch scheint machbar und sogar ganz gut zu sein. Yes. Denn das ist nicth selbstverständlich.  Ich bin ja nicht um die Welt oder in die Antarktis gesegelt, sondern „nur“ für ein halbes Jahr nach Schweden. Trotzdem war es eine der schönsten Zeiten meines Lebens. Und genau davon möchte ich berichten. Von der Umsetzung von den Träumen, die realisierbar sind; von der Idee und von den Entscheidungen bis zum Ablegen. Und natürlich von den Emotionen während der Reise, die von Euphorie bis Einsamkeit gingen. Und davon, wie wichtig es ist, sich so etwas einmal im Leben zu gönnen. Denn am Ende war es eigentlich relativ egal, wohin genau die Reise ging, denn sie führte mich zurück zu mir…und veränderte mein Leben nachhaltig. Und so möchte ich mit diesem Film auch keinen klassischen Reisebericht produzieren, sondern einfach motivieren. Und zwar nicht nur Segler, sondern jeden reiseaffinen Menschen. Als mir vor ein paar Jahren klar wurde, das ich die gesuchte Freiheit beim Reisen nur auf einem Segelboot finden kann, war mir bereits bewusst, das ich diese Erkenntnis teilen möchte. Und so wie ich von anderen Büchern motiviert wurde, möchte ich diese Motivation nun selbst weitergeben. Segeln zu lernen, die nötigen Scheine zu machen, sich ein Boot zu kaufen und herzurichten. Und alles ausgedrückt mit meinen eigenen Worten, selbstgedrehten Bildern und einem selbstkomponierten Soundtrack, da nur dieser meine Emotionen perfekt widerspiegelt. Ein Riesenprojekt, aber auch sehr befriedigendes. Wieder muss ich viele Dinge lernen, mich durchbeissen und an das Endergebnis glauben. Aber man wächst in der Tat mit seinen Aufgaben. Ab Juni heisst es also nun: „Klappe Die Erste“! Und das Schönste daran: Die nächsten Tage muss ich das gesamte Videomaterial der Reise sichten und sortieren, und wo geht das besser als an Bord? Also geht es morgen für ein paar Tage in die dänische Südsee zum „Arbeiten“. Ich freue mich sehr darauf wieder einen Blick in die alten Videos werfen zu können, wie man sich an dem Beispiel unten sicher gut vorstellen kann.

Neues aus dem Tonstudio oder "Wann wird auch Spaß zu Arbeit?"

Eine gute Freundin hat mich gerade folgendes gefragt: Warum tun wir soviel von dem, was uns eigentlich Spaß macht, dass es derart in Arbeit ausartet? Leider habe ich darauf auch keine passende Antwort. Wahrscheinlich weil es irgendjemand tun muss. Damit neue Dinge entstehen. Um der eigenen Kreativität ein Ventil zu geben. Um die Nachfrage der Menschen zu bedienen, die nichts Eigenes auf die Beine stellen wollen oer können. Und so sehr man es sich auch manchmal wünscht, ein Buch schreibt sich nicht mal eben nebenbei. Ein Film dreht sich nicht von selbst. Ein Soundtrack wird nicht über Nacht komponiert und aufgenommen. Hinter all diesen Dingen steckt sehr viel Arbeit, und auch wenn die Fernseh-„Realität“ das oft ganz anders wiedergibt, es passiert nichts über Nacht. Aber trotz dieses Wissens bin ich selbst überrascht wie viel Arbeit ich mir nun wirklich aufgehalst habe, als ich entschied den Soundtrack zu meinem Film über das Ablegen selbst zu produzieren. Ich kann mich kaum erinnern jemals so viel und lange gearbeitet zu haben, obwohl Musikmachen mir ja eigentlich Spaß macht. Es gibt wohl in der Tat eine Grenze an der auch Spaß zu Arbeit wird. Doch dann schaue ich in die Videoaufnahmen der Gesangssessions hinein und finde dort die Antwort.

Der geteilte Spaß, das gemeinsame Arbeiten und das Erschaffen neuer Musik, die sonst nie den Weg aus meinem Kopf finden würde. Ob es sich lohnt oder gar auszahlt? Ob sich jemals andere Menschen darauf einlassen und zuhören? Ich werde es erfahren. Aber noch schlimmer wäre es damit zu leben, es nicht getan zu haben. Den Traum nicht realisiert zu haben. Sich mit diesem „Ich wollte eigentlich immer dieses und jenes tun, habs aber nicht geschafft“ zu arrangieren. Und dafür bin ich gerne bereit die Grenze zwischen Spaß und Arbeit zu überschreiten. Zumindestens ab und zu…und wenn ich mir danach ein paar Segeltage als Belohnung gönnen kann. Und ab Montag die Häfen wieder leer sind.

Menschen am Meer: Unterwegs im Golf von Fethiye. Oder: Süleyman, Ferde und Ismail: Eine Geschichte über das wahre Leben.

Glaubt man einschlägigen Reiseführern, dann gehört der Golf von Fethiye zu den schönsten Segelgebieten in der südlichen Türkei. Auf seiner Westseite lockt der Golf mit einer Unzahl traumhafter Kiefern-gesäumter Buchten, vor die sich schützend eine Inselkette gelegt hat. Im Osten der lange Sandstrand von Cagis, noch ein Stück weiter im Osten der weiße Strand von Ölü Deniz, dem „toten Meer“, dessen Foto in praktisch jedem Reiseprospekt über die Türkei prangt. Ein Bilderbuch. Das wahre Leben.

Beginnen wir unsere Recherche über das, was das wahre Leben ist, in Fethiye, neben Göcek der „Hauptstadt“ des Golfes. Begeben wir uns auf einen kleinen Spaziergang von der etwas außerhalb des Zentrums gelegenen ECE-Marina durch den eigentlich ganz geschmackvollen Bazar der Stadt zum Fischmarkt, der eine Attraktion ist. Denn: an den überreich mit Fisch, Langusten, Hummern beladenen Ständen im Zentrum des Marktes sucht man sich den Fisch seiner Wahl nicht nur selbst aus. Sondern trägt ihn dann drei Meter weiter in eines der drum herum liegenden Restaurants, wo kundige Köche ihn nach Wunsch zubereiten – für kleines Geld, wie die Tafeln informieren. Ich entscheide mich für Süleyman’s Restaurant, der Fischhändler, mitten im Gewühl seiner Kunden empfiehlt mir das, indem er lautstark Süleyman, den Besitzer, selbst herbeiwinkt. Also drücke ich Süleyman, der mir einen Tisch herbeiwedelt, mein Tütchen mit dem „Deniz Levrek“, dem wilden Wolfsbarsch, in die Hand. Obwohl auf dem Markt großes Treiben ist, ist wenig los in den Restaurants. Am Tisch neben mir eine Bande junger Männer aus der Türkei, nette Gesichter. Und eine Crew deutscher Segler, drei Frauen, drei Männer, ebenfalls fröhlich tafelnd wie die Türken, die Männergesichter neben Brille mit je zwei prächtigen Ohrringen geschmückt. Als ich meine Bestellung aufgegeben habe, wuselt Süleyman zurück Richtung Fischstände. Und spricht einfach Kunden an: „Come, visit my Restaurant.“ Gottseidank vermeidet er das „Hello, my friend“, dem Türkei-Reisenden untrügliches Passwort und Signal, dass er doch hier, bitteschön, und jetzt in der glücklichen Lage ist, Geld auszugeben für Dinge, die er weder je brauchte noch vermisste im Leben. „Es läuft noch nicht so, wie es soll“, sagt Süleyman, der Restaurantbesitzer, ohne sein Lächeln zu verlieren. Sein Blick geht unstet hinüber zu den Fischverkäufern, kreist über die leeren Tische. Er rückt ein Gedeck gerade, winkt seinen Kellner mit den Augen herbei. „Zu wenig los für die Jahreszeit“, sagt er, „letztes Jahr war viel mehr los.“ Ob er denn Gründe kenne? Süleyman zuckt mit den Schultern, verschwindet und bringt mir lächelnd mein Brot, ein dampfend heißer Fladen von der Größe eines platten LKW-Reifens, zusammen mit den Vorspeisen: säuerlich eingelegter Oktopus in Öl und etwas Algen in Öl und Sesam. Und ein Glas Wein. Teurer Luxus in der Türkei, oft teurer als bei uns, weil von der Regierung höher besteuert als von Angela das Benzin. Ein netter Abend, aufs angenehmste unterbrochen, als der Fisch kommt. 
Kaum steht der vor mir, halten mir nacheinander 1 Zigarettenverkäufer, 1 Kettchen-Händlerin, 1 Produzent selbst hergestellter Woll-Blümchen Ihre Waren über meinen Teller, genau über den Fisch, so dass ich Schwierigkeiten habe, mich des wilden Wolfsbarschs anzunehmen. Die Türkei, das beeindruckt mich immer wieder, ist ein Land der Händler. Jeder hat irgendetwas zu verkaufen – und nicht erst dank eBay, Dawanda und www.regalfrei.de.

Verlassen wir nun das schöne Städtchen Fethiye und segeln wir hinüber auf die Westseite: da wo einsame Buchten locken, hinein in das Inselparadies. Wir erreichen es am frühen Nachmittag, schon die erste Bucht ist ein Traum, wir steuern langsam ein, möglichst weit, weit hinein, soweit es LEVJE’s 1,60 Tiefgang erlauben. Schwoikreis drehen, Anker fallen und Kette ausrauschen lassen.

                                                        Weiterlesen bei: Wie man richtig ankert. Hier.
                                                        Weiterlesen bei: Wie man ein undichtes Gület dicht bekommt. Hier.

Aber kaum habe ich meine Landleine bereitgelegt, kommt auch schon ein Gület angeschossen, das sich wie ein dicker Käfer neben uns legt, gleich noch eins, und noch eins, es war zu lange leer in dieser Bucht. Vom dicken Käfer herab blicken mich aus üppigen Polstern Sonnenanbeter gähnend an, wie ein merkwürdiges Insekt. „Nein, Josef, hier mag ich nicht bleiben“, hat sich Maria, die Frau meines Freundes Josef einmal unlöschbar in mein Gedächtnis eingebrannt, und so holen auch wir unseren Anker wieder hoch und irren in der Bucht herum, auf der Suche nach einem schönen Platz für die Nacht. Noch zwei, drei Mal spielen wir das Spiel „Dicker Käfer kommt in Bucht und beäugt merkwürdiges kleines Insekt“, bis ich genug habe und mich einer Bucht entsinne, eine der schönsten, in der wir auf meinem allerersten Törn 1997 unverhofft eine Mondfinsternis erlebten. Sie liegt außerhalb der Inseln, eigentlich ungeschützt, ich finde sie gleich wieder, und sie ist schön und einsam: wie eine Bucht nur sein kann. 

Am Abend an Land und nach oben auf den Hügelkamm gewandert. Ein kleines Dorf liegt da, mehr ein Weiler. Ein Olivenhain, in dem weiße Biennekästen stehen. Nur ein paar Häuser. Das Geläut einer Ziegenherde, die uns begleitet. Eine Schar junger Hühner, die begeistert auf mich zugestürzt kommt, um in meine orangen Croqs zu picken. Plötzlich stehe ich in dem Gewusel der Hühner, ein Hund, der neugierig mit seinen Schlappohren wedelt, Perlhühner, die neben einer kleinen, selbsterbauten Moschee über das Gold der Wiese laufen. Fast ist es so, wie nach der großen Sintflut: Die Tiere leben, als wäre die Arche Noah hier gestrandet und hätte ihre Klappe geöffnet: so dass Mensch und Tier endlich Frieden fanden nach unendlich langer Reise.

Ein paar Einwohner des Dorfes winken uns herbei. Ein einfaches unverputztes Haus, Wohnfläche 15 Quadratmeter, frisch gewaschene Wäsche davor, hierher gehört auch die Hühnerschar, die meine orangen Croqs so toll findet. Der Mann winkt uns herein in den Garten, seine Frau sitzt daneben, sie kann etwas mehr englisch als ich türkisch, wir stellen uns vor. Ferde heißt sie, und das sei ihr Mann Ramasan und hier ihre Mutter Senep. Ferde bringt heißen Tee, stellt Tassen auf den Tisch. Sie sei hier geboren, und Schule: habe sie keine besucht. Ferde ist großgewachsen, sie wandert und treibt die Ziegenherde über die Halbinsel, die hier wild grast, eine drahtige Frau, Naturkind. Ramasan grinst aus seinem ölverschmierten T-Shirt. Der Motor seines Bootes sei kaputt, er sei Bauer und Fischer und ohne Motor keine Fische. Drum habe er bis eben am Motor herumgeschraubt. Sie seien alle hier geboren, in dem Weiler, auch Senep, die Mutter Ferde’s, die vielleicht um die 65 ist und stumm am Tisch sitzt und lächeln aus schwarz-getuschten Augen schaut. Eigentlich hätten sie hier alles. Ziegenmilch, um daraus Käse zu machen. Fisch. Etwas Brot. Auch ein Fernseher ist da und eine Wasserpumpe, die das Wasser aus der Tiefe herauf fördert. Aber einmal in der Woche: da fahren Sie ins 50 Kilometer entfernte Dalaman, zum Einkaufen. Ferde lacht breit und zeigt ihre weißen Zähne, die Haare hochgesteckt: Wir haben hier alles, was wir brauchen. Und was wir produzieren: nein, das bringen wir nicht zum Markt. Es reicht für uns.

Draußen vor dem Haus hat Ramasan eine Terrasse gebaut, mit weitem Blick über die Bucht: Tief unter uns schaukelt LEVJE in der Dünung. Ein Tisch ist aufgebaut: Mit 1 Glas Honig. 3selbstgeschnitzte Holzlöffel. 2 Wollblumen. 1 Plastikflasche mit Olivenöl. Dinge, die die Dörfler selbst produzierten. Wir kaufen ein Glas Honig, als Geste. Katrin sagt: Man muss hier etwas zurückgeben, für den Frieden, den man hier fand. Den Menschen, die hier leben. Aber auch der Natur. Dass man in ihr sein durfte.

Am Ende frage ich nach Ismail. Den hatten wir hier kennengelernt, damals vor 18 Jahren, als wir in der Bucht ankerten und sie nach ihm, der uns damals am Strand einfachen Fisch gekocht hatte, benannt hatten: Die Ismail-Bucht. „Ja“, sagt Ferde, „den gibt es noch. Er hat ein Restaurant unten auf der anderen Seite der Bucht.“

Und so machen wir uns auf den Weg, um ein drittes Leben an diesem Tag zu erkunden, das von Ismail, und wie es verlaufen ist, in den letzten 18 Jahren. Wir streifen durch goldene Olivenhaine, hinunter auf die andere Bucht. Auf unserem Weg sitzt schwer schnaufend eine große Schildkröte und erinnert daran, wie mühselig es ist mit der Last des Besitzes, der vermeintlich Schutz bietet vor der Unbill der Welt. Hinunter steigen wir über einsame Ziegenpfade, am Hang mit den Oliven ein paar einsame Hütten: da ist sie, die Bucht.

Und gleich hat sie uns wieder, die Zivilisation: Etwa 25 Yachten liegen an langen Holzpontons, ein großes Restaurant mit über 100 Plätzen, alles weiß dekoriert, eine Bierzapfanlage mitten in der Wildnis. Fünf riesige Gefriertruhen, rappelvoll mit brauen Zackenbarschen, Doraden, Wolfsbarschen. 10 Helfer, die herumwuseln, Geschirr tragen, Yachten schreiend beim Anlegen helfen, sich zurufen, in der Küche den glühenden Grill weiter anfachen. Ich frage nach Ismail. Er kommt herbei: ein gut genährter Mann Ende Dreißg, in dem ich den ranken Mann von damals, der uns mit einem fröhlichen „Borussia Dortmund“ vor 18 Jahren in der einsamen Bucht begrüßte und damit das Herz unseres Skippers Lutz erobert hatte, nicht wiedererkannt hätte. Ismail freut sich sichtlich, auch wenn er mich nicht wieder erkennt, über die Geschichte, die ich ihm von sich erzähle, und wie es anfing, damals, sein Geschäft in der Bucht. „Ich betreibe das Restaurant jetzt mit meiner Familie, meinen Cousins“, sagt Ismail, der uns gleich auf ein Bier einlädt. „Ich lebe oben im Haus, neben Ferde, mit meiner Mutter. Sie ist 80, und ich kümmere mich um sie.“ Ich bewundere ihn für das, was er hier in der Bucht von Kapi geschaffen hat. Wo außer ein paar byzantinischen Ruinen an einem idyllischen Ufer nichts, aber auch gar nichts war. „Letztes Jahr war es sehr gut“, sagt Ismail, und auch sein Blick wandert unstet hin und her, über Teller, Tische Gedecke, hin zu einem seiner Helfer. „Aber dieses Jahr ist zu wenig los.“ Ich deute auf die 25 Yachten in der Bucht. Er schüttelt den Kopf. „Ich weiß nicht, woran es liegt: aber dieses Jahr ist einfach weniger los“. Was ihm fehlen würde hier, frage ich? Er sieht mich lange an: „Ich glaube, ich hätte gerne eine deutsche Frau.“ Was denn mit der wäre, mit der ich damals hier gewesen wäre, meine Freundin? Als ich ihm sage, dass Katja glücklich ist mit ihrem Freund, ist er einen Moment traurig. „Doch, das hätte ich gerne. Eine deutsche Frau.“

Und dann verabschieden wir uns wieder, von Ismail. Nicht ohne zu versprechen, ihm bei der Suche nach seinem Glück zu helfen. Aus seinem Restaurant nehmen wir einen großen Zackenbarsch mit, die Krönung. In der Dämmerung stolpern wir den Hang wieder hinauf, auf dem die Schildkröte lebt. Vorbei an Ferde’s Haus, in dem sie mit Ramasan und Senep lebt. Und den Hang wieder hinunter, zu LEVJE. Wir freuen uns auf ein Festessen: Zackenbarsch auf Kartoffel-Wurzelgemüse in LEVJE’s Ofen gegrillt. Ein Gedicht. Wir freuen uns mächtig. Wie die Kinder. Doch kaum ist der große Zackenbarsch im Rohr, geht mit einem lustlosen „Plöpp“ der Herd aus. Die Gasflasche ist leer. Und wird es für diese Nacht bleiben.

Es ist nicht so einfach, das mit dem wahren Leben.

Menschen am Meer: Unterwegs im Golf von Fethiye. Oder: Süleyman, Ferdeund Ismail: Eine Geschichte über das wahre Leben.

Glaubt man einschlägigen Reiseführern, dann gehört der Golf von Fethiye zu den schönsten Segelgebieten in der südlichen Türkei. Auf seiner Westseite lockt der Golf mit einer Unzahl traumhafter Kiefern-gesäumter Buchten, vor die sich schützend eine Inselkette gelegt hat. Im Osten der lange Sandstrand von Calis, noch ein Stück weiter im Osten der weiße Strand von Ölü Deniz, dem „toten Meer“, dessen Foto in praktisch jedem Reiseprospekt über die Türkei prangt. Ein Bilderbuch. Das wahre Leben.

Beginnen wir unsere Recherche über das, was das wahre Leben ist, in Fethiye, neben Göcek der „Hauptstadt“ des Golfes. Begeben wir uns auf einen kleinen Spaziergang von der etwas außerhalb des Zentrums gelegenen ECE-Marina durch den eigentlich ganz geschmackvollen Bazar der Stadt zum Fischmarkt, der eine Attraktion ist. Denn: an den überreich mit Fisch, Langusten, Hummern beladenen Ständen im Zentrum des Marktes sucht man sich den Fisch seiner Wahl nicht nur selbst aus. Sondern trägt ihn dann drei Meter weiter in eines der drum herum liegenden Restaurants, wo kundige Köche ihn nach Wunsch zubereiten – für kleines Geld, wie die Tafeln informieren. Ich entscheide mich für Süleyman’s Restaurant, der Fischhändler, mitten im Gewühl seiner Kunden empfiehlt mir das, indem er lautstark Süleyman, den Besitzer, herbeiwinkt. Also drücke ich Süleyman, der mir einen Tisch herbeiwedelt, mein Tütchen mit dem „Deniz Levrek“, dem wilden Wolfsbarsch, in die Hand. Obwohl auf dem Markt großes Treiben ist, ist wenig los in den Restaurants. Am Tisch neben mir eine Bande junger Männer aus der Türkei, nette Gesichter. Und eine Crew deutscher Segler, drei Frauen, drei Männer, ebenfalls fröhlich tafelnd wie die Türken, die Männergesichter neben Brille mit je zwei prächtigen Ohrringen geschmückt. Als ich meine Bestellung aufgegeben habe, wuselt Süleyman zurück Richtung Fischstände. Und spricht einfach Kunden an: „Come, visit my Restaurant.“ Gottseidank vermeidet er das „Hello, my friend“, dem Türkei-Reisenden untrügliches Passwort und Signal, dass er doch hier, bitteschön, und jetzt in der glücklichen Lage ist, Geld auszugeben für Dinge, die er weder je brauchte noch vermisste im Leben. „Es läuft noch nicht so, wie es soll“, sagt Süleyman, der Restaurantbesitzer, ohne sein Lächeln zu verlieren. Sein Blick geht unstet hinüber zu den Fischverkäufern, kreist über die leeren Tische. Er rückt ein Gedeck gerade, winkt seinen Kellner mit den Augen herbei. „Zu wenig los für die Jahreszeit“, sagt er, „letztes Jahr war viel mehr los.“ Ob er denn Gründe kenne? Süleyman zuckt mit den Schultern, verschwindet und bringt mir lächelnd mein Brot, ein dampfend heißer Fladen von der Größe eines platten LKW-Reifens, zusammen mit den Vorspeisen: säuerlich eingelegter Oktopus in Öl und etwas Algen in Öl und Sesam. Und ein Glas Wein. Teurer Luxus in der Türkei, oft teurer als bei uns, weil von der Regierung höher besteuert als von Angela das Benzin. Ein netter Abend, aufs angenehmste unterbrochen, als der Fisch kommt. 
Kaum steht der vor mir, halten mir nacheinander 1 Zigarettenverkäufer, 1 Kettchen-Händlerin, 1 Produzent selbst hergestellter Woll-Blümchen Ihre Waren über meinen Teller, genau über den Fisch, so dass ich Schwierigkeiten habe, mich des wilden Wolfsbarschs anzunehmen. Die Türkei, das beeindruckt mich immer wieder, ist ein Land der Händler. Jeder hat irgendetwas zu verkaufen – und nicht erst dank eBay, Dawanda und www.regalfrei.de.

Verlassen wir nun das schöne Städtchen Fethiye und segeln wir hinüber auf die Westseite: da wo einsame Buchten locken, hinein in das Inselparadies. Wir erreichen es am frühen Nachmittag, schon die erste Bucht ist ein Traum, wir steuern langsam ein, möglichst weit, weit hinein, soweit es LEVJE’s 1,60 Tiefgang erlauben. Schwoikreis drehen, Anker fallen und Kette ausrauschen lassen.

                                                   Weiterlesen bei: Wie man richtig ankert. Hier.
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Aber kaum habe ich meine Landleine bereitgelegt, kommt auch schon ein Gület angeschossen, das sich wie ein dicker Käfer neben uns legt, gleich noch eins, und noch eins, es war zu lange leer in dieser Bucht. Vom dicken Käfer herab blicken mich aus üppigen Polstern Sonnenanbeter gähnend an, wie ein merkwürdiges Insekt. „Nein, Josef, hier mag ich nicht bleiben“, hat sich Maria, die Frau meines Freundes Josef einmal unlöschbar in mein Gedächtnis eingebrannt, und so holen auch wir unseren Anker wieder hoch und irren in der Bucht herum, auf der Suche nach einem schönen Platz für die Nacht. Noch zwei, drei Mal spielen wir das Spiel „Dicker Käfer kommt in Bucht und beäugt merkwürdiges kleines Insekt“, bis ich genug habe und mich einer Bucht entsinne, eine der schönsten, in der wir auf meinem allerersten Törn 1997 unverhofft eine Mondfinsternis erlebten. Sie liegt außerhalb der Inseln, eigentlich ungeschützt, ich finde sie gleich wieder, und sie ist schön und einsam: wie eine Bucht nur sein kann. 

Am Abend an Land und nach oben auf den Hügelkamm gewandert. Ein kleines Dorf liegt da, mehr ein Weiler. Ein Olivenhain, in dem weiße Bienenkästen stehen. Nur ein paar Häuser. Das Geläut einer Ziegenherde, die uns begleitet. Eine Schar junger Hühner, die begeistert auf mich zugestürzt kommt, um in meine orangen Croqs zu picken. Plötzlich stehe ich in dem Gewusel der Hühner, ein Hund, der neugierig mit seinen Schlappohren wedelt, Perlhühner, die neben einer kleinen, selbsterbauten Moschee über das Gold der Wiese laufen. Fast ist es so, wie nach der großen Sintflut: Die Tiere leben, als wäre die Arche Noah hier gestrandet und hätte ihre Klappe geöffnet: so dass Mensch und Tier endlich Frieden fanden nach unendlich langer Reise.



Ein paar Einwohner des Dorfes winken uns herbei. Ein einfaches unverputztes Haus, Wohnfläche 15 Quadratmeter, frisch gewaschene Wäsche davor, hierher gehört auch die Hühnerschar, die meine orangen Croqs so toll findet. Der Mann winkt uns herein in den Garten, seine Frau sitzt daneben, sie kann etwas mehr englisch als ich türkisch, wir stellen uns vor. Ferde heißt sie, und das sei ihr Mann Ramasan und hier ihre Mutter Senep. Ferde bringt heißen Tee, stellt Tassen auf den Tisch. Sie sei hier geboren, und Schule: habe sie keine besucht. Ferde ist großgewachsen, die dunklen Augen Cayal-umrandet, die Fingernägel Henna-gefärbt.  Sie wandert und treibt die Ziegenherde über die Halbinsel, die hier wild grast, eine drahtige Frau, Naturkind. Ein breites Lachen strahlender Zähne, ein kleines hellblaues Handy, das aus dem zu einem Rucksack umfunktionierten einfachen Beutel der wandernden Ziegenhirtin kullert. Ramasan grinst aus seinem ölverschmierten T-Shirt. Der Motor seines Bootes sei kaputt, er sei Bauer und Fischer und ohne Motor keine Fische. Drum habe er bis eben am Motor herumgeschraubt. Sie seien alle hier geboren, in dem Weiler, auch Senep, die Mutter Ferde’s, die vielleicht um die 65 ist und stumm am Tisch sitzt und lächeln aus schwarz-getuschten Augen schaut. Eigentlich hätten sie hier alles. Ziegenmilch, um daraus Käse zu machen. Fisch. Etwas Brot. Auch ein Fernseher ist da und eine Wasserpumpe, die das Wasser aus der Tiefe herauf fördert. Aber einmal in der Woche: da fahren Sie ins 50 Kilometer entfernte Dalaman, zum Einkaufen. Ferde lacht breit und zeigt ihre weißen Zähne, die Haare hochgesteckt: Wir haben hier alles, was wir brauchen. Und was wir produzieren: nein, das bringen wir nicht zum Markt. Es reicht für uns.

Draußen vor dem Haus hat Ramasan eine Terrasse gebaut, mit weitem Blick über die Bucht: Tief unter uns schaukelt LEVJE in der Dünung. Ein Tisch ist aufgebaut: Mit 1 Glas Honig. 3selbstgeschnitzte Holzlöffel. 2 Wollblumen. 1 Plastikflasche mit Olivenöl. Dinge, die die Dörfler selbst produzierten. Wir kaufen ein Glas Honig, als Geste. Katrin sagt: Man muss hier etwas zurückgeben, für den Frieden, den man hier fand. Den Menschen, die hier leben. Aber auch der Natur. Dass man in ihr sein durfte.

Am Ende frage ich nach Ismail. Den hatten wir hier kennengelernt, damals vor 18 Jahren, als wir in der Bucht ankerten und sie nach ihm, der uns damals am Strand einfachen Fisch gekocht hatte, benannt hatten: Die Ismail-Bucht. „Ja“, sagt Ferde, „den gibt es noch. Er hat ein Restaurant unten auf der anderen Seite der Bucht.“



Und so machen wir uns auf den Weg, um ein drittes Leben an diesem Tag zu erkunden, das von Ismail, und wie es verlaufen ist, in den letzten 18 Jahren. Wir streifen durch goldene Olivenhaine, hinunter auf die andere Bucht. Auf unserem Weg sitzt schwer schnaufend eine große Schildkröte und erinnert daran, wie mühselig es ist mit der Last des Besitzes, der vermeintlich Schutz bietet vor der Unbill der Welt. Hinunter steigen wir über einsame Ziegenpfade, am Hang mit den Oliven ein paar einsame Hütten: da ist sie, die Bucht.

Und gleich hat sie uns wieder, die Zivilisation: Etwa 25 Yachten liegen an langen Holzpontons, ein großes Restaurant mit über 100 Plätzen, alles weiß dekoriert, eine Bierzapfanlage mitten in der Wildnis. Fünf riesige Gefriertruhen, rappelvoll mit brauen Zackenbarschen, Doraden, Wolfsbarschen. 10 Helfer, die herumwuseln, Geschirr tragen, Yachten schreiend beim Anlegen helfen, sich zurufen, in der Küche den glühenden Grill weiter anfachen. Ich frage nach Ismail. Er kommt herbei: ein gut genährter Mann Ende Dreißg, in dem ich den ranken Mann von damals, der uns mit einem fröhlichen „Borussia Dortmund“ vor 18 Jahren in der einsamen Bucht begrüßte und damit das Herz unseres Skippers Lutz erobert hatte, nicht wiedererkannt hätte. Ismail freut sich sichtlich, auch wenn er mich nicht wieder erkennt, über die Geschichte, die ich ihm von sich erzähle, und wie es anfing, damals, sein Geschäft in der Bucht. „Ich betreibe das Restaurant jetzt mit meiner Familie, meinen Cousins“, sagt Ismail, der uns gleich auf ein Bier einlädt. „Ich lebe oben im Haus, neben Ferde, mit meiner Mutter. Sie ist 80, und ich kümmere mich um sie.“ Ich bewundere ihn für das, was er hier in der Bucht von Kapi geschaffen hat. Wo außer ein paar byzantinischen Ruinen an einem idyllischen Ufer nichts, aber auch gar nichts war. „Letztes Jahr war es sehr gut“, sagt Ismail, und auch sein Blick wandert unstet hin und her, über Teller, Tische Gedecke, hin zu einem seiner Helfer. „Aber dieses Jahr ist zu wenig los.“ Ich deute auf die 25 Yachten in der Bucht. Er schüttelt den Kopf. „Ich weiß nicht, woran es liegt: aber dieses Jahr ist einfach weniger los“. Was ihm fehlen würde hier, frage ich? Er sieht mich lange an: „Ich glaube, ich hätte gerne eine deutsche Frau.“ Was denn mit der wäre, mit der ich damals hier gewesen wäre, meine Freundin? Als ich ihm sage, dass Katja glücklich ist mit ihrem Freund, ist er einen Moment traurig. „Doch, das hätte ich gerne. Eine deutsche Frau.“

Und dann verabschieden wir uns wieder, von Ismail. Nicht ohne zu versprechen, ihm bei der Suche nach seinem Glück zu helfen. Aus seinem Restaurant nehmen wir einen großen Zackenbarsch mit, die Krönung. In der Dämmerung stolpern wir den Hang wieder hinauf, auf dem die Schildkröte lebt. Vorbei an Ferde’s Haus, in dem sie mit Ramasan und Senep lebt. Und den Hang wieder hinunter, zu LEVJE. Wir freuen uns auf ein Festessen: Zackenbarsch auf Kartoffel-Wurzelgemüse in LEVJE’s Ofen gegrillt. Ein Gedicht. Wir freuen uns mächtig. Wie die Kinder. Doch kaum ist der große Zackenbarsch im Rohr, geht mit einem lustlosen „Plöpp“ der Herd aus. Die Gasflasche ist leer. Und wird es für diese Nacht bleiben.

Es ist nicht so einfach, das mit dem wahren Leben.

Inselhopping

Wow, wir freuen uns wirklich sehr über all die vielen Mails an das ZDF, die wir in Kopie bekommen. Vielen Dank für eure Unterstützung! Seitdem Sammy auf Martinique an Bord gekommen ist, sind die Seemeilen nur so runtergeklackert. Einerseits, damit er…

Unter Segeln: Gewitter über Ölü Deniz. Oder: Was es bringt, das Buch GEWITTERSEGELN zu lesen.

Bis dahin war eigentlich alles ganz normal: Das Wetter seit Anfang Mai über der Südtürkei war stabil und warm. Sehr wenig Wind, kaum lohnt’s, die Segel hochzuziehen. Aber dafür lockt die Küste mit leeren Ankerbuchten, und Reviere, in denen sich im Juli und August die Boote in Buchten drängeln wie im Golf von Fethiye: die gehören dem einsam Segelnden jetzt ganz allein.

Ab Samstag Mittag aber das Wetter instabil. Aufquellende Wolkentürme im Osten, die langsam über den Baba Dagi und über den Sandstrand von Ölu Deniz nach Westen zogen. Am Sonntag bereits am Vormittag tiefschwarze Wolken über dem Baba Dagi, dem großen Berg auf dem Bild im Hintergrund, von dem mutig immer noch Paraglider herunterschwebten. Plötzlich Blitze am Mittag, das Unwetter zieht aus Osten heran, über den weißen Sandstrand von Ölü Deniz und dann zur Ankerbucht vor der Insel Gemiler, der Insel auf der Heilige Nikolaus wohl tatsächlich einmal gelebt hatte. Heftige Gewitter über Ölü Deniz und Gemiler: das hatte ich schon häufiger.

Zuerst Schwärze. Dann Blitze. Und dann brechen schlagartig von Westen her, vom Sandstrand her, dort, wo die großen Gülets ankern, starke Böen herein. Der Wind wirft Schaumkronen auf dem Wasser auf, pfeift im Rigg der beiden ankernden Gülets. Deren Kapitäne fühlen sich offensichtlich nicht mehr wohl in der Gemiler Reede. Sie wollen ablegen, starten ihre PS-starken Motoren, senden ihre Dinghis zum Ufer, um die Festmacher von den Felsen zu lösen. Die Böen nehmen zu auf 35 Knoten, LEVJEs Festmacher zum Ufer sind zum Zerreissen gespannt, die ungeheure Dehnung wringt Tropfen Meerwasser aus den Tauen.

Da beide Gülets 100 Meter Kette quer durch die Bucht gesteckt haben, dauert es lange, quälend lange, bis die Schiffe frei sind. Dicken, unbeweglichen Käfern gleich kriechen sie an ihren Ankerketten entlang quer durch die Bucht, plötzlich trifft eine harte Böe das weiße Gület im Bild oben, das Schiff beginnt, mit dem Heck auf den Nachbarn zuzutreiben. Aufheulende Motoren.

Segelyachten, die sich von draußen in die Bucht zwängen und halbgare Ankermanöver starten. Andere Yachten, die ihren Ankerplatz aufgeben, wohl, weil ihr Anker im tiefen Wasser nicht hält. Wie die Kanadier genau gegenüber, die langsam nach draußen ziehen. Erneute Böen. Plötzlich setzt prasselnder Regen ein. Bei einem der beiden Gülets hat sich mitten in der Bucht der Anker verklemmt, der dicke Käfer liegt in Böen und Starkregen mitten in der Bucht und die Crew versucht, den Anker auszubrechen. Das zweite Gület fährt in der Bucht auf und ab. Und zwischen allen, laut rufend, wild gestikulierend, der türkische Marinero vom Restaurant in der Bucht, der versucht, den drei, vier Charteryachten und dem Kat im pfeiffenden Starkwind beim Bojenanleger zu helfen. Er kämpft, nur im Pullover im prasselnden Regen auf seinem schnellen kleinen Boot, um den Besatzungen zu helfen.

Tohuwabohu. Und ein guter Moment, um mich einmal zu fragen: Hat sich für mich – als User, als Segler – die Lektüre des Buches GEWITTERSEGELN gelohnt? Ein guter Moment, um mich zu fragen: Hat mich die Lektüre dieses Buches weitergebracht? Hat es sich gelohnt, dieses Buch überhaupt in die Welt zu setzen? Würde ich es meinem besten Freund in die Hand drücken, vor einem Juni-Törn im gewitterreichen Kroatien?

Ja, würde ich. Denn ich gehe mit der Situation anders um. Passieren kann zwar immer noch alles mögliche, davor ist niemand gefeit. Durch die Beschäftigung mit dem Thema und das Lesen der über 40 Berichte kam einfach mehr Know-How in die Sache.
Wir haben jetzt einfach fast 50 Meter Kette draußen und der Anker hält.
Ich habe eine überprüfbare Antwort auf Katrin’s besorgte Frage: ob LEVJE sinken würde, wenn im Mast der Blitz einschlägt.
Ich überlege jetzt nicht mehr wie früher, ob’s wohl doch besser wäre, jetzt rauszugehen. Oder vielleicht doch besser gewesen wäre, dies, das jenes zusätzlich gemacht, unterlassen, getan zu haben.

Es ist schon so, wie Axel zu Puttlitz-Lührmann, der Schadenexperte des Yachtversicherers PANTAENIUS, sagte, als wir ihn für GEWITTERSEGELN in Hamburg interviewten: „Man kann schon viel machen, im Gewitter.“

Nein: zu unserem Projekt kann ich stehen. Und es auch mitten im Unbeherrschbaren jedem Segler guten Gewissens empfehlen.

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