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Der Gesang der Buckelwale. Und Sara aus Makarska, Kroatien.

Mit Unterstützung aus Kroatien werde ich in den kommenden Woche Geschichten 
von kroatischen Inseln und den Menschen an der Küste erzählen. 
Heute: Warum eine junge Kroatin über Buckelwale forscht. 
Und was sie aus ihren Forschungsergebnissen macht.

Es ist vielleicht ein ungewöhnliches Leben, das die 34jährige Kroatin Sara Niksic aus Bratus bei Makarska lebt. Als Jugendliche durchlief sie in Kroatien eine klassische Musikausbildung. Immer wieder faszinierten sie Delphine. Wale. Daraus folgte ein naturwissenschaftliches Studium der Bioakustik. Studienaufenthalte in Australien und Neuseeland. Ihre Abschlussarbeit über die Gesänge der Buckelwale an der Universität von St. Andrews in Schottland.

Was hat sie am Gesang der Buckelwale fasziniert? „Meeressäuger sind viel länger auf der Erde als wir Menschen. Ihre Gesänge, ihre Stimmen erklangen lange, bevor Menschen ihre Stimme und Sprache entwickelten. Ich habe vielleicht begriffen, dass es auch andere Kulturen als nur unsere menschliche Kultur auf der Welt gibt und dass uns diese Kulturen in vielerlei Hinsicht nahe sind.“

Ok. Aber was hat das mit uns zu tun?

„Ich stellte irgendwann fest, dass Walgesang definitiv eine beruhigende Wirkung auf mich hat. Wir Menschen arbeiten zuallererst mit unserem Sehorgan, Töne und Laute nehmen wir eher unterbewusst wahr. Aber gerade dort entallten sie großen Einfluss auf uns. Einerseits liebe ich die Wissenschaft, erforsche in der Bioakustik die Stimmen der Tiere. Und andererseits finde ich es immer wieder unbefriedigend, wie Wissenschaftler ihre faszinierenden Forschungsergebnisse einem nicht-wissenschaftlichen Publikum näherbringen. Das wird schnell langweilig und unverständlich.“

Also hat sie Musik und Walgesang kombiniert. „Ich habe mich eh den größten Teil meines Lebens mit Musik beschäftigt. Wenn Menschen die Stimmen der Wale hören, beginnen sie, Fragen zu stellen, Reaktionen zu zeigen. Und das ist der Punkt: Sie zu faszinieren und dazu zu bringen, Fragen zu stellen statt sie mit Fakten zu bombardieren.

Für Ihre Arbeit wurde die 34jährige Kroatin mehrfach ausgezeichnet.

Aber warum schreibe ich jetzt in meinen Kroatien Posts über eine junge Kroatin, die über die Gesänge der Meeressäuger forscht? Vielleicht hat auch mich die Arbeit an meinem Buch über die Orcas und ihre seit zwei Jahren anhaltenden Attacken auf Yachten und ihre Ruder verändert. Anfangs wollte ich nur wissen, wie ich mein Boot vor der iberischen Halbinsel gegen Orcas schützen könnte. Als ich mein Manuskript über die Orcas abschloss, wusste ich, dass ich nicht nur mein Boot, sondern auch die Orcas schützen muss.

Vielleicht habe auch ich gelernt, dass wir lernen müssen, mehr in Widersprüchen zu leben, wo doch eigentlich unsere westliche Denktradition stets die Eindeutigkeit anstrebt. 

Es ist ein ungewöhnliches Leben, das die 34jährige Sara Niksic lebt. Aber vielleicht ist es genau das, was wir alle die nächsten Jahre brauchen werden. Menschen, die uns zeigen, dass man Widersprüche nicht auflöst. Sondern sie zulässt. Die ungewöhnliche Wege gehen 

Sara Niksic‘ ungewöhnliche Komposition aus Buckelwal-Gesängen und Chillout. Oder auf Innerchildmusic sowie Soundcloud
Mein Online-Referat am Dienstag, den 2.5.2023 über DAS RÄTSEL DER ORCAS. Warum sie Boote angreifen. In dem es auch um die Sprache der Orcas geht.

Kiwi, Kiwis, Kiwifruit

27.Apr.23, Neuseeland/Whangarei, Tag 3251, 24.696 sm von HH

Immer der gleiche Name: Die Vögel, die Menschen und die Früchte. Um allzu große Verwirrung zu vermeiden, werden in Neuseeland die Vögel ‚Kiwi‘ genannt, die Leute ‚Kiwis‘ und beim Ost wird ein ‚fruit‘ angehängt.
Aber was war zuerst da?
1. der Vogel: Der heutige Nationalvogel Neuseelands wurde aufgrund seines Rufes bereits von den Maori Kiwi genannt. Im Internet finden sich Tonaufnahmen – mit etwas Phantasie hört man tatsächlich den ‚Kiwi‘ heraus.
2. die Neuseeländer: Während des 1.Weltkreiges sollen neuseeländische Soldaten Schuhcreme mit einem Kiwi als Logo mit in die Truppen gebracht haben. Schnell bekamen die neuseeländischen Soldaten den Spitznamen Kiwi verpasst und nahmen ihn mit in die Heimat. Eine Erfolgsgeschichte: heute bezeichnen sich alle Neuseeländer stolz als Kiwis.
3. Die Frucht. Seit über hundert Jahren wird in Neuseeland die ursprünglich aus China stammende Stachelbeere angebaut. Der internationale Export begann 1952. Die neue Frucht erfreute sich sofort großer Beliebtheit. Ein guter Handelsname sollte her. Weder der chinesische Name ‚Yang Tao‘ noch Stachelbeere waren tauglich. Warum nicht nach dem Vogel benennen? Beide sind ja schließlich braun, rund und pelzig. Die Kiwi-Frucht war geboren.

In den Supermärkten finden wir gerade eine Kiwifruit-Schwämme. Es ist Haupterntezeit. Für 2,40 Euro bekommt man ein Kilo herrlichster Gold-Kiwi.  Auch Kiwis haben wir reichlich kennen gelernt. Meist aufgeschlossene, freundliche Menschen, die interessiert auf jemanden zu gehen und viel Geduld mitbringen. Sie pflegen einen gemütlichen Lebens-Stil. Bitte nicht zu viel Hast – laid back – Fischen gehen und ein Bierchen dabei trinken, ist eine große Leidenschaft.

Somit fehlen noch die Kiwi in unserer Sammlung. Kein Neuseelandbesuch ohne Kiwi. In freier Wildbahn haben wir weder welche gehört, noch gesehen. Kein Wunder, der scheue Laufvogel kommt nur nachts aus seinen Erdhöhlen. Aber Whangarei hat ein Kiwi-Haus. Mit dem Rad strampeln wir uns sieben Kilometer bergauf und fragen uns, warum wir es nicht geschafft haben dorthin zu fahren als wir noch das Auto hatten (zumal Achim auf den Rückweg auch noch einen Platten hatte – andere Story :roll: ).

In einem ungefähr 60 Quadratmeter großen Terrarium wird mit Bäumen, Sträuchern und Laubboden naturgetreu eine Wald-Szenerie simuliert. Es ist stockdunkel als wir eintreten. Nur ein paar dezente Lampen täuschen Mondlicht vor. Unsere Augen gewöhnen sich und dann entdecken wir die Kiwi Dame. Aufgeregt und flink auf den Beinen – sehr flink – stochert sie mit ihrem langen Schnabel im Erdboden. Per automatischer Steuerung wird die Nacht zum Tag gemacht. Inklusive Dämmerungsphasen und zweimal in der Woche regnet es. Fotografieren ist verboten, um den Kiwi nicht zu stören.

Kiwi-Skelett mit Ei – im Verhältnis zur Körpergröße tragen die Kiwi-Weibchen die größten Eier im Vogelreich. Ein Kiwi ist so groß wie Huhn, wiegt bis 5 Kilogramm und das Ei 500 Gramm.

Das Weibchen ist knapp drei Jahre alt und bald geschlechtsreif. Bis vor kurzem wohnte sie noch mit einem Männchen zusammen. Aber der aufdringliche Kerl war frühreif und hat das Weibchen zu sehr begatten wollen. Er wurde bereits ausgewildert. Sie wird ihm demnächst in die Freiheit folgen. Dann ziehen neue Küken in den das Kiwi-Haus ein, um groß gezogen zu werden.
Von gelegten Eiern und geschlüpften Küken schaffen es grade mal 5 Prozent zu überleben. Zu hoch ist die Anzahl an eingeschleppten Jägern, die nachts die Höhlen plündern: Hermeline, Frettchen, Wiesel, Possums, Ratten und verwilderte Katzen lecken sich die Lefzen nach Kiwi Fleisch. Erwachsene Vögel sind groß und kräftig genug sich gegen die viel kleineren Angreifer zu wehren.  Sie müssen für den Erhalt des bedrohten Bestandes sorgen. Um ihnen zu helfen nicht auszusterben, hat die Umweltbehörde Neuseelands das große Ziel, dass die Inseln bis 2050 frei von Fress-Feinden sein sollen. Viel Erfolg!

Kiwi-Federn – sie wurden früher von den Maori zu prachtvollen Mänteln verarbeitet

Die grau-braunen Kiwi-Federn haben eine Besonderheit: Sie sind Daune und Deckfeder in einem. Alle anderen Vögel haben zwei verschiedene Federsorten. Weiche Federn bis in die Spitzen.

Neben dem Kiwi-Haus, gibt es ein kleines Museum und ein einige Terrarien mit Kiwi-Futter, heimischen Geckos und Stabinsekten. Eines dieser bizarren Tiere haben wir vor ein paar Monaten mal auf einem Auto entdeckt.

Ein schöner Ausflug – 12 Euro Eintritt pro Person. Kein Neuseelandbesuch ohne Kiwi ;-)

Stabinsekt – heimisch in Neuseeland – ein ungefähr zwanzig Zentimeter langer Stock

Wanderheuschrecken – Kiwi-Futter


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"Ist es gefährlich, im Gewitter zu segeln?"

Kroatien, Ende Juli vor 11 Jahren. Gewitter sind im Sommer heute so häufig wie damals. 

Unter diesem Titel veröffentlichten fast zeitgleich die Wochenzeitung DIE ZEIT und ich auf marepiu einen Post. Fast neun Jahre später würde ich nicht anders antworten als damals. „Gewitter ist nicht gleich Gewitter“, schrieb ich seinerzeit. „Was nach heftigem Unwetter aussieht, entlädt sich manchmal in einem heftigen Platzregen. Manchmal sind es schwere Böen, die dem Segler zu schaffen machen. Wieder andere Unwetter bescheren dem Reisenden auf See stundenlanges Fahren unter Blitz und Donner. Keine schöne Erfahrung.“

Naturgewalten wie Blitz, Donner und Starkregen wirken auf See und in den Bergen unmittelbarer und um ein Vielfaches beeindruckender als in den eigenen vier Wänden oder im Auto. Aber ist man einem Gewitter auf See hoffnungslos ausgeliefert?

Nein. Und das gleich aus vier Gründen:

1. Kein Gewitter kommt aus dem Nichts. 
Sie kündigen sich schon Tage vorher an, oft kann man sie schon 6 Stunden vorher bei strahlendem Wetter mit bloßem Auge erkennen. Wie das geht, erzähle ich in meinem Online-Seminar am kommenden Donnerstag, den 27.4.2023 um 19:30 Uhr.

August 2022. Gewitter über der Hafenbucht vor Korfu Stadt. Kommt es? Oder kommt es nicht?

2. Kein Gewitter auf See kommt unausweichlich auf uns zu.
Um manche kommt man nicht herum. Aber andere kann man frohgemut vorbeiziehen lassen. Wie das geht, was man dazu wissen muss, berichte ich ebenfalls am kommenden Donnerstag.

3. Nicht jeder Blitz auf See schlägt in den Mast.
Ganz im Gegenteil. So imposant Blitz und Donner sein mögen, so sind nicht das gefährliche am Unwetter. Statistisch geht von ihnen im Gewitter die geringste Gefahr aus. Warum das so ist, und was viel gefährlicher ist, das führe ich am kommenden Donnerstag vor.

4. Und wenn es aber kommt?
Auf einem Boot kann man immer etwas tun. Aber was ist das richtige Verhalten, wenn man einem Gewitter nicht mehr ausweichen kann? Weiter unter Segeln aufs Gewitter zulaufen wie die Yacht im Foto oben? Alles ausstellen? Was ist die beste Strategie im Gewitter in Kroatien?

Auf diese und andere Fragen gibts nicht nur für Skipper eine Antwort. Sondern auch für Crew-Mitglieder, die dieses Jahr nicht unvorbereitet auf dem Kroatien-Törn ins Gewitter geraten wollen.

Ich freue mich, wenn wir uns am kommenden Donnerstag, 27. April um 19:30 zu meinem Online-Seminar sehen GEWITTER FRÜH ERKENNEN. SICH RICHTIG VERHALTEN. Infos und Tickets auf www.millemari.de

24 Minuten

25.Apr.23, Neuseeland/Whangarei, Tag 3249, 24.696 sm von HH

Die letzten vier Tage haben wir einen heißen Marathon durchlaufen. Von „das gibt es doch gar nicht“, bis „wir haben doch wohl kein Loch im Schiff“,  hin zu „dann müssen wir eben noch mal aus dem Wasser“, haben wir alle freudlosen Gefühle hinter uns.

Donnerstag
Bei der Fahrt zur Brücke hören wir die Bilgepumpe das erste Mal. Da es die Tage zuvor viel geregnet hat, regt uns das nicht auf. Unsere Backskiste hinten auf dem Deck hat eine Ablaufrinne. Schafft die Rinne es nicht den anfallenden Regen zu entwässern, läuft dieser durch die Backskiste ins Schiffs-Innere, wird dort durch die Bilgepumpe empfangen und wieder nach außen befördert. Kein sehr schönes System, kommt doch so unerwünschte Feuchtigkeit unter die Bodenbretter, aber so hat man in den 80er Jahren halt Boote gebaut.

Bei der Ankunft in der Marina hören wir erneut die Pumpe. Schulterzucken. Dann, beim Mittagessen wieder … verflixt, das gibt es doch nicht. Wo kommt das Wasser her? Achim prüft die Hauptverdächtigen, die Ventile und die Welle. Nichts zu fühlen. Im aufgeräumten Schiff bricht Chaos aus. Augenblicklich stehen alle Bodenbretter hoch. Irgendwo muss das Wasser  ja herkommen. Alle 24 Minuten springt die Pumpe an. Geschätzt pumpt sie jedes Mal einen Liter nach draußen. So ein Rinnsal muss doch zu sehen sein. Unter den Bodenbrettern ist nichts zu finden.

Freitag
Achim schläft schlecht in der Nacht. Alle 24 Minuten pumpt es. Durch die herbstlichen Nacht-Temperaturen bildet sich im Boot an Metall etwas Kondenswasser. Die Wellendichtung und Ventile legen wir komplett trocken und wickeln sie in Tücher. Wir verlassen für ein paar Stunden das Schiff. Als wir wiederkommen, sind die Tücher noch immer trocken. Es pumpt trotzdem nach 24 Minuten. Ventile und Welle werden als Schuldige ausgeschlossen.

Vielleicht ist ja die Pumpe kaputt? Wir stellen die Automatik der Pumpe ab und warten dreimal 24 Minuten. Dann stellen wir die Pumpe wieder an. Brav wird die dreifache Menge nach draußen befördert. Die Pumpe wird als Schuldiger ausgeschlossen.

Die entscheidende Frage, handelt es sich um Salz- oder Süßwasser, muss geklärt werden. Der Sumpf auf Atanga ist ein Schlund in die Hölle. Ein dreißig mal dreißig Zentimeter großer Schacht, achtzig Zentimeter tief. Seit 34 Jahren entwässert sich das Schiff über diesen Schacht. Er ist schmutzig. Eklig. Rostig. Ölig. Überlaufende Wassertanks, die Dusche, ausgekippte Putzeimer,  Salzwasser, was jemals ins Schiff gelangt ist, alles, was an Wasser unterhalb der Bodenbretter schwappt inklusive Dreck, wird über ausgeklügelte Kanäle zu diesem Sumpf geleitet.
Zu erreichen ist dieser Schlund genau genommen nicht. Einzusehen schon gar nicht. Er befindet sich halb unter dem Getriebe. Zusätzlich ist ein Schrank davor gebaut. Die Sicht behindert durch die Wellendichtung und andere Versorgungs-Schläuche. Steckt man den Kopf in den Schrank ist kein Platz mehr für einen Arm zum Leuchten. Streckt man den Arm Richtung Schacht aus, kann man nichts mehr sehen.

In diesen Schrank muss man auf der rechten Seite seinen Kopf stecken – so weit bis man mit der Schulter hängen bleibt

Wir lassen den Schacht erneut fluten, um das kühle Nass mit der Soßenkelle erreichen zu können. Unbekannt ist leider auch, ob der Fluss in dem wir schwimmen salzig oder süß ist. Ich opfere mich zur Geschmacksprobe. Achim schöpft mir eine Kelle aus dem Hafenbecken. Das Wasser ist schlammig braun. Eine echte Brühe. Viele Schiffe sind bewohnt, die Toiletten immer frei, wenn man zu den Waschräumen geht. Ich teste tapfer: salzig!
Die Probe aus dem Sumpf sieht klar aus. Eine leicht ölige Schicht ist mit bloßem Auge zu erkennen. Neben salzig schmecke ich Diesel. Ich möchte mir den Mund mit Seife auswaschen. Achim, die Dreckschippe, schlägt vor, dass wir beim nächsten Mal einfach Silbernitrat benutzen, um das Silberchlorit auszufällen. Das sei der einfachste Weg, um Salz nachzuweisen, grinst er frech.
Undichte Wassertanks werden als Schuldige ausgeschlossen.

Samstag

Haben wir etwa ein Loch im Rumpf oder was ist hier los? Unwahrscheinlich. Aber alle 24 Minuten läuft die Pumpe. Da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt.
Achim hat eine Idee. Ist vielleicht doch die Wellendichtung Schuld? Wir haben eine PSS-Dichtung. Die ist nagelneu und im Rahmen einer Motorwartung noch an Land ausgetauscht worden. PSS-Dichtungen sind der Mercedes unter den Dichtungen. Ein Balg wird mittels Schellen über dem Rohr festgezogen in dem sich die Welle dreht. Der Platz um die Schellen herum ist eng und verwinkelt. Vielleicht sind die Schellen nicht fest genug angezogen worden? Der tolle Motor-Mann, den wir an Bord hatten, war schon ein älterer Herr, etwas steif beim Kriechen auf allen Vieren.
Achim gibt den Schrauben eine Viertelumdrehung. Gespannt stoppen wir die Zeit. Und hurra, die Pumpe meldet sich nach 48 Minuten. Ist der Übertäter gefunden? Die Schellen bekommen noch eine Viertelumdrehung. Wir enden bei zwei Stunden, dann bei vier.

Sonntag und Montag

Die Abstände werden immer größer. Sind irgendwann nur noch schwierig zu ermitteln. Hat die Pumpe nachts gepumpt oder haben wir es nur nicht gehört? Seit 36 Stunden haben wir jedenfalls kein Pumpgeräusch mehr wahrgenommen.
Böse Zungen können jetzt natürlich fragen: Ist vielleicht die Pumpe kaputt? :mrgreen:

P.S. Unsere Abfahrt ist etwas nach hinten gerutscht. Ein Windsystem baut sich gerade unterhalb von Neukaledonien auf und wird in ein paar Tagen Neuseeland erreichen. Da möchten wir nicht los segeln. ;-)
Dahinter wird eine Flaute folgen – wir hoffen, dass danach ein Wetterfenster kommt.

Vorhersage für Sonntag, 30.April – etwas zu viel, um los zu segeln


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Freiheit am Anker

21.Apr.23, Neuseeland/Whangarei, Tag 3245, 24.696 sm von HH

Das Wetter ist zum Abgewöhnen. Entweder es ergießen sich heftige Schauer über uns, begleitet von stürmischen Böen. Oder ein fieser Nieselregen kriecht in die letzte Ritze. So hatten wir uns unsere ersten Tage am Anker nicht vorgestellt. Achim fährt hin und wieder zur Werft rüber – der Dinghy-Motor soll laufen. Ich verlasse in sechs Tagen nur einmal das Schiff. Zum Abgewöhnen.
Und doch! Es ist schön am Anker. So fühlt sich Freiheit an. Es duftet nach Abenteuer. Die große weite Welt steht uns plötzlich wieder offen.
Und endlich wieder eine eigene Toilette. Vorbei ist die Zeit des öffentlichen Klos. Sich einfach auf die eigene Schüssel setzen. Unbezahlbar.
Eine Neuheit auf Atanga versetzt mich in Begeisterung. Wir haben jetzt eine Fußpumpe für Seewasser. Die Pumpe existierte bereits, allerdings nur für das Wasser aus den Tanks. Die haben wir so gut wie nie genutzt, da ja das Süßwasser mittels Druckwasserpumpe aus dem Hahn kommt. Ein neuer Borddurchlass und etwas Umbau hat uns jetzt die Seewasserpumpe beschert.  Keine Ausreden mehr, warum die Spüle nach dem Abwasch nicht sauber hinterlassen wird. Ein paar Hübe mit dem Fuß und die Spüle ist blitzeblank.
Ich finde das Leben am Anker wunderbar. Bei Sonnenschein wäre es ja gar nicht zu ertragen. ;-)

 

Freiheit am Anker

Nach sechs Tagen ist allerdings das Essen alle (die eingekochten Gläser sind heilig und tabu). Wir fahren mit dem Dinghy nach Whangarei. Knapp drei Kilometer Flussfahrt. Auch das fühlt sich nach Abenteuer an. Mit dem Auto kann ja jeder zum Einkaufen fahren. Es gibt ein Dinghy Dock in der Marina, festbinden, einmal über die Straße hoppeln und schon stehen wir im Supermarkt.
Da wir schon mal da sind, stellen wir uns gleich noch im Marina Büro vor. Kara freut sich uns zu sehen: „Ich hätte schon ab Morgen einen freien Platz für eure Atanga.“ Prima, das ist doch ein Angebot, ursprünglich wäre ein Liegeplatz erst in neun Tagen frei geworden. Wir schlagen ein.

 

Einfahrt in den Stadthafen von Whangarei

Der Hatea, in dem wir ankern, ist ein Fluss mit 2,5 Meter Tidenhub. Eine Fahrrinne ist betont und wird regelmäßig ausgebaggert. Trotzdem kommt man mit zwei Meter Tiefgang nur bei Hochwasser über ein paar seichte Stellen.
Unser Hochwasser ist um viertel vor acht Uhr morgens. Halb acht gehen wir Anker auf und fahren bis zur Hubbrücke, die uns von der Marina trennt. Die Brücke öffnet auf Anforderung. Ein Funkspruch reicht. Leider öffnet die Brücke nicht vor neun, um den Hauptberufsverkehr von Whangarei nicht zum Erliegen zu bringen. Das ist aber kein Problem. An einem Steg können wir festmachen und frühstücken. Glockenschlag neun Uhr wird die Brücke für uns geöffnet.

 

Die Hubbrücke von Whangarei wurde den Bug-Steven der Kanus der Polynesier nachempfunden

Selber haben wir oft mit dem Auto gewartet – wenn die Brücke geöffnet wurde

Die Brücke schließt gleich wieder nach unserer Durchfahrt

Der Stadthafen von Whangarei ist nicht besonders groß, aber besonders hübsch. Cafés und Restaurants, Beete mit Sommerblumen, bunte Schirme und ein frisch eingeweihtes Museum sorgen für Flair. Das Museum wurde im Hundertwasser-Stil erbaut.  Der Stil soll schlecht nachgeahmt worden sein, aber Friedrich Hundertwasser hat 60 Kilometer von Whangarei entfernt gewohnt – da will jede Gemeinde etwas von diesem Kuchen abhaben. Für unseren Geschmack passt sich das Gebäude gut in das Hafengelände ein. Wen interessieren da falsche Details. Besonders launig amüsieren sich die Einheimischen über den blauen Nippel auf goldener Kuppel, der schon von weitem über allen Dächern hervor sticht.

Atanga vor blauem Nippel auf goldener Kuppe

Marina von Whangarei

Museum im Hundertwasser-Stil

nette Restaurants und kleine Geschäfte

Auch der kleine Innenstadtkern von Whangarei ist ganz ansehnlich


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Das Rätsel der Orcas. Jetzt neu in englischer Sprache.

millemari’s 46. Neuerscheinung: Die englische Übersetzung von DAS RÄTSEL DER ORCAS.

Seit Sommer 2020 stoppen Orcas vor der iberischen Halbinsel Boote, rammen und drehen sie um 360 Grad – und zerstören deren Ruder. Etwa 500 Boote wurden zum Teil schwer beschädigt, mindestens zwei Boote sanken infolge der Orca-Attacken. Forschern und Naturschützern fehlt jede Erklärung für das Verhalten der Schwertwale. 

Hunderte solcher Vorfälle sind dokumentiert. Und die Zahlen werden auch in 2023 weiter steigen. Die letzte Orca-Attacke auf einen Segelyacht wurde erst in der Osterwoche vor der Straße von Gibraltar gemeldet. (Quelle: OrcasLocationPT/SPCoast auf WhatsApp, 8.1.23, 12.39 Uhr).

Was steckt hinter den Orca-Interaktionen mit Segelyachten?
Es gibt unzählige Theorien über die Ursachen. Die einen denken an Rache für die Verletzung eines Orca-Babies durch Fischer oder Segler. Manche Meeresbiologen halten eine Erkrankung im Gehirn einzelner Tiere für möglich, die auch beim Menschen weit verbreitet ist und ihr Verhalten in Risikosituationen verändert. Oder ist das Echolot von Booten schuld? Oder erhöht die Farbe des Antifoulings die Wahrscheinlichkeit, dass Schwertwale ein Ruder zerstören?

Letztlich bleibt die Frage, ob Lärm, Kampf um Nahrung, die Verschmutzung der Meere, die Verdrängung durch menschliche Aktivitäten wie Fischer, Fähren und Freizeitboote die Gegenwehr der Schwertwale weckten und sie aggressiv gegen Boote vorgehen lässt. Das Buch DAS RÄTSEL DER ORCAS folgt jeder dieser Theorien und recherchiert ihre Plausibilität.

Was steht im Buch über die Orca-Interaktionen?

Niemand kennt mehr Details über Orcas und ihre Interaktionen als die Menschen, die eine Orca-Attacke erlebten sowie die Forscher und Walschützer, die seit vielen Jahren das Verhalten der Schwertwale erforschen. Für dieses Buch interviewte ich 25 Augenzeugen, die auf ihren Booten teilweise über Stunden Attacken von Orcas ausgesetzt waren. Einer von ihnen erlebte den Untergang seines Schiffes. 

Diese Augenzeugenberichte bilden die Grundlage, um die gängigsten 15 Theorien wie Krankheit, Verletzung, Rache, Lärm, Kampf um knappe Nahrung, Training, Jagd oder Spiel zu untersuchen. In zahllosen Gesprächen mit Wissenschaftlern, Meeresbiologen und Walschützern suche ich nach einer plausiblen Erklärung für die Orca-Interaktionen zu suchen, bis am Ende des Buches eine Theorie als wahrscheinlichste Ursache übrig bleibt.

Die betroffenen Augenzeugen haben (fast) alle Arten von Gegenwehr unternommen. Meine Recherchen dokumentieren ihre Wirksamkeit oder Unwirksamkeit. Manche von ihnen sind selbst Meeresbiologen – und wurden überrascht, wie die Tiere reagierten.

Jetzt erhältlich in englischer Sprache auf amazon.com

Aktuelle Lesermeinungen zum Buch und Hörbuch:

„Ich hatte Gänsehaut beim Lesen. Die ideale Verbindung zwischen Abenteuer und wissenschaftlicher Recherche, wie sich die Orcas das Meer zurückholen.“

„Faszinierend, die Hypothesen über die Killerwale und ihr Verhalten. 
Am meisten faszinierten mich die beiden Kapitel über Orca-Jagdtechniken und den Thunfischfang.“ 

„Thomas Käsbohrer führt seine Leser von Orca-Attacke zu Orca-Attacke, 
von Theorie zu Theorie, warum die Orcas Boote angreifen. 
Ich folgte jeder Theorie. Dann rätselte ich mit, was hinter den Attacken stecken könnte, 
bis ich am Ende meine eigene Theorie entwickelt habe.“

„Ich fand die vielen plausiblen Theorien spannend – und vor allem, wie
wie jeder der Augenzeugen eine ganz andere Wahrnehmung von Orca-Attacken hat.“ 

„… es gibt tatsächlich etwas wie im Roman ‚DER SCHWARM‘,
das uns auf dem Meer bedroht.“

SV Puffin – Ian Herbert-Jones UK

HYDROVANE – JSD DROGUE – EIN RUSSISCHES ROULETTE?

Captain Hsia Chih Hang onboard the fishing vessel Zi Da Wang

Untergang der Puffin

Zurück ins Segler-Leben

13.Apr.23, Neuseeland/Whangarei, Tag 3238, 24.696 sm von HH

Ein Jahr, vier Monate und dreizehn Tage hat Atanga an Land gestanden. Heute soll sie wieder schwimmen. Achim ist nervös. Am meisten Kummer bereiten ihm die Bord-Durchlässe. Höchstselbst hat er sie ausgetauscht und jetzt die bange Frage: sind sie dicht oder muss Atanga gleich wieder an Land gezogen werden? Dann die Erleichterung – alle Durchlässe und Ventile sind dicht! Ebenso die neue Wellendichtung. Auch die Maschine springt ohne murren an. Die Gänge lassen sich einkuppeln, das Bugstrahlruder läuft. Achim grinst breit.

Tschüss Leben auf der Leiter – war nicht so schlimm wie erwartet

Tschüss alter Standplatz für so viele Monate

 

Das nagelneue Coppercoat kurz vor dem eintauchen – das wurde vor ein paar Tagen noch angeschliffen – um es zu aktivieren

Atanga kurz vor dem Aufschwimmen – alles dicht – besser konnte es nicht laufen

 

Weit fahren wir nicht. Der Anker fällt gleich im Fluss. Die Werft kann man noch riechen von hier. Damit Achims Grinsen nicht zu breit wird, hält der Gott der Zweitakter eine kleine Schikane bereit – der Außenborder will nicht anspringen. Eine Reinigung des Vergasers bringt den gewünschten Erfolg. Der Außenborder läuft.

Die letzten zwei Wochen haben wir auf diesen Tag hin gearbeitet. Mit dem Auto tonnenweise Lebensmittel ran gekarrt. Wäsche, Kissen und Decken gewaschen. Eingekocht. Für den nächsten großen Schlag alles vorbereitet.

Über 20 eingekochte Mahlzeiten für den nächsten Schlag – Hühnersuppe-Gulasch-Hackbällchen-Gemüse und vieles mehr

Ostern haben wir eine Verkaufsanzeige für das Auto geschaltet. Viel zu schnell melden sich Käufer. Halt, so geht das nicht, ich wollte doch noch einen Großeinkauf machen! Bereits der zweite Interessent, der unseren geschätzten Fiedl begutachtet, schlägt zu. Bargeld wird gegen die Schlüssel getauscht. Papiere für ein Auto gibt es in Neuseeland nicht. Der neue Besitzer gibt seine persönlichen Daten in ein Melde-Register per Internet ein. Glückwunsch, das war es an Formalitäten.
Wir hatten sehr viel Glück mit unserem Auto-Kauf. Der zwanzig Jahre alte Corolla hat nicht einmal gezuckt. Dass er zweihunderttausend Kilometer runter hat, merkt man ihm nicht an. Unser Verlust beträgt 750 Euro, somit hat der Wagen keine 50 Euro im Monat gekostet. Wir haben zusätzlich zwei neue Reifen spendiert und einen Ölwechsel. Insgesamt sind wir 10.000 Kilometer gefahren ohne Probleme. Danke Fiedl, du warst eine gute Karre.

Tschüss Luxusleben mit Auto – rechts warten schon die Räder – zurück zum Segler-Leben

Wir bleiben jetzt ein paar Tage vor Anker in Werft-Nähe. Dort dürfen wir unsere Räder unterstellen und die Dusche benutzen, wenn wir mögen. Es gibt noch ein paar Dinge zu testen. Das Horn gibt nur ein jämmerliches Tuten von sich. Wahrscheinlich eine verklebte Membran. Das Radar will sich nicht mit der Navigation verbinden. Problem noch unbekannt.
Und wir selber müssen auch einige Handgriffe wieder lernen. Wie kam man noch mal am besten von Bord ins Dinghy? :mrgreen: Wir sind, genau wie das Horn, etwas eingerostet.

Leider ist uns das Wetter nicht gnädig. Der erste Abend war traumhaft. Mit einer Flasche Sekt feiern wir unseren ersten Abend am Anker. Leicht werden wir in den Schlaf geschaukelt.
Die zweite Nacht beschert uns Böen von 25 Knoten. Wir finden keinen Schlaf. Atanga dreht sich auf die Seite. Was soll das? Wird der Anker halten? Und was klappert da so nervig? Ein nie da gewesenes Geräusch. Achim findet in der Nacht den Übeltäter – die neu konstruierte Halterung vom seitlichen Solarpanel ist Schuld.
Es gibt noch einiges, an das wir uns gewöhnen müssen.


3

Die Abeille Flandre, der Schlepper des Unmöglichen

DIE ABEILLE FLANDRE BEI DER ARBEIT IM STURM

SV Elena – Björn Tegetmeier GER

HONIG FÜR EINEN SCHON LEICHT ERGRAUTEN MANN
Guten Abend Herr Foerthmann, ich wollte Ihnen auf diesem Wege noch meinen herzlichen Dank für das Telefonat am Ostermontag bezüglich meiner Frage zum Hanseat 35 MS übermitteln. Sie an einem Feiertag anzurufen hat mich eine ganze Weile zögern lassen und eigentlich nahm ich an, dass Sie dann mal nicht erreichbar wären – weit gefehlt, Peter Foerthmann ist eben eine Klasse für sich…

Leider habe ich das Boot nicht bekommen, es ist nun doch an den Menschen verkauft worden, der es ursprünglich haben wollte. Zumindest muss ich so nun kein schlechtes Gewissen haben, einem anderen Segler ein Boot vor der Nase weggekauft zu haben – trotzdem ein bisschen schade. Da ich aber nicht unter Zugzwang stehe, wird sich zum richtigen Zeitpunkt sicherlich das richtige Boot finden – gute Angebote gibt es schließlich immer wieder. Vielleicht wird es dann doch ein stabiles Boot aus Alu, das
scheint mir als Bootsbaumaterial doch sehr erhebliche Vorteile gegenüber
GFK zu haben. Bei uns im Hafen wird wahrscheinlich irgendwann eine gut
gebaute Alu-Reinke 10M  verkauft (allerdings ist die mir eigentlich zu
klein, wenn schon Reinke, wäre mir die S11 lieber…), zudem hat mir der
Eigner einer OE32 (und wahrscheinlich Teil Ihrer Datenbank, da mal von Ihnen mit Heckverzierung ausgestattet), in Aussicht gestellt, dass er mittelfristig über einen Verkauf nachdenken würde. Letztere wäre zwar ebenfalls aus GFK, aber die OE dürfte zumindest im Puncto Seetüchtigkeit über jeden Zweifel erhaben sein.

Zwischenzeitlich hatte ich übrigens einmal die Gelegenheit, eine Ihrer
sagenhaften Heckverzierungen zu Testen, nämlich eine Pacific Light an
der Vega eines Freundes. Dass sie perfekt steuert verwundert mich nicht, erstaunt war ich jedoch über die kinderleichte Bedienung (im Vergleich mit meiner Royal).

Im vergangenen Sommer hatte ich Ihnen ein paar wenige E-mails
geschrieben; falls Ihr Mailprogramm diese direkt zuordnen kann, hier
noch die Enden der dort aufgenommenen Gesprächsfäden:
Als ich Sie von den Shetlandinseln aus kontaktierte, war mein Plan, aufgrund des gerade gebrochenen Winkellaminates zurück nach Norwegen zu Segeln, um dort die Fjorde ein wenig zu Erkunden. Einige Tage später hat sich jedoch ein hervorragendes Wetterfenster nach Westen geöffnet, sodass ich stattdessen doch weiter zu den Färöern bin, dort das
Winkellaminat repariert habe und mir anschließend einen Umweg über
Island nicht verkneifen konnte, bevor es im weiteren Verlauf der Reise
über Norwegen zurück nach Deutschland ging. In Island hatte ich dann
alle Mühe, dem Drang zu widerstehen, einigen anderen Seglern nach
Grönland zu Folgen, aber mit der Beryll ins Eis zu Segeln (und das auch
noch einhand) war mir, obwohl mich ein solcher Törn gereizt hätte, am
Ende doch ein wenig zu riskant. Daher der Gedanke, auf ein Aluboot
umzusteigen.
Die damals neu gebaute Leichtwind-Windfahne für meine Royal, von denen
ich Ihnen vor knapp einem Jahr ein paar Bilder geschicht habe, hat sich
übrigens als Volltreffer herausgestellt. Sie kann das zu groß geratene
Pendelruderblatt gut ausgleichen und schafft es sogar bei leichtesten
Winden von Achtern, das Boot nun zuverlässig auf Kurs zu halten. Als
mich auf der Rückreise von Island zu den Färöen der elektrische
Autopilot kurzfristig im Stich ließ, konnte ich mittels dieser
übergroßen Windfahne sogar unter Motorfahrt bei einem Hauch achterlicher
Winde, die zum Segeln (ohne Blister) bereits zu schwach waren, das Boot
für eine Nacht auf Kurs halten lassen, bevor der Wind morgens ganz
wegblieb und mich zu fast 20-stündiger Sklavenarbeit an der Pinne zwang.

Ihnen alles Gute und herzliche Grüße,
Björn Tegetmeyer

SV Lille Oe – Suski + Henri Bergius FIN

DIE EIERLEGENDE WOLLMILCHSAU

Windpilot – SailingGen

Ostern: Nachts auf einem Boot mitten durch Venedig.

Meine Reise Nachts auf dem Boot durch Venedig beginnt nahe des Bahnhofs Santa Lucia

Geht das überhaupt? Nachts auf einem Boot mitten durch Venedig?

Ja klar geht das. Es klappt zwar nicht mit dem eigenen Boot auf dem Canale Grande wie in den Fotos dieses Posts. Wer diese Tour unternehmen will quer durch Venedig, der steigt am besten in Santa Lucia, Venedigs Hauptbhanhof in den Vaporetto der Linie 2 mit Ziel Piazza San Marco. Nimmt hinten in dessen Heck auf einem der sechs Sitze unter freiem Himmel Platz, auch wenn diese Mitte April noch ganz schön zugig sind. Doch ich verspreche: Die Tour durch die Nacht auf dem Canale Grande lohnt sich! 

Und schon gehts los. Die Bodenplatten des kleinen Stahlschiffs vibrieren, als der Propeller irgendwo unter mir eine mächtige Welle im Heck aufwirbelt. Auf dem luftigen Freiluftsitz hört man jede Umdrehung der Welle, jedes Wühlen des Propellers im Wasser, wenn das Schiff von einem der gelb-grauen schwimmenden Bushäuschen ablegt und sich dem engen Wasserweg des Canale Grande durch die Häuserschluchten folgt. Der Abendhimmel schickt vom Westen sein letztes Leuchten aufs Wasser und auf die Fassaden. Reglos wie Gesichter sind sie dem vorübereilenden Betrachter zugewandt.

Denn Häuser können wie Gesichter sein. Und wie sie ihren strengen Blick auf uns richten. So frage ich mich auch an diesem Abend: Bin ich der Betrachter der Gebäude? Oder betrachten sie mich aus tausend Augen? Reise ich hier wirklich an Gebäuden entlang? Oder durchstreife ich Gebäude für Gebäude die Erinnerung an mein Leben?

Selten ist ein Fenster erleuchtet. Manchmal erhasche ich im Vorbeifahren einen Blick auf einen festlich hellen Saal. Oder die erleuchtete Dienstboten-Etage im ersten Stock mit den kleineren Fenstern, bevor es hinaufgeht in die Gemächer der Herrschaft. 

Wer lebte hier? Viele der auf dem Wasser thronenden Gebäude entlang des Canale Grande wurden im Mittelalter errichtet. Repräsentative Kaufmannssitze waren sie oder Paläste von Adligen. Doch immer waren sie erhabene Bauten, denen bis heute nichts ihre Würde nehmen konnte. Nicht das Wasser, das ständig an den Grundmauern nagt, nicht die Verarmung von Teilen des venezianischen Adels nach dem verlorenen Candia-Krieg, nicht der Untergang der venezianischen Gesellschaft mit dem Erlöschen Venedigs als selbständiger Republik durch Napoleon.

Reglos starren sie den Betrachter an aus dunklen Augen. Doch ihre Schönheit nach tausend Jahren lässt nichts und niemanden kalt, gerade in der Nacht nicht. Und selbst die neuen Schönheiten, die sich zwischen den alten Fassaden am Canale auf haushohen Reklameplakaten zeigen mit einem hingehauchten 

„j’adore“, „ich bete dich an“, kommen nicht im geringsten gegen Magie und Schönheit der alten Häuserfronten an, bleiben unbeachtet zurück hinter dem vorbeieilenden Vaporetto. Versinken irgendwo in der Schönheit der Häuserfronten, ihrer filigranen Säulenfassaden und deren zeitloser Eleganz vor der majestätischen Kulisse des Vorfrühlingshimmels,

während unser Gefährt weiter mit klirrenden Bodenplatten den engen Windungen des Canale folgt. Kälte steigt an diesem Ostersonntag vom Wasser auf, es hat vielleicht 10 Grad, vielleicht 12 Grad, aber was macht das schon. Wer in die Gesichter der Mitreisenden sieht, sieht etwas ungewöhnliches. Niemand auf dem Vaporetto starrt aufs Handy. Alle Blicke sind nach draußen gewandt, ein ungläubiges Staunen malt sich auf die Gesichter über die unfassbare Schönheit, huscht vom einen zum anderen statt genervter Langeweile. Selbst wenn die Wasserkälte in den Knochen steckt: Was macht das schon? Denn dies hier ist großartig, ist Teil unserer Geschichte.

Doch während das Schiffchen mit klirrenden Bodenplatten weiter in die Nacht brummt und emsig von einer schwankenden Haltestelle zur nächsten brummelt, stellen wir fest: Wir sind nicht allein auf dem Wasser. Ein neonblau getauchtes Rennboot schießt an uns vorbei. Die stummem Zeitzeugen am Ufer, sie sind nicht im mindestens verblüfft. Nichts, was sie in fünfhundert Jahren nicht schon gesehen hätten, nichts Menschliches, was ihnen fremd wäre.

Ein Gondoliere stakt im Dunkel unter der Rialto-Brücke nah an uns entlang. Seine Gondola, dieses elf  Meter lange Gefährt ist leer bis auf einen Schemen, keine Liebenden sitzen darin. Der Gondoliere treibt sein Gefährt mit dem einen Ruder aufrecht stehend an uns heran, als gäbe es das eisige Wasser um ihn herum nicht. Um mich herum gerinnt alles zu einem Film von Federico Fellini, der selbst im Verkehr des Großstadt-Molochs Rom noch Urweltwesen entdecken konnte und Autobahnen als ihre Bühne betrachtete. 

Da! Endlich einmal Menschen auf einem Balkon. Bewohner eines dieser Häuser vielleicht. Reglos sitzen sie da wie die Fronten ihrer Paläste und blicken hinaus aufs Wasser. Erstarrte Geister, die einmal im Jahr zurückkehren in den Palazzo ihrer Vorfahren.

Doch immer wieder fesseln mich Gebäude wie die Zwillinge hier, die oben in stiller Eintracht übers Wasser leuchten. Ein Rausch der Bögen, Säulen und halbrunden Formen, der niemand kalt lässt, den auf dem zugigen Vaporetto die Flusskälte in die Finger beisst. Schatten, die nicht ins Dunkel gleiten. Schönheit, die nicht schwindet.

Und selbst als wir den eingewandeten Kuppelbau der Santa Maria della Salute erreichen, unseren Blick losreißen von den majestätischen Freitreppen und im langsamen Vorübergleiten freien Blick auf die ringsum schwarzweiß bedruckte Fassadenhülle haben, scheint die zum Dank gegen die Pest errichtete Kirche auch das noch locker auszuhalten. Großflächig inszenierte Couture, die dem Gebäude nichts anhaben kann und fast als Nichtigkeiterscheint. 

Wenig später, kurz nach der verhüllten Santa Maria della Salute hat der Rausch ein Ende. San Marco ist erreicht. Venedig, das viel für seinen Over-Tourism gescholten wird, kennt viele stille Ecken. Doch  bei San Marco regiert der Trubel, hier kreuzen sich die Touristenströme, verwirbeln ineinander, ein Strudel aus Besuchern, der seinesgleichen sucht und durch den wir Mühe haben, unseren Weg zu bahnen, um unser Vaporetto heimwärts zu finden in der Kälte. Noch einmal brechen wir auf dem Boot in die Nacht auf. Aber nur eine Station von San Marco hinüber zur Klosterinsel San Giorgio Maggiore, wo in der dortigen Marina Levje liegt.

Nein. Venedig haut mich jedesmal wieder aus den Schuhen. Ich begreife diese Stadt und ihren Zauber, wenn ich mich ihm immer wieder von der See und nicht von seiner Landseite her nähere.