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Die Farbe BLAU.

Vergangene Woche sandte mir Angelika Gebhard für die Neuausgabe ihres Segelklassikers MIT ROLLO UM DIE WELT ein Vorwort, um das wir gebeten hatten. In diesem Vorwort, das mich sehr bewegte, weil sie darin ausführlich beschreibt, was von einer großen Segelreise bleibt, erwähnt sie unter anderem über ihre Begegnung mit der Kultur der alten Polynesier:

„Allein die Farbe Blau kennt in der alten polynesischen Sprache über 300 Schattierungen und Begriffe.“

300 Worte. Nur für BLAU! Das saß! Seitdem grundle, google ich, wie das denn mit BLAU im Deutschen ist. Und? Was denken Sie: Wie viele Worte gibt es im Deutschen für Blau?

Beflügelt wurde die Recherche auf der Suche nach dem Blau noch durch einen kleinen Schlag auf LEVJE etwa 20 Seemeilen die sizilische Südküste hinunter, wobei die Fotos entstanden. Es war der erste Tag nach längerem Nordwest-Starkwind. Das Meer in der flachen Küstenzone immer noch aufgewühlt, doch die Schlammfarbe des sturmbewegten Meeres längst dem großen Türkis gewichen. Ich gebe gerne zu: Dies ist meine Lieblingsfarbe Blau. Diese Mischung aus Blau. Und Grün. Und hellem Grau. Und eigentlich dachte ich bislang: Wenn ich diese Farbe sähe, die gäbe es nur an einem Ort, dann wüsste ich, wo ich befände: Nämlich in der nördlichen Adria. Aber das stimmt definitiv nicht.

Ob es stimmt, was man über Fischer und manche Naturvölker auf dem Meer sagt? Dass sie an der Farbe des Meeres erkennen könnten, wo genau sie sich gerade befänden?

Die Farbe des Meeres. Sie wird bestimmt, „gemixt“ aus verschiedenen Faktoren: Dem Einfallswinkel des Sonnenlichtes, der sich zwar täglich, aber vor allem im Lauf der Jahreszeiten ändert. Wir erinnern uns an die Gesetze der Lichtbrechung? Nein? Egal! Jedenfalls bricht die Wasseroberfläche das Licht. Wasser, das eigentlich durchsichtig ist, „filtert“ ab zunehmender Tiefe die verschiedenen Farben des Lichts. Und zurück bleibt: BLAU. Je flacher Licht einfällt, desto mehr davon wird reflektiert. Je weniger Licht ins Wasser eindringt, desto mehr Braun, Schwarz scheint das Wasser.

Nachts? Sind alle Wasser schwarz. Das ist auf dem Meer genauso wie im Gänseteich in der Weilachmühle, auf der Alpaka-Farm meines Freundes Christian in Oberbayern. Faustregel: Je „höher Sonne“, umso „Meer Blau“!

Und dann fangen die Schwierigkeiten auch schon an. Denn für alles Weitere ist nicht mehr jahreszeitlicher Stand der Sonne, ihre Höhe, sondern anderes verantwortlich. Im Wasser schwebende Sedimente, beispielsweise. Ich erinnere mehr: Während etwa zwei, drei Wochen im Jahr ist die Farbe in meiner Heimat auf den oberbayerischen Seen so wie die oben. Nur etwa zwei, drei Wochen – und genau um die Zeit der Sommersonnenwende herum, die uns ja schon in knapp fünf Wochen ereilt und wo der Sommer, kaum dass er begonnen, auch gleich wieder vorbei ist. Und noch schneller ist das dann auch mit dem Türkis vorbei.

Sedimente also. Das Zweite. Die kleinen feinen Teilchen, die im Wasser schweben, wenn es aufgewühlt war. Oder wenn ein Fluss wie die großen Nordadria-Ströme Tagliamento, Piave, Isonzo und auch der Po helles Gesteinsmehl aus den Bergen ins Mehr spülen. Sie „schweben“ im Wasser. Und geben ihm dann je nachdem eine ganz eigene Note. Und das Ganze findet statt, ob ich da bin. Oder auch nicht.

Denn dies ist dann der dritte Faktor: Wahrnehmung. Was sehe ich eigentlich für ein Blau, und was ist das Blau, das im gleichen Moment meine Frau wahrnimmt? Oder ihre griechische Landschildkröte? Genau das gleiche Türkis, das mich so entzückt?

Ein weiteres kommt hinzu, und es hat mit Licht und Sedimenten gleichermaßen zu tun. Deren Gehalt im Wasser verändert sich. Machen Sie doch einen Test: Ich habe die Fotos dieses Posts strikt in der Reihenfolge ihrer Aufnahme eingebaut. Das erste entstand beim Ablegen. Das letzte am frühen Nachmittag. Es wird „blauer“ – je höher die Sonne steht, je weniger Sedimente im Wasser sind. Es wird immer blauer. Und deshalb ist es an der kroatischen Adriaküste eigentlich immer Tiefblau, wie in Griechenland auch, weil dort wenige Flüsse ins Meer münden und deren Sedimente dorthin tragen. Und deshalb ist die Ostsee auch… aber da kommen Sie jetzt selber drauf!

Ja – und wie ist das denn nun mit Polynesisch der Ureinwohner und der Farbe BLAU im Deutschen? Da gibt es dann – soweit es das Deutsche betrifft – überraschende Aspekte. Zum einen, dass das Deutsche sooooo schlecht nicht ist, was BLAU angeht. Immerhin 50 verschiedene Synonyme listen einschlägige Synonymseiten im Web auf. Scheinbar gut.

Aber sieht man sich die Synonymlisten genauer an, stellt man fest, dass es für die FARBE BLAU nur wenige Worte gibt: Türkis. Ultramarin. Azur. Veilchenblau. Hellblau. Himmelblau. Stahlblau. Indigo. Jeansblau. Zschitscherin-Vogelschwanz-Blau? (Mein Vorschlag für eine neue Autositz-Auswahlfarbe??). Graublau. Und so weiter.

Die meisten Synonyme beziehen sich auf etwas anderes: Blau wie ein Veilchen, nämlich. Alkoholisiert. Beduselt. Berauscht. Beschickert. Beschwipst. Besoffen. Betütert. Bezecht. Sternhagelvoll. Stockbetrunken. Sturzbesoffen. Voll. Voll wie eine Strand-Haubitze (… immerhin mal was mit „Meer“). Angeheitert. Fertig. Zu.

Und so sieht das stocknüchterne Ergebnis meiner Recherche nach der Bedeutung von BLAU im Deutschen aus:

1. So ganz schlecht sind wir Deutsche nicht. Ein paar BLAU-Begriffe haben wir schon auch!

2. Naturvolk sind die Deutschen nach dieser Sprachanalyse lange keines mehr – schaut man sich die Begriffe an. Vielleicht noch in einem Winkel ihres Herzens, der immer wieder BLAU sucht.

3. BLAU in dieser Sprache hat oft mit Produkten zu tun. Etwas, das man kaufen kann, ist oft mit BLAU ausgeschmückt.

4. Was die SYNONYME angeht: Zu allermeist haben diese mit dem Ergebnis übermäßigen Alkoholkonsums zu tun.

Nun ja. Derlei ernüchternde Ergebnisse können an zwei Dingen wenig ändern:

Das Blau des Meeres ist, was es ist. Mir geht immer noch das Herz auf bei diesem Anblick.

Und die alte Kultur der Polynesier? Was ist aus dem Blau in der polynesischen Sprache geworden? Ich fürchte, die Bedeutungen von BLAU haben dort vermutlich unter dem Einfluss dessen, was wir „Zivilisation“ nennen, eine ähnliche Richtung eingeschlagen – siehe Punkt 1 bis 4.

Ich nehme mir vor, Angelika Gebhard zu fragen.
Oder zumindest das Vorwort noch mal zu lesen.

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Pantalica

Es gibt Orte, an die ich auf meinen Reisen immer wieder zurückkehre. Orte, die mich magisch anziehen. Wahrscheinlich ist das alles leicht erklärbar: Ein „guter Moment“. Vor langer Zeit.
Aber was leicht erklärbar scheint, ist in Wahrheit der Anfang der Schwierigkeit zu erklären: Was einen „guten Moment“ denn nun eigentlich ausmacht? Was die Ingredienzen sind, die man einfach aus dem Regal nehmen muss – und dann kommt er heraus, als chemische Reaktion, als Endergebnis, als Fertigprodukt, „der gute Moment“?

Pantalica besuchte ich Mitte der Neunziger zum ersten Mal. Die Ingredienzen, die den Moment damals schufen: Die erste Reise mit meiner neuen Freundin. Katja, die vorschlug, dahin zu fahren, ich wusste nichts von Pantalica. Zwei große Schluchten, die sich auf einander zubewegten. Zwei Flüsse, Anapo und Calcinara, die sich tief, tief eingegraben hatten durch die Kalkschichten, die irgendeinem fernen Erdzeitalter-Ur-Ur-Meer entstiegen waren. 5.000 (!!) in den Fels gehauene Grabkammern, die meisten oben an der Felskante, nie unten. Die meisten nach Osten und Süden, selten nach Norden. Die Wanderung durch das dichte, tiefe Grün im damaligen Mai, das so gar nicht meinem Bild vom verbrannten Sizilien entsprach. Leuchtend roter Mohn. Lupinen. Kniehohes Gras. Meine Sorge, als ich durch die dichten Halme streifte, ich könnte hier, genau hier von einer Schlange gebissen werden, eine Sorge, die mich, der ich im Ausland viel wandere, selten streift. Warum hier?
Pantalica. Zwei Canyons, eine Stunde vom Meer, von Siracusa entfernt.

Die Welt, durch die wir uns bewegen, ist voller Gewissheiten. Das Wetter wird morgen soundso. Dies ist meine Handynummer. Das gibts heute Abend zu essen. Und wenn jemand stirbt, dann kommt der Bestatter. Tatsächlich ist die Art, wie wir mit dem Tod umgehen, jenem, der uns in unserem unmittelbaren Umfeld betrifft, Ausdruck unserer Kultur. Friedhöfe. Orte ehrenden Gedenkens. Teure Grabsteine. Ein Name, zwei Jahreszahlen. Ein paar Blumen.

Vor allem dank Ethnologen und Archäologie weiß man, dass die Arten, wie Kulturen mit dem Tod ihrer Angehörigen umgehen, in die Myriaden gehen. Es ist immer wieder erstaunlich, welchen Variationsreichtum es gibt. Steinzeitliche Kinder, in hockender Position auf den Inseln der Ägäis in Tonkrüge gebettet. 
Die bronzezeitliche Fürstin, deren Grab man keine 30cm unter der Grasnarbe beim Bau des Gymnasiums Grünwald bei München fand, liegend, den Kopf mit einem Bronzekranz bekrönt, den Blick der leeren Augen für immer nach Südosten. 
Die Kelten im gerade 100 Kilometer entfernten Manching, die mit den Schädeln von Verstorbenen und Feinden unter ein und demselben Dach lebten. 
Die heutigen Toten, die wir außerhalb der Wohnorte auf eigenen Arealen in die Erde betten. Und den Gärtner mit der Grabpflege betrauen. 
Die Grabkammern von Pantalica. Einfach in die Felsen gehauen, in die aus dem dichten Grün zwischen Oliven, Macchie, Pistazien herausragenden Vorsprünge, Felsnasen, Hangkanten.

Die Archäologen sagen, dass Pantalica besiedelt wurde etwa zu der Zeit, als Troja unterging. 
Als die Fürstin von Grünwald bestattet wurde, etwa im 13. Jahrhundert vor Christus. 
Längst wurde das Meer befahren, 5.000 Jahre zuvor war wohl von hier, von Sizilien aus, ein Volk aufgebrochen und hatte 50 Seemeilen weiter südlich, auf den Inseln von Malta, eine einzigartige Zivilisation mit den gewaltigen Steintempeln von Hagar Quim begründet. 
1.300 vor Christus? Die Minoer befuhren zu diesem Zeitpunkt bereits 800 Jahre auf festen Handelsrouten das östliche Mittelmeer. Um die gleiche Zeit waren Mykenier, deren Erben, nach Eroberung Troyas im Niedergang begriffen. 
Ägypter schlugen sich um 1.300 unter Ramses II. mit den Hatti an der Grenze im heutigen Palästina herum. Eine unruhige Ecke, heute wie damals, warum eigentlich? 
Keine allzuferne Zeit also, die Zeit von Pantalica. Keine Epoche, über die wir nichts wüssten. 1.300 vor Christus: Eine Zeit, in der große Wanderbewegungen einsetzen. Eine Welt, die nach längerer Phase „stabiler“ Verhältnisse dabei ist, in Umordnung, Neuordnung, Chaos, Veränderung überzugehen. Schatten am Horizont. Dunkle Wolken. Neuankömmlinge, die fremde Sprachen sprechen und auf Booten kommen. Beginnende Bewegung überall im östlichen und mittleren Mittelmeer – auch auf Sizilien.

Es waren wohl Menschen von den Küstenregionen im Osten und Süden Siziliens, die sich unter dem Druck neuer, übers Meer gekommener Siedler offensichtlich von den Küsten weg Richtung Landesinneres bewegten. Die Namen der Neuankömmlinge, zusammengefasst in fremd anmutenden Namen von Völkern: Ausonier. Morgetaner. Und auch: Sikeler. Sikeler, die der Insel mit den drei Kaps für alle Zeit den Namen geben sollten: Sizilien. Shekelet, von denen die alten Schriftsteller erzählen. Jene, die vorher an den Küsten gesiedelt hatten, suchten Zuflucht vor ihnen auf den schwer zugänglichen Höhen zwischen den beiden Canyons von Pantalica. Um irgendwo dort ihre neue Stadt zu gründeten. Von ihr ist nichts erhalten, man weiß nicht, wo sie lag, man weiß nur, dass der Höhenrücken besiedelt war für 600 Jahre. Solange, bis die Griechen kamen.

Was blieb, waren Grabkammern. Über 5.000 von Ihnen liegen in der Landschaft verstreut, manche einzeln, manche in Gruppen eng beieinander liegend, so eng: man könnte meinen, dies wäre über Jahrhunderte Bestattungsanlage einer Familie und aller ihrer Angehörigen gewesen. Und 150 Meter weiter der einer anderen Sippe. Was verblüfft, ist der Aufwand, den die Lebenden für die Toten mit Schaffung der Grabkammern betrieben. Der in den Fels gemeisselte Eingang misst ungefähr ein Meter mal ein Meter fünfzig. Dahinter ein kleiner Raum, breiter und höher als der Eingang, im Volumen etwa ein, zwei Kubikmeter groß. 
Vermutlich wurden Holzgerüste errichtet, um überhaupt Kammern in drei, vier Metern über dem Boden errichten zu können. Wir befinden uns in der Bronzezeit. Presslufthämmer, Dynamit, Gesteinsbohrer waren noch 3.300 Jahre weit weg – Erfindungen unserer Jahrhunderte. Stattdessen: Einfache Meissel aus in Hartholz gespanntem Gestein. Und aus weicher Bronze. Weichmetall, das auf harten Kalkstein-Fels auftrifft. Kleine Gesteinssplitter, die ein Hammer man mit jedem Schlag auf den Bronzemeissel wegsprengt. Ein paar kleine Steinsplitter mit jedem Schlag. Der Meissel, der an dem harten Gestein schnell stumpf wird. Sich vielleicht rasch verbiegt.

Sie sind nicht groß, die Grabkammern. Vielleicht etwas mehr als ein- bis eineinhalb Kubikmeter. Die Eingangsöffnung ist so klein mit ein Meter mal ein Meter zwanzig, dass an jeder Grabkammer eigentlich immer nur ein einziger Mann arbeiten kann. Mehrere würden sich behindern, in der beengten Eingangsöffnung sich gegenseitig im Weg stehen, nein, das geht gar nicht. 
Also ein Mann, der an einer Grabkammer arbeitet. Wie lange braucht ein Mann mit einfachstem, splitterndem Stein- und sich verbiegenden weichen Bronze-Meisseln und Werkzeugen, um etwa einen Kubikmeter harten Kalksteins abzusprengen, abzulösen, Steinchen für Steinchen, bis eine Grabkammer fertig ist? Eine von Fünftausend? 
Die Rechnung ist einfach: Nehmen wir an, jeder Hammerschlag sprengt Splitter und Stäubchen und Steinsprengsel im Volumen eines kleinen Spielwürfels aus dem Gestein. Etwa einen Kubikzentimeter. Dann bräuchte es zwischen ein und zwei Millionen Hammerschlägen, um eine Kammer herauszumeisseln. 1.000.000 bis 2.000.000 Schläge.  Gehen wir weiter davon aus, dass ein guter Arbeiter, ein ausgebildeter Mann etwa 40 Schläge pro Minute ausführen kann. Pausen eingerechnet. Dann schafft er 2.400 Schläge in der Stunde – was dann immerhin der Gesteinsmenge eines Würfels mit  13,4 Zentimeter Kantenlänge entspräche. Könnte der Mann jeden Tag etwa sechs Stunden in derartigem Tempo arbeiten – Pausen und Zeiten für Abräumen der Trümmer eingerechnet, Werkzeug wird „gestellt“, dann: Wäre eine solche Grabkammer nach knapp 140 Tagen fertiggestellt. 140 Tage. Vier Monate und ein halber. Ein halbes Jahr, grob geschätzt, also.

Gehen wir davon aus, dass mehrere Männer an einer Grabkammer arbeiteten. Nicht gleichzeitig, sondern nacheinander, um sich abzulösen. Dann liesse sich die Zeit für die Fertigstellung auf siebzig Tage verkürzen – vielleicht auch deutlich weniger, wenn Tag und Nacht und „rund um die Uhr“ gearbeitet worden wäre.

Wahrscheinlich ist, dass die Grabkammern nicht sämtlich „aus einem Guss“ entstanden. Die Sikeler, die sie errichteten hinterliessen keine schriftlichen Zeugnisse. Forscher unterscheiden verschiedene Komplexe an vier unterschiedlichen Stellen von Pantalica.  Gemeinsam ist ihnen, dass sie in den fünf, sechs Jahrhunderten ihrer Nutzung mehrfach und immer wieder genutzt wurden. Verschlossene Kammern, in denen bereits mehrere Tote bestattet waren, wurden für weitere Beisetzungen geöffnet. Als Archaeologen um 1910 mit der Erforschung des Höhenrückens begannen, fanden sie die Kammern, die heute leer sind, mit ein und sieben Toten beiderlei Geschlechts – zusammen mit den typischen Bronzezeit-Beigaben wie Tonkrügen, Bronze-Dolchen, Fibeln. 

Was es aber mit den Riten der Sikeler auf sich hatte, ihren Toten in den Hängen regelrecht Häuser hoch oben in den Felsen zu errichten so wie im Leben auf Erden, was sie bewog, ihnen Alltagsgegenstände mit in ihre letzten Wohnungen zu geben, dies wird ihr Geheimnis bleiben.

Was aus alldem wurde?
Die erste Kultur von Pantalica?
Etwa mit dem 7. Jahrhundert vor Christus endet die Nutzung der Grabkammern. Pantalica – oder wie immer der Name des Ortes gewesen sein mag, und seine Bewohner gerieten unter Druck und in die Konflikte der an der Ostküste städtegründenden Griechen. Vermutlich von Griechen aus Syrakus wurde die Stadt im 7. Jahrhundert zerstört.

Die zweite Kultur von Pantalica?Noch verschiedene Male wurde der Höhenrücken zwischen den beiden Flüßen Ort der Zuflucht. Die nächste große Besiedlung fand statt, als sich im 7. Jahrhundert Raubzüge der Araber mehrten. Und die frühchristlich Reströmisch-byzantinische Bevölkerung ebenfalls die Flucht ergriff. Sich landeinwärts auf den geschützten Höhenzügen niederließ. Und die Höhlen ein weiteres Mal besiedelte.

Pantalica heute?
Ein großer Naturpark, in dem der Seewind über die Canyons hinwegstreicht. Ein einsamer Fleck – für mich immer wieder ein Highlight Siziliens, nur etwa 50 Minuten von Siracusa und der Küste entfernt. 

Und für alle, die Fernweh & Meeres-Sehnsucht jetzt gleich befeuern wollen:


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Weiter durch Südfrankreich

IMG_5185Mir war nicht langweilig in letzter Zeit. Merkt ihr wahrscheinlich daran, dass der letzte Bericht schon eine ganze Weile her ist.
Die Fahrt mit Eos durch Südfrankreich lässt mir nicht viel Zeit für irgend etwas anderes. Ich fahre früh los und mache meistens erst spät nachmittags irgendwo die Leinen fest. Wo das ist, kann ich manchmal planen, manchmal macht mir auch irgendetwas einen Strich durch die Rechnung. Es kommt vor, dass mal eine Schleuse nicht funktioniert oder ich mit Menschen am Ufer ins Gespräch komme. Dann wieder regnet es häufig, so dass ich schon ein, zwei Stunden früher festmache oder ein Anleger ist schlicht weg so belegt, dass kein Platz mehr für Eos ist. Das kam allerdings nur einmal vor, ansonsten sind die Anleger und kleinen Häfen eher ziemlich unterbelegt.
So ist fast jeder Tag ausgefüllt mit Überraschungen und abends bleibt nur noch wenig Zeit zum Gegend erkunden, Essen kochen, nach Hause telefonieren und der Wartung am Boot.
Aber es geht mir gut im Garonne-Seitenkanal. Er ist wunderschön und wenig befahren. Bis zum Ende des Kanals in Toulouse taucht hinter Eos nicht ein einziges anderes Boot auf. Auch vor uns fährt niemand. Nur ganz selten kommt mal ein Hausboot entgegen. Sehr selten…
In allen 53 Schleusen bis Toulouse bin ich allein. Damit hätte ich im Vorfeld nicht gerechnet. Aber immer wieder komme ich mit Menschen an den Schleusen ins Gespräch und manchmal auch mit Mitarbeitern vom VNF, die gerade etwas an einer Schleuse reparieren. Anrufen muss ich wegen eines Ausfalls an Schleusen beim VNF in der Zeit nur drei mal. Es geht dann immer ziemlich schnell, bis jemand kommt und das Problem recht zügig beseitigt.
Fast alle Schleusen bediene ich selbst und es macht mir Spaß. Die Schleusen bringen Abwechslung und geben mir die Chance, mich ein wenig zu bewegen. Denn meinem Rücken tut das permante Stehen an der Ruderpinne überhaupt nicht gut. Aber anders geht es nicht. Die Fahrrinne ist schmal und man muss ständig aufpassen, nicht gegen einen im Wasser liegenden Baumstamm zu fahren.

Ich komme bis Toulouse an vielen kleinen Orten vorbei. Manchmal würde ich gerne ein, zwei Tage bleiben, um mehr von der Gegend zu sehen. Aber selbst die kurzen Ausflüge neben dem Kanal lohnen sich. Tourismus ist nur wenig vorhanden. Das gefällt mir.

In der Gegend um Moissac erlebe ich einen der schönsten Tage bis dahin. Ich fahre mit Eos eine ganze Zeit lang auf einem der Jakobswege und treffe viele Pilger. Unter anderem eine Gruppe aus Straßburg, drei Freunde aus dem Elsass und eine junge Pilgerin, die mich überreden wollte, doch mit nach Santiago zu kommen. Aber ich bin nicht schwach geworden. Habe, wenn auch schweren Herzens, meinen Kurs beibehalten.
Die Blicke mancher Pilger hättet ihr sehen sollen. So weit weg von Santiago spricht dich sonst eigentlich kaum jemand an, erkennt fast niemand, was du vor dir hast. Ich bin dann jedes mal, wenn ich Pilger gesehen habe, ganz langsam ran ans Ufer, hab gegrüßt und dann nur mit dem Finger in die Richtung gezeigt und gefragt: „Camino de Santiago?“
Wie sich der Gesichtsausdruck plötzlich verändert hat. Unbeschreiblich…
Und ich hatte ständig nen Kloß im Hals. War für eine Weile wieder ein bisschen Pilger. Viele schöne, leider viel zu kurze, Begegnungen waren das.

Wenige Tage später, am 24.04. komme ich schließlich abends in Toulouse an. Ich fahre gleich in den Canal du Midi, denn der erste Hafen ist eher eine Art Abstellplatz für ein paar wenige Boote, sonst ist dort nichts, außer der Autobahn nebenan. Also mache ich nach den ersten drei Schleusen in diesem Kanal im Hafen Saint-Sauveur fest und kann kurz vor Feierabend noch so gerade eben eine Dusche ergattern. Dann ist Pause angesagt. Garonne-Seitenkanal geschafft, Canal-du-Midi voraus.

Ich habe ihn genießen können, den Kanal neben der Garonne. Trotz viel Regen und wenig Sonne. Er hat es mir angetan, mit seinen alten Bäumen am Ufer, der Ruhe und den kleinen Orten und Anlegern.

Mare Più. 2016-05-08 20:00:00


Was bringt, was kostet es, ein halbes Jahr Segeln zu gehen? Was findet, was verliert man dabei eigentlich? Ist „ein halbes Jahr Segeln“ nur ein Projekt wie jedes andere? Oder doch nicht? Hinterlässt es Spuren? Hat es tiefere Auswirkungen? Findet man wieder zurück in sein bisheriges Leben? Was wird aus der Beziehung?

Zwei Menschen geben sich im Mai 2014 eine halbjährige Auszeit auf See. Der eine segelte ein halbes Jahr in der Ostsee. Der andere im Mittelmeer. Der eine von Kiel aus in die Schären. Der andere vom slowenischen Izola ins südtürkische Antalya. Der eine ist Musiker. Der andere Verleger. Beide sind nicht auf der Jagd nach Rekorden, sondern nach „Zeit. Einsamkeit. Raum.“

Beide schreiben ein Buch über ihre Reise. Beide machen einen Film über ihre Reise. Warum segeln Menschen überhaupt los? Warum verändert eine halbjährige Auszeit für immer? Warum hinterlässt so etwas überhaupt einen tiefen Eindruck?

                                                                                                      Hier der Link zum Video-Interview.

Zwei Jahre später, im April 2016, treffe ich den Musiker Claus Aktoprak, um mit ihm über seinen halbjährigen Ostsee-Törn zu sprechen. Von Claus erfuhr ich erst, als ich bereits unterwegs war. Ich, der ich mit Rockmusik wenig anfangen konnte, vermutete hinter dem „Eigen-Slogan“ THE SAILING BASSMAN auf Claus‘ Blog www.luvgier.de einen Grenzgänger, einen hartgesottenen ganzkörpertätowierten Bassisten in schwarzem Leder. Als ich Claus zum ersten Mal kurz danach traf, stand mir etwas ganz anderes gegenüber als das. Ein sensibler Mann, den die gleichen Motive, die gleichen Fragen umtrieben wie mich. Claus ist alles andere als ein Grenzgänger. Wenn ich ihn beschreiben müsste, dann ist er ein Musiker, der wieder zurück wollte dorthin, wo wirklich Musik ist. Und nicht das Drumherum, in einer Organisation rund ums Medium „Musik“ sein Geld zu verdienen.

Was von Claus‘ und meiner Reise geblieben ist? Wie geht es uns heute damit, dass wir ausgeschert sind auf der Autobahn, kurz rechts rausgefahren sind und angehalten haben? Hat sich etwas verändert? Oder geht alles nahtlos weiter im Text, wie vorher auch?

                                                                                                     Hier der Link zum Video-Interview

Das Video-Interview beantwortet viele Fragen. So simple Fragen wie „Was kostet so eine Reise eigentlich?“ bis hin zu „Wie ist das Zurückkommen?“. Das „Wie klappt das in einer festen Beziehung, wenn der andere nicht mit will? Oder mit kann?“ Und nicht zuletzt: Wie verändert man sich, was gewinnt, was verliert man, wenn man sein angestammtes Zuhause verlässt?

Wer Lust hat auf mehr Antworten:
Zum Trailer von Claus‘ Film (vor zwei Wochen erschienen). Hier!
für den er selbst die Musik schrieb. Prädikat: Sehr empfehlenswert!
Zum Trailer von Thomas‘ Film. Hier!

           

Kochen an Bord: Nonsuch Breakfast Burger

Heute gibts mal wieder eine kleine Anregung für die Bordküche von mir. Auch wenn man das eigentlich nicht ernsthaft Kochen nennen kann, ist diese kleine Eigenkreation eines Rührei Burgers perfekt geeignet für ein Frühstück an Bord. Schmeckt gut, und ist schnell gemacht. Und wie immer braucht man nicht mehr als zwei Spiritusflammen für die Zubereitung und alle Zutaten sind auch ohnehin schon an Bord oder leicht verfügbar. Und die Reste lassen sich perfekt noch über einen Tag auf See verputzen! Also los gehts:

Zutaten (2 Personen/3 Burger):

4 Eier
3 Brötchen (vom Vortag schadet nicht, das Ei gibt genug Feuchte)
ca. 125g Baconstreifen
einige Kirschtomaten
eine kleine Schale Blattsalat
Salz/Pfeffer
Butter
ca. 80g geriebener Emmentaler
nach Belieben noch eine kleine Zwiebel oder andere Zutaten.

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Zubereitung ca. 10-15 min.

 

Die Brötchen aufschneiden (am besten über der üblichen Hälfte wie im Bild zu sehen), aushöhlen und leicht mit Butter beschmieren.P1100321
Die Kirschtomaten vierteln, den Salat waschen und in kleine Fetzen zupfen. Währenddessen den Speck bereits in der Pfanne anbraten. Entgegen dem klassischen Speck zu den Eiern sollten die Streifen am besten noch weich und nicht zu kross sein.P1100322
Die Eier zu dem Speck in die Pfanne geben. Kleiner Kleinkreuzertip: Wer sich beeilt kann eine Schale zum Abwaschen sparen und die Eier für das Rührei schnell in der Pfanne verquirlen, salzen und pfeffern bevor sie zu stocken anfangen. Wer mag kann an dieser Stelle auch noch z.B. ein wenig Knoblauch oder gehackte Zwiebel mit ins Ei geben.P1100324
Sobald das EI gestockt ist, den Käse unterrühren. Sobald dieser dann anfängt zu schmelzen, die Pfanne von der Flamme nehmen.P1100327
Das Rührei mit Speck bis zum Rand in die vorbereiteten Brötchenschalen geben. Anschließend die Salatfetzen und Tomatenviertel drauf geben. Wegen der Vitamine! ;) Deckel drauf, fertig.P1100329

 

Ich präsentiere: den Nonsuch Breakfast Burger! Und wie man sieht, lässt er sich ob der Handlichkeit eines Burgers auch perfekt noch auf See verputzen. Gutes Gelingen beim Nachkochen und guten Hunger!

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Flüchtlingsschiffe.

Dienstag, 26. April 2016. Das Meer ist aufgewühlt, man sieht es durch den Bretterzaun auf der Pier. Seit ein paar Tagen weht es mit sechs, sieben Windstärken über die Südküste Siziliens, an der ich mit LEVJE im Hafen von Marina di Ragusa liege. Wenn Polarluft über Deutschland hinwegzieht, dann bläst es hier kurz danach aus Nordwest – so scheint es jedenfalls. Das Meer hat sein Türkis verloren, Grundseen haben den Boden aufgewühlt, nach zwei Tagen Starkwind ist das Meer schlammfarben und von weißer Gischt bedeckt, soweit das Auge reicht. Mein Windmesser zeigt in der Spitze 40 Knoten über dem Boden an. Während wir das Meer am Strand beobachten, sind Haare, Zähne, Ohren im Nu voller Sand. Arbeiten auf dem Boot ist ungemütlich: Selbst im Hafen, wo das Boot fest vertäut liegt und vor Wellen gänzlich geschützt ist, packen die Böen ein ums andere Mal LEVJE’s Rigg und drücken das Boot zur Seite. Feinmotorisches im Geschwanke erledigen ist meine Sache nicht. Sturmtage im Hafen.

Und weil der Segler nicht ruhen kann, fahren wir mit dem Wagen nach Pozzallo, etwa 20 Kilometer östlich Marina di Ragusa. Pozzallo ist ein Hafenstädtchen mit fast 20.000 Einwohnern. Vom Hafen gehen regelmässig Fähren nach Malta, aber jetzt liegt das große Areal verlassen im Licht des stürmischen Mittags. Starkwind, der mir beim Öffnen die Autotüre aus der Hand reißt, während auf der anderen Seite nur ein aubergine-farbener Bus steht, ein modernes Teil mit jeglichem Reisekomfort. Er ist besetzt überwiegend mit jungen dunkelhäutigen Männern, der aubergine-farbene Bus. Und sähen sie nicht so erschöpft aus, hätten sie nicht alle ein und dasselbe Krankenhaus-Handtuch um Kopf, um Nacken gelegt, man könnte tatsächlich denken: Der Kegelclub von Marsala macht einen Ausflug im Reisebus nach Pozzallo. Aber so ist es nicht. Die Insassen sind Flüchtlinge aus Eritrea. 308 Männer, Frauen und Kinder, die an diesem Tag bei sechs bis sieben Windstärken aus Nordwest das Meer gegenan überquerten. Und hier irgendwo an einem der langen Strände vom schlammfarbenen Meer an Land gespült wurden.

Was heute hier passiert, passiert seit einigen Jahren in Pozzallo. Regelmäßig landen hier Flüchtlingsboote, vielleicht weil es von hier aus nur 50 Seemeilen bis nach Malta sind und knappe
200 bis zur Küste Tunesiens. Und weil die Behörden nicht wissen, wohin mit jedem übriggebliebenen Flüchtlingsschiff, wird einfach eine Nummer draufgesprüht. Und sie werden hier in einer Ecke des weitläufigen, verlassenen Hafengelände Pozzallos einfach abgelegt – wie in anderen Häfen des südlichen Sizilien auch. Niemand kümmert sich darum. Es sind: Die vergessenen Schiffe.

Es sind zumeist stabile Fischerboote, feste Kähne, von denen mancher seine besten Tage lange hinter sich hat. Manche von ihnen wurden, um möglichst viele Menschen darauf unterzubringen, eigens für diesen Zweck umgebaut. Die Schlepper haben alle hinderlichen Aufbauten entfernt, um ein glattes Deck zu schaffen, auf dem viele Menschen transportiert werden können. Statt des Auspuffs ragt nur noch ein Ofenrohr aus dem übrig gebliebenen Rest des Deckshauses. Es sind auch keine kleinen Schiffe – Flüchtlingstransport in dieser Spielart ist offensichtlich Massengeschäft.

Eine dicker Deckel, der den Laderaum verschließt, in dem wer-weiß-wieviele Menschen während der 2-4 Tage dauernden Überfahrt kauern. Selbst für den Steuermann ist kein Deckshaus mehr da, alles ist abmontiert, am Heck ist nur noch eine Pinne mit langem Arm erkennbar.

Auch ein Schlauchboot liegt auf dem Schiffsfriedhof von Pozzallo. Es ist das Teil mit der Nummer 166 – oder das, was nach der Überfahrt noch übrig ist. Ein über 10 Meter langes Schlauchboot, dem längst alle Luft entwich, der Boden aus einfachen Sperrholzplatten, aus denen Unkraut wuchert. Wer weiß, wie viele Menschen auf so einem Gefährt das Meer überquerten, und bei was für einem Wetter, im langen zurückliegenden Winter.

Natürlich sind, wie das auf einem Schiffsfriedhof üblich ist, die Schiffe längst ausgeweidet. Alles, was nach der Ankunft irgendwie verwendbar, verwertbar war, wurde entfernt, kaum ein Schiff, an dem noch ein Steuerrad ist, Edelstahl haben die Schiffe in den Ländern, aus denen sie kommen, sicher nie gesehen. Nur weniges blieb an Bord. Doch dies wenige ist ergreifend, weil es die persönliche Habe von Flüchtlingen ist, die sie zurückliessen:

Der Schuh eines Mannes und eines Kindes, die auf den Planken rotten. Vater und Sohn?

Ein kleiner Rucksack mit einer Zahnbürste darin:

Die Zahnpastatube mit anderen Schuhen. Zwei BHs. Ein Spielwürfel. Ein Suppenlöffel. Gegenstände, die eine Geschichte darüber erzählen, was jemand mitnimmt, wenn er nichts mehr mitnehmen KANN. Was würde jeder von uns auswählen, einpacken, wenn es plötzlich hieße: „Nimm alles Wichtige mit. Heute Abend. Aber es muss in einen Rucksack passen.“ Was nähme man mit? Zahnpasta?

Es sind ihre Habseligkeiten, die die Flüchtlinge beim Ankommen an Bord ließen, die mehr über ihre Schicksale erzählen als manches Andere. Alte Wasserflaschen. Schlafsäcke. Und Berge von Schwimmwesten, zumindest das. Immer wieder sind Flüchtlinge in Zeitungen zu sehen, auf Gefährten, die kaum schwimmfähig scheinen. Doch Schwimmwesten tragen die meisten. Gibt es einen Gott, der vor der Abreise Schwimmwesten verteilt? Gibt es ein multinationales Amt, das dafür sorgt, dass jeder der Flüchtlinge zumindest eine Schwimmweste hat, wie es die Gesetze auf See vorschreiben? Gibt es im Auswandererland eine geheime Behörde, die wegschaut, wenn Flüchtlingsboote „umgebaut“, vorbereitet werden? Aber hinschaut, damit jeder eine Rettungsweste trägt? Gelten irgendwie doch noch Vorschriften dort, wo Menschen alles wagen, sich ins Ungewisse begeben, jedes Risiko auf sich nehmen, nur um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können? Es gibt so vieles, was ich an diesen Geschehnissen nicht verstehe.

Am Dienstag, den 26. April 2016 kamen in Pozzallo, Provinz Ragusa, Italien, 308 Flüchtlinge an. Einen Teil von ihnen habe ich in dem aubergine-farbenen Bus gesehen. Insgesamt 177 Männer. 72 Frauen, darunter sechs schwangere. 46 Jungen. 13 Mädchen. 100 von ihnen wurden weiter nach Trapani verbracht, 208 blieben zunächst im Erste Hilfe-Zentrum in Pozzallo. Es hat eigentlich nur Platz für 180 Menschen.

Anders als zu erwarten, ist der Zeitungsartikel, der am folgenden Tag in LA SICILIA erschien, voller Anteilnahme für die Not der Flüchtlinge – obwohl die Bevölkerung Italiens genauso wie die Griechenlands oder Spaniens längst der Probleme und der Last überdrüssig sein müsste, die sie seit bald zwei Jahrzehnten trägt.

Vielleicht ist jenes Europa, von dem wir träumen, doch spürbar, hier in Italien. In Pozzallo.

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On the road again…

IMG_20160429_170503 NaviGerade mal 4 Wochen ist es her, dass ich Nico und Eos in Port Medoc allein gelassen habe und zurück nach Deutschland gefahren bin. Für mich vergingen diese Wochen recht schnell, auf der Arbeit bin ich gut abgelenkt und an den Wochenenden habe ich schon wieder Besorgungen gemacht für Eos. Ab und zu konnten wir skypen, aber es ist natürlich trotzdem nicht das Gleiche.
Manchmal hat Nico so viel an einem Tag erlebt, dass er es gar nicht alles in der kurzen Zeit erzählen konnte. Zum Glück ist es nur eine absehbare Zeit und jetzt kann ich erst mal für eine Woche wieder mit an Bord. Vorher liegen allerdings erstmal 1257 Kilometer dazwischen. Diesmal versuche ich es ohne Übernachtung.
Der Modus ist startklar, alles gepackt und Musik zum munter bleiben (nach dem Motto: sing along and stay awake) ist vorbereitet, jetzt heißt es: Früh ins Bett, früh los und gut ankommen :-)

Mare Più. 2016-04-29 00:07:00

 

Weil das mit dem langsamen Reisen etwas ist, was gelernt und gekonnt und gelebt sein will, habe ich heute einige Gedanken darauf verschwendet, wie ich vom Flughafen Catania nun eigentlich an Siziliens Südküste komme, dorthin, wo mein Schiff LEVJE im Hafen von Marina di Ragusa liegt. Am schnellsten ginge das mit den etwas mehr als 100 Kilometern natürlich mit einem Leihwagen – da wäre ich ganz schnell, in eineinhalb Stunden, im Süden am Meer.

Option 2:
Ich nehme den Bus. Der braucht drei Stunden – und für die letzten zehn Kilometer von Donnalucata bis nach Marina di Ragusa: Da müsste ich mir dann etwas ausdenken. Taxi? Trampen? Mit 56? Ob mich jemand mitnähme? Das Leben kann so spannend sein.

Option 3:
Ich fahre mit dem Bus nach Siracusa. Und nehme von dort das Bimmelbähnchen, bis nach Scicli. Etwa fünf Stunden. Und von da weiter? Siehe Option 2.
Und weil „Fahren mit altmodischen Zügen“ durch vergessene Landschaften eine meiner heimlichen und ungelebten Leidenschaften ist, neige ich eher zur fünfstündigen Reise. Stelle mir vor, wie das Bähnchen jetzt im späten April durch duftende Orangenhaine Siziliens gleitet. An den Flüssen Siziliens die karstige Landschaft hinauf. Und dann in langer Neigung ans Meer hinunter. Nein. Allein mit diesen Gedanken ist meine Entscheidung  schon gefallen. Am Bahnhof von Siracusa werde ich nicht enttäuscht: Da steht, was ich mir erwartet hatte, neben einer alten italienischen Dampflok: Ein von FIAT gebauter Triebwagen. Verbeult. Alt. Ehrwürdig. Alles andere als schön & modern. Nicht mehr als ein dieselbetriebenes Wägelchen, das schon alt war, als ich jung war. Die Fensterscheiben sind blind und ungepflegt – durchschauen kann man nicht. Was aber gar nichts macht, denn man kann mit ihnen tun, was einem die Bundesbahn mittlerweile überall versagt: Man kann die Fenster öffnen. und damit weiteren Leidenschaften ungezügelt ihren Lauf lassen: Nämlich den Kopf während der langen Fahrt aus dem Fenster hängen lassen, den Wechsel von Licht und Schatten, Wärme und Kälte, von hunderterlei Farben und Formen auf der Haut spüren, durch Gerüche und Düfte Siziliens reisen. „Landschaft in 3D statt Klimaanlage“, die mal wieder ausgefallen ist. „Wir bitten dies zu entschuldigen.“

Schon fünf Minuten vor der Abfahrt drängelt die Durchsage am kleinen Bahnhof von Siracusa. Es ist einer von drei Zügen, der in diesen Stunden abgeht, also nimmt man hier die Sache schon ernst. Schließlich könnte ja einer der 13 Mitreisenden die ernste Angelegenheit der Abfahrt auf die leichte Schulter nehmen und nicht schon fünf Minuten vorher auf seinem Platz sitzen. Noch eine Durchsage: „Il treno per Pozzalo – Scicli – Modica – Ragusa …“ ja ja: ich steig ja schon ein und lass‘ die Dampflok Dampflok sein!

 

Und kaum dass ich sitze, geht es auch schon los. Der Diesel im Wägelchen beginnt zu wummern. Mit einem Ruck setzt sich das Bähnchen in Bewegung, rumpelt langsam über die Weichen hinaus in die große weite Welt des östlichen Sizilien.

Avola, erster Halt. Der Ort, der dem berühmten Nero d’Avola den Namen lieh, jenem Rotwein, den man überall in Süditalien trinkt. Nero d’Avola, der – so weiß es Wikipedia – auch „Principe Siciliano“ genannt wird, „sizilianischer Fürst“. Seit ich neulich für mich die Insolia-Rebe entdeckt habe hier auf Sizilien und seitdem zum Fisch nichts anderes mehr bestelle – es gibt sie nämlich auch als Frizzantino, herrje, mit kleinen Bläschen, drin baden könnte ich… aber … wenden wir uns lieber wieder der Fahrt zu. Ruckelnd, rumpelnd, schmetternd, schmatzend setzt sich mein Wägelchen am Bahnhof von Avola in Bewegung, ein tiefes Schnaufen, ein kreischendes Zirpen und Sägen von Stahl auf Stahl in den Weichen, ein Tuten an einem Bahnübergang, das rhythmische Schmettern des Diesels steigert sich, als der Zug beschleunigt. Langes Tuten, irgendwie herrlich un-dominant. Nein dominant ist hier nichts, außer der chicen blauen Uniform des TRENITALIA-Kontrolleurs. Wieder ein langes Tuten im Tal, das voller Orangenbäume steht, die Hänge hinauf Olivenhaine.

 

Nächster Halt: Noto. „Citta per la pace e i diritti humani“, steht auf dem Bahnhofsschild. Aber in Noto, das ich nun wirklich kenne, in der alten Barockstadt, waren die Dinge auch schon mal besser. Oh ja: der Bahnhof hat mindestens fünf Gleise und drei Bahnsteige. Aber alles ist überwuchert hier von schnell schießenden Grashalmen und dem jetzt im April überall blühenden roten Mohn, die Gleise lang nicht mehr benutzt, hier unten setzt sich fort, was oben längst zu besichtigen ist in der Barockstadt, die jeder Führer anpreist ob ihres barocken Stadtbildes: Die Wirklichkeit ist, dass Noto das „alte“ Sizilien ist. Das Sizilien der achziger Jahre, der Hoffnungslosigkeit- An jedem dritten Haus das obligate „Vendesi“-Schild,  „Zu Verkaufen“ also ein Palazzo nach dem anderen. Wenn jetzt einer käme mit einer Vision, was man aus dem barocken Städtchen machen könnte samt dem Knast mit den verbauten Fenstern unmittelbar am Marktplatz: Wenn jetzt einer käme mit einer klugen Idee, was man daraus machen könnte aus dieser einzigartigen Kulisse: es gäbe kein Halten mehr.

 

Die dreizehn Mitreisenden hängen träge in den dunkelblauen Sitzen, Dösen vor sich hin oder schlafen, Köpfe nicken im Takt der Schienen, Ta-tam Ta-tam. Ta-tam Ta-tam. Köpfe, die langsam Richtung Brust kippen. Rosolino. Auch hier überwucherte Gleise, der Mohn wächst üppig zwischen den Schwellen.

 

 

Die Hand des Lokführers ein paar Meter vor mir, die er aus dem Zug in den Wind hält. Es ist eine junge Hand, die eines verheirateten Mannes. Er trägt einen Ring am Finger, nein, genauer: gleich zwei? Ein junger Mann, der schon Wittwer ist? Der, weil das Schicksal ihn schlug mit Sorge, Gram um eine kranke Frau, nicht weiter kam im Leben als genau bis hierher, in das Bähnchen, das jeden Tag mehrfach zwischen Siracusa und Ragusa verkehrt? Und wenn: Vielleicht ist er ja genau damit glücklich, überglücklich? Nicht die große Bühne, die ihn lockt, nein, sondern genau dies hier: Die kleine Bimmelbahn jeden Tag entlang.

 

Ispica. Alte Schienen am Rand, rostige Schienen, aufeinander gestapelt, dahinter Berge von Schotter, Die Kisten der Tomaten und Orangen-Kooperative, deren Plastik-Gewächshäuser sich am eingleisigen Schienenstrang entlangziehen. Kornfelder, die bereits jetzt im April goldgelb gereift sind, Hafer, der zwischen uralten Olivenbäumen steht und die Köpfe hängen lässt, als wäre es Anfang August. Manche Felder bereits jetzt Ende April abgeerntet.

 


 

Neben der eingleisigen Strecke kommt das Meer in Sicht. Pozzallo. Hafenstadt. Bahnhof und Bahnsteig sind mit Grafiti beschmiert, die am Bahnhof liegenden Industriegebäude produzieren längst nichts mehr. Die Alcoholfabrik der „Cavalieri Franceso e Enrico Giufreddi“ ist Kind eines anderen Jahrhunderts, einer anderen Epoche, ihre Reste stehen heute am Bahngleis, man muss findiger sein heute als einfach nur Alcohol zu brennen. Die Fabrik ist verwaist samt Schornstein, die Fenster eingeschlagen. Das Dach längst weg. Aber dafür ist auf den Bahnsteig genau vor meinem Fenster in dicker dicker grüner Farbe hingepinselt:

 

„Auguri per la mia piccola con gli occhi piu dolci“:

„Alles Gute, Du meine Kleine mit den süßesten Augen der Welt, für Dich.“

 


 

Es braucht nicht viel, um glücklich zu sein. Hinter Sampieri, einem gottverlassenen Bahnhof irgendwo in der Pampa, wendet sich der Zug ab von der Küste, vom Meer, das jetzt breit, breit  vor mir liegt. Dreht einwärts Richtung Binnenland, Richtung Scicli und Modica, der Diesel schmettert die Hügel hinauf, blaue Vorhänge knattert im Wind wie tibetanische Gebetsfahnen, die Reisenden stehen am Fenster, schauen hinaus, eine kleine bunt zusammengewürfelte Gemeinschaft, die Hand des Lokführers, die aus dem Zug hängt und allen voranfährt.

 

 

Scicli. Deutschen Zungen ein Rätsel, wie man es ausspricht – aber dabei doch so einfach: „Schieckli“. Meine Fahrkarte geht nur bis hierher, ich überlege, ob ich noch weiterfahren soll, die schönen Orte kommen erst noch: Modica. Stadt in den Hügeln. Und jeder zweite Laden bietet hier die Schokolade aus Modica an, dunkle herbe Schokokade voller Kakao, aber mit Rohrzucker angerührt, der knirschend zwischen den Zähnen hängebleibt. Oder Ragusa, der Endpunkt, hoch oben auf den Hügeln. Um Ragusa zu erreichen, fährt der Zug 270 Grad um einen Berg herum hinauf, das wollte ich mir immer mal ansehen, aber für heute muss ich raus. Von Scicli nach Marina di Ragusa sind es gerade eben 17 Kilometer, kein Bus, kein Taxi – mal sehen.

 

Und während ich mich noch umsehe, wie es jetzt mit mir weitergehen könnte in Scicli, während ich dabei bin, den Mitreisenden vom anderen Fenster, der sich genauso wie ich nicht sattsehen konnte während der Fahrt und ebenfalls in Scicli ausstieg, während ich all dies bedenke: Blicke ich zurück zum Bahnhof. Mein Bähnchen steht verlassen da. Der Lokführer ist ausgestiegen, ich sehe ihn, wie er neben den Gleisen ein kleines Gärtchen voller Orangen- und Apfelsinenbäumchen betritt. Und voller Lust hochspringt, und die beringte Hand nach den Orangenfrüchten greift, sich eine Orange nach der anderen vom Baum holt, eine, noch eine. Und dann schnellen Schrittes zurück zu seinem Zug läuft, der sich kurz darauf schmetternd hügelauf wieder in Bewegung setzt.

 

Nein. Es braucht wohl wirklich nicht viel, um glücklich zu sein. Als Lokführer. In Scicli.

 

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Castets-en-Dorthe – Lagruère

IMG_5137 Schleuse Garonne Seitenkanal19.04.2016

Vignette ist gekauft, es geht los! Ich bin etwas aufgeregt. Heute soll ich also zum ersten Mal, ganz allein durch eine Schleuse. Ohne Schleusenwärter und ohne fremde Hilfe.
Bei der ersten Schleuse bekomme ich allerdings noch Unterstützung. Der Hafenmeister aus Castets-en-Dorthe lässt es sich nicht nehmen, mit dem Fahrrad bis zur Schleuse nebenher zu fahren und in der Kammer meine Leinen anzunehmen, um die Poller zu legen und sich um die Vorleine zu kümmern, während ich die Heckleine nachführe. Klappt wunderbar und geht ziemlich schnell. Eos liegt dabei hinten in der Kammer. Dort ist das Wasser relativ ruhig.
Die ganze Aktion dauert von Einfahrt bis Ausfahrt genau 12 Minuten, inklusive Smalltalk und Verabschiedung. Eos wird dabei um 3,32m angehoben.
Weiter geht es durch den Kanal, der sich jetzt so präsentiert, wie ich ihn von Fotos aus den Büchern kenne. Wunderschön anzusehen ist das. So langsam werden die Bäume immer grüner und die Landschaft zieht im Schneckentempo an mir vorbei. Leider ist der Kanal in manchen Abschnitten mit Algen und Pflanzen zugewuchert. Bis an die Wasseroberfläche reicht das Kraut stellenweise und bremst uns aus. Die Geschwindigkeit sackt ab und Eos wühlt sich durch den grünen Unterwasserwald. Ich mache mir sorgen um die Kühlung und den Propeller. Es funktioniert aber alles ohne Probleme. Nur ab und zu zieht Eos in eine Richtung, wenn wir uns einen Algenbatzen mit einem der Kiele eingefangen haben.
Nach einer Weile bin ich vor der nächsten Schleuse. Man muss vor der Kammer einen Stab, der an einem Seil quer über den Kanal hängt, eine Viertelumdrehung nach rechts drehen. Damit fordert man die Schleuse an. Je nach dem, ob die Kammer leer oder gefüllt ist, muss man mehr oder weniger lange warten.
Ich habe Glück, die Kammer ist leer, die Tore öffnen sich und die Ampel schaltet auf grün. Langsam fahre ich Eos hinein, mache mit der Mittelleine an der Leiter fest, schnappe mir Vor- und Achterleine und klettere damit nach oben. Dort lege ich die Leinen um die Poller, klettere wieder runter, belege dort an den jeweiligen Klampen an Deck, löse die Mittelleine wieder von der Leiter und habe das Glück, dass jemand für mich den Knopf oben drückt und ich nicht nochmal hochklettern muss.
Jetzt schließen sich die Tore hinter Eos und das Wasser schießt vorne in die Kammer. Ich nehme während der Schleusung immer wieder die Achterleine dicht und halte Eos damit schön nah an der Wand. Geht ziemlich gut. Anschließend Leinen lösen und raus fahren.

Weiter geht’s. Weiter durch den Algenwald und der nächsten Schleuse entgegen. Hier bin ich nun wirklich ganz allein. Und auch hier wieder: Aufstoppen, Mittelleine an die Leiter, hochklettern, runterklettern, hochklettern, Eos halten, rausfahren. Geht viel einfacher als gedacht, wie sich heute gezeigt hat. Im Laufe des Tages sehe ich der ganzen Schleuserei recht entspannt entgegen. Ich werde schneller und gelassener. Es läuft wirklich gut und ich bin mit der Zeit über jede Schleuse froh, bringt sie doch Abwechslung in die Kanalfahrt.

Abends mache ich an einem Minianleger mit Restaurant in Lagruère fest. Eigentlich muss man hier für die Nacht bezahlen und bekommt Strom und Wasser. Allerdings liegt noch das Laub vom letzten Herbst und niemand ist da. Ok, dann halt kostenlos und abgeschieden.

Das einzige was Eos heute Probleme bereitet hat, war das Kraut im Kanal und die geringe Wassertiefe vor dem Anleger. Ich komme nicht näher als einen halben Meter heran, dann sitze ich mit einem Kiel auf.

21,9 Seemeilen und 8 Schleusen geschafft.

Hafentage in Castets-en-Dorthe

IMG_5055 Garonne-SeitenkanalSonntag, 17. und Montag, 18.04.2016

An diesen Tagen wollte ich Eos ein wenig auf den Kanal vorbereiten. EPIRB und Funkgerät kommen wieder raus aus der Jacke und über den Mast spanne ich eine Art Bimini, gegen Sonne und Regen. Waschtag ist ebenfalls und das einigermaßen klare Wasser im Kanal wird genutzt, um den Rumpf mit der Kamera zu begutachten. Das Antifouling sieht wirklich spitze aus. Bis auf die Unterseite der Kiele ist kein nennenswerter Bewuchs erkennbar. Nur der Propeller sieht wirklich bescheiden aus. Neben einem Mikroriff macht mir etwas anderes allerdings größere Sorgen. Die Opferanode ist nahezu vollkommen aufgelöst. Viel früher als sonst, ist nur noch ein winziger Rest übrig. Man kann es natürlich auch positiv sehen: Optimale Materialausnutzung, sozusagen.
Es nützt also nichts, ich muss ins Wasser. Darf man hier eigentlich nicht, wegen starker Mikrobenbelastung. Aber mir bleibt keine Wahl. Ohne die Anode geht es nicht. Das Wasser hat 16°C, also ziehe ich mir den Neoprenanzug an. Socken, Handschuhe, Taucherbrille mit Sehstärkenkorrektur und einen Bleigurt habe ich auch. Also eigentlich ein recht komfortabler Tauchgang. Klappt auch alles ohne Probleme. Die Anode ist schnell gewechselt und der Propeller mit einem Spachtel von allem Bewuchs befreit.

Der Ort, an dem ich diesmal gestrandet bin, ist übrigens ziemlich kurios. Fast wie im Schlaraffenland. Ich hab keine Dusche, ich hab ein richtiges kleines Bad im Hafen! Wenn man möchte, dann bringt einem der Hafenmeister morgens um halb 9 frisches Baguette oder Croissants ans Boot, viel früher steht hier keiner auf. Der Liegeplatz und alles drum herum sind echt schön. Aber dreimal am Tag passiert etwas wirklich merkwürdiges. Es kündigt sich bereits lange vorher durch eine Art Klopfen an. Das Klopfen kommt von einem Stock. Dann kommt zunächst ein alter Hund vorbei getrottet. Danach ein alter Mann an einem Stock und zuletzt eine struppige Katze! Eine Prozession ist das…
Achso, wenn man hier einen Fisch angeln möchte, braucht man nur kurz einen Köder ins Wasser halten und schon beißt ein großer Hecht an, oder ein Wels. Dauert nur einen Augenblick und man kann eine ganze Woche davon essen. Hab es gefilmt…

Ansonsten bastel ich weiter an Eos herum. Nur Kleinigkeiten. Viele Kleinigkeiten, die nötig sind, um das Gesamtsystem in gutem Zustand am Laufen zu halten. Ein wenig Törnplanung mache ich ebenfalls, laufe auch mal zur nächsten Schleuse, der ersten automatischen, und schaue mir alles genau an.

Dienstag will ich weiter.

Schwieriger als gedacht

IMG_5010 GaronneSamstag, 16.04.2016

Heute ist der Tag, an dem meine Törnplanung nicht ganz aufgeht. Der Wettergott, oder wer auch immer, macht mir einen Strich durch die Rechnung.
Meine Abfahrtszeit in Begles sollte 12 Uhr sein. Dann müsste der Strom kippen, also von Ebbe auf Flut wechseln und wieder bergauf fließen. Tut er allerdings erst etwa 30 Minuten später. Stillwasser gibt es im Prinzip kein nennenswertes. Das geht hier ziemlich zackig. Ich löse die Leinen um genau 12:28 Uhr, der Bukh läuft da bereits eine Weile und wir können gleich mit hoher Drehzahl starten.
Am Anfang geht es noch ganz entspannt zu. Der Strom schiebt uns ordentlich, aber ich lasse mich nicht davon täuschen. Mir ist bewusst, dass die Flutwelle bei Nipp nicht bis nach Castets-en-Dorthe reichen wird, also fahre ich gleich von Anfang an mit 2.600 U/min. Das mache ich eigentlich nur ungern. Der Propeller läuft da nicht mehr im Optimalbereich. Es ist laut und man verbraucht deutlich mehr Diesel. Aber es geht nicht anders. Um 17:30 sind wir bei der Schleuse zum Kanal angemeldet. Sabrina hat das in die Hand genommen und mit dem Schleusenwärter gesprochen. Er wird die Schleuse so vorbereiten, dass ich direkt aus dem Fahrwasser in die Kammer kann.
Nach einer Weile fängt es an zu regnen. Und wie es regnet. Eigentlich war wieder nur mal ab und zu ein kleiner Schauer gemeldet. Aber es hört nicht mehr auf zu regnen, den ganzen Tag lang nicht mehr. Ich hole mir irgendwann einen Eimer. Den stelle ich vor den Niedergang, setz mich darauf und improvisiere damit einen Innensteuerstand unter der Sprayhood. Eos steuere ich über die Tasten am Autopiloten.

Die Garonne wird derweil immer schmaler und Eos langsamer. Der Zeitpunkt, an dem wir nicht mehr geschoben werden, kommt viel früher als erwartet. Meine Kalkulation fängt an zu kippen und die Ankunftszeit verschiebt sich immer weiter nach hinten.
Während das Flussufer immer näher rückt und die verschlafen wirkenden Dörfer an mir vorbei ziehen, werde ich so langsam etwas nervös. In letzter Zeit ist in weiten Teilen Frankreichs viel Regen gefallen. Sollte der mir jetzt zum Verhängnis werden?
Immer mehr Wasser kommt uns entgegen. Als die Geschwindigkeit auf unter 4 Knoten fällt, erhöhe ich die Drehzahl noch einmal auf 2.800 U/min. Das sind nur noch 200 Umdrehungen unter der maximal möglichen Drehzahl. Und ich fahre jetzt anders. Raus aus dem Fahrwasser und auf die Innenseiten der Kurven, so dicht wie möglich ans Ufer. Beides mache ich nicht gerne, aber eine andere Chance gibt es nicht. Einen Hafen, einen Anleger oder sonst etwas zum festmachen gibt es auch nicht. Der Anker wäre die einzige Chance. In einem schmalen Fluss, den ich nicht kenne, mit starker Strömung und Untiefen, auch keine besonders erstrebenswerte Lösung.
Also ran an die Innenseite und im Wechsel die Augen aufs Wasser, Echolot und Geschwindigkeit. Weit innen sind wir glatt einen Knoten schneller, noch dazu sparen wir Wegstrecke. So könnte es klappen. Zwar spät, aber es könnte gehen. Ich denke dabei an die Zeit im Rhein. Hier habe ich das auch immer so gemacht, um schneller bergauf zu kommen. Aber im Gegensatz zum Rhein zwischen Wesel und Rees, kenne ich diesen Fluss nicht. Ich hab ein bisschen Bammel und irgendwann passiert es auch. Mit dem Backbordkiel bleibe ich irgendwo hängen. Vielleicht ein ins Wasser gekippter Baum, vielleicht Schlamm. Es fühlt sich so an, als wenn jemand den linken Kiel festhält und Eos zieht sofort in Richtung Ufer. Ich kuppel schnell den Autopiloten aus und ziehe die Pinne zu mir. Gerade noch rechtzeitig! Nach diesem Zwischenfall bin ich etwas vorsichtiger. Wage mich nicht mehr ganz so nah ans Ufer heran.

Mittlerweile fahren wir stellenweise nur noch 3 Knoten über Grund. Sabrina halte ich immer wieder auf dem Laufenden. Irgendwann schätze ich die neue Ankunftszeit auf 18:30 Uhr. Das ist eigentlich zu spät für Sportboote. Normalerweise ist das Zeitfenster zwischen 18 und 19 Uhr für die Berufsschiffe reserviert. Sabrina ruft nochmal beim Schleusenwärter an und gibt ihm die Infos durch. Er meint: Kein Problem. Bis 19 Uhr wartet er auf jeden Fall auf mich und wenn ich noch später ankommen sollte, lässt er die Schleuse offen. Dann soll ich ihn anrufen, wenn ich da bin. Er käme zur Schleuse und würde mir einen Platz zeigen, wo ich über Nacht bleiben kann.

Der Zeitdruck ist damit erst mal weg. Ich bin mal wieder begeistert, wie problemlos das in Frankreich geht.

Also weiter den Fluss hochquälen. Eos und der Bukh tun mir dabei Leid. Es ist ein Krampf. An den Engstellen geht die Geschwindigkeit noch weiter runter. Absoluter Tiefpunkt ist die Gegend um Langon. Nur noch 2 Knoten über Grund, bei etwa 6 Knoten Fahrt durchs Wasser.
4 Seemeilen bis zum Ziel stehen noch auf dem GPS Navigator. Eigentlich ein Katzensprung. Hier und heute nicht. Aber irgendwann haben wir es fast geschafft. Die Schleuse, ich kann sie im Fernglas bereits sehen. Herrlich. Wie ich mich freue. Dazu hört es endlich auf zu regnen. Wie bestellt.
Nur noch eine Brücke, dann vorsichtig raus aus dem starken Strom und rechtzeitig Gas wegnehmen. Die Schleusenanfahrt liegt im Prinzip direkt neben dem Fahrwasser. Als Eos in der Kammer und die Mittelleine fest ist, bin ich überglücklich. Endlich vorbei, die Quälerei auf der Garonne.

Schade, dass es so schwierig war, denn dabei ist die Schönheit der Garonne ein wenig untergegangen. Der Fluss ist noch sehr natürlich und wenig ausgebaut. Fällt ein Baum ins Wasser, dann bleibt er dort liegen. Bis auf ganz wenige Stellen gibt es auch keine Tonnen im Fluss. Und immer wieder treffe ich auf Fischer, die zu ihren Reusen fahren oder mit Netzen fischen.

Als ich in der Schleuse bin, geht alles schnell und einfach. In kürzester Zeit ist Eos oben, im Garonne-Seitenkanal. Endlich!
Die zweite Schleuse liegt nur ein paar hundert Meter hinter der ersten und der Schleusenwärter erklärt mir, dass er auch diese Schleuse noch für mich bedienen wird, damit ich bis zum ersten Hafen kann. Also schnell weiter, aber kurz bevor ich aus der Kammer bin, winkt er mit seinem Handy. „Telefon für dich!“
Ich bin verdutzt, halte Eos so schnell es geht an und er gibt mir sein Handy rüber. Es ist der Hafenmeister. Er will mir erklären, wo ich festmachen kann und meint, dass er nach dem Abendessen, so gegen 20 Uhr, noch zu mir kommt, um mir alles zu erklären und den Schlüssel für die Dusche zu geben.

Nach dem Gespräch geht’s weiter. Auch die Kinder vom Schleusenwärter kommen mit, der Hund ist auch dabei. Eos ist die Attraktion des Tages. Kommt offenbar nicht so oft vor, dass hier ein Segelboot aus Deutschland ankommt und wie sich später zeigen sollte, dass im April überhaupt Boote die Garonne hoch kommen.

Nach der zweiten Schleuse verabschiede ich mich von allen und mache die Leinen klar. Als ich den Platz von weitem sehe, bin ich etwas erschrocken. Nicht weil irgendwas schlecht aussieht, im Gegenteil, der erste Eindruck dieses Hafens ist Top. Nein, hier liegen die Boote mit dem Heck zum Steg und sind vorne an einer Mooringboje fest. Gesehen habe ich das schon oft, in Büchern und Blogs von Fahrtenseglern, aber bisher noch nie selber so festgemacht. Also bin ich zunächst erstmal ganz langsam vorbei gefahren und hab mir in Ruhe überlegt, wie ich in diese Lücke reinkomme und Eos fest kriege.
War dann eigentlich gar nicht so schwierig und hat gut geklappt. Habe sie rückwärts so rein gefahren, dass ich gut mit dem Radeffekt arbeiten konnte und als die Boje am Bug war, schnell eine Leine festgemacht und weiter zurück gesetzt. Das schwierigste war, die Heckleinen am Steg zu befestigen. Klampen gab es nicht, sondern nur so kleine Augbolzen. Übers Heck konnte ich auch nicht so leicht raus, da ist ja gerade alles verbastelt und die Windfahnensteuerung war auch im Weg. Nach ein paar Versuchen hab ich dann doch mit einem Wurf die Leine hinter dem Augbolzen verheddert bekommen.
Danach in Ruhe alles ausgerichtet, essen gekocht, müde geworden.

IMG_20160416_195721 Eos in Castets

Eos in Bordeaux

IMG_4957 Eos in BordeauxAm 15.04. mache ich vormittags, kurz nach Niedrigwasser, in Pauillac die Leinen los. Diesmal geht nichts kaputt und wir kommen ohne Probleme aus dem Hafen.
Auf der Gironde ist heute ausnahmsweise mal richtig viel Verkehr, jedenfalls für die Verhältnisse dort. Kurz nachdem ich am Rand des Fahrwassers bin, werde ich von einem größeren Schiff überholt und hinter mir bewegen sich gleich zwei der großen A380 Frachter, die zwischen Hamburg und Pauillac Flugzeugteile für den Riesenvogel transportieren. Auch im weiteren Verlauf des Tages begegnen mir immer wieder andere Schiffe. Fähren, Kreuzfahrtschiffe und ein Containerfrachter.
Nach knapp zwei Stunden bin ich in der Garonne. Das Wasser wird klarer, der Fluss ist etwa so breit wie der Rhein. Allerdings ist er nicht so stark kanalisiert. Die Ufer wirken auf mich sehr natürlich. Ins Wasser gekippte Bäume, ein paar Anglerhütten und viele Wasservögel. Auch Flussfischer gibt es hier noch. So etwas habe ich bisher noch nie gesehen. Mitten im Fahrwasser vor mir rudert ein alter Mann ein langes Netz durch den Fluss.
Gegen Mittag sind wir in Bordeaux und es fängt an zu regnen. Ich mache ein paar Fotos, versuche in der kurzen Zeit so viel wie möglich zu sehen. Erst in dem Moment, als ein paar Meter neben mir an Steuerbord langsam diese Stadt vorbei zieht, realisiere ich es so richtig. Eos ist in Bordeaux!

Weiter geht’s. Wir müssen noch durch einen der schmalen Bögen an der „Pont de pierre“, der ältesten Brücke der Stadt. Napoleon Bonaparte war es, der den Bau dieser Steinbrücke angeordnet hat. Sie wirkt beeindruckend, sehr massiv, mit ihren wuchtigen Fundamenten. In wenigen Sekunden sind wir durch, vom starken Gezeitenstrom durchgespült worden. Danach mache ich Leinen und Fender klar und lege kurze Zeit später in Begles an. Den ersten Versuch mit dem Bug flussaufwärts breche ich ab, dafür strömt es noch zu stark bergauf. Also kurz eine Runde gedreht und entspannt gegen den Strom angelegt.
Ein freundlicher Hafenmeister erklärt mir alles und gibt Tipps für die nächste Etappe. Hafenanlagen und Dusche sehr gut, mehr ist hier nicht. Ich bin der einzige Gast im Hafen und auch sonst ist an diesem Abend kein anderer Mensch hier. Nur eine Ente setzt sich spät abends zum schlafen auf den Steg neben Eos.

Gute Nacht