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Bulgarien in drei Tagen

Weit war es bis zum ersten Hafen in Bulgarien an diesem 25. April nicht. Etwa 20 Seemeilen, die ich überwiegend unter Maschine, bei Flaute zurückgelegt habe.
Zu meiner Überraschung wurde ich in Tsarevo bereits erwartet. Hafenmeister und Grenzpolizei standen schon an der Pier, als ich noch nicht ganz im Hafen war. Fischer kamen kurz vor dem Anlegen auch noch dazu und jeder wollte beim Festmachen helfen.
Ich glaube, hier habe ich zum ersten Mal das erlebt, wovon ich in den alten Segelbüchern manchmal gelesen habe. Nomade war die Attraktion des Tages und jeder wollte mal schauen.
Ebenfalls hat mich das unkomplizierte Einklarieren überrascht. Der Zoll war zwar nicht im Hafen, aber die Beamten sind innerhalb weniger Minuten mit dem Auto gekommen und alles ging wirklich sehr schnell.
Bevor der Zoll da war, wurde Nomade von der Grenzpolizei inspiziert. Worum es dabei ging war sofort klar und später im Büro konnte ich auch noch ein paar Fragen zum Thema Einwanderung stellen. Einhand aus Süden kommend, mit so einem großen Schiff, war doch etwas ungewöhnlich und so hat die Beamtin eben geschaut, ob alles plausibel ist. Es gibt nämlich auch hier im Schwarzen Meer ab und zu Versuche, Menschen über den Seeweg nach Europa zu bringen und so hatte man Nomade seit längerem auf dem Radar- und AIS Schirm.
Als der Zoll dann mit dem Papierkram (sehr wenig) fertig war, wollten die beiden Beamten auch nochmal an Bord. Dabei ging es eher weniger um Schmuggelware. Ich hatte das Gefühl, ich halte einen kurzen Vortrag über die Reise und die beiden wollten wissen, wie das so ist, auf See.
Gekostet hat das Einklarieren keinen Cent. Lediglich fürs Festmachen musste ich eine kleine Gebühr an den Hafen bezahlen.
Beim Ablegen hatte ich sogar ein schlechtes Gewissen, nicht länger hier geblieben zu sein. Der Hafenmeister war sichtlich traurig, dass ich schon wieder abfahre und die Polizistin kam kurz vorm loswerfen der Leine nochmal zum Schiff, um mir noch einen guten Tipp zum Ausklarieren zu geben.



Aber ich wollte weiter. Weiter nach Norden, das gute Wetter ausnutzen. Die zweite Etappe des Tages war ebenfalls etwa 20 Seemeilen lang. Nach Sosopol bin ich mit Nomade gesegelt. In einen der wenigen Yachthäfen am Schwarzen Meer.
Auf diesem Törn konnten wir dann zumindest etwas segeln, aber der Wind aus Ost war leider noch etwas schwächlich. Also lief der Volvo zur Unterstützung mit.

In der Marina in Sosopol war nichts los. Ein wirklich großer Hafen ist das, aber kaum ausgelastet. Vielleicht 10% Belegung im Wasser. An Land dagegen war kaum noch Platz für Boote. Ein paar schicke Yachten wurden hier geparkt, aber ein großer Teil der Boote hatte die besten Zeiten bereits hinter sich.
Den nächsten Tag habe ich dazu genutzt, die Stadt ein wenig zu erkunden. Wirkich urig und hübsch, dieser Ort, mit seinen uralten Häusern und den gemütlichen Menschen.
Was mir nach der Türkei sofort aufgefallen ist, hier leben fast nur ältere Menschen. Die jungen Leute suchen ihr Glück in anderen Ländern und Oma und Opa bleiben offenbar hier.
Meine Türkischen Lira konnte ich in einer Bank problemlos in Bulgarische Lew umtauschen, eine SIM Karte für den mobilen Router gab es auch unkompliziert.









Einen weiteren Tag später wollte ich ein Stück weiter. Eigentlich nur bis Sweti Vlas. Aber das Wetter war so gut, dass ich nach einer Weile auf See das Ziel geändert habe. Warna sollte es nun sein. 50 Seemeilen waren es bis dort und da der Autopilot an diesem Tag mal etwas länger am Stück fehlerfrei gesteuert hat, war ich auf Höhe Warna noch relativ fit. Also nochmals das Ziel geändert, auf Balchik, nördlichster Port of Entry in Bulgarien!
Leinen fest, nach 65 Seemeilen in einem wirklich hübschen Küstenort, in dem man eigentlich ein paar Tage bleiben müsste.

Nomade in Balchik.

Bei meiner Ankunft kamen gleich ein paar Leute zum Steg und haben beim festmachen geholfen. Zum erkunden der Stadt blieb leider keine Zeit, denn ich wollte am nächsten morgen so früh wie möglich weiter.
Dieses Wetterfenster war einfach unglaublich. Ich hatte das Wetter im Schwarzen Meer bereits seit letztem Jahr im Sommer beobachtet und einiges darüber gelesen. Normalerweise ballert es hier fast nur aus Nord, dazu setzt ein permanenter Strom ebenfalls aus Nord. Stürme kommen im April auch ab und zu vor und insgesamt betrachtet ist das Schwarze Meer ein raues Meer. Vielleicht ein bisschen vergleichbar mit der Nordsee.
Und jetzt? Jetzt gibt es hier seit Tagen dieses Hochdruckgebiet, als wäre es festgenagelt. Sowas von stabil, wie es nur selten vorkommt. Jeden Tag blauer Himmel, Wind aus Ost, maximal 4 Windstärken, manchmal auch eher zu schwach und wenig Dünung. Das muss man natürlich ausnutzen.

Also bin ich am 28. April früh raus aus der Koje, hab mein Faltrad aufgebaut und bin zur Grenzpolizei geradelt. Ich glaube, ich hatte kurz den Mund offen stehen, als ich dort „Guten Morgen“ gesagt habe. Zu mehr bin ich nämlich nicht gekommen. Der Beamte meinte unmittelbar danach: „Guten Morgen, sie sind also der Segler aus Istanbul?!“
Es hatte sich also bereits herum gesprochen. Das ich Ausklarien wollte, brauchte ich auch nicht zu sagen. Ich sollte nur mit zur Kaimauer kommen und schauen, ob ich für die Überprüfung des Schiffs dort gut Anlegen kann.
Die Mauer war ziemlich hoch und mit großen Reifen in ungünstigem Abstand für Hochseefrachter vorgesehen.
Bevor ich viel sagen konnte hieß es: „Ach, vergessen wir das. Machen Sie ihr Schiff fertig, sobald ich die Papiere fertig habe, komme ich mit dem Auto zum Yachthafen!“

Ich war positiv überrascht.

Wenige Minuten nachdem ich das Faltrad verstaut und Nomade vorbereitet hatte, stand der Grenzpolizist an Bord und hat sich interessiert auf Nomade umgeschaut.
Leinen hätte er auch noch los geworfen, aber das konnte ich nun wirklich alleine. Und so ging es viel früher los, als ich erwartet hatte und noch bevor die Stadt so richtig wach war, lag der Hafen von Balchik im Kielwasser.

Rumänien, wir kommen…

Preiserhöhungen Nationalpark Kornaten. Neue Preise 2018.

Über die Preiserhöhungen in den kroatischen Marinas 
haben wir bereits im Februar berichtet ->Hier.
Zum Saisonstart erhöhen auch die Nationalparks ihre Preise. 
Heute ein kurzer Bericht über die Kornaten.




Der Nationalpark Kornaten hat seine Preise für 2018 drastisch erhöht. Das Eintages-Ticket (!) kostet nun für eine 37ft-Yacht bis zu 162 € (!!) – wenn man nicht aufpasst und sein Ticket nicht vorher Online kauft oder eine der Marinas in und um Murter ansteuert.

Noch eklatanter fallen die Preiserhöhungen für Boote kleiner 8m aus. Hier kostet das Tagesticket 108€, wenn man es im Nationalpark löst. Beim Kauf außerhalb des Nationalparks sind stolze 54€ pro Tag fällig.

Hier die Preisübersichten:

Preise für Yachten <8m

                                                             Preise für Yachten 37ft

Entsprechend teurer sind auch die 3-Tagestickets. Vorsicht auch beim Besuch des angrenzenden Telascica-Nationalparks – denn der ist im 1-Tages-Ticket nicht enthalten.

Würden die eingesammelten Beträge wenigstens dem Schutz und Ausbau des Kornati-Nationalparks zugute kommen, könnte man damit leben. Doch dem ist nicht so, wie Kornaten-Buchautor Bodo Müller berichtete. Er interviewte im Frühjahr den Direktor des Nationalparks, der in den kommenden Jahren die Nationalparkpreise noch erheblich weiter erhöhen will, während die Kosten für die aufgestellten Müllcontainer weiter die Wirte in den Konoben zu tragen haben.

Für alle, die in Kroatien im Sommer 2018 einen entspannten Urlaub erleben möchten: 
Die im April 2018 Bände des MARINA REPORT KROATIEN informieren umfassend:


  

Mit Restaurant-Tests zu jedem Hafen!
Je Band 19,95€. Infos -> hier

Manchmal ist es nur ein Sprung ins Meer, der ein Leben verändert.

Wenn wir aufs Meer gehen, ob allein oder mit Crew, sind es meist die großen Dinge, die wir fürchten. Jeder Skipper, der ein Schiff steuert, hat etwas, das ihm einen Kloß im Hals erzeugt, wenn er nur dran denkt. An den Motor, der mitten im Anlegemanöver im Hafen aussetzt. An den Anker, der im Starkwind nicht hält. An einen Sturm, der größer ist als alles, was man bislang erlebt hat und einen an die eigenen Grenzen bringt.

Wer viel segelt, hat vieles davon schon mal erlebt. Das meiste davon ist nicht so schrecklich, wie man es sich vorstellt. Manches aber schon.

Es sind die großen Gefahren, um die unser Denken kreist. Doch oft sind es nicht sie, die ein Leben verändern. Die großen Gefahren, unsere Angstgegner, haben wir beim Segeln im Blick. Sie spielen in unseren Überlegungen stets eine Rolle. Meist ist es das, was wir nicht beachten, etwas ganz Alltägliches, das ein Leben verändert. Ewas Unauffälliges. Eine Leiter, von der man ausrutscht. Ein Seezaun, an dem man hundertmal entlangging. Eine Planke im Hafen, auf der man ausrutscht. Eine falsche Körperdrehung auf dem Vordeck. Oder ein einfacher Hechtsprung ins Meer. 

So wie bei Leon. Es waren Ferien. Schulstress vorbei, Abitur in der Tasche, endlich Ferien. Leon mit Freunden auf dem Weg in den Süden. Ein Dorf an der italienischen Küste. Das Meer. Ein einfacher Hechtsprung ins tiefe Blau. Er veränderte alles.

Leon knallte im Wasser auf einen Stein. Auf seiner Spendenseite schreiben seine Angehörigen: „Seit diesem Badetag 2017 ist der 19-jährige Abiturient vom Hals abwärts gelähmt… Selbst das Atmen ist seitdem keine Selbstverständlichkeit mehr.“ 

Wenn wir also in den kommenden Wochen lossegeln: Seien wir achtsam. Behalten wir vor allem die kleinen Dinge im Blick. Die Dinge, die wir beiläufig tun. Dann verliert auch manches Gewitter und mancher Sturm seine Schrecken.

PS: 
In der Reihenfolge der Wichtigkeit:

Leon wird voraussichtlich im Sommer nach fast 2 Jahren im Krankenhaus Murnau nach Hause entlassen. Damit er sein Leben bei seinen Eltern so leben und seine Ziele weiter verfolgen kann, muss das Haus für ihn umgebaut werden. Seine Eltern stemmen den Umbau nicht allein. ->Hier gehts zu Leon’s Geschichte. Und zur Spendenaktion. Hier!

Wer mehr über Stürme und Gewitter in diesem Sommer erfahren will: Hier.

Folge 11 – Von Karlskrona nach Kalmar

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Raus aufs Schwarze Meer

Istanbul taucht langsam auf.

Am 22. April habe ich am frühen Morgen die Viaport Marina in Tuzla verlassen. Gemeldet war, für diesen ersten Tag auf See in diesem Jahr, überwiegend Flaute und blauer Himmel. Ganz ok, für einen Törn zum eingewöhnen. Zumal es nur 19 Seemeilen bis zur Kalamis Marina auf der asiatischen Seite von Istanbul waren.
Der Verkehr auf dem Wasser wurde bereits lange vor dem Bosporus mit jeder Seemeile nach Norden dichter. Fähren, die zwischen den Prinzeninseln und dem Festland pendeln, Fischer und auch ein paar Sportboote.
Gegen Mittag war ich bereits vor der Marina, habe in Ruhe Fender und Leinen vorbereitet und anschließend per Funk gefragt, wohin ich fahren soll. Die Marina ist wirklich riesig. Platz für über 1000 Boote, verteilt auf 2 Hafenbecken.
Es hat nicht lange gedauert, da kam ein Schlauchboot auf mich zu: „Follow me, my friend!“ Also auch hier wieder erstklassiger Service. Das Anlegen wurde so zum Kinderspiel und Nomade war ruckzuck fest!

Nomade in der Kalamis Marina.

Anschließend gab es einen Taxiservice mit dem Schlauchboot zum Büro. Das meiste war bereits klar, weil ich schon ein paar Tage zuvor einige Fragen bezüglich des Ausklarierens per Mail gestellt hatte.
Und so hat der Manager der Kalamis Marina, mir auf meine Bitte, einen Agenten zum Ausklarieren vermittelt, weil die Marina aktuell nicht mehr „Port of Entry“ ist. Das macht es sehr schwierig, noch dazu war der nächste Tag ein Feiertag, an dem alle Behörden, die involviert sind, geschlossen sind.
Eigentlich hatte ich auch keine Hoffnung, aber einen Versuch war es wert. Denn für die Route über den Bosporus und weiter aufs Schwarzmeer hinaus, muss wettertechnisch einiges zusammen passen, damit es gut klappt. Hat man hier Gegenwind, wird es an den Stromschnellen selbst für Nomade sehr schwierig durch zu kommen. Das Wasser an der Oberfläche strömt im ungünstigsten Fall mit bis zu 8kn ins Marmarameer. 8kn ist die Rumpfgeschwindigkeit von Nomade!

Und weil es eben dieses erstklassige Wetterfenster mit wenig Wind aus Süd für den nächsten Tag gab, habe ich den Agenten gebeten, es am Feiertag zu versuchen. Er war sich selbst lange nicht sicher, ob es möglich ist. Der Kontakt lief übrigens per WhatsApp und über Geschäftspartner. Zu Gesicht habe ich ihn persönlich nie bekommen!
Nach ein paar Verhandlungen ging alles ganz schnell. „Bring deinen Reisepass, Bootspapiere, Führerschein, Versicherungspolice und das Transitlog zu einem Büro in der Stadt.“
Das Büro gehörte einem Bootshändler. Etwas flau war mir schon, alle meine Papiere dort abzugeben, aber wer nichts wagt…
Ob es wirklich klappt, sollte ich erst am nächsten Morgen erfahren. Es wurde schließlich später Vormittag, dann Mittag. Und endlich kam die ersehnte Nachricht, dass alle Beamten, die an der Ausklarierung beteiligt sind, mitmachen! An einem Feiertag, an dem sie eigentlich Urlaub haben. Das Ganze hat natürlich etwas gekostet, soviel dürfte klar sein. Aber alles im fairen Bereich.
Irgendwann bekam ich grünes Licht, die Koordinaten im Zollhafen mit Nomade anzulaufen. Etwa 3 Seemeilen waren es bis dahin. In dem kleinen Hafenbecken ging es zur Sache. Nur eine hohe Kaimauer mit dicken Reifen und die Fähren, die für ordentlich Wirbel und Schaukelei gesorgt haben. Aber es hat geklappt. Nach meiner zweiten Runde durch das Becken, kam der Grenzpolizist und ein Helfer des Agenten. Passkontrolle, kurz übers Schiff geschaut, dann musste ich warten. Nach etwa 10 Minuten bekam ich meine Papiere zurück und war ordentlich ausklariert.

Im Zollhafen

Erst jetzt habe ich die vereinbarte Summe bezahlt. Gegenseitiges Vertrauen eben. So läuft das in der Türkei und es läuft wirklich gut.
Was man verbessern könnte, wäre der Prozess des Klarierens an sich. Aber ich kann auch verstehen, das man für die paar Yachten im Jahr keine extra optimierte Ausklarierungsmöglichkeit inkl. Grenzpolizei und Zoll in einer Marina vorhält.

Ich war jedenfalls jetzt bereit für den Bosporus und es ging auch gleich zur Sache! Was hohes Verkehrsaufkommen in engem Fahrwasser angeht, bin ich ja einiges vom Rhein, mit seinen gut 600 Schiffen täglich, gewöhnt. Aber was im Bosporus abgeht, ist dagegen wirklich krass! Ozeanriesen im Verkehrstrennungsgebiet, Sportboote und vor allem Fähren in einer Anzahl, dass einem schwindelig wird. Dazu Fischerboote auf Jagd nach dem Blaubarsch im Fahrwasser!
Das es hier ständig knallt ist unvermeidbar. Eine Schifflänge Distanz war bei Begegnungen oft komfortabel.
Nach einigen Stunden konzentrierten steuerns waren Nomade und ich dann so gut wie durch. Es gab nur wenige Momente, in denen ich den Bosporus wirklich entspannt genießen konnte. Aber diese kurzen Augenblicke, wenn ich mal das Steuer für ein paar Sekunden losgelassen habe und auf dem Achterdeck stehend die Ufer an beiden Seiten beobachten konnte, waren grandios.
„Durch den Bosporus gegen den Strom, man ist das gerade geil!“ habe ich irgendwann laut gerufen und war zufrieden, dass es lief!












Das letzte Drittel der Meerenge im Norden ist nur noch wenig befahren und der Gegenstrom ist hier ebenfalls geringer. An den Engstellen strömte uns das Wasser an diesem Tag mit maximal 5kn entgegen, allerdings sehr weit am Rand des Fahrwassers.
Unter der letzten Brücke über den Bosporus kamen mir dann als toller Abschluss ein paar Delfine entgegen geschwommen und ich war überglücklich.
Anschließend bin ich in den kleinen Hafen von Poyraz abgebogen und habe dort für ein paar Stunden Schlaf geankert.

Am nächsten Morgen ging es früh weiter. Ich hatte den Bosporus noch nicht ganz verlassen, da war sie wie aus dem Nichts plötzlich neben mir, die Sahil Güvenlik, die türkische Küstenwache! „Maschine stoppen!“ hieß es unmissverständlich und die Beamten haben das schnelle Schlauchboot längsseits an Nomade festgemacht. Sie haben gefragt woher ich komme und wohin ich möchte. Dann wurden alle Papiere überprüft und sie haben mir eine gute Überfahrt gewünscht. Sehr unkompliziert, sehr freundlich.
Und so habe ich meinen Weg ins Schwarze Meer fortgesetzt. Ein wirklich komisches Gefühl war das. Bis zum Ende des Bosporus fühlte sich irgendwie alles noch ganz normal an. Zwar nicht immer leicht, aber normal schon deshalb, weil hier auch andere Boote unterwegs waren.
Ab diesem Tag sollte sich das ändern und auch wenn ich es natürlich vorher wusste, so richtig klar wird einem das erst, wenn man wirklich der Einzige ist, der in diese Richtung segelt. Nicht einmal Frachter fuhren an diesem Tag in Richtung Bulgarien, Rumänien oder der Ukraine und die Häfen auf der Krim sind bekanntlich gesperrt.
Ich war also an diesem Tag weit und breit das einzige Boot. Zweimal wurde Nomade von einem Helikopter angeflogen. Vielleicht, um zu schauen ob das Boot zum AIS Signal passt? War jedenfalls sehr interessant und eine willkomme Abwechslung.
Abwechslung haben auch die vielen Delfine gebracht. Noch nie habe ich an einem Tag so viele gesehen wie hier im Schwarzen Meer. Immer wieder tauchten kleine Gruppe um die 5 Tiere auf. Auffällig war, dass die meisten von Ihnen nach Süden geschwommen sind.

10 Seemeilen vor der Küste hatte ich Besuch. Der Kleine bekam Brotkrümel und Wasser. Nach ein paar Stunden ist er wieder abgeflogen.

Das Schwarze Meer hat es an diesem Tag gut mit mir gemeint. Wenig Dünung, etwas Wind aus Ost und maximal 1kn Gegenstrom aus Nord. Im Durchschnitt waren es etwa 0,5kn Gegenstrom.
Am Abend war ich nach 67 Seemeilen schließlich in Igneada, ein kleiner Ort, nicht mehr weit von der bulgarischen Küste entfernt.

Die Küstenwache in Igneada.

Ich hatte gehofft, hier im Fischerhafen vor Anker ein paar Stunden schlafen zu können. Im Hafen ist auch die türkische Küstenwache stationiert und da ich offiziell meine Zeit zur Ausreise (24 Stunden) bereits überschritten hatte und klar war, dass man Nomade auf dem Schirm hatte, wollte ich lieber fragen, ob es ok ist, hier zu übernachten. Zur Not wäre ich weiter bis zum ersten Port of Entry in Bulgarien, da der aber laut meinen (wenigen) Infos nicht ideal zum übernachten ist, wollte ich in Igneada schlafen. Also bin ich längsseits an das Schiff der Küstenwache gegangen und habe den Beamten meine Situation erklärt. „Herzlich willkommen, aber natürlich kannst du hier bleiben!“ war die Antwort und ich war happy!
Kurz danach fiel der Anker auf 4m Wassertiefe im Hafenbecken und ich habe nicht lange gebraucht, um in die Koje zu fallen.

Der letzte Morgen in der Türkei war dann der mit Abstand schönste Morgen, seit ich hier war und der krönende Abschluss einer fantastischen Reise durch dieses wunderbare Land!
Vielleicht war dieser Morgen in Igneada sogar der schönste Morgen meines bisherigen Lebens, denn während ich noch lange vor Sonnenaufgang etwas schläfrig im Cockpit alles vorbereite, höre ich jemanden hinter Nomade atmen. Im ersten Moment war ich wirklich erschrocken. Ein Schwimmer? Unmöglich! Nicht bei der Kälte und um die Uhrzeit. Es waren drei Delfine, die hinter Nomade ganz langsam durchs Hafenbecken glitten! Und während ich die drei völlig fasziniert beobachte, tauchen immer mehr Delfine um mich herum auf und schwimmen langsam umher. Der ganze Hafen von Igneada war voll mit Delfinen! Unbeschreiblich schön.

Delfine im Hafen.

Irgendwann habe ich dann ein paar Aufnahmen von ihnen gemacht und bin mit Nomade langsam aus dem Hafen geschlichen.
Ich hatte einen dicken Kloß im Hals, als ich nach ein paar Seemeilen die türkische Flagge von der Steuerbordsaling eingeholt habe…

Folge 10 – Von Ystad nach Karlskrona


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Folge 9 – Endlich unterwegs

Am 17.4. habe ich nun in Kiel endgültig die Leinen losgeworfen und bin über die Schlei und nach einem Drehtag in Haithabu in 3 Tagen bis Schweden gefahren. Das Video berichtet darüber ausführlich.

Nach meiner Ankunft in Käseberga erhole ich  mich von den Törntagen, da ich zusammen mit Lars Grötzinger an Bord ziemlich stramm durchgesegelt bin. Ausserdem hat der Wind so sehr aufgefrischt, das eine Weiterfahrt an der schwedischen Südküste zu gefährlich wäre. Direkt vor der Hafeneinfahrt reiten Surfer die Brandungswellen, das sagt alles. Hier in Käseberga gibt es die Schiffssetzung „Ales Stenar“, die ebenfalls ausführlich abgedreht wurde.

Sonst ist hier ausser einer Bäckerei und einer Räucherei nichts los. Ich bin das einzige Boot im Hafen, dessen Fahrrrinne bei meiner Ankunft erst ausgebaggert wurde. Perfekte Bedingungen um ein Gefühl für das lange Unterwegssein zu bekommen und das Boot technisch in Ordnung zu bringen. Auch finden langsam alle Gegenstände ihren Platz. Doch jetzt zieht es mich weiter, sobald es etwas weniger regnet laufe ich aus um die Hanöbucht zu durchqueren.

Die Unterstützer des Filmprojektes "Die Route der Wikinger – Salz und Erde"

Ich möchte mich hier bei allen bedanken, die mein Filmprojekt so großzügig unterstützen.
Ohne euch wäre es nicht zu realisieren. Danke!!

http://www.nautisches-quartier.de/

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http://www.istec.ag/de/startseite.html
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 Offizielle Unterstützer im Crowdfunding

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Unterstützung durch Information, Seekarten, Material, Kameraarbeit, Liegeplatz und PR

Christian Kurten 
Dänisches Nationalarchiv Kopenhagen  
Glüxpiraten
Klaus Lettau-Dietz
Walter Hövel
klassisch-am-wind Mike Peuker
Holger Bordasch 
Michael Naujoks
Lars Grötzinger 

Unterstützung durch gebuchte Wohnzimmer- und Bordkonzerte 

Heike Senff
Ernst Gröchenig 
Gorm Iver Gondesen
Andreas Pellenz 

 Unterstützung durch gebuchte musikalische Videobotschaft von unterwegs

Eric Merten
Michael Naujoks 
Ralf Wessels

  Unterstützung durch Film- und Buchkäufe sowie freie Beträge

Martin Rosengarten
Hannes Obuch
Ulrich Jäger
Ralf Wessels
Detlef Höpfner
Dr. Paul Matzke
Louis Berg
Karl-Heinz Schreck
Kay Roschmann
Uwe Emmer
Jürgen Thiel 
Nico Weinmann
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Michael Naujoks
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Walter Hövel
Frank Rettig
Frank Michael Renner
PertollPatrick
Tanja Lämmermann
Jan Herlitzius
Svenja Neumann
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Katrin Leiner
Jan Herlitzius
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Kai Berghaus
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Julian Bus
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Dean-Martin Niemöller 
Marina
Karsten Schreiber
Lars Polap

   Sowie weitere Unterstützungen mit Wunsch auf Anonymität

Wieder im Geschäft

Fast zwei Wochen bin ich nun bereits in Tuzla.

Als ich hier angekommen bin, habe ich am Flughafen meinen Mietwagen abgeholt und bin die knapp 20 Kilometer nach Tuzla gefahren.
Wer bei Instagram oder Facebook vorbeigeschaut hat, wird es vielleicht bereits mitbekommen haben, der Verkehr hier in Tuzla hat mich wirklich gefordert. Mehr los als in Athen ist hier auch nicht, aber der Fahrstil der Leute ist ein völlig anderer und die Strassen sind auch irgendwie anders angelegt. In den ersten Tagen hatte ich hauptsächlich Angst ums Auto. Ich hatte eigentlich fest damit gerechnet, dass es früher oder später scheppert. Aber zum Glück ist das ausgeblieben.
Am vierten Tag hatte ich mich langsam angepasst und konnte ein ganz klein wenig entspannter fahren. Am fünften Tag fing ich so langsam an, das Chaos zu begreifen und irgendwann ist mir aufgefallen, dass die Fahrweise der Menschen hier doch nur für Ungeübte chaotisch ist. Auffällig ist nämlich, dass trotz des vermeintlichen Chaos, die Autos kaum Dellen haben.
Jedenfalls bin ich nach einer Woche in der Lehre dann auch relativ entspannt über die roten Ampeln gefahren. Man muss einfach schauen wo es Sinn macht zu bremsen, dann läuft das.

Was auch sehr gut lief, war die Versorgung mit Ersatzteilen und Zubehör für Nomade. So einfach und schnell wie hier in Tuzla bin ich noch nie an so viel Ausrüstung fürs Boot gekommen. RAL 6001 Farbe, Antifouling von Stoppani, 32 Ampere Stecker, Fender in einer bestimmten Größe mit blauen Käppchen… Alles kein Problem.
Neue Namensaufkleber für Nomade brauchte ich ebenfalls, weil der bestehende am Heck völlig verwittert war. Dazu bin ich zu einem beliebigen Werbeshop im Hafenviertel gefahren. Englisch konnte dort zwar niemand, aber ich habe einfach aufgemalt was ich brauchte. Dann durfte ich mit ins Designbüro und mittels Google Übersetzer hat die Designerin mit mir alles festgelegt. Anschließend wurde die Datei an den Plotter geschickt und auf hochwertiger Folie von Orafol geplottet. Gleich danach wurde alles fürs aufkleben vorbereitet. Hat für drei Namensaufkleber etwa 15 Minuten gedauert und war ziemlich günstig, Tee inklusive.

Wo wir gleich beim nächsten Thema wären, der Gastfreundschaft. Jede einzelne Geschichte hier wiederzugeben, würde den Rahmen sprengen, aber ohne zu übertreiben kann ich sagen, dass ich noch nie zuvor so eine Gastfreundschaft, Hilfsbereitschaft und Aufgeschlossenheit erlebt habe wie hier in der Türkei!
Und damit meine ich nicht nur die netten Gesten, wenn ich etwas kaufen wollte. Ständig wurde ich irgendwo zum Tee eingeladen und Sabrina hatte manchmal Angst, dass ich einen Teeschock bekommen könnte.
Einmal haben mir Nachbarn im Boatyard völlig überraschend ein richtig leckeres Essen vorbei gebracht.

Irgendwie läuft hier vieles anders. Spürbar herzlicher und gemeinschaftlicher und davon gehört hatte ich bereits letztes Jahr im Spätsommer, als ich von einer türkischen Crew in Griechenland mehrfach zum Essen an Bord eingeladen wurde. Da wurden mir Geschichten von großen Festen an einer langen Tafel mit Freunden erzählt und ich dachte, ok, das ist vielleicht ein Einzelfall. Nein Leute, ist es nicht.
In der Türkei, die ich kennengelernt habe, blüht das Leben, gehen Frauen ihren eigenen Weg und tragen manchmal Kopftuch, dann allerdings eher zu hochhackigen Schuhen und Jeans.
In der Türkei, die ich kennengelernt habe, schieben Männer den Kinderwagen, gehen mit ihren Freundinnen händchenhaltend durch die Fußgängerzone und stehen auf Autos von Volkswagen. Oder auf Elektroautos von Renault! Davon habe ich in den verschiedenen Städten nämlich mehr als in Deutschland gesehen.
An welchen Gott ich glaube hat mich übrigens niemand gefragt, an welche türkische Fußballmannschaft, dagegen schon. Auf Fußball stehen die Menschen hier nämlich total. Genauso auf Pubs und Cafes. Und auf Klamotten. Ja, man kleidet sich hier ziemlich schick.

Die Wirtschaft in diesem Land blüht. Es wird gearbeitet was das Zeug hält. Überall wird gebaut und das in einer Geschwindigkeit und Qualität, die wir in Deutschland so langsam verlernen. Infrastruktur, Industrie, Geschäfte, Marinas. Allein die Viaport Marina, in der ich gerade bin, wäre auf ganz Europa übertragen konkurrenzlos in allen Bereichen! So etwas gibt es im Ansatz nur in Südfrankreich, aber wirklich nur Ansatzweise.
Die leeren Marinas, von der mir Segler unterwegs manchmal erzählt haben (keiner von denen war jemals hier) gibt es ebenfalls nicht! Was stimmt ist, ich bin tatsächlich der einzige Ausländer hier, aber die Marinas sind nicht leer. Sie sind voll! Die Türken haben selbst genug Segelyachten und Motorboote, um die Marinas auszulasten und neue Marinas sind gerade mehrere im Bau, weil Bedarf da ist. Die Viaport hat geschätzt 80% Auslastung (im April) und ist gerade mal 3 Jahre im Betrieb.
Bei uns in Deutschland bauen sie dagegen in manchen Gegenden mittlerweile die Steganlagen wieder ab, weil der Nachwuchs fehlt.

Tuzla ist für Schiffe und Boote wirklich ein besonderer Ort. In der Stadt gibt es über 500 Unternehmen im Marinesektor. Unzählige Werften können nahezu alles bauen. Angefangen bei Holzschiffen, über Frachter und Luxusyachten, bis hin zu schwimmfähigen Tunnelsegmenten, die dann im Bosporus versenkt werden und einen Eisenbahntunnel ergeben.
Für jemanden, der ein altes Stahlboot restaurieren muss, kann es eigentlich keinen besseren Ort geben als Tuzla. Und ganz ehrlich, ich habe in den letzten Tagen oft darüber gegrübelt, ob es nicht eine Möglichkeit gäbe, einfach hier zu bleiben. Kein richtiger Winter, nette Menschen, beste Versorgung und ein Transitlog für 5 Jahre. Tja, aber allein macht es dann auch keinen Spaß und irgendwie hänge ich auch ein wenig an Zuhause.

Tuzla ist mir jedenfalls sehr ans Herz gewachsen und gehört zu den wenigen Orten an die ich unbedingt eines Tages mal zurück kommen möchte. Ich werde die Leute hier richtig vermissen!

Ansonsten ist Nomade jetzt startklar, mein Muskelkater lässt langsam nach und die zerissene Bordjeans passt auch wieder. Kann also bald los gehen…

So sah Nomade nach meiner Ankunft aus.

Nicht schön.

Besser, oder?












Auf heißen Kohlen

„Und? Biste schon aufgeregt?“

Diese Frage höre ich in den letzten Tagen öfter. Und ja, ich bin natürlich sehr aufgeregt, Sabrina nicht weniger.

Wenn die Reise so verläuft wie gedacht, dann werden wir genau 111 Tage getrennt sein, bis Sabrina im Sommer an Bord kommt. Die längste Zeit für uns bisher.
Auf den Abschied freuen wir uns deshalb nicht. Das wird nicht schön werden. Wir freuen uns natürlich, dass die Reise endlich weiter geht, aber der Abschied am Flughafen für so eine lange Zeit wird weh tun, das weiß ich jetzt schon.

Wie es dann weiter geht, werden wir sehen. Ich bin natürlich gespannt wie Nomade den Winter in Tuzla überstanden hat. Dann geht die Arbeit am Schiff los und das ist auch gut so.

Gepäck habe ich diesmal nicht so viel dabei. Das meiste ist bereits an Bord. Im Koffer befindet sich, neben ein paar wenigen Klamotten, hauptsächlich technischer Kram, drei Dosen Schwarzbrot, mein Neoprenanzug und (gut gepolstert) die Super 8 Kamera.
Im Handgepäck fliegt neben den üblichen Dingen die GH5 und die Spiegelreflexkamera meines Opas mit.

Heute werden wir noch ein schönen Tag zusammen mit Filou verbringen. Ein bisschen wandern und die Frühlingssonne genießen.

Den nächsten Beitrag schreibe ich dann wahrscheinlich an Bord. Also, bis die Tage…

Sizilische Geschichten (9): Der Schneider von Sciacca.

Wenn ich in Sizilien bin, 
und wenn es mich nicht mehr auf meinem Boot, auf Levje, hält,
breche ich zu Wanderungen rund um das sizilische Städtchen Sciacca auf.
Und finde in diesem Ort am Rand Europas ungewöhnliche Geschichten. Wie diese.

Für die einen ist Heimat ein Ort. Wieder andere sagen, Heimat sei kein Ort, sondern ein Gefühl. Mir aber geht es oft so, dass Heimat etwas ist, was mit den Menschen an einem Ort zu tun hat. Heimat ist: Wenn es gelingt, an einem Ort Beziehungen zu seinen Menschen aufzubauen.

Sciacca im Frühling. Sizilien leuchtet: Vom Gelb der Mimosen-Puschel, die in Kaskaden vom felsigen Ufer ins Meer hängen. Vom saftig im Sturm wiegenden Grün in den Hügeln. Doch nicht alles ist Sonnenschein. Alle zwei Tage weht es hart über dem Hafen, mal mit 6 bft. als Nordwest. Mal mit 7 bft. als Scirocco. Als ich vor drei Wochen zurückkehrte zu Levje hatte ein wütender Südwind ihre Persenning zerfetzt. Der Libeccio, so sagen die Fischer von Sciacca, weht nicht oft. Doch wenn er weht, dann hart und heftig.

Ein Boot besitzen ist nichts für Faule. Es ist nicht nur Lust. Es ist Last. Es ist Mühsal. Es hat mit sich-ständig-kümmern-müssen zu tun. Ein Boot bedeutet aber auch, anders zu reisen, ein Land intensiver kennenzulernen. Weniger, weil man segelt. Sondern weil es manchmal eben eine zerfetzte Persenning braucht, um den Menschen eines Landes näherzukommen. Ein kaputtes Teil auf Levje, hat mich Länder ganz anders kennenlernen lassen als es einem Durchreisenden je beschieden sein könnte.

Da stand ich nun oben in der Werft im alten Bahnhof von Sciacca und betrachtete missmutig die Reste der alten Persenning. Der Stoff war mürbe geworden – nichts mehr zu retten, ich machte mich auf die Suche nach einem „Vellaio“, einem Segelmacher. Wo es wie in Sciacca zwei Marinas gibt, ist auch einer, der Segel nähen kann. Aber in Sciacca, dem 40.000-Einwohner-Städtchen an der Südküste Siziliens, ist das nicht unbedingt so. Ratloses Achselzucken bei den Mitgliedern im CIRCOLO NAUTICO.  Ein hilfloses „Mi dispiace“ („Tut mir leid“) in den Ferramentas, den Ausrüstungsläden um den alten, winkeligen Fischereihafen. Bis im dritten Laden jemand den Namen Pietro Tullone erwähnte, oben in der Via Tommaso Campanella gleich neben der Bäckerei LA SPIGA D’ORO, die „Goldene Ähre“. Ich wurde neugierig. Was für ein verheißungsvoller Name für eine Bäckerei.

Sciacca ist steil.  Die Stadt steigt von der Häuserzeile um den Fischerhafen steil an, verwinkelte Stiegen und verstopfte Straßen führen nach oben ins Stadtzentrum. Da war die Goldene Ähre. Und rechts daneben nicht mehr als eine zur Front verglaste Garage. Zwei Männer saßen darin vor dem Fenster, einer im grauen Arbeitskittel hinter einer Nähmaschine mit einem ehrlichen Gesicht, das mich anrührte. Und einer, der ihm bei der Arbeit zusah.


Beim Eintreten nahm ich Dinge war: Das uralte Moped, das seit Jahren im Hintergrund steht. Schaumgewebe und Stoffe, die sich im Hintergrund zu einem einfachen Materiallager. Die Arbeitslampe, deren Schirm über der Nähmaschine an einem einfachen Draht baumelt. Zwei Garne, rot und weiß. Der Mann im grauen Kittel erhob sich. Ja, er sei Pietro Tullone. Ich zeigte ihm die alte Persenning, er schüttelte traurig den Kopf. Nein, das würde nichts mehr. Aber wenn ich unten am Hafen nach Tancredi fragen würde – der hätte Persenningstoff in seinem Laden. Ich solle dort welchen kaufen. Den Rest würde er, Pietro Tullone erledigen.

Ich machte mich auf den Weg den Hügel hinunter. Nicht ohne an den bescheidenen Mann mit dem ehrlichen Gesicht zu denken. Bei Tancredi unten am Hafen fand ich, wonach ich gesucht hatte. Leuchtend weiße Persenning-Bahn, 18qm.

Am Tag darauf stapfte ich mit meinem Packen wieder hügelan. Der Schneider saß hinter seiner Nähmaschine, umgeben diesmal von drei älteren Männern, Besuchern offensichtlich. Pietro befühlte meinen Stoff. Nickte. Besah sich die Skizze und meinte, ich solle doch am Ostersamstag wiederkommen. Da wäre alles fertig. Wo er denn die 16 qm sperrige LKW-Persenning auslegen und schneiden wolle, fragte ich neugierig. Die Männer grinsten. „Draußen, hier vor der Tür, auf der Straße. Da ist genug Platz.“ Ich schaute etwas ratlos auf die zugeparkte Straße, klappte meinen offenstehenden Mund zu und überließ Pietro den Bergen auseinanderfallenden Persenningstoffes.

Ich ertappte mich dabei, dass ich zuhause an den Schneider dachte. Er strahlte etwas aus, was heute selten geworden ist. Milde. Güte. Alte, aus der Mode gekommene Worte. Sah ihm zu, wie er an seiner einfachen Nähmaschine hantierte, breitete sich in mir ein wohliges Gefühl aus. Doch Pietro Tullones Besucher, deren stille, schweigend entspannte Gelassenheit: Die verstand ich noch nicht.

Karsamstag. Sciacca brummte und summte in vorösterlicher Betriebsamkeit, während ich am Vormittag wieder hügelan stieg. Wie üblich saß Pietro hinter seiner Nähmaschine, während im Laden drei Männer saßen, die ich noch nicht kannte und die ihm bei der Arbeit zusahen. Drei weitere vor dem Laden standen. Einer von ihnen öffnete mir schwungvoll die Tür. Da lag meine 16 Quadratmeter große neue Persenning neben Pietro Tullone auf einem Hocker. Einen Tisch gibt es nicht bei ihm, doch die Persenning, deren Fläche von Pietros Werkstatt deutlich überstieg, war makellos gefaltet, vernäht, mit Ösen beschlagen. Die Männer, die andere waren als die beim letzten Mal, sahen mich grinsend an. Pietro erhob sich, wandte sich dem Packen zu und überreichte ihn mir. Ein Mann trat ein, näherte sich Pietro Tullone, drückte dem Schneider mit „Buona Pasqua. Augurone“ die Hand, und verschwand, wie er gekommen war. „Ja, also“, sagte Pietro, „50 €, wie ausgemacht.“ Als ich ihm etwas mehr geben wollte, sträubte er sich. Erst als ich ihm erklärte, die 10 € seien nicht für ihn, sondern für seine Enkel, denen er an Ostern ein Eis kaufen sollte, strahlte er dankend und erzählte: Er hätte fünf. Die Männer grinsten immer noch, als ich meinen Packen nahm. Und vom Hügel wieder zu Levje hinunterstieg.

Die Persenning passte. Ich ertappte mich dabei, dass ich meinen Blick durch Levje schweifen ließ, was ich denn noch zu nähen hätte, nur damit ich einen Grund hätte, mich wieder wie die anderen Männer bei Pietro Tullone einzufinden. Ja, richtig. Die gestreiften Kissen aus der Türkei hatten keinen Reißverschluss, um die Bezüge waschen zu können. Und die Vorhänge bräuchten neue Druckknöpfe, die alten waren korrodiert. Dienstag Spätnachmittag machte ich mich wieder auf den Weg, den Hügel hinauf. Pietro saß an seiner Nähmaschine. Zwei Männer, die ich noch nicht kannte, saßen davor und sahen ihm bei der Arbeit zu. Ja, könne er erledigen. Doch nicht heute. Er deutete auf die Wand mit den verblichenen Fotos an der Wand. Heute Abend würden die „Rosso-Neri“, die Rot-Schwarzen spielen. AC Mailand, das wäre sein Klub, das dürfe er nicht verpassen im Fernsehen, ich solle nur ja nicht böse sein.

Die Männer um Pietro grinsten wissend. Und in stiller Kumpanei. So wäre er nun mal, da könne man nichts machen. Ein Sizilianer, der einen Club aus dem fernen Norden verehrte.

Zurück auf Levje, fielen mir weitere Dinge auf, die ich noch zu Pietro Tullone bringen könnte. Die frisch gereinigten Teppiche vorne aus Katrins Koje, ihrem „cinema paradiso“. Den alten Bettbezug, der könnte einen neuen Reissverschluß verkraften. Ich dachte über Pietro Tullone nach. Was hatte der einfache Schneider, dass sich die Männer seines Viertels immer wieder bei ihm einfanden? Es war nicht Geld. Es war nicht Vermögen. Er ist nur ein Schneider. Und doch brachten ihm die Männer des Viertels Achtung wie einem Rabbiner entgegen. Er war jemand, bei dem sich die Männer des Viertels einfanden. Und immer neue. Ich fragte Carlo, den Marinaio, er war Fischer und hier aufgewachsen und kannte jeden in Sciacca. Carlo lächelte nur. Ja, Pietro Tullone würden vielen kennen. Und in seinem Viertel wäre der Schneider sehr geachtet.

Als ich lossegelte, damals vor vier Jahren im Mai von Izola, wusste ich nicht, wo mich meine Reise hinbringen würde. Doch ein Gedanke begleitete mich segelnd in all den Jahren nach Antalya und von dort über Kreta und Griechenland nach Sizilien: Das es irgendwo auf einer der vielen Inseln im Mittelmeer einen Ort gebenkönnte, der mir und Katrin mehr sein könnte als eine Station auf der Durchreise.
Vielleicht habe ich in Sciacca, diesem Ort an der äußersten Peripherie Europas so einen Ort gefunden, der Heimat sein könnte. Wenn es so wäre: Dann hat es auf alle Fälle mit einem zu tun: Mit den Menschen dort. Und der Art, wie sie leben.

Am 10. April ist es soweit:
Mein Buch über DIE VERGESSENEN INSELN erscheint.

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