Mit dem Boot zur Biennale. Oder: Was um Himmels willen hat Kunst mit Segeln zu tun?
Venedig im schönsten Sommer. Das Wasser vor dem Riva degli Sciavoni kocht und brodelt von vorbeischießenden Wassertaxis, Lastkähnen und auch von dem majestätisch die Palazzi überragenden Kreuzfahrtschiff, das langsam hinausgleitet Richtung Meer. Gleich daneben ist es still im Biennale-Park. Ein paar Kinder spielen. Ein paar Wartende vor den Kassenhäuschen. Wasserpflanzen legen ein abstraktes Ornament auf die schillernde Oberfläche des Canale, der den Park zerschneidet.
Mit dem Boot nach Venedig?
Um die Biennale zu sehen? Lohnt sich das? Macht Kunst Spaß?
Und hat Kunst was mit Segeln zu tun?
Mal sehen. Eins nach dem anderen.
Die Biennale: Man muss sie sich als eine Art Nationen-Olympiade vorstellen. Nationen entsenden die Besten. Künstler statt Sportler. Die meisten Nationen haben einen eigenen Pavillion im Park. Deutschland hat einen. Die Schweiz und Uruguay auch. Wer keinen hat – wie Chinesen, Koreaner, Mexikaner, Kuwaitis, Singapur: Der stellt eben anderswo aus. Meist im Arsenale. Aber darüber schreibe ich morgen.
Also: Erstmal warmlaufen. Es beginnt verstörend. Gleich hinter dem Eingang ist der russische Pavillion. Nicht gerade das Land, das – dank des verkniffen intrigierenden und Strippen ziehenden Mannes an der Staatsspitze – unsere Sympathien hat. Ich hole tief Luft, und gehe hinein.
Die Biennale ist politisch – jedenfalls in dem, was der russische Pavillion mit Grisha Bruskin zeigt. Der Marsch der Werktätigkeiten, handhohe Gipsfigürchen in einem abgedunkelten Raum, dient jetzt dazu, das russische Staatssymbol, den Doppeladler, über Zahnräder am Laufen zu halten.
Das ist auf nüchternen Magen schon mal ziemlich herbe in der Aussage. Aber doch stimmt hoffnungsfroh, dass das offizielle Russland derlei künstlerische Inhalte in den internationalen Raum sendet.
Bleiern und schwer wie ein Film von Margarethe von Trotta kommt auch der deutsche Beitrag daher. Der Pavillion ist abgeschottet, von Stahlzäunen gesichert. Schilder warnen vor scharfen Hunden. Das Gebäude ist abgeriegelt. Leute in prolligen ADIDAS-Trainingshosen bewachen den Eingang. Der bleibt erstmal zu, selbst eineinhalb Stunden nach Eröffnung der Biennale. Zur Kunst? Erstmal hinten anstellen! Da ist dann die Schlange der Wartenden um das abweisende Gebäude schon 150 Meter lang – immerhin hat die Jury Anne Imhofs Performance als besten BIENNALE-Beitrag ausgezeichnet. Nur 150 Menschen werden für die mehrstündige (!) Performance zugelassen, raunt eine der wartenden Damen. Weil ich weder Lust auf scharfe Hunde noch lange Schlangen habe, sause ich weiter, und kucke mir den deutschen Beitrag im Internet an. Ich besitze nun mal die Geduld einer Ameise. Und habe für Arroganz so gar kein Verständnis.
Also eins weiter. Der japanische Pavillion zeigt im Raum schwebende Holzmodelle:
Wie nett. Das Modell eines schwebenden japanischen Schreins, der sich nach unten spiegelt. Und wie ein Raumschiff schwerelos trotz?/weil? 800jähriger Tradition den Raum durchquerend. Reflection Model (Ship of Theseus) nennt Takahiro Iwasaki sein Werk, der „Beipackzettel“ an der Wand spricht von den Katastrophen vergangener Jahre, denen der abgebildete und sich in sich spiegelnde Itsukushima-Schrein standgehalten hat. Aber auch ohne Beipackzettel ist der schwebende Schrein etwas Besonderes.
Auch bei der nachfolgenden Intsallation muss ich genau hinsehen, um was es sich da handelt. Na klar, Bücher. Sie stehen herum wie Hochhäuser einer Metropole, aus der Baukräne herauswachsen. Aus Büchern wächst was? Immer her damit! Dinge, die aus Büchern erwachsen – wo doch Smartphone, Twitter, Facebook & Co. längst den armen Dingern den Rang streitig machen.
Weiter! Im britischen Pavillion steht der geneigte Betrachter in einem Säulenwald. Und sieht daneben zwei pittoreske rote Säulen, doppelt mannshoch. Zwei Säulen wie zwei Menschen, rot, vor einem Säulenwald, die eine, eckige, maskuline Gestalt etwas starr und mit strengem Kartonhut bekrönt. Das hat doch was. Und die andere, feminine, sich grazil windend.
Das Runde, das Eckige. Interessant wirds, wenn man der „männlichen“ und „weiblichen“ Figur auf die Pelle rückt. Und sie unter die Lupe nimmt. Da sieht man, dass Männlein & Weiblein aus allereinfachsten Alltagsmaterialien hergestellt sind. Kunst? Kommt von Können. Und in den Dingen – Schläuchen, Dachlatten – etwas anderes sehen zu können, als was alle sehen.
Einfache Schlauchreste, rot gestrichen, für die Dame…
… und kantig-ungehobelte Dachlatten für den Herrn.
Und so stolpere ich nach Phyllida Barlow mit wachsender Begeisterung durch das Museum der Phantasie, das sich da auf der BIENNALE präsentiert. Im Brasilianischen Pavillion ein Bild vom Leben, das sich mir tief einprägt.
Eingesperrt sein. Eingeklemmt sein. Ein Lebensgefühl?
Und immer, wenn ich denke, naja, diesen Pavillion einer kleinen Nation, den muss ich jetzt nicht besuchen, erlebe ich die größten Überraschungen. Im rumänischen Pavillion das anrührende Video der 90jährigen Geta Bratescu, die mit dickem Filzstift und einfachen Linien – je was eigentlich? – Sehenswertes erschafft. So entdecke ich gerade abseits der „gehypten“ Pavillions Überraschendes, Unerwartetes, Anrührendes. Dinge, die Bilder im Kopf entstehen lassen, die mich bewegen, was Menschen leisten.
Zwei scheinbar welke Hände. Ein zu großer Stift. Ein weißes Blatt Papier: Ein unscheinbares Video im Eingangsbereich des rumänischen Pavillions über die konzeptionelle Arbeit der 90jährigen Geta Bratescu.
Es ist Nachmittag, als ich den BIENNALE-Park verlasse. Und am Riva degli Sciavoni entlang Richtung Arsenale schlendere, von dem ich noch nicht weiß, dass mich dort eigentlich noch Phantastischeres erwarten wird. Kunst in einem 800 Jahre alten Militärgelände? Aber darüber werde ich im nächsten Post erzählen. Noch schnell dies, für die speziellen Freunde von Nashorn-Ohren unter uns:
Es ist gegen acht, als ich wieder in der Marina von Sant’Elena zurück bin. Voller Bilder. Aber das schönste liegt vor mir: Der Vollmond, der eben im Hafen über LEVJE am Himmel erscheint:
Und da sind wir dann bei der in der Überschrift gestellten Frage:
Ja. Besuchenswert, sehenswert ist die BIENNALE allemal. Anregend. Das Gehirn durchpustend.
Und: Vielleicht ist Kunst ja wirklich näher am Segeln dran, als wir denken. Vielleicht ist es nichts anderes. Vielleicht hat es seinen Wurzeln in ein und demselben Winkel unseres Gehirns, unserer Seele. Vielleicht die Welt nicht nur zu sehen, wie ein Kieselstein eingeklemmt in ein gusseisernes Raster. Sondern das Raster, die Enge, die Gleichförmigkeit immer wieder zu durchbrechen. Und wenigstens für einen Moment: Die Welt mit anderen Augen zu sehen.
Im nächsten Post mehr.
Wie komm ich mit dem Boot
zur BIENNALE?
Marinas für die Anreise mit dem Boot
und in Laufweite zur BIENNALE:
Empfohlen:
Marina Sant’Elena
Gleich neben dem BIENNALE-Park. Zu Fuß zehn Minuten.
Liegepreise: Für 37 Fuß ca. 75 €.
Nicht billig. Gepflegt. Ruhig.
tel. +39 041 520 26 75
Ebenfalls gut:
DIPORTO VELICO VENEZIANO gleich nördlich.
Liegepreise: Für 37 Fuß ca. 52 €.
Günstig. In Laufweite. Nicht ganz so gepflegt.
tel. +39 041 523 19 27
Ebenfalls möglich,
doch mit Kosten für Vaporetto verbunden
(Einzelfahrt ca. 7 €/Tagesticket 20 €/Zweitagesticket 30€))
sind die übrigen Marinas in Venedig:
• MARINA DI LIO GRANDE, ca. 700 Meter von der Vaporetto-Station bei Punta Sabbioni.
37 Fuß: 42 €
• IZOLA SAN GIORGIO, 1 Vaporetto-Station von San Marco entfernt.
Spektakulär. Im Zentrum. Klein. Teuer.
• MARINA VENTO DI VENEZIA
Eintrittspreis BIENNALE für zwei Tage Giardini/Arsenale: 25€.