Kategorie: Mare Più

Mensch und Vorurteil: Vom teuren Essen in Kroatien.

Meine Frau sagt: Kroatien hätte keine Esskultur. Sie umschreibt damit die Tatsache, in einen kroatischen Supermarkt zu gehen, der mindestens so groß ist wie der bei uns und auch genauso attraktiv aussieht. Und dann drin zu stehen und keine Lust auf nichts zu haben. Immer dieselben drei Sorten Käse. Brot und der mit Käse gefüllte Burek sind schmecken zwar weit besser als bei uns, da strengt man sich. Beim Betrachten einer kroatischen Speisekarte ergeht es ihr ebenso. Weil mir in Kroatien meine Pasta mit Meeresfrüchten oder Parmesan ganz grundsätzlich fehlen, stimme ich ihr zu. Ganz weit bin ich also nicht weg von meiner Frau.

Tatsächlich scheint es kein kroatisches Gericht zu geben, das unsere Nation ähnlich umfassend durchsetzt hätte wie Pasta oder Hamburger oder Döner. Wir kennen Cevapcici oder Rasnici oder Djuvec-Reis oder Aiwar. Aber würde jemand in inneren Jubel ausbrechen bei dem Satz „Kommt doch heute Abend zum Essen. Ich mache uns einen großen Topf Rasnici“ so wie bei einer Spaghettata? Na bitte!

Zurückgekehrt gestern von meiner Reise einmal entlang die Küste Kroatiens stehe ich Abends in Korcula im größten Supermarkt. Er heißt KONZUM. Hat Marke, grüne-Wiese-Standort und Gebäudechic von den Brüdern und Schwestern im Western 1:1 übernommen. Von außen alles ok. Drinnen weiß ich nicht, was ich kaufen soll. Nichts lacht mich an. Und doch sehe ich die Dinge etwas anders. Vor allem die, die vor mir im großen Supermarkt liegen.

Die Tomaten oben, die da auf dem Foto so schön knallig rüberkommen, haben alle braune Flecken. Eindeutig B-Ware. Wieso haben Kroaten minderwertige Tomaten im Angebot?? In jedem kroatischen Vorgarten gedeihen mindestens drei Stauden und das ohne Wasser, weil es seit sechs Wochen keinen Tropfen geregnet hat. Und sehen auch noch prächtig aus. Warum also B-Ware, die außerdem genauso viel kostet wie bei uns.

Auch der Salat sieht oberflächlich betrachtet gut aus. Wenn man genau hinsieht, erkennt man, dass es nur kleine Strünklein mit welken gelblichen Blättern. Das Stück für ein Euro. Das würde ich meinem Herrn EDEKA im heimatlichen Iffeldorf aber ganz schnell um die Ohren hauen. Irgendwas verstehe ich nicht.

Die Kochlöffel schwingende Hoteliersfrau, von der ich neulich berichtete, sagte mir: Niemand sei beim Essen so kritisch wie Kroaten. Fleisch? Nur vom Metzger, den man kennt. Essen gehen? Nur in Restaurants, wo man den Koch kennt. Noch ihre Eltern, erzählt Frau Skolic, hätten den Schinken nur frischgeschlachtet von einem bestimmten Bauern bezogen. Um ihn dann einem anderen zum Räuchern zu geben.

Tatsächlich zeugen die traditionellen steinernen Grillhäuschen, auf die man allerorten trifft wie in Griechenland auf die Gebetshäuschen am Straßenrand, dass Kroatien gerne isst und trinkt.




Und dann war die noch die Sache mit der NUTELLA. Vor wenigen Tagen erschien der slowakische Regierungschef vor der EU Kommission mit verschiedenen Dingen unterm Arm. Zwei Packungen IGLO Fischstäbchen. Zwei Plastikflaschen LENOR. Zwei JACOBS Kaffee. Je eine davon in Österreich gekauft. Die andere im eigenen Land. Hatten die IGLO Fischstäbchen in Österreich noch 65% Fisch (immerhin!), waren es in der Slowakei 7% weniger. Die Flasche LENOR hatte in der Slowakei 60 Milliliter weniger. Kostete dafür aber mehr. Und der JACOBS-Kaffee kostete gleichviel, enthielt aber weniger Kaffee. Die Tschechen, Polen und Ungarn stimmten ein. Letztere argumentierten, die NUTELLA schmecke in Österreich schokoladiger. Und wiesen das auch noch im Labor akribisch nach – laut SÜDDEUTSCHER ZEITUNG für NUTELLA. Und 22 weitere Marken.

 Der Knoblauch in dem riesigen Supermarkt sieht erbarmungswürdig aus. Kleine Knollen von der Größe eines Wachteleis. Hab ich was verpasst und winzige Knoblauchzehen sind Delikatesse wie Trüffel? Jedenfalls kosten 100 Gramm der Schrumpeldinger knapp 60 Cent. Wo doch an jeder Landstraße Leute stehen mit langen Zöpfen dicker Knoblauchknollen, dass Blutsauger längst einen weiten Bogen um die vier Millionen Kroaten machen.

Die Liste lässt sich fortsetzen. Die Bierdose umgerechnet 1,30 Euro. Nicht viel anders als bei uns. Was bitte kann an Bier so teuer sein??

Am schlimmsten trifft es mich beim Käse. Überall die gleichen Sorten gleich aussehenden Käses. Der rechts für zwei Euro 100 Gramm, der links gar für vier Euro.

Das ist schon teuer, denke ich mir. Ob ich vielleicht nicht mitbekommen habe, dass sich das kroatische Lohnniveau in den letzten Jahren versechsfacht hat? Weil ich es wissen will, frage ich einfach die stille Frau, die resigniert meine Sachen in die Kasse tippt. Sie schüttelt nur resigniert den Kopf. „This country is crazy. I don’t know where it will end.“, sagt sie. Sind es einfach nur die Konzerne, die aus der Tatsache, dass Kroatien weder SCHENGEN noch EURO beigetrat, mit einem cleveren Dreh maximale Rendite ziehen?

Es stimmt also einiges nicht. Im Land Kroatien nicht. Mit unserem Vorurteil nicht. Und irgendwie kann ich, während ich mir heute Abend etwas typisch Kroatisches koche, Blitva: Mangold im Kartoffelstampf verrührt, sogar verstehen: Warum Kroaten, Polen, Tschechen, Ungarn dieses Europa bescheuert finden. Werden ihnen doch jetzt Tag für Tag Tomaten mit braunen Flecken, kleine Knoblauchknollen und schlechteres NUTELLA zum hohen Preis angeboten.

Sie machen nicht andere Erfahrungen wie wir. Wenn wir uns aus Umweltgründen für ein teureres Auto mit schadstoffarmem Diesel entschieden haben.

Mensch und Vorurteil: Vom teuren Essen in Kroatien.

Meine Frau sagt: Kroatien hätte keine Esskultur. Sie umschreibt damit die Tatsache, in einen kroatischen Supermarkt zu gehen, der mindestens so groß ist wie der bei uns und auch genauso attraktiv aussieht. Und dann drin zu stehen und keine Lust auf nichts zu haben. Immer dieselben drei Sorten Käse. Brot und der mit Käse gefüllte Burek sind schmecken zwar weit besser als bei uns, da strengt man sich. Beim Betrachten einer kroatischen Speisekarte ergeht es ihr ebenso. Weil mir in Kroatien meine Pasta mit Meeresfrüchten oder Parmesan ganz grundsätzlich fehlen, stimme ich ihr zu. Ganz weit bin ich also nicht weg von meiner Frau.

Tatsächlich scheint es kein kroatisches Gericht zu geben, das unsere Nation ähnlich umfassend durchsetzt hätte wie Pasta oder Hamburger oder Döner. Wir kennen Cevapcici oder Rasnici oder Djuvec-Reis oder Aiwar. Aber würde jemand in inneren Jubel ausbrechen bei dem Satz „Kommt doch heute Abend zum Essen. Ich mache uns einen großen Topf Rasnici“ so wie bei einer Spaghettata? Na bitte!

Zurückgekehrt gestern von meiner Reise einmal entlang die Küste Kroatiens stehe ich Abends in Korcula im größten Supermarkt. Er heißt KONZUM. Hat Marke, grüne-Wiese-Standort und Gebäudechic von den Brüdern und Schwestern im Western 1:1 übernommen. Von außen alles ok. Drinnen weiß ich nicht, was ich kaufen soll. Nichts lacht mich an. Und doch sehe ich die Dinge etwas anders. Vor allem die, die vor mir im großen Supermarkt liegen.

Die Tomaten oben, die da auf dem Foto so schön knallig rüberkommen, haben alle braune Flecken. Eindeutig B-Ware. Wieso haben Kroaten minderwertige Tomaten im Angebot?? In jedem kroatischen Vorgarten gedeihen mindestens drei Stauden und das ohne Wasser, weil es seit sechs Wochen keinen Tropfen geregnet hat. Und sehen auch noch prächtig aus. Warum also B-Ware, die außerdem genauso viel kostet wie bei uns.

Auch der Salat sieht oberflächlich betrachtet gut aus. Wenn man genau hinsieht, erkennt man, dass es nur kleine Strünklein mit welken gelblichen Blättern. Das Stück für ein Euro. Das würde ich meinem Herrn EDEKA im heimatlichen Iffeldorf aber ganz schnell um die Ohren hauen. Irgendwas verstehe ich nicht.

Die Kochlöffel schwingende Hoteliersfrau, von der ich neulich berichtete, sagte mir: Niemand sei beim Essen so kritisch wie Kroaten. Fleisch? Nur vom Metzger, den man kennt. Essen gehen? Nur in Restaurants, wo man den Koch kennt. Noch ihre Eltern, erzählt Frau Skolic, hätten den Schinken nur frischgeschlachtet von einem bestimmten Bauern bezogen. Um ihn dann einem anderen zum Räuchern zu geben.

Tatsächlich zeugen die traditionellen steinernen Grillhäuschen, auf die man allerorten trifft wie in Griechenland auf die Gebetshäuschen am Straßenrand, dass Kroatien gerne isst und trinkt.




Und dann war die noch die Sache mit der NUTELLA. Vor wenigen Tagen erschien der slowakische Regierungschef vor der EU Kommission mit verschiedenen Dingen unterm Arm. Zwei Packungen IGLO Fischstäbchen. Zwei Plastikflaschen LENOR. Zwei JACOBS Kaffee. Je eine davon in Österreich gekauft. Die andere im eigenen Land. Hatten die IGLO Fischstäbchen in Österreich noch 65% Fisch (immerhin!), waren es in der Slowakei 7% weniger. Die Flasche LENOR hatte in der Slowakei 60 Milliliter weniger. Kostete dafür aber mehr. Und der JACOBS-Kaffee kostete gleichviel, enthielt aber weniger Kaffee. Die Tschechen, Polen und Ungarn stimmten ein. Letztere argumentierten, die NUTELLA schmecke in Österreich schokoladiger. Und wiesen das auch noch im Labor akribisch nach – laut SÜDDEUTSCHER ZEITUNG für NUTELLA. Und 22 weitere Marken.

 Der Knoblauch in dem riesigen Supermarkt sieht erbarmungswürdig aus. Kleine Knollen von der Größe eines Wachteleis. Hab ich was verpasst und winzige Knoblauchzehen sind Delikatesse wie Trüffel? Jedenfalls kosten 100 Gramm der Schrumpeldinger knapp 60 Cent. Wo doch an jeder Landstraße Leute stehen mit langen Zöpfen dicker Knoblauchknollen, dass Blutsauger längst einen weiten Bogen um die vier Millionen Kroaten machen.

Die Liste lässt sich fortsetzen. Die Bierdose umgerechnet 1,30 Euro. Nicht viel anders als bei uns. Was bitte kann an Bier so teuer sein??

Am schlimmsten trifft es mich beim Käse. Überall die gleichen Sorten gleich aussehenden Käses. Der rechts für zwei Euro 100 Gramm, der links gar für vier Euro.

Die Küste der Halbinsel Peljesac fuhr ich mehrfach entlang. Weinberge allenthalben. Trauben und Reben überall. In jedem Dorf drei lokale Winzer, die ihren Wein anbieten. Die Weintrauben in kroatischen Läden kommen aus Sizilien. Sind grün. Und schmecken auch so. Gibt es keine kroatischen Bauern mehr, die Weintrauben auf den Markt bringen? Ist ihnen der Zugang zum eigenen Markt versperrt? Und sie haben dichtgemacht?

Das ist schon teuer, denke ich mir. Ob ich vielleicht nicht mitbekommen habe, dass sich das kroatische Lohnniveau in den letzten Jahren versechsfacht hat? Weil ich es wissen will, frage ich einfach die stille Frau, die resigniert meine Sachen in die Kasse tippt. Sie schüttelt nur resigniert den Kopf. „This country is crazy. I don’t know where it will end.“, sagt sie. Sind es einfach nur die Konzerne, die aus der Tatsache, dass Kroatien weder SCHENGEN noch EURO beigetrat, mit einem cleveren Dreh maximale Rendite ziehen?

Es stimmt also einiges nicht. Im Land Kroatien nicht. Mit unserem Vorurteil nicht. Und irgendwie kann ich, während ich mir heute Abend etwas typisch Kroatisches koche, Blitva: Mangold im Kartoffelstampf verrührt, sogar verstehen: Warum Kroaten, Polen, Tschechen, Ungarn dieses Europa bescheuert finden. Werden ihnen doch jetzt Tag für Tag Tomaten mit braunen Flecken, kleine Knoblauchknollen und schlechteres NUTELLA zum hohen Preis angeboten.

Sie machen keine andere Erfahrungen wie wir. Wenn wir uns aus Umweltgründen für ein teureres Auto mit schadstoffarmem Diesel entschieden haben.

Mit dem Auto quer durch Kroatien. Oder: Warum Europa wirklich reich ist.

„Chi viaggia per mare, cerca costantemente una casa.“ 
Wer übers Meer reist, sucht ständig nach einem Zuhause. 

Für eine Zeitschriftenreportage habe ich einen etwas abenteuerlichen Auftrag angenommen: Innerhalb einer Woche reise ich – diesmal mit dem KFZ – einmal die kroatische Küsten entlang – vom äußersten Süden, wo Montenegro liegt, bis in den äußersten Norden, fast nach Italien. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen: LEVJE ließ ich in Korcula in der Bucht von Djanni, des alten Kapitäns, und seiner Frau Stanka zurück. Holte meinen Leihwagen in Dubrovnik. Und los gings Richtung Norden, um über kroatische Häfen zu schreiben.

Für die meisten Menschen ist das vermutlich ein Gräuel. Um fünf in einem fremden Bett aufwachen. Um sechs aufstehen. Um sieben im Wagen zu sitzen. Damit man um acht in irgendeinem kroatischen Hafen weiter nördlich steht, um darüber zu berichten. Reisen durch ein Land, das einem fremd bleibt, wie jedes Land, jeder Mensch, je mehr man es zu kennen meint. Reisen entlang Inseln, die mir vertraut sind und die ich doch von dieser Seite, dem Festland, so noch nie sah. Reisen und Begegnungen mit Menschen, die mich jeden Tag aufs Neue verblüffen.

Am meisten bei dieser Reise bereitet mir Vergnügen, dass ich meist Abends gegen sieben noch nicht weiß, wo ich übernachten werde. Es ist eine Art Spiel, doch ich liebe es. Am ersten Abend nach meinem Aufbruch brauchte ich knapp 15 Telefonate, bis ich endlich ein Zimmer gefunden hatte. Und das in einem Land, an einer Küste, in dem jedes zweite Haus mit dem Schild „APARTMAN“, Apartments, geschmückt ist. Kroatien ist voll. Kroatien brummt. Was den Tourismus in diesem Sommer angeht, jedenfalls. Es legt – dank Recep Tayyip Erdogan und anderen Irrlichtern – jedes Jahr 25% Steigerung im Tourismus hin.

15 Telefonate. Ich dachte: Schlimmer könne es nicht kommen. Am zweiten Abend bräuchte ich dreißig Telefonate, doch als die Sonne unterging und es dunkelte, hatte ich immer noch kein Zimmer. Alles voll. Ich war irgendwie in einem kleinen Dorf am Meer gelandet. Nichts ging mehr. Ich dachte an eine Parkbank. Alles. Nur nicht im Auto. Aber dann gab mir jemand den Tipp: „Gehe ins Restaurant. Frage nach Marija. Die weiß immer was“. Marija hatte das strahlendste Lächeln. Sie wusste aber auch nichts. Aber zwei Männer an der Theke begannen zu telefonieren. Um ein Zimmer für mich zu finden. 10 Minuten. Nichts. Zwanzig Minuten. Nichts. Draußen, über der Bucht, war es dunkel. Aber ich fühlte, ich war angekommen.

Drei Minuten später stand Bosa in der Tür. Frau eines Fischers. Die ihr Haus und ihren Garten über alles liebt. Bosa hatte ein Apartman für mich. Und eine Überraschung. Nämlich die, dass der jüngste ihrer drei Kinder wie so viele kroatische Jugendliche sein Glück im Ausland sucht. In Murnau, keine 15 Kilometer von meinem Zuhause in Iffeldorf entfernt. Ich schlief tief und fest, während ringsum Gewitter grummelten.

Vielleicht sollte ich auch von Duilo erzählen, bei dem ich am nächsten Abend landete, nach wieder 30 Telefonaten, ich führte sie mittlerweile gleichmütig. Weil ich wusste: irgendwann würde ich schon mein Dach finden. Für diesen Abend hatte ich mir nach gefühlten 10 Häfen am Meer eingebildet, wieder im Süßwasser der Krka zu schwimmen. Aber 29 Apartmans an den Ufern der Krka sagten erstmal „Nein. Alles voll“. Bis auf Duilo. Der hatte sein Apartman, worauf ich nie zu hoffen gewagt hatte: In Skradin, meinem heiß geliebten. Also nichts wie hin. Die Straße war lang. Und Skradin war voll. Mit Verkehr. Mit Touristen. So voll, dass mich ein Polizist aufhielt und mir die Zufahrt in die Altstadt verweigerte. Ich bekniete ihn. Bog nach langer Diskussion endlich rechts ab in die Fussgängerzone. Ich war sicher, Duilos Apartman wäre längst weg. Mitten im Gewühl steht ein Mann mit sanftem Lehrergesicht. Ob ich Christof wäre, aus Deutschland? Nein, der wär‘ ich nicht. Ob er Duilo wäre, mit dem ich telefoniert hätte? Ja, das sei er. Ich solle nur gleich mitkommen. Und nicht böse sein. Alle Deutschen hießen für ihn nun einmal Christof.

Den folgende Abend waren es 25 Telefonate – und ich landete im Hotel KLEINE HEXE bei Frau Skolic, dem Abbild einer Buchhändlerin, die mit geradliniger Hand ihr Hotel mit den 17 Zimmern am Strand führte, die Mitarbeiter anwies und gleichzeitig Kochlöffel und Käsemesser schwang. Und mir beim gemeinsamen morgendlichen Kaffee auf der Terrasse zum Gesang des Pirols einleuchtend erklärte, warum ein Essen in Supermärkten und Restaurants Kroatiens nicht weniger kostet als am Starnberger See. Und warum sie nichts davon hielt, den Strand vor ihrem Hotel mit den Kiefern, in denen der Pirol sang, nach dem Willen des Bürgermeisters demnächst in eine Partymeile mit Diskotheken umzumodeln.

Vollends crazy landete ich heute – nach unverschämt überteuerter Buchung bei BOOKINGS gegen acht Uhr Abends – auf der Insel Krk im gleichnamigen Ort in Leopoldina’s Apartman. Die verschönte bei meinem Eintreffen noch ihr winziges, mit Lüstern dekoriertes Künstler-Apartman in der pittoresken Altstadt von Krk. Meine späte Buchung um halb acht hatte sie aufgescheucht und in hektische Aktion versetzt. Sie entschwebte, nachdem wir mühsam ein paar Brocken Italienisch getauscht hatten.

Mein Abend endete bei der kleinen Mattea an der Straßenecke, die ihren Tisch mit Muscheln vor sich aufgebaut hatte. Und geduldig auf einen Kunden wartete. Genau einen wie mich. Fünf Kuna, umgerechnet 70 Cent wollte sie für eine ihrer Muscheln haben. Für manche auch sechs. Mein zaghafter Versuch, mit ihr zu feilschen, mein wiederholtes Gebot „Drei“ beantwortete Mattea mit einem entschlossenen „Fünf!“. Also eine neue Muschel für fünf Kuna, für LEVJEs Badezimmer. Die mich daran erinnern soll: Wie reich dieses Europa wirklich ist.

Wer übers Meer reist, sucht ständig nach einem Zuhause. Aus dem Blog von Francesca Carignani, Buchautorin und Seglerin stammt diese Beobachtung. Sie trifft den Nagel auf den Kopf. Und ich? Freue mich doch schon sehr auf morgen Nacht. Und am meisten darauf, noch nicht zu wissen: Wem ich dann begegnen werde.

Mit dem Auto quer durch Kroatien. Oder: Warum Europa wirklich reich ist.

„Chi viaggia per mare, cerca costantemente una casa.“ 
Wer übers Meer reist, sucht ständig nach einem Zuhause. 

Für eine Zeitschriftenreportage habe ich einen etwas abenteuerlichen Auftrag angenommen: Innerhalb einer Woche reise ich – diesmal mit dem KFZ – einmal die kroatische Küsten entlang – vom äußersten Süden, wo Montenegro liegt, bis in den äußersten Norden, fast nach Italien. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen: LEVJE ließ ich in Korcula in der Bucht von Djanni, des alten Kapitäns, und seiner Frau Stanka zurück. Holte meinen Leihwagen in Dubrovnik. Und los gings Richtung Norden, um über kroatische Häfen zu schreiben.

Für die meisten Menschen ist das vermutlich ein Gräuel. Um fünf in einem fremden Bett aufwachen. Um sechs aufstehen. Um sieben im Wagen zu sitzen. Damit man um acht in irgendeinem kroatischen Hafen weiter nördlich steht, um darüber zu berichten. Reisen durch ein Land, das einem fremd bleibt, wie jedes Land, jeder Mensch, je mehr man es zu kennen meint. Reisen entlang Inseln, die mir vertraut sind und die ich doch von dieser Seite, dem Festland, so noch nie sah. Reisen und Begegnungen mit Menschen, die mich jeden Tag aufs Neue verblüffen.

Am meisten bei dieser Reise bereitet mir Vergnügen, dass ich meist Abends gegen sieben noch nicht weiß, wo ich übernachten werde. Es ist eine Art Spiel, doch ich liebe es. Am ersten Abend nach meinem Aufbruch brauchte ich knapp 15 Telefonate, bis ich endlich ein Zimmer gefunden hatte. Und das in einem Land, an einer Küste, in dem jedes zweite Haus mit dem Schild „APARTMAN“, Apartments, geschmückt ist. Kroatien ist voll. Kroatien brummt. Was den Tourismus in diesem Sommer angeht, jedenfalls. Es legt – dank Recep Tayyip Erdogan und anderen Irrlichtern – jedes Jahr 25% Steigerung im Tourismus hin.

15 Telefonate. Ich dachte: Schlimmer könne es nicht kommen. Am zweiten Abend bräuchte ich dreißig Telefonate, doch als die Sonne unterging und es dunkelte, hatte ich immer noch kein Zimmer. Alles voll. Ich war irgendwie in einem kleinen Dorf am Meer gelandet. Nichts ging mehr. Ich dachte an eine Parkbank. Alles. Nur nicht im Auto. Aber dann gab mir jemand den Tipp: „Gehe ins Restaurant. Frage nach Marija. Die weiß immer was“. Marija hatte das strahlendste Lächeln. Sie wusste aber auch nichts. Aber zwei Männer an der Theke begannen zu telefonieren. Um ein Zimmer für mich zu finden. 10 Minuten. Nichts. Zwanzig Minuten. Nichts. Draußen, über der Bucht, war es dunkel. Aber ich fühlte, ich war angekommen.

Drei Minuten später stand Bosa in der Tür. Frau eines Fischers. Die ihr Haus und ihren Garten über alles liebt. Bosa hatte ein Apartman für mich. Und eine Überraschung. Nämlich die, dass der jüngste ihrer drei Kinder wie so viele kroatische Jugendliche sein Glück im Ausland sucht. In Murnau, keine 15 Kilometer von meinem Zuhause in Iffeldorf entfernt. Ich schlief tief und fest, während ringsum Gewitter grummelten.

Vielleicht sollte ich auch von Duilo erzählen, bei dem ich am nächsten Abend landete, nach wieder 30 Telefonaten, ich führte sie mittlerweile gleichmütig. Weil ich wusste: irgendwann würde ich schon mein Dach finden. Für diesen Abend hatte ich mir nach gefühlten 10 Häfen am Meer eingebildet, wieder im Süßwasser der Krka zu schwimmen. Aber 29 Apartmans an den Ufern der Krka sagten erstmal „Nein. Alles voll“. Bis auf Duilo. Der hatte sein Apartman, worauf ich nie zu hoffen gewagt hatte: In Skradin, meinem heiß geliebten. Also nichts wie hin. Die Straße war lang. Und Skradin war voll. Mit Verkehr. Mit Touristen. So voll, dass mich ein Polizist aufhielt und mir die Zufahrt in die Altstadt verweigerte. Ich bekniete ihn. Bog nach langer Diskussion endlich rechts ab in die Fussgängerzone. Ich war sicher, Duilos Apartman wäre längst weg. Mitten im Gewühl steht ein Mann mit sanftem Lehrergesicht. Ob ich Christof wäre, aus Deutschland? Nein, der wär‘ ich nicht. Ob er Duilo wäre, mit dem ich telefoniert hätte? Ja, das sei er. Ich solle nur gleich mitkommen. Und nicht böse sein. Alle Deutschen hießen für ihn nun einmal Christof.

Den folgende Abend waren es 25 Telefonate – und ich landete im Hotel KLEINE HEXE bei Frau Skolic, dem Abbild einer Buchhändlerin, die mit geradliniger Hand ihr Hotel mit den 17 Zimmern am Strand führte, die Mitarbeiter anwies und gleichzeitig Kochlöffel und Käsemesser schwang. Und mir beim gemeinsamen morgendlichen Kaffee auf der Terrasse zum Gesang des Pirols einleuchtend erklärte, warum ein Essen in Supermärkten und Restaurants Kroatiens nicht weniger kostet als am Starnberger See. Und warum sie nichts davon hielt, den Strand vor ihrem Hotel mit den Kiefern, in denen der Pirol sang, nach dem Willen des Bürgermeisters demnächst in eine Partymeile mit Diskotheken umzumodeln.

Vollends crazy landete ich heute – nach unverschämt überteuerter Buchung bei BOOKINGS gegen acht Uhr Abends – auf der Insel Krk im gleichnamigen Ort in Leopoldina’s Apartman. Die verschönte bei meinem Eintreffen noch ihr winziges, mit Lüstern dekoriertes Künstler-Apartman in der pittoresken Altstadt von Krk. Meine späte Buchung um halb acht hatte sie aufgescheucht und in hektische Aktion versetzt. Sie entschwebte, nachdem wir mühsam ein paar Brocken Italienisch getauscht hatten.

Mein Abend endete bei der kleinen Mattea an der Straßenecke, die ihren Tisch mit Muscheln vor sich aufgebaut hatte. Und geduldig auf einen Kunden wartete. Genau einen wie mich. Fünf Kuna, umgerechnet 70 Cent wollte sie für eine ihrer Muscheln haben. Für manche auch sechs. Mein zaghafter Versuch, mit ihr zu feilschen, mein wiederholtes Gebot „Drei“ beantwortete Mattea mit einem entschlossenen „Fünf!“. Also eine neue Muschel für fünf Kuna, für LEVJEs Badezimmer. Die mich daran erinnern soll: Wie reich dieses Europa wirklich ist.

Wer übers Meer reist, sucht ständig nach einem Zuhause. Aus dem Blog von Francesca Carignani, Buchautorin und Seglerin stammt diese Beobachtung. Sie trifft den Nagel auf den Kopf. Und ich? Freue mich doch schon sehr auf morgen Nacht. Und am meisten darauf, noch nicht zu wissen: Wem ich dann begegnen werde.

Susak. Die Insel, die die Winde schufen.

Aus der Ferne vom Meer her sieht Susak, die Insel vor Losinj, aus als würde eine Herde flauschig-grün-gefärbter Nacktmulle die Köpfe zusammen- und dem Ankömmling die rundlich-faltig-flauschigen Hinterteile entgegenstrecken. Susak gibt sich anders als die anderen Inseln, ist an seiner Oberfläche nicht von ragenden messerscharfem Kalkstein-Kanten geformt. Ist nicht zerklüftet, sondern steigt vom Meer gleichmässig steil an auf die Höhe eines Plateaus. Als wäre die Insel das Geschwisterchen des großen Tafelbergs drunten am Kap der guten Hoffnung. Susak trägt auch nicht den Bewuchs, der typisch ist für die Nachbar-Inseln. Ist nicht wie sie überzogen von dornigem Krüppelwuchs oder undurchdringlicher Macchie oder übersäht mir duftendem Salbei, der zwischen den scharfen Felsen wuchert. Sondern von Gräsern. Und langen, im Wind wiegenden Schilfhalmen. Es sind die Schilfhalme, die dem Inselrücken aus der Ferne das fluffige Nacktmull-Aussehen geben.

Warum auf Susak alles so ganz, ganz anders ist, hat mit einer geologischen Rarität zu tun: Susak ist nicht einfach nur nackter Fels. Auf den üblichen drei Meter aus dem Meer ragenden Kalkstein-Buckel hat der Wind noch einmal die vierfache Höhe Sand draufgepackt. Lößsand. Feinster hellbrauner Staub, weich wie Fell, angeweht während der Eiszeit aus den urweltlichen Ablagerungen von Urflüssen, feinster grauer Staub von irgendwoher „vom Winde verweht“. 

Es waren die Winde, die den Sand hierhertrugen und – der Himmel weiß, in was für einer irrwitzigen Konstellation aus Wetter, Witterung, Luft- und Meeresströmungen – über Jahrhunderte den feinen Sandstaub mit an Ewigkeit grenzender Geduld in einer hohen Schicht auftürmten. Es bleibt ein Rätsel, warum die Winde das genau hier taten. Auf einer Insel mitten im Meer. Und nicht ein paar Seemeilen weiter auf den benachbarten Inseln Losinj oder Unije. Es bleibt ein noch größerer geologischer Aberwitz, dass der schlichte Haufen Sand über Jahrhunderttausende an dieser Stelle liegen blieb. Und sich erhielt. Es scheint wie ein Wunder, dass der feine, von jedem Windhauch aufstäubende Lößsand sich nur drei Meter entfernt über den nagenden Wellen erhebt, auf die er quasi von oben

herabschaut, während sie zu seinen Füßen toben. Aber zu überheblich sollte er ob seines Sonderstatus nicht sein, der Lößsand. Denn dort, wo die Bora, der böige Nordost oder der Südwest die Wellen höher als anderswo gen Susak jagen, sieht man deutlich, wie sie dem Schilf den Löß unter den Füßen wegziehen. 

Susak. Eigentlich gefällt mir sein italienischer Namen weit besser: Sansego. Alles Geheimnis der Welt schwingt in diesen sieben Zeichen mit. Sansego. Es ist Nachmittag, als ich aufbreche und LEVJE alleine vor Anker in der Bucht zurücklasse. Und mit dem Dinghi an Land hinüberrudere. Was ich keinen Moment bereue. Wilde Bienen haben Löcher, ihre Nester, in die steil ansteigenden Wände des Löß gegraben. Es summt und brummt, dass ich einen Moment ganz iritiert bin, ob der Bienenschwarm sich nicht gleich gegen mich, den fremden Eindringling rottet. Und sich als wütende Wolke auf mich stürzt. Aber nichts passiert. 

Ich klettere den steilen Pfad hinauf. Eigentlich ist es nicht mehr als eine handbreite Furche in allerfeinstem Sand, die in steilen Zichzacklinien hinaufführt aufs Plateau. Ein ums andere Mal rutsche ich auf dem feinen Sand aus, erinnere mich, wie das damals war, das erste Mal als ich hier war, mit Katrin, nach einem Regen. Wo der feine Sand nichts anderes war als eine schmierige Rutschbahn.

Ich folge weiter der schmalen Furche im Sand, als hätte sie jemand mit dem Maßband abgemessen. Plötzlich erhebt sie sich zur drei Meter tiefen, schmalen Schlucht im Sand. Alles ist von dichtem Grün überzogen, Gräser, Dornen, Blüten, Pflanzen. Und keine Macchie, wie anderswo. Sansego-Susak verblüfft, auf Schritt und Tritt.

Dann stehe ich oben auf dem Plateau. Ein weiter Blick hinunter in die Bucht, auf Levje. Ob sie immer noch in der Mitte der Bucht ist, wo ich sie zurückließ? Dann weiter. Der sandige Weg ist jetzt ein Feldweg im Sand, der dort oben verläuft. Nicht mehr zwischen Sandwänden, sondern jetzt zwischen übermannshohen Schilfwedeln. Und in den

Schilfwäldern Felder. Und Weinberge. Auf Susak wird neuerdings wieder Süßwein angebaut. Wenn ich ehrlich bin, unternehme ich die Wanderung ja nur, um vielleicht irgendwo hier auf der Insel eine kleine Flasche Susak-Süßwein in irgendeinem Markt zu ergattern. Aber bis zum Ort der Insel, dessen eine Hälfte sich etwas entfernt in die einzige Hafenbucht duckt und dessen andere auf dem Sandplateau oberhalb, brauche ich noch ein wenig.

Stattdessen komme ich zuerst zum Friedhof. Er liegt eine Viertelstunde außerhalb des Ortes, ganz im Südwesten der Insel. Die schmiedeeiserne Tür zum Friedhof ist offen. Die Gräber stammen ausnahmslos ab den Jahren um 1850. Es sind Familiengräber. Die Picinichs liegen hier. Und die Tarabocijan. Die Busanic. Die Skrivanic. Und die Morin. Es sind Namen, hinter denen die italienischen Wurzeln noch hervorlugen, man muss einfach nur an jeden dieser Namen ein -o ans Ende hängen. Und schon wäre er wieder sichtbar, der einstige italienische Name. Jetzt sind sie irgendwie eingepasst, eingefügt in diese nordkroatische Welt. War ein Teil der Bewohner einst Einwanderer? Aus Italien? Oder sind die Dinge komplizierter: Kroaten aus den italienischen Minderheiten Istriens und Rijekas rund um den Kvarner, die hierher auf die abgelegene Insel kamen. Und blieben.

Auch die Vornamen: Domenico. Maria. Anna. Es ist, als wäre ich in einem entfernten Außenposten der italienischen Welt gelandet. Ein Teil von ihr. Und doch kein Teil. Etwas, das seine Wurzeln nicht verleugnen will. 

Neben jedem Namen prangt hinter Glas ein Foto des Verstorbenen. Domenico: Ein resoluter Mann mit weißem Vollbart, gestorben wie seine Frau Maria vor fast eineinhalb Jahrhunderten hier auf der Insel Susak. Fotografien aus der Anfangszeit der Fotografie. Es muss einen Fotografen gegeben haben hier auf der Insel, der all die Menschen zu Lebzeiten fotografierte, ihre Gesichter auf eine Glasplatte bahnte. Ein Gott auf Erden, der den Menschen der Insel im fahlen Licht seiner Dunkelkammer das ewige Leben schenkte – zumindest als auf Glas gebannte Fotografie. Sie schauen, Männer im Gehrock mit weißen Vollbärten, ihre Frauen unter tief in die Stirn gezogenen Kopftüchern den Betrachter an, gleichmütig, reglos, über die Jahrhunderte hinweg. Wie der Fotograf es ihnen in diesem einem Moment aufgetragen hatte. Ein flüchtiger, vergänglicher Augenblick vor eineinhalb Jahrhunderten, festgehalten, gebannt für die Ewigkeit.

So wie auch die Insel Susak/Sansego.

Es heißt, sie wären gute Seeleute gewesen, die Männer von Susak. Es heißt auch, dass sie ihr Schicksal selbst in die Hand nahmen, als die neuen jugoslawischen Machthaber im fernen Belgrad ihnen mit harter Fischerei- und sonstiger Planwirtschaft jede Perspektive auf ein besseres Leben nahmen. Zwischen 1950 und 1965 verliessen über 2.500 Emigranten die Insel, fast zwei Drittel der damaligen Bevölkerung. Und gingen auf der Suche nach einem besseren Leben nach New York, wo ihre Nachfahren noch heute überwiegend in New Jersey oder in Hoboken leben. Und in Susak? Leben heute keine 200 Menschen. Nur im Sommer, wenn Feriengäste kommen und Verwandte der einstigen Besitzer vom kroatischen Festland, um hier Urlaub zu machen, wächst die Inselbevölkerung für einige Wochen wieder auf ihre ursprüngliche Größe an.

Als ich nach Stunden zur Bucht zurückkomme, in der LEVJE schaukelt, kann ich nicht anders: Ich sammle in einer alten Plastikflasche, die das Meer angespült hat, ein wenig von dem wunderbaren weichen Sand von Susak ein. Für Daheim. Auf einem Bord im großen Raum unseres Zuhauses stehen etwa 20 Flaschen mit Sand. Manchmal schaue ich sie an. Eine Flasche mit dem rotbraunen Sand von Porto Baratti vor Elba ist dabei, fast rot, weil an diesem Strand einst Etrusker Eisenerz verhütteten. Und eine italienische Firma immer noch 100 Jahre damit zu tun hatte, um noch einmal die Schlackenberge einzuschmelzen, die die Etrusker übrig gelassen hatten. Der hellgraue Sand von Canuta in Apulien, nahe von Foggia, wo die Burgen Friedrichs II. stehen. Der dunkle Sand vom Strand von Bozburun in der Türkei, wo sie die schweren Gülets bauten. Sand aus Korsika. Sand aus der Karibik. 

Aber keiner ist so fein, so puderig, wie der Sand von der Insel Susak.

Susak. Die Insel, die die Winde schufen.

Aus der Ferne vom Meer her sieht Susak, die Insel vor Losinj, aus als würde eine Herde flauschig-grün-gefärbter Nacktmulle die Köpfe zusammen- und dem Ankömmling die rundlich-faltig-flauschigen Hinterteile entgegenstrecken. Susak gibt sich anders als die anderen Inseln, ist an seiner Oberfläche nicht von ragenden messerscharfem Kalkstein-Kanten geformt. Ist nicht zerklüftet, sondern steigt vom Meer gleichmässig steil an auf die Höhe eines Plateaus. Als wäre die Insel das Geschwisterchen des großen Tafelbergs drunten am Kap der guten Hoffnung. Susak trägt auch nicht den Bewuchs, der typisch ist für die Nachbar-Inseln. Ist nicht wie sie überzogen von dornigem Krüppelwuchs oder undurchdringlicher Macchie oder übersäht mir duftendem Salbei, der zwischen den scharfen Felsen wuchert. Sondern von Gräsern. Und langen, im Wind wiegenden Schilfhalmen. Es sind die Schilfhalme, die dem Inselrücken aus der Ferne das fluffige Nacktmull-Aussehen geben.

Warum auf Susak alles so ganz, ganz anders ist, hat mit einer geologischen Rarität zu tun: Susak ist nicht einfach nur nackter Fels. Auf den üblichen drei Meter aus dem Meer ragenden Kalkstein-Buckel hat der Wind noch einmal die vierfache Höhe Sand draufgepackt. Lößsand. Feinster hellbrauner Staub, weich wie Fell, angeweht während der Eiszeit aus den urweltlichen Ablagerungen von Urflüssen, feinster grauer Staub von irgendwoher „vom Winde verweht“. 

Es waren die Winde, die den Sand hierhertrugen und – der Himmel weiß, in was für einer irrwitzigen Konstellation aus Wetter, Witterung, Luft- und Meeresströmungen – über Jahrhunderte den feinen Sandstaub mit an Ewigkeit grenzender Geduld in einer hohen Schicht auftürmten. Es bleibt ein Rätsel, warum die Winde das genau hier taten. Auf einer Insel mitten im Meer. Und nicht ein paar Seemeilen weiter auf den benachbarten Inseln Losinj oder Unije. Es bleibt ein noch größerer geologischer Aberwitz, dass der schlichte Haufen Sand über Jahrhunderttausende an dieser Stelle liegen blieb. Und sich erhielt. Es scheint wie ein Wunder, dass der feine, von jedem Windhauch aufstäubende Lößsand sich nur drei Meter entfernt über den nagenden Wellen erhebt, auf die er quasi von oben

herabschaut, während sie zu seinen Füßen toben. Aber zu überheblich sollte er ob seines Sonderstatus nicht sein, der Lößsand. Denn dort, wo die Bora, der böige Nordost oder der Südwest die Wellen höher als anderswo gen Susak jagen, sieht man deutlich, wie sie dem Schilf den Löß unter den Füßen wegziehen. 

Susak. Eigentlich gefällt mir sein italienischer Namen weit besser: Sansego. Alles Geheimnis der Welt schwingt in diesen sieben Zeichen mit. Sansego. Es ist Nachmittag, als ich aufbreche und LEVJE alleine vor Anker in der Bucht zurücklasse. Und mit dem Dinghi an Land hinüberrudere. Was ich keinen Moment bereue. Wilde Bienen haben Löcher, ihre Nester, in die steil ansteigenden Wände des Löß gegraben. Es summt und brummt, dass ich einen Moment ganz iritiert bin, ob der Bienenschwarm sich nicht gleich gegen mich, den fremden Eindringling rottet. Und sich als wütende Wolke auf mich stürzt. Aber nichts passiert. 

Ich klettere den steilen Pfad hinauf. Eigentlich ist es nicht mehr als eine handbreite Furche in allerfeinstem Sand, die in steilen Zichzacklinien hinaufführt aufs Plateau. Ein ums andere Mal rutsche ich auf dem feinen Sand aus, erinnere mich, wie das damals war, das erste Mal als ich hier war, mit Katrin, nach einem Regen. Wo der feine Sand nichts anderes war als eine schmierige Rutschbahn.

Ich folge weiter der schmalen Furche im Sand, als hätte sie jemand mit dem Maßband abgemessen. Plötzlich erhebt sie sich zur drei Meter tiefen, schmalen Schlucht im Sand. Alles ist von dichtem Grün überzogen, Gräser, Dornen, Blüten, Pflanzen. Und keine Macchie, wie anderswo. Sansego-Susak verblüfft, auf Schritt und Tritt.

Dann stehe ich oben auf dem Plateau. Ein weiter Blick hinunter in die Bucht, auf Levje. Ob sie immer noch in der Mitte der Bucht ist, wo ich sie zurückließ? Dann weiter. Der sandige Weg ist jetzt ein Feldweg im Sand, der dort oben verläuft. Nicht mehr zwischen Sandwänden, sondern jetzt zwischen übermannshohen Schilfwedeln. Und in den

Schilfwäldern Felder. Und Weinberge. Auf Susak wird neuerdings wieder Süßwein angebaut. Wenn ich ehrlich bin, unternehme ich die Wanderung ja nur, um vielleicht irgendwo hier auf der Insel eine kleine Flasche Susak-Süßwein in irgendeinem Markt zu ergattern. Aber bis zum Ort der Insel, dessen eine Hälfte sich etwas entfernt in die einzige Hafenbucht duckt und dessen andere auf dem Sandplateau oberhalb, brauche ich noch ein wenig.

Stattdessen komme ich zuerst zum Friedhof. Er liegt eine Viertelstunde außerhalb des Ortes, ganz im Südwesten der Insel. Die schmiedeeiserne Tür zum Friedhof ist offen. Die Gräber stammen ausnahmslos ab den Jahren um 1850. Es sind Familiengräber. Die Picinichs liegen hier. Und die Tarabocijan. Die Busanic. Die Skrivanic. Und die Morin. Es sind Namen, hinter denen die italienischen Wurzeln noch hervorlugen, man muss einfach nur an jeden dieser Namen ein -o ans Ende hängen. Und schon wäre er wieder sichtbar, der einstige italienische Name. Jetzt sind sie irgendwie eingepasst, eingefügt in diese nordkroatische Welt. War ein Teil der Bewohner einst Einwanderer? Aus Italien? Oder sind die Dinge komplizierter: Kroaten aus den italienischen Minderheiten Istriens und Rijekas rund um den Kvarner, die hierher auf die abgelegene Insel kamen. Und blieben.

Auch die Vornamen: Domenico. Maria. Anna. Es ist, als wäre ich in einem entfernten Außenposten der italienischen Welt gelandet. Ein Teil von ihr. Und doch kein Teil. Etwas, das seine Wurzeln nicht verleugnen will. 

Neben jedem Namen prangt hinter Glas ein Foto des Verstorbenen. Domenico: Ein resoluter Mann mit weißem Vollbart, gestorben wie seine Frau Maria vor fast eineinhalb Jahrhunderten hier auf der Insel Susak. Fotografien aus der Anfangszeit der Fotografie. Es muss einen Fotografen gegeben haben hier auf der Insel, der all die Menschen zu Lebzeiten fotografierte, ihre Gesichter auf eine Glasplatte bahnte. Ein Gott auf Erden, der den Menschen der Insel im fahlen Licht seiner Dunkelkammer das ewige Leben schenkte – zumindest als auf Glas gebannte Fotografie. Sie schauen, Männer im Gehrock mit weißen Vollbärten, ihre Frauen unter tief in die Stirn gezogenen Kopftüchern den Betrachter an, gleichmütig, reglos, über die Jahrhunderte hinweg. Wie der Fotograf es ihnen in diesem einem Moment aufgetragen hatte. Ein flüchtiger, vergänglicher Augenblick vor eineinhalb Jahrhunderten, festgehalten, gebannt für die Ewigkeit.

So wie auch die Insel Susak/Sansego.

Es heißt, sie wären gute Seeleute gewesen, die Männer von Susak. Es heißt auch, dass sie ihr Schicksal selbst in die Hand nahmen, als die neuen jugoslawischen Machthaber im fernen Belgrad ihnen mit harter Fischerei- und sonstiger Planwirtschaft jede Perspektive auf ein besseres Leben nahmen. Zwischen 1950 und 1965 verliessen über 2.500 Emigranten die Insel, fast zwei Drittel der damaligen Bevölkerung. Und gingen auf der Suche nach einem besseren Leben nach New York, wo ihre Nachfahren noch heute überwiegend in New Jersey oder in Hoboken leben. Und in Susak? Leben heute keine 200 Menschen. Nur im Sommer, wenn Feriengäste kommen und Verwandte der einstigen Besitzer vom kroatischen Festland, um hier Urlaub zu machen, wächst die Inselbevölkerung für einige Wochen wieder auf ihre ursprüngliche Größe an.

Als ich nach Stunden zur Bucht zurückkomme, in der LEVJE schaukelt, kann ich nicht anders: Ich sammle in einer alten Plastikflasche, die das Meer angespült hat, ein wenig von dem wunderbaren weichen Sand von Susak ein. Für Daheim. Auf einem Bord im großen Raum unseres Zuhauses stehen etwa 20 Flaschen mit Sand. Manchmal schaue ich sie an. Eine Flasche mit dem rotbraunen Sand von Porto Baratti vor Elba ist dabei, fast rot, weil an diesem Strand einst Etrusker Eisenerz verhütteten. Und eine italienische Firma immer noch 100 Jahre damit zu tun hatte, um noch einmal die Schlackenberge einzuschmelzen, die die Etrusker übrig gelassen hatten. Der hellgraue Sand von Canuta in Apulien, nahe von Foggia, wo die Burgen Friedrichs II. stehen. Der dunkle Sand vom Strand von Bozburun in der Türkei, wo sie die schweren Gülets bauten. Sand aus Korsika. Sand aus der Karibik. 

Aber keiner ist so fein, so puderig, wie der Sand von der Insel Susak.

Korcula: Dieselpest und Lichtmaschine (Teil 2). Wie Segeln Menschen zusammenbringt.

Im vorigen Post schrieb ich, wie ungeahntes Leben in meinem Tank zu 35 Zentimeter langen organischen Gebilden führt, die unterwegs auf dem Meer LEVJEs Motor lahmlegten. Und was ich einer abgelegenen Bucht dagegen unternahm. 

Hier die Fortsetzung: 

Am nächsten Morgen steuere ich LEVJE in die kleine Marina Korcula. 158 Liegeplätze gibt es da, nach offizieller Zählung auf der ACI-Website. Aber für Transit stehen davon nur knapp die Hälfte zur Verfügung, also 70. Und davon wiederum sind 4/5 von Flotillen und Charter belegt.

Gleich in der Einfahrt in die Marina betreibt Angelo seine Bootsreparatur und einen Zubehörladen. Eigentlich heißt er Andelko, „Ansche:lko“ gesprochen. Aber weil es leichter zu merken ist, sagt er einfach „Angelo“. Seine Werkstatt brummt. Der Laden ist voll. Er kuckt aus neugierigen, wachen, etwas traurigen Augen in seiner Werkstatt, die nicht größer ist als die Küche einer Siebzigerjahre-Wohnung. Und ein Taubenschlag dazu: Junge Leute, die Außenborder zerlegen. Petar, der Mechaniker, der uns draußen vor der Stadtmauer rettete, schraubt an einem Teil. Einheimische und durchreisende Bootsbesitzer, die ständig mit bittendem Blick Angelos „Küche“ betreten. Es brummt. Es summt. Angelos Laden funktioniert. Mit einem Blick ist klar, dass Geldverdienen nicht Angelos Problem ist.“Wir sind die einzigen Mechaniker zwischen Split und Dubrovnik. Wer ein Problem mit seinem Schiff hat auf den 100 Seemeilen zwischen Split und Dubrovnik: Der kommt hierher.“, sagt Angelo. Er sagt es selbstbewusst und doch bescheiden. Als sei es Last und Verantwortung. Und kein Anlass, sich wie mancherorts in diesen Tagen in Kroatien die Hände über laufendes Geschäft zu reiben.

Ich weiß nicht, wann Andelko seine Werkstatt eröffnete. Irgendwann nach dem Balkankrieg, der hier in der Gegend schlimm wütete. Vielleicht, weil dies Kroatien nicht weit von hier an Bosnien und Montenegro stößt. Im Laden nebendran treffe ich seine Tochter Marina, auf der Suche nach einer 3 Ampere Röhrensicherung. „One Moment, please. I am the daughter of a mechanic, but still a woman. Sorry, Sir: I have to ask my father.“ Ich bin beeindruckt. Dass sich jemand entschuldigt. Weil er etwas nicht weiß.

Zehn Minuten später kommt Petar. Er pumpt 10, 20 Liter Diesel vom Grund meines Tanks, um ihn genau zu untersuchen. Er tut nichts anderes als das, was ich draußen in der verlassenen Bucht auf Lastovo tat: Einfach nachsehen. Ob sich weiterer Schleim, weitere lange Fadengebilde in meinem Tank finden (Siehe mein Post dazu). Petar findet genauso wenig wie ich im Tank. Er sei sauber. „Andelko hat drüben im Laden etwas. Das kippst Du rein. Und dann ist Ruh.“


Danach misst Petar meine zickende Lichtmaschine durch. Er braucht eine Weile. Aber dann kommt Präzises: „Die Lichtmaschine ist hin. Die Trenndiode auch. Wir schicken die Lichtmaschine mit der nächsten Fähre ins 100 Kilometer entfernte Split zur Diagnose und Reparatur. Morgen Abend, spätestens übermorgen, hast Du sie wieder.“

Während ich noch hadere, ob meine Lichtmaschine wirklich erwachsen genug ist, um allein auf einer Fähre in die große Stadt am Meer zu verreisen, treffe ich Marina, die meine Lichtmaschine zur Fähre hinüberfährt, die gleich nach Split abgeht. Ich bin beeindruckt. Zum zweiten und nicht zum letzten Mal an diesem Tag. Als ich Abends von meinen Streifzügen durch die Altstadt von Korcula komme, werkeln die drei immer zusammen mit den Lehrlingen immer noch in der Werkstadt. 

Sie fangen morgens um acht Uhr an zu arbeiten. Pause von eins bis drei. Dann arbeiten sie durch bis 21 Uhr, sagt Marina. Ein echter, harter 11-Stunden-Tag jetzt in den Sommermonaten. Inklusive Samstag. „Im Winter sehe ich meine Familie häufiger als jetzt im Sommer“, erzählt Petar. Er ist Vater einer siebenjährigen Tochter und wünscht sich ein zweites Kind. „Das ist mein Job. Im Sommer komme ich vor neun nicht heim. Im Winter hingegen bin ich oft schon am Nachmittag zuhause.“


Am nächsten Morgen frage ich Marina, die Tochter eines Mechanikers, warum sie eigentlich arbeitet.  Sie erzählt, dass sie nebenbei auch eine Ferienwohnung vermietet, ein zauberhaftes Ding am Meer. „I like to work. I cannot live without work. I worked for ten years on cruise ships: 9 months work without Sunday. 3 months holiday. Had to finish with breakdown. It has been a perfect job: Working together with 30 other nationalities and mentalities – and no problem.“ Ein Foto von ihr aus dieser Zeit hängt hinter dem Andelkos Schreibtisch an der Wand. Zwischen dem Bild ihres tödlich verunglückten Bruders. Und dem von Andelkos Mutter. Sie sind Menschen, die ihre Wurzeln, ihre Herkunft nicht vergessen haben.

Jeden Tag rühren mich Andelko, Marina, Petar ein wenig mehr, je näher ich sie in jeder Begegnung, in jedem kleinen Gespräch kennenlerne. Vielleicht musste es so sein in diesem Land, in dem es schwer ist, an die Menschen auf den Inseln heranzukommen, weil die Sprachbarriere, weil unterschiedliche Mentalität den Zugang zueinander erschweren. Und weil dieses Kroatien vor allem in seinen lokalen Communities denkt und ein Reisender nur jemand ist, der heute Geld bringt. Und morgen wieder weg ist. Nicht den Blick wert. Im Tourismus-Boom der letzten Jahre

Vielleicht brauchte es genau dies: LEVJEs streikenden Motor. Eine zickende Lichtmaschine. Um das Leben von drei Menschen, ihre Geschichte, ihre Sorgen, ihre Freude kennenzulernen. Um nicht einfach nur weiterzueilen, von Hafen zu Hafen.



Etwa fünf Mal muss Andelko mit der Werkstatt in Split telefonieren. Dann, nach eineinhalb Tagen, am Samstag Mittag, kommt meine Lichtmaschine mit der Fähre um 12 wieder angereist. Die verschmorte Platine ist durch eine neue ersetzt. Als er die Fähre vor dem Hafen anlegen sieht, setzt Petar sich auf seinen Roller. Und fährt hinüber zum Hafen, um sie zu holen. Insel-Business. Nach einer halben Stunde ist sie wieder eingebaut. Und produziert Strom. Ich hoffe, dass sie jetzt klaglos laufen wird. Wie LEVJEs Motor.

Ich? Bin froh, diese drei Menschen kennengelernt zu haben. Ich weiß, ich werde Andelko, Marina, Petar nicht vergessen. Es sind Menschen wie sie, warum ich an dieses Europa glaube. 

Vielleicht ist dies auch eine der wichtigen Erfahrungen des Alleinreisens. Ich bin meist allein unterwegs. Und brauche doch andere Menschen mehr als ich denke. Wieder fallen mir die Zeilen von Charles Darwin ein, die ich vor drei Jahren in dem Post „Warum ich segle“ schrieb und in denen Darwin, dreißig Jahre nach der Fahrt mit der BEAGLE, jedem Reisenden mit auf den Weg gibt:

„… gleichzeitig wird er entdecken: wie viele wahrhaft gutherzige Menschen es gibt, mit denen er nie zuvor Kontakt hatte und auch nie mehr wieder haben wird, und die dennoch bereit sind, ihm die uneigennützigste Hilfe zu gewähren.“

Hardfacts:

Werkstatt von Andelko Duzevic:
Tel. +385 (0)20 715 755
Mobile +385 (0)91 507 46 35
[email protected]

Marina Duzevic (Laden):
Tel. +385 (0)20 295 744
Mobile +385 (0)91 526 41 62

ACI Marina Korcula:
159 Landliegeplätze. 16 Dry Berths (laut offizielle Angaben auf der ACI-Korcula-Seite)
Preis für 37 Fuß: ca. 85€/Nacht
Für Transitgäste ca. 60-70 Liegeplätze, die regelmäßig Dienstag und Mittwoch 
durch Flottilen und Chartersegler voll belegt sind (Stand 7/2017). 
An den übrigen Tagen Reservierung ohne Probleme möglich.
Allerdings wird Buchung über das ACI-Buchungssystem (gegen Aufpreis/nicht unerhebliche Stornogebühr) gegenüber telefonischer Anmeldung bevorzugt.

Tel. 385 (0)20 711 661
Mobile +385 (0)98 398 854
[email protected]

Korcula: Dieselpest und Lichtmaschine (Teil 2). Wie Segeln Menschen zusammenbringt.

Im vorigen Post schrieb ich, wie ungeahntes Leben in meinem Tank zu 35 Zentimeter langen organischen Gebilden führt, die unterwegs auf dem Meer LEVJEs Motor lahmlegten. Und was ich einer abgelegenen Bucht dagegen unternahm. 

Hier die Fortsetzung: 

Am nächsten Morgen steuere ich LEVJE in die kleine Marina Korcula. 158 Liegeplätze gibt es da, nach offizieller Zählung auf der ACI-Website. Aber für Transit stehen davon nur knapp die Hälfte zur Verfügung, also 70. Und davon wiederum sind 4/5 von Flotillen und Charter belegt.

Gleich in der Einfahrt in die Marina betreibt Angelo seine Bootsreparatur und einen Zubehörladen. Eigentlich heißt er Andelko, „Ansche:lko“ gesprochen. Aber weil es leichter zu merken ist, sagt er einfach „Angelo“. Seine Werkstatt brummt. Der Laden ist voll. Er kuckt aus neugierigen, wachen, etwas traurigen Augen in seiner Werkstatt, die nicht größer ist als die Küche einer Siebzigerjahre-Wohnung. Und ein Taubenschlag dazu: Junge Leute, die Außenborder zerlegen. Petar, der Mechaniker, der uns draußen vor der Stadtmauer rettete, schraubt an einem Teil. Einheimische und durchreisende Bootsbesitzer, die ständig mit bittendem Blick Angelos „Küche“ betreten. Es brummt. Es summt. Angelos Laden funktioniert. Mit einem Blick ist klar, dass Geldverdienen nicht Angelos Problem ist.“Wir sind die einzigen Mechaniker zwischen Split und Dubrovnik. Wer ein Problem mit seinem Schiff hat auf den 100 Seemeilen zwischen Split und Dubrovnik: Der kommt hierher.“, sagt Angelo. Er sagt es selbstbewusst und doch bescheiden. Als sei es Last und Verantwortung. Und kein Anlass, sich wie mancherorts in diesen Tagen in Kroatien die Hände über laufendes Geschäft zu reiben.

Ich weiß nicht, wann Andelko seine Werkstatt eröffnete. Irgendwann nach dem Balkankrieg, der hier in der Gegend schlimm wütete. Vielleicht, weil dies Kroatien nicht weit von hier an Bosnien und Montenegro stößt. Im Laden nebendran treffe ich seine Tochter Marina, auf der Suche nach einer 3 Ampere Röhrensicherung. „One Moment, please. I am the daughter of a mechanic, but still a woman. Sorry, Sir: I have to ask my father.“ Ich bin beeindruckt. Dass sich jemand entschuldigt. Weil er etwas nicht weiß.

Zehn Minuten später kommt Petar. Er pumpt 10, 20 Liter Diesel vom Grund meines Tanks, um ihn genau zu untersuchen. Er tut nichts anderes als das, was ich draußen in der verlassenen Bucht auf Lastovo tat: Einfach nachsehen. Ob sich weiterer Schleim, weitere lange Fadengebilde in meinem Tank finden (Siehe mein Post dazu). Petar findet genauso wenig wie ich im Tank. Er sei sauber. „Andelko hat drüben im Laden etwas. Das kippst Du rein. Und dann ist Ruh.“


Danach misst Petar meine zickende Lichtmaschine durch. Er braucht eine Weile. Aber dann kommt Präzises: „Die Lichtmaschine ist hin. Die Trenndiode auch. Wir schicken die Lichtmaschine mit der nächsten Fähre ins 100 Kilometer entfernte Split zur Diagnose und Reparatur. Morgen Abend, spätestens übermorgen, hast Du sie wieder.“

Während ich noch hadere, ob meine Lichtmaschine wirklich erwachsen genug ist, um allein auf einer Fähre in die große Stadt am Meer zu verreisen, treffe ich Marina, die meine Lichtmaschine zur Fähre hinüberfährt, die gleich nach Split abgeht. Ich bin beeindruckt. Zum zweiten und nicht zum letzten Mal an diesem Tag. Als ich Abends von meinen Streifzügen durch die Altstadt von Korcula komme, werkeln die drei immer zusammen mit den Lehrlingen immer noch in der Werkstadt. 

Sie fangen morgens um acht Uhr an zu arbeiten. Pause von eins bis drei. Dann arbeiten sie durch bis 21 Uhr, sagt Marina. Ein echter, harter 11-Stunden-Tag jetzt in den Sommermonaten. Inklusive Samstag. „Im Winter sehe ich meine Familie häufiger als jetzt im Sommer“, erzählt Petar. Er ist Vater einer siebenjährigen Tochter und wünscht sich ein zweites Kind. „Das ist mein Job. Im Sommer komme ich vor neun nicht heim. Im Winter hingegen bin ich oft schon am Nachmittag zuhause.“


Am nächsten Morgen frage ich Marina, die Tochter eines Mechanikers, warum sie eigentlich arbeitet.  Sie erzählt, dass sie nebenbei auch eine Ferienwohnung vermietet, ein zauberhaftes Ding am Meer. „I like to work. I cannot live without work. I worked for ten years on cruise ships: 9 months work without Sunday. 3 months holiday. Had to finish with breakdown. It has been a perfect job: Working together with 30 other nationalities and mentalities – and no problem.“ Ein Foto von ihr aus dieser Zeit hängt hinter dem Andelkos Schreibtisch an der Wand. Zwischen dem Bild ihres tödlich verunglückten Bruders. Und dem von Andelkos Mutter. Sie sind Menschen, die ihre Wurzeln, ihre Herkunft nicht vergessen haben.

Jeden Tag rühren mich Andelko, Marina, Petar ein wenig mehr, je näher ich sie in jeder Begegnung, in jedem kleinen Gespräch kennenlerne. Vielleicht musste es so sein in diesem Land, in dem es schwer ist, an die Menschen auf den Inseln heranzukommen, weil die Sprachbarriere, weil unterschiedliche Mentalität den Zugang zueinander erschweren. Und weil dieses Kroatien vor allem in seinen lokalen Communities denkt und ein Reisender nur jemand ist, der heute Geld bringt. Und morgen wieder weg ist. Nicht den Blick wert. Im Tourismus-Boom der letzten Jahre

Vielleicht brauchte es genau dies: LEVJEs streikenden Motor. Eine zickende Lichtmaschine. Um das Leben von drei Menschen, ihre Geschichte, ihre Sorgen, ihre Freude kennenzulernen. Um nicht einfach nur weiterzueilen, von Hafen zu Hafen.



Etwa fünf Mal muss Andelko mit der Werkstatt in Split telefonieren. Dann, nach eineinhalb Tagen, am Samstag Mittag, kommt meine Lichtmaschine mit der Fähre um 12 wieder angereist. Die verschmorte Platine ist durch eine neue ersetzt. Als er die Fähre vor dem Hafen anlegen sieht, setzt Petar sich auf seinen Roller. Und fährt hinüber zum Hafen, um sie zu holen. Insel-Business. Nach einer halben Stunde ist sie wieder eingebaut. Und produziert Strom. Ich hoffe, dass sie jetzt klaglos laufen wird. Wie LEVJEs Motor.

Ich? Bin froh, diese drei Menschen kennengelernt zu haben. Ich weiß, ich werde Andelko, Marina, Petar nicht vergessen. Es sind Menschen wie sie, warum ich an dieses Europa glaube. 

Vielleicht ist dies auch eine der wichtigen Erfahrungen des Alleinreisens. Ich bin meist allein unterwegs. Und brauche doch andere Menschen mehr als ich denke. Wieder fallen mir die Zeilen von Charles Darwin ein, die ich vor drei Jahren in dem Post „Warum ich segle“ schrieb und in denen Darwin, dreißig Jahre nach der Fahrt mit der BEAGLE, jedem Reisenden mit auf den Weg gibt:

„… gleichzeitig wird er entdecken: wie viele wahrhaft gutherzige Menschen es gibt, mit denen er nie zuvor Kontakt hatte und auch nie mehr wieder haben wird, und die dennoch bereit sind, ihm die uneigennützigste Hilfe zu gewähren.“

Hardfacts:

Werkstatt von Andelko Duzevic:
Tel. +385 (0)20 715 755
Mobile +385 (0)91 507 46 35
[email protected]

Marina Duzevic (Laden):
Tel. +385 (0)20 295 744
Mobile +385 (0)91 526 41 62

ACI Marina Korcula:
159 Landliegeplätze. 16 Dry Berths (laut offizielle Angaben auf der ACI-Korcula-Seite)
Preis für 37 Fuß: ca. 85€/Nacht
Für Transitgäste ca. 60-70 Liegeplätze, die regelmäßig Dienstag und Mittwoch 
durch Flottilen und Chartersegler voll belegt sind (Stand 7/2017). 
An den übrigen Tagen Reservierung ohne Probleme möglich.
Allerdings wird Buchung über das ACI-Buchungssystem (gegen Aufpreis/nicht unerhebliche Stornogebühr) gegenüber telefonischer Anmeldung bevorzugt.

Tel. 385 (0)20 711 661
Mobile +385 (0)98 398 854
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Korcula: Dieselpest und Lichtmaschine. (Teil 1) Oder: Wie Segeln Menschen zusammenbringt.

Im vorigen Post schrieb ich, wie ungeahntes Leben in meinem Tank zu 35 Zentimeter langen organischen Gebilden führt,
die unterwegs auf dem Meer LEVJEs Motor lahmlegten. Und was ich einer abgelegenen Bucht dagegen unternahm.
Hier die Fortsetzung: 

Auch das ist ein Ergebnis beginnender Dieselpest: Ein mit braunem Schleim zugesetzter Filter. Und alles das unterwegs auf dem Meer

1. Ein Motor, der nicht will.
Da hatte ich also in einer abgelegenen Bucht auf Lastovo und vor Anker versucht, meine 200 Liter Diesel im Tank sauberzufiltern. Hatte die im vorigen Post beschriebenen Gebilde entdeckt. Hatte einen halben Tag versucht, alles reinzuwaschen. „Dialyse für den Diesel“. Erst als ich etwa 20 Liter reinen, ohne Schlamm versetzten Kraftstoff heraufgepumpt hatte, gab ich Ruhe. Und hatte eine gutes Gefühl.

Doch eine Stunde nach dem Ablegen starb der Motor südöstlich der Insel Lastovo erneut ab. Ich nahm es gelassen. Ich meinte ja zu wissen, was ich zu tun hatte:

1. Tankleitung am Tank abschrauben.
2. Nachsehen, ob eines der Fadengebilde erneut die Leitung verstopft hatte.
3. Leitung durchpusten. Und entlüften.
4. Motor starten.

Aber so einfach macht es einem das Leben nicht. Denn erstens war die Kraftstoffleitung frei. Und zweitens startete der Motor trotz aller Versuche nicht. Erst als ich den Kraftstoff-Filter abschraubte, sah ich die Bescherung: Der Kraftstofffilter war voller Schleimfäden, die die Dieselalgen gesponnen hatten.

Ich hatte keinen Reservefilter dabei. Reinigen des Filters misslang. Ich telefonierte mit der nächstgelegenen Werft auf Korcula, die mir eine Handynummer schickte. Eine ältere Männerstimme meldete sich. Er heiße Angelo. Ja, ich solle kommen. Ja, sie brächten mich auch ohne Motor in die Marina. Ich solle mich beeilen. Es würde in drei Stunden Wind aus Nordwest geben. Sehr viel Wind.

2. Ankunft auf einer Insel im Starkwind.

Typische Windverhältnisse am späten Nachmittag im Norden vor der Inselhauptstadt Korcula.

Es war nicht viel, was ich über die Insel Korcula wusste. Ich setzte einfach die Segel, weil ich den Motor nicht wieder zum Laufen brachte. Und weil ich keine Wahl hatte. Ein leichter West trieb mich langsam nach Nordosten, ich setzte jeden Fetzen, den ich hatte, segelte Schmetterling mit weit ausgestellten Segeln, aus Sorge, nur ja keinen Lufthauch zu verpassen, um nur ja vor Einsetzen des Starkwinds im Hafen zu sein.

Anfangs hatte ich Sorge, die Brise würde abflauen. Und LEVJE und mich einfach in der Weite des windstillen Meeres dümpelnd über Nacht liegenlassen. Doch die Brise nahm zu, je weiter ich mich von Süden der Insel Korcula näherte. Gegen 16 Uhr rundete ich die Südostspitze Korculas. Und sah die Bescherung: Korcula bildet zur nördlich gelegenen Halbinsel Peljesac einen engen Kanal, durch den der Nordwest wie durch eine Trillerpfeiffe gepresst und beschleunigt wird. Aus einem milden West auf dem Meer wird an der Korculas Nordküste sechs bis sieben Windstärken.

Da war er, der viele Wind, von dem Angelo gesprochen hatte. Ich reffte Genua und Groß auf ein Drittel. Und machte mich an die Arbeit, mühsam gegenan aufzukreuzen.

30 Knoten, in der Spitze mehr als 35 Knoten zeigte der Windmesser. Aber ich brauchte keinen Windmesser. Das hektische tak-tak-tak-tak des Spifalls am Mast, das Knattern der verkleinerten Genua, die vom Wind umeinander geschlagenenen Fockschoten und die sich im Licht des Nachmittags brechenden Wellenkämme sagten, was es zu sagen gab. Wieder einmal verfluchte ich die Rollgenua: Was gäbe ich jetzt für eine Stagfock, die ordentlich steht und zieht bei diesem Wind statt des sich strangulierenden, würgend-verdrehten Tuchfetzens, den ordentlich zurechtzuziehen ich weder Zeit eine Hand frei hatte. Doch LEVJE kam auch mit kleinem Tuch gut vom Fleck. Fast erreichte ich die Kreuzschläge, fast die Wendewinkel, die ich mir draußen als Weg durch die Inseln hindurch markiert hatte. Nach einer Dreiviertelstunde Starkwindkreuzen hatte ich die Einfahrt vor mir. Und rief Angelos Nummer an. Der meinte, bei dem Wind könne er kein Schiff ohne Motor in den Hafen bringen; ich solle drüben, wo ich das andere Segelboot sähe, unter Segeln den Anker fallen lassen; er würde jemanden schicken auf einem Motorboot. Mit einem Filter.

Ich kreuzte zwischen Hafeneinfahrt und Stadtmauer hin und her. Chaos im Hafen: Segler, die wegen des Starkwindes in den Hafen drängten. Oder davor auf weitere Anweisung warteten. Tohuwabo. Und LEVJE ohne Motor, unter Segeln mittendrin. Mittendurch kreuzend. Ich kreuzte dreimal, viermal unter Segeln an der Stelle vorbei, von der ich dachte, es wäre die von Angelo bezeichnete Stelle. Windschatten unter der Stadtmauer, so dachte ich. Nach dem vierten Mal wagte ichs: Aufschiesser in den Wind. Segel loswerfen. Anker auf zehn Meter fallen lassen. Alles wie einst beim Segelschein gelernt.

Und doch war alles anders: Denn der Wind, der von der gegenüberliegenden Seite kam, schien hier unter der Stadtmauer nicht bloß ein windstilles Fleckchenzu erzeugen. Er drehte vor der alten Stadtmauer um 180 Grad. Und kam plötzlich aus Südost. Er fächelte auf die Stadtmauer zu. Und wir: Wir stoppten nicht auf. LEVJE lief unter Segeln weiter auf die Stadtmauer zu. Blieb einfach nicht stehen. Der sich drehende Wind ließ sie einfach nicht zum Stehen. Wir kamen den Felsen vor der Stadtmauer gefährlich nahe.

3. Das Ende eines langen Tages.

Es waren beschissene, bange Minuten. Touristen, die ahnungslos freundlich von der Stadtmauer herunterwinkten. Fahrer von Wassertaxis, die meine Not sahen. Dass ich auf die Felsen vor der Stadtmauer zutrieb. Und achselzuckend vorbeifuhren. „Man kann immer etwas tun auf einem Segelboot. In jeder Situation.“ Ich rief Angelo an. Aber er sagte, dass er wegen des Tohuwabohus im Hafen erst in zehn Minuten jemanden schicken könne. Wir eierten vor den Felsen im sich drehenden Wind. Bis ich in meiner Not den Zündschlüssel drehte. Vielleicht war noch ein bisschen Sprit in der eigentlich leeren Leitung. Der Diesel sprang bullernd an. Ich legte den Gang ein. Und 20 Sekunden Schraubendrehung reichten, uns dreißig Meter weit weg vor den Felsen hinaus in die windige Bucht zu schieben.

Fünf Minuten kam ein Schlauchboot auf uns zu. Ein Mann darin. Petar. Mechaniker. Samt neuem Filter. Er machte sich sofort an die Arbeit. Aber auch er schaffte es ebensowenig wie ich, die Dieselleitung wieder zu füllen.

Wir trieben vor der Stadtmauer. Petar schraubte unter Deck. Erst als er die ganze Leitung zerlegt hatte, fand er weitere Schleimklumpen, die die Leitung verstopft hatten. Ich hatte nicht gründlich genug gesucht. Aber plötzlich sprang er wieder an. Der Diesel. Petar grinste. Wir sollten heute Nacht in der Bucht südlich vor der Insel ankern. Im Hafen wäre kein Handtuch breit mehr Platz. Und am nächsten Morgen in den Hafen kommen.

Ich erzähle nun nicht, dass der Anker vor der Klosterinsel Badija samt fünfzig Meter Kette einfach im Starkwind nicht halten wollte. Dass wir wie die anderen Ankerlieger, die hier untergekrochen waren, mehrere Male neu Ankern mussten. Als fände mein Zwanzig-Kilo-Bügelanker dort unten in zehn Meter Tiefe nicht harten Meeresboden, sondern einfach nur Vanillepudding.

Als dann auch noch die Lichtmaschine streikte und die Batterien nicht mehr lud, war es um meine Contenance geschehen. Dieser Tag war zu viel. Ich war an eine Grenze gekommen. Meine Grenze. Es ging nicht mehr.

… Fortsetzung dieses Posts in den nächsten beiden Tagen.

  

Korcula: Dieselpest und Lichtmaschine. (Teil 1) Oder: Wie Segeln Menschen zusammenbringt.

Im vorigen Post schrieb ich, wie ungeahntes Leben in meinem Tank zu 35 Zentimeter langen organischen Gebilden führt,
die unterwegs auf dem Meer LEVJEs Motor lahmlegten. Und was ich einer abgelegenen Bucht dagegen unternahm.
Hier die Fortsetzung: 

Auch das ist ein Ergebnis beginnender Dieselpest: Ein mit braunem Schleim zugesetzter Filter. Und alles das unterwegs auf dem Meer

1. Ein Motor, der nicht will.
Da hatte ich also in einer abgelegenen Bucht auf Lastovo und vor Anker versucht, meine 200 Liter Diesel im Tank sauberzufiltern. Hatte die im vorigen Post beschriebenen Gebilde entdeckt. Hatte einen halben Tag versucht, alles reinzuwaschen. „Dialyse für den Diesel“. Erst als ich etwa 20 Liter reinen, ohne Schlamm versetzten Kraftstoff heraufgepumpt hatte, gab ich Ruhe. Und hatte eine gutes Gefühl.

Doch eine Stunde nach dem Ablegen starb der Motor südöstlich der Insel Lastovo erneut ab. Ich nahm es gelassen. Ich meinte ja zu wissen, was ich zu tun hatte:

1. Tankleitung am Tank abschrauben.
2. Nachsehen, ob eines der Fadengebilde erneut die Leitung verstopft hatte.
3. Leitung durchpusten. Und entlüften.
4. Motor starten.

Aber so einfach macht es einem das Leben nicht. Denn erstens war die Kraftstoffleitung frei. Und zweitens startete der Motor trotz aller Versuche nicht. Erst als ich den Kraftstoff-Filter abschraubte, sah ich die Bescherung: Der Kraftstofffilter war voller Schleimfäden, die die Dieselalgen gesponnen hatten.

Ich hatte keinen Reservefilter dabei. Reinigen des Filters misslang. Ich telefonierte mit der nächstgelegenen Werft auf Korcula, die mir eine Handynummer schickte. Eine ältere Männerstimme meldete sich. Er heiße Angelo. Ja, ich solle kommen. Ja, sie brächten mich auch ohne Motor in die Marina. Ich solle mich beeilen. Es würde in drei Stunden Wind aus Nordwest geben. Sehr viel Wind.

2. Ankunft auf einer Insel im Starkwind.

Typische Windverhältnisse am späten Nachmittag im Norden vor der Inselhauptstadt Korcula.

Es war nicht viel, was ich über die Insel Korcula wusste. Ich setzte einfach die Segel, weil ich den Motor nicht wieder zum Laufen brachte. Und weil ich keine Wahl hatte. Ein leichter West trieb mich langsam nach Nordosten, ich setzte jeden Fetzen, den ich hatte, segelte Schmetterling mit weit ausgestellten Segeln, aus Sorge, nur ja keinen Lufthauch zu verpassen, um nur ja vor Einsetzen des Starkwinds im Hafen zu sein.

Anfangs hatte ich Sorge, die Brise würde abflauen. Und LEVJE und mich einfach in der Weite des windstillen Meeres dümpelnd über Nacht liegenlassen. Doch die Brise nahm zu, je weiter ich mich von Süden der Insel Korcula näherte. Gegen 16 Uhr rundete ich die Südostspitze Korculas. Und sah die Bescherung: Korcula bildet zur nördlich gelegenen Halbinsel Peljesac einen engen Kanal, durch den der Nordwest wie durch eine Trillerpfeiffe gepresst und beschleunigt wird. Aus einem milden West auf dem Meer wird an der Korculas Nordküste sechs bis sieben Windstärken.

Da war er, der viele Wind, von dem Angelo gesprochen hatte. Ich reffte Genua und Groß auf ein Drittel. Und machte mich an die Arbeit, mühsam gegenan aufzukreuzen.

30 Knoten, in der Spitze mehr als 35 Knoten zeigte der Windmesser. Aber ich brauchte keinen Windmesser. Das hektische tak-tak-tak-tak des Spifalls am Mast, das Knattern der verkleinerten Genua, die vom Wind umeinander geschlagenenen Fockschoten und die sich im Licht des Nachmittags brechenden Wellenkämme sagten, was es zu sagen gab. Wieder einmal verfluchte ich die Rollgenua: Was gäbe ich jetzt für eine Stagfock, die ordentlich steht und zieht bei diesem Wind statt des sich strangulierenden, würgend-verdrehten Tuchfetzens, den ordentlich zurechtzuziehen ich weder Zeit eine Hand frei hatte. Doch LEVJE kam auch mit kleinem Tuch gut vom Fleck. Fast erreichte ich die Kreuzschläge, fast die Wendewinkel, die ich mir draußen als Weg durch die Inseln hindurch markiert hatte. Nach einer Dreiviertelstunde Starkwindkreuzen hatte ich die Einfahrt vor mir. Und rief Angelos Nummer an. Der meinte, bei dem Wind könne er kein Schiff ohne Motor in den Hafen bringen; ich solle drüben, wo ich das andere Segelboot sähe, unter Segeln den Anker fallen lassen; er würde jemanden schicken auf einem Motorboot. Mit einem Filter.

Ich kreuzte zwischen Hafeneinfahrt und Stadtmauer hin und her. Chaos im Hafen: Segler, die wegen des Starkwindes in den Hafen drängten. Oder davor auf weitere Anweisung warteten. Tohuwabo. Und LEVJE ohne Motor, unter Segeln mittendrin. Mittendurch kreuzend. Ich kreuzte dreimal, viermal unter Segeln an der Stelle vorbei, von der ich dachte, es wäre die von Angelo bezeichnete Stelle. Windschatten unter der Stadtmauer, so dachte ich. Nach dem vierten Mal wagte ichs: Aufschiesser in den Wind. Segel loswerfen. Anker auf zehn Meter fallen lassen. Alles wie einst beim Segelschein gelernt.

Und doch war alles anders: Denn der Wind, der von der gegenüberliegenden Seite kam, schien hier unter der Stadtmauer nicht bloß ein windstilles Fleckchenzu erzeugen. Er drehte vor der alten Stadtmauer um 180 Grad. Und kam plötzlich aus Südost. Er fächelte auf die Stadtmauer zu. Und wir: Wir stoppten nicht auf. LEVJE lief unter Segeln weiter auf die Stadtmauer zu. Blieb einfach nicht stehen. Der sich drehende Wind ließ sie einfach nicht zum Stehen. Wir kamen den Felsen vor der Stadtmauer gefährlich nahe.

3. Das Ende eines langen Tages.

Es waren beschissene, bange Minuten. Touristen, die ahnungslos freundlich von der Stadtmauer herunterwinkten. Fahrer von Wassertaxis, die meine Not sahen. Dass ich auf die Felsen vor der Stadtmauer zutrieb. Und achselzuckend vorbeifuhren. „Man kann immer etwas tun auf einem Segelboot. In jeder Situation.“ Ich rief Angelo an. Aber er sagte, dass er wegen des Tohuwabohus im Hafen erst in zehn Minuten jemanden schicken könne. Wir eierten vor den Felsen im sich drehenden Wind. Bis ich in meiner Not den Zündschlüssel drehte. Vielleicht war noch ein bisschen Sprit in der eigentlich leeren Leitung. Der Diesel sprang bullernd an. Ich legte den Gang ein. Und 20 Sekunden Schraubendrehung reichten, uns dreißig Meter weit weg vor den Felsen hinaus in die windige Bucht zu schieben.

Fünf Minuten kam ein Schlauchboot auf uns zu. Ein Mann darin. Petar. Mechaniker. Samt neuem Filter. Er machte sich sofort an die Arbeit. Aber auch er schaffte es ebensowenig wie ich, die Dieselleitung wieder zu füllen.

Wir trieben vor der Stadtmauer. Petar schraubte unter Deck. Erst als er die ganze Leitung zerlegt hatte, fand er weitere Schleimklumpen, die die Leitung verstopft hatten. Ich hatte nicht gründlich genug gesucht. Aber plötzlich sprang er wieder an. Der Diesel. Petar grinste. Wir sollten heute Nacht in der Bucht südlich vor der Insel ankern. Im Hafen wäre kein Handtuch breit mehr Platz. Und am nächsten Morgen in den Hafen kommen.

Ich erzähle nun nicht, dass der Anker vor der Klosterinsel Badija samt fünfzig Meter Kette einfach im Starkwind nicht halten wollte. Dass wir wie die anderen Ankerlieger, die hier untergekrochen waren, mehrere Male neu Ankern mussten. Als fände mein Zwanzig-Kilo-Bügelanker dort unten in zehn Meter Tiefe nicht harten Meeresboden, sondern einfach nur Vanillepudding.

Als dann auch noch die Lichtmaschine streikte und die Batterien nicht mehr lud, war es um meine Contenance geschehen. Dieser Tag war zu viel. Ich war an eine Grenze gekommen. Meine Grenze. Es ging nicht mehr.

… Fortsetzung dieses Posts in den nächsten beiden Tagen.

  

Dieselpest. Oder: Das Leben in meinem Tank.

Ein schöner Morgen in Kroatien. Ablegen aus der Bucht Vela Luka ganz im Westen der Insel Korcula. Aber kaum draußen aus der Bucht stottert der Motor. Und stirbt ab. Ein Vierzylinder sagt einfach Tschüss. Und bleibt stehen.

Neustart. Er machts. Und läuft einfach erstmal weiter. Die Hoffnung, die in einem Winkel meines Hirns gedeiht, dass das ein einmaliges Ereignis gewesen sein könnte. Aber während ich den Gedanken denke, sagt eine andere Ecke meines Hirns: „Du weißt genau, dass ein Diesel nicht einfach mal stehen bleibt. Einmal ist nur der Anfang“.

Zehn Minuten später geht der Motor stotternd erneut aus. Er setzt aus. Wir setzen Segel. Kurs Richtung Lastovo, noch weiter nach draußen. Ich gönne dem Motor eine Ruhepause. Und habe die Filter im Verdacht. Einen nach dem anderen inspiziere ich. Das Schauglas vom Wasserabscheider. Nichts trüb. Alles klar. Kein Wasser. Dann den Kraftstofffilter an der Maschine. Nichts. Ich bin ratlos.

Es muss mit der Kraftstoffleitung zu tun haben. Anruf in der SUBEAM-Werft. Ergebnis: Es könnte ein Pfropfen in der Ansaugleitung des Dieseltanks sein. Der Tipp:

1. Erstmal an der dem Motor nächstgelegenen Entlüftung nachsehen, ob Diesel kommt. Oder die Leitung leer ist.

2. Ist sie leer, die Leitung vor dem ersten Filter abschrauben. Und reinpusten.

Die Kraftstoffleitung bei der Entlüftung ist leer. Also schraube ich die hintere Leitung ab. Und puste. Wie doof. Richtung Tank. Aber außer einem hochroten Kopf kein Ergebnis. Die Leitung – ist zu. Tot. Da kommt nix durch.

Wenn ich nicht weiterkomme mit einem Problem, wandere ich. Ein in Bewegung bleiben. Ich setze mich ins Cockpit zu meiner Frau. Mittlerweile hat der Wind erheblich aufgefrischt, 5-6 bft. Zeit zu reffen. Und Zeit, eine Lösung fürs Pusten zu finden.

Ich schnappe mir, während Katrin gerefft zwischen Korciula und Lastovo steuert, am Nachmittag den Tretblasebalg des Dinghis. Ein stabiles Ding meines Vorbesitzers. Zerschneide den Luftschlauch. Und baue mir mit drei anderen Kraftstoff-Schlauchresten – nein, ich kann einfach nichts wegwerfen. Und ein Stück Kraftstoffschlauch schon gar nicht! – und Rohrschellen einen Anschluss für die Kraftstoffleitung.

Dann schließe ich meine selbstgebaute Pustepumpe an den Stutzen an, der aus dem Tank führt.

Nichts. Der Tretbalg bleibt hart wie ein Teak-Klotz, wenn ich drauftrample. Ich stelle mit beiden Beinen drauf, erhöhe den Druck auf dem Tretbalg auf Körpergewicht. „Prüfdruck 90 Kilo“ – das hält der Blasebalg ganz sicher nicht aus. Oder? Er hält. Plötzlich gehts für mich abwärts. Die Luft entweicht. Und aus den Tiefen des 210-Liter-Edelsathl-Dieseltanks neben mir erklingt ein befreites Geblubber.

Hurra.

Meinen Durchpuster wieder abbauen. Kraftstoffleitung wieder dran. Ganze Leitung entlüften. Dann Zündschlüssel drehen. Er springt ohne Murren an. Und läuft.

Hurra.

Aber nur 35 Minuten. So lange dauert die Fahrt Richtung Lastovo. Dann setzt der Motor wieder aus. Mit Stottern.

Aber ich weiß ja jetzt, was zu tun ist: Selbstgebauten Durchpuster wieder an den Tank anschließen. „Prüfdruck auf 90 Kilo“ erhöhen. Rrrrrrrumms machts im Tank, gefolgt von Geblubber.

Diesmal stirbt der Motor nach zehn Minuten ab. Ich erwäge den Gedanken, statt der vor dem Starkwind schützenden Bucht im Westen Lastovos fünf, sechs Stunden Richtung MARINA KORCIULA zu segeln. Antonia vom Empfang ist – anders als zuvor MARINA PALMIZANA auf Hvar – überaus freundlich. Sie sei bis neun da. Danach nur der Wachdienst. Aber die würden mich schon irgendwie reinkriegen.

Ich verwerfe den Gedanken. Also Lastovo. Nach noch einmal durchpusten hält der Motor durch die Einfahrt zwischen den Meerengen durch. Wir lassen das Großsegel stehen. Und suchen uns einen Platz in der vollen Bucht.

Blick über Inspektionsluke samt Tankgeber in die hellblaue Diesel-Tiefe, wo nur mein Schlauch hinunterrreicht.

Am nächsten Morgen zeitig raus. Ich rücke den 200 Litern Diesel auf den Leib. Schraube die Inspektionsluke ab. Blicke hinunter auf 200 Liter blauschimmerndes Diesel. Auch da ist nichts zu sehen. Einen weiteren meiner Freunde aus meinem Schatz, dem Schlauchschapp an die kleine Handpumpe anschließen. Und dann in die Tiefen des Tanks versenken. Und Diesel zur Sichtkontrolle in die Wasserflaschen abfüllen. Dialyse für Diesel.

Wo sonst mein Bett ist: Heute alle meine Spielsachen: Kleine Handpumpe. Leere Wasserflaschen. Schläuche. Und jede Menge Papaiertücher.

Zuerst nichts. Bei der sechsten Flasche Diesel stockt die Handpumpe. Sie will nicht mehr. Irgendwas blockiert. Steckt im Schlauch. Wehrt sich. Ich hole den Schlauch aus dem Tank. Zerlege ihn. Und die Pumpe. Finde das da:

Ein dreißig Zentimeter langes Teil, das aus meiner Pumpe kommt. Und aussieht wie ein Bandwurm. Ein faseriger Organismus, schleimig, dicht, fest, den ich nach und nach aus der kleinen Handpumpe ziehe.

Ich betreibe meine „Diesel-Dialyse“ den Vormittag und den halben Nachmittag.
Mit dem Schlauch jedes Mal an die tiefste Stelle des Tanks.
Danach mit schnellen, möglichst saugstarken Zügen der Handpumpe Diesel in die drei 1,5-Liter-Wasserflaschen füllen.
Sichtkontrolle. Filtern.
Was sauber ist: zurück in den vollen Tank.

Ich finde noch verschiedene Reste dieses Gewebes. Keiner der Bandwurm-ähnlichen Organismen kürzer als 10 Zentimeter. Etwas Schleim, kein Becherglas voll.

Etwas Anstrengung kostet der Stutzen Tankboden. Der Ablauf, der noch im Herbst funktionierte – jetzt ist er verstopft. Auch da hängt was drin. Aber mit Durchpusten schaffe ich es, ihn frei zu bekommen.

Am Abend läuft der Motor über eine Stunde anstandslos. Und dann noch eine Stunde, während des Verlegens auf einen anderen Ankerplatz in der Bucht.

Hardfacts:

1. Boot im Herbst neu gekauft nach langer Standzeit.
2. Deshalb GROTAMAR im Herbst in den Tank gekippt. Vielleicht nicht ausreichend. Aber immerhin.
3. Denn: Das Ablassen von etwa 2-3 Litern Diesel aus dem Tank via Entleerungsstutzen brachte – außer der üblichen Verschmutzung – keine nennenswerten Hinweise auf Dieselpest.
4. Seit Kauf ist die Maschine ca. 150 Motorstunden anstandslos gelaufen. Ca. 900 Seemeilen oder 1.700 Kilometer.
5. Seit Kauf wurde etwa fünf, sechs Mal frisches Diesel „nachgetankt“, um das Altdiesel schnellstens zu verdünnen.

Meine Hypothese: Die Dieselpest kann aufgrund der langen Laufzeit eigentlich nicht im Tank entstanden sein. sondern das faserige Material kam in den Tank bei einem dieser letzten Nachtank-Sessions . Das letzte „Nachtanken“ lag ca. fünf Motorstunden zurück.

Dieselpest. Oder: Das Leben in meinem Tank.

Ein schöner Morgen in Kroatien. Ablegen aus der Bucht Vela Luka ganz im Westen der Insel Korcula. Aber kaum draußen aus der Bucht stottert der Motor. Und stirbt ab. Ein Vierzylinder sagt einfach Tschüss. Und bleibt stehen.

Neustart. Er machts. Und läuft einfach erstmal weiter. Die Hoffnung, die in einem Winkel meines Hirns gedeiht, dass das ein einmaliges Ereignis gewesen sein könnte. Aber während ich den Gedanken denke, sagt eine andere Ecke meines Hirns: „Du weißt genau, dass ein Diesel nicht einfach mal stehen bleibt. Einmal ist nur der Anfang“.

Zehn Minuten später geht der Motor stotternd erneut aus. Er setzt aus. Wir setzen Segel. Kurs Richtung Lastovo, noch weiter nach draußen. Ich gönne dem Motor eine Ruhepause. Und habe die Filter im Verdacht. Einen nach dem anderen inspiziere ich. Das Schauglas vom Wasserabscheider. Nichts trüb. Alles klar. Kein Wasser. Dann den Kraftstofffilter an der Maschine. Nichts. Ich bin ratlos.

Es muss mit der Kraftstoffleitung zu tun haben. Anruf in der SUBEAM-Werft. Ergebnis: Es könnte ein Pfropfen in der Ansaugleitung des Dieseltanks sein. Der Tipp:

1. Erstmal an der dem Motor nächstgelegenen Entlüftung nachsehen, ob Diesel kommt. Oder die Leitung leer ist.

2. Ist sie leer, die Leitung vor dem ersten Filter abschrauben. Und reinpusten.

Die Kraftstoffleitung bei der Entlüftung ist leer. Also schraube ich die hintere Leitung ab. Und puste. Wie doof. Richtung Tank. Aber außer einem hochroten Kopf kein Ergebnis. Die Leitung – ist zu. Tot. Da kommt nix durch.

Wenn ich nicht weiterkomme mit einem Problem, wandere ich. Ein in Bewegung bleiben. Ich setze mich ins Cockpit zu meiner Frau. Mittlerweile hat der Wind erheblich aufgefrischt, 5-6 bft. Zeit zu reffen. Und Zeit, eine Lösung fürs Pusten zu finden.

Ich schnappe mir, während Katrin gerefft zwischen Korciula und Lastovo steuert, am Nachmittag den Tretblasebalg des Dinghis. Ein stabiles Ding meines Vorbesitzers. Zerschneide den Luftschlauch. Und baue mir mit drei anderen Kraftstoff-Schlauchresten – nein, ich kann einfach nichts wegwerfen. Und ein Stück Kraftstoffschlauch schon gar nicht! – und Rohrschellen einen Anschluss für die Kraftstoffleitung.

Dann schließe ich meine selbstgebaute Pustepumpe an den Stutzen an, der aus dem Tank führt.

Nichts. Der Tretbalg bleibt hart wie ein Teak-Klotz, wenn ich drauftrample. Ich stelle mit beiden Beinen drauf, erhöhe den Druck auf dem Tretbalg auf Körpergewicht. „Prüfdruck 90 Kilo“ – das hält der Blasebalg ganz sicher nicht aus. Oder? Er hält. Plötzlich gehts für mich abwärts. Die Luft entweicht. Und aus den Tiefen des 210-Liter-Edelsathl-Dieseltanks neben mir erklingt ein befreites Geblubber.

Hurra.

Meinen Durchpuster wieder abbauen. Kraftstoffleitung wieder dran. Ganze Leitung entlüften. Dann Zündschlüssel drehen. Er springt ohne Murren an. Und läuft.

Hurra.

Aber nur 35 Minuten. So lange dauert die Fahrt Richtung Lastovo. Dann setzt der Motor wieder aus. Mit Stottern.

Aber ich weiß ja jetzt, was zu tun ist: Selbstgebauten Durchpuster wieder an den Tank anschließen. „Prüfdruck auf 90 Kilo“ erhöhen. Rrrrrrrumms machts im Tank, gefolgt von Geblubber.

Diesmal stirbt der Motor nach zehn Minuten ab. Ich erwäge den Gedanken, statt der vor dem Starkwind schützenden Bucht im Westen Lastovos fünf, sechs Stunden Richtung MARINA KORCIULA zu segeln. Antonia vom Empfang ist – anders als zuvor MARINA PALMIZANA auf Hvar – überaus freundlich. Sie sei bis neun da. Danach nur der Wachdienst. Aber die würden mich schon irgendwie reinkriegen.

Ich verwerfe den Gedanken. Also Lastovo. Nach noch einmal durchpusten hält der Motor durch die Einfahrt zwischen den Meerengen durch. Wir lassen das Großsegel stehen. Und suchen uns einen Platz in der vollen Bucht.

Blick über Inspektionsluke samt Tankgeber in die hellblaue Diesel-Tiefe, wo nur mein Schlauch hinunterrreicht.

Am nächsten Morgen zeitig raus. Ich rücke den 200 Litern Diesel auf den Leib. Schraube die Inspektionsluke ab. Blicke hinunter auf 200 Liter blauschimmerndes Diesel. Auch da ist nichts zu sehen. Einen weiteren meiner Freunde aus meinem Schatz, dem Schlauchschapp an die kleine Handpumpe anschließen. Und dann in die Tiefen des Tanks versenken. Und Diesel zur Sichtkontrolle in die Wasserflaschen abfüllen. Dialyse für Diesel.

Wo sonst mein Bett ist: Heute alle meine Spielsachen: Kleine Handpumpe. Leere Wasserflaschen. Schläuche. Und jede Menge Papaiertücher.

Zuerst nichts. Bei der sechsten Flasche Diesel stockt die Handpumpe. Sie will nicht mehr. Irgendwas blockiert. Steckt im Schlauch. Wehrt sich. Ich hole den Schlauch aus dem Tank. Zerlege ihn. Und die Pumpe. Finde das da:

Ein dreißig Zentimeter langes Teil, das aus meiner Pumpe kommt. Und aussieht wie ein Bandwurm. Ein faseriger Organismus, schleimig, dicht, fest, den ich nach und nach aus der kleinen Handpumpe ziehe.

Ich betreibe meine „Diesel-Dialyse“ den Vormittag und den halben Nachmittag.
Mit dem Schlauch jedes Mal an die tiefste Stelle des Tanks.
Danach mit schnellen, möglichst saugstarken Zügen der Handpumpe Diesel in die drei 1,5-Liter-Wasserflaschen füllen.
Sichtkontrolle. Filtern.
Was sauber ist: zurück in den vollen Tank.

Ich finde noch verschiedene Reste dieses Gewebes. Keiner der Bandwurm-ähnlichen Organismen kürzer als 10 Zentimeter. Etwas Schleim, kein Becherglas voll.

Etwas Anstrengung kostet der Stutzen Tankboden. Der Ablauf, der noch im Herbst funktionierte – jetzt ist er verstopft. Auch da hängt was drin. Aber mit Durchpusten schaffe ich es, ihn frei zu bekommen.

Am Abend läuft der Motor über eine Stunde anstandslos. Und dann noch eine Stunde, während des Verlegens auf einen anderen Ankerplatz in der Bucht.

Hardfacts:

1. Boot im Herbst neu gekauft nach langer Standzeit.
2. Deshalb GROTAMAR im Herbst in den Tank gekippt. Vielleicht nicht ausreichend. Aber immerhin.
3. Denn: Das Ablassen von etwa 2-3 Litern Diesel aus dem Tank via Entleerungsstutzen brachte – außer der üblichen Verschmutzung – keine nennenswerten Hinweise auf Dieselpest.
4. Seit Kauf ist die Maschine ca. 150 Motorstunden anstandslos gelaufen. Ca. 900 Seemeilen oder 1.700 Kilometer.
5. Seit Kauf wurde etwa fünf, sechs Mal frisches Diesel „nachgetankt“, um das Altdiesel schnellstens zu verdünnen.

Meine Hypothese: Die Dieselpest kann aufgrund der langen Laufzeit eigentlich nicht im Tank entstanden sein. sondern das faserige Material kam in den Tank bei einem dieser letzten Nachtank-Sessions . Das letzte „Nachtanken“ lag ca. fünf Motorstunden zurück.