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Von England nach Irland und Schottland (13): Dublins Kneipen. Dublins Straßen.

Meine diesjährige Segelreise führt mich seit Juni  
die englische Südküste vom Solent nach Westen zu den Scilly Isles. Von dort kam ich in einem langen Schlag nach Irland und im letzten Post in Dublin an.


„What a lovely pub!“

Der Satz kommt vom Mann am Nebentisch. Sven und seine Tochter Ida, die seit heute da sind, nippen andächtig an ihrem Cider, dem perlenden Cidre, und schielen aufs Etikett ihrer Gläser. Sie sind besser im Errichten einer unsichtbaren Mauer und lassen mich allein mit dem Mann am Nebentisch, der nur zu mir spricht. Ich verstehe ihn kaum. Ob es damit zu tun hat, dass er mit seinem Glas Guinness erheblichen Vorsprung vor mir mit meinem hat? Er sitzt vermutlich schon seit Nachmittag bei der Arbeit hier im Pub in der Pearse Street, gleich bei der Pearse Train Station. Es hat vor allem mit der eigentümlichen Aussprache zu tun, in der der Mann den Satz bringt.

„Whuddd u luffffly pub!“

Ein zweites Mal fällt der Satz. Was für ein Land, dessen Sprache nur einen einzigen Vokal braucht, um auszudrücken, dass die Welt gerade richtig Klasse ist. Wir Deutschen haben  fünf Vokale, aber selbst mit denen schaffen wir das im Alltag nur ausgesprochen selten. Der Mann hat sichtlich Schlagseite, während seine Hand wie die eines Schöpfers huldvoll über das Innere des Pearse Pub  weist und seine Augen von mir Beifall für seine Schöpfung fordern. 

Wie bin ich nur hierher geraten? Zuhause trinke ich ja nie Bier. Aber seit ich vor drei Wochen vor der Isle of Wight aufgebrochen bin, trinke ich ausschließlich Bier. Jene dunkle Biersorte, die hier irgendwo in Dublin ein paar Kilometer weiter flussaufwärts am rechten Flussufer von Arthur Guinness erfunden wurde. Und weil irgendein durchtriebener Marketingmann die trotzige Behauptung in die Welt setzte, Guinness würde mit jedem Meter besser schmecken, den man sich der Brauerei am Liffey nähere, drum sitze ich jetzt hier im Pearse. Meine Testreihe in Dublin.

Der Marketingmann hat jedenfalls nicht mal unrecht. Das scheint auch mein Tischnachbar so zu sehen mit seiner Äußerung. Nur bei dem Adjektiv „lufffly“, da stimme ich meinem Nachbarn nicht zu. Viele Adjektive treffen auf das Pearse zu, aber „lovely“ am wenigsten. „Trotzig“ erscheint mir angemessener. Liebenswert trotzig, wie die Iren es sind. Als ich gestern auf dem Weg in die Stadt zum ersten Mal an dem kleeblattgrün bemalten Gebäude vorbeikam, verwarf ich den Gedanken, den ersten Test mit dem Guiness und den Kilometern hier zu beginnen. Wenn ich wo reingehe, egal ob Hotel oder Kneipe, will ich auch wissen, wie ich da wieder rauskomme. Das war mir beim Pearse nicht unbedingt klar. „Ireland. The only people that fought an empire.“ prangt stolz außen auf der Hauswand zwischen dreiblättrigen Kleeblättern, Harfen und dem Konterfei eines artig und trotzig zugleich blickenden Mannes in Anzug und grüner Krawatte, der nicht nur der Kneipe, sondern auch der ganzen Straße und dem danebenliegenden Bahnhof den Namen gab. 

Padraig Pearse war ein braver Lehrer hier in Dublin. Aber das Leben wollte es, dass er nicht nur Schulklassen auf Wanderungen auf die Dingle Halbinsel führte, sondern Iren in den Aufstand gegen die Briten. „Ein unfreies Irland wird niemals friedlich sein!“ wurde sein Wort, das die Losung war. Als der Osteraufstand 1916 fehlschlug, wurde er noch im selben Jahr von den Briten in Dublin hingerichtet. Solcherart ist also der Geist, der über dem Pearse Pub schwebt und webt.

„Whuddd u luffffly pub!“

Der Mann am Nebentisch ist jedenfalls richtig glücklich hier. Toll! Ein kleines Volk, das das „u“ zum allerschönsten Buchstaben der Welt erklärt hat! Ich signalisiere dem Mann am Nebentisch Zustimmung, schließlich ist das ja heute nicht das erste Bier in meiner Testreihe. Meine Reise begann ein paar Schritte weiter im Kennedys, das ist gleich hinterm Trinity College und nahe dort, wo dieses Dublin gegründet wurde. Es waren Wikinger, die mit ihren Langschiffen den Liffey heraufgerudert kamen und hier irgendwo auf dem Boden unter meinen Füssen eine Siedlung gründeten, nahe einer Stelle, die „schwarzer Teich“, „Duib Leann“ oder „schwarze Brühe“ heißt. Es konnte ja keiner ahnen, dass Arthur Guinness ein Jahrtausend später am selben Ort die Sache mit der „schwarzen Brühe“ derart perfektionieren würde, dass es dem Mann am Nebentisch und mir eine reine Freude ist.

Wikinger also. Natürlich waren sie Totschläger und Sklavenhändler, aber ebenso begnadete Händler und Handwerker, die ihre Stadt am Liffey zum Blühen brachten. So sehr, dass zwei verfeindete irische Großkönige ihr gieriges Auge auf die Stadt warfen. Der eine aus dem Süden. Der andere aus dem Norden. Brian Boru, der aus dem Süden, siegte in der Schlacht von Clontarf gegen den aus dem Norden, der sich mit den Wikingern verbündet hatte, gegen seinen Schwager Mael Sechnaill und Sigtrygr Seidenbart. Und weil Brian Boru siegte über die Wikinger und nur seine Harfe das Gemetzel überlebte, darum ist die Harfe das Symbol irischen Trotzes, das stolz überall prangt, wo Iren sind: Auf jeder Guiness-Dose. Auf der Heckflosse jedes Ryan-Air-Fliegers. Und außen auf dem Pearse. Bryan Borus Harfe steht heute inmitten des Trinity Colleges im ältesten Lesesaal, dem großen unter dem  

Tonnengewölbe. Was macht es denn schon aus, dass die Harfe vermutlich erst 500 Jahre nach seinem Tod in der Schlacht von Clontarf gebaut wurde? Sie ist und bleibt die Ahnherrin aller irischen Harfen. 

Leutselig wendet sich der Mann am Nebentisch wieder mir zu.

„Whuddd u luffffly pub!“

„Ja, ich hab das „u“ auch sehr, sehr lieb.“, antworte ich ihm im Geiste. „Genauso lieb wie Du.“ 

Was ein Guinness so alles mit einem anstellt mit jedem Meter, den man der Brauerei näher kommt. Oder liegts daran, dass ich beim dritten Glas bin? Der Mann am Nebentisch hält sich aber nicht lang auf, er will mir erklären, was es mit dem Gemälde über seinem Kopf auf sich hat. Ein junger Mann ist drauf zu sehen, ein Dreißigjähriger mit zwei Jahreszahlen. 

„Sie haben ihn erschossen. Hier vorn an der Straßenecke.“ Der Mann am Nebentisch sagt die Sätze erstaunlich klar. Die Ulster Volunteer Force aus dem Norden hat hier viele Morde auf dem Gewissen. Und Martin kurz vor dem Friedensschluß 1998 war eines der letzten. War ein netter Bursche.“

Der Mann blickt in sein Glas. Wieder einmal begreife ich, was dieses Europa eigentlich alles erreicht hat. Den Friedensschluss in Nordirland. Frieden im Baskenland. Eine der Leistungen ist es, Frieden in die Regionen gebracht zu haben, die sich vorher bitter bekämpften.

Vielleicht haben die Iren ja recht. Mit ihrem Trotz, an ihrer Sprache festzuhalten. An ihrem Trotz, in der EU ihren Schutz zu sehen vor dem großen, jahrhundertealten Nachbarn im Osten. Vielleicht haben sie mit all dem Recht. Ich denke daran, als ich am nächsten Tag vor dem GPO stehe in Dublin, das für die Dubliner mehr ist als nur das General Post Office, wo die Busse enden, sondern der Ort, an dem sie für ihre Unabhängigkeit kämpften.

Ich denke daran, als ich vor dem alten Holzbriefkasten des GPO mit den irischen Worten stehe. Anders als der Mann und ich kommt dieses Gälisch mit vielen Vokalen aus, sie machen die Schönheit dieser Sprache aus. 

Aber den Zustand, in dem man nur noch ein „u“ braucht, um die Schönheit der Welt zu erkennen: Den möchte ich trotzdem nicht missen.

Von England nach Irland und Schottland (12): In Dublin. Bei Cathy in der Poolbeg Marina.

Meine diesjährige Segelreise führt mich seit Juni  

die englische Südküste vom Solent nach Westen zu den Scilly Isles. Von dort kam ich in einem langen Schlag im River Suir und in Waterford irische Ostküste hinauf bis Dublin.

Nach vier Wochen auf See: Dringend fälliger Waschtag in der Poolbeg Marina Dublin. LEVJE ist nicht das große Schiff, nein, sondern das mit der flatternden Bettwäsche.

Mein Abend vor Sorrento Point kurz vor Dublin war traumhaft gewesen. Eine ruhige Nacht fast auf offener See vor einer Kulisse wie in Neapel. Doch alles hat ein Ende, das Leben ist kein Ponyhof, als die Sonne aufgeht, wirft mich starke Dünung aus Südost aus meiner Koje. Ich koche eine Tasse Tee, hole den Anker und breche auf nach Norden, zwischen der Insel mit dem Genuesenturm und den Villen am Ufer in Richtung Dublin.

Ich schrieb bereits, dass die Ostküste Dublins arm an brauchbaren Häfen sei. In Dublin ist das anders, es gibt drei große Marinas. Die größte mit dem unaussprechlichen Namen Dun Laoghaire in der breiten Bucht von Dublin. Dann Howth im Norden. Und dann die Poolbeg Marina, mitten zwischen Containerterminals und Fährhäfen am Liffey gelegen.

Während Levje langsam durch Kreuzsseen nach Norden motort, bereite ich meine Ankunft vor. Poolbeg antwortet auch beim achten Anruf nicht, Howth ignoriert meine Funksprüche. Dun Laoghaire antwortet sofort, und weil der Name ganz einfach „Dann Liiirii“ ausgesprochen wird, weil der sagenhafte König Lear hier seine keltische Ringwallfestung, seinen „Dun“ hatte und sich hier sein großes Drama abspielte, scheint mir alles unkompliziert und die Suche nach einem Liegeplatz erledigt. 

Doch als ich näherkomme, ist mir die Marina zu groß, 1.000 Schiffe liegen hier. Das ist sicher ok. Doch weil ich 2001 an Bord eines Containerfrachters als einziger Passagier in Dublin gewesen war, habe ich nur eines im Sinn: Auf dem River Liffey zu liegen, und mitten im Hafen, in der Poolbeg Marina.

Doch Poolbeg antwortete einfach nicht.

Eines Menschen Herz ist ein rätselhaftes Ding und seine Stimme ebenso. Man braucht, um der Stimme seines Herzens zu folgen, manchmal vor allem eins: Hartnäckigheit. 

Vor der Einfahrt in den Kanal funke ich Dublin Port Control an. Bitte um Erlaubnis, die Großschifffahrtsstraße den Liffey hinauf benutzen zu dürfen bis zur Poolbeg Marina. Als ich  Freigabe habe, steuere Levje am roten Leuchtturm mit der Nase, dem Nebelhorn, in den Liffey hinein und den Fluss hinauf.

Ich liebe die großen Häfen. Das hautnahe Mittendrin sein auf dem eigenen Boot neben den turmhohen Stahlwänden von Containerfrachtern und wendenden Kreuzfahrtriesen, dem Dröhnen kraftvoller Schlepper, dem Schlagen von Stahl auf Stahl, wenn Container von riesigen Kränen im Buch von Containerschiffen verschwinden, dem Fiepen der kleinen Container-LKWs, dem Sirren, den Tausenden Geräuschen, die ein echter Hafen mit sich bringt, in dem man am Steuer seines Schiffes steht. Normalerweise bin ich lärmempfindlich, bloß ein dudelndes Radio auf einem Nachbarboot kann mich schon auf die Palme bringen, aber der selbst nachts niemals endende Lärm eines richtigen Hafens, den stecke ich einfach weg und schlafe seelig grinsend ein. Ich bin auf dem Weg genau dorthin, wo ich hinwill: Zur Poolbeg Marina. 

Hinter dem letzten Containerkran und dort, wo rechts die großen Docks für die Kreuzfahrtschiffe liegen, liegt links die kleine Marina. Nicht mehr als vielleicht 60, 80 kleinere Segler sind an den Stegen vertäut, vor die ich Levje steuere, während vor mir gerade  ein Schlepper ausgerechnet die DEUTSCHLAND im Fahrwasser dreht. Ausgerechnet das Traumschiff aus der gleichnamigen Serie, mit der so viele ihr Fernweh verbinden.

Zum x-ten Mal greife ich zum Telefon. Rufe die Nummer der Poolbeg-Marina. Plötzlich ist jemand dran, eine Frauenstimme, ich sage mein Sprüchlein auf. „Klar hab ich einen Liegeplatz für Dich“, sagt die Frauenstimme in Dubliner Akzent. „Schau hier rüber, über den Wellenbrecher. Ich stehe hier oben vor dem Gebäude und winke. Mach am Wellenbrecher fest. Ich schicke Dir Damian runter, er hilft Dir beim Anlegen.“

Tatsächlich steht da oben eine ältere Frau in Blond und winkt heftig. Na dann los. Dann steht auch schon ein älterer Mann auf dem Steg, er nimmt mit zittrigen Fingern meine Leinen an, die ich ihm zuwerfe. Während ich Levje an den Steg bugsiere, hält er die Leine in der Hand. Ein Segler ist er jedenfalls nicht, ungewöhnlich in einem Hafen, kein Segler würde das so machen, ich bitte ihn mehrfach, den Festmacher schnell um die eiserne Klampe auf der Pier zu legen. Ein Windstoß, und Levje würde den Mann mir nichts, Dir nichts ins Wasser ziehen. Dann bin ich da. Schiff fest. Alles gut.

Damian grinst. Und Cathy steht vor mir. Wenn es das lebende Denkmal einer Frau gibt, für die Männer Aufstände vom Zaun brechen, weil eine Frau sie anführt, dann ist es Cathy. Cathy O’Connor, die einfache Hafenmeisterin der Poolbeg Marina. In ihr sind sie widergeboren, die Molly Pitcher aus New Jersey, die Maria Pita, die A Coruna vor der Eroberung durch Drake bewahrte, die unbekannte Frau, die vorneweg den Sturm auf die Bastille anführte. 

„Du brauchst eine Waschmaschine?,“ fragt sie. „Du hast Glück. Vorgestern kam die neue Waschmaschine, Damian hat sie mir gestern installiert. Du wirst der erste sein, der Sie benutzt. Nein, Waschpulver brauchst Du keins. Damian geht mit Dir und zeigt Dir, wie das Ding funktioniert.“

Und während Damian vorangeht, mir den kleinen Anbau zeigt, in dem ich ihm mit meinem dicken Packen Schmutzwäsche folge, während Damian mit bebender Hand einen Halbliterbecher voll Waschpulver großzügig auf sämtliche verfügbaren Fächer der Schublade verteilt, denke ich über Cathy nach.

Sie hat viel gesehen in ihrem Leben. Vielleicht nicht von der Welt, aber ganz sicher vom Leben. Ihre Augen verraten es, erzählen von einem harten Leben, von nie vermisstem Reichtum, von einem Stall voller allein erzogener Kinder, von harten Zeiten und davon, dass sich doch alles gelohnt hat, weil das Herz am rechten Fleck sitzt.

„Dein Boot ist 11,30 Meter lang? Ich schreib hier 11 Meter rein, ja? Das ist fünf Euro günstiger pro Nacht als wenn ich 12 Meter schreibe. Zahlen? Kannst Du wenn Du gehst. Hier hast Du den Schlüssel für den Steg. Und wenn Du abends ein Bier trinken willst, wir haben bis Mitternacht geöffnet.“ Sie deutet auf John, den grinsenden Farbigen, der an der Theke Gläser spült.

Die Männer, die Cathy umgeben. Damian und noch ein älterer, Tommy mit dem klaren Blick aus tiefblauen Augen, den Cathy gerade an der Bar einweist. Ich bin vorsichtig geworden, deren Alter zu schätzen, seit ich feststelle, dass Männer, die für mich steinalt aussehen, sich hinterher als zehn Jahre jünger als ich entpuppen. Damian, ein einfacher Mann im sauberen Shirt, der Cathy hilft, wo er nur kann, obwohl er niemals ein Boot besaß. Tommy mit dem blitzenden Blick. John. Die Männer lieben Cathy, da mag ihr Gesicht noch so voller Falten und ihre zittrigen Hände noch so abgearbeitet sein: Die Männer tun für sie, was sie tun können. 

Drei Waschmaschinen voll wasche ich an diesem Tag und hänge sie auf der Wäscheleine auf, die rings um Levje gespannt habe. Ich lasse sie flattern im Wind, bis sich am Abend das nächste Kreuzfahrtschiff an die Pier vor Levje legt. MEIN SCHIFF heißt es. „Wohlbefinden“, „Harmonie“, „Ruhe“ haben Marketingleute mit schöner Schreibschrift mannshoch auf die blauen Bordwände malen lassen. Ich denke mir nur, während ich mich auf den Weg in die Stadt mache: Obs ein wirklich ein Kreuzfahrtschiff wie die MEIN SCHIFF braucht, um all das zu finden, wonach unser Herz oft sucht? Ich glaube nicht. Es braucht einen Ort, ganz sicher. An diesem Ort aber vor allem Menschen wie Cathy O’Connor, die ihren Männern Sinn und ein Zuhause gibt. 

Aber vielleicht ist gerade das das Schwierige, genau diesen einen Ort zu finden. 

Von England und Irland nach Schottland (11): Die irische Westküste bis Dublin

Meine diesjährige Segelreise führt mich seit Juni  
die englische Südküste vom Solent nach Westen zu den Scilly Isles. Von dort kam ich in einem langen Schlag im River Suir und in Waterford an will nun weiter nach Dublin die irische Ostküste hinauf.

Morgens um 5 bin ich hellwach. Das liegt nicht nur daran, dass hier in Irland es ab drei bereits zu dämmern beginnt und die Dunkelheit keine sechs Stunden dauert. Es liegt auch daran, dass ich mir Sorgen mache.

Gestern war ich fünf Seemeilen durch Untiefen und Sandbänke hindurch der Mündung des River Slaney bis zur Stadt Wexford gefolgt. War zweimal auf Grund gelaufen und hatte die Stadt mit knapper Not erreicht. Heute Morgen um 7.20 Uhr will ich mit der ersten Flut auslaufen. Anders als mit der Flut komme ich nicht hier raus, über die Sandbände durch den engen Kanal.

Es ist ein grauer Tag. Doch diesmal geht alles leichter. Im Fischereihafen, wo ich im mitten im Fluss vor der Stadt und der Pier mit den großen Trawlern liege, ist alles ruhig. Nur ein paar wildgewordene kleinere Fischerboote röhren wie wildgewordene Mopeds Richtung Flussmündung, während ich den Anker hole, der als Mitbringsel vom Flussgrund ein zwei Meter langes verrostetes Kabel mit raufbringt. Mein Bootshaken schickt es schnell wieder in die Tiefe, ich gehe zurück ins Cockpit und gebe Gas. Vorbei an den gelbvioletten Flaggen, vorbei an der Insel mit der Ruine, hinein ins flach.

Ich folge diesmal der Linie, die Navionics vorgibt und die für diesen Fluss erstaunlich präzise ist. Zwei mal kratze ich mit Levjes zwei Meter Kiel über den Sand in zwei Meter Tiefe, es sind bange Momente, jeden Augenblick rechne ich damit, dass der Tiefenmesser plötzlich wie gestern gnadenlose 1,80, dann 1,70 anzeigt, gefolgt von einem Rumms. Aber alles geht gut. Die Seehunde, die genauso wie gestern neugierig die Köpfe aus dem Wasser heben, was der Trottel da über ihren Sandbänken, bekommen heute anders als gestern kein Hafenkino geboten. Als ich draußen bin, atme ich tief auf. Nur die Frage, warum ich derlei riskanten Unfug treibe, beschäftigt mich. Das Leben will gelebt sein. Der Mensch ist ein überaus neugieriges Wesen. Und wenn ich auch ein Trottel bin, der sein Schiff gestern auf die Sandbank setzte, so habe ich doch etwas gewagt und das Leben gespürt mit all seiner Furcht und dem Jubel, es doch geschafft zu haben.

Draußen ist die Welt herrlich. Die Weite der See an diesem Morgen, der Anblick eines roten Fischers im großen Grüngrau, der mir die Weite noch bewusster macht, als er vor uns vorbeizieht. Geborgen in der Weite, getragen von der Grenzenlosigkeit.

Nach Norden hin wird die Landschaft bergiger, die Lagunenlandschaft am Ufer verschwindet. Die Wicklow Mountains, ein großes Naturschutzgebiet, schicken ihre Ausläufer bis ans Meer. Der Leuchtturm von Wicklow Head mit seinem typischen roten Geländer markiert Irlands östlichsten Punkt.

Eigentlich will ich ja nur bis Arklow, eine kleine Stadt am Fluss Avoca, die ich am frühen Nachmittag erreiche. Aber die Einfahrt in den Fluss ist so eng, die verfallenden Industriegebäude vom Meer her so trostlos, dass ich weiterfahre. Nein, heute nicht noch einmal in einem flachgehenden Fluss aufsetzen. Heute Nacht will ich sicher schlafen. Dann fahre ich lieber noch die 80 Kilometer weiter bis Dublin.

Überhaupt ist die Südwestküste Irlands reich an verfallenden Fabriken und arm an brauchbaren Häfen. Auf dem 45 Seemeilen langen Stück zwischen Wexford und Dublin gibt es gerade drei Häfen, nur eine davon ist eine Marina. Die anderen beiden, Arklow und Wicklow, scheinen mir eher Arbeitshäfen an schmalen Flussläufen zu sein, in denen ich mich mit den 1,60 Meter meiner alten Levje weit wohler fühlen würde. 

Noch immer fahre ich ohne irische Gastlandflagge herum. Das geht so gar nicht. Ich krame meinen prallen Flaggensack hervor und hole mir einfach eine Italienische. Grün, weiß, rot ist die italienische Flagge. Und grün, weiß, orange die irische. Grün für die Katholiken, und orange für die Protestanten? Ich werde das Nachlesen. Jedenfalls tuts eine verwaschene italienische Flagge in Irland auch. Oder bin ich Trottel jahrelang Italiens Küsten mit einer irischen Flagge rauf- und runtergefahren? Vielleicht ist dieses Europa einander näher, als wir denken.

Noch drei Stunden bis Dublin. Am Spätnachmittag ist das Meer und der Himmel darüber in seinen schönsten Farben: Am Himmel ein zartes Leuchten, das Meer ein stahlblaues Glänzen. Als ich zum Ufer hinüberblicke, sind die verfallenden Fabriken verschwunden. Stattdessen sehe ich Baukräne, die direkt am Meer Bürohochhäuser hochziehen. Ist dies das wirtschaftliche Geheimnis des „Keltischen Tigers“, wie man die boomende irische Wirtschaft respektvoll nannte: Nichts mehr produzieren. Aber dafür Bürogebäude hochziehen, die die Europazentralen von AMAZON und GOOGLE und sonstiger Megakonzerne beherbergen? Ist Irland wie Manhattan oder Hong Kong eine Insel, auf der nichts mehr produziert, aber dafür umso eifriger Rechnungen geschrieben werden nicht für Dinge, sondern für Dienstleistungen? Ich werde es herausfinden.

Am Abend ist der Wind jedenfalls verschwunden. Das Meer liegt wie ein Stück Seidentuch, fast reglos. Ein Containerfrachter, der zwischen den beiden Inseln vor der Bucht von Dublin hervorkriecht, er hat es nicht eilig, und sich irgendwo in der Weite des Leuchtens verliert.

Und dann sind es tatsächlich die Inseln vor Dublin, an denen ich buchstäblich hängenbleibe, Dalkey und in der Ferne im Norden Howth. Auf Dalkey steht, als könnte es an diesem Abend mit seinem italienisch roten Leuchten nicht anders sein, ein Genueserturm, der jedem Kap auf Korsika zur Ehre gereichen würde. Eine allererste Ahnung überkommt mich, dass dies Dublin mehr mit dem Mittelmeer gemeinsam haben könnte, als der Breitengrad das hergibt.

Als ich in der Karte nachsehe, heißt das Kap – Sorrento Point, nach dem Sorrent in der Bucht von Neapel. Ich kann nicht anders, mein Vorsatz, diese Nacht unbedingt ruhig schlafen zu wollen schwindet, ich muss hier ankern in dieser herrlichen Bucht und den Abend genießen, mag der Schwell mich heute Nacht auch noch so quälen.

Die großen Kiefern am Ufern, die vereinzelt wie Pinien dastehen. Das alte rosa Gebäude, stehengeblieben scheint es mir seit den Tagen von James Joyce, ausgerechnet ein Ire war es, der ein Buch nach dem größten Seehelden des Mittelmeers benannte, ULYSSES. Das rote Haus, es könnte 

ebensogut auf den Klippen von Piran oder Portoroz stehen. Die alte Villa. Die Gärten. Die in den Fels gehauene Helling für ein Ruderboot. Die Steilklippen. Der Strand. Dies alles sind Requisiten aus einem anderen Stück, das Mittelmeer heißt. Und doch heißt diese Stadt, vor der ich liege: Dublin.

Viele Städte weben an einem Mythos. Palermo, die Stadt der Staufer. Athen, die Stadt der Antike. Ich bin vor Jahren viele Tage den Liffey hinaufgeschlendert und hinunter: Doch der Mythos Dublin, dem kam ich nicht auf die Spur. Aber hier am Sorrento Point an diesem Abend verstehe ich: Es ist der Mix, der Dublin an dieser Stelle ausmacht. Der Mix aus irisch, britisch und italienisch, der über meinem Abend liegt in dieser Bucht, während ich hinausschaue in die Bucht, die südlich liegt. 

Als wäre ich in der Bucht von Sorrent. Und nicht vor Dublin.

Von England nach Irland und Schottland (10): Wexford. Gefangen zwischen Untiefen und Seehunden.

Meine diesjährige Segelreise führt mich seit Juni  
die englische Südküste vom Solent nach Westen zu den Scilly Isles. Von dort kam ich in einem langen Schlag im River Suir und in Waterford an will nun weiter nach Dublin die irische Ostküste hinauf.

Von Waterford und der breiten Mündung des River Suir im Südosten Irlands bis nach Dublin ist die Küste auf 100 Seemeilen reich an Abwechslung. Und arm an Häfen für ein Boot mit zwei Meter Tiefgang wie Levje.

Die Landschaft ist schön anzuschauen, erst Kilmore hinter den Insel Saltee-Inseln, Little Saltee und Great Saltee, aber was heißt schon „great“ in Irland, unbewohnt sind sie beide, dafür mit schönen Ankerbuchten.  Hinter Irlands Südostspitze liegt der Fährhafen von Rosslare – aber der ist in der Hauptwindrichtung nach Norden vollkommen offen, was dicken Fähren nichts ausmacht, kann für unsereins schnell zur ungemütlichen Falle werden. Tatsächlich frischt vor Rosslare der Wind auf 15 Knoten auf, es ist 18.00 Uhr, Zeit nach einem geschützten Platz für die Nacht zu suchen.

Aber da ist nichts. Nur Wexford. Die Stadt mit dem kleinen Fischereihafen liegt etwa fünf Seemeilen tief in einem ausgedehnten Flachwassergebiet voller Sandbänke und Untiefen. Schwierig zu manövrieren. Eigentlich sagt mein Handbuch, der Reeds Nautical Almanach, das große Telefonbuchartige Sammelsurium, man solle das ausgedehnte Flachwassergebiet des Wexford Estuary ab einem Tiefgang von 1,30 Meter meiden. Levje hat zwei Meter.

Aber weil gerade die Nächte des Neumonds sind und damit die Tide stärker ausfällt, und weil gerade jetzt gerade das Hochwasser am höchsten steht, versuche ich mein Glück. Ich kann ja umkehren, denke ich mir, der Mensch ist blöde gelegentlich. Und mit Lagunen und Rias, den von Ebbe und Flut ausgewaschenen Flussmündungen wie der vor mir, kenne ich mich seit den Lagunen von Venedig und den Rias Portugals und Nordspanien aus. Denke ich. Also los.

Reeds Almanach sagt auch, dass es bis Wexford nur einen betonten Kanal gibt, aber der würde so oft seine Richtung ändern und versanden, so dass die beigefügte Seekarte längst nicht mehr richtig sei. Da sitzt der Segler dann allein auf der Kante mit dem tollen Telefonbuch in der Hand. Allerdings finde ich im Internet unter Wexford Harbour eine kleine App, die den Verlauf des aktuellen Kanals und die aktuelle Lage der circa 25 Bojen anzeigt. Zumindest mal etwas. Und Navionics, so zuverlässig es auf See sein mag, ist in Lagunen zu ungenau. Also los. Ich vertraue auf mein Boot und die Bojen.

Die erste Tonne, da ist sie. 5 Meter Wassertiefe, na wer sagts denn. Ich motore mit Speed in die Bucht, ich habe seitlichen Gegenwind von 15 Knoten, wenn ich die fünf Seemeilen schaffen will in einer Stunde, bevor das Wasser fällt, muss ich da auch mit 5 Knoten Speed durch. Gas heißt die Devise. Weil Hochwasser ist, sieht ja alles wunderbar wie ein See aus. Nur links von mir die im Wind abwehenden Gischtfahnen zeigen, dass dort eine Sandbank ist, an der ich mich knapp vorbeilaviere. Gruselig ist das ja schon, so nah an 30 cm Wassertiefe vorbeizusteuern.

4 Meter Wassertiefe. Dann ein Stück weiter drinnen sogar 6,50 Meter. Hier könnte ich sogar ankern, der Tidenhub beträgt 2 Meter, also hätte ich an dieser Stelle bei Ebbe immer noch 4 Meter unter mir. Aber wer weiß schon, wie breit der Kanal ist, immerhin müssten 30 Meter Kette raus, da brauche ich schon ein halbes Fußballfeld Platz. Das geben die Untiefen hier ringsum nicht her.

Und weiter gehts mit 5 Knoten. Die Gegenströmung hat eingesetzt, verflixt, das wird zeitlich eng. Das Wasser ist bereits am Fallen, 10 cm weniger Wassertiefe können jetzt entscheidend sein, „mach hinne, Junge“, wenn Du hier zwei Stunden in der Bojengasse rumtrödelst, ist das Wasser vielleicht 50 Zentimeter tiefer.

„Go, Wexford, go!“ rufe ich mir zu. Aber das auf die Sandbank geworfene Boot ist mir eine Warnung, dass Mut allein nicht jeden nach Wexford brachte, der auch dahin wollte.

3,50 Meter. Wie gut, dass das Telefonbuch doch den hilfreichen Tipp bringt, ich solle die „rhumb line“ zwischen den Bojen laufen. Als ich nachschlage, finde als Übersetzung „Loxodrome“ und „Isoazimutallinie“, der Verfasser muss da gerade einen lustigen Abend gehabt haben. Aber besoffen kann ich auch. Weil die Wassertiefe auf 3 Meter fällt, laufe ich jetzt wie ein Besoffener Schlangenlinie zwischen den Bojen, um nur ja die tiefste Stelle des unsichtbaren Kanals zu finden.
Nur: Das kostet Zeit. Viel Zeit. Zeit, die ich nicht habe.

„Go, Wexford, go!“ 2,70 Meter Wassertiefe. Die Gegenströmung wird stärker. Ich habe jetzt 70 Zentimeter unter mir. Ich kann doch hier nicht mit 5 Knoten durchrauschen, also nehme ich vor der nächsten Engstelle Fahrt raus.

Und keine Sekunde zu früh. 2,50 sagt der Tiefenmesser. Dann in rascher Folge 2,30. 2,20. 2,00. 1,90. 1,80 Meter. Mit einem sanften Rummms sitzen wir auf der Sandbank, Levje schob sich wie ein Wahl hinauf. Die analytische Hälfte meines Hirns freut sich noch, dass mein Schiff offensichtlich doch 10 Zentimeter weniger 1,90 Tiefgang hat als angenommen, während die klügere Hälfte meines Hirns erst ab da jenes widerwärtige Schaben und sich Wölben des ganzen Schiffskörpers wahrnahm, mit der der Kiel bei Grundberührung den Mast nach oben treibt.

Tausend Gedanken schießen durchs Hirn: Komm‘ ich hier wieder runter? Oder liegt Levje hier in drei Stunden, wenn das Wasser weg ist, auf der Sandbank? Wen könnte ich anrufen? Der Hafenmeister ging vor vier Stunden schon nicht ans Telefon?

Ich gebe rückwärts Gas. Erst locker. Dann fester. Und preise den Konstrukteur meiner Levje, den knorrigen, kantigen Manfred Schöchl, dass er mal wieder alles richtig gemacht und Levje einen 50 PS-Motor spendierte. Mit mageren 20 PS? Wärs jetzt vorbei.

Ich habe mehr Glück als Verstand, im Rückwärtslaufen finde ich sofort den Kanal wieder. Ahh, da sind sie ja, die 2,50 Meter. Nichts um sich drauf auszuruhen, aber 2,50 Meter sind verglichen mit 1,80 Meter ja noch Gold. Verdammt. Wo geht das hier lang? Die Tonnen sind jedenfalls nur eine bedingte Hilfe, und meine „rhumb line“ auch nicht. 

„Go, Wexford, go!“ 2,70 Meter jetzt unter mir, da wächst das Selbstvertrauen, da schwillt der Kamm. Das geht doch, 3,50 Meter jetzt, ich „rhumbe“ wieder hin und her, das funktioniert ganz gut. Da vorn ist die Stadt, das muss doch zu schaffen sein, auch wenn das Wasser fällt, es kann nicht mein Schicksal sein, mit Levje auf einer Sandbank vor Wexford zu enden.

„Go, Wexford, go!“ Ich gebe alles und stelle den Gashebel auf 5 Knoten. Das ist zu schnell, aber ich muss machen, dass ich hier rauskomme. Warum haben die denn nun statt grüner und roter Bojen nun auch manchmal nur eine rote? Nehm ich die jetzt rechts, wie sichs gehört?? Fahrbahnmitte??? Oder links???

2,50. 2,30. 2.00. 1,80. 1,70. Langsam schiebt sich Levje den Sandhang unter mir hinauf. Und diesmal richtig. Verflixt. Ich gebe rückwärts Gas. Nichts geht. So ein Miiiiiiist.

Aus dem Wasser sehen mir zwei Seehunde mit treuem Dackelblick interessiert zu, wie ich auf meiner Sandbank rummache und hilflos hantiere. „Herrchen sitzt nun fest. Hundilein kann da gar nichts machen.“

Ich versuch es noch mal. Mehr Gas. Auf und ab Hüpfen auf dem Deck hats auch schon gebracht, allerdings ist das Gehoppse meiner 90 Kilo für meine 8 Tonnen Levje geradezu lachhaft und amüsiert eher die Seehunde. Plötzlich ein Rutsch. Sie kommt! Sie kommt runter von der Sandbank!! Und rauscht mit Karacho rückwärts. Jetzt nur gleich aufstoppen, dass wir mit Levjes Ruder nicht irgendwo dagegendonnern und ihr empfindlichstes Teil lädieren.

Danke, lieber Gott, danke. Wir schwimmen wieder! Und wie gehts jetzt weiter? Da vorne ist das nächste Tonnenpaar. Soll ich umkehren? Nein, das Wasser ist am Fallen, hier komme ich nicht mehr raus, es geht nur nach vorn. Das muss doch zu machen sein, die dreiviertel Seemeile. Also weiter, bevor das Wasser hier vollends weg ist.

„Go, Wexford, go!“ Ich „rhumbe“ mich vorsichtig auf das nächste Tonnenpaar zu. Aus dem Augenwinkel entdecke ich in der Seekarte, dass ich immer auf Grund lief, wenn ich mich zu weit von der Kurslinie entfernte, die mir Navionics vorschlug. Navionics? Das führte in den Lagunen der Adria immer in die Irre, es hat sich mir tief eingeprägt: „Navionics auf See super. Sobald Du in Landnähe kommst: Nicht mehr Navionics.“ Aber hier in England und Irland scheint das anders zu sein, die Kartendaten scheinen selbst in einer Ria wie der von Wexford auf allerneuestem Stand zu sein.

Tatsächlich. Ich folge der Kurslinie, auch wenn mich der Wind immer wieder wegdrückt. Navionics zeigt tatsächlich in diesem Gebiet die ideale Kurslinie. 3,50 Meter. Ich sehe die drei Segelboote dort vorne an der Boje hinter der Insel, mit der Ruine, um die ich rum muss.

„Go, Wexford, go!“ 4,00 Meter. Vielleicht habs ich tatsächlich gleich geschafft? 7 Meter. Die ersten Häuser von Wexford. Auf der Insel hat jemand eine Fahne aufgepflanzt, zwei Farben erkenne ich, gelb und violett. Ein nautisches Warnzeichen vielleicht?

Ich laufe auf die Brücke zu. Der Strom setzt jetzt mit zwei Knoten. Das war aber richtig knapp, hier noch reinzukommen, nicht auszudenken, wie ich mich jetzt fühlen würde, 3 Seemeilen weit draußen auf einer Sandbänke liegend. Grausame Vorstellung.

Auf der Pier überall die gelbvioletten Fahnen. Die Bojen, an denen drei marode Yachten hängen, sehen schimmlig aus, und nichts für über zwei Knoten Strom. Lieber Ankern. Das Telefonbuch sagt, ich muss bis 50 Meter zur Brücke ran, davor gäbe es soliden Ankergrund auf 7 Meter, der auch die Strömung abkann. Tatsächlich. Ich drehe meine zwei Kreise, um den Ankergrund abzutasten. Alles ok. Dann fällt der Anker und hält sofort. Ich habs tatsächlich geschafft, hier reinzukommen.

Eine Weile schaue ich Levje zu, wie sie sich in der Strömung verhält. Das Loggenrädchen lärmt mit über 2 Knoten, aber mein Schiff liegt ruhig so allein im Fluss in der Abenddämmerung.

Es heißt, dass Guiness Bier mit jeder Kneipe besser schmeckt, die man der Brauerei am Liffey näherkommt. Wexford scheint mir ein ideales Terrain, um meine allabendliche Testreihe in dieser Sache fortzusetzen. Ich rudere an Land, klettere die Kaimauer zwischen den Trawlern hoch. Auf der Pier kaum Menschen, aber dafür überall die gelbvioletten Fahnen.

Ich gehe langsam in die Stadt. Autos rollen durch, mit gelbviolleten Fahnen, ich finde eine Kneipe, sie ist vollbesetzt mit jungen Leuten in Gelbviolett und Frauen, die sich Gelbviolett auf die Wangen gemalt haben. Am Thresen zwei Männer in Karl Valentin-Kostümen, zwischen denen hindurch ich mir mein Pint hole. 

Was ist hier los? Hat Wexford beim Football gewonnen? Liegt Wexford beim Windhundrennen vorn? Die Kneipe ist voller johlender Iren, ich trage mein Bier vor die Tür. Am Nebentisch geht es hoch her, sie haben mit ihrer Testreihe bereits deutlich Vorsprung vor mir. Plötzlich steht einer der jungen Männer auf, er schwankt leicht im Wind, hebt sein Glas zusammen mit den anderen und röhrt plötzlich, so laut es geht:

„Go, Wexford! Go!“

Wenn die wüssten.

Von England nach Irland und Schottland (9): Einhand über die irische See. Warum ich segle.

Meine diesjährige Segelreise wird mich von Juni an 
die englische Südküste nach Westen und von dort über Irland nach Schottland führen.
Anfang Juni Wochen bin vom Solent aufgebrochen und über die Needles, Dartmouth 
und Falmouth Harbour zu den Scilly-Isles gesegelt, um dort eine Front mit Starkwind abzuwettern. Danach sollte es in einem 24-Stunden-Schlag an die irische Südküste gehen.

Langsam verschwinden die Scilly Isles am Nachmittag am Horizont hinter mir. Von den 145 Inseln, Riffen, Felsen und Eilande der Inselgruppe sind erst all ihre Erhebungen zu sehen, eine Stunde später später sind die Inseln wie eine Herde ruhender Dromedare am Horizont. Und wieder eineinhalb Stunden später gleichen die Scilly Isles nur mehr einem Strich am Horizont, mit faserigem grauen Marker gezogen, der sich langsam auflöst. Ich hatte zwischen den Inseln Tresco und Bryher geankert und war am Vormittag noch schnell zur Insel Bryher gerudert, um in dem kleinen Inselladen zehn sandige Gehminuten vom Strand in der Inselmitte einzukaufen, der die rund 83 Inselbewohner  versorgt. Wie auf den Scilly-Islands üblich, fand ich hier, was in Südengland in keinem noch so guten Lebensmittelmarkt zu bekommen war: Frisches Brot vom Bäcker und nicht das in Scheiben geschnittene, plastikverpackte „Ewig-haltbar-Brot“. Und frisches Gemüse, um einen Topf mit Gemüsesuppe für die Überfahrt zu kochen.

Der Wetterbericht sagt bis zum Abend Windstille voraus. Dann ab 20 Uhr Wind aus Südwest, genau wie ich ihn für eine rasche Fahrt übers offene die 150 Seemeilen, 250 Kilometer nach Norden brauchen kann. Erst bis Mitternacht zunehmend auf 5 Windstärken, am Morgen vor der irischen Küste bis Mittags zunehmend auf 7 Windstärken. So, wie ich ihn nach einer schlaflosen Nacht nicht brauchen kann.

Tatsächlich ist das Meer bis zum Spätnachmittag unbewegt. Vier Stunden später nördlich der Inseln belohnt es mich, als die Sonne schräg durch die Wolken bricht. Plötzlich ist das Meer tiefblau, es scheint zu leuchten aus sich heraus, ich könnte jubeln über diese Farbe, über die Schönheit dieses Blau. Ich bin verblüfft. Selbst ein Meer, das meist grau erscheint, kann tiefblau leuchten, immer wieder bin ich verblüfft, dass die Farbe des Meeres niemals seine Farbe ist, sondern nur die Farbe des im Wasser brechenden Lichts, das einen bestimmten Farbton generiert.

Und weil heute Samstag ist und 17 Uhr, beschließe ich, dass heute Badetag ist, wie früher in meiner Kindheit. Badetag – jetzt gleich. Ich stelle Levjes Motor ab. Rolle das Großsegel ein und warte, bis Levje steht. 

Nach Stunden des Motorens ist allein die Stille hier draußen perfekt. Nur der Baum klappert etwas, ein beginnender Südwest läßt Levje leicht im Meer geigen. Aber sie bleibt brav liegen,  im leichten Wind, abhauen sollte sie ja nicht, wenn ich im Wasser bin. Ich hole meine Sachen, klappe die Badeleiter aus und steige ins Wasser. Ganz schön frisch, aber nicht kalt. Und herrlich prickelnd. Die irische See ist nicht tief, gerade mal 90 Meter ist es an dieser Stelle. Irland, England, die Scilly Isles, sie sind allesamt bergige Erhebungen auf dem großen Plateau des europäischen Festlandsschelfs. Die Länder ragen wie Gipfel über die Ebene, über die unsere Vorfahren einst wanderten, als der Meeresspiegel noch 100 Meter tiefer lag. Die Scilly Isles sind so besiedelt worden in der Steinzeit durch wandernde Jäger und Sammlerstämme.

Anders als im Mittelmeer auf 2.000 Meter zu baden, ist das hier auf 90 Meter Wassertiefe ein fast schon überschaubares Vergnügen. Während mir bei zwei Kilometern Wassersäule nicht mehr ganz geheuer ist, was da unter mir lebt und schwebt, ist das bei 90 Metern nicht ganz so gruselig. Statt eines bösartigen Tiefseerochens liegt da, wo ich jetzt gerade schwimme, am Grund bestenfalls irgendein steinzeitliches Kammergrab oder eine Steinsetzung. Viele der auf den Scilly-Isles entdeckten Steinzeit-Denkmäler sind nur bei Ebbe sichtbar.

Ich schwimme ein wenig von der Badeleiter weg. Ganz wohl ist mir dabei nicht mehr, ich bleibe brav in Levjes Nähe, selbst eine schnelle Runde schwimmend ums Schiff ist mir zu riskant, denn Levje läuft leicht mit der südwestlichen Strömung. Ich plantsche, tauche, pruste hinten um die Badeleiter herum und schaue unter Wasser den Sonnenstrahlen nach, die in der Tiefe Muster bilden.

Dann raus. An Deck. Schnell duschen. Und dann rein in frische Klamotten.  Jetzt noch ein Teller heiße Suppe, dann ist mein Badetag perfekt.

20 Uhr. Aus der leichten Dünung von Südwest werden Wellen. Ich sehe sie, wenn ich unter Deck gehe und aus dem Salonfenster nach draußen blicke, dann habe ich die Wellen auf Augenhöhe, etwa einen Meter dürften sie hoch sein. Das dürften die Vorboten des Südwest sein, den die Wetterberichte ankündigten. Levje läuft jetzt ruckiger und nicht mehr so sauber durch die Wellen wie noch heute Nachmittag. Ich habe jetzt 35 Seemeilen hinter mir. Und noch 110 vor mir. Noch 20 Stunden auf See.

Als die Sonne hinter einer Wolkenbank verschwindet, ist es kurz vor zehn. Als wollte es mich daran erinnern, jodelt im selben Moment mein Radar los. Es hat wenige Meilen voraus ein Schiff entdeckt und gibt nun Alarm. 10 Minuten später ist das Schiff nähergekommen und läuft vor der grauen Wolkenbank durch, die wie ein Vorhang die untergehende Sonne verbirgt. Eine Fähre ist es, wohl aus dem irischen Cork in die Bretagne unterwegs, die PONT AVEN der Reederei BRITTANY FERRIES. Ihr Steuermann ist freundlich und fährt in weitem Bogen um Levje herum, es ist selten, dass ein großes Schiff so weit ausholt und seiner Pflicht nachkommt, jedem Schiff unter Segeln, auch einem winzigen, Vorfahrt einzuräumen. Das 100 Meter lange Containerschiff, das gleich hinter der Fähre kommt, tut sich damit schon schwerer und passiert so nah, dass ich lieber nachgebe und ausweiche. 

Die Nacht ist da. Der Wind hat auf 15 Knoten aufgefrischt, eine nette Brise, wir kommen gut voran, Levje rennt mit 6, 7 Knoten Richtung Irland. Im Nordosten ist es noch hell, wo die Sonne unterging, wird es die ganze Nacht über nie dunkel werden. Und vier Stunden, nachdem die Sonne knapp links vom Mast unterging, wird sie knapp rechts vom Mast wieder aufgehen. Ich bin nun soweit nördlich, dass es um diese Jahreszeit nie ganz dunkel wird.

Überhaupt ist diese Nacht auf dem Meer eine Nacht der Lichter. Die Sonne, deren Helligkeit im Norden nicht verschwindet. Ein helles Licht weit im Westen, das mich über Stunden begleitet, vermutlich ein grell erleuchteter Schleppverband. Der große Wagen über mir, wenn ich nach hinten schaue am Morgen, leuchtet der hellste Stern am Himmel. Ich bin allein und doch nicht allein. Plötzlich begleiten mich in der Dunkelheit Delphine. Ich sehe sie nicht, das Meer ist schwarz, doch immer wieder sehe ich rechts von mir drei Blasenbahnen wie die Garben heller Leuchtspurmunition durchs Wasser schießen. Erst bin ich erschrocken. Als ich mit der Taschenlampe leuchte, kann ich nichts erkennen. Noch drei Mal wiederholt sich das Spiel mit den Blasenbahnen, die unter dem Heck knapp unter der Wasseroberfläche in elegantem Bogen nach vorn zum Bug schießen und dann schnell verschwinden. Dann sind die Tiere weg, was immer sie auch gewesen sein mögen. Diese Welt hier draußen ist für mich immer noch voller Rätsel.

Als die Dämmerung im Nordosten einsetzt, bin ich müde. Der Wind ist jetzt bei 20 Knoten, der Autopilot arbeitet wie der Radaralarm zuverlässig. Ich lege mich im Salon kurz schlafen. Als Einhandsegler lebt man da in einem Dilemma. Eigentlich muss beständig jemand wach sein und Wache gehen. Das ist Vorschrift. Andererseits bin ich nun seit fast 18 Stunden wach, ich muss zusehen, dass ich weiter funktioniere. Dafür brauche ich eine Mütze voll Schlaf. Also lege ich mich im Salon auf die Bank, um gleich wieder oben zu sein, wenn der Alarm wieder losgehen sollte. Doch mit Schlafen wird es nichts. Die Schiffsbewegungen sind mittlerweile so ruppig, dass sie mich nach einigen Minuten aus dem Schlaf reißen. Ich gehe wieder an Deck und stelle mich in der Dunkelheit vor das Stoffdach. Lange schaue ich fasziniert hinaus, in das, was ich alles sehe, während mein Schiff seine Arbeit macht und allein Richtung Irland segelt.

Als es hell wird, zeigt der Windmesser 25 Knoten. Gute Windstärke sechs, fast schon eine sieben. Ich erkenne es, weil die Meeresoberfläche beginnt, sich in Streifen zu legen. Es ist wie ein Spiel. Die Wellen rollen von links hinten an, drücken das Heck aus dem Kurs und kommen dann auf der anderen Seite rauschend und gischtend wieder zum Vorschein.

Ich habe die Segelfläche verkleinert. Nicht zum ersten Mal in dieser Nacht. Von Norden, von Irland her ziehen Wolkenbänke Richtung Deutschland, bin ich unter einer, dann legt der Wind um mehr als fünf Knoten zu. Zehn Minuten später ist die Wolkenbank durch, und ich kann wieder ausreffen.

Trotz allem ist mir das hier nie über. Ich kann stundenlang beobachten, was sich in dieser fremdartigen Umgebung tut. Am Morgen hat der Wind weiter zugenommen. Ich habe jetzt fast die 100 Seemeilen hinter mir. Noch etwa acht Stunden, dann sollte den River Suir erreicht haben, mein Ziel vor der südirischen Stadt Waterford. Ich konnte trotz der harten Schiffsbewegungen unter Deck schlafen, vielleicht zehn, vielleicht dreißig Minuten. Dann weckte mich das Radar, ich musste raus, nachsehen. Nur ein Schiff weit an backbord. Ich bin danach jedenfalls erholt, hangle mich nach hinten zum Holzsitz im  Heck und lasse mich von der frischen Brise durchpusten. Ich habe oft befürchtet, dass es mich hier im Norden im Gegensatz zum Mittelmeer frieren würde, doch ich liebe diese frische Brise, sie ist nicht kalt, nur „pfefferminzfrisch“.

Hinten am Heckkorb kann ich die Seevögel beobachten. Sie kurven wie die Wilden knapp über der Wasseroberfläche. Folgen einem Wellental. Stürzen sich kurz ins Wasser, sobald sich ein Fisch zeigt. Steigen in die Luft. Kurven weiter, als wäre dies bewegte Meer nichts 

anderes als eine Wiese, die man einfach nur abweiden muss. Wo sie wohl schlafen? Vermutlich treibend auf dem Meer. Sie kennen keine Stadt, wir sind hier 70 Kilometer vom Land entfernt, es ist mir ein Rätsel, wo diese Vögel ihr Nest bauen, um ihre Jungen aufzuziehen. Alles kann man auf dem Wasser, aber die Brut warmhalten und füttern? Diese Welt hier draußen ist voller Rätsel. Ich wundere mich immer wieder, wie anders hier alles ist, wieder einmal denke ich über den anderen Kosmos hier draußen nach.

Gegen acht Uhr bläst es mit dreißig Knoten. Die Möwen kann das nicht abhalten, auf die Suche nach Frühstück zu gehen. Ich gehe kurz unter Deck, mich hübsch machen. Viel ist nicht drin. Mir die Müdigkeit aus den Augen waschen, Zähne putzen in Levjes Bad. Alles geht einhändig, mit der anderen Hand muss ich mich festhalten, das Schiff wird jetzt heftig hin- und hergeworfen. Luxuriös reisen könnte man auf einem Schiff, das noch einmal 3-5 Meter länger ist, aber das hätte seinen Preis. Es wäre für mich, der ich meistens allein unterwegs bin, nicht mehr handlebar, ganz andere Kräfte wären da am Werk.

Ich koche mir Tee. Auch das passiert einhand, vielleicht kommt ja der Begriff „Einhand-segler“ daher, dass man bei Verhältnissen wie diesen zum Teekochen und für alles übrige nur eine Hand freihat. Ich hole mir zur Belohnung die Kekse, die ich im kleinen Laden von Bryher entdeckte. Ein Keks, etwas Schokolade, über deren Geschmack man sagen kann, dass sie aus Zucker besteht und dann noch weiterer Zucker in die Rezeptur gemengt wurde, um das ganze noch mit Zucker etwas anzudicken. Genau das richtige an einem verkaterten Morgen, „Morgenstund hat Gold im Mund.“ Wer das wohl erfunden hat.

Ich hangle mich nach oben ins Cockpit. Land in Sicht. Aber das wird jetzt keine leichte Nummer, bei diesem auflandigen Wind in die Bucht zu steuern. Ich habe mir die Bucht mit der größten Flussmündung und dem tiefsten Wasser ausgesucht, im Flachwasser wäre die Gefahr zu groß, dass die brechenden Wellen Levje einfach mitreißen und wir uns überschlagen – deshalb die breiteste und tiefste Flussmündung, die ich bei der Vorbereitung finden konnte. Der River Suir hat ein kilometerbreites Mündungsdelta, ich muss mich jetzt nur noch irgendwie da hineinspülen lassen. Ich stelle mich hinter das Steuer.

Als ich den Leuchtturm passiert habe, geht die Wassertiefe unter 20 Meter. Dafür bleibt der Wind bei über 30 Knoten. Ich versuche, die Mitte der Einfahrt zu nehmen, tatsächlich sind die Wellen hier richtig groß. Am schlimmsten ist es, wenn sie neben der Bordwand brechen, denn geht Levje hart auf die Seite und dreht sich. Ich habe alle Hände voll zu tun, von unten aus dem Salon knallt es zwei Mal hart. Hoffentlich ist der Suppentopf auf dem kardanisch aufgehängten Herd stehengeblieben, aber der Wumms lässt mich das Schlimmste fürchten.

Noch eine harte Welle. Dann bin ich drinnen. Nur nimmt der Wind hier in Böen auf 35 Knoten zu. Er kommt über die Hügel vom Meer und wirft Gischt auf. Wird Zeit, dass ich hier rauskomme und irgendwo auf dem Fluss eine ruhige Ecke finde. Nein, heute bloß kein Hafen. Ich will noch draußen bleiben und die Geräusche des Flusses hören.

Es sollte noch bis zum frühen Abend dauern, und den ganzen River Suir hinauf und hinunter, bis ich endlich einen ruhigen und sicheren Ankerplatz mitten im Fluss gefunden habe.

Ob ich nach diesen 24 Stunden weiter segeln will? Natürlich. Diese unbekannte Welt weit draußen auf dem Meer zieht mich immer wieder an, ihre Andersartigkeit, aber auch die Entspannung, die sie mir schenkt. Es gab nur einen Moment, an dem ich daran dachte, mein Boot zu verkaufen und dem Segeln jetzt sofort ein Ende zu setzen. Das war, als der Anker im Flussgrund endlich hielt, ich Schwimmweste und Klamotten auszog und endlich Zeit hatte, nach unten zu gehen, um zu schlafen. Es war tatsächlich der halbvolle Suppentopf gewesen, der in dem harten Brecher seinen Platz verlassen und zu Boden gegangen war – mit allem, was drin war.

Vor einigen Tagen las ich im Buch einer britischen Schriftstellerin sinngemäß, der Reiz des Fahrtensegelns wäre schnell erklärt. Es bestünde lediglich aus zwei Vergnügen: Dem Vergnügen, aus einem sicheren Hafen in die unbändige Weite hinauszugehen. Und dem Vergnügen, aus der ungebändigten Weite zurück in einen sicheren Hafen zu kommen. Dem ist nichts hinzuzufügen. Bis auf den Suppentopf.

Von England nach Irland und Schottland (8): "Biete Windstärken. Suche Temperatur." Oder: Sturm über den Scilly Isles.

Meine diesjährige Segelreise wird mich von Juni an 
die englische Südküste nach Westen und von dort über Irland nach Schottland führen.
Vor zwei Wochen bin vom Solent aufgebrochen und über die Needles, Dartmouth 
und Falmouth Harbour zu den Scilly-Isles gesegelt,
um hier zwei Tage Starkwind mit angekündigten 30-40 Knoten abzuwettern.

In der Nacht weckt mich ein Geräusch. Es kommt von vorne am Bug, ich höre das Fauchen des Windes über dem Boot, eindeutig bläst es jetzt stärker, als noch am Abend, bevor ich einschlief.

In mein langsames Wachwerden dringt das schnelle Auf- und Abebben des Windes. Im Halbschlaf erinnert mich das Fauchen draußen an ein unbändiges, wildes Tier, ein Tiger, der wild fauchend in seinem Käfig hin und her springt, bebend vor Zorn. Als das Geräusch ein drittes Mal vom Bug kommt, zwinge ich mich aufzuwachen. Das Geräusch klingt, als würde jemand die Festmacher, mit denen das Schiff an der Boje  hängt, mit übermenschlicher Kraft wie einen nassen Lappen auswringen.

„Steh auf. Geh nachsehen.“ Es ist kurz nach vier. Ich tappe schlaftrunken durchs Boot, ziehe mir über den Schlafanzug eine warme Hose und den Wollpullover. Dann stülpe ich wie ein Bergmann die Stirnlampe über den Kopf und gehe nach draußen und durch die Dunkelheit nach vorn. Ich habe Mühe, der Wind kommt kraftvoll genau von vorn. Tatsächlich. Das Boot schwingt im Wind so stark hin und her, dass sich die beiden Festmacher zur Boje links und rechts unter dem Anker verklemmt haben. Im Schein der Stirnlampe sehe ich, wie die Spannung das merkwürdige Geräusch erzeugt.

Ich versuche in der Dunkelheit über dem Bugkorb hängend, die Festmacher zu entwirren. Der Wind ist frisch in der Dunkelheit, „pfefferminzfrisch“ nannte ich es in einem der letzten Posts, doch wärmer als ich dachte. Und stärker. Ich muss irgendwie versuchen, den 20-Kilo-schweren Anker anzuheben, damit die Leinen unter ihm durch frei laufen können. Nicht gerade meine Lieblingssportart, an einem Donnerstag Morgen um vier im flatternden Schlafanzug  einen 20-Kilo-Anker in die Höhe zu wuchten. Er wehrt sich, dafür ist er ja auch gebaut. Er verklemmt sich. Es kostet mich eine Viertelstunde fruchtlosen Rumprobierens, bis ich endlich den Dreh raushabe, ihn wie eine schlafende Muräne aus seiner Höhle ziehe und oben am Bugkorb festbinde. Jetzt laufen die Festmacher frei unter ihm durch, während das Boot in den Böen hin und her schwingt. Gut gemacht. Meine Freude darüber, eine Lösung für mein Problem gefunden zu haben, ist weit stärker als die berechtigte Frage, warum ich mir das alles antue und nicht wie andere vernünftige Menschen zuhause in meinem Bett liege. Zufrieden gehe ich nach unten und bin auch gleich weg. Wer derartige Übungen absolviert, kommt ohne Schlaftabletten aus.

Am Morgen steigert sich der Wind. Der Windmesser zeigt zwischen 20 und 25 Knoten an, sechs Windstärken. Laut Wetterbericht soll er gegen 16 Uhr von sechs auf neun gehen, für den Rest der folgenden Nacht dann acht Windstärken. Es ist ein kalter Wind am Morgen, und vor allem ungewöhnlich böig, gefolgt von Pausen der Windstille. Ostwind. Er erinnert in seinem Charakter sehr an die Bora in der Adria, kalt und klar und ungewöhnlich böig und hart wehend nah an der Küste.

Ich frühstücke gerade, als Adam in seinem Boot vorbeikommt. Adam ist der Hafenmeister auf Tresco, einer der sechs bewohnten von den 146 Inseln, die zu den Scilly Isles gehören. Adam hat mir gestern einen Zettel mit Informationen über seinen Hafen dagelassen. Er ist Anfang 30 und freut sich, dass bei diesem Wetter alle seine Bojen vermietet sind. „Hochsaison im Juni“, sagt Adam, „das haben wir auf Tresco selten. „Aber das Beste ist, dass ich dem Wind die nächsten zwei Tage nicht raus muss, denn bei diesem Wind legt keiner freiwillig ab.  Meine Frau erwartet gerade ihr zweites Kind, und weil bei dem Wind eh keiner rausgeht und alles hier unverändert ist, muss ich nicht nachsehen gehen.“ Einen Moment beneide ich Adam um seinen Job. Hafenmeister auf Tresco, einer Insel, auf der 200 Menschen leben. „Ich war Segellehrer in Southampton. Dann hab ich Leute zum Yachtmaster ausgebildet im Solent, war Instructor. Als ich meine Familie gründete, suchte ich dann was Festes und fand diese Stelle auf Tresco. Ich bin ganzjährig angestellt, im Sommer die Boote, die von Cornwall aus hierherkommen und anlegen, im Winter kümmere ich mich um die Boote der Bewohner von Tresco. Mache Antifouling, repariere.“ Ob ihm denn nie einsam sei, hier auf der Insel. „Das gibt sich“, meint Adam. „Im August ist hier Hochsaison, da wünscht Du Dir, dass es endlich wieder leerer wird und Ruhe einkehrt auf Tresco. Und Ende Februar denkst Du dann, jetzt könnte es aber langsam mal wieder vorbeisein mit der Ruhe und losgehen.“

Es ist gegen elf, als Adam sich verabschiedet und zum nächsten Boot weiterfährt. 29 Knoten zeigt der Windmesser jetzt für die Böe, die Levje zur Seite drückte, als Adam weiterfuhr. Levje neigt sich jetzt stark auf die Seite, der „30-Knoten-Knicks“ zur Seite, der anzeigt, dass die Böen jetzt um die 30 Knoten stark sein müssen. Ich gehe nach unten und kümmere mich um meinen kleinen Haushalt. Betten neu überziehen. Den Gasherd mal richtig schrubben. Soll keiner Denken, das mit dem Segeln wäre Urlaub.

Vier Stunden später, gegen 15 Uhr. Die Böen kommen jetzt nicht mehr in Abständen, sondern folgen schnell aufeinander. Der Windmesser im Masttop zeigt in der Spitze jetzt fast 34 Knoten. Windstärke sieben, ich hoffe, dass es dabei bleibt. Halte ich das Handwindmeßgerät in die Luft, ist es sofort auf 31 Knoten. Ich gehe zum x-ten Mal nach vorn, um die Festmacher an der Boje zu kontrollieren. Auf dem Rückweg muss ich mich festhalten, der Wind schiebt mich schnell übers Deck. Die Festmacher vorne sahen gut aus. Auch das Dinghi am Heck eiert brav an seiner Reepschnur im Wind.

Dann hole ich mir Edelstahl-Putzzeug und poliere den Gasherd, weil mir das ergebnis noch nicht gefällt. Zur Belohnung gibts dann ein Stück Bitterschokolade mit karameliserten Orangenstückchen, die ich gestern für sündhaft teure 4 Pfund im Supermarkt auf Tresco fand. Sie ist jeden Penny wert, genauso wie der offene Parmesan dort, die Kalamata-Oliven oder das ofenfrische Brot aus der Bäckerei, dessentwegen ich gestern vor dem Sturm noch an Land ruderte. Von allen Supermärkten, die ich zwischen hier und dem Solent besuchte, ist der Supermarkt für die 200 Einwohner von Tresco mit weitem Abstand der qualitativ Hochwertigste. Mit dem Essen ist es in England wie vor 40 Jahren: Entweder ein kapitaler Absturz oder Oberliga, England scheint, was Essen angeht, immer noch eine ausgesprochene Klassengesellschaft.

18 Uhr. Die Böen kommen jetzt ohne Unterlass, auf dem Wasser bilden sich keine 50 Meter vom Ufer entfernt Schaumkronen. Das Fauchen ist jetzt immer über dem Boot, es steigert sich und bringt die Reffleine des eingerollten Groß in Schwingung, obwohl ich sie straff gespannt habe. Fast 35 Knoten zeigt der Windmesser, das Boot beginnt zu vibrieren in heftigen Böen. 35 Knoten ist, als würde jemand in einem Raum arglos den Knopf eines Handtrockners betätigen und im Bruchteil einer Sekunde beschleunigt die Luft in diesem Raum von 0 auf 60 Stundenkilometer, eine Geschwindigkeit, bei der sich der mesnchliche Körper gegen die Luftmassen stemmen muss, will er nicht umfallen.

Halb zehn. Langsam senkt sich die Sonne über Hangman’s Island, der Insel hinter mir, auf der oben ein Galgen steht und irgendetwas baumelt. Ich glaube nicht, dass der Galgen noch aus alter Zeit ist, aber Namen von Orten haben nunmal ihre Bedeutung. Ich werde jetzt noch eine Runde übers Deck drehen. Vorne nach den Festmachern sehen und hinten nach dem Dinghi. Ich hoffe, dass der Wind über Nacht etwas abflaut. Aber immer wenn ich denke, dasss er schwächer wird, weil die Böen eine Pause machen, belehren sie mich eines besseren und zerren und rütteln am Boot. Bevor wieder ein Moment Ruhe einkehrt. 

Von England nach Irland und Schottland (7): Von Königen, Rebellen und wundersamen Inseln.

Meine diesjährige Segelreise wird mich von Juni an 
die englische Südküste nach Westen und von dort nach Irland führen. 
Spielt das Wetter mit, will ich weiter nach Norden.
Aber im Moment ist alle paar Tage mit Starkwind und mehr zu rechnen – 
auch auf den Scilly Isles.

Am Nachmittag kommt der Wind. Aber nicht, wie er für den Abend vorhergesagt war mit 6-8 Beaufort, als konstant pfeiffender Wind. Sondern als fauchende Böen. Minuten Stille und glatte See. Dann von 0 auf 23 Knoten, dass Levje sich neigt und ich drinnen höre, wie der Festmacher vorne ächzt, mit dem wir an der Boje vor der Insel Tresco hängen. Jeder Starkwind ist anders.

Vorgestern Abend bin ich auf den Scilly-Isles angekommen. Und gestern Morgen machte ich mich auf die Suche, um irgendwo zwischen den 144 Inseln der Scilly-Isles ein sicheres Eck zu finden. Ich klapperte erst den Haupthafen ab, Hugh Town auf der Hauptinsel Saint Marys, aber da lagen die Bojen sehr eng. Dann die Bucht nördlich. Da brachte mich ein französisches Seglerpaar, die die Scillies wohl seit Jahren bereisen, auf den richtigen Dreh. „Go Tresco“, sagten die beiden, geh hoch in den Kanal zur Insel Tresco, da sei es bei den angekündigten 40 Knoten am sichersten.

Die nördlich gelegene Tresco ist eine der vier Hauptinseln. Um hinzukommen gibts zwei Wege: Entweder außen um die Inselgruppe rum, das dauert fast zwei Stunden. Oder bei Flut einen in der Seekarte vorgegebenen Zickzackweg zwischen den Untiefen und Felsinseln hindurch. Weil grade Flut war und das Wasser über drei Meter über den bei Ebbe brachliegenden Bänken stand, nahm ich den kürzeren.

Ein bisschen sind solche Abkürzungen ja immer wie über rohe Eier laufen. Mit seinem Schiff  herumfahren, wo Stunden später die Wattvögel im brachliegenden Schlick picken, zehrt an den Nerven. Und wo treib ich hin, wenn der Motor ausfällt? Rums ich dann irgendwo drauf? Lieg ich sechs Stunden später mit meiner Levje zwischen Wattvögeln am Strand?

Aber alles geht gut. Ich erreiche nach einigem herumkurven die Nordbucht von Tresco, ein schlauchartiger Kanal, der gut geschützt ist vor dem angekündigten Ost. Eine Boje ist frei. Kaum festgemacht, breche ich zu meiner Wanderung über Tresco auf und rudere hinüber an Land. Drüben  stehe ich erstmal vor einem hintersinnigen Wegweiser:

Nach links gehts also zum Schloss des Mannes, der dem königlichen Besitzer des rechten Schlosses den Kopf abschlagen ließ? Und wohin geh ich denn jetzt zuerst?

Tatsächlich ist das alles ja nur ein simpler Dreh. Weder Cromwell war hier, noch King Charles. Wohl aber haben die Truppen des einen gegen die des anderen hier im englischen Bürgerkrieg gekämpft, Rebellen gegen  Königstreue, die sich hier länger hielten als anderswo. Am Ende siegte das Parlament. Und Cromwell ließ

damit die 147 Inseln nie wieder in andere Hände fallen sollten, die Festung am Sandstrand und nah beim türkisfarbenen Wasser bauen.

Von King Charles Festung oben auf dem Gipfel hat man allerdings die bessere Aussicht über den Norden der wundersamen Inseln, wo nichts mehr ist als der Atlantik.

Aber das ist noch nicht alles, was es von den Scilly Isles zu berichten gibt. Die Inseln und meine Bucht scheinen jedenfalls sehr geschützt, jetzt gerade ist es fast windstill draußen, bevor der nächste Faucher von den Hängen herunterkommt. Ich höre gerade nichts von den Böen, nur den Skipper auf einer Yacht, der gerade das englische Traditionslied „auld long syne“ in der Dämmerung erklingen lässt. Und das Donnern der Wellen, die auf der anderen Seite im Osten auf die Insel treffen.

Ich schaue noch kurz in den Wetterbericht. So ruhig es gerade draußen ist: Wer kann schon sicher sein, dass die Wetterberichte diesmal daneben liegen und alles nicht so heftig kommt. Ich hoffe, dass es ebenso wie heute auch morgen ruhiger wird als 7-9 Windstärken, die seit Tagen für morgen Nachmittag angekündigt sind.

Von England nach Irland und Schottland (6): Von Falmouth zu den Scilly-Isles.

Meine diesjährige Segelreise wird mich von Juni an 
die englische Südküste nach Westen und von dort nach Irland führen. 
Spielt das Wetter mit, will ich weiter nach Norden.
Aber bisher spielt es nicht wirklich mit.

Es ist morgens kurz nach acht Uhr am Morgen. Bis eben lag ich drei Tage in der Falmouth Bay vor St. Mawes vor Anker. Das war nicht freiwillig. Zwei Tage hat es mit sechs bis sieben Windstärken geblasen, es war mir zuviel, um die zehn Stunden auf dem offenen Atlantik von Falmouth zu den Scilly-Isles zu segeln.

Vor einer Stunde habe ich den Motor gestartet. Es dauerte, um den Anker aus dem Grund zu ziehen, wie immer, wenn der Starkwind tagelang an Levje zerrt, hatte er sich tief in den Sand vor St. Mawes eingegraben.

Jetzt bin ich draußen. Es ist ein grauer Morgen. Die See ist scheinbar glatt, vor mir erkenne ich einen Angler, er steht aufrecht in seiner orangen Wathose in der winzigen Nußschale und wirft im Stehen seine Angel aus. Aber so glatt, wie ich denke, ist die See nicht, nicht graue Dünung geht so hoch, dass ich gelegentlich nur den Kopf des Anglers über den Wellen sehe. Die Möwen umschwirren ihn gierig, eine ist so frech, dass sie sich keine eineinhalb Meter von ihm entfernt auf den Bug des kleinen Schiffes setzt.

Meine Welt ist grau an diesem Morgen, wären da nicht die orange Wathose und die roten Segel des Schoners, der mir von Lizard Point entgegenkommt. Der Schoner mit den roten Segeln sieht aus, als würde er aus der Wolkendecke über ihm auftauchen.

Nach einer Stunde habe ich den Leuchtturm von Lizard Point querab. Er steckt im Nebel oben auf dem Plateau von Lizard Point, der Schemen eines weißen Gemäuers da drüben. Ich sehe ihn kaum, dafür höre ich ihn umso besser: Ein langes Tuten alle 20 Sekunden in den Nebel, ich muss bei dem Tuten an neblige Novembermorgen vor Anker im Nebel vor Venedig denken, der Leuchtturm auf der Punta Sabbioni klingt im Nebel nicht anders. Die Felsen vor Lizard Point holen mich wieder zurück, sie hocken geduckt im Wasser.

Ich komme langsamer vorwärts als gedacht. Der Strom setzt mit eineinhalb Knoten gegen uns und bremst uns. Ich wusste das. Und auch, dass es keine gute Seemannschaft ist, gegen den Strom loszufahren statt genau dann abzulegen, wenn der Strom genau in Richtung unseres Zieles verläuft. Gute Seemannschaft ist die heilige Kuh des Seglers, ein Regattasieg ist nur halb soviel wert, wie wenn ein geschätzter Mitsegler seinem Skipper gute Seemannschaft bescheinigt. Ich habe mich heute um gute Seemannschaft gedrückt. Mit dem Strom zu Laufen hätte bedeutet, bereits heute Nacht um  zwei Uhr abzulegen, damit ich um halb vier genau den Punkt erreicht hätte an dem ich jetzt stehe, dann hätten mich 1,3 Knoten Strom genau nach Westen geschoben. Doch soweit geht meine Liebe zur Seemannschaft dann doch nicht, mein Schlaf ist mir wichtiger. Und weil es ein windloser Tag ist, vertraue ich schnöde auf Levjes 50 PS. Siedrücken uns jetzt gerade mit fünfeinhalb Knoten durch die windlose See, nur die Logge erinnert daran, dass das Wasser an unserer Bordwand gerade mit 7 Knoten vorbeischiebt.

Immerhin war ich so gründlich, im REEDS NAUTICAL ALMANACH, dem telefonbuchdicken Handbuch für die Segelei um England nachzulesen nachzulesen, was denn vor Lizzard Point so abgeht. So viel Seemannschaft muss sein. Ich finde den merkwürdigen Satz, dass Lizard Point am besten zu runden ist „about HW Plymouth -4 and the stream sets NE from HWP-3.“

Alles klar. Ich beginne hektisch im Telefonbuch zu blättern, wann denn an diesem 24. Juni Plymouth Morgens Hochwasser ist. Ich blättere vor, ich blättere zurück, und weil ja Sommerzeit ist, sagt das Telefonbuch, muss ich bei Plymouth noch eine Stunde draufrechnen, bevor ich vier abziehe. Nein, die alte Navigation ist mir heute zu blöd, ich schaue lieber auf die Strömungspfeile in Navionics, die tuns auch.

Aber weil mich das mit der Seemannschaft ja schon piekst, lese ich noch den Hinweis über den Stromschnelle und die Warnung, wegen der Stromschnellen eher einen weiten Bogen zu fahren. „Don’t go further N than 49 Degrees 56′ 8“N.“ Also halte ich mich daran. Es kostet nur wieder etwas Zeit, kurz hinunterzugehen, mich an den Kartentisch zu setzen und mit dem Zirkel in der Hand rauszukriegen, das 49 Dingsbums etwa eine Seemeile Abstand zur Küste bedeutet. Grmpfff. Kann das Telefonbuch das nicht gleich so formulieren?

Brav halte ich mich also an die imaginäre Linie von 49 Dingsbums. Doch nur um festzustellen, dass ich der einzige Idiot an diesem Tag bin, der sich daran hält, während sieben andere Yachten Lizard Point alle im engen Radius nehmen. Nur ein Offshore-Racer, eine dieser langen Rennmaschinen, nimmt die Kurve noch andächtiger als ich weit draußen.

Man sollte über den guten alten REEDS ALMANACH deshalb nicht schlecht denken. Die See ist windlos an diesem Tag und glatt. In zwei Tagen wird es hier mit 30 Knoten fegen aus Ost, in Böen über 40. Da hat das schon handfesten Wert, ich möchte nicht wissen, wie sich 1,5 Knoten Strom gegen 30 Knoten Wind anfühlen. Seit meinem Abenteuer vor Pointe du Raz in der Bretagne weiß ich, was 15 Knoten Wind aus 3 Knoten Strom brauen, wenn sie dagegenpusten. Imposant steile Wellen waren das, und sehr bange 20 Minuten für mich.

Eine Stunde später. Lizard Point  ist hinter mir im Nebel verschwunden. Der Himmel über mir ist zweigeteilt.  Hinter mir der Nebel, der wie ein Vorhang alles verbirgt . Und vor mir ein leuchtend blauer Himmel, der das Meer tiefblau färbt. Und wie sich der Himmel geteilt hat, so hat sich auch das Meer geteilt: Hinter mir spiegelt sich der graue Vorhang auf der Wasseroberfläche. Aber vor mir, wo nur ein paar Zirren den blauen Himmel wie ein Hahnenfuß zerkratzen, ist das Meer von stählerner Bläue.

Wieder einmal begreife ich nicht, warum mir all dies so sehr gefällt, dass ich jubeln könnte vor Freude. Das Blau. Die Küste weit weg im Norden. Das Alleinsein. Die ganz andere Welt hier draußen, die mir wie eine parallele Welt erscheint zu unserer. Ein ganz eigener Kosmos, den man erreicht, sobald man eine bestimmte Tür durchschreitet, indem man auf seinem Boot einen Hafen verlässt und hinausfährt.

Halb vier. Wolf Rock liegt querab, ein einsamer Felsen mit einem Betonschlot von Leuchtturm obenauf, hinter dem Land’s End erkennbar ist, der letzte Rest von England. Vor mir der Atlantik. Und rechts die Irische See. Es sind noch etwa 20 Seemeilen, knapp drei Stunden bis zu den Scilly Isles. Die Sonne scheint, plötzlich bin ich viel zu warm angezogen unter der Sprayhood. Ich setze mich ins Heck des Bootes auf den Smoker Seat, lege die Beine in den Seestiefeln hoch und betrachte zufrieden die Welt. Wir sind nun flott unterwegs, ein halber Knoten schiebt uns in Richtung der Scilly Isles. Schaue ich nach vorn, kann ich noch nichts erkennen. Nur Wasser und Himmel. Ich hatte es nicht anders erwartet. Soweit ich es in der Seekarte sehen kann, sind die Scilly Isles eine Unzahl flacher Inseln und Felsen mitten im Meer vor der Küste, ein Wurmfortsatz des britischen Festlands und zusammen mit Irland die letzten kleineren Erhebungen auf dem europäischen Kontinentalsockel, der 200 Seemeilen weiter jäh in atlantische Tiefen abbricht.

17.00 Uhr. Noch 10 Seemeilen. Wir sind nun schnell unterwegs, die Strömung wäscht uns mit sich hinaus auf den Atlantik. Von den Inseln ist immer noch nichts zu sehen. Jedenfalls fast nicht. Nur am Horizont, der ringsum wolkenlos ist und blau, nur da, wo die Inseln sein müssen, da ballen sich als einzige drei markante Wolken in die Höhe:

Ob unter den Quellwolken die Inseln liegen? Eine Viertelstunde später erkenne ich sie tatsächlich unter den Wolken. Unter der dicksten Wolke, das muss die Hauptinsel sein St. Mary’s. Mal sehen, dass ich da einen geschützten Platz finde morgen. Denn übermorgen wird es erneut Wind geben über dem Westen Englands. Mal sehen, wo ich irgendwo auf den Inseln ein Schlupfloch finde. Wenn ich in den Wetterbericht sehe, werde ich das vor allem wegen der Böen brauchen:

Ich werde berichten.

Von England nach Schottland und Irland (4): Das Meer. Der Fluss. Die Seerobbe.

Meine diesjährige Segelreise wird mich von Juni an 
die englische Südküste nach Westen und von dort nach Irland führen. 
Spielt das Wetter mit, will ich weiter nach Norden.
In meinem vorletzten Post beschrieb ich einen der typischen Stürme am Start meiner Reise. Und heute: Eine Fahrt ins Landesinnere. Mal anders als mit dem Auto.

Dartmouth im Regen. Spitzgieblige Tudorhäuser und ein bulliger normannischer Kirchturm grüßen durchs triefende Grau. Wo der Fluss hinter der Felseneinfahrt breiter wird und Anleger für die Fähren vom einen Flussufer zum anderen sind, haben wir am Vortag Dartmouth passiert und ein Stück oberhalb im Fluss an einer Boje festgemacht. Weil es immer noch regnet, weil der Tag grau ist, beschließen Sven und ich, an diesem Regenvormittag nicht hinaus aufs Meer zu fahren, sondern die Flut zu nutzen und uns auf Levje 15 Kilometer ins Landesinnere zu fahren, um die Hügel mal von innen anzusehen. 

Am Oberlauf hat der Fluss eine Fahrrinne von etwas mehr als Levjes Tiefgang, etwa 2,50-3,00 Meter.   Aber nur, wenn die Flut kommt. Bei Ebbe ist da zweimal am Tag 2,50 Meter weniger – also nichts mehr. Und nichts, worüber man ein Schiff wie Levje mit zwei Meter Tiefgang bewegen könnte. Sven, der mich auf den ersten Tagen von Hayling Island bis nach Plymouth begleitet, hat für unsere Flussfahrt durch den Niedrigwasser-Fluss eine Beruhigspille verteilt: „Wir fahren auf alle Fälle bei steigendem Wasser los. Wenn wir irgendwo aufsetzen, spült uns das steigende Wasser auf alle Fälle wieder frei.“

Das klingt doch schon mal tröstlich. Ich Dämel wäre ja bei Hochwasser den Fluss hinaufgefahren, im scheinbar sicheren Gefühl, dann auf jeden Fall sicher über jede Barre und jedes Hindernis hinwegzukommen. Aber Svens Idee ist weit besser. Ich erinnere mich: Vor Jahren war ich in die Lagunen von Lignano in der Nordadria bei Hochwasser gefahren, anfangs mit dem guten Gefühl, über jede Sandbank drüberzurutschen. Nur um irgendwann bei fallendem Wasser festzustellen, dass ich plötzlich in einer Pfütze voll Wasser festsaß und vor mir oder hinter mir nichts mehr ging, weil das Wasser fast weg war. Damals blieb mir nichts anderes, als brav 12 Stunden in meiner Schlickkuhle voller Wasser zu warten und angstvoll jedem Schlauchboot entgegenzustarren, das mit enormem Wellenschlag verständnislos, wieso wir eigentlich nicht führen, an uns vorbeibretterte. 

Das Meer ist das Meer. Und ein Fluss ist ein Fluss. Oft zieht sich nach Flussmündungen noch meilenweit das Meer ins Landesinnere. Mit Werften, mit Kränen, mit großen Schiffen und Liegeplätzen, die weit im Hinterland liegen. Der Tamar von Plymouth ist so ein Fluss, die größte britische Flottenbasis liegt fünf Kilometer landeinwärts. Die Ria de Aveiro in Portugal. Doch hier auf dem Dart ist keinen Kilometer hinter Dartmouth Schluss mit dem Meer. Man bekommt: Sightseeing in tiefster Countrysite, vom Bootsdeck aus.

Wieder einmal begreife ich während der Flussfahrt den Dart hinauf, dass ein Buch über das Auenland und einen Hobbit nur in diesem Land geschrieben werden konnte. Vielleicht ist es der Anblick der reetgedeckten Häuser? Vielleicht ihre stille Ansage, dass die Welt ein gar so schlechter Ort nicht sein kann, wann nur der Rückzug in die eigenen vier Wände ein gelungener ist. Was brauchts schon mehr 

als ein efeuüberwuchertes Bootshaus und ein kleines Segelboot vorm Haus? Oder der Anblick von Dittisham, des kleinen Ortes am Dart unter den Hängen, vor dem wir an einer Boje die Nacht verbrachten.

Weiße Puschel sprenkeln die Hänge hinauf, Schafe. Die im Wasser vertäuten Kleinkreuzer werden weniger, je weiter wir uns von der Küste entfernen. Das Land ist Farmland, von Hecken und Bäumen gesäumte ordentliche Quadrate.

Die Stille ist anders über dem Fluss. Es fehlt alles Laute. Als ich darüber nachdenke, woran das liegen könnte, dämmert mir: Auf dem Dart fehlen die motorisierten Schlauchboote. Nicht ein einziges begegnet uns. Vielleicht ist es meine Prägung vom Mittelmeer, dort wäre es anders, in den Lagunen von Venedig oder Grado. Da wären auf einem Fluss wie dem Dart PS-starke Schlauchboote unterwegs, würden  schneidig die Kurven nehmen wie auf einer Rennbahn. Hier aber fehlt es ganz, das manchmal liebenswerte, manchmal nervige „Ich mache Lärm. Also bin ich“, das mir aus den Ländern im Mittelmeer so vertraut ist. Über dem Fluss wohnt Stille, je weiter wir hineinfahren ins Landesinnere. Ein Reiher stakst am Ufer. 

Vor den tiefgrünen Hängen noch ein Boot mit einem Namen, der seinen vorbeifahrenden Leser mit einer positiven Message in die Welt weiterziehen lässt. HOPEFUL. Wo eine Nachricht meist nur noch eine Nachricht ist, wenn mindestens Katastrophe, Schicksal oder Niedertracht darin vorkommen, ist das doch mal eine Botschaft an die Welt.

Der Fluss ist braun, fast unbewegt, das Niedrigwasser legt Totholz frei im Uferschlick. Dann kommt uns doch ein Motorboot entgegen, aber seinem Skipper geht es nicht um Speed oder Lärm, nein, nur um die Message, die er auf seinem Handy betrachtet, während er sein Gefährt führerlos den Fluss hinaufziehen lässt. Als hätte er alle Zeit der Welt.

Und kaum ist er vorbei, ist sie schon wieder da, die Stille, der tiefe Frieden über dem Fluss.

Das Meer ist das Meer. Und ein Fluss ist ein Fluss. Plötzlich sind wir tief im Farmland, und nichts und niemand bis auf ein paar Segler scheint noch etwas mit dem Meer am Hut zu haben. Farmhäuser am Ufer, aber keine Fischer, die Menschen landeinwärts leben irgendwie abgewandt vom Meer, ich sehe nirgends Netze nirgends die kleinen Boote von Fischern, um das artenreiche Brackwasser abzufischen, in dem sich Süß- oder Salzwasserfische gleichermaßen tummeln. Nein, wir sind tief im 

Land, und würde nicht Levjes Diesel mächtig sein Brummeln hören lassen, dann hätte ich das Gefühl, ich wäre auf einer Paddelboottour unterwegs. Vom Ufer her das Motoren eines Traktors der oben neben dem Schloss die Obstplantage beackert.

Bis zur Brücke von Totnes geht unsere Reise. Und auch die kann man nur erreichen, wenn die Gezeiten zweimal am Tag den Fluss auf über 2,50 Meter Wassertiefe ansteigen lassen. Fast wollte ich sagen: „In Totnes hat die Stadt uns wieder“, angesichts der vielen Yachten, die aufgepallt am Ufer 

stehen und des lebhaften Fußgängerverkehrs auf der Brücke. Doch sonst ist nicht viel los, eine alte Dame, die ihren stolzen Chihuahua im Park am Fluss spazierenführt. 

Ich habe das Gefühl allein auf dem Fluss unter wegs zu sein. Aber meist ist das mit dem Alleinsein ja eh eine Illusion. Während der Fluss noch am Steigen ist, während ich versuche, Levjes zwei Meter Bleikiel an Sandbänken und Schlickinseln vorbeizuzirkeln, kommt uns in den engen Windungen ein Ausflugsdampfer entgegen, ein Flussschiff auf dem Weg ins Auenland mit dem verwegen anmutenden Namen DARTMOUTH EXPLORER.

Wie war das jetzt noch gleich in England mit dem Linksverkehr? Gilt der auch auf dem Wasser? Muss ich jetzt links an dem Dampfer vorbei oder rechts? Der Fluss ist eng. Nach innen wirds sicher flacher, viel zu flach für Levjes zwei Meter. Es wäre blöd, Levjes Kiel jetzt unabsichtlich in den Schlick reinzurammen. Ich komme ich ins Schwitzen. Aber der Skipper der DARTMOUTH EXPLORER nimmt es gelassen, er bleibt ganz links außen im Fahrwasser, na klar gelten auf dem Wasser  die internationalen Kollisionsverhütungsregeln und damit der Rechtsverkehr. Man sollte sich nicht kirremachen lassen in diesem Land, in dem sie einfach alle trotzig auf der falschen Straßenseite fahren und auch noch stolz darauf sind. 

Der Skipper hat mir jedenfalls mit seinem Ruderlegen meinen Weg gewiesen, vielleicht weiß er auch, dass ich mit Levje tieferes Fahrwasser brauche als er. Als wir uns begegnen, danke ich ihm lange mit erhobener Hand hoch zu seiner Brücke. 

Und dann ist da etwas reglos im Flusswasser. Ein Lebewesen? Ein treibender toter Holzpfosten, dessen Spitze aus dem Wasser ragt? Erst denke ich an eine Bisamratte, die lieben doch die braunen Flüsse. Doch dann erkenne ich die langen Barthaare an der Spitze des sich sonnenden Tieres. Na klar, die Schnauze einer Seerobbe! Von dem sich nähernden Boot lässt sie sich nicht drausbringen, gemächlich geht sie von ihrem aufrechten Sonnenbad im Fluss in ebenso gemächliches Schwimmen über, die Schnauze, die Flossen, der lange glänzende Körper: Eine Seerobbe bewohnt den Dart, sie scheint den Fischreichtum zu schätzen. Und wenigstens sie nimmt es nicht so genau mit „Das Meer ist das Meer. Und ein Fluss ist ein Fluss.“

Und jetzt? Gehts wieder raus aufs Meer.

Von England nach Irland und Schottland(3): Von Hayling Island durch den Solent westwärts nach Weymouth.

Meine diesjährige Segelreise wird mich von Juni an 
die englische Südküste nach Westen und von dort nach Irland führen. 
Spielt das Wetter mit, will ich weiter nach Norden.
In meinem letzten Post beschrieb ich einen der typischen Stürme am Start meiner Reise.


Eigentlich sollte ich, wenn ich über den Solent schreibe und die Isle of Wight, über die lokalen Highlights schreiben. Es gäbe genug zu berichten, es würde reichen für einen Sommer. Über Cowes, den Regattahafen, über die Isle of Wight und ihre Kreidefelsen, über Portsmouth und das phantastische Marinemuseum, in dem ich mich im Herbst einen halben Tag lang auf Nelsons VICTORY im Trockendock herumtrieb und jetzt auf dem Wrack der MARY ROSE, dem größten Kriegsschiff Heinrichs VIII., das im Solent um 1540 plötzlich kenterte und samt seiner 500 Mann Besatzung – Seeleute, Purser, Köche, Bogenschützen, Kanoniere und Offiziere – wie ein Stein auf den Grund des Meeres sank. Ich sollte.

Aber ich hebe mir diese ergreifenden Geschichten auf und schreibe heute lieber etwas über unsere Fahrt quer durch den Solent und dann weiter bis in den Flusshafen von Weymouth, es sind schließlich nach der kurzen Fahrt von der Werft mein ersten Tage auf See.

Der Solent also, das Segeldorado. Man sollte es nicht unterschätzen, sollte brav in seine Strömungstabellen schauen, bevor man ablegt, schließlich zischen hier bis dreieinhalb Knoten Strom durch, die einem die Tagestour vermasseln können, wenn man nicht seine Abfahrt genau darauf ausgerichtet hat. Sven zieht dafür den dicken Wälzer REEDS NAUTICAL ALMANACH zurate, er sitzt mit diesem Telefonbuch auf den Knien im Cockpit und sagt, so habe er das schließlich für seinen Yachtmaster-Schein gelernt. Ich wiederum bin eine faule Socke, was die Gezeiten angeht, und auch kein Yachtmaster und erst recht kein Telefonbuch-Fan, ich schau einfach verstohlen auf mein Smartphone, als Sven nicht zu mehr herübersieht. Im Ergebnis kommen wir aufs gleiche: Wir haben den Strom mit uns, als wir an Cowes vorbeiziehen.

Am Nachmittag kommt Wind aus Westen auf, wir müssen aufkreuzen, aber mit frisch gestrichenem Unterwasserschiff lässt sich sogar Levje vom Regattafeeling des Solent anstecken. Es ist gegen 20 Uhr, als wir das Westende des Solent erreichen, Fort Hurst mit 

dem gleichnamigen Leuchtturm auf Hurst Spit, der Landzunge, die den Solent nach Südwesten gleich vor den Needles, den hohen Kalkfelsen abriegelt. Wie schon einmal bin ich ich während des Ankerns erstaunt über die Stromschnellen vor Hurst Spit, etwas links vom Leuchtturm sieht es aus, als würde ein Wildwasser um die Ecke strömen, als ich Levje einen Moment treiben lasse, um die Segel zu bergen, zieht mich die Stelle rasend schnell Richtung Land, doch dann sind die Segel unten und wir lassen den Anker neben der einsamen Yacht oben fallen. Nicht ohne ellenlange Rechnerei von Sven und mir, wieviel Wasser wir denn nun bei den nachfolgenden Niedrigwassern in dieser Nacht unter dem Kiel haben werden. Unser beider Gezeitenkünste sind etwas eingerostet, über den Winter.


Es ist ein wunderbarer Abend. Die Sonne schickt ein rotes Leuchten über die Bucht, es hat gefühlt nicht mehr als 12, 13 Grad, während ich mit der Kamera übers Boot balanciere. Doch irgendein selbsthypnotischer Effekt sorgt dafür, dass ich die Kälte nicht als solche wahrnehme, sondern sie im Gegenteil als etwas ungeheuer Erfrischendes empfinde, etwa wie ein Vollbad in Pfefferminz-Pastillen. Ich bin, was das angeht, als Mittelmeersegler im Vorteil, ich muss nur an die feuchtwarme Schwüle des August in der Adria denken, schon freue ich mich auf die kühle Pfefferminze. Mal sehen, wie lange es mir gelingt, mir mit derlei Tricks echte Kälte warm zu reden. Der Himmel über dem Solent und die Brauerei am Liffey, dem Fluss durch Dublin, schenken Sven und mir jedenfalls einen sensationellen Abend.

Am Morgen rappelt der Wecker früh. So hab ich mir das immer gewünscht: Aufstehen, nicht wenn ich es es will, sondern wenn Svens Telefonbuch das sagt. Anker hoch halb sieben, weil da der Strom vor Hurst Spit und an den Needles vorbei am stärksten ist.


Eigentlich denke ich, dass außer uns keiner so blöd ist, so früh unterwegs zu sein. Aber da irre ich mich. Stolz haben ein Duzend britische Segler an diesem windlosen Morgen alle Segel gesetzt und rauschen wie von Zauberhand an den Needles vorbei, den großen kalkigen Echsenrücken, die so heißen, weil zwischen ihnen in alten Zeiten mal eine Kalknadel aufragte, die ein Witzbold von Seemann im Vorbeifahren „Cleopatra’s Needle“ taufte. 


Doch die Atlantikstürme haben die Nadel längst gefällt, geblieben sind die Echsenrücken und – als Cleopatra-Ersatz – der rote Leuchtturm. Und der Strom an diesem Morgen, den man unschwer an der Tonne vor den Needles erkennt. Es ist, als läge die Tonne nicht auf dem offenen Meer, sondern in einem dahin rauschenden Fluss.

War sonst noch was? Ja, es war wieder mal pfefferminzfrisch an diesem Morgen, so um die 10 Grad. Und erwähnenswert war noch das britische Motorboot von der Küstenwache, das uns in formvollendeter Höflichkeit darauf hinwies, doch besser einen südlicheren Kurs einzuschlagen, weil dort vorne bei den Lulworth Banks gleich Schießübungen stattfinden würden. Herrgott, ich bin regelrecht vernarrt in diese britische Höflichkeit, die selbst detonierende Granaten noch in ein Lächeln und eine höflich geäußerte Frage einwickeln kann. Wie schon vor vier Jahrzehnten überlege ich wieder einmal, wie ich es bloß anstellen könnte, diese Höflichkeit in mein Heimatland zu transferieren. Damals hielt mein Vorsatz bis drei Kilometer hinter der belgischen Grenze, wo mich ein deutscher Herr anschnauzte, weil er mir auf den Fuss getreten war, ob ich nicht aufpassen könnte. Ein Vorgang, der in England undenkbar wäre.

Und dann die Einfahrt in den Flusshafen von Weymouth. Links und rechts die adretten Häuser entlang der Pier, irgendetwas zwischen Einfachheit und kleinem Glück und alles bloß nicht Protz. Ich lausche übers Walky Talkie dem Harbour Master, der immer im selben höflichen Ton soeben der 17. einlaufenden Yacht geduldig erklärt, dass der Yacht-Anlegesteg gleich gegenüber der Lifeboat-Station sei. Sven hat kurz das Telefonbuch mit den Strömungstabellen aus der Hand gelegt und meint, er fühle sich angesichts der vielen Touris auf der Pier an Reith im Winkl oder ähnliche Hochburgen erinnert. Aber ich bin mal wieder woanders, ich denke daran, wie auf den Piers von Weymouth in diesen frühen Junitagen vor 75 Jahren Kanadier in die Boote stiegen, um Tage später im Kugelhagel den „Juno“ genannten Strand von Courseulles-sur-Mer in der Normandie hinauf zu stürmen. Die alten Schienen auf den Piers von Weymouth und die kleinen Häuser, sie haben also schon manches gesehen.

Sie wundern sich auch nicht, als Sven sagt, er ginge mal eben einen Fisch kaufen und wenig später mit einem Monstrum von Scholle heimkommt, die wegen ihrer bloßen Größe eine Horde dänischer Doggen in die Flucht schlagen könnte. Mit Mühe kriegen wir Svens Fisch in die Bratreine und in den Gasherd. Und während draußen der Regen prasselt und drinnen die Heizung bullert, sorgen Svens Fisch und die hiesigen Brauereien am Fluss von Weymouth für einen heiteren Abend, den wir uns mit kleinen Vorlesungen aus Svens Lieblings-Telefonbuch verkürzen.

Man muss hier schließlich immer mit dem Strom rechnen.







Von England nach Irland und Schottland(2): Wenn der Westwind weht. Hayling Island bei 43 Knoten.

Meine diesjährige Segelreise wird mich von Juni an die englische Südküste nach Westen 
und von dort nach Irland führen. Spielt das Wetter mit, will ich weiter nach Norden.
In meinem letzten Post schrieb ich über den Start meiner Reise 
auf einem kleinen Gezeitenfluss auf Hayling Island nahe der Isle of Wight.

Von Wilsons Boatyard aus steuere ich Levje bei Springtide den Mengham Rythe, den kleinen Gezeitenfluss eine Meile ostwärts durch die Marschen Hampshires in die kleine Sparke’s Marina. Bei Hochwasser komme ich an, und die Stege der Sparke’s Marina scheinen frei in der Weite der See vor der Ostküste von Hayling Island Island zu liegen.

Stunden später ist das Bild der Marina bei Niedrigwasser ein ganz anderes. Die Stege liegen jetzt wie einer Badewanne in der Weite einer Schlammfläche, selbst die Einfahrt wäre bei Niedrigwasser mit den zwei Metern Tiefgang meines Schiffes nicht mehr zu machen. Gezeitensegeln ist für einen, der fast 20 Jahre nur im Mittelmeer und in der Karibik unterwegs war, immer wieder aufregend. Dass sich die freie Weite einer frei befahrbaren Wasserfläche zweimal täglich in ihr absolutes Gegenteil verwandelt, will einem, der an einer solchen Küste nicht aufgewachsen ist, nur widerwillig in den Kopf. Und die Erfahrungen, die sich aus den geänderten Wasserständen für mich ergeben, sind jedesmal neu.

Ich finde mit Levje einen Liegeplatz an der Visitorpier längs der Mole. Ein scheinbar guter Platz, geschützt vor dem kalten Ostwind, der die Tage über böig geweht hatte und dessen Böen bei Niedrigwasser gnädig drei Meter über uns hinweg streichen.

Für die Nacht ist eine Winddrehung angesagt. Der Wind soll von Ost auf Südwest gehen. Und von 5 bft. am frühen Morgen auf 8 bft. mit Starkregen. Sven, der mich in dieser Woche begleitet, dichtet die Sprayhood mit Nahtdichter ab und imprägniert sie, während ich die weiße Persenning über Levjes Cockpit spanne. Das sollte reichen.

Eine Bewegung Levjes weckt mich am Morgen. Ein Reißen, ein Zerren. Dann schlagende Geräusche. Als ich im Dunkeln die Uhr vor meine Augen halte, ist es kurz nach vier. Erstes grau draußen, durch das ich über meiner Koje die kleine deutsche Flagge an Levjes Achterstag hektisch schlagen sehe. Das laute Tack-tack-tack dreier Fallen, die irgendwo neben mir im Dunkel schlagen. Eine heftige Böe lässt Levje erst stark krängen, dann presst sie den Schiffsrumpf mit Kraft so an die Schwimmpier, dass der Rumpf zu knistern beginnt. Dann setzt prasselnd der Starkregen ein.

Die Kakophonie des Starkwinds: Das Heulen und Brausen in Masten und Stagen, das Singen und Orgeln, das Schlagen der Fallen am Mast. Das kenne ich alles. Das neuerliche knistern von Levjes Rumpf kenne ich noch nicht. Geräusche, die ich nicht kenne, machen mich nervös. Die nächste Böe lässt Levje wieder stark krängen. Ich habe zwar mein Schiff gut abgefendert, aber jetzt gerade dürfte Niedrigwasser sein. Während ich aufstehe und mich anziehe, malt mein Hirn Sorgen in die Luft: Hoffentlich halten die Fender den Druck aus und platzen nicht. Hoffentlich neigt Levje sich nicht so stark nach backbord, dass die Saling an die die fünf Meter hohe Spundwand neben dem schlägt? 

Ich ziehe das Schiebeluk auf. Nur gut, dass Sven und ich gestern die Sprayhood abgedichtet haben. Sie hält. Ich setzte mich unter die Sprayhood und beobachte im prasselnden Regen unter der weißen Persenning erstmal was geschieht. Vor allem den Windmesser. 22 Knoten zeigt er. Dann beschleunigt sich das nervige Takk-takk-takk neben mir in ein lärmendes Stakkato, der Windmesser geht auf 25, 28 Knoten in der Böe hoch, während Levje sich überlegt. Geht ja alles. 

Ich stecke den Kopf unter der weißen Persenning hervor. Die Fender sehen gut aus, sie haben fast 30 Zentimeter durchmesser, sind dicker und größer als normale. Vier Stück habe ich gestern nebeneinander gehängt. Während der prasselnde Regen Wasser in meine Nacken rieseln lässt, sehe ich, dass die vier Fender in der Böe platt wie Rochen sind. Als die Böe nachlässt, drücken sie das Schiff wieder weg von der Pier. Ich beschließe, auch meinen fünften Fender, meinen letzten noch zu den vier anderen dazuzupacken, es ist alles, was ich habe. Ich krieche unter der Persenning hinaus in den Regen, zerre den Fender vom Seezaun und befestige ihn bei seinen vier Brüdern. „Mehr hab ich nicht. Mehr geht nicht.“ denke ich, während die nächste Böe anrollt. Über 30 Knoten. Dann verharrt der Windmesser, steigt auf 33 Knoten. Wieder werden meine dicken Fender zusammengespresst, ob die das abkönnen? Was mache ich, wenn einer aufgibt? 

Die Persenning schlägt wie wild über mir, zwei Bändsel haben sich gelöst, Sven hatte gestern geraten, ich solle meine hübschen Webeleinsteke statt mit seitlichem halbem Schlag mit einem halben Schlag um die Leine befestigen. Dummerweise hat Sven bei technischen Dingen immer recht und ich fast nie. Das geht seit 20 Jahren so, seit wir zusammen segeln. Jetzt schläft er unten seelenruhig, und ich betrachte meine 20 Webeleinsteke und den verkehrt angebrachten halben Schlag. Naja, ich bin etwas eingerostet im langen Winter mit meiner Kunst, Knoten zu schlagen. Na dann los. Als ich einen Knoten löse, beschleunigt der Wind auf 37 Knoten. Ich halte den Knoten, zerre daran, doch der Wind ist stärker, Regenwasser läuft mir von der Persenning in den Ärmel meiner Segeljacke, ich schaff es nicht, den einfachen Webeleinstek zu knüpfen. Weder kann ich ihn loslassen, um meine Ärmel vor den Sturzbächen in Sicherheit zu bringen. Nich kann ich den Knoten machen. Ein Weichei ist, wer loslässt. Und ein Trottel, wer weitermacht.

Beim dritten Webeleinstek sind meine Ärmel innen tropfnass. Ich glaub, ich bin lieber Trottel als Feigling. Ich mache einen Moment Pause und beobachte den Windmesser. Er verharrt jetzt bei 33 Knoten, Levje wird hart an den Schwimmsteg gepresst, ich überlege, ob ich die Festmachen irgendwie zu einem Reservefender umfunktionieren könnte. Da nimmt der Lärm plötzlich zu. Mit spielerischer Leichtigkeit, als wäre es nichts, bewegt sich die Anzeige plötzlich ganz spielerisch von 33 auf 43 Knoten. Das Schiff legt sich jetzt brutal über, an meine fünf blauen Brüder an der Bordwand mag ich in diesem Moment gar nicht denken. Wie leicht es dem Starkwind fällt, wenn er schon bei 33 Knoten verharrt, mal eben auf 43 zu beschleunigen! Aber ich habe keine Zeit, über die Kräfte der Natur nachzudenken, die Sorge um mein Schiff überwiegt. Die harte Böe ist vorüber, der Windmesser fällt wieder auf 25. Und ich: widme mich wieder den falsch geknüpften Webeleinsteken, solange der Wind mich lässt.

Noch vier fünf Mal beschleunigt der Wind über dem Hafen im Osten von Hayling Island auf über 40 Knoten. Ich mache meine leewärtigen Webeleinsteke neu, bis meine Arme schwer und vollgesogen vom kalten Regenwasser sind. Nach einer Stunde fällt der Windmesser auf 22 Knoten, meine Müdigkeit übermannt mich.

Am Morgen hat der Wind den Himmel blankgeputzt, in Böen bläst es noch bis 25 Knoten. Sven schläft bis neun. „War alles ok?“, fragt er mich. Ich erzähle ihm von meiner nächtlichen Wache, und frage ihn, ob er nichts mitbekommen hat. „Doch“, sagt Sven, „ich hab das Schiff knarzen hören und die Fender quietschen. War doch alles wie es sein soll. Deshalb hab ich mich rumgedreht und weitergeschlafen.“

Das Frustrierende an meinem Sven ist: In technischen Dingen hat Sven einfach immer recht. Er kam mit dieser Art, die Dinge zu betrachten, auf die Welt. Da kann ich mit meinen nassen Ärmeln nur blöd schauen. Aber das Gute ist hier draussen: Ich lerne. Und jeden Tag wieder was. Und egal wie: Gut ist, dass ich es in dieser Nacht hingekriegt habe. 

Besser so als nie.

Aufbruch in England. Levje geht fliegen und kommt ins Wasser.

Meine Frau meint ja, ich solle mit Levje möglichst bald wieder ins Mittelmeer.
Aber ich habe an diesem England nun mal einen Narren gefressen.
Also bleib ich diesen Sommer noch dort. Und wo meine Reise hingeht, verrate ich in einem der nächsten Posts. Heute eine Geschichte über meinen Aufbruch von Hayling Island,
einer kleinen Insel östlich der Isle of Wight, wo Levje über den Winter lag.

Wo war ich stehengeblieben im letzten Herbst? Ach ja. Auf Hayling Island – auf der kleinen Insel nordöstlich der Isle of Wight ließ ich Levje über den Winter in Wilsons Boatyard zurück. Der Platz war idyllisch gelegen am Mengham Rythe, einem Gezeitenfluss.

Aber so schön der Platz am Gezeitenfluss ist, so schön die Eichen rauschten, der Fasan am Morgen krächzte und die Fledermäuse abends flatterten: Vor dem Kranen und Wassern von Levje habe ich Bammel. Ich bin nicht der einzige. Aber das lassen sich der stille Sean, der das Wassern leitet und Andy vorher nicht anmerken. 

Schon die Ansteuerung im Herbst war nicht einfach gewesen. Mit Levjes zwei Metern Tiefgang war der Ort nur bei Springtide erreichbar, also dann, wenn die Tide einmal im Monat am höchsten war. Was an einem Vormittag auf dem Bild oben wie ein still ruhender See aussieht, ist sechs Stunden später nur noch ein kümmerliches Rinnsal ablaufenden Meerwassers zwischen den im Schlick sitzenden Booten:

Da hindurch sollte ich mein Schiff also wieder nach draußen steuern? Am Morgen sieht es so aus, als würde das Wasser niemals zurückkehren. Hier sollen also um 14.37 Uhr wieder drei Meter Wasser stehen? Hier soll ich zwischen den eng liegenden Booten die tiefste Stelle nach draußen finden? Ob wohl auch gleich der Motor anspringen würde? Kranen ist ja immer ein spannender Momment. Doch diesmal bin ich nervös. Richtig nervös.

Am Vormittag geht mein Schiff erstmal fliegen. Levje hängt am Kranhaken und hebt erstmal ab, über die umliegenden Boote hinweg von ihrem Winter-Landliegeplatz auf den mobilen Schlitten. 

Wenn siebeneinhalb Tonnen ins Schweben kommen, sieht das aus, als wäre mein Schiff ein Luftschiff. Nicht zum letzten Mal denke ich in solchen Momenten an die 17-Meter-Schiff eines Freundes, die beim Transport im Werftgelände einfach auf die Seite knallte. Aber alles geht gut, mit dem Transport jedenfalls. Nur der Fluss, der lässt sich am Vormittag etwas Zeit:

Warten also, bis um zwei. Beim Mittagessen nehme ich mir vor, im nächsten Leben cooler zu sein, als ich es in diesem bin. Ich bringe kaum einen Bissen runter und bin mit dem Kopf woanders. Hoffentlich geht das alles glatt. Seit Tagen weht der Wind böig, statt abzuflauen hat er an diesem Morgen noch zugelegt. Was mache ich, wenn der Motor ausfällt und der böige Südwest uns in Sekunden aufs nächste Flach vertreibt? Einfach den Anker fallen lassen? Wäre ja das übliche Mittel der Wahl, im Gezeitenfluss aber nichts weiter als eine blöde Idee. Ankern im ablaufenden Wasser? Dann läge Levje bald auf der Seite im Schlick.

Erstmal rollt Sean Levje auf dem mobilen Schlitten in den Fluss, dessen Wasser mittlerweile am Steigen ist. Tiefer rollt der Schlitten und tiefer, bis der Motor des Schlittens blubbernd 

unter der Wasseroberfläche verschwindet wie ein U-Boot, bis nicht mehr zu sehen ist und Levje wieder richtig schwimmt. Im Herbst fand das alles noch auf einem einfachen Stahlschlitten statt, den ein Traktor an einem 50 Meter langen Stahlseil samt meinem darauf geparkten Schiff wie auf einem Ochsenkarren rumpelnd aus dem Meer zog. 

Aber mit dem neuen Schlitten ist das alles einfacher. Dann lösen Sean und Andy die seitlichen Gurte, die Levje bis hierhin getragen haben. Zum ersten Mal seit Herbst schwimmt Levje wieder. Ich drehe den Zündschlüssel – noch so ein heikler Moment, ob der Motor auch ohne Mucken anspringt. Nur ein kurzer Dreh: Dann ist er auch schon da und legt los. Als hätte er nur gewartet, dass es endlich wieder los geht.

Dann geht es zwischen den Reihen vertäuter Boote hinaus, die halbe Meile hinüber bis zur Sparkes Marina. Und damit ich mich zwischen den wenigen Seezeichen und all den herumliegenden Booten auf der weiten Wasserfläche und den wenigen Seezeichen nicht verfranze, fahren Sean und Andy im Dinghy den Flussarm voraus. Alles ist wunderbar. Der Motor läuft. Das Schiff schwimmt. Der Wind böt und die Sonne scheint. 

Ein ganz großes DANKE an Sean (ganz rechts) und Andy (man kann nur schwer um ihn drumherumsehen). Als Levje wieder im Wasser schwimmt, bin ich nicht der einzige, der aufatmet. „Deine Levje war der dickste Fisch, den wir in diesem Frühjahr mit unserem neuen Schlitten ins Wasser brachten“, grinsen beide hinterher verschmitzt. 

Ihr habt einen tollen Job gemacht! Sean und Andy werden die Werft von Dave (Bildmitte) und seinem Bruder Barry übernehmen – und ich wünsche Euch beiden alles, alles Gute für Euren Sprung in die Zukunft auf Eurer Werft. Und Dave und Barry für ihren Aufbruch in den Ruhestand.

Hinweis: 
Dieser Post ist keine bezahlte Werbung. Durch die Veröffentlichung erhalte ich keine Vorteile von Wilsons Boatyard, weder in finanzieller noch sonstiger Form.