Eher feucht als fröhlich: Frank und Reinier
Bilder: Björn Waldeck, Thorsten Latz
47 Knoten, Ende Windstärke 9. Heftig. Das riesige Großsegel steht ungerefft am Holzmast. Es ist infernalisch laut, der Wind jault, das Schiff vibriert. Wasser fliegt. Das IJsselmeer ist giftgrün. In den Augen der Mitsegler ist teils Unglaube und teils Sorge zu erkennen. Schiffsführer Reinier schaut optimistisch drein. Nur wer ihn kennt, sieht, dass er darum kämpft eine positive Ausstrahlung abzugeben. Aber er ist Profi, hält das Schiff ohne Maschine ganz hoch am Wind. So ist der Druck weg und wir können ungerefft die Schauerböe abwettern. Dabei darf das Schiff weder abfallen, denn dann fangen wir Wind und würden mächtig Krängung abbekommen, noch durch den Wind gehen. Denn dann stünde die Fok back und das würde ebenfalls in jeder Menge Druck im Rigg enden. Auch Co-Skipper Frank schaut durchaus besorgt drein. Wer ihn kennt weiß, dass er sich in brenzligen Situationen zuerst eine Kippe dreht. Nur mit Mühe hält er den Tabak im nassen Papier. Der Wind ist zu stark. Ja, es ist Brenzlig, Frank ist besorgt.
Es gab auch gute Segelmomente, so ist es nicht
Die Sorge ist vielleicht nicht unberechtigt. Wir haben eine Lemsteraak gechartert. Die sind zwar groß und schwer, aber sie haben keinen Kiel. Strenggenommen sind es Schwertboote. Und die können nunmal umkippen. Keine schöne Aussicht. Auch so ein Holzmast ist zwar recht flexibel, allzuviel Schläge mag jedoch auch er nicht. Viele Mitglieder der Crew sind zwar Segler, mit den Besonderheiten und Kräften solch einer Aak sind sie jedoch nicht vertraut. Und wir haben zwei komplette Neulinge an Bord. Kein toller Einstand für sie. War es also eine falsche Entscheidung zu starten? Sollen wir abbrechen? Schon 20 Minuten nach dem Start zu einem Rennen, dessen Sinn es ist, 24 Stunden zu dauern? Nein, wir machen weiter.
Eine Front durch, die nächste im Blick
Um uns herum sehen wir viele Abbrecher. Schiffe drehen um, laufen Häfen an. Auch im Funk hören wir derzeit noch viele Skipper, die nachfragen ob das Rennen abgesagt ist. Ist es nicht. Den Funk werden wir allerdings später noch abschreiben müssen. Eines der Opfer einer der nächsten Gewitterzellen. Dennoch, die Idee erschien gut: Ein großes Schiff, nette Leute, ein erfahrener Skipper und mit Frank ein zweiter Plattbodenspezialist, der Reinier ablöst, wenn der Pause macht. Soweit, so gut. Mit 10 Leuten lässt sich so eine Aak auch recht fix bewegen. Fok, Klüver, Groß, Schwerter und die Backstagen. Und steuern muss auch einer. Also: Keine Langeweile. Wir wollten sportiv segeln, nicht verbissen, aber so schnell wie möglich. Jetzt sind wir eher im Überlebensmodus.
Segelt ganz schön nass so eine 16-Meter-Jolle
„Hier ist alles Nass in der Kabine“, berichtet Marcus. Die große Schlafstätte vor dem Salon hat ein Skylight. In jeder Welle öffnen sich die Klappen wie Flügel, jedesmal saust Wasser ins Innere. Für Bedingungen wie diese sind sie nicht gemacht. Eilig kramen wir in der Backskiste und finden die Abdeckplane für die Lüftung. Mit etwas Mühe gelingt es uns, auf dem Vorschiff kauernd das Luk zu dichten. Dabei bekommen wir eimerweise Wasser über uns und das 16 Meter Schiff hin. Das IJsselmeer eine Badewanne? Nein. Dennoch: Nach der ersten Hektik, normalisiert sich die Lage etwas.
So sieht eine Rakkenkaart aus. Hier: 2014
Wir machen einen Plan um die zur Verfügung stehenden Strecken (Rakken) zwischen bestehenden Tonnen auf dem IJssel- und Markermeer ideal zu nutzen. Jeder Abschnitt darf zweimal befahren werden, das eigene Kielwasser darf sich nicht kreuzen. Am nächsten Abend, 24 Stunden später, soll man in Medemblik die Ziellinie passieren in einem Zeitfenster von einer Stunde. Das erfordert einiges Nachdenken. Gegenüber der Pantry hängt die Rakkenkaart und das eigene Roadbook an der Wand. Normalerweise macht diese Planung eine Menge Spaß, nicht aber, wenn der Wind wechselhaft und wegen der vielen Gewitterzellen völlig unberechnebar ist. Keine der Wettervorhersagen stimmt. Immer, wenn wir etwas planen und umsetzen, macht eine neue Zelle einen Strich durch die Rechnung.
Nicht klein zu kriegen: Skipper Reinier in der Nacht
So geht es in die Nacht. Smut Jan hat Butterbrote, Kaffee und Tee vorbereitet und verdrückt sich ins Bett. Das war so abgemacht. Irgendwann gegen Mitternacht gehe auch ich in die Freiwache. Frank und Reinier sind auf Posten. Im Salon kauere ich mich auf die Bank und schlafe ein. Als ich wach werde liege ich fast auf der Rückenlehne. Zunächst, im Halbschlaf halte ich das für normal. Auf einer Yacht kommt das durchaus vor. Dann wird mir schlagartig bewusst, dass das hier keine Yacht ist. Ich springe auf hangele mich nach achtern und sehe in die besorgten Gesichter von Frank und Reinier. Eine kräftige Schauerböe hatte sie kalt erwischt. Das Schiff schiebt Lage. Das Gangboard in Lee ist unter Wasser. Doch wieder gelingt es, gaaanz hoch am Wind das Schlimmste abzuwettern. Nachher wird Frank mir erzählen, dass er in dem Moment an einen Abbruch gedacht hat. Und das ist eher nicht sein Ding.
Alle kämpfen um die letzten Meilen
So geht die Nacht vorbei. Nach einem Frühstück normalisiert sich die Lage. Die Schauern kommen und gehen und wir kämpfen weiter. Jede taktische Entscheidung wird bestraft. Wir setzen den Klüver, der kurz darauf mit einem hässlichen Geräusch seinen Dienst quittiert. Auch am Interieur entstehen Schäden. Die Schubladen der Pantry sind nicht für solch extremes Segeln ausgelegt und verwandeln sich in ballistische Raketen. Mit entsprechendem Impakt am Zielort. Zum Ende hin wird es spannend. Werden wir es rechtzeitig schaffen vor der Disqualifikation? Wir kämpfen um jeden Meter, freuen uns auf die Riesenparty die üblicherweise im Ziel wartet, mobilisieren letzte Kräfte. Und schaffen es. Gerade noch rechtzeitig. 120 Meilen haben wir geschafft, angesichts der Umstände ist schon Ankommen eine große Leistung. Wir sind zufrieden. Laufen in den Hafen.
Geschafft! Smut Jan versorgt uns mit dem Zielbier
Doch was ist das? An einem normalen Samstag Nachmittag ist mehr los in Medemblik. Die Reihen der Regattasegler haben sich ausgedünnt. Von den gemeldeten rund 500 Schiffen haben es nur 170 ins Ziel geschafft. Gar nicht gestartet oder ausgestiegen. Das Wetter fordert seinen Tribut. Auch bei uns. Wir genehmigen uns einen Anleger, gehen essen und bald darauf auch ins Bett. Das war anstrengend. Aber gut. Wir haben es geschafft. Die Besten in unserer Klasse haben 180 Seemeilen gesegelt. Sie hatten allem Anschein nach einen besseren Wettergott an Bord. Egal. Und wie hat es den Erstlingen gefallen: „Weltklasse, gerne wieder. Und gerne wieder so viel Wind“, freut sich Jürgen. Wenn der wüsste…
In anderen Jahren deutlich voller: Der Hafen von Medemblik beim Zieleinlauf
Die 24 uurs finden alljährlich am letzten Augustwochenende statt. Mitmachen kann jeder. Mehr Info finden Sie hier.
Het bericht 24 uurs Regatta: Novizen im Sturm verscheen eerst op Stegfunk.de | Wassersport. Holland..