Monat: Juni 2018

Segeln um Ibiza.

Auf meiner ersten Etappe für mein neues Buchprojekt 
bin ich auf Levje nach Menorca und Mallorca nun auf der westlichsten Balearen-Insel Ibiza angekommen. Mit einigen Vorurteilen über diese Insel.

„Ibiza? Geh da bloß nicht hin,“ hörte ich auf Mallorca von Einheimischen öfter mal. „Auf Ibiza ist alles noch viel schlimmer als bei uns. Die Menorquiner waren am schlauesten, was den Tourismus angeht. Und die Leute auf Ibiza noch gnadenloser als wir.“

Wer ein bisschen herumkommt in der Welt, der stellt schnell fest, dass der alte Karl Kraus schon recht hatte, was Nachbarschaft angeht. Er sagte einmal sinngemäß: „Der Balkan? Fängt an der Ostwand meines Schlafzimmers an.“ Wobei diese Denke in jedem von uns wohnt, dass alles Übel dieser Welt grundsätzlich erst ab dem Nachbargrundstück anfängt. Als ich mich beruflich öfter in Balkanländern herumtrieb, war ich erstaunt, wie jede der dortigen Völkerschaften nach Kräften ihre Vorurteile über die Nachbarn pflegte. „Die Ungarn? Alles nur Autodiebe“, verrieten mir meine polnischen Gesprächspartner. Während die Ungarn über die Polen nur müde lächelten: „Machen Sie Urlaub in Polen! Ihr Auto ist schon da.“ Die Rumänen wiederum verwiesen energisch darauf, dass sie niemals in Bulgarien Urlaub machen würden – man würde Ihnen dort die Autos klauen. Während die Bulgaren auf dem Weg durchs Nachbarland Rumänien es tunlichst vermieden, dort  anzuhalten: „Die Rumänen schrauben Dir die Reifen während der Fahrt ab.“

Vielleicht ist das ja auch so mit Bewohnern der Baleareninseln. „Ibiza? Unmöglich!“ Das scheint der Grundkonsens zu sein. Auch ich bin eher kleinlaut, wenn ich entfernteren Bekannten mitteile, wo ich gerade stecke. Entsprechend ist auch meine Brille eingestellt, als ich mich der Insel auf Levje nähere. „Die Hänge? Sind ja alle verbaut! Da ist Mallorca aber ganz anders!“, pinselt mein Hirn in die Luft. Doch meine Widerstände schmelzen, als ich die Nordküste entlangsegle. 

Die eine um die andere Felsformation, die mich aus den Schuhen haut. Eine Bucht hübscher als die andere. So dass ich gleich am zweiten Tag entgegen aller Vorsätze in der Cala Blanca ankernd bleibe, über die der Segelautor Martin Muth in seinem lesenswerten 2018er Balearen-Törnführer schreibt: Sie sei irgendwie selbst im Hochsommer unterschätzt und verlassen. Dabei hat sie wunderbaren Sandgrund, in dem der Anker prima hält.

Da bleib ich. Gewitterwolke oben drüber hin oder her. Und siehe da: Die Bucht ist noch wunderschöner als Martin Muth schreibt. Mit Grotten und Höhlen rechts am Ufer. Und Ufergrundstücken und Traumgärten, dass zum 300sten Mal in mir der Gedanke schwillt: „Mit so einem Garten würdest Du endlich seßhaft werden. Und niemals mehr auf Reisen gehen.“ 

Ibiza hat, je nachdem, wo man ankommt, viele Gesichter. Die Felsformationen an der Nordküste, die Gärten und die nette Bucht, in der ich nur zu gern geblieben wäre, sie alle sind die gegensätzlichen Gesichter einer Insel. 

Denn es gibt eben auch jenes Sant Antoni de Portmany, wo es nicht so wichtig ist, ob man die Nacht im richtigen Hotel verbringt. Sondern viel wichtiger, in welchem Club. Möglichkeiten gibts da zwischen Sant Antoni und Ibiza Stadt viele – sie springen einen gleich am Busbahnhof von Sant Antoni  und auf dem Weg von dort nach Ibiza Stadt an: Großflächige Plakate mit kryptischen Messages, deren Gesichter, Namen und Botschaften nur die feierlaunigen jüngeren Kryptographie-Eingeweihten entziffern können. Der Rest der Menschheit? Steht erstmal stumm vor den übergroßen Plakatwänden mit den Tempelhieroglyphen wie der hier:



Doch Vorsicht. Tynie Tempah weiß, was Sache ist – auf YOUTUBE hat er für einen einzigen Song schon mal 169 Millionen Aufrufe (169.000.000) eingeheimst, bevor er Ibiza diesen Sommer jeden Mittwoch mit seinem Besuch beehrt.  

Und überhaupt: Ibiza? War da nicht was? War hier in Sant Antoni nicht das legendäre CAFE DEL MAR daheim, dessen chillige Sounds ich nur in den CD-Player (gabs damals noch) schieben musste: Und schon tagträumte ich mich weit weit weg in ein Leben, in dem es nur noch Segeln, Weite, Meer und Reisen gab. Das Cafe gibt es immer noch, und auch wenn dort beim Sonnenuntergang noch genauso lauthals applaudiert wird, weil es angeblich wie vor 20 Jahren der schönste Ort für Sonnenuntergänge sei, so ist es längst in andere Hände übergegangen.

Ibiza Stadt selbst ist dann wieder anders. Die Altstadt eine pittoreske karibische Piratensiedlung auf einem Hügel. Es waren meerreisende karthagische Phönizier aus dem gegenüberliegenden Nordafrika, die auf der ländlich geprägten Eingeborenen-Insel zunächst einen Handelsposten errichteten. Ein Ort, der vor 2.500 Jahren nichts anderes war als ein weiterer der der unzähligen Handelsposten auf einer entlegenen Insel. Den die neuen Herren zielstrebig erst zur Selbstversorger-Station und dann zum Produktionszentrum umbauten. Manchmal scheint es mir, als wären die Phönizier und deren westliche Abkömmlinge, die Karthager, die Start-Up-Unternehmer der Antike. Etwas erschaffen, wo nichts ist, statt zu erobern. 

Ich gebe zu: Ich könnte hier bleiben, in Ibiza. Allen teueren Hafengebühren im Juli und August zum Trotz (37ft: bis 200€) und auch manch anderen Auswüchsen des Massentourismus. Denn unter dieser Oberfläche ist dieses Ibiza einfach nur eine phantastisch schöne Insel.


Tag 9 nach Ecuador – Die Äquatortaufe

So., 10.Juni 18, Pazifik, Tag 1470, 13.333 sm von HH, etmal 76

Seit ich denken kann, kenne ich den Begriff der Äquatortaufe. Schon als kleines Mädchen habe ich den Taufschein meines Vaters bewundert. Der hing eingerahmt immer im Arbeitszimmer. Ein dicker Neptun sitzt in den Fluten und hält seinen Dreizack. Den Dicken, im Stil der 50er Jahre gehalten, mochte ich schon immer leiden. Die Dias der Taufen, die mein Vater von seinen Seereisen mitbrachte, fand ich schaurig-schön.

Eine fast hundertjährige Familientradition bekommt ein neues Kapitel: Opa (Seeteufel) getauft 1927, Papa (Schweinsfisch) getauft 1961 und jetzt ich (Knurrhahn) getauft 2018. Man darf behaupten, dass Seereisen in der Familie liegen.

Aus einer Dachlatte (ja, ja, man wundert sich, was Langfahrtsegler so an Bord mit sich schleppen) und drei Gabeln basteln wir uns einen Dreizack. Etwas Fischernetz ist auch noch aufzutreiben, so dass wir uns zünftig als Neptun verkleiden können.
Am Nachmittag, Wettergötter haben ein Einsehen und schicken die erste Sonne nach einer Woche, ist es dann soweit. Vorsichtig, so will es Neptun, überqueren wir über den Äquator.

Neptun mit Dreizack

Neptun mit Dreizack

Da eine Äquatortaufe nach den Meeresgesetzen vorgeschrieben ist, treffen Achim und ich uns auf dem Achterdeck und haben beide die gleiche Idee: den anderen vor der Taufe mit Rasierschaum einzuschmieren. Achim muss zusätzlich noch ein Ekelgetränk aus Milch, Tabasco und Sojasauce trinken und bekommt noch etwas Mehl auf seinen Rasierschaum gestreut.
Zum Abschluss gibt es eine Pütz voll Äquatorwasser über den Kopf. Achim segelt fortan als ‚Katzenhai‘ über die Weltmeere.
Um auf Nummer sicher zu gehen, bekommt Neptun noch einen guten Schluck aus der Schnapsbuddel und wir einen kleinen.

Schikane vor der Taufe

Schikane vor der Taufe

für beide Täuflinge

für beide Täuflinge

Ein frisch getaufter Knurrhahn

Ein frisch getaufter Knurrhahn

Ein frisch getaufter Katzenhai

Ein frisch getaufter Katzenhai

Weit ist es nun nicht mehr zu unserem Ziel, keine 40 Meilen. Der Kurs, den wir fahren können, ist gut. Der Wind ist schwach, so dass wir mitten in der Nacht in Bahia de Caraquez ankommen werden.
Die letzten zehn Meilen sind immer mehr Fischer unterwegs. Die Bucht blinkt wie ein Weihnachtsbaum in allen Farben. Rechts leuchtet ein Fischer mit einer rot-blauen Rundumleuchte, links flackert es grün, daneben ein Boot in rot. Dazwischen sehen wir weiße Blitzer oder plötzlich wird ein grüner Strahl auf uns gerichtet. Eine Fahrt wie durch ein Minenfeld.

Um 1.45 Uhr fällt der Anker. Nach 8 Tagen und sieben Stunden. Aus knapp 600 Meilen direkte Strecke sind knapp 800 geworden. Wir haben 15 Stunden motoren müssen und sind mit dieser Bilanz hoch zufrieden. Es gibt Yachten, die machten aus der Strecke tausend Meilen oder mussten dreiviertel der Strecke den Motor benutzen.

Die Nacht werden wir vor der Flussmündung des Rio Chone verbringen. Wir müssen auf das nächste Hochwasser warten und Morgen einen Lotsen über Funk anfordern.
In den Rio Chone kann nur bei Hochwasser eingefahren werden, nur dann steht über der Barre in der Mündung genug Wasser. Tonnen, die eine Fahrwasserrinne kennzeichnen, gibt es keine. Die Strömung verändert ständig den befahrbaren Kanal, so dass es nicht geraten ist, ohne Lotsen in den Fluss zu fahren.
Drei Meter, so heißt es, sei der Wasserstand bei Hochwasser . Allemal genug für uns, wenn der Lotse denn den richtigen Weg findet. Das wird nochmal spannend Morgen.

Tagesmeilen 76 – davon 12 unter Motor

Taufspruch:
Wir Neptun, der Einzige, Dreizackfürst, rechtmäßiger Beherrscher der veilchenblauen Meeresflut, Erdumgürter und Erderschütterer, haben allergnädigst den p.p. Staubgeborenen Jochim Willner an Bord des Uns befreundeten Schiffes SY Atanga Erlaubnis zum vorsichtigen Überschreiten Unseres Äquators erteilt.
Die Unseren Meergesetzen vorgeschriebene Linientaufe ist geziemend vollzogen und überstanden worden. Der Täufling wurde mit geweihtem Linienwasser auf den Namen Katzenhai getauft.

Tag 8 nach Ecuador

Sa., 09.Juni 18, Pazifik, Tag 1469, 13.257 sm von HH, etmal 107
Wir fragen uns, ob Ecuador die gute Wahl gewesen ist. Noch immer keine Sonne. Die Nächte sind schwarz, die Tage grau. Allerdings kein Regen mehr und etwas mehr Wind, der uns über 100 Meilen in 24 Stunden schaffen lässt. Wow. Wir machen langen Kreuzschlag nach Westen und können so zur Nacht das erste Mal direkten Kurs auf Bahia de Carracez anlegen. So wie es aussieht werden wir dort im Dunkeln ankommen. War ja klar.
Die Wassertemperatur ist nochmals gefallen. Nachts brauchen wir im Cockpit eine Jacke. Das erste Mal seit zwei Jahren. Dabei sind wir dem Äquator nah wie nie zuvor. Morgen werden wir die magische Linie queren. Auf einigen Yachten heißt es nur „was soll’s, sieht auch nicht anders aus.“ Wir freuen uns auf die Äquatortaufe.
Tagesmeilen 107 – davon 0 unter Motor Noch 65 sm direkter Weg Keine besonderen Vorkommnisse

Von Mallorca nach Ibiza. Oder: Ein ganz normaler Tag auf dem Meer.

Auf meiner ersten Etappe für mein neues Buchprojekt 
um die europäische Westküste herum erreichte ich von Sizilien kommend 
nach 5 Tagen Segeln die Balearen. 
Nach Menorca und Mallorca bin ich am Samstag Früh Richtung Ibiza aufgebrochen.

Manchmal schlafe ich abends ein mit dem Gefühl, an einem Tag auf dem Meer soviel erlebt zu haben wie an 30 anderen Tagen nicht. Nach all den Jahren des Segelns weiß ich immer noch nicht, warum ich in dieser rauen Umwelt und mit der anstrengenden Erfahrung des Alleinsegelns so viel Glück empfinde. 

Es gibt viele Wege, die 45sm (80 Km) von Mallorca nach Ibiza zurückzulegen. Mit dem Flugzeug. Mit der Fähre. Auf einem Kreuzfahrtschiff. Da lassen wir andere für uns machen. Geben die Verantwortung an andere ab. Machen lassen spart eigene Mühsal. Auf dem eigenen Boot übernimmt man die Verantwortung selber. Das ist nicht für jeden geeignet. Und anstrengend ist es auch. Und manchmal voll der Mühen. Aber irgendwie erlebe ich dabei viel. So wie gestern.

Bis ein Blister so schön anzusehen ist, brauchts manchmal. Vor allem, wenn man jeden Anfängerfehler der Welt beim Setzen und Bergen macht.

Weil mein Freund Sven die Regel aufgestellt hat, man müsse den Tag bei Sonnenaufgang farbenfroh mit einem riesigen Vorsegel beginnen, habe ich versucht, seiner Regel gestern zu folgen.  Doch wenn ich ehrlich bin, dann bin ich als Einhandsegler kein Freund davon. Spi und Gennaker und Blister sind gut für mehrköpfige Crews. Als Einmann-Segler sind sie mir zu kompliziert zu setzen. Und – wenn es einmal schnell gehen muss – noch komplizierter zu bergen. Ich brauche in solchen Situationen sieben Hände, wo ich doch nur zwei habe. 

Doch habe ich in der Segellast dieses große gelbe Vorsegel liegen. Es kitzelte mich nach dem Ablegen aus meiner Ankerbucht in Mallorca und der Vorhersage „10 Knoten Wind“, das gelbe Segel. Also ließ ich Levje unter Autopilot aus dem Hafen lauf; legte 20 Minuten Leinen und das große gelbe Segel aus. Und zog es hoch.

Es stand schön. Es grüßte den Tag farbenfroh. Es zog mächtig. 7 Knoten Speed bei 13 Knoten Wind. Aber dann schaute ich den Mast hinauf und entdeckte, dass sich da oben das Fall, an dem die Spitze des gelben Segels hing, um das Fall des eingerollten Vorsegels gewickelt hatte. 

Das mit der „Verantwortung für alles“ ist, wenn es ernst wird, eine blöde Sache. Ich dachte hin. Ich dachte her. Überlegte, ob der starke Zug des gelben Segels nicht Schaden anrichten könnte? Es lief ja doch alles so schön. So gut. Nein, ich lasse das erstmal so stehen, bis der Wind nachlässt.

Nach zehn Minuten war ich weichgekocht. Das ging so nicht. Das war nicht gut. Also begann ich, das  das gelbe Teil zu bergen. Das ging fast gut. Nur fast. Denn plötzlich hatte ich eine Sanduhr drin. Ich konnte es nicht mehr einrollen. Es blähte sich und schlug wie wild. Ich ließ das große gelbe Teil also in voller Fahrt im geöffneten Zustand aufs Vordeck fallen. Warf mich mit all meinen 90 Kilo ausgestreckt drauf, um das im Wind schlagende Tuch zu bändigen. Und zurrte es mühsam der Länge nach am Seezaun fest. Doch ich hatte die langen Schoten einen Moment außer Acht gelassen, die wir im Wasser hinter uns herzogen. Natürlich hatte sich die eine in den Propeller unter Levjes Bauch gewickelt. Der ließ sich nicht mehr drehen. Wir waren ohne Motor.

Da half jetzt nur eins: Ich musste auf dem offenen Meer mein Schiff verlassen. Unter das Schiff tauchen. Und die grüne Schot wieder vom Propeller kriegen. Ich schalt mich alles, was mein Vokabular an Eigenschimpfnamen hergab. Doch es half nichts. Ich versuchte Levje durch Bergen des Großsegels – so gut es ging – zum Stehen zu bringen. Mit festgelegtem Ruder machte sie schwache Fahrt seitwärts. Falls der Wind sie doch beschleunigte, während ich tauchend unter ihrem 4 Meter breiten Bauch zugang war, band ich meinen längsten Festmacher an einen Fender. Und warf beides über Bord. Dann Badehose an. Messer ans Handgelenk gewickelt. Rein in die Wellem.

Levjes Heck stampfte und matschte heftig auf nieder in den Wellen. Luft holen. Runter unter das schlagende Heck. Aber alles halb so wild. Schon beim ersten Tauchgang sah ich, dass sich die Leine drei Windungen ordentlich um die Welle gelegt und sie blockiert hatte. Nach dem dritten Mal tauchen schaffte ich es, sie loszubekommen. Schnell aus dem Wasser. Rauf aufs sichere Deck. Als Erfahrung bleibt, wie sehr man unter dem stampfenden Heck sich in einer Welt bewegt, die keinen Fixpunkt mehr hat. In der sich alles unter Wasser dreht. Ich ließ das große gelbe Tuch aufgetucht auf der Seereling. Und beobachtete eine überholende Fahrtenyacht. Mit großem Blister. Und ebenfalls mit einer Sanduhr drin. Ich war also nicht der einzige Idiot an diesem Tag.

Fünf Stunden später. Der Wind war nun tatsächlich auf 10 Knoten gefallen. Am Himmel zeigten sich Wolken, die ich noch nie gesehen hatte. Rätselhafte Dinger, Wolken wie gezackte Wellenkämme. Sie sahen irgendwie ungut aus, ich nahm mir vor, sie bei Gelegenheit nachzuschlagen und ließ sie vorerst über mich drüberziehen. Dann wurde der Wind schwächer. Ich schielte erneut zu dem verdreht auf meiner Seereling hängenden 60 Quadratmeter großen gelben Teil. Wenn ich es auf dem Vordeck entdrehen könnte. Wenn es gelänge, die fünf Leinen wie bei einem Fallschirm einigermaßen in Ordnung zu halten.

Mut ist, wenn man seine Ängste überwindet. Ich brauchte zwanzig Minuten, bis ich das Teil einigermaßen klariert hatte. Dann schnell zum Mast. Und hoch damit hinter der Genua, die es wie eine Wand vor dem erneuten Verdrehen schützte. Und da stand es nun. Und meine siebeneinhalb Tonnen schwere Levje spurtete los, dass es eine Freude war. Ich war stolz, meine Probleme gelöst zu haben. 

Und als wäre dies alles noch nicht Geschenk genug, tauchten in diesem Moment drei Delphine auf, als wollten sie mir sagen: „Du hast Dich zwar anfangs wie ein Anfänger benommen, aber das Ruder rumgerissen. Wir habens genau gesehen!“

Und so schwammen die drei vor Levjes Bug. Schielten hoch, wenn ich runtergrinste. Und tauchten nach rechts, wenn ich links die Kamera hinhielt. Sie sind wie Spielkinder.  Jedenfalls die beiden kleineren.

Der dritte war viel größer und der Vorderkörper weiß. Ich bin nicht sicher, ob er seiner Größe nach überhaupt ein Delphin war? Oder vielleicht etwas größeres. Wenn ich wieder Netz habe, werde ich nachsehen, ob es Grindwale auch im Mittelmeer und um Ibiza gibt. Der Große zeigte jedenfalls ganz anderes Verhalten als die possierlichen beiden kleineren Delphine, war jedenfalls scheu. Und hielt sich abseits, während die beiden kleineren mit den weißen Bäuchen munter vor Levjes dahinrauschendem Bug spielten.

Mein Abenteuer mit dem gelben Vorsegel hatte mich über eine Stunde gekostet. Es war 18 Uhr, als ich mit leichter Brise die Ibiza vorgelagerte Tagomago erreichte und an der Westseite auf sandigem Grund meinen Anker fallen ließ. Und während ich noch am Ankern war und im Wasser nach meinem Anker schnorchelte, um zu sehen, ob er sich auch gut eingegraben hatte, überzog sich der Himmel. Das Strahlen wich einem fahlen Braun am Himmel. Staubfahnen jagten vor der Sonne dahin, ein

merkwürdiges Schauspiel am Himmel. Noch merkwürdiger, als wenige Minuten später nur wenige Regentropfen fielen. Es dauerte nicht lang. Doch jeder der Regentropfen enthielt mindestens ein rotes Sandkorn – Staub aus den Wüsten des nahen Nordafrika, den der Wind übers Meer hierher getragen hatte. Er erinnerte mich daran, wie nahe ich Nordafrika im westlichen Mittelmeer bereits gekommen war. Und der mein Schiff am darauffolgenden Morgen nach drei nächtlichen Gewittern mit viel Blitz und wenig Getröpfel aussehen ließ: Als hätte jemand heimlich des Nachts alle Fenster, alle Schoten die Segel, die Decks heimlich mit einem roten Sand-Wasser-Gemisch bemalt.

Nein. Ich erlebe auf dem Meer an einem Tag mehr als irgendwo sonst.

Tag 7 nach Ecuador – Wir sind nicht allein

Fr., 08.Juni 18, Pazifik, Tag 1468, 13.150 sm von HH, etmal 94
Achim entdeckt die kleine Nussschale beim Frühstück als erster. Die ist zwischen den kabbeligen Wellen kaum auszumachen. Ein kleine Boot ohne Kajüte oder andere Aufbauten, vielleicht sieben Meter lang. Während wir noch überlegen, ob sich Fischer trauen in so einem Boot 80 Seemeilen von der Küste entfernt zu fischen, nähert sich von hinten unbemerkt ein ähnliches Boot. Als wir aufmerksam werden, ist der Kahn schon auf zweihundert Meter ran. Er kommt schnell näher. Wir sind verunsichert. Zu viele Piratengeschichten lassen uns nicht an harmlose Fischersleute denken. Wir gucken misstrauisch. „Was wollen die?“
Die drei Jungs winken, nähern sich auf zwanzig Meter an, freuen sich und schießen Fotos mit dem Handy von uns. „Hola, como esta?“, hören wir sie rufen. Fisch wird hoch gehalten und noch mehr Fotos geschossen. Sie freuen sich wie kleine Kinder über uns. Wir sind die Tagessensation. Winkend und lachend lassen sie sich zurück fallen und gehen wieder ihrem knüppelschweren Job nach. Es ist beschämend, dass wir zuerst Schlechtes denken und uns nicht entspannt über den Besuch freuen können. Schlimm, dass ein paar Idioten, die Yachten überfallen, so viel Gift versprühen können.
„Ob die nachts Lichter haben?“, überlegen wir. Besser wäre das. In den stockdunklen Nächten können wir nicht mal unseren eigenen Bug (grade sieben Meter vor uns) erkennen. In ein unbeleuchtetes Fischerboot würden wir ungebremst rein rauschen. Wir hätten keine Chance so ein Boot rechtzeitig zu erkennen. Eine gruselige Vorstellung.
Ich bin dann froh als Achim mir zu Beginn meiner Wacher erzählt, dass er ein rotes Licht um uns kreisen sehen hat. Offensichtlich sind es Fischer gewesen auf der Suche nach ihren Kanistern, die auf der Wasseroberfläche treiben und an denen Treibnetze hängen. Sobald sie einen Kanister gefunden haben, gehen extrem starke Lampen an. Zwei, dreimal in der Nacht sehen wir solche Lampe. Die Jungs sind nicht zu übersehen. Puh.
Im Morgengrauen, ich bin grade unten, Achim schläft, höre ich Pfiffe. Als ich an Deck komme, ist wieder ein Fischerboot neben uns. Gleiche Szene. Sie freuen sich wie Bolle. Als ich fotografiere, werfen sie sich in Pose und reißen die Arme nach oben. Viel Gelächter und pure Freude über unser Treffen. Fünf Minuten später sind wieder verschwunden. Das Wetter: Vormittags zwei Stunden Sonne, kein Regen und den Rest der Zeit ist es grau, grau, grau. Die Nächte sind pechschwarz und kühl. Die Wassertemperatur ist nochmal um ein Grad gesunken. So langsam macht sich der Kühlschrank um uns herum auch an Deck bemerkbar. Die Nächte gehen nicht mehr als laue Tropennächte durch. Wind: konstant Windstärke vier, selten eine Böe.
Tagesmeilen 94 – davon 0 unter Motor Noch 138 sm direkter Weg

Tag 6 nach Ecuador – Im Humboldtstrom

Do., 07.Juni 18, Pazifik, Tag 1467, 13.056 sm von HH, etmal 97
Seit zwei Tagen haben wir konstanten Wind aus Süd-West. Meistens 13 Knoten, Windstärke vier. Wenn eine der Wolkenwände auf uns zu läuft, geht es mal hoch auf 17 Knoten Wind, danach der Absturz auf 9 Knoten. Die letzten 24 Stunden waren mit einem Schnitt von 4 Knoten ganz gut. Auch die Richtung passte einigermaßen. Sobald der Wind auch nur etwas dreht, fahren wir sofort eine Wende, um möglichst optimal aufs Ziel zuzusteuern. Das gelingt nicht immer gleich gut. Der Humboldtstrom redet ein kräftiges Wörtchen mit. Wir stecken jetzt mitten drin. Die Wassertemperatur ist schon um 1,5 Grad gesunken. Wo er am stärken ist, wissen die Götter.
Durch den schwachen Wind ist es an Bord ganz gemütlich. Wir haben uns längst an die Schräglage gewöhnt. Leichtfüßig bewegen wir uns im Schiff. Einen Schrank zu öffnen, stellt mich nicht mehr vor eine unlösbare Aufgabe. Die berühmten Seebeine sind, wie immer, ab Tag 4 voll ausgebildet. Heute Vormittag schien für 30 Minuten die Sonne. Dann wieder der graue Himmel mit tiefliegenden Wolken. Aus Westen kommt eine Wolkenwalze nach der anderen angerollt. Zum Glück sind Gewitter und Regen seit gestern ausgeblieben. Tagesmeilen 97 – davon 0 unter Motor Noch 196 sm direkter Weg (in 7 bis 8 Tagen, wie unsere Prognose war, wird das wohl nix)

Tag 5 nach Ecuador – Trotteliges Tölpel Treffen

Mi., 06.Juni 18, Pazifik, Tag 1466, 12.959 sm von HH, etmal 77
Am Nachmittag kreist ein Tölpel um Atanga. Eindeutig äugt er nach einem Landeplatz, den er nach einigen Landeversuchen auf dem Bugkorb findet. Wackelig sitzt er auf der dünnen Stange und wird prompt abgeworfen. Aber der Platz gefällt ihm. Ein erneuter Landeanflug folt. Er lernt schnell, von welcher Seite es einfacher geht. Er kommt auch zunehmend besser mit dem stampfenden Bug klar. Der Hub von einem Meter stört ihn kaum. Er findet sein Gleichgewicht und fällt nach kurzer Zeit nicht mehr runter. Mit Seelenruhe fängt er an sich zu putzen.
Eine Stunde später kreist ein zweiter Tölpel ums Schiff. Der hat den Trick mit der Landung noch schneller drauf. Tölpel Nummer eins meckert zwar den Neuankömmling etwas an, aber dann sitzen sie doch einträchtig beieinander. Keine dreißig Minuten später kommt ein dritter Tölpel geflogen. Hallo? Wir sind doch keine Vogel-Kolonie. Das finden Nummer eins und zwei ebenfalls und hacken auf den Neuen ein. Der will fliehen, rutscht mit gespreizten Flügeln von der Stange ab und sitzt prompt in der Falle. Der Bugkorb verjüngt sich nach vorne und der arme Kerl bleibt mit seinen Flügeln so ungünstig hängen, dass er weder vor noch zurück kann. Die Stange vom Bugkorb ist unter seinen Achseln eingeklemmt. Ein beidseitiger Armhebel sozusagen. Jetzt ist auch klar, woher diese Vögel ihren Namen haben.
Achim sprintet schnell nach vorne und rettet den Tölpel aus seiner misslichen Falle (damit dürfte die alte Tölpel-Geschichte für alle Zeiten aus der Welt geschaffen sein). Überrascht von der schnellen Hilfe, stürzt der Trottel-Tölpel zunächst ins Wasser, kann dann aber unverletzt weiter fliegen.
Unsere drei Freunde beraten sich kurz und entscheiden, wo Platz für zwei Tölpel ist, findet auch ein dritter noch ein Stück Stange. Friedlich hocken sie sich auf dem Bugkorb zusammen. Wenn wir eine Wende fahren, fliegen sie kurz davon und nehmen erneut Platz. „Wir bleiben über Nacht“, stellen sie klar. Im Morgengrauen sitzen noch zwei Tölpel am Bugkorb. Ob der Trottel in der Nacht abgestürzt ist, ist nicht verbürgt. Schon bald verschwinden auch die verbliebenen zwei. Einer kehrt nach anderthalb Stunden zurück und bleibt noch bis zum Mittag bei uns. Dann geht er endgültig wieder seiner Wege. Wahrscheinlich sind wir ihm doch zu langsam.
Wenn die Vögel unser Vorschiff so toll finden, will ein Thunfisch da nicht hinten an stehen. Kurz vor dem Dunkelwerden hören wir ein eigenartiges Flappen. Wir glauben es nicht. Auf dem Vorschiff zappelt ein kleiner Thunfisch. Übermütig scheint er etwas zu hoch gesprungen zu sein und landet an Deck. So ein Leckerbissen. Aber der Kerl ist recht klein und Achim befindet sich im Lebensretter-Modus. Der Thunfisch darf wieder schwimmen.
Wir mutieren zur Arche Atanga kommt es mir vor.
Tagesmeilen 77 – davon 0 unter Motor Noch 274 sm direkter Weg

Baja – Budapest – Baggersee

Nomade in Budapest.

Ungarn bedeutet für mich eine Art Wendepunkt. Zwar geht es immer noch weiter die Donau hinauf und das auch noch lange, aber Ungarn ist im Schengen-Raum, was die weitere Reise für mich wesentlich erleichtert. Nachdem ich über die Grenze bin, habe ich in Mohacs einklariert. Ein letztes Mal, in einem riesigen Gebäude, alles perfekt organisiert. Grenzpolizei, Zoll, Wasserschutzpolizei, Amtsarzt und Katastrophenschutz (kein Scherz) musste ich besuchen und Stempel sammeln. Trotzdem war nach knapp einer Stunde alles erledigt.
Ab hier genieße ich nun echte Reisefreiheit. Lediglich mein Geld habe ich noch einmal umgetauscht und mit dem Ungarischen Forint jetzt die 6. Währung seit Beginn der Fahrt in der Brieftasche.

Danach bin ich eine kurze Etappe bis Baja gefahren. Hier gab es das erste Treffen mit einem Leser und Zuschauer. Balazs, der nur wenige Kilometer von Baja entfernt wohnt, stand bereits am Steg und hat die Leinen von Nomade angenommen. Danach sind wir zusammen in ein Cafe gegangen und ich wurde dort von einer kleinen Runde erwartet. Ein außergewöhnlich schöner Tag war das für mich. Das man hier unten, kurz hinter der Serbischen Grenze, das anschaut und liest, was ich hier zu erzählen habe, hätte ich nie gedacht! Und so ist der Tag ausgefüllt mit Plauderei, einer Fahrradtour mit Jozsef, der mir die Stadt zeigt und bei Besorgungen hilft.
Am Abend kommen dann nochmal Daniela und Gunter an Bord. Die beiden wollen nächstes Jahr von Ungarn aus bis zum Schwarzen Meer rudern. Und so sitzen wir bis zum späten Abend zusammen und unterhalten uns über die Donau.



Am nächsten Morgen bin ich weiter und habe 3 Tage bis Budapest gebraucht. Eine Nacht lag ich vor Anker neben dem Fahrwasser, die zweite Nacht habe ich in einem Industriehafen längsseits an einem Frachter aus den Niederlanden verbracht. Es ist das erste Schiff aus den Niederlanden, das mir auf der Donau begegnet.
Als ich mit dem Captain ins Gespräch gekommen bin, hat sich nach einer Weile herausgestellt, dass ich ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit vor sehr vielen Jahren bereits gesehen habe, ohne es bewusst zu wissen.
Anfang der 90er ist er nämlich hauptsächlich im Wesel-Datteln-Kanal gefahren. Dort habe ich meine Kindheit verbracht. Wir haben damals direkt neben dem Kanal gewohnt und ich war fast jeden Tag am Wasser, habe oft hinter der letzten Brücke vor der Schleuse Friedrichsfeld geangelt und manchmal den Binnenschiffen, die vorbei kamen, gewunken und davon geträumt, eines Tages auch mal mit einem Schiff unterwegs zu sein.
Der Captain der OTHELLO, der mich an diesem Tag längsseits gehen lässt, kam öfters dort vorbei und wenn er mal wegen Hochwasser vor der Schleuse festhing, dann hat er sein Brot beim gleichen Bäcker geholt, bei dem wir auch unsere Brötchen bekommen haben. Ernstings in Spellen.

Die Welt ist manchmal wirklich eine Erbse!


Budapest ist allerdings alles andere als eine Erbse. Ich bin eigentlich kein Großstadtfan, aber die größte Stadt an der Donau fasziniert mich! Viel kann ich leider nicht über Budapest erzählen, weil die Zeit dort einfach zu kurz war. Neben vielen Einkäufen (unter anderem 230 Liter Diesel mit dem Handwagen von der Tankstelle geholt) habe ich auch einige Zeit mit Jochen verquatscht. Jochen kommt die Donau mit seiner Motoryacht runter gefahren. Er ist der erste Fahrtenskipper, dem ich im Fluss begegne. Was er über die Donau oberhalb von hier weiß, ist für mich sehr wertvoll, umgedreht ist es genauso. Und so gehen wir Buch und Karte durch und tauschen Infos aus.
Budapest finde ich für eine Großsstadt mit etwa 1,7 Millionen Einwohnern erstaunlich leise und gemütlich.
Bevor ich mir jetzt aber etwas über die Stadt aus der Nase ziehe, zeige ich euch lieber ein paar (wenige) Fotos.



Nach Budapest bin ich in einem Rutsch durchs Donauknie gefahren und liege seit gestern Nachmittag in einem Baggersee vor Anker.
Hier in diesem See merke ich, wie die Luft so langsam raus ist. Heute morgen lief der Volvo bereits, dann habe ich kurzerhand beschlossen, einen Tag hier zu bleiben. Motor wieder aus! Zum einen schiebe ich seit einiger Zeit ein paar Basteleien vor mir her, zum anderen bin ich etwas müde.
Des Echolot funktioniert seit gestern nicht mehr. Konnte es leider nicht reparieren. Aber immerhin habe ich jetzt endlich die Fernbedienung aus einfachsten Dingen gebastelt, die ich mir vor ein paar Tagen ausgedacht hatte. Damit kann ich Nomade nun auch außerhalb des Cockpits steuern und endlich mal im Stehen fahren. Mein Rücken rebelliert nämlich mittlerweile von der vielen Rumsitzerei.
Dafür musste ich hart in den Autopiloten eingreifen, aber das Ding taugt im Auto-Mode sowieso nicht mehr viel.

Gleich fahre ich kurz mit dem Schlauchboot rüber zu Dietmar, dem ersten Einhandsegler, dem ich seit Canakkale (im letzten Jahr) begegnet bin. Aber das ist ne Geschichte, die erzähle ich euch beim nächsten mal…

Mallorcas wilder Norden. Oder: Einschlafen auf dem Boot in den Bergen.

Auf meiner ersten Etappe für mein neues Buchprojekt 
um die europäische Westküste herum erreichte ich von Sizilien kommend 
nach 5 Tagen Segeln die Balearen. 
Was ich von Landurlauben gut zu kennen meinte, entpuppte sich vom Meer wahrhaft als: 
Die vergessenen Inseln.

Eine der schwierigsten Dinge, die man im Leben unternehmen kann, ist: Sein Verhalten zu ändern. Nicht die großen Dinge im Leben, nein. Die kleinen Dinge im Alltag sind die schwierigsten: Das Handy im Restaurant ausgeschaltet lassen. Zwei Kilo abnehmen. Seiner Partnerin voll und ganz zuhören, sie anzusehen, wenn sie erzählt. Voll und ganz in diesem Augenblick und nirgendwo anders zu sein.

Die kleinen Verhaltensänderungen: Sie stellen uns immer wieder vor unerhörte Herausforderungen. Ich segle nun viele Jahre. Doch immer wieder ist es für mich eine der größten Herausforderungen als Einhandsegler, im Hafen die Leinen loszuwerfen und abzulegen. Beispiel gestern: In Pollenca sind die Vorhersagen für die nächsten beiden Tage eher schlecht.
Im Norden: Regen. Gewitter. Schwachwindig.
Im Süden: Wind aus südwestlichen Richtungen – also aus der Richtung und auf dem langen Weg, auf dem ich eigentlich um Mallorca herum nach Westen gehen will.

Ich überlege hin. Ich überlege her. Wenn ich losfahre, dann geht nur die kürzere Nordroute. Regen? Gewitter? Lieber doch noch einen Tag im Hafen bleiben? Lieber die Sicherheit des Hafens? Wer weiß, was mich draussen erwartet.

Doch irgendetwas in mir ist in all den Jahren klüger geworden. Es weiß, dass mich draußen zwar die Ungewissheit erwartet. Es weiß, dass mich draußen auch Schönheit erwartet, während die träge Sicherheit des Hafens trügerisch ist. Aufbrechen ist eine Kunst – und Kunst erfordert Anstrengung und Mut. Ich atme tief durch. Und werfe gegen halb zwei die Leinen los. Um auf dem kürzesten Weg in den Westen Mallorcas zu gelangen, nach Sóller und Andratx. Entlang an den Bergen der Sierra de Tramuntana, Mallorcas wildem Norden. 

Draussen ist natürlich alles anders. Statt Schwachwind erstmal 5bft. von vorn. Statt Regen in der Nacht Regen am Nachmittag. Blöde Wellen. Später Wind aus allen Richtungen. Doch dies alles wiegt nicht viel. Denn was ich sehe und dort draußen finde, wo kaum ein anderer an diesem Regen- und Gewittertag unterwegs ist, ist dies:Segeln an menschenleeren Klippen und Steilküsten entlang. Mallorcas abweisende Nordküste ist – gemessen vom Kap Formentor bis zur westlichsten Insel Dragonera – gerade 45sm lang. Sie ist der kürzeste Weg, um die Insel zu passieren. Doch auch der für den Segler unfreundlichste. In dem 75 Kilometer langen Abschnitt findet man kaum Buchten, keine Schlupfwinkel, in denen man sich vor dem gefürchteten Nord verstecken könnte. Und bis auf einen Hafen, eben Sóller, keine Ausweichmöglichkeit, wenn das Wetter mal rau wird. Während Levje an den Felswänden entlanggleitet, während ein Schauer niederprasselt, dass sich das Bimini über mir vor Regenwasser ausbeult, denke ich: Wieviele Wracks wohl dort unten an den auf 50, 60 Meter Tiefe vor den Klippen an den steil abfallenden Wänden liegen mögen. Wieviel unentdecktes es dort unten zu entdecken gäbe: Wracks griechischer Händler auf dem Weg nach Westen – so wie jenes vor den Klippen der Halbinsel Uluburun, das ich in den Vergessenen Inseln beschrieb. Wracks römischer Frachter und französischer Frachter, alle zerschellt, weil sie lieber den kurzen Weg statt des langen nahmen. Und weil sie gescheitert sind, uns wie eine Zeitmaschine ihre Gegenwart dort unten auf dem Meeresgrund in kleinsten Artefakten überlieferten.

Eigentlich war mein Tagesziel ja Sóller. Doch ich bin so fasziniert von der Felslandschaft und dem was ich da sehe, dass mich irgendwann die Häuser einer kleinen Bucht zwischen den Klippen faszinieren. Ich beschließe, Gewitter hin oder her, die Stadt Stadt sein zu lassen, und die kleine Bucht anzusteuern, in der irgendwo in den Bergen schon zwei Segler liegen. Als ich in die enge Bucht einlaufe, platzen natürlich genau in diesem Moment die Wolken und der nächste Schauer geht nieder. Das ist gut so – denn der Regen drischt die Wellen platt, auch wenn ich den Grund nicht erkennen kann. Ich steuere im Regen Levje um die Ankerlieger herum, lasse den Anker fallen und fahre ihn fest ein. Er hält auf Anhieb.

Als die Regenwolken aufreissen, erkenne ich Details. Ich liege mit Levje unter Mallorcas höchstem Berg, dem Puig Major, der über Levjes Mast von 0 auf über 1.440 Meter aufragt. In der kleinen Cala Tuent gibt es ein paar Häuser. Alles sieht friedlich aus. Ich beschließe die Nacht hier zu bleiben.

Und während ich von der Bucht hinausschaue aufs offene Meer, wo sich nördlich der Bucht die Gewitterwolken ballen und trotzdem ein Segler gemächlich auf dem regenglatten Meer nach Westen strebt, denke ich mir. Ich werds nie lernen. Es wird mich jedes Mal wieder Mühe kosten. Mich Anstrengung kosten, die Leinen loszuwerfen. Und aufzubrechen. Doch ich weiß jedesmal, dass es sich fast immer lohnt, die Anstrengung auf mich zu nehmen. Und nur selten lohnt, aus Angst vor dem Ungewissen eine Aufgabe, eine Ziel, ein Vorhaben nicht anzugehen. 

Tag 4 nach Ecuador – Alle Farben grau

Di., 05.Juni 18, Pazifik, Tag 1465, 12.882 sm von HH, etmal 76
Was als schöner Hollywood-Film begann (da schaukelt es auch nie auf einem Segelboot), entpuppt sich als Woody Allen Tragikomödie: „Was Sie schon immer mal über Segler wissen wollten.“
„Du nervst vielleicht.“ Mein Konter ist originell: „Selber!“ „Olle Meckerziege.“ „Selber!“ „Geh‘ bloß ins Bett oder iss ein Stück Schokolade. Deine schlechte Laune hält ja keiner aus.“ „Sag du mir nicht, was ich machen soll. Hör lieber auf unterm Bimini zu qualmen. Du stinkst alles voll“, nörgeln wir uns gegenseitig an. „Immer muss alles nach Deiner Nase gehen.“ „Selber“, Achim kann es auch nicht besser. Ich folge dem unerwünschten Ratschlag und greife herzhaft in die Schoki. Achims Sucht siegt ebenfalls. Statt unterm Bimini wird am Heck eine gequarzt. Da kann der feine Herr dann auf einmal im Regen stehen ohne zu quaken. ;-)
Drei Tage nur Regen und Gewitter. Das Wetter drückt auf die Stimmung. 50 Shades of Grey, nur nicht so erotisch. Morgenrot grau, Himmel grau, Wasser grau, wahlweise mit oder ohne Regen. Abendrot grau. Laune grau. Wir dümpeln mit knapp drei Knoten in die halbwegs richtige Richtung. „Komm, lass uns nicht zanken, die Situation ist so schon unerfreulich genug“, bietet Achim an. Hand drauf.
Am Nachmittag muss die Maschine wieder ran. Kaum noch Wind. Wir treiben rückwärts. So langsam hat uns der Humboldtstrom am Wickel. Hier soll doch der Wind aus Süden kommen. Als wir vor uns, hinter uns und neben uns eine Gewitter-Zelle sehen, sind wir sicher, gleich geht es los. Einer Intuition folgend, greifen zu unserem schwersten Segel, der Fock. Nicht eine Minute zu früh. Gefühlt rücken alle drei Wolken-Wände näher. Zehn Knoten Wind, fünfzehn Knoten, es geht hoch auf zwanzig. Die Fock-Schoten dicht geknallt, brettern wir davon. Reffen ist was für Feiglinge, schließlich liegt unser Wunschkurs (190 Grad) an. Hoch am Wind entkommen wir dem Regen in die Dämmerung hinein.
Der Komfort an Bord ist schlagartig vorbei. Wir schieben reichlich Lage. Zwanzig Grad machen jeden Handschlag anstrengend. Der beste Ort ist im Bett – gut gepolstert zur schrägen Seite. Meine Schicht beginnt wie immer um 22:00 Uhr. „Wir müssen eine Wende fahren“, empfängt Achim mich, „der Wind hat etwas gedreht.“ Schlaftrunken stehe ich im Niedergang. Ich mag nicht hinter der Sprayhood herauskrabbeln, es gießt wie aus Eimern. „Zieh am besten nur Deine Regenjacke an, sonst nichts“, rät Achim mir. „So wie ich“. Wieder muss ich an ‚Fifty Shades of Grey‘ denken. Also, Augen zu und raus. Vorstellen mag ich mir unseren Anblick nicht.
Die Wende ist schnell abgearbeitet. Achim verschwindet ebenso schnell: „Du machst das schon. Wenn der Wind noch heftiger wird, lass die Großschot etwas raus.“ Die Nacht ist dunkel wie im Bärenarsch. Ein Blindflug. Es regnet, es donnert, es blitzt. Heute Nacht wird an diesem Ort der Weltuntergang geprobt. Der Wind geht nicht über zwanzig Knoten, reffen brauchen wir nicht, aber schön geht anders. Hinter meiner Sprayhood gibt es eine kleine trockene Ecke. Dort mache ich es mir ‚gemütlich‘. Mein Blick fällt auf den Windanzeiger. Huch, 25 Knoten, sagt die Anzeige, hab ich gar nicht mitbekommen. Dann 28 Knoten, 30 Knoten. Mir rutscht das Herz in die Hose. Dafür haben wir zu viel Tuch oben. 32, 33, 35. Adrenalin pumpt durch meinen Körper. Alle Signale stehen auf ‚Flucht‘. Als ich 38 sehe, fängt endlich das Gehirn an zu arbeiten: Unmöglich! Die Anzeige muss spinnen. Das blöde Gerät zählt noch bis 81 hoch, dann geht es zurück auf anständige 19 Knoten. Ich zähle die Minuten bis ich Achim wecken darf und zurück in mein Bettchen kann.
Catch of the day: ein zu kleiner Gelbflossenthun, der zurück ins Meer kommt Tagesmeilen 79 – davon 16 unter Motor Noch 312 sm direkter Weg

Folge 15 – Von Nynäshamn nach Birka (Mälaren)

 
 

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