Monat: September 2015

Unter Segeln: Nachts in der Mündung des Acheron.

Der Wind hatte aufgefrischt, als es Nacht wurde. Er war den ganzen Tag von vorn gekommen, seit ich die Drehbrücke von Santa Mavra auf Lefkas passiert hatte. Den Nachmittag über ein leichter Nordwest, gerade so, um dagegen anzumotoren auf dem Weg nach Paxi, der vergessenen Insel. Aber in der Abenddämmerung hatte er aufgedreht, nicht viel, aber genug, dass LEVJE sich in der Welle feststampfte. Sollte ich aufkreuzen? Dann käm ich in Paxi erst um Mitternacht an. Nein. Aber querab lag die Mündung des Acheron, mit halbem Wind bei schneller Fahrt in zwei Stunden zu erreichen. Also: neuer Kurs 80 Grad. Ruder gelegt. Genua ausgerollt. Und LEVJE schoß in der Abenddämmerung los. Was vorher stundenlange Qual unter Motor war, wurde jetzt Lust. Ein Dahinstürmen entlang der seitlich anrollenden Wellen. Ein ruhiges Dahingleiten durch lange Wellentäler und über Wellengipfel. Ein unbewegtes schnelles Dahinschnüren von dreieinhalb Tonnen Boot. LEVJE spielte ihr Halbwind-Spiel: Immer wenn von quer ein Wellenkamm heranrauschte und genau an LEVJE’s Rumpf gischtend, spritzend brechen wollte, war sie einen Tick schneller. Ließ den Wellenkamm gerade eben hinter sich vorbeiziehen, wo er kraftlos brach, statt an die Bordwand zu klatschen. Das ging viele Male so, und ich liebe das Spiel.

Jetzt, im späten September, fällt die Nacht schnell. Während im frühen August der Felsen von Monemvasia noch stundenlang brauchte, um vom Dämmer ins Dunkel zu gehen, geht jetzt alles ganz schnell. Kaum dass die Sonne verschwunden ist, noch ein bisschen Abendrot. Und dann ist es: Nacht. Finsternis. Der Mond war noch nicht aufgegangen, ich navigierte unter Segeln nur mit dem iPAD und NAVIONICS auf die Mündung des Acheron zu, zur Sicherheit ließ ich die Seekarte auf dem iPHONE mitlaufen. Rechts tauchten in der Dunkelheit Felsen auf, an denen sich die Wellen brachen. Links war noch alles frei. Die Tiefe sank rapide: 19 Meter, wo laut Seekarte 50 sein sollten. Zeit, die Segel zu bergen und LEVJE’s rauschende Fahrt zu beenden.

Acheron. Ein paar Häuser in der Dunkelheit. Lichter. Der Mond, der sich hinter einer Wolkenbank versteckt und nicht recht hervor will. Das Donnern der brechenden Wellen auf den Klippen rechts von mir, da wo die Flußmündung sein müsste. Langsam tuckern wir in die Bucht. Zwei Yachten liegen da, wiegen mächtig im Schwell, beide. Ein Nachtvogel, der herüberschreit, melodisch vom Ufer. Das Rauschen der Brecher rechts von mir, unentwegt und mächtig. Links von mir ein langsames, rythmisches Aufrauschen. Ein Sandstrand also. Langsam, langsam tuckern wir hinein in die Bucht. Noch fünf Meter Tiefe zwischen den beiden Ankerliegern. Ich will weiter hinein, in die Dunkelheit. Es muss doch ein ruhiges Plätzchen geben in dieser Bucht, in der der Schwell offensichtlich keinem Ruhe lässt. Das Licht einer Taschenlampe auf LEVJE, von der Charteryacht herüber. Noch vier Meter Tiefe. Noch drei einhalb. Noch drei. Langsam, fast eine Minute lang lasse ich LEVJE in einem Kreis auslaufen. Langsam einen Kreis gedreht, langsam, um festzustellen, ob nicht doch eine Untiefe, ein Fels herausragt, irgendetwas, das LEVJE bei mehr Wind ernsthaft beschädigen könnte. Nein, nichts. Alles frei. Dann los. Polternd fällt LEVJE’s Anker ins Dunkel, ich ziehe langsam rückwärts, von der hinter mir liegenden Yacht aus dem Dunkel kommt in deutschem Englisch der Ruf, ob ich seinen Anker sähe, als ich näherkomme. Und kurz Vollgas gebe, um festzustellen: ob LEVJE’s Anker hält im Stockdunkel. Er hält. Motor aus. Fahrtlichter aus. Ankerlicht an. Acheron.

Der Mond, der endlich aus seinem Wolkenversteck hervorkriecht. Acheron. Glaubt man dem Mythos, dann ist es dieser Fluß, der Ober- und Unterwelt voneinander trennt. Der Acheron oder auch Styx bildet den Übergang von der einen in die andere Welt, den Hades, in den nach Vorstellung der alten Griechen nach seinem Ableben ausnahmslos jeder kam, ohne Unterschied, ob arm, ob reich, ob gut, ob böse. Um dort weiter als scheuer Schatten zu existieren, Schatten unter Schatten im Reich der Toten, ohne Schmerz, und nur ein Schatten. Nicht eben die Hölle. Doch auch nicht das Paradies. Über den Acheron hinüber brachte einen Charon, der Fährmann. Und damit der seinen Dienst ordentlich versah, legte man den Toten eine Münze unter die Zunge, den Obolus, für den Fährmann. War man hinüber, über den Acheron, dann gab es keine Rückkehr aus dem Hades, dafür sorgte Kerberus, der der dreiköpfige Höllenhund. Er bewachte den Eingang, ließ keinen hinein und keine Seele heraus.

Nur einer hat es gewagt, als Lebender in die Unterwelt hinabzusteigen: Orpheus, der Sänger, dem Apollon eine Lyra schenkte. So schön war sein Gesang, dass er Feinde damit besiegen und das Meer besänftigen konnte. Und weil er so schön spielte, gewährte ihm auch Persephone, die Göttin der Unterwelt einen Wunsch, auf der Suche nach seiner verstorbenen Geliebten Eurydike im Totenreich. Er dürfe hinüber, über den Acheron und unter den Schatten nach ihr suchen. Aber wenn er sie gefunden hätte, dann müsse er vorausgehen und dürfe kein einziges Mal sich nach ihr umsehen. Sonst sei sie für immer verloren. Und Orpheus fuhr hinüber, mit Charon. Und fand Eurydike, zu seiner Freude.

Der Mond ist weiter aufgegangen, über dem Acheron. Die Straße, die er übers Meer auf LEVJE hin zeichnet, ist schwächer geworden, je höher er stieg. Die Brecher rauschen rechts in der Dunkelheit an die Felsen. Es ist Mitternacht geworden, in der Bucht des Acheron.

Was aus all dem wurde?

Orpheus, Eurydike?
Natürlich konnte der Sänger nicht wiederstehen und drehte sich um zu seiner Geliebten, als er ihre Schritte nicht mehr hörte. Und dann – verschwand sie. Und wurde wieder Schatten unter Schatten, für immer. 
Aber weil die Geschichte gar zu schön ist, entstanden zahllose Kunstwerke aus Orpheus‘ und Eurydikes‘ traurigem Schicksal. Mosaiken in der römischen Antike, die immer wieder den Sänger mit der Lyra zeigen, Literatur, aber vor allem unzählige Opern, darunter so unvergleichliche wie Monteverdi’s ORFEO oder Christoph Willibald Gluck’s ORFEUS UND EURYDIKE.

Der Hades?
Für den war schon in römischer Zeit kein Platz mehr auf der Welt. Er verschwand aus unserem Glauben. Himmel und Hölle, das Paradies nahmen seinen Platz ein. Aber wer weiß schon, was danach kommt. Wenn wir nicht mehr an Himmel und Hölle glauben

Der Acheron?
Den gibt es immer noch. Er liegt an der Westküste Griechenlands zwischen Lefkas und Parga in einer wunderschönen Bucht mit langem Sandstrand und acht Liegestühlen darauf. Die Bucht des Acheron, in der man unruhig liegt, weil hier immer, immer der Schwell hineinsteht und die Boote schaukeln lässt. Und dafür sorgt, dass man intensiv träumt, des nachts bis in den Morgen.

Unter Segeln: Nachts in der Mündung des Acheron.

Der Wind hatte aufgefrischt, als es Nacht wurde. Er war den ganzen Tag von vorn gekommen, seit ich die Drehbrücke von Santa Mavra auf Lefkas passiert hatte. Den Nachmittag über ein leichter Nordwest, gerade so, um dagegen anzumotoren auf dem Weg nach Paxi, der vergessenen Insel. Aber in der Abenddämmerung hatte er aufgedreht, nicht viel, aber genug, dass LEVJE sich in der Welle feststampfte. Sollte ich aufkreuzen? Dann käm ich in Paxi erst um Mitternacht an. Nein. Aber querab lag die Mündung des Acheron, mit halbem Wind bei schneller Fahrt in zwei Stunden zu erreichen. Also: neuer Kurs 80 Grad. Ruder gelegt. Genua ausgerollt. Und LEVJE schoß in der Abenddämmerung los. Was vorher stundenlange Qual unter Motor war, wurde jetzt Lust. Ein Dahinstürmen entlang der seitlich anrollenden Wellen. Ein ruhiges Dahingleiten durch lange Wellentäler und über Wellengipfel. Ein unbewegtes schnelles Dahinschnüren von dreieinhalb Tonnen Boot. LEVJE spielte ihr Halbwind-Spiel: Immer wenn von quer ein Wellenkamm heranrauschte und genau an LEVJE’s Rumpf gischtend, spritzend brechen wollte, war sie einen Tick schneller. Ließ den Wellenkamm gerade eben hinter sich vorbeiziehen, wo er kraftlos brach, statt an die Bordwand zu klatschen. Das ging viele Male so, und ich liebe das Spiel.

Jetzt, im späten September, fällt die Nacht schnell. Während im frühen August der Felsen von Monemvasia noch stundenlang brauchte, um vom Dämmer ins Dunkel zu gehen, geht jetzt alles ganz schnell. Kaum dass die Sonne verschwunden ist, noch ein bisschen Abendrot. Und dann ist es: Nacht. Finsternis. Der Mond war noch nicht aufgegangen, ich navigierte unter Segeln nur mit dem iPAD und NAVIONICS auf die Mündung des Acheron zu, zur Sicherheit ließ ich die Seekarte auf dem iPHONE mitlaufen. Rechts tauchten in der Dunkelheit Felsen auf, an denen sich die Wellen brachen. Links war noch alles frei. Die Tiefe sank rapide: 19 Meter, wo laut Seekarte 50 sein sollten. Zeit, die Segel zu bergen und LEVJE’s rauschende Fahrt zu beenden.

Acheron. Ein paar Häuser in der Dunkelheit. Lichter. Der Mond, der sich hinter einer Wolkenbank versteckt und nicht recht hervor will. Das Donnern der brechenden Wellen auf den Klippen rechts von mir, da wo die Flußmündung sein müsste. Langsam tuckern wir in die Bucht. Zwei Yachten liegen da, wiegen mächtig im Schwell, beide. Ein Nachtvogel, der herüberschreit, melodisch vom Ufer. Das Rauschen der Brecher rechts von mir, unentwegt und mächtig. Links von mir ein langsames, rythmisches Aufrauschen. Ein Sandstrand also. Langsam, langsam tuckern wir hinein in die Bucht. Noch fünf Meter Tiefe zwischen den beiden Ankerliegern. Ich will weiter hinein, in die Dunkelheit. Es muss doch ein ruhiges Plätzchen geben in dieser Bucht, in der der Schwell offensichtlich keinem Ruhe lässt. Das Licht einer Taschenlampe auf LEVJE, von der Charteryacht herüber. Noch vier Meter Tiefe. Noch drei einhalb. Noch drei. Langsam, fast eine Minute lang lasse ich LEVJE in einem Kreis auslaufen. Langsam einen Kreis gedreht, langsam, um festzustellen, ob nicht doch eine Untiefe, ein Fels herausragt, irgendetwas, das LEVJE bei mehr Wind ernsthaft beschädigen könnte. Nein, nichts. Alles frei. Dann los. Polternd fällt LEVJE’s Anker ins Dunkel, ich ziehe langsam rückwärts, von der hinter mir liegenden Yacht aus dem Dunkel kommt in deutschem Englisch der Ruf, ob ich seinen Anker sähe, als ich näherkomme. Und kurz Vollgas gebe, um festzustellen: ob LEVJE’s Anker hält im Stockdunkel. Er hält. Motor aus. Fahrtlichter aus. Ankerlicht an. Acheron.

Der Mond, der endlich aus seinem Wolkenversteck hervorkriecht. Acheron. Glaubt man dem Mythos, dann ist es dieser Fluß, der Ober- und Unterwelt voneinander trennt. Der Acheron oder auch Styx bildet den Übergang von der einen in die andere Welt, den Hades, in den nach Vorstellung der alten Griechen nach seinem Ableben ausnahmslos jeder kam, ohne Unterschied, ob arm, ob reich, ob gut, ob böse. Um dort weiter als scheuer Schatten zu existieren, Schatten unter Schatten im Reich der Toten, ohne Schmerz, und nur ein Schatten. Nicht eben die Hölle. Doch auch nicht das Paradies. Über den Acheron hinüber brachte einen Charon, der Fährmann. Und damit der seinen Dienst ordentlich versah, legte man den Toten eine Münze unter die Zunge, den Obolus, für den Fährmann…

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Wenn Ihnen diese Geschichte gefällt…
Soeben erschienen vom Autor von Mare Piu: 
Ein Film darüber: Was Segeln ist.


                         Als Download und auf DVD: € 19,99

Was passiert, wenn das Leben die gewohnten Bahnen verlässt? 
Was geschieht, wenn man sich einfach aufmacht und fünf Monate Segeln geht? 
Darf man das? Und wie ändert sich das Leben?
Der Film einer ungewöhnlichen Reise, der Mut macht, seinen Traum zu leben.

Mehr erfahren. Filmtrailer ansehen. Bestellen. Hier.

Der Film entstand nach diesem Buch: 
Geschichten über die Entschleunigung, übers langsam Reisen 
und die Kunst, wieder sehen zu lernen
Einmal München – Antalya, bitte. 
Das Buch: Mehr erfahren: Hier.

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… War man hinüber, über den Acheron, dann gab es keine Rückkehr aus dem Hades, dafür sorgte Kerberus, der der dreiköpfige Höllenhund. Er bewachte den Eingang, ließ keinen hinein und keine Seele heraus.

Nur einer hat es gewagt, als Lebender in die Unterwelt hinabzusteigen: Orpheus, der Sänger, dem Apollon eine Lyra schenkte. So schön war sein Gesang, dass er Feinde damit besiegen und das Meer besänftigen konnte. Und weil er so schön spielte, gewährte ihm auch Persephone, die Göttin der Unterwelt einen Wunsch, auf der Suche nach seiner verstorbenen Geliebten Eurydike im Totenreich. Er dürfe hinüber, über den Acheron und unter den Schatten nach ihr suchen. Aber wenn er sie gefunden hätte, dann müsse er vorausgehen und dürfe kein einziges Mal sich nach ihr umsehen. Sonst sei sie für immer verloren. Und Orpheus fuhr hinüber, mit Charon. Und fand Eurydike, zu seiner Freude.

Der Mond ist weiter aufgegangen, über dem Acheron. Die Straße, die er übers Meer auf LEVJE hin zeichnet, ist schwächer geworden, je höher er stieg. Die Brecher rauschen rechts in der Dunkelheit an die Felsen. Es ist Mitternacht geworden, in der Bucht des Acheron.

Was aus all dem wurde?

Orpheus, Eurydike?
Natürlich konnte der Sänger nicht wiederstehen und drehte sich um zu seiner Geliebten, als er ihre Schritte nicht mehr hörte. Und dann – verschwand sie. Und wurde wieder Schatten unter Schatten, für immer. 
Aber weil die Geschichte gar zu schön ist, entstanden zahllose Kunstwerke aus Orpheus‘ und Eurydikes‘ traurigem Schicksal. Mosaiken in der römischen Antike, die immer wieder den Sänger mit der Lyra zeigen, Literatur, aber vor allem unzählige Opern, darunter so unvergleichliche wie Monteverdi’s ORFEO oder Christoph Willibald Gluck’s ORFEO ED EURIDICE.

Der Hades?
Für den war schon in römischer Zeit kein Platz mehr auf der Welt. Er verschwand aus unserem Glauben. Himmel und Hölle, das Paradies nahmen seinen Platz ein. Aber wer weiß schon, was danach kommt. Wenn wir nicht mehr an Himmel und Hölle glauben.

Der Acheron?
Den gibt es immer noch. Er ist ein nettes Flüßchen und liegt an der Westküste Griechenlands zwischen Lefkas und Parga in einer wunderschönen Bucht mit langem Sandstrand und acht Liegestühlen darauf. Die Bucht des Acheron, in ihr liegt man unruhig , weil hier immer, immer der Schwell hineinsteht und die Boote schaukeln lässt. Und dafür sorgt, dass man intensiv träumt, des nachts bis in den frühen Morgen.

Back in the game

Liebe Leser, am Montagmorgen sind Cati und ich nach einigen arbeitsreichen (aber schönen!) Wochen in Deutschland zurück in den USA angekommen. Für die Rückreise haben wir nicht den Weg per Flieger genommen, sondern sind auf dem Wasserweg über den Atlantik…

Die vergessenen Inseln: Neues aus Trizonia!

Der Tag, er war anstrengend im Golf von Korinth. Morgens eine halbe Stunde nach dem Ablegen fünf Windstärken von vorn, ein böig-fauchiger Wind aus West-Nordwest, der den Golf entlang aus Patras im Westen genau auf uns zu pfeifft. Nach sechs, sieben Stunden gegenan aufkreuzen gerade mal 17 Seemeilen Weg zurückgelegt. Aber das immerhin mit Lust und auf der Backe liegend. Am späten Nachmittag stehe ich dann vor einer der wenigen Inseln im Golf von Korinth: Trizonia. Haben Sie nie gehört? Da geht es Ihnen wie mir. Aber als ich kurz überlege: Wo heute übernachten? Inselhafen? Festlandshafen? Fällt die Entscheidung schnell: Natürlich auf der Insel!

Soweit so gut. Aber kurz mal nachgehakt: Warum treffe ich diese Entscheidung so? Ist das Leben auf einer Insel denn wirklich so anders? Alles Einbildung? Oder gibt es tatsächlich objektive Gründe, warum auf-einer-Insel-sein soviel entspannender ist als auf dem Festland?

Nehmen wir nach einem langen Sommer voller vergessener Inseln Trizonia, das unbekannte Eiland, das Griechen [Tri:sonja:], mit kurzem „o“ und weichem „s“ sprechen. Wer über das Besondere dieser Insel recherchiert, findet – wenig. Nein, statt googeln führt ein Spaziergang von der Marina in den 54 Meter entfernt liegenden Hauptort mit Namen Trizonia zu Erkenntnissen. Man stößt einfach alle naselang auf das Thema „Entschleunigung“ in hunderterlei Formen. 
Zum Beispiel: Meine Ankunft in der Marina der Insel: entspannt. Die „Marina“: ein Betondenkmal, geschaffen mit EU-Geldern, um Griechenland in die „Wettbewerbsfähigkeit“ zu katapultieren. Aber weil sich im schönen Trizonia niemand findet, der mit Betonmolen Wettbewerb aufzuziehen Lust hätte: Drum rotten sie vor sich hin, zur Freude von etwa 20, 30 Fahrtenseglern wie mir. Und so liegen denn an die 30 Fahrtenyachten in Sonnenschein und klarem Wasser. Motorbootfahrer, Katsegler, Monos. Engländer, Finnen, Dänen, Schweizer, Franzosen. Nettes Völkchen. Niemand, der irgendwelche Bootspapiere sehen will, kein Marina-Office, kein Hafenmeister, keiner, der den Stromzähler abliest. Weil es Strom halt einfach nicht gibt.  Einfach nur gemütlich liegen, solange man will. Und gern auch über den Winter. 
Meine erste Begegnung: Die Besatzung der großen 42er, mit der wir uns draußen in den Böen über eineinhalb Stunden ein Rennen lieferten – „Faster, LEVJE! Go faster!“ wie im vorigen Post also auch hier. LEVJE wehrte sich tapfer, aber nach der Wende war Schluß, die 42 Fuß hängten LEVJE einfach ab. Jetzt stehen die beiden freundlich auf der Pier, nehmen meine Leinen an. Ein Pärchen aus Landsberg, fast meiner Heimat. Das Umfeld, die Kleinheit des Hafens, sie zwingt zum Miteinander auch unter Fremden. Wer hierher kommt, erkennt im anderen den Gleichgesinnten, auch wenn man sich vorher nie begegnet ist.

Kaum ist der Schwatz mit den Landsbergern vorbei, steht ein junges Pärchen auf der Pier: Endzwanziger beide, aus der Schweiz, die mir erklären: Dass sie noch viel langsamer reisen als ich mit LEVJE. Und während sie erzählen, komme ich mir fast wie ein bekloppter Raser vor: Die beiden sind seit Frühjahr im ihrer alten HALLBERG-RASSY 35 von Korfu bis hierher gesegelt. Gerade mal 150 Meilen. In 6 Monaten. Sind überall lange geblieben. Und finden Trizonia „ganz wunderbar zum Abhängen“. Beide arbeiten den Winter über im Skitourismus der Schweiz – und wenn die Skisaison am Schlepplift vorbei ist: verschwinden die beiden ab Frühjahr wieder auf ihr Boot, um bis in den Herbst langsam zu reisen. Und eine Insel ist der Ort, an dem sie sich austoben. ‚Nissomanie‘, die Inselsucht, von der Bloggerin Katharina auf ihrem gleichnamigen Blog schreibt: Sie grassiert nicht nur bei mir. 

Inseln widersetzen sich dem überall greifbaren Hang zur Beschleunigung unseres Alltags. Während in meinem Heimatland die Straßen immer gerader gemacht werden, damit wir noch schneller von A nach B kommen und dadurch noch „effektiver“ sein können, sind auf Trizonia Autos verboten. Genau so wie auf Spetses, auf Hydra, oder in Venedig und anderen Inseln. Der Effekt ist enorm, wenn man nach einer Woche „Insel“ wieder an einer vielbefahrenen Straße auf dem Festland steht.

Entschleunigung auch am Ufer. Drei Frauen, augenscheinlich drei der insgesamt 64 Bewohner, die die letzte Volkszählung auf Trizonia 2011 zählte. Frauen, die am Ufer sitzen und fischen, in dem sie immer wieder die auf ein knallbunter Plastik-Rädchen aufgewickelte Schnur geduldig ins Meer werfen und einholen. Fischen mit einem 1,50 €-Artikel. Den Frauen scheint das großen Spaß zu machen, sie sitzen auch am folgenden Abend am Ufer. Eigentlich traue ich ihren knallbunten Angel-Dinger ja nicht viel zu – aber zumindest eine der Frauen zeigt einem Fischer ihren Eimer-Inhalt, als die Sonne langsam verschwindet, und der Fischer nickt anerkennend. Die anderen beiden gönnen sich nach dem Fischen ein Eis in der Taverne. Und am nächsten Tag stehen auch meine Schweizer auf ihrem Boot, mit so einem knallbunten Angel-Dings in der Hand. Und werfen die Schnur wieder und wieder ins Wasser.

Zwei Fischer, die in der Dämmerung gemächlich hinaus in die Bucht tuckern, in ihren einfachen offenen Booten. Bis spät in die Nacht hinein sehe ich ihre Lichter draußen auf dem Meer. Sie sind nicht weit draußen, haben ihre Anker fallen lassen und Fischen offensichtlich mit der Leine. Für Menschen, die gerne bei jedem Wetter auf dem Meer sind, kann es nicht viel Schöneres geben, als hinauszufahren, nicht weil der Wecker klingelt, sondern weil der richtige Moment dafür da ist.

Ach ja: Und Neues aus Trizonia? Da muss ich Sie enttäuschen. Das gibt es hier auch nicht. Natürlich den Dorfschwatz, das ja. Aber sonst: Kein Zeitungsständer, der uns mit neuesten Krisen und Katastrophen kitzelt, auf die wir eh ohne Einfluß sind. Outlook, Excel? Hat man schon mal gehört, aber auf Trizonia geht es ohne. Der Wirt schreibt die Rechnung noch schön auf den Block. Tsatsiki und Auberginenpaste waren dafür umwerfend.

Nein, damit wir uns recht verstehen: Ich bin nicht für die Abschaffung von Autos, Outlook, Weckern oder gerader Straßen. Aber dafür: Ein bisschen mehr Trizonia, etwas mehr Insel-Dasein in unseren Alltag zu bringen – dafür bin ich allemal.

Die vergessenen Inseln: Neues aus Trizonia!

Der Tag, er war anstrengend im Golf von Korinth. Morgens eine halbe Stunde nach dem Ablegen fünf Windstärken von vorn, ein böig-fauchiger Wind aus West-Nordwest, der den Golf entlang aus Patras im Westen genau auf uns zu pfeifft. Nach sechs, sieben Stunden gegenan aufkreuzen gerade mal 17 Seemeilen Weg zurückgelegt. Aber das immerhin mit Lust und auf der Backe liegend. Am späten Nachmittag stehe ich dann vor einer der wenigen Inseln im Golf von Korinth: Trizonia. Haben Sie nie gehört? Da geht es Ihnen wie mir. Aber als ich kurz überlege: Wo heute übernachten? Inselhafen? Festlandshafen? Fällt die Entscheidung schnell: Natürlich auf der Insel!

Soweit so gut. Aber kurz mal nachgehakt: Warum treffe ich diese Entscheidung so? Ist das Leben auf einer Insel denn wirklich so anders? Alles Einbildung? Oder gibt es tatsächlich objektive Gründe, warum auf-einer-Insel-sein soviel entspannender ist als auf dem Festland?

Nehmen wir nach einem langen Sommer voller vergessener Inseln Trizonia, das unbekannte Eiland, das Griechen [Tri:sonja:], mit kurzem „o“ und weichem „s“ sprechen. Wer über das Besondere dieser Insel recherchiert, findet – wenig. Nein, statt googeln führt ein Spaziergang von der Marina in den 54 Meter entfernt liegenden Hauptort mit Namen Trizonia zu Erkenntnissen. Man stößt einfach alle naselang auf das Thema „Entschleunigung“ in hunderterlei Formen. 
Zum Beispiel: Meine Ankunft in der Marina der Insel: entspannt. Die „Marina“: ein Betondenkmal, geschaffen mit EU-Geldern, um Griechenland in die „Wettbewerbsfähigkeit“ zu katapultieren. Aber weil sich im schönen Trizonia niemand findet, der mit Betonmolen Wettbewerb aufzuziehen Lust hätte: Drum rotten sie vor sich hin, zur Freude von etwa 20, 30 Fahrtenseglern wie mir. Und so liegen denn an die 30 Fahrtenyachten in Sonnenschein und klarem Wasser. Motorbootfahrer, Katsegler, Monos. Engländer, Finnen, Dänen, Schweizer, Franzosen, Griechen. Nettes Völkchen. Niemand, der irgendwelche Bootspapiere sehen will, kein Marina-Office, kein Hafenmeister, keiner, der den Stromzähler abliest. Weil es Strom halt einfach nicht gibt.  Einfach nur gemütlich liegen, solange man will. Und gern auch über den Winter. 
Meine erste Begegnung: Die Besatzung der großen 42er, mit der wir uns draußen in den Böen über eineinhalb Stunden ein Rennen lieferten – „Faster, LEVJE! Go faster!“ wie im vorigen Post also auch hier. LEVJE wehrte sich tapfer, aber nach der Wende war Schluß, die 42 Fuß hängten LEVJE einfach ab. Jetzt stehen die beiden freundlich auf der Pier, nehmen meine Leinen an. Ein Pärchen aus Landsberg, fast meiner Heimat. Das Umfeld, die Kleinheit des Hafens, sie zwingt zum Miteinander auch unter Fremden. Wer hierher kommt, erkennt im anderen den Gleichgesinnten, auch wenn man sich vorher nie begegnet ist.

Kaum ist der Schwatz mit den Landsbergern vorbei, steht ein junges Pärchen auf der Pier: Endzwanziger beide, aus der Schweiz, die mir erklären: Dass sie noch viel langsamer reisen als ich mit LEVJE. Und während sie erzählen, komme ich mir fast wie ein bekloppter Raser vor: Die beiden sind seit Frühjahr im ihrer alten HALLBERG-RASSY 35 von Korfu bis hierher gesegelt. Gerade mal 150 Meilen. In 6 Monaten. Sind überall lange geblieben. Und finden Trizonia „ganz wunderbar zum Abhängen“. Beide arbeiten den Winter über im Skitourismus der Schweiz – und wenn die Skisaison am Schlepplift vorbei ist: verschwinden die beiden ab Frühjahr wieder auf ihr Boot, um bis in den Herbst langsam zu reisen. Und eine Insel ist der Ort, an dem sie sich austoben. ‚Nissomanie‘, die Inselsucht, von der Bloggerin Katharina auf ihrem gleichnamigen Blog schreibt: Sie grassiert nicht nur bei mir. 

Inseln widersetzen sich dem überall greifbaren Hang zur Beschleunigung unseres Alltags. Während in meinem Heimatland die Straßen immer gerader gemacht werden, damit wir noch schneller von A nach B kommen und dadurch noch „effektiver“ sein können, sind auf Trizonia Autos verboten. Genau so wie auf Spetses, auf Hydra, oder in Venedig und anderen Inseln. Der Effekt ist enorm, wenn man nach einer Woche „Insel“ wieder an einer vielbefahrenen Straße auf dem Festland steht.

Entschleunigung auch am Ufer. Drei Frauen, augenscheinlich drei der insgesamt 64 Bewohner, die die letzte Volkszählung auf Trizonia 2011 zählte. Frauen, die am Ufer sitzen und fischen, in dem sie immer wieder die auf ein knallbunter Plastik-Rädchen aufgewickelte Schnur geduldig ins Meer werfen und einholen. Fischen mit einem 1,50 €-Artikel. Den Frauen scheint das großen Spaß zu machen, sie sitzen auch am folgenden Abend am Ufer. Eigentlich traue ich ihren knallbunten Angel-Dinger ja nicht viel zu – aber zumindest eine der Frauen zeigt einem Fischer ihren Eimer-Inhalt, als die Sonne langsam verschwindet, und der Fischer nickt anerkennend. Die anderen beiden gönnen sich nach dem Fischen ein Eis in der Taverne. Und am nächsten Tag stehen auch meine Schweizer auf ihrem Boot, mit so einem knallbunten Angel-Dings in der Hand. Und werfen die Schnur wieder und wieder ins Wasser.

Zwei Fischer, die in der Dämmerung gemächlich hinaus in die Bucht tuckern, in ihren einfachen offenen Booten. Bis spät in die Nacht hinein sehe ich ihre Lichter draußen auf dem Meer. Sie sind nicht weit draußen, haben ihre Anker fallen lassen und Fischen offensichtlich mit der Leine. Für Menschen, die gerne bei jedem Wetter auf dem Meer sind, kann es nicht viel Schöneres geben, als hinauszufahren, nicht weil der Wecker klingelt, sondern weil der richtige Moment dafür da ist.

Ach ja: Und Neues aus Trizonia? Da muss ich Sie enttäuschen. Das gibt es hier auch nicht. Natürlich den Dorfschwatz, das ja. Aber sonst: Kein Zeitungsständer, der uns mit neuesten Krisen und Katastrophen kitzelt, auf die wir eh ohne Einfluß sind. Outlook, Excel? Hat man schon mal gehört, aber auf Trizonia geht es ohne. Der Wirt schreibt die Rechnung noch schön auf den Block. Tsatsiki und Auberginenpaste waren dafür umwerfend.

Nein, damit wir uns recht verstehen: Ich bin nicht für die Abschaffung von Autos, Outlook, Weckern oder gerader Straßen. Aber dafür: Ein bisschen mehr Trizonia, etwas mehr Insel-Dasein in unseren Alltag zu bringen – dafür bin ich allemal.

Und wenn Ihnen diese Geschichte gefallen hat:

Soeben erschienen als Film
für Download und auf DVD:


                         Als Download und auf DVD: € 19,99

Was passiert, wenn das Leben die gewohnten Bahnen verlässt? 
Was geschieht, wenn man sich einfach aufmacht und fünf Monate Segeln geht? 
Darf man das? Und wie ändert sich das Leben?
Der Film einer ungewöhnlichen Reise, der Mut macht, seinen Traum zu leben.

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Der Film entstand nach diesem Buch: 
Geschichten über die Entschleunigung, übers langsam Reisen 
und die Kunst, wieder sehen zu lernen
Einmal München – Antalya, bitte. 
Das Buch: Mehr erfahren: Hier.

Unter Segeln: Auf LEVJE nachts durch den Kanal von Korinth. Oder: Im Reich der Lichter.

Am Morgen war ich von Athen aufgebrochen. Windstill begann der Tag in der verlassenen ATHENS MARINA direkt neben dem Olympia-Stadion. Ein langsames Hinaustuckern in die Sonne, vorbei an der Insel Salamis, nicht ohne mir die Bucht angesehen zu haben, in der im September vor bald 2.500 Jahren die übermächtige persische Flotte auf eine hoffnungslos unterlegene griechische Flotte getroffen war. Kaum war ich dort an dem Ort, der heute zwischen Container-Terminals, den Werften von Perama liegt und heute eher einem Schiffsfriedhof gleicht, kam der Wind: ein netter Süd mit 10, 12 Knoten, zum ersten Mal, seit ich zwischen den Inseln unterwegs bin, ein Südwind. Das bedeutete: Regen für den nächsten Tag, aber soweit war es noch nicht, der nette Süd, er schob mich mit fünfeinhalb Knoten westwärts, zum Kanal von Korinth. 

Am frühen Abend hatte der Wind weiter aufgefrischt. Ich war bis kurz vor die Kanaleinfahrt gesegelt, hatte brav drei Kabellängen davor gewendet und die Segel fallen lassen. Hatte brav den Funkkanal 11 eingestellt, mich brav eine Stunde vor Erreichen bei der CHANNEL AUTHORITY angemeldet, noch einmal brav den Wetterbericht angesehen: Starkregen für den nächsten Morgen, Regen den ganzen Tag. Und was mir gar nicht gefiel: fünf, sechs Windstärken genau in die Bucht vor dem Kanal.

Ich entschloß mich, noch am Abend die Durchfahrt zu wagen, im Dämmer, statt am nächsten Tag im Mistwetter. Vorausgesetzt, die CHANNEL AUTHORITY spielte mit. „Yes, you can pass this evening“, war die Antwort der Frauenstimme per Funk. Also legte ich LEVJE im auflandigen Wind an die Pier der CHANNEL AUTHORITY, ein grausiger Ort bei diesem Wind. Ich hatte alle Fender draußen an Steuerbord, Rod Heikell’s immer noch schätzenswertes Buch hatte mich gewarnt, es half trotzdem nichts. Die auf die Betonmole platschenden Wellen warfen LEVJE auf und ab, die Klampen ächzten fürchterlich, Festmacher zum Zerreissen gespannt. Es wurde erst besser, als ich Springs ausgebracht hatte, da schleuderte LEVJE nicht mehr gar so wild herum. Aber ich schaute trotzdem sorgenvoll in den Kanal hinein: Jetzt noch ein Frachter, der aus dem Kanal käme und genau hier an dieser Stelle wenige Meter neben LEVJE die Schrauben beschleunigte: Herausgerissene Klampen und was sonst für Bruch wären unvermeidlich. Doch der Kanal war leer. Der Frachter, den die CHANNEL AUTHORITY über Funk anpreite, war auf der anderen Seite noch fünf Seemeilen von der Einfahrt entfernt. Jetzt also los. Mit einem Sprung auf die Pier, ins Gebäude gespurtet, bei einem freundlichen Beamten für das Passieren von LEVJE’s 9,40 Meter 109,72 € bezahlt. Wie Rod Heikell schreibt: Gemessen in Euro pro Seemeilen ist der Kanal von Korinth die teuerste Wasserstraße der Welt.

Ganze dreieinhalb Seemeilen misst das Wegstück, das um 1890 ungarische Ingenieure und griechische Arbeiter über 85 Meter tief in den Fels sprengten, hackten, kratzten. Ganze dreieinhalb Seemeilen lang. Und 24,60 Meter breit. Mit 7,50 Wassertiefe. Ich hatte Zeit darüber nachzudenken, während ich auf der schwankenden LEVJE saß und auf die Freigabe zur Einfahrt wartete. Das dauert. Es dämmerte schon. Bis sich plötzlich ganz oben im Kontrollturm ein Fenster öffnete und eine Frauenstimme herunterrief: „Go! Go!“ Und mich mit der unnachahmlichen Geste griechischer Frauen von meiner wackeligen Pier hinein in den Kanal wegscheuchte. Die Brücke, die mir vorher den Weg in die Einfahrt versperrt hatte, war weg, einfach versunken in 7.50 Meter Wassertiefe. Der Weg lag frei vor mir.

Kaum war ich drin, steigen die Felswände zu beachtlicher Höhe an. Felswand links, Felswand rechts, Vor mir die mit dem Lineal gezogene Wasserstraße durch den Fels. Bäume und Büsche, die von ganz oben heruntergrüßen, manchmal auf einer der vier Brücken in luftiger Höhe ein Fußgänger, der herunterschaut, ein Hund, der in die aufkommende Nacht zu mir herunterbellt. Ich bin mit LEVJE allein im Kanal. Vor mir: Sechs Kilometer Fahrt durch den Fels.

Kaum bin ich drin, meldet sich über Funk die Frauenstimme aus dem Tower, die mit der unnachahmlich wegscheuchenden Handbewegung. Ich habe alle Hände voll zu tun. Die Pinne halten. Gleichzeitig quer durchs Cockpit mich nach dem Funkgerät recken, ich mir vorsorglich im Niedergang unter größter Dehnung das Mikro festgeklemmt. „Das nächste Mal: Nur mit Handfunke!“ Es dauert, bis ich das Mikro in der Hand habe, LEVJE derweil auf die Felswände zudriftet, weil ich die Pinne gerade noch so eben mit den Fingerspitzen halte, während ich mit der anderen vorne nach Knopf am Mikro taste. Die Botschaft der Frau mit der unnachahmlichen Geste an mich ist eindeutig: „Faster, LEVJE! Faster!“

Wieso?? Ich fahr doch hier schon mit 4,8 Knoten. Strom setzt dagegen, der Motor jault, ich gebe noch mehr Gas. Immerhin 5,3 Knoten über Grund. Jetzt quäle ich die Maschine ganz ordentlich.

Aber während ich im Kanal bin, ist die Nacht lautlos und mit einem Schlag herangeschlichen. Gelbe Lampen an den Tunnelwänden, abwechselnd links, abwechselnd rechts erleuchten meinen einsamen Weg. Die Feslwände, LEVJE’s Mast, das ganze Boot. Alles ist in rotes Licht getaucht, ein unbeschreiblicher Anblick. Passiere ich eine der Lampen, glüht LEVJE richtig auf. Mast, Wanten und Stagen, Seezaun, Dinghi: alles ist ins gelbrot der Lampen getaucht, das langsam verglimmt, wenn ich sie hinter mir lasse und LEVJE wieder in die Dunkelheit taucht.

LEVJE’s roter Mast, der hinaufragt, zur Brücke, hoch oben über mir, mit einem Scheinwerfer. Ganz versunken bin ich in den Anblick, hin und weg. Ein Fußgänger, der hoch oben zu mir heruntersieht, reglos. Als sich wieder die Frau mit der unnachahmlichen Geste meldet, unbarmherzig: „Faster, LEVJE! Faster!“

5,3 Knoten! Also wirklich! Noch mehr Gas geben wäre unverantwortlich. Was passiert eigentlich, wenn hier drin plötzlich der Motor aussetzt? Mit einem Schlag abstirbt, vielleicht noch ein einziges Mal bullernd hustet, dann unabänderlich – weg ist? Und LEVJE dann noch mit dem Schwung, den sie jetzt hat, lautlos gerade noch 211 Meter weiterläuft, langsamer wird und langsamer und dann plötzlich liegenbleibt, bei Kilometer 1,6 und auf 24,5 Meter Breite? Läßt man den Anker fallen? Teilt man der Frau mit der unnachahmlichen Handbewegung das dann mit wie APOLLO 13: „Houston, we have a problem.“? Schickt sie dann ein Lotsenboot, das LEVJE und mich ans andere Ende schleppt? Werde ich dort dann geteert und gefedert? Oder zusätzlich zu den 109€ mit Rechnungen in unfasslicher Größenordnung überschüttet?

Das Funkgerät reißt mich aus meinen Gedanken: „Faster, LEVJE! Faster!“
„Jaaajaaa.“
Das war Slobo’s Antwort, wenn es nichts mehr zu anatworten gab. Slobo, dem einer meiner ersten Posts galt und dem ich in meinem Buch ein kleines Denkmal gesetzt habe. Also gut. Weil sie es will. 5,4 Knoten jetzt.

Je weiter ich in den Kanal eindringe, je höher die Felswände links und rechts von LEVJE steigen: Um so faszinierender wird das Schauspiel der Lichter. Es ist, als wäre ich tief im Gestein der Erde unterwegs. Malereien, die die gelben Lampen auf Felswände zeichnen, gewaltige Schattenbilder rings um mich herum, neben mir auf dem Wasser. Felswände, in sanftes Rot getaucht wie vom matten Licht einer Fackel, bei der ein Steinzeit-Künstler seine Stiere an die Felsen zeichnet, seine Hand. Felswände, die zu Kino-Leinwänden werden, wenn LEVJE und ich daran vorbeifahren, dann: LEVJEs und mein Schatten an der Felswand, der uns überholt. Ein Mast, ein Bootskörper, der hinter mir als als kleiner Schatten an der Wand auftaucht, größer wird, uns langsam überholt, während wir an der Felswand entlanggleiten. Und vor uns im Dunkel wieder versinkt.

„Faster, LEVJE! Faster!“

LEVJE’s Motor gibt nun wirklich, was er hat. Er jault und jodelt, und wäre die Gegenströmung nicht: dann wären wir ganz sicher jetzt mit sechseinhalb, sieben Knoten unterwegs. Aber so: Sind es gerade mal fünfeinhalb Knoten. Was macht das. Denn das Reich der Lichter im Kanal, es hat mich gefangengenommen. Das Rot der Felswände. Das Fackelleuchten auf dem fast unbewegten Wasser. Die beiden Grüns, die am anderen Ende des Kanals langsam sichtbar werden, langsam, langsam näher kommen, eins links. Eins rechts.

Langsam verlieren die Felswände an Höhe. Hingen Buschwerk und Bäume vorher vom Kanalrand hoch über mir herunter, sind sie jetzt fast schon wieder auf meiner Höhe. Ein Nachtvogel singt. Das Rot der Lampen verschwindet, nichts mehr, das ihnen Kinoleinwand wäre, auf Nimmerwiedersehen versickert es in der umgebenden Nacht, als ich aus dem Kanal heraus bin und ins Hafenbecken des westlichen Kanalendes einfahre. Für einen Moment verliere ich die Orientierung. Nichts mehr links, nichts mehr rechts. Nur noch Dunkelheit. Und die beiden grünen Lichter vor mir.

„Faster, LEVJE! Faster!“ Wieder die Stimme.

Als ich näherkomme, sehe ich, dass auch die beiden grünen Lichter eine Brücke markieren. Eine Brücke, die im Kanal versenkt ist. Autos stehen links und rechts, mit leuchtenden Schweinwerfern, Menschen unter den grünen Lichtern. Sie warten auf – mich? Applaus brandet auf, als ich näherkomme. Es sind tatsächlich geschätzt 100 Autos, die links und rechts der grünen Lichter warten. Fahrer sind ausgestiegen. Hämischer Applaus und wütendes Geschimpfe bricht los, als ich die grünen Lichter erreiche. Ein Mann gestikuliert wütend und deutet auf seine Uhr. Vier, fünf Leute daneben klatschen. Ein Mann am anderen Ufer, der mir einen Vogel zeigt. Aus der Dunkelheit und dem Gebüsch neben mir dringt erneut Applaus. Und wie erklärt man jetzt mit freundlichen Worten seinen griechischen Mannsgenossen, dass LEVJE’s Motor ja nunmal nur seine 19 PS hat und der Faltpropeller bei Gegenströmung nicht unbedingt kraftvoller zubeißt? Ich lasse es lieber. Und denke mir: Vielleicht ist das so. Keine Schönheit, ohne dass nicht jemand dafür leiden müßte.

„Faster, LEVJE! Faster!“

Unter Segeln: Auf LEVJE nachts durch den Kanal von Korinth. Oder: ImReich der Lichter.

Am Morgen war ich von Athen aufgebrochen. Windstill begann der Tag in der verlassenen ATHENS MARINA direkt neben dem Olympia-Stadion. Ein langsames Hinaustuckern in die Sonne, vorbei an der Insel Salamis, nicht ohne mir die Bucht angesehen zu haben, in der im September vor bald 2.500 Jahren die übermächtige persische Flotte auf eine hoffnungslos unterlegene griechische Flotte getroffen war. Kaum war ich dort an dem Ort, der heute zwischen Container-Terminals, den Werften von Perama liegt und heute eher einem Schiffsfriedhof gleicht, kam der Wind: ein netter Süd mit 10, 12 Knoten, zum ersten Mal, seit ich zwischen den Inseln unterwegs bin, ein Südwind. Das bedeutete: Regen für den nächsten Tag, aber soweit war es noch nicht, der nette Süd, er schob mich mit fünfeinhalb Knoten westwärts, zum Kanal von Korinth. 

Am frühen Abend hatte der Wind weiter aufgefrischt. Ich war bis kurz vor die Kanaleinfahrt gesegelt, hatte brav drei Kabellängen davor gewendet und die Segel fallen lassen. Hatte brav den Funkkanal 11 eingestellt, mich brav eine Stunde vor Erreichen bei der CHANNEL AUTHORITY angemeldet, noch einmal brav den Wetterbericht angesehen: Starkregen für den nächsten Morgen, Regen den ganzen Tag. Und was mir gar nicht gefiel: fünf, sechs Windstärken genau in die Bucht vor dem Kanal.

Ich entschloß mich, noch am Abend die Durchfahrt zu wagen, im Dämmer, statt am nächsten Tag im Mistwetter. Vorausgesetzt, die CHANNEL AUTHORITY spielte mit. „Yes, you can pass this evening“, war die Antwort der Frauenstimme per Funk. Also legte ich LEVJE im auflandigen Wind an die Pier der CHANNEL AUTHORITY, ein grausiger Ort bei diesem Wind. Ich hatte alle Fender draußen an Steuerbord, Rod Heikell’s immer noch schätzenswertes Buch hatte mich gewarnt, es half trotzdem nichts. Die auf die Betonmole platschenden Wellen warfen LEVJE auf und ab, die Klampen ächzten fürchterlich, Festmacher zum Zerreissen gespannt. Es wurde erst besser, als ich Springs ausgebracht hatte, da schleuderte LEVJE nicht mehr gar so wild herum. Aber ich schaute trotzdem sorgenvoll in den Kanal hinein: Jetzt noch ein Frachter, der aus dem Kanal käme und genau hier an dieser Stelle wenige Meter neben LEVJE die Schrauben beschleunigte: Herausgerissene Klampen und was sonst für Bruch wären unvermeidlich. Doch der Kanal war leer. Der Frachter, den die CHANNEL AUTHORITY über Funk anpreite, war auf der anderen Seite noch fünf Seemeilen von der Einfahrt entfernt. Jetzt also los. Mit einem Sprung auf die Pier, ins Gebäude gespurtet, bei einem freundlichen Beamten für das Passieren von LEVJE’s 9,40 Meter 109,72 € bezahlt. Wie Rod Heikell schreibt: Gemessen in Euro pro Seemeilen ist der Kanal von Korinth die teuerste Wasserstraße der Welt.

Ganze dreieinhalb Seemeilen misst das Wegstück, das um 1890 ungarische Ingenieure und griechische Arbeiter über 85 Meter tief in den Fels sprengten, hackten, kratzten. Ganze dreieinhalb Seemeilen lang. Und 24,60 Meter breit. Mit 7,50 Wassertiefe. Ich hatte Zeit darüber nachzudenken, während ich auf der schwankenden LEVJE saß und auf die Freigabe zur Einfahrt wartete. Das dauert. Es dämmerte schon. Bis sich plötzlich ganz oben im Kontrollturm ein Fenster öffnete und eine Frauenstimme herunterrief: „Go! Go!“ Und mich mit der unnachahmlichen Geste griechischer Frauen von meiner wackeligen Pier hinein in den Kanal wegscheuchte. Die Brücke, die mir vorher den Weg in die Einfahrt versperrt hatte, war weg, einfach versunken im Wasser. Der Weg lag frei vor mir.

Kaum war ich drin, steigen die Felswände zu beachtlicher Höhe an. Felswand links, Felswand rechts, Vor mir die mit dem Lineal gezogene Wasserstraße durch den Fels. Bäume und Büsche, die von ganz oben heruntergrüßen, manchmal auf einer der vier Brücken in luftiger Höhe ein Fußgänger, der herunterschaut, ein Hund, der in die aufkommende Nacht zu mir herunterbellt. Ich bin mit LEVJE allein im Kanal. Vor mir: Sechs Kilometer Fahrt durch den Fels.

Kaum bin ich drin, meldet sich über Funk die Frauenstimme aus dem Tower, die mit der unnachahmlich wegscheuchenden Handbewegung. Ich habe alle Hände voll zu tun. Die Pinne halten. Gleichzeitig quer durchs Cockpit mich nach dem Funkgerät recken, ich hatte mir vorsorglich im Niedergang unter größter Dehnung das Mikro festgeklemmt. „Das nächste Mal: Nur mit Handfunke“, schwöre ich mir.  Es dauert, bis ich das Mikro in der Hand habe, LEVJE derweil auf die Felswände zudriftet, weil ich die Pinne gerade noch so eben mit den Fingerspitzen halte, während ich mit der anderen Hand  vorne nach dem Knopf am Mikro taste. Die Botschaft der Frau mit der unnachahmlichen Geste an mich ist eindeutig: „Faster, LEVJE! Faster!“

Wieso?? Ich fahr doch hier schon mit 4,8 Knoten. Strom setzt dagegen, der Motor jault, ich gebe noch mehr Gas. Immerhin 5,3 Knoten über Grund. Jetzt quäle ich die Maschine ganz ordentlich.

Aber während ich im Kanal bin, ist die Nacht lautlos und mit einem Schlag herangeschlichen. Gelbe Lampen an den Tunnelwänden, abwechselnd links, abwechselnd rechts erleuchten meinen einsamen Weg. Die Felswände, LEVJE’s Mast, das ganze Boot. Alles ist in rotes Licht getaucht, ein unbeschreiblicher Anblick. Passiere ich eine der Lampen, glüht LEVJE richtig auf. Mast, Wanten und Stagen, Seezaun, Dinghi: alles ist ins gelbrot der Lampen getaucht, das langsam verglimmt, wenn ich sie hinter mir lasse und LEVJE wieder in die Dunkelheit taucht.

LEVJE’s roter Mast, der hinaufragt, zur Brücke, hoch oben über mir, mit einem Scheinwerfer. Ganz versunken bin ich in den Anblick, hin und weg. Ein Fußgänger, der hoch oben zu mir heruntersieht, reglos. Als sich wieder die Frau mit der unnachahmlichen Geste meldet, unbarmherzig: „Faster, LEVJE! Faster!“

5,3 Knoten! Also wirklich! Noch mehr Gas geben wäre unverantwortlich. Was passiert eigentlich, wenn hier drin plötzlich der Motor aussetzt? Mit einem Schlag abstirbt, vielleicht noch ein einziges Mal bullernd hustet, dann unabänderlich – weg ist? Und LEVJE dann noch mit dem Schwung, den sie jetzt hat, lautlos gerade noch 211 Meter weiterläuft, langsamer wird und langsamer und dann plötzlich liegenbleibt, bei Kilometer 1,6 und auf 24,5 Meter Breite? Läßt man den Anker fallen? Teilt man der Frau mit der unnachahmlichen Handbewegung das dann mit wie APOLLO 13: „Houston, we have got a problem.“? Schickt sie dann ein Lotsenboot, das LEVJE und mich ans andere Ende schleppt? Werde ich dort dann geteert und gefedert? Oder zusätzlich zu den 109€ mit Rechnungen in unfasslicher Größenordnung überschüttet?

Das Funkgerät reißt mich aus meinen Gedanken: „Faster, LEVJE! Faster!“
„Jaaajaaa.“
Das war Slobo’s Antwort, wenn es nichts mehr zu anatworten gab. Slobo, dem einer meiner ersten Posts galt und dem ich in meinem Buch ein kleines Denkmal gesetzt habe. Also gut. Weil sie es will. 5,4 Knoten jetzt.

Je weiter ich in den Kanal eindringe, je höher die Felswände links und rechts von LEVJE steigen: Um so faszinierender wird das Schauspiel der Lichter. Es ist, als wäre ich tief im Gestein der Erde unterwegs. Malereien, die die gelben Lampen auf Felswände zeichnen, gewaltige Schattenbilder rings um mich herum, neben mir auf dem Wasser. Felswände, in sanftes Rot getaucht wie vom matten Licht einer Fackel, bei der ein Steinzeit-Künstler seine Stiere an die Felsen zeichnet, seine Hand. Felswände, die zu Kino-Leinwänden werden, wenn LEVJE und ich daran vorbeifahren, dann: LEVJEs und mein Schatten an der Felswand, der uns überholt. Ein Mast, ein Bootskörper, der hinter mir als als kleiner Schatten an der Wand auftaucht, größer wird, uns langsam überholt, während wir an der Felswand entlanggleiten. Und vor uns im Dunkel wieder versinkt.

„Faster, LEVJE! Faster!“

LEVJE’s Motor gibt nun wirklich, was er hat. Er jault und jodelt, und wäre die Gegenströmung nicht: dann wären wir ganz sicher jetzt mit sechseinhalb, sieben Knoten unterwegs. Aber so: Sind es gerade mal fünfeinhalb Knoten. Was macht das. Denn das Reich der Lichter im Kanal, es hat mich gefangengenommen. Das Rot der Felswände. Das Fackelleuchten auf dem fast unbewegten Wasser. Die beiden Grüns, die am anderen Ende des Kanals langsam sichtbar werden, langsam, langsam näher kommen, eins links. Eins rechts.

Langsam verlieren die Felswände an Höhe. Hingen Buschwerk und Bäume vorher vom Kanalrand hoch über mir herunter, sind sie jetzt fast schon wieder auf meiner Höhe. Ein Nachtvogel singt. Das Rot der Lampen verschwindet, nichts mehr, das ihnen Kinoleinwand wäre, auf Nimmerwiedersehen versickert es in der umgebenden Nacht, als ich aus dem Kanal heraus bin und ins Hafenbecken des westlichen Kanalendes einfahre. Für einen Moment verliere ich die Orientierung. Nichts mehr links, nichts mehr rechts. Nur noch Dunkelheit. Und die beiden grünen Lichter vor mir.

„Faster, LEVJE! Faster!“ Wieder die Stimme.

Als ich näherkomme, sehe ich, dass auch die beiden grünen Lichter eine Brücke markieren. Eine Brücke, die im Kanal versenkt ist. Autos stehen links und rechts, mit leuchtenden Schweinwerfern, Menschen unter den grünen Lichtern. Sie warten auf – mich? Applaus brandet auf, als ich näherkomme. Es sind tatsächlich geschätzt 100 Autos, die links und rechts der grünen Lichter warten. Fahrer sind ausgestiegen. Hämischer Applaus und wütendes Geschimpfe bricht los, als ich die grünen Lichter erreiche. Ein Mann gestikuliert wütend und deutet auf seine Uhr. Vier, fünf Leute daneben klatschen. Ein Mann am anderen Ufer, der mir einen Vogel zeigt. Aus der Dunkelheit und dem Gebüsch neben mir dringt erneut Applaus. Und wie erklärt man jetzt mit freundlichen Worten seinen griechischen Mannsgenossen, dass LEVJE’s Motor ja nunmal nur seine 19 PS hat und der Faltpropeller bei Gegenströmung nicht unbedingt kraftvoller zubeißt? Ich lasse es lieber. Und denke mir: Vielleicht ist das so. Keine Schönheit, ohne dass nicht jemand dafür leiden müsste.

„Faster, LEVJE! Faster!“

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Und wenn Ihnen diese Geschichte gefallen hat:

Soeben erschienen vom Autor von Mare Pius als Film
für Download und auf DVD:


                         Als Download und auf DVD: € 19,99

Was passiert, wenn das Leben die gewohnten Bahnen verlässt? 
Was geschieht, wenn man sich einfach aufmacht und fünf Monate Segeln geht? 
Darf man das? Und wie ändert sich das Leben?
Der Film einer ungewöhnlichen Reise, der Mut macht, seinen Traum zu leben.

Mehr erfahren. Filmtrailer ansehen. Bestellen. Hier.

Der Film entstand nach diesem Buch: 
Geschichten über die Entschleunigung, übers langsam Reisen 
und die Kunst, wieder sehen zu lernen
Einmal München – Antalya, bitte. 
Das Buch: Mehr erfahren: Hier.

The Sailing Bassman – Episode 30 – Die Mutprobe

Susanne Guidera vom Verlag millemari bat mich darum vor der Kamera etwas aus meinem Buch SchärenSegeln vorzulesen. Irgendwo an Bord oder so…. aber da Susanne sich so sehr für das Buch eingesetzt hatte, erschien mir das zu lasch. Daher lese ich nun in 35 Metern Höhe aus dem Mast der Rickmer Rickmers. Nur musste ich vorher dort hinaufklettern. Und da ich nicht ohne Höhenangst bin, fiel es mir alles andere als leicht. Seht selbst…

Meine Premiere als Buchautor

Soeben ist mein erstes Buch zur Reise bei millemari. erschienen. Und zeitgleich zu dessen Veröffentlichung erschien gerade das Kapitel über die Alandinseln im Magazin „SEGELN“. 

Eigentlich wollte ich vor einem Jahr einfach nur lossegeln und 6 Monate Freiheit geniessen. Das daraus ein Blog, ein Buch, viele Fotos, eine Musik CD und sogar ein ganzer Film werden würde, hätte ich mir nie zu träumen gewagt. Es bestärkt mich aber nur einmal mehr darin, das man einfach irgendwann nur den ersten Schritt in eine neue Richtung gehen muss, um seinem Leben zu verändern. Es fühlt sich schon aufregend an, sich plötzlich in einem Magazin zu finden, das man selber immer schon gerne gelesen hat. Es hat richtig Spaß gemacht aus allen Bildern und Erinnerungen dieses Buch zusammenzustellen und vom Abenteuer des Segelns in den Schären (Süd-, Ost- und Westschweden, den Alandinseln und, last but not least, quer durch Schweden über den Götakanal) zu schwärmen. Auch wenn ich dieses Jahr dafür nun deutlich weniger auf dem Wasser war, hat sich die viele Arbeit auf jeden Fall gelohnt. Und ich bin natürlich auch ein wenig stolz. Mein besonderer Dank gilt dabei Susanne Guidera vom Verlag millemari. Für ihre Motivation. Für ihren Einsatz. Für ihre Ideen. Für ihre Ruhe im Sturm. Ohne Susanne wäre es wohl nur bei ein paar Schnappschüssen und ein paar facebook Postings geblieben. Neugierig? Hier kann man das Buch bestellen.

http://millemari.de/schaeren-segeln/

Meine Premiere als Buchautor

Soeben ist mein erstes Buch zur Reise bei millemari. erschienen. Und zeitgleich zu dessen Veröffentlichung erschien gerade das Kapitel über die Alandinseln im Magazin „SEGELN“. 

Eigentlich wollte ich vor einem Jahr einfach nur lossegeln und 6 Monate Freiheit geniessen. Das daraus ein Blog, ein Buch, viele Fotos, eine Musik CD und sogar ein ganzer Film werden würde, hätte ich mir nie zu träumen gewagt. Es bestärkt mich aber nur einmal mehr darin, das man einfach irgendwann nur den ersten Schritt in eine neue Richtung gehen muss, um seinem Leben zu verändern. Es fühlt sich schon aufregend an, sich plötzlich in einem Magazin zu finden, das man selber immer schon gerne gelesen hat. Es hat richtig Spaß gemacht aus allen Bildern und Erinnerungen dieses Buch zusammenzustellen und vom Abenteuer des Segelns in den Schären (Süd-, Ost- und Westschweden, den Alandinseln und, last but not least, quer durch Schweden über den Götakanal) zu schwärmen. Auch wenn ich dieses Jahr dafür nun deutlich weniger auf dem Wasser war, hat sich die viele Arbeit auf jeden Fall gelohnt. Und ich bin natürlich auch ein wenig stolz. Mein besonderer Dank gilt dabei Susanne Guidera vom Verlag millemari. Für ihre Motivation. Für ihren Einsatz. Für ihre Ideen. Für ihre Ruhe im Sturm. Ohne Susanne wäre es wohl nur bei ein paar Schnappschüssen und ein paar facebook Postings geblieben. Neugierig? Hier kann man das Buch bestellen.

http://millemari.de/schaeren-segeln/

Menschen am Meer: Kostas. Hafenmeister auf Spetses.

Manchmal: Da begegnet man einem Menschen, und man weiß gar nicht, wie einem geschieht.
Kennt man sich aus einem früheren Leben?
Ist man sich schon mal begegnet?
Strahlten in der Minute der Geburt hell die gleichen Gestirne?
Was ist es, was Verstehen und Verständigung zwischen zwei Menschen möglich macht ganz ohne Worte?
Ich weiß es nicht. Nur das: Jenseits von Sprache, Inhalt, Herkunft, Rang gibt es etwas, das Verstehen möglich macht, ganz ohne Worte und Zeichen. Vieles, was man eben noch im Kopf hatte, was zu tun, zu erledigen, dringlich hinzubekommen wäre, ist im Moment einer solchen Begegnung zweitrangig, es zählt nicht mehr. Und dann ist da nur noch ein Gegenüber, das tief vertraut ist, obwohl ich dieses Gegenüber gerade mal zwei Sekunden kenne. Und so erging es mir mit Kostas.

Drei, vier Tage war ich in der Bucht im Osten von Spetses geblieben, da wo Spetses und Spetsoupola, die Privatinsel des Reeders Niarchos, sich am nächsten kommen. Drei, vier Tage, bis ich mich auf den Weg machte, um nach einem Liegeplatz im Hafen von Spetses zu suchen. Und weil es in der Hafenbucht Ormos Baltizas sehr eng zugeht, unternahm ich meine Erkundungstour zu Fuß, ließ LEVJE einfach in der Bucht zurück und wackelte die drei Kilometer zu Fuß/per Anhalter im Elektro-Golfcart nach Spetses.

Die ersten fünf, sechs Werftbesitzer, die ich nach einem Liegeplatz fragte, lehnten ab. Zu voll. Zu eng. Zu seicht das Wasser. Zu ausgebucht jetzt. Kopfschütteln in verschiedenen Farben und Formen. Ich schlich mich auf die andere Seite des Hafens, auf die Ostseite. Im Werftladen Kopfschütteln. Zwei Marineros weiter ebenso. Ich kam langsam ans Ortsende, die Häuser wichen einem kleinen Kiefernwäldchen, eigentlich ist hier nichts mehr – oder doch? Da war ein Weg, der vom Wasser wegführte, hügelan, zum Leuchtturm. Fast wollte ich schon aufgeben, aber der Weg führte zum Wasser zurück auf eine Betonpier. Da lagen Segelyachten. Und da stand: Kostas, Hafenmeister.

Ob er denn einen Platz hätte? Ja, klar. Und ob er eine Mooring hätte, ich müsste meine Ankerwinsch zerlegen und bräuchte Ersatzteile? Hm. Auch das. Wie lange ich denn bleiben wolle? Und wenn ich käme: dann bitte bleiben und nicht dauernd rein und raus. Sprachs. Und stapfte weiter. Ich quengelte weiter: Was denn das kosten würde, für zehn Meter Schiffslänge? Kostas blieb stehen und sah mich an: „You give me, what you want to give.“ Und stapfte weiter.

Damit hatte ich Denkstoff für den späten Nachmittag genug. Gibts das? Einer der nicht das Maximum rausholt? Einer der sagt: „Gib mir, was Du willst.“? Ich war jedenfalls zufrieden und machte mich am nächsten Vormittag auf den Weg zu Kostas Mole. Da hing ich dann zuerst an einem anderen Schiff. Ohne Buganker. Heck zur Pier. Im ständigen Geschaukel der mit unanständiger Geschwindigkeit vorbeidonnernden Wassertaxis. Mir war Angst und Bang. Um LEVJE. Und was würde erst, wenn der Wind heute Nacht mit angekündigten 5-6 bft. in den Hafen stünde? „Don’t worry, be happy“, brummte Kostas, und zog sich unter das Dach seines schneeweißen Fischerbootes zurück, von wo er alles im Blick hatte. Nix happy – was mach ich bloß? Kann das hinhauen, dies griechische „alles wird gut?“, ganz ohne eigenes Mühen und sich kümmern? Ich hatte arge Zweifel.

Der Nachmittag verstrich. Die Mooring, die ich bekommen sollte, war belegt mit einer Yacht mit Baterrieschaden, den die Crew eben beschlossen hatte, mit einem Besuch im weltberühmten Epidaurus per Auto zu krönen. „Ich-brauch-die-Mooring“, hämmerte mein Hirn. Kostas linste unter seinem Sonnensegel hervor. Es wurde Abend. Da erschien Kostas, nach gebotener Zeit des Nachdenkens. Stieg auf ein Schlauchboot, das an der Pier lag, verlegte es auf die andere Seite und strahlte mich an: „Here is your Mooring!“. Und so kam ich zu meinem Platz in Kostas‘ Hafen.

Spetses und Kostas‘ Hafenmole: Noch nie habe ich in einem Hafen ein derartiges Durcheinander erlebt. Kaum lag ich fest, dirigierte Kostas die riesige BILMAR genau neben mich. Kaum lag die fest, legten drei, vier, fünf andere Motoryachten ihre Anker über den der BILMAR. Und noch einer. Und noch eine Yacht, 15 Meter vor der BILMAR, mitten in der Hafeneinfahrt. Kostas Aufgabe bestand darin, aus seiner Betonmole mit ihren klar viereckigen Abmessungen möglichst viel Platz für Boote herauszuholen. Und so lagen jeden Abend die Boote im Halbkreis um Kostas‘ Mole, Heck zur Pier und übles Geschaukel mit jedem roten Wassertaxi, das nah vorbeibrauste. Und Kostas‘ Flüche weckte. „Don’t worry, be happy.“


Unsere Konversation beschränkte sich überhaupt auf einfache Äußerungen. Sah er mich, rief er einfach nur laut, dass jedermann auf der Pier es hören konnte: „Jermanooooz“. „Deutscher“. Was ich mit einem ebenso lauten „Elljinaaaaaz“, „Grieche“, beantwortete. Worauf wir uns verständnisinnig angrinsten. Vielleicht lag es daran, dass er die Tiere an seinem Steg liebte: Ständig wuselten auf seinem Steg fünf Katzen herum, ich lernte das griechische Wort für Katze, nämlich „Rata“, und als Kostas Brot brauchte, weil die 20 Gänse von Spetses mal wieder an seiner Mole haltmachten und herumschwammen wie auf einem Dorfteich, half ich ihm aus und gab ihm, was an Brot noch auf LEVJE war. Sonst nahm Kostas nichts an von niemand und von mir auch nicht, keine Melone, keine eiskalte Bierdose. Die ersten zwei Tage jedenfalls nicht. Am dritten aber nahm er abends meine Bierdose an. Da saßen wir dann, in der Abenddämmerung, auf seiner Parkbank auf der Pier. Wir redeten wenig, tranken unser Bier und schauten aufs Wasser und die Boote, die ihre Anker und Ketten kunterbunt übereinander warfen, und die Welt drehte sich in diesem Moment in der richtigen Richtung.

Vom nächsten Tag an besuchte ich Kostas öfter auf seinem Fischerboot unter dem blauen Sonnensegel. Da steckte er, wenn ihn etwas ärgerte und wenn ihm einfach zu heiß war. Hin und wieder saßen wir da, „Jermanoooz“ und „Elljinaaaaaz“, schauten aufs Wasser und redeten wenig. Als ich ihn fragte, warum er denn das mache, mit der Pier, den Job als Hafenmeister, sagte er: „I want to help people.“ Fuhr ein Fischer vorbei, brüllte er ihm etwas Unverständliches zu, ein lautes „Kaptanjeeeeee“ oder irgendetwas, das ich nicht verstand.

Am Montag war das Ersatzteil für meine Winsch aus Athen da, das ich Samstag Mittag um halb eins – so geht Griechenland! – telefonisch in Athen bei NAVTILUS bestellt hatte. Kostas organisierte mir binnen drei Minuten einen Motorroller, damit ich das Teil vom Kurierdienst holen konnte. Nach einem halben Tag tat die Ankerwinsch wieder, und zwei Tage später habe ich Spetses verlassen. Kostas stand auf der Pier und rief sein „Jermaneeeeeeeee“ und ich mein „Elljinaaaaaaz“ – aber das dauerte nicht lang, denn ich hatte den Patzer meines Lebens gebracht: War langsam aus der Box getuckert – und hatte vorher – ich weiß nicht, was mich geritten hat – die Mooring nicht losgeworfen! Also endete das  „langsam aus der Box tuckern“ schon gleich nach der Box. LEVJE drehte einen Halbkreis, Kostas begann auf der Pier zu schimpfen, ich schalt mich einen Idioten.
Aber vielleicht: War das ja alles so richtig mit der Mooring, die mich festhalten wollte, auf Spetses, und bei Kostas, an seiner Pier.

Ganz sicher ist: Dass unsere Seele machmal mehr weiß als wir selbst.


Übrigens: Kostas ist seit 35 Jahren in Spetses. Bis Oktober steht er noch auf seiner Pier in Spetses. Über den Winter hilft er, Boote ausbessern, hier in Spetses, in Porto Cheli und Ermioni auf dem Festland – wenn es gerade nicht zuviel regnet. Auf meine Frage, wie lange er das denn noch machen wolle, meinte er: „Twentythree years.“ Dann wäre Kostas achzig…
 

 
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In diesem Buch gibts mehr davon: Geschichten über die Entschleunigung, übers langsam Reisen und die Kunst, wieder zu sehen, wer und was einem da gegenüber sitzt:

Einmal München nach Antalya.

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Demnächst auch als Film:
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Menschen am Meer: Kostas. Hafenmeister auf Spetses.

Manchmal: Da begegnet man einem Menschen, und man weiß gar nicht, wie einem geschieht. 
Kennt man sich aus einem früheren Leben? 
Ist man sich schon mal begegnet? 
Strahlten in der Minute der Geburt hell die gleichen Gestirne?
Was ist es, was Verstehen und Verständigung zwischen zwei Menschen möglich macht ganz ohne Worte?
Ich weiß es nicht. Nur das: Jenseits von Sprache, Inhalt, Herkunft, Rang gibt es etwas, das Verstehen möglich macht, ganz ohne Worte und Zeichen. Vieles, was man eben noch im Kopf hatte, was zu tun, zu erledigen, dringlich hinzubekommen wäre, ist im Moment einer solchen Begegnung zweitrangig, es zählt nicht mehr. Und dann ist da nur noch ein Gegenüber, das tief vertraut ist, obwohl ich dieses Gegenüber gerade mal zwei Sekunden kenne. Und so erging es mir mit Kostas.

Drei, vier Tage war ich in der Bucht im Osten von Spetses geblieben, da wo Spetses und Spetsoupola, die Privatinsel des Reeders Niarchos, sich am nächsten kommen. Drei, vier Tage, bis ich mich auf den Weg machte, um nach einem Liegeplatz im Hafen von Spetses zu suchen. Und weil es in der Hafenbucht Ormos Baltizas sehr eng zugeht, unternahm ich meine Erkundungstour zu Fuß, ließ LEVJE einfach in der Bucht zurück und wackelte die drei Kilometer zu Fuß/per Anhalter im Elektro-Golfcart nach Spetses.

                                                                          Weiterlesen bei: Die vergessenen Inseln. Spetses.

Die ersten fünf, sechs Werftbesitzer, die ich nach einem Liegeplatz fragte, lehnten ab. Zu voll. Zu eng. Zu seicht das Wasser. Zu ausgebucht jetzt. Kopfschütteln in verschiedenen Farben und Formen. Ich schlich mich auf die andere Seite des Hafens, auf die Ostseite. Im Werftladen Kopfschütteln. Zwei Marineros weiter ebenso. Ich kam langsam ans Ortsende, die Häuser wichen einem kleinen Kiefernwäldchen, eigentlich ist hier nichts mehr – oder doch? Da war ein Weg, der vom Wasser wegführte, hügelan, zum Leuchtturm. Fast wollte ich schon aufgeben, aber der Weg führte zum Wasser zurück auf eine Betonpier. Da lagen Segelyachten. Und da stand: Kostas, Hafenmeister.

Ob er denn einen Platz hätte? Ja, klar. Und ob er eine Mooring hätte, ich müsste meine Ankerwinsch zerlegen und bräuchte Ersatzteile? Hm. Auch das. Wie lange ich denn bleiben wolle? Und wenn ich käme: dann bitte bleiben und nicht dauernd rein und raus. Sprachs. Und stapfte weiter. Ich quengelte weiter: Was denn das kosten würde, für zehn Meter Schiffslänge? Kostas blieb stehen und sah mich an: „You give me, what you want to give.“ Und stapfte weiter.

Damit hatte ich Denkstoff für den späten Nachmittag genug. Gibts das? Einer der nicht das Maximum rausholt? Einer der sagt: „Gib mir, was Du willst.“? Ich war jedenfalls zufrieden und machte mich am nächsten Vormittag auf den Weg zu Kostas Mole. Da hing ich dann zuerst an einem anderen Schiff. Ohne Buganker. Heck zur Pier. Im ständigen Geschaukel der mit unanständiger Geschwindigkeit vorbeidonnernden Wassertaxis. Mir war Angst und Bang. Um LEVJE. Und was würde erst, wenn der Wind heute Nacht mit angekündigten 5-6 bft. in den Hafen stünde? „Don’t worry, be happy“, brummte Kostas, und zog sich unter das Dach seines schneeweißen Fischerbootes zurück, von wo er alles im Blick hatte. Nix happy – was mach ich bloß? Kann das hinhauen, dies griechische „alles wird gut?“, ganz ohne eigenes Mühen und sich kümmern? Ich hatte arge Zweifel.

Der Nachmittag verstrich. Die Mooring, die ich bekommen sollte, war belegt mit einer Yacht mit Baterrieschaden, den die Crew eben beschlossen hatte, mit einem Besuch im weltberühmten Epidaurus per Auto zu krönen. „Ich-brauch-die-Mooring“, hämmerte mein Hirn. Kostas linste unter seinem Sonnensegel hervor. Es wurde Abend. Da erschien Kostas, nach gebotener Zeit des Nachdenkens. Stieg auf ein Schlauchboot, das an der Pier lag, verlegte es auf die andere Seite und strahlte mich an: „Here is your Mooring!“. Und so kam ich zu meinem Platz in Kostas‘ Hafen.

Spetses und Kostas‘ Hafenmole: Noch nie habe ich in einem Hafen ein derartiges Durcheinander erlebt. Kaum lag ich fest, dirigierte Kostas die riesige BILMAR genau neben mich. Kaum lag die fest, legten drei, vier, fünf andere Motoryachten ihre Anker über den der BILMAR. Und noch einer. Und noch eine Yacht, 15 Meter vor der BILMAR, mitten in der Hafeneinfahrt. Kostas Aufgabe bestand darin, aus seiner Betonmole mit ihren klar viereckigen Abmessungen möglichst viel Platz für Boote herauszuholen. Und so lagen jeden Abend die Boote im Halbkreis um Kostas‘ Mole, Heck zur Pier und übles Geschaukel mit jedem roten Wassertaxi, das nah vorbeibrauste. Und Kostas‘ Flüche weckte. „Don’t worry, be happy.“

Unsere Konversation beschränkte sich überhaupt auf einfache Äußerungen. Sah er mich, rief er einfach nur laut, dass jedermann auf der Pier es hören konnte: „Jermanooooz“. „Deutscher“. Was ich mit einem ebenso lauten „Elljinaaaaaz“, „Grieche“, beantwortete. Worauf wir uns verständnisinnig angrinsten. Vielleicht lag es daran, dass er die Tiere an seinem Steg liebte: Ständig wuselten auf seinem Steg fünf Katzen herum, ich lernte das griechische Wort für Katze, nämlich „Rata“, und als Kostas Brot brauchte, weil die 20 Gänse von Spetses mal wieder an seiner Mole haltmachten und herumschwammen wie auf einem Dorfteich, half ich ihm aus und gab ihm, was an Brot noch auf LEVJE war. Sonst nahm Kostas nichts an von niemand und von mir auch nicht, keine Melone, keine eiskalte Bierdose. Die ersten zwei Tage jedenfalls nicht. Am dritten aber nahm er abends meine Bierdose an. Da saßen wir dann, in der Abenddämmerung, auf seiner Parkbank auf der Pier. Wir redeten wenig, tranken unser Bier und schauten aufs Wasser und die Boote, die ihre Anker und Ketten kunterbunt übereinander warfen, und die Welt drehte sich in diesem Moment in der richtigen Richtung.

Vom nächsten Tag an besuchte ich Kostas öfter auf seinem Fischerboot unter dem blauen Sonnensegel. Da steckte er, wenn ihn etwas ärgerte und wenn ihm einfach zu heiß war. Hin und wieder saßen wir da, „Jermanoooz“ und „Elljinaaaaaz“, schauten aufs Wasser und redeten wenig. Als ich ihn fragte, warum er denn das mache, mit der Pier, den Job als Hafenmeister, sagte er: „I want to help people.“ Fuhr ein Fischer vorbei, brüllte er ihm etwas Unverständliches zu, ein lautes „Kaptanjeeeeee“ oder irgendetwas, das ich nicht verstand.

Am Montag war das Ersatzteil für meine Winsch aus Athen da, das ich Samstag Mittag um halb eins – so geht Griechenland! – telefonisch in Athen bei NAVTILUS bestellt hatte. Kostas organisierte mir binnen drei Minuten einen Motorroller, damit ich das Teil vom Kurierdienst holen konnte. Nach einem halben Tag tat die Ankerwinsch wieder, und zwei Tage später habe ich Spetses verlassen. Kostas stand auf der Pier und rief sein „Jermaneeeeeeeee“ und ich mein „Elljinaaaaaaz“ – aber das dauerte nicht lang, denn ich hatte den Patzer meines Lebens gebracht: War langsam aus der Box getuckert – und hatte vorher – ich weiß nicht, was mich geritten hat – die Mooring nicht losgeworfen! Also endete das  „langsam aus der Box tuckern“ schon gleich nach der Box. LEVJE drehte einen Halbkreis, Kostas begann auf der Pier zu schimpfen, ich schalt mich einen Idioten. 
Aber vielleicht: War das ja alles so richtig mit der Mooring, die mich festhalten wollte, auf Spetses, und bei Kostas, an seiner Pier. 

Ganz sicher ist: Dass unsere Seele machmal mehr weiß als wir selbst.

Übrigens: Kostas ist seit 35 Jahren in Spetses. Bis Oktober steht er noch auf seiner Pier in Spetses. Über den Winter hilft er, Boote ausbessern, hier in Spetses, in Porto Cheli und Ermioni auf dem Festland – wenn es gerade nicht zuviel regnet. Auf meine Frage, wie lange er das denn noch machen wolle, meinte er: „Twentythree years.“ Dann wäre Kostas achzig…

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