Kategorie: Mare Più

Menschen am Meer: Maurizio und das blaue Ungetüm.

Weil mein Schiff am Kiel undicht ist, bin ich anders als geplant nicht losgesegelt. 
Und werde ich auch die nächsten vier Wochen nicht segeln. 
Stattdessen werde ich Geschichten erzählen, die zu erzählen ich 
den Winter über keine Zeit fand. Geschichten aus den Häfen. 
In und um San Giorgio di Nogaro im Friaul.



Als ich klein war, waren meine Helden so ganz andere als heute. Vieles war groß, was mir heute klein erscheint. Die Straße, in der ich wackelnd Fahrradfahren lernte, war schier unendlich. 35 Jahre später stellte ich fest, dass sie nicht mal 35 Meter lang war. Ebenso riesig erschien mir der Bagger an der Baustelle, der heute nur jämmerlich klein ist und blau. Was habe ich ihn bewundert, den Mann im Führerhaus des Baggers. 

Zwischen damals und heute gleich geblieben ist, dass Staunen Voraussetzung für ein gutes Leben ist. Staunen lernte ich vorgestern wieder einmal bei Maurizio, dem Kranführer in der Marina San Giorgio.

Unsere erste Begegnung verlief, wie so oft bei meinen Begegnungen die interessant werden, knurrig. Im Herbst hievte Maurizio LEVJE aus dem Wasser. 9,40 Meter Länge. Keine vier Tonnen Gewicht. Kein großer Act, könnte man meinen. Aber tatsächlich muss man auch da aufpassen, wo man die Krangurte ansetzt. Sitzen sie falsch unter dem Schiff, zerdrücken sie den Kühlwasser-Einlauf, verbiegen die Motorwelle, zerquetschen das kleine Wasserrädchen der Logge. Also bat ich Maurizio, aufzupassen. Wegen der Gurte. Und dem Rädchen. Und entschuldigte mich bei Maurizio mit der Bemerkung, das daumennagelgroße Rädchen koste knapp 40 Euro, wenn es kaputtgeht. „Das ist etwa das, was ich am Tag verdiene,“ hörte ich Maurizio knurren, als der davon stapfte. Es gab mir zu denken.

Als LEVJE II nun aus dem Wasser kam – zum dritten Mal in diesem Winter – verkniff ich mir derlei. Maurizio und Michele brachten mein Schiff – siebeneinhalb Tonnen – ohne Schaden aus dem Wasser. Und wandten sich dann größeren Aufgaben zu. In der Halle wartete ein echter Brocken auf Maurizio. Eine Motoryacht von knapp 70 Tonnen. Knapp 30 Meter lang. Der Himmel weiß, wie sie sie vergangenen Herbst in die Halle hineingefummelt hatten. Die metergroßen Schiffschrauben des Monsters schwebten keine Handbreit über dem Hallenboden. Dafür passte sie auch nur Zentimeter unter die Betonträger des Hallendachs. Und auch das bloß, weil die Elektroniker den Mast mit Radar und Kommunikationsdomen abmontiert hatten.

Nun also dieser 70-Tonnen-Brocken. Dafür hat Maurizio sein kleineres Spielzeug aus der Garage geholt. Den 80 Tonnen-Kran. Er passt so eben unter das Hallendach. Und Zentimeter neben das blaue Wunderwerk im Winterschlaf.

Hustend steckt sich Maurizio eine Zigarette an. Und schaut die Bordwand hoch, ob die tonnenschweren Hebearme auch nicht an der Bordwand schrappen. Als ich ihn frage, warum er rauche, knurrt er bloß: „Zu nervös heute“. Der spirelige Werftchef Giuseppe, den alle in der Werft nur Peppo nennen, trägt auch nicht gerade zu Maurizios Ruhe bei. „Dai“, ruft er Maurizio im Vorbeigehen zu, „Mach endlich. In einer Stunde muss die im Wasser sein.“ Maurizio reißt sich aus seiner Betrachtung los. Michele schleppt noch zwei lange gepolsterte Holzbalken herbei, die sie unter die Gurte spannen. 

Maurizio hält den einen in seiner Position, ich sehe seine Tätowierung. Sehe seine Hände. Es sind die Hände eines Handwerkers. Hände, die einer Frau Sicherheit geben. Und Vertrauen. Worüber er wohl mit seiner Frau Abends redet? „Heute war einer da, der hat mir erzählte, ich solle aufpassen, damit ich sein rotes Rädchen unterm Boot nicht zerquetsche?“ 

Dann beginnt für die blaue Schönheit die Reise in diesen Sommer. Ob ich könnte, was Maurizio da jeden Tag macht? 350 Boote werden er und Michele in diesem Frühjahr aus dem Wasser heben. Dann zwei Monate Pause. Im Herbst werden sie dieselben 350 Boote wieder aus dem Wasser heben. Und Zentimetergenau in die lange Winterhalle rangieren. Und nicht nur hier in der Marina San Giorgio di Nogaro. Sondern überall an dieser Küste, an der es zwischen Venedig im Westen und Triest im Osten geschätzt um die 10.000 Liegeplätze gibt. 

Wieviele Menschen es noch vor 100 Jahren brauchte, um ein 70-Tonnen-Schiff ins Wasser zu bringen? Heute? Ein Klacks. Wenn auch ein nervenaufreibender, für die beiden, die noch benötigt werden, das tun. Es ist Zentimeterarbeit, die Motoryacht langsam ihre blaue Nase aus der Halle stecken zu lassen. Maurizio lässt das blaue Teil nicht eine Sekunde aus den Augen, während es langsam auf vier knirrschenden Reifen dahinrollt. Michele steht am obersten Deck des Schiffes. Und passt auf, dass oben und hinten nichts hängenbleibt, wenn 30 Meter Motoryacht aus dem Hallentor rollen. Alles läuft nur über die Fernsteuerung, den kleinen gelben Kasten, den Maurizio vor seinem Bauch trägt. Die Hände, die vorher noch die Planke an die Bordwand drückten, schieben jetzt kleine Hebelchen. Und bewegen damit 70 Tonnen lackiertes Glasharz und Stahl.

Dann ist das Teil draußen aus der Halle. Und wird erst mal abgestellt. Wie die parkenden Autos drumherum. Zwei Elektroniker klettern nach oben, um den umgelegten Mast mit Radar und Kommunikation wieder aufzustellen und zum Laufen zu bringen. Michele kriecht derweil unter das Teil, um fünf Stahlböcke genau unter dem Kiel wieder in die richtige Position zu bringen. Zu gerne würde ich Michele und Maurizio fragen, was in ihnen vorgeht, wenn sie unter 70 Tonnen herumkriechen, die lose in acht Stoffgurten baumeln. Was jetzt passiert, wenn sie eine der Eisenstützen in die falsche Position bringen. An einer Yacht ist Reparatur immer gleich teuer. An einem Schmuckstück wie diesem? Unbezahlbar.

„Ich mach’ das seit 1977″, erzählt Maurizio. „Damals fing ich in Bibione an, in der Werft. Ich hatte Techniker auf der Technikerschule gelernt. Und dann bin ich gleich in die Werft. Da bin ich dann geblieben. Am Kran.“

„Was seine Frau ihm heute Abend kocht?“ frage ich Maurizio. „Spezzatino con Patate al Forno“, grinst Maurizio und klatscht in die Hände, „Geschnetzteltes mit Ofenkartoffeln“. Und was bekommt sein Helfer Michele? Der zuckt nur mit den Schultern. Er weiß es nicht. Wieder grinst Maurizio: „Sorpresa della moglie“ – ‚Überraschung. Von der Ehefrau.‘ Wenn das kein Essen für Helden ist.

Vielleicht ist das die zweite Wahrheit: Wir sind nichts ohne einen Widerstand im Leben. Einen Widerstand, der uns etwas entgegensetzt, an dem wir uns spüren. Wir brauchen ihn, wie die Luft zum Atmen. Maurizio die 70 Tonnen. Ein Schreiner den Widerstand des Holzes. Ein Schmid den Widerstand des Eisens. Meine Lektorin den Widerstand der Worte. Ein Weltumsegler den Widerstand des Meeres. Ein US-Präsident den Widerstand der Welt.

Hoffen wir, dass die Sache mit dem Widerstand immer gut ausgeht. Bei Maurizio. Und auch beim US-Präsidenten.

Maurizio und Michele können Sie treffen. Ihnen bei ihrer täglichen Arbeit zusehen. Und darüber ins Staunen kommen. In der Marina San Giorgio di Nogaro südlich des gleichnamigen unscheinbaren Städtchens. Oder bei jedem anderen Kranführer im Hafen Ihres Vertrauens.

For this Article special thanks to:
Maurizio. Michele. CANTIERE MARINA SAN GIORGIO.
Peppo. Davide. E tutti gli altri.

Ostern unter Segeln: Von Italien nach Slowenien. Von San Giorgio di Nogaro nach Portoroz.


Wo war ich gleich noch stehen geblieben? 

Ach ja. Im vorigen Post noch tief im Winter, als es mit 150 PS durch neblig kalte Lagunen ging. Doch jetzt, fünf Wochen später und in der Woche nach Ostern, ist alles anders in den Lagunen. Das Gras ist grün. Der Löwenzahn trägt schicke silberne Kugelhelme. Frachter ziehen durch üppige Wiesen.

Wieso Frachter?? 

Wir sind am Fluss Corno, zwischen Grado und Lignano, in der Nähe des Städtchens San Giorgio di Nogaro, wo die Lagunen von Grado und Marano enden. Und der Fluss, den ich in meinen Winterposts beschrieb, sich jetzt im Frühjahr milde durch Auwiesen, Weidengestrüpp und Schilfhalme hindurch an Stahlwerken, Glasfabriken, Flusshäfen vorbei schlängelt. Und an den Marinas von San Giorgio und Sant’Andrea vorbei, wo Levje den Winter über lag. Und als würden die Menschen es dem Löwenzahn gleichtun, zeigen sie allerhand Kunststücke.


Klettern Masten hinauf, weil Windmesser und Vorstag nicht wollen, wie „Mann“ will. Malträtieren jämmerlich Teakdecks mit Dampfstrahlern und Schrubbern. Oder stecken, wie ich auf Levje, Köpfe und Nase auf ihren Schiffen in Ecken, wo Köpfe und Nasen nun mal nicht hineingehören. Frei nach dem Motto: „Ich wollt‘ immer schon mal wissen, was unter dem Brett ist“. 
Es ist Frühjahr im Hafen. Der Mensch: Erwacht.


Aber immer bloß reparieren geht auch nicht. Und wer jetzt meint, in diesem Sommer endlich, endlich sein Boot in perfektem Zustand zu bringen, der kommt niemals aus dem Hafen raus. Wer zur Unzeit perfekt sein will, kommt nicht zum Segeln.

Also lasse ich irgendwann Brett wieder Brett sein, und Solaranlagen-Kabel Solaranlagen-Kabel und tuckere mit Levje einfach durch die Lagunen den Fluss hinunter. Was scherts, dass das eine oder andere noch nicht fertig oder nicht angeschlossen ist. Das Wetter ist schön. Die Segel neu. Das Unterwasserschiff glatt und schnell, wie selten. Leichter Wind aus Süd, eiskalt – aber was machts.

Den Corno hinunter geht die Fahrt, wo ich vor einer Woche noch neidisch mit dem Schraubenzieher in der Hand den Frachtern zwischen den Wiesen nachschaute. Die Wasserwüste der Lagunen glänzt, als hätte es fünf Monate Nebel und klamm und kalt nie gegeben, als wäre das Leben in den Lagunen ein immerwährender Sommer. Und weil sich der Wind am Nachmittag gar so nett entfaltet, lassen wir Grado einfach links liegen und die Mündung des Isonzo auch. Und segeln hinüber über den Golf von Triest nach Osten in vier Stunden. In ein ganz anderes Land, nach Slowenien, einfach für einen Samstag. In die Bucht von Portoroz.  

Aber auch in Portoroz, wo wir vor dem Hafen die Nacht ankern, ist alles scheinbar wie es immer war. Süddeutsche und österreichische Segelschüler drehen Kreise auf dem Wasser, fahren Q-Wenden und „Mann-über-Bord“-Manöver, als wäre nichts gewesen. Der Hügel neben der Marina ragt mit seinen Lebensbäumen in der Abenddämmerung wie eine Insel aus dem Meer. Das Spielcasino im ach so gern sich mondän gebenden Portoroz entzündet in der Abenddämmerung die Leuchtreklame mit dem flirrenden Roulette-Rad auf seinem Dach. Für einen kurzen Moment überlege ich, ob im Casino vielleicht noch der Glanz von „James-Bond“ und „Smoking“ wie in den Siebzigern zuhause sein könnten. Oder ob auch das leuchtende Casino im slowenischen Seebad Portoroz den Weg allen Irdischen ging und vom Glanz erhaben sich drehender Roulette-Räder nichts übrig blieb als eine Ansammlung dudelnder, klingelnder, wimmernder elektronischer Spielautomaten.

Ich nehme mir vor, beim nächsten Mal nachsehen zu gehen, bloß aus Neugier. Wie es so zugeht, im Casino von Portoroz unter dem glitzernden Roulette-Rad, das mir herüberleuchtete manche Gewitternacht, die ich auf LEVJE ankernd in der Bucht verbrachte.

Aber heute gehört der Abend dem Sonnenuntergang. Auf den hat man aus der Bucht von Portoroz einen ganz wunderbaren Blick, als hätte man einen Logenplatz wie die beiden keifenden Alten am Ende der Muppet-Show. Sonnenuntergänge über dem Meer sind ja nun wirklich Kitsch. Ganz sicher wird es, Frankreich hin, Trump her, auch in diesem Sommer wieder jede Menge davon geben. Aber der in der Bucht von Portoroz ist nun wirklich etwas Besonderes, es gibt ihn nur einmal auf der Welt. Nur an diesem Ankerplatz vor der Marina von Portoroz, den Sonnenuntergang zwischen den beiden Landzungen, die auch das geografische Ende zweier Länder markieren: An der Landzunge rechts endet das Euro-Land Slowenien. An der Landzunge links endet das Nicht-Euro-Land Kroatien.

Schöner und näher an der Wahrheit kann man doch in diesem Frühjahr nicht ankern.
Oder?

Lieber Couch-Segeln im Warmen
statt echtes Segeln im Kalten?

„Eine Empfehlung für alle Freunde von Italien, Segeln, Reisen, dem Meer…“
Ein AMAZON-Rezensent/in

„Ich lese das Buch und werde versetzt in eine Welt, 
wo das Leben eben nicht nur aus Hektik und Nachrichten besteht.“

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JETZT erschienen als PRINT oder als eBook ab € 9,99unter millemari.de/Ein-sommer-lang-sizilien.
sowie in jeder Buchhandlung oder bei AMAZON.

Ostern unter Segeln: Von Italien nach Slowenien. Von San Giorgio di Nogaro nach Portoroz.


Wo war ich gleich noch stehen geblieben? 

Ach ja. Im vorigen Post noch tief im Winter, als es mit 150 PS durch neblig kalte Lagunen ging. Doch jetzt, fünf Wochen später und in der Woche nach Ostern, ist alles anders in den Lagunen. Das Gras ist grün. Der Löwenzahn trägt schicke silberne Kugelhelme. Frachter ziehen durch üppige Wiesen.

Wieso Frachter?? 

Wir sind am Fluss Corno, zwischen Grado und Lignano, in der Nähe des Städtchens San Giorgio di Nogaro, wo die Lagunen von Grado und Marano enden. Und der Fluss, den ich in meinen Winterposts beschrieb, sich jetzt im Frühjahr milde durch Auwiesen, Weidengestrüpp und Schilfhalme hindurch an Stahlwerken, Glasfabriken, Flusshäfen vorbei schlängelt. Und an den Marinas von San Giorgio und Sant’Andrea vorbei, wo Levje den Winter über lag. Und als würden die Menschen es dem Löwenzahn gleichtun, zeigen sie allerhand Kunststücke.


Klettern Masten hinauf, weil Windmesser und Vorstag nicht wollen, wie „Mann“ will. Malträtieren jämmerlich Teakdecks mit Dampfstrahlern und Schrubbern. Oder stecken, wie ich auf Levje, Köpfe und Nase auf ihren Schiffen in Ecken, wo Köpfe und Nasen nun mal nicht hineingehören. Frei nach dem Motto: „Ich wollt‘ immer schon mal wissen, was unter dem Brett ist“. 
Es ist Frühjahr im Hafen. Der Mensch: Erwacht.


Aber immer bloß reparieren geht auch nicht. Und wer jetzt meint, in diesem Sommer endlich, endlich sein Boot in perfektem Zustand zu bringen, der kommt niemals aus dem Hafen raus. Wer zur Unzeit perfekt sein will, kommt nicht zum Segeln.

Also lasse ich irgendwann Brett wieder Brett sein, und Solaranlagen-Kabel Solaranlagen-Kabel und tuckere mit Levje einfach durch die Lagunen den Fluss hinunter. Was scherts, dass das eine oder andere noch nicht fertig oder nicht angeschlossen ist. Das Wetter ist schön. Die Segel neu. Das Unterwasserschiff glatt und schnell, wie selten. Leichter Wind aus Süd, eiskalt – aber was machts.

Den Corno hinunter geht die Fahrt, wo ich vor einer Woche noch neidisch mit dem Schraubenzieher in der Hand den Frachtern zwischen den Wiesen nachschaute. Die Wasserwüste der Lagunen glänzt, als hätte es fünf Monate Nebel und klamm und kalt nie gegeben, als wäre das Leben in den Lagunen ein immerwährender Sommer. Und weil sich der Wind am Nachmittag gar so nett entfaltet, lassen wir Grado einfach links liegen und die Mündung des Isonzo auch. Und segeln hinüber über den Golf von Triest nach Osten in vier Stunden. In ein ganz anderes Land, nach Slowenien, einfach für einen Samstag. In die Bucht von Portoroz.  

Aber auch in Portoroz, wo wir vor dem Hafen die Nacht ankern, ist alles scheinbar wie es immer war. Süddeutsche und österreichische Segelschüler drehen Kreise auf dem Wasser, fahren Q-Wenden und „Mann-über-Bord“-Manöver, als wäre nichts gewesen. Der Hügel neben der Marina ragt mit seinen Lebensbäumen in der Abenddämmerung wie eine Insel aus dem Meer. Das Spielcasino im ach so gern sich mondän gebenden Portoroz entzündet in der Abenddämmerung die Leuchtreklame mit dem flirrenden Roulette-Rad auf seinem Dach. Für einen kurzen Moment überlege ich, ob im Casino vielleicht noch der Glanz von „James-Bond“ und „Smoking“ wie in den Siebzigern zuhause sein könnten. Oder ob auch das leuchtende Casino im slowenischen Seebad Portoroz den Weg allen Irdischen ging und vom Glanz erhaben sich drehender Roulette-Räder nichts übrig blieb als eine Ansammlung dudelnder, klingelnder, wimmernder elektronischer Spielautomaten.

Ich nehme mir vor, beim nächsten Mal nachsehen zu gehen, bloß aus Neugier. Wie es so zugeht, im Casino von Portoroz unter dem glitzernden Roulette-Rad, das mir herüberleuchtete manche Gewitternacht, die ich auf LEVJE ankernd in der Bucht verbrachte.

Aber heute gehört der Abend dem Sonnenuntergang. Auf den hat man aus der Bucht von Portoroz einen ganz wunderbaren Blick, als hätte man einen Logenplatz wie die beiden keifenden Alten am Ende der Muppet-Show. Sonnenuntergänge über dem Meer sind ja nun wirklich Kitsch. Ganz sicher wird es, Frankreich hin, Trump her, auch in diesem Sommer wieder jede Menge davon geben. Aber der in der Bucht von Portoroz ist nun wirklich etwas Besonderes, es gibt ihn nur einmal auf der Welt. Nur an diesem Ankerplatz vor der Marina von Portoroz, den Sonnenuntergang zwischen den beiden Landzungen, die auch das geografische Ende zweier Länder markieren: An der Landzunge rechts endet das Euro-Land Slowenien. An der Landzunge links endet das Nicht-Euro-Land Kroatien.

Schöner und näher an der Wahrheit kann man doch in diesem Frühjahr nicht ankern.
Oder?

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Segeln im Winter (6): Mit 150PS durch die Lagunen von Grado.

Norditalien. Ein grauer Tag Ende Februar in den Lagunen von Grado und Marano. Ein Tag, an dem man sich wirklich überlegt, ob es eine gute Idee war, den beheizten Schreibtisch für einen fünfstündigen Ritt auf einem Motorboot durch die Lagunen zu verlassen. Fortunato Moratto macht da auch nicht unbedingt Mut. Er muss es wissen, schließlich ist er der Betreiber der Marina Sant’Andrea, unserem Ausgangspunkt in den Lagunen. „Kommt erst um elf. Vorher ist es zu kalt, um rauszufahren. Die Sonne wird heute den ganzen Tag nicht rauskommen, eher Nachmittag noch mehr Nebel. Aber wenn ihr unbedingt meint: Dann fahren wir heute mit Euch raus.“

Wir meinen. Schließlich hat man nicht jeden Tag Gelegenheit, einen Wintertag lang mit 150 PS durch die verlassenen Lagunen unterwegs zu sein. Die Lagunen von Grado und Marano: Ein knapp 40 Quadratkilometer großes Wasserreich, das sich zwischen Lignano im Westen und Grado im Osten vor den Bergen von Julisch-Venetien erstreckt. Eine einsame Flachwasserwüste, vom Meer getrennt durch die Lidi, flache Sandbänke, die Meer und Wellen draußen halten. Eine Wasserwüste, durchzogen von einem System langer Dalbenstraßen, langen Pfahlreihen, denen entlang die Wassertiefe mindestens 1,60 Meter beträgt und die Lagune halbwegs schiffbar ist. Unmittelbar daneben wird es flach. Was bei Flut so aussieht, als wäre alles eine Wasserfläche zeigt sich bei Ebbe als ein System von Sandbänken, Inseln, Prielen, Schlickbänken, Flußläufen. Ein Paradies, mehr oder minder sich selber überlassen, bewohnt nur von ein paar Fischern, die auf den umfluteten Inseln leben. Und hin und wieder zum Fischen rausfahren.

Das also ist unser Programm für die nächsten fünf Stunden. Oder sollen wir hoffen, dass es bloß drei sein werden? Das Thermometer zeigt fünf bis sechs Grad. Daniele, unser jugendlicher Steuermann hat seine Handschuhe vergessen. Dafür trage ich zwei paar Skiunterwäsche, zwei Wollpullover, Segler-Schwerwetterhose und gefütterte Seestiefel. Aber perfekt bin auch ich nicht. Ich habe meine Skibrille vergessen. Schließlich werden geplante 50 Stundenkilometer auf sechs Meter langen SELVA mit ihren 150 PS mich ganz sicher zum Weinen bringen. Weniger aus Rührung. Sondern wegen des Windchill-Faktors bei fünf bis sechs Grad Außentemperatur und knapp 50 Stundenkilometern.



Und dann gehts auch schon los. Daniele motort noch vorsichtig aus der Marina Sant’Andrea, dann den Fluß hinunter, den Corno. Flußhäfen stahlverarbeitender Betriebe liegen hier, Marinas und ein Motorboothersteller, alles eingebettet in idyllische schilfbestandene Ufer, Schlickbänke und sanft ansteigende Weidenböschungen. Wir sind Richtung Meer unterwegs, es herrscht Ebbstrom, der uns allein schon um 3 Knoten Richtung Meer beschleunigt. Als wir die großen Dalbenstraße erreichen, gibt Daniele zum ersten Mal Gas. Der Bug der SELVA steigt leicht an, sie liegt ruhig, keine Welle auf dem Ebbstrom, die Dalben ziehen bei 45 km/h vorbei wie die weißen Pfosten entlang einer Landstraße. Eine Kreuzung, wo auf einer kleinen Insel noch die österreichische Kaserne von vor dem I. Weltkrieg steht. Daniele geht nicht vom Gas, sondern läßt die SELVA  mit gleichem Speed elegant nach links in die abzweigende Dalbengasse gleiten. Hier gehts nach Grado und hinüber Richtung Aquileja. Das Wasser fällt und fällt, als die schlickigen Ufer näher an die Dalben heranrücken, nimmt Daniele den Gashebel zurück. Wo die Ufer enger zusammenstehen, sollte man nicht schneller als 5 Knoten unterwegs sein. Inseln kommen ins Bild, manche sind kaum so groß wie ein Viertel Fußballfeld, das Haus eines Fischers steht darauf, Brennholzstapel, aufgespannte Netze und ein gut motorisisertes Aluminumboot davor. Was muss das für ein herrliches Leben sein, das ganze Jahr hier draußen. Mein eben noch aufkeimender Neid auf alle, die den heutigen Tag am warmen Schreibtisch verbringen dürfen, ist im Schwinden begriffen, auch wenn ich die fünf bis sechs Grad nun deutlich merke. Daniele hat, nachdem er drei Mal mannhaft meine Skihandschuhe ablehnte, sie nun doch mit laufender Nase und tränenden Augen angenommen.



Die engen Ufer gehen auseinander, die Dalbenstraße wird wieder sichtbar, wo die Ufer auseinandertreten und die offene Wasserfläche von neuem sichtbar ist. Doch Daniele gibt nicht wieder Gas. Was ist los? Er schaut konzentriert geradeaus. Ein Motorboot mit Aufbau kommt uns entgegen, „Carabiniere“ knurrt Daniele nur und bleibt schön brav bei seinen 5 Knoten, bis uns der Entgegenkommer passiert. Es ist tatsächlich ein Boot der Carabiniere, drei Mann stecken in der enge Kajüte, wahrscheinlich ist sie geheizt, und beäugen uns mißtrauisch. Dann sind sie vorbei. Daniele wartet noch einen Moment bis zur nächsten Abzweigung, bei der wieder eine Reetgedeckte Fischerhütte steht und legt dann wieder den Gashebel nach vorne. Mit 45 Kilometern schießen wir wieder durchs Grau Richtung Süden und biegen kurz vor Grado nach links ab. Wir haben vor, den engen Kanal Richtung Stadthafen Grado zu nehmen und dort kurz einzulaufen. Noch immer zieht der Ebbstrom, doch er ist jetzt langsamer geworden. Langsam laufen wir der Straßenbrücke, der Verbindung des Städtchens Grado zum Festland, rechts in den Kanal ein. Wir gleiten zwischen Wohnhäusern, Restaurants, Geschäften und dem Gebäuder der Fischkooperative durch den engen Canal Richtung Stadthafen. Vertäute Muschelfischer. Netze am Rand der Straße, zu Bergen wie Schneehaufen aufgetürmt. Ein Fischer in wattierter Tarnjacke, der uns verwundert grüßt, als wir langsam vorbeituckern. Ein einsames Pärchen Spaziergänger, die verständnisinnig von der leeren Straße heruntergrinsen. Wer an einem solchen Tag draußen ist, versteht sich ohne Worte. 



Der Stadthafen. Er liegt tief im Winterschlaf. Die NUOVA CHRISTINA, der große Ausflugsdampfer, auf dem im Sommer die Disco tobt, liegt still eingemotttet in seiner Ecke. Das Cafe BOMBEN, wo es das beste Eis am Hafen gibt, ist reglos und verschlossen und dunkel. Nach Eis wäre mir heute sowieso nicht. Eher nach einer Thermoskanne mit was Heißem drin. Aber trotzdem ist hier im winterlichen Grado nan diesem Montag Vormittag noch alles im Winterschlaf. 

Daniele dreht noch eine Runde im Hafenbecken. Dann geht es wieder hinaus aus dem Stadthafen durch den engen Canal zurück. Langsam gleiten wir an den vertäuten Fischerbooten vorbei, unsere Heckwelle schmatzt an die steinernen Kaimauern und bringt die Boote leicht ins Schaukeln. Dann haben wir die Ausfahrt aus dem Kanal bei der alten verfallenden Lagerhalle vorne am Ausgang erreicht und drehen nach rechts, um das Fahrwasser unter der alten Drehbrücke Richtung Santa Maria de Barbana.

Noch einmal gibt Daniele Gas. Er ist mutig jetzt und schiebt den Gashebel mit der skibehandschuhten  Hand nach Vorne. Die Selva nimmt unmittelbar Gas an. Das Wasser hat seinen tiefsten Stand erreicht, wir gleiten auf einer schmalen Rinne zwischen zwei Schlickufern hindurch und schießen hinaus auf die Wasserfläche, auf der die Insel Barbana mit der daraufstehenden Wallfahrtskirche wie ein Luftschloss spiegelt. Ein wenig lugt in 



diesem Moment die Sonne hervor, das tiefstehende Wasser enthüllt für einen Moment seine wirkliche Farbe: Das typische tiefe blaugrüngrau der nördlichen Adria zwischen Grado und Venedig. Daniele nimmt das Gas weg, wir gleiten langsam Richtung Kaimauer und auf den dahinterliegenden Hafen zu. Scheint ein guter Ort sein, um anzulegen. Und eine Pause zu machen für die Lunchpakete, die Fortunato uns für unsere Tour mitgegeeben hat. Daniele nimmt Kurs auf das ummauerte Viereck, als ein Mönch in brauner Kutte auf der Pier erscheint. Und uns mit beiden Händen abwehrend etwas bedeutet. Flachwasser! Das Hafenbecken von Barbana ist verlandet. Da jetzt bloß nicht rein bei dem extremen Flachwasser. Schließlich ist Barbana in diesem Moment – abgesehen von dem Weg, auf dem wir kamen, nicht mehr als eine Kuppelbekrönte Insel inmitten von Watt und Schlick. Der Mönch schaut uns noch kurz nach, ob wir seine Warnung verstanden hätten, Dann geht auf der Molenkrone entlang zu einem zehn Meter langen Zubringerboot. Klettert in Sandalen die verrostete Leiter hinunter, steigt auf sein Boot, startet den Motor. Und legt ab, um auf unserem Weg von der Kircheninsel nach Grado zurückzukehren.



Als das langsame Tuckern seines schweren Diesels in der Ferne verklungen ist, sind wir allein. Ein paar Tauben, die in den Bäumen gurren. Eine Kirchentür, die sich knarrend öffnet. Das Rauschen meiner Schwerwetterhose, als ich allein durchs Kirchenschiff mit den roten Öllichtern die Votivtafeln an den Wänden besichtige.

Zurück beim Schiff: Daniele meint, es zieht Nebel auf über den Lagunen. Stalldrang, also. Es zieht uns zurück in die Marina Sant’Andrea.

Und was denke ich jetzt, über meinen klammen Tag mit 150 PS in den Lagunen? Zwei Dinge:
• Der Winter ist eindeutig die beste Reisezeit.
• Ob warm oder kalt: „Lieber Lagune als Schreibtisch.“


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„Etwas Warmes braucht der Mensch“:


Im Sommer unterwegs um Sizilien.
Dies ist der Reisebericht. Und die Beschreibung eines Segelsommers 
und einer Reise um eine Insel, die ihresgleichen sucht.

Mit Anhang für Segler mit „Do’s & Don’ts“, Häfen, Marinas, Internet.

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Segeln im Winter (6): Mit 150PS durch die Lagunen von Grado.

Norditalien. Ein grauer Tag Ende Februar in den Lagunen von Grado und Marano. Ein Tag, an dem man sich wirklich überlegt, ob es eine gute Idee war, den beheizten Schreibtisch für einen fünfstündigen Ritt auf einem Motorboot durch die Lagunen zu verlassen. Fortunato Moratto macht da auch nicht unbedingt Mut. Er muss es wissen, schließlich ist er der Betreiber der Marina Sant’Andrea, unserem Ausgangspunkt in den Lagunen. „Kommt erst um elf. Vorher ist es zu kalt, um rauszufahren. Die Sonne wird heute den ganzen Tag nicht rauskommen, eher Nachmittag noch mehr Nebel. Aber wenn ihr unbedingt meint: Dann fahren wir heute mit Euch raus.“

Wir meinen. Schließlich hat man nicht jeden Tag Gelegenheit, einen Wintertag lang mit 150 PS durch die verlassenen Lagunen unterwegs zu sein. Die Lagunen von Grado und Marano: Ein knapp 40 Quadratkilometer großes Wasserreich, das sich zwischen Lignano im Westen und Grado im Osten vor den Bergen von Julisch-Venetien erstreckt. Eine einsame Flachwasserwüste, vom Meer getrennt durch die Lidi, flache Sandbänke, die Meer und Wellen draußen halten. Eine Wasserwüste, durchzogen von einem System langer Dalbenstraßen, langen Pfahlreihen, denen entlang die Wassertiefe mindestens 1,60 Meter beträgt und die Lagune halbwegs schiffbar ist. Unmittelbar daneben wird es flach. Was bei Flut so aussieht, als wäre alles eine Wasserfläche zeigt sich bei Ebbe als ein System von Sandbänken, Inseln, Prielen, Schlickbänken, Flußläufen. Ein Paradies, mehr oder minder sich selber überlassen, bewohnt nur von ein paar Fischern, die auf den umfluteten Inseln leben. Und hin und wieder zum Fischen rausfahren.

Das also ist unser Programm für die nächsten fünf Stunden. Oder sollen wir hoffen, dass es bloß drei sein werden? Das Thermometer zeigt fünf bis sechs Grad. Daniele, unser jugendlicher Steuermann hat seine Handschuhe vergessen. Dafür trage ich zwei paar Skiunterwäsche, zwei Wollpullover, Segler-Schwerwetterhose und gefütterte Seestiefel. Aber perfekt bin auch ich nicht. Ich habe meine Skibrille vergessen. Schließlich werden geplante 50 Stundenkilometer auf sechs Meter langen SELVA mit ihren 150 PS mich ganz sicher zum Weinen bringen. Weniger aus Rührung. Sondern wegen des Windchill-Faktors bei fünf bis sechs Grad Außentemperatur und knapp 50 Stundenkilometern.



Und dann gehts auch schon los. Daniele motort noch vorsichtig aus der Marina Sant’Andrea, dann den Fluß hinunter, den Corno. Flußhäfen stahlverarbeitender Betriebe liegen hier, Marinas und ein Motorboothersteller, alles eingebettet in idyllische schilfbestandene Ufer, Schlickbänke und sanft ansteigende Weidenböschungen. Wir sind Richtung Meer unterwegs, es herrscht Ebbstrom, der uns allein schon um 3 Knoten Richtung Meer beschleunigt. Als wir die großen Dalbenstraße erreichen, gibt Daniele zum ersten Mal Gas. Der Bug der SELVA steigt leicht an, sie liegt ruhig, keine Welle auf dem Ebbstrom, die Dalben ziehen bei 45 km/h vorbei wie die weißen Pfosten entlang einer Landstraße. Eine Kreuzung, wo auf einer kleinen Insel noch die österreichische Kaserne von vor dem I. Weltkrieg steht. Daniele geht nicht vom Gas, sondern läßt die SELVA  mit gleichem Speed elegant nach links in die abzweigende Dalbengasse gleiten. Hier gehts nach Grado und hinüber Richtung Aquileja. Das Wasser fällt und fällt, als die schlickigen Ufer näher an die Dalben heranrücken, nimmt Daniele den Gashebel zurück. Wo die Ufer enger zusammenstehen, sollte man nicht schneller als 5 Knoten unterwegs sein. Inseln kommen ins Bild, manche sind kaum so groß wie ein Viertel Fußballfeld, das Haus eines Fischers steht darauf, Brennholzstapel, aufgespannte Netze und ein gut motorisisertes Aluminumboot davor. Was muss das für ein herrliches Leben sein, das ganze Jahr hier draußen. Mein eben noch aufkeimender Neid auf alle, die den heutigen Tag am warmen Schreibtisch verbringen dürfen, ist im Schwinden begriffen, auch wenn ich die fünf bis sechs Grad nun deutlich merke. Daniele hat, nachdem er drei Mal mannhaft meine Skihandschuhe ablehnte, sie nun doch mit laufender Nase und tränenden Augen angenommen.



Die engen Ufer gehen auseinander, die Dalbenstraße wird wieder sichtbar, wo die Ufer auseinandertreten und die offene Wasserfläche von neuem sichtbar ist. Doch Daniele gibt nicht wieder Gas. Was ist los? Er schaut konzentriert geradeaus. Ein Motorboot mit Aufbau kommt uns entgegen, „Carabiniere“ knurrt Daniele nur und bleibt schön brav bei seinen 5 Knoten, bis uns der Entgegenkommer passiert. Es ist tatsächlich ein Boot der Carabiniere, drei Mann stecken in der enge Kajüte, wahrscheinlich ist sie geheizt, und beäugen uns mißtrauisch. Dann sind sie vorbei. Daniele wartet noch einen Moment bis zur nächsten Abzweigung, bei der wieder eine Reetgedeckte Fischerhütte steht und legt dann wieder den Gashebel nach vorne. Mit 45 Kilometern schießen wir wieder durchs Grau Richtung Süden und biegen kurz vor Grado nach links ab. Wir haben vor, den engen Kanal Richtung Stadthafen Grado zu nehmen und dort kurz einzulaufen. Noch immer zieht der Ebbstrom, doch er ist jetzt langsamer geworden. Langsam laufen wir der Straßenbrücke, der Verbindung des Städtchens Grado zum Festland, rechts in den Kanal ein. Wir gleiten zwischen Wohnhäusern, Restaurants, Geschäften und dem Gebäuder der Fischkooperative durch den engen Canal Richtung Stadthafen. Vertäute Muschelfischer. Netze am Rand der Straße, zu Bergen wie Schneehaufen aufgetürmt. Ein Fischer in wattierter Tarnjacke, der uns verwundert grüßt, als wir langsam vorbeituckern. Ein einsames Pärchen Spaziergänger, die verständnisinnig von der leeren Straße heruntergrinsen. Wer an einem solchen Tag draußen ist, versteht sich ohne Worte. 



Der Stadthafen. Er liegt tief im Winterschlaf. Die NUOVA CHRISTINA, der große Ausflugsdampfer, auf dem im Sommer die Disco tobt, liegt still eingemotttet in seiner Ecke. Das Cafe BOMBEN, wo es das beste Eis am Hafen gibt, ist reglos und verschlossen und dunkel. Nach Eis wäre mir heute sowieso nicht. Eher nach einer Thermoskanne mit was Heißem drin. Aber trotzdem ist hier im winterlichen Grado nan diesem Montag Vormittag noch alles im Winterschlaf. 

Daniele dreht noch eine Runde im Hafenbecken. Dann geht es wieder hinaus aus dem Stadthafen durch den engen Canal zurück. Langsam gleiten wir an den vertäuten Fischerbooten vorbei, unsere Heckwelle schmatzt an die steinernen Kaimauern und bringt die Boote leicht ins Schaukeln. Dann haben wir die Ausfahrt aus dem Kanal bei der alten verfallenden Lagerhalle vorne am Ausgang erreicht und drehen nach rechts, um das Fahrwasser unter der alten Drehbrücke Richtung Santa Maria de Barbana.

Noch einmal gibt Daniele Gas. Er ist mutig jetzt und schiebt den Gashebel mit der skibehandschuhten  Hand nach Vorne. Die Selva nimmt unmittelbar Gas an. Das Wasser hat seinen tiefsten Stand erreicht, wir gleiten auf einer schmalen Rinne zwischen zwei Schlickufern hindurch und schießen hinaus auf die Wasserfläche, auf der die Insel Barbana mit der daraufstehenden Wallfahrtskirche wie ein Luftschloss spiegelt. Ein wenig lugt in 



diesem Moment die Sonne hervor, das tiefstehende Wasser enthüllt für einen Moment seine wirkliche Farbe: Das typische tiefe blaugrüngrau der nördlichen Adria zwischen Grado und Venedig. Daniele nimmt das Gas weg, wir gleiten langsam Richtung Kaimauer und auf den dahinterliegenden Hafen zu. Scheint ein guter Ort sein, um anzulegen. Und eine Pause zu machen für die Lunchpakete, die Fortunato uns für unsere Tour mitgegeeben hat. Daniele nimmt Kurs auf das ummauerte Viereck, als ein Mönch in brauner Kutte auf der Pier erscheint. Und uns mit beiden Händen abwehrend etwas bedeutet. Flachwasser! Das Hafenbecken von Barbana ist verlandet. Da jetzt bloß nicht rein bei dem extremen Flachwasser. Schließlich ist Barbana in diesem Moment – abgesehen von dem Weg, auf dem wir kamen, nicht mehr als eine Kuppelbekrönte Insel inmitten von Watt und Schlick. Der Mönch schaut uns noch kurz nach, ob wir seine Warnung verstanden hätten, Dann geht auf der Molenkrone entlang zu einem zehn Meter langen Zubringerboot. Klettert in Sandalen die verrostete Leiter hinunter, steigt auf sein Boot, startet den Motor. Und legt ab, um auf unserem Weg von der Kircheninsel nach Grado zurückzukehren.



Als das langsame Tuckern seines schweren Diesels in der Ferne verklungen ist, sind wir allein. Ein paar Tauben, die in den Bäumen gurren. Eine Kirchentür, die sich knarrend öffnet. Das Rauschen meiner Schwerwetterhose, als ich allein durchs Kirchenschiff mit den roten Öllichtern die Votivtafeln an den Wänden besichtige.

Zurück beim Schiff: Daniele meint, es zieht Nebel auf über den Lagunen. Stalldrang, also. Es zieht uns zurück in die Marina Sant’Andrea.

Und was denke ich jetzt, über meinen klammen Tag mit 150 PS in den Lagunen? Zwei Dinge:
• Der Winter ist eindeutig die beste Reisezeit.
• Ob warm oder kalt: „Lieber Lagune als Schreibtisch.“


____________________

„Etwas Warmes braucht der Mensch“:


Im Sommer unterwegs um Sizilien.
Dies ist der Reisebericht. Und die Beschreibung eines Segelsommers 
und einer Reise um eine Insel, die ihresgleichen sucht.

Mit Anhang für Segler mit „Do’s & Don’ts“, Häfen, Marinas, Internet.

JETZT als erschienen als PRINT oder als eBook ab € 9,99

unter millemari.de/Ein-sommer-lang-sizilien.

sowie in jeder Buchhandlung oder bei AMAZON.


Segeln im Winter (5): Venedig. Carnevale. Die Masken.



Ob denn der Carnevale in Venedig genauso fröhlich ist wie der Rheinländische? Er kann so sein. Wo die Menschen aus der Stadt sich auf der Straße zum Feiern treffen wie in Castello oder Sant’Elena, ist es laut und wird auf den Straßen getanzt. Die Regel ist das in Venedig dennoch nicht.

Aber ich bin nicht vor wenigen Tagen auf LEVJE neun Stunden über die neblige Adria motort, um zu schunkeln. Nein. Ich bin da wegen der Masken. 

Und welcher Teufel mich da geritten hat, weiß ich nicht. Schließlich bin ich erstens Faschingshasser, weil ich zweitens denke, dass unser Leben tagtäglich genug Kostümierung, Verstellung, Verkleidung enthält. Welchen Sinn macht es, sich zu verkleiden, wenn man eh das ganze Jahr sich mit allerlei Attributen behängt, wie man denn so eigentlich wahrgenommen werden möchte. 

Doch ich täuschte mich, wenn ich dachte, Verkleiden wäre spießig und bar jeden Reizes. Natürlich gibt es hier in den Straßen auch die Darth Vaders, die Prinzessin Lejas und Teile aus der Sesamstraße. Auch schleichen manche Zeitgenossen immer noch als Scheich ganz in weiß gewandet auf die Piazza San Marco. Aber sollten sie da auf einen Preis spekuliert haben: Sind sie hoffnungslos abgeschlagen.

Denn was hier an Masken und Verkleidung und Schminke aufgefahren wird, ist es echtes „So-noch-nie-gesehen“.

Ob das einfach nur die geniale Rokoko-Replica mit perfekter Attitüde des alternden venezianischen Conte ist oder…

… einfach nur funkelnd die Gesandtschaft aus Konstantinopel imitiert: Es ist perfekt.

Die Kostüme, die Maskierten bewegen sich einfach durch die Menge. Nicht Laufsteg. Nicht Umzug. Man geht einfach nach San Marco – und dort und drumherum sind sie. Die schönsten Kostüme. Ich stehe einfach. Und staune. Vielleicht war das so, im Venedig des 14. Jahrhunderts, wenn …

… plötzlich jemand hier ankam, der aussah, als käme er von einem anderen Stern und wäre das Fünfte Element. 

Und gerade hier wird es spannend, wenn es weg vom historisch Exakten in den Bereich geht, der zwischen „Historisch“ und „Phantastisch“ liegt.

Die Masken. Ich gebe gern zu, dass viele von ihnen mir nahegehen. Das Unbewegliche. Das Starre. Ich erinnere mich an die silberne Maske des römischen Reiteroffiziers, die man auf dem Gelände von Kalkriese fand. Eine aus silber getriebene Maske, vollkommen ohne Regung. Wir sind darauf angewiesen, zu kommunizieren und während der Kommunikation stets unser Gegenüber einschätzen zu können…

Und was, wenn dies wegfällt? Wenn wir keine Regung mehr ablesen können an einem Gesicht? Dann sind wir auf uns allein gestellt. So wie nachts allein in einem verlassenen Park.

Wer sich hinter den Masken verbirgt? Das ist schwer zu sagen. Es sind nicht nur Italiener, im Gegenteil. Belausche ich die Masken, wenn sie sich unterhalten, sind Engländer, Franzosen, auch Deutsche darunter. Ich vermute, Menschen mit Passion. Menschen, die sich einzig und allein auf dieses Event vorbereiten, ein Jahr lang.

Aber so ganz durchschaut man das Spiel nicht. Sind es Menschen, die einfach nur ihrer Passion folgen und einmal im Jahr wie die Zugvögel zu diesem Event nach Venedig ziehen? Sind es Menschen, ausgestattet von professionellen Kostümbildnern? Venedig ist in diesen Dingen allen anderen Städten, was lautlose Selbstvermarktung angeht, turmhoch überlegen. Wo sonst gibt es eine Stadt, die sich eine mehrere Mann starke Abteilung hält, die jedem Hollywood-Filmemacher kostenlos beratend zur Seite steht, damit auch der nächste und übernächste Blockbuster irgendeinen Take in einer tollen Location Venedigs enthält? Die wiederum den Jo’s und John’s und Cho’s und Pam’s klar macht: Dass man genau hierhin muss, an diesen Punkt der Welt, eine Woche.

Ohne weiteres ist der Cleverness der Stadt zuzutrauen, dass sie die Kostüme besorgt und Statisten ausstattet. Und so für wenig Geld dafür sorgt, dass Handys und Selfies mit den Kostümen wiederum kostenlos auf die Handys der Jo’s und John’s und Cho’s und Pam’s in aller Welt kommen.

Aber das macht nichts. Perfektion begeistert. Und die Masken sind perfekt. So perfekt, dass ich mich eben erschrak, als ich um elf über den nächtlichen Markusplatz ging und auf vier in dunkle Umhänge gewandete Gestalten stieß. Sie schlichen unter den Säulen des Dogenpalastes entlang. Eine kleine, offensichtlich alte Frau am Arm eines anderen, langsam hinkend. Zwei andere hinterher. Alle unter schwarzen Umhängen. Die Gesichter unter undurchdringlichen weißen Masken verborgen.

Was würde ich tun, wenn ich sie nicht um elf Uhr Nachts in San Marco träfe, sondern eine halbe Stunde später im einsamen Bienale-Park, der so leer ist, als wäre nicht Rosenmontag, sondern 17. Januar? Wohin mein Weg mich gleich führen wird, denn ich will nach Sant’Elenea, zum Hafen im Osten. Würde ich dann – wie jetzt auch – routiniert auf die Knie gehen, um ein Foto der vier langsam schreitenden Gestalten zu schießen?

Ich bedankte mich bei den Vieren mit einem höflichen „Grazie“. Ihre Antwort war gekonnt: Vier weiße Masken, die lautlos wie ein Ballett aus ihren schwarzen Umhängen heraus im Gleichtakt nickten. Und mit ihren Stöcken weiter Richtung Campanile klapperten.

Perfekt. Wie gesagt.
Oder war das vielleicht gar kein Spiel?












Segeln im Winter (5): Venedig. Carnevale. Die Masken.



Ob denn der Carnevale in Venedig genauso fröhlich ist wie der Rheinländische? Er kann so sein. Wo die Menschen aus der Stadt sich auf der Straße zum Feiern treffen wie in Castello oder Sant’Elena, ist es laut und wird auf den Straßen getanzt. Die Regel ist das in Venedig dennoch nicht.

Aber ich bin nicht vor wenigen Tagen auf LEVJE neun Stunden über die neblige Adria motort, um zu schunkeln. Nein. Ich bin da wegen der Masken. 

Und welcher Teufel mich da geritten hat, weiß ich nicht. Schließlich bin ich erstens Faschingshasser, weil ich zweitens denke, dass unser Leben tagtäglich genug Kostümierung, Verstellung, Verkleidung enthält. Welchen Sinn macht es, sich zu verkleiden, wenn man eh das ganze Jahr sich mit allerlei Attributen behängt, wie man denn so eigentlich wahrgenommen werden möchte. 

Doch ich täuschte mich, wenn ich dachte, Verkleiden wäre spießig und bar jeden Reizes. Natürlich gibt es hier in den Straßen auch die Darth Vaders, die Prinzessin Lejas und Teile aus der Sesamstraße. Auch schleichen manche Zeitgenossen immer noch als Scheich ganz in weiß gewandet auf die Piazza San Marco. Aber sollten sie da auf einen Preis spekuliert haben: Sind sie hoffnungslos abgeschlagen.

Denn was hier an Masken und Verkleidung und Schminke aufgefahren wird, ist es echtes „So-noch-nie-gesehen“.

Ob das einfach nur die geniale Rokoko-Replica mit perfekter Attitüde des alternden venezianischen Conte ist oder…

… einfach nur funkelnd die Gesandtschaft aus Konstantinopel imitiert: Es ist perfekt.

Die Kostüme, die Maskierten bewegen sich einfach durch die Menge. Nicht Laufsteg. Nicht Umzug. Man geht einfach nach San Marco – und dort und drumherum sind sie. Die schönsten Kostüme. Ich stehe einfach. Und staune. Vielleicht war das so, im Venedig des 14. Jahrhunderts, wenn …

… plötzlich jemand hier ankam, der aussah, als käme er von einem anderen Stern und wäre das Fünfte Element. 

Und gerade hier wird es spannend, wenn es weg vom historisch Exakten in den Bereich geht, der zwischen „Historisch“ und „Phantastisch“ liegt.

Die Masken. Ich gebe gern zu, dass viele von ihnen mir nahegehen. Das Unbewegliche. Das Starre. Ich erinnere mich an die silberne Maske des römischen Reiteroffiziers, die man auf dem Gelände von Kalkriese fand. Eine aus silber getriebene Maske, vollkommen ohne Regung. Wir sind darauf angewiesen, zu kommunizieren und während der Kommunikation stets unser Gegenüber einschätzen zu können…

Und was, wenn dies wegfällt? Wenn wir keine Regung mehr ablesen können an einem Gesicht? Dann sind wir auf uns allein gestellt. So wie nachts allein in einem verlassenen Park.

Wer sich hinter den Masken verbirgt? Das ist schwer zu sagen. Es sind nicht nur Italiener, im Gegenteil. Belausche ich die Masken, wenn sie sich unterhalten, sind Engländer, Franzosen, auch Deutsche darunter. Ich vermute, Menschen mit Passion. Menschen, die sich einzig und allein auf dieses Event vorbereiten, ein Jahr lang.

Aber so ganz durchschaut man das Spiel nicht. Sind es Menschen, die einfach nur ihrer Passion folgen und einmal im Jahr wie die Zugvögel zu diesem Event nach Venedig ziehen? Sind es Menschen, ausgestattet von professionellen Kostümbildnern? Venedig ist in diesen Dingen allen anderen Städten, was lautlose Selbstvermarktung angeht, turmhoch überlegen. Wo sonst gibt es eine Stadt, die sich eine mehrere Mann starke Abteilung hält, die jedem Hollywood-Filmemacher kostenlos beratend zur Seite steht, damit auch der nächste und übernächste Blockbuster irgendeinen Take in einer tollen Location Venedigs enthält? Die wiederum den Jo’s und John’s und Cho’s und Pam’s klar macht: Dass man genau hierhin muss, an diesen Punkt der Welt, eine Woche.

Ohne weiteres ist der Cleverness der Stadt zuzutrauen, dass sie die Kostüme besorgt und Statisten ausstattet. Und so für wenig Geld dafür sorgt, dass Handys und Selfies mit den Kostümen wiederum kostenlos auf die Handys der Jo’s und John’s und Cho’s und Pam’s in aller Welt kommen.

Aber das macht nichts. Perfektion begeistert. Und die Masken sind perfekt. So perfekt, dass ich mich eben erschrak, als ich um elf über den nächtlichen Markusplatz ging und auf vier in dunkle Umhänge gewandete Gestalten stieß. Sie schlichen unter den Säulen des Dogenpalastes entlang. Eine kleine, offensichtlich alte Frau am Arm eines anderen, langsam hinkend. Zwei andere hinterher. Alle unter schwarzen Umhängen. Die Gesichter unter undurchdringlichen weißen Masken verborgen.

Was würde ich tun, wenn ich sie nicht um elf Uhr Nachts in San Marco träfe, sondern eine halbe Stunde später im einsamen Bienale-Park, der so leer ist, als wäre nicht Rosenmontag, sondern 17. Januar? Wohin mein Weg mich gleich führen wird, denn ich will nach Sant’Elenea, zum Hafen im Osten. Würde ich dann – wie jetzt auch – routiniert auf die Knie gehen, um ein Foto der vier langsam schreitenden Gestalten zu schießen?

Ich bedankte mich bei den Vieren mit einem höflichen „Grazie“. Ihre Antwort war gekonnt: Vier weiße Masken, die lautlos wie ein Ballett aus ihren schwarzen Umhängen heraus im Gleichtakt nickten. Und mit ihren Stöcken weiter Richtung Campanile klapperten.

Perfekt. Wie gesagt.
Oder war das vielleicht gar kein Spiel?












Segeln im Winter (4): Die Kormorane. Die Nordadria. Und der Nebel.


Heute Früh bin ich aufgebrochen. Seit ein paar Tagen bin ich im Hafen von San Giorgio di Nogaro, einer kleinen Marina am Flusslauf des schilfigen Corno, der sich träge mit den Gezeiten zwischen Industrieanlagen und Flusshäfen hindurchschlängelt. Den Wecker hatte ich mir auf sechs gestellt, ich wollte pünktlich mit Sonnenaufgang und der einsetzenden Ebbe hinaus. Erst eineinhalb Stunden den Fluss hinunter. Dann sechs Stunden übers Meer nach Venedig.

Aber weil ich aufgeregt war, aus Sorge, ich könnte die einsetzende Ebbe verpassen, war ich schon um Viertel vor sechs wach. Kochte mir einen Tee, taperte durchs Boot, um dies und das und jenes vor dem Auslaufen noch zu kontrollieren.

Als das Dunkel langsam in Grau überging, kamen wie jeden Morgen die Kormorane. Sie kommen zu Hunderten, sie kreisen in langen 8ern über dem Fluss und dem Hafen von San Giorgio. Sie kommen zu Hunderten, um zu Frühstücken. Ihr Kreisen über dem Hafenbecken ist ein gewaltiges Rauschen, und wenn sie sich dann niederlassen auf dem Wasser, um jeder seine 3-7 Fische aus dem gischtenden, brodelnden Wasser heraufzutauchen, dann ist es der Anblick der reinen, nackten Gier. Die Kormorane, die ich jeden Morgen in San Giorgio beobachte – das ist eine andere Geschichte, ich werde sie erzählen.

Abzulegen im Dämmer kostet Überwindung. Das kostet es sowieso, meistens frage ich mich, warum ich das bloß tue. Allein im Februar im Boot über die Adria. Nein, es wird kein herrlicher Segeltag. Nein, die Sonne wird heute nicht rauskommen. Nein, es wird nicht mehr als 5 Grad haben. Ja, es wird neblig bleiben den ganzen Tag. Ja, morgen Abend wird es über Venedig mit 7 bft. aus Nordost wehen, wenn das Sturmtief aus Deutschland als Bora kostümiert über die Nordadria fegen wird. Ja, es wird am Wochenende über Venedig regnen. Keinen schönen Aussichten also. Das Deck ist klitschnass, die Festmacher auch, ich bringe LEVJE langsam aus der Box, hole die nassen Festmacher rein. Ich fahre, weil ich weiß, dass ich mein Zuhause verlassen muss, gelegentlich, weil ich wieder etwas finden werde auf dem Meer, wonach ich nicht suchte. Und was mir doch Erfüllung schenkt.

Noch auf der Fahrt über den nebligen Fluss überlege ich. Ob ich nicht lieber doch umkehren soll? Ich bin der einzige, der bei dem Nebel draussen ist. Aber ich überliste mich, jedenfalls die Zweifel an meinem Tun. Ich sage mir: „Geh zumindest raus aufs Meer. Und schau nach. Vielleicht ists draußen ja nicht so neblig. Nur mal die Nase rausstecken.“ Die Nase rausstecken: Das hat sich noch immer gelohnt. Man könne, so empfahl es einem schon Charles Darwin, der als junger Mann um die Welt fuhr, gewiss sein, dass man keinen derartigen Schwierigkeiten begegnen wird, wie sie sich noch zu Anfang einer Reise vor einem Auftürmen. Also raus!

Und draußen? Natürlich ist es da wieder einmal herrlich. Unendliche Weite. Alles ist einfach nur weit, weit, selbst die drei Unterwäschen plus Fleece plus Schwerwetterhose: Sie engen nicht mehr. Rundherum einfach nur Weite. Und ein wohliges Gefühl im Bauch.

Schaue ich nach rechts, dann müsste ich dort eigentlich Land sehen. Aber da ist nur das Graublau des Meeres. Und der Nebel. Und nichts sonst.

Ich sitze an meinem Schreibtisch im Niedergang, so wie man ihn oben sieht. Die Beine im Warmen auf der Treppe, während LEVJE durch den Nebel motort. Ich sehe vor mir durch die Scheibe im Nebel. Der Computer vor mir. Das Radarbild in der Mitte, ein Finger, der sich hineintastet in den Nebel, mir zeigt und auf das deutet, was sich darin verbirgt. Eine Schar Kormorane, die auf dem Wasser sitzt. Eine verlassene Muschelfarm. Muschelbojen, von Winter-Südstürmen längst auseinander gerisssen und vertrieben. Ein Fischer. Sogar ein Baumstamm oder eine dünne Tonne, die eine Einfahrt markiert. Ich ahne das Land nur, wenn ich auf das Radarbild sehe. Ich gebe zu: echter Luxus, den mir meine LEVJE II da bietet: Das Land als gelber Streifen auf dem Radarschirm, ein zerfaserter gelber Streifen in der Weite des Schwarz auf meinem Radarschirm ist alles, was von Wichtigkeiten und Sorgen und Nöten übrig blieb.



Als wäre das noch nicht alles, blinzelt nun für einen kurzen Moment doch die Sonne durch den Nebel. Und zeigt vor mir, sieben Stunden vergingen wie im Flug, den als Schachbrett bemalten Leuchtturm auf dem Punta Lido. Noch eine Dreiviertelstunde. Und ich bin in Venedig.

Segeln im Winter (4): Die Kormorane. Die Nordadria. Und der Nebel.


Heute Früh bin ich aufgebrochen, aus dem Hafen von San Giorgio di Nogaro, einer kleinen Marina am Flusslauf des schilfigen Corno, der sich träge mit den Gezeiten zwischen Industrieanlagen und Flusshäfen hindurchschlängelt. Den Wecker hatte ich mir auf sechs gestellt, ich wollte pünktlich mit Sonnenaufgang und dem einsetzenden Ebbstrom hinaus. Erst eineinhalb Stunden den Fluss hinunter. Dann sechs Stunden übers Meer nach Venedig.

Aber weil ich aufgeregt war, aus Sorge, ich könnte die einsetzende Ebbe verpassen, war ich schon um Viertel vor sechs wach. Kochte mir einen Tee, taperte durchs Boot, um dies und das und jenes vor dem Auslaufen noch zu kontrollieren.


Als das Dunkel langsam in Grau überging, kamen wie jeden Morgen die Kormorane. Sie kommen zu Hunderten, sie kreisen in langen 8ern über dem Fluss und dem Hafen von San Giorgio. Sie kommen, um zu Hunderten zu Frühstücken. Ihr Kreisen über dem Hafenbecken ist ein gewaltiges Rauschen, und wenn sie sich dann niederlassen auf dem Wasser, um jeder innerhalb von fünf Minuten seine 3-7 Fische aus dem gischtenden, brodelnden Wasser heraufzutauchen, dann ist es der Anblick der reinen, nackten Gier. Die Kormorane, die ich jeden Morgen in San Giorgio beobachte – das ist eine andere Geschichte, ich werde sie erzählen.

Abzulegen im Dämmer kostet Überwindung. Ablegen kostet meist Überwindung, fast immer frage ich mich, warum ich das bloß tue. Allein im Februar im Boot über die Adria: Nein, das wird kein herrlicher Segeltag heute. Nein, die Sonne wird nicht rauskommen. Nein, es wird nicht mehr als 5 Grad haben. Ja, es wird neblig bleiben den ganzen Tag. Ja, morgen Abend wird es über Venedig mit 7 bft. aus Nordost wehen, wenn das Sturmtief aus Deutschland als Bora kostümiert über die Nordadria fegt. Ja, es wird am Wochenende über Venedig regnen. Keine schönen Aussichten also. Das Deck ist klitschnass, die Festmacher auch, ich bringe LEVJE langsam aus der Box, hole die nassen Festmacher rein. Ich fahre, weil ich weiß, dass ich mein Zuhause verlassen muss, gelegentlich, weil ich wieder etwas finden werde auf dem Meer, wonach ich nicht suchte. Und was mir doch Erfüllung schenkt.

Noch auf der Fahrt über den nebligen Fluss überlege ich. Ob ich nicht lieber doch umkehren soll? Ich bin der einzige, der bei dem Nebel draussen ist. Aber ich überliste mich, jedenfalls die Zweifel an meinem Tun. Ich sage mir: „Geh zumindest raus aufs Meer. Und schau nach. Vielleicht ists draußen ja nicht so neblig. Nur mal die Nase rausstecken.“ Die Nase rausstecken: Das hat sich noch immer gelohnt. Man könne, so empfahl es einem schon Charles Darwin, der als junger Mann um die Welt fuhr, gewiss sein, dass man keinen derartigen Schwierigkeiten begegnen wird, wie sie sich noch zu Anfang einer Reise vor einem Auftürmen. Also raus!

Und draußen? Natürlich ist es da wieder einmal herrlich. Unendliche Weite. Alles ist einfach nur weit, weit, selbst die drei Unterwäschen plus Fleece plus Schwerwetterhose: Sie engen nicht mehr. Rundherum einfach nur Weite. Und ein wohliges Gefühl im Bauch.

Schaue ich nach rechts, dann müsste ich dort eigentlich Land sehen. Aber da ist nur das Graublau des Meeres. Und der Nebel. Und nichts sonst.

Ich sitze an meinem Schreibtisch im Niedergang, so wie man ihn oben sieht. Die Beine im Warmen auf der Treppe, während LEVJE durch den Nebel motort. Ich sehe vor mir durch die Scheibe im Nebel. Der Computer vor mir. Das Radarbild in der Mitte, ein Finger, der sich hineintastet in den Nebel, mir zeigt und auf das deutet, was sich darin verbirgt. Eine Schar Kormorane, die auf dem Wasser sitzt. Eine verlassene Muschelfarm. Muschelbojen, von Winter-Südstürmen längst auseinander gerisssen und vertrieben. Ein Fischer. Sogar ein Baumstamm oder eine dünne Tonne, die eine Einfahrt markiert. Ich ahne das Land nur, wenn ich auf das Radarbild sehe. Ich gebe zu: echter Luxus, den mir meine LEVJE II da bietet: Das Land als gelber Streifen auf dem Radarschirm, ein zerfaserter gelber Streifen in der Weite des Schwarz auf meinem Radarschirm ist alles, was von Wichtigkeiten und Sorgen und Nöten übrig blieb.





Als wäre das noch nicht alles, blinzelt nun für einen kurzen Moment doch die Sonne durch den Nebel. Und zeigt vor mir, sieben Stunden vergingen wie im Flug, den als Schachbrett bemalten Leuchtturm auf dem Punta Lido. Noch eine Dreiviertelstunde. Und ich bin in Venedig.

Die BOOT 2017: Mareike Guhr. Weltumseglerin. Vier Monate danach.

Ein kleiner Konferenzraum auf der BOOT. An der Wand hängen Seekarten von Atollen. „Cocos (Keeling) Islands“ steht auf einer. Und drunter sitzt Mareike Guhr, Weltumseglerin und Trägerin des diesjährigen TO-Preises. Und immer ist es ein Hauch von Trauer, der über ihrem fröhlichen Gesicht liegt. Mareike Guhr ist offen, herzlich, sympatisch. Nein, nicht bloß offen. Weltoffen.

„Mein Vater war Zahnarzt. Als ich sechs Jahre alt war, nahm er ein Entwicklungshilfeprojekt auf den Seychellen an. Meine Schwester und ich begleiteten ihn. Vielleicht war meine Schwester damals wirklich noch zu klein – doch mich hat das alles sehr beeinflusst. Irgendwie hat das meinen Horizont erweitert. Irgendwie hat dies Reisen mir auch damals schon eine andere Einschätzung der Welt vermittelt. Und eine Offenheit, die man nur durch Reisen bekommt.“

Später war sie bei der YACHT und schrieb als Journalistin für WELT und HAMBURGER ABENDBLATT. Aber selbst Ihr Leben in Hamburg am Wasser trieb ihr nicht die Sehnsucht nach Mehr aus. Sie tagträumte von der Südsee, von Tahiti, den Tuamotus. „1999 war das dann soweit. Via Charter kam ich nach Tahiti und war dort unterwegs. Tuamotus, Marquesas. Irgendwie ergab es sich, dass ich dahin kam, wovon ich geträumt hatte. Und das war nur der Pazifik.“

Es sollte allerdings noch dauern, bis ein richtiger Törn im Pazifik daraus werden sollte. Sie schaffte den Absprung erst nach einem einschneidenden Erlebnis. „Was den Ausschlag gab, dass ich lossegelte? Das war der Tod einer Freundin. Ich war erschüttert. Und ich fragte mich danach: Hab’ ich überhaupt noch die Zeit, das zu tun, was ich eigentlich will? Der Tod meiner Freundin war ein klarer Warnschuß. Eine Erinnung daran, dass ich nur dies eine Leben habe. Und dass ich jetzt leben muss, was ich mir vorgenommen habe. Ich habe mir danach die klare Aufgabe gegeben: Ich will das tun. Ich will meine Reise jetzt realisieren.“

Sie realisierte. Und segelte auf einem 15-Meter-Katamaran, der nicht ihr eigener war, um die Welt. Und während sie davon erzählt, dass es den Anschub brauchte, fällt der eine Satz: „Jeder Mensch hat die PFLICHT, glücklich zu werden. Weil er nur dann wirklich Wirkung erzielen kann. In der Welt.“

Was sie denn als schönsten Moment ihrer vierjährigen Reise empfunden hätte? „Der schönste Moment ist das Losfahren. Der Punkt, wo es losgeht. Wo mit einem Mal die Anspannung der Organisation, der Vormonate abfällt. Ich hätte kein Interesse, nur auf dem Wasser zu sein. Das Losfahren ist immer wieder das Beste. Der Aufbruch.
Das schönste sind auch die Nachtwachen. Die viel intensivere Wahrnehmung. Es ist nur ein kleiner Teil dessen, was ich als das intensivere Erleben auf meinem Boot bezeichne.“

Und wie geht es ihr jetzt, wieder an Land? „Ich bin jetzt seit drei bis vier Monate wieder da. Großes Entsetzen. Über das echte Miteinander, das es hier nicht mehr gibt. Dass es zuviele Dinge sind, die auf mich einstürzen. Es sind soviele Dinge – nicht nur solche, die auf mich einstürzen, sondern auch Projekte, in die ich mich selber wieder reinziehen lasse und die mich gefangen nehmen. Lebt man in diesem Land, ist es schwierig, sich dessen Rhytmus zu entziehen. Der Wunsch wieder loszufahren, wird jedenfalls stärker; stärker als ich es wollte. Manchmal wünschte ich, ich wäre
meine Schwester. Sie hat zwei Kinder, ist Grundschulllehrerin, es ist ein gutes Leben und doch so anders als meins. Denn ich bin das totale Gegenteil.“

Ein trauriges Erlebnis war auch ihr Abschied von ihrem Boot, dem Katamaran MEDIANOCHE. „Zu den emotional wichtigen Dingen bei so einem Törn gehört auch die Liebe zu seinem Boot. Bei mir war das MEDIANOCHE. Sie war ja nicht mein Boot, ich musste es zurückgeben. Das fällt mir schwer. Und es fiel mir schwer, aus der Eignerschaft auszusteigen.“

Und jetzt? Auf ihrer Webseite steht, Wilfried Erdmann habe sie zum Langfahrtsegeln gebracht. Er habe gesagt: „Fahr los. Und such Dir eine schöne Insel. Irgendwo. Und dann: Schreib ein Buch.“ Hoffen wir tatsächlich, dass Mareike Guhr ein Buch schreibt. Es wäre sicher ein ganz und gar Ungewöhnliches.

Nicht so lang wie die Reise von Mareike Guhr. 
Aber macht mindestens soviel Mut wie Mareike Guhr:
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Was passiert, wenn das Leben die gewohnten Bahnen verlässt? 
Was geschieht, wenn man sich einfach aufmacht und fünf Monate Segeln geht? 
Darf man das? Und wie ändert sich das Leben?
Der Film einer ungewöhnlichen Reise, der Mut macht, seinen Traum zu leben.

Filmtrailer ansehen. Bestellen. Hier.

Der Film entstand nach diesem Buch: 
Geschichten über die Entschleunigung, übers langsam Reisen 
und die Kunst, wieder sehen zu lernen
Einmal München – Antalya, bitte. 
Das Buch: Mehr erfahren: Hier.

Die BOOT 2017: Mareike Guhr. Weltumseglerin. Vier Monate danach.

Ein kleiner Konferenzraum  auf der BOOT in Düsseldorf. An der Wand hängen Seekarten von Atollen. „Cocos (Keeling) Islands“ steht auf einer. Darunter sitzt Mareike Guhr im blauen Hemd, Weltumseglerin und Trägerin des diesjährigen TO-Preises. Sie lacht ein ums andere Mal, ein energiegeladenes Bündel von Frau. Ihr Gesicht ist immer in Bewegung ist offen, herzlich, sympatisch. Nein, nicht bloß offen. Der Welt offen.

„Mein Vater war Zahnarzt. Als ich zwölf war, nahm er ein Entwicklungshilfeprojekt auf den Seychellen an. Meine Schwester und ich begleiteten ihn. Vielleicht war meine Schwester damals wirklich noch zu klein – doch mich hat das alles sehr beeinflusst. Irgendwie hat das meinen Horizont erweitert. Irgendwie hat dies Reisen mir auch damals schon eine andere Einschätzung der Welt vermittelt. Und eine Offenheit, die man nur durch Reisen bekommt.“

Später war sie bei der YACHT und schrieb als Journalistin für WELT und HAMBURGER ABENDBLATT. Aber selbst Ihr Leben in Hamburg am Wasser trieb ihr nicht die Sehnsucht nach Mehr aus. Sie tagträumte von der Südsee, von Tahiti, den Tuamotus. „1999 war das dann soweit. Via Charter kam ich nach Tahiti und war dort unterwegs. Irgendwie ergab es sich, dass ich dahin kam, wovon ich geträumt hatte. Und das war nur der Pazifik. Tuamotus, Marquesas – nach Tahiti wurde mein Wunsch noch stärker, dorthin zu gelangen, wohin ich mit einem Charterboot nicht kommen kann.“

Es sollte allerdings noch dauern, bis ein richtiger Törn im Pazifik daraus werden sollte. Sie schaffte den Absprung erst nach einem einschneidenden Erlebnis. „Was den Ausschlag gab, dass ich lossegelte? Das war der Tod einer Freundin. Ich war erschüttert. Und ich fragte mich danach: Hab’ ich überhaupt noch die Zeit, das zu tun, was ich eigentlich will? Der Tod jener Freundin war ein klarer Warnschuß. Eine Erinnung daran, dass ich nur dies eine Leben habe. Und dass ich jetzt leben muss, was ich mir vorgenommen habe. Ich habe mir danach die klare Aufgabe gegeben: Ich will das tun. Ich will meine Reise jetzt realisieren.“

Sie realisierte. Und segelte auf einem 15-Meter-Katamaran, der nicht ihr eigener war, um die Welt. Und während sie davon erzählt, dass es den Anschub brauchte, fällt der eine Satz: „Jeder Mensch hat die PFLICHT, glücklich zu werden. Weil er nur dann wirklich Wirkung erzielen kann. In der Welt.“

Was sie denn als schönsten Moment ihrer vierjährigen Reise empfunden hätte? „Der schönste Moment ist das Losfahren. Der Punkt, wo es losgeht. Wo mit einem Mal die Anspannung der Organisation, der Vormonate abfällt. Ich hätte kein Interesse, nur auf dem Wasser zu sein. Das Losfahren ist immer wieder das Beste. Der Aufbruch.
Das schönste sind auch die Nachtwachen. Die viel intensivere Wahrnehmung. Es ist nur ein kleiner Teil dessen, was ich als das intensivere Erleben auf meinem Boot bezeichne.“

Und wie geht es ihr jetzt, wieder an Land? „Ich bin jetzt seit drei bis vier Monate wieder da. Großes Entsetzen. Über das echte Miteinander, das es hier nicht mehr gibt. Dass es zuviele Dinge sind, die auf mich einstürzen. Es sind soviele Dinge – nicht nur solche, die auf mich einstürzen, sondern auch Projekte, in die ich mich selber wieder reinziehen lasse und die mich gefangen nehmen. Lebt man in diesem Land, ist es schwierig, sich dessen Rhytmus zu entziehen. Der Wunsch wieder loszufahren, wird jedenfalls stärker; stärker als ich es wollte. Ich bin so anders als meine Schwester. Sie hat zwei Kinder, ist Grundschulllehrerin, es ist ein gutes Leben und doch so anders als meins. Denn ich bin das totale Gegenteil.“

Und immer ist es ein Hauch von Trauer, der über all ihrer Energie und ihrem fröhlichen Gesicht liegt. Trauer, als hätte sie tatsächlich vor langer Zeit jemanden verloren, der eine wichtige Rolle in ihrem leben spielte. Als wüsste sie , was „jemand verlieren“, „von etwas Abschied nehmen“ bedeutet. Und spricht auch darüber, obwohl wir uns kaum kennen. In diesem Fall vom Abschied von ihrem Boot, dem Katamaran MEDIANOCHE. Was sie da bewegt, kann nur verstehen, wer selber länger auf einem Boot unterwegs war. Und für den das eigene Boot nicht bloß mobile Behausung, sondern vom Gefährt zum Gefährten wurde. Mareike sagt das so: „Zu den emotional wichtigen Dingen bei so einem Törn gehört auch die Liebe zu seinem Boot. Bei mir war das MEDIANOCHE. Sie war ja nicht mein Boot, ich musste es zurückgeben. Das fällt mir schwer. Und es fiel mir schwer, MEDIANOCHE zu verlassen.“

Und jetzt? Auf ihrer Webseite steht, Wilfried Erdmann habe sie zum Langfahrtsegeln gebracht. Er habe gesagt: „Fahr los. Und such Dir eine schöne Insel. Irgendwo. Und dann: Schreib ein Buch.“ Hoffen wir tatsächlich, dass Mareike Guhr ein Buch schreibt. Es wäre sicher ein ganz und gar Ungewöhnliches.

Nicht so lang wie die Reise von Mareike Guhr. 
Aber macht mindestens soviel Mut wie Mareike Guhr:
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 Als Download und auf DVD: € 19,99

Was passiert, wenn das Leben die gewohnten Bahnen verlässt? 
Was geschieht, wenn man sich einfach aufmacht und fünf Monate Segeln geht? 
Darf man das? Und wie ändert sich das Leben?
Der Film einer ungewöhnlichen Reise, der Mut macht, seinen Traum zu leben.

Filmtrailer ansehen. Bestellen. Hier.

Der Film entstand nach diesem Buch: 
Geschichten über die Entschleunigung, übers langsam Reisen 
und die Kunst, wieder sehen zu lernen
Einmal München – Antalya, bitte. 
Das Buch: Mehr erfahren: Hier.

Die BOOT 2017: Emily. Das Meer. Und das Plastik.

Menschen am Meer. Live auf der BOOT 2017.

Es ist ungewöhnlich, was Emily Penn da macht. Und WIE sie es macht. Sie rebelliert nicht. Sie radikalisiert nicht. Sie leistet keinen Widerstand. Emily kämpft einfach gegen all das Plastik, das weltweit in den Meeren schwimmt. Ihre stärkste Waffe ist nichts anderes als ihr Lächeln. Das Lächeln einer 29jährigen.

Ungewöhnlich ist auch Emily Penn’s Geschichte. Sie ist geboren in Wales, jener gebirgigen Gegend ganz im Westen Englands, wohin sich die letzten Kelten zurückzogen und walisische Kämpfer sich bis ins Mittelalter gegen die englische Vormacht stemmten. Als Emily fünf Jahre alt war, setzte sie sich im Sommerurlaub am Meer in einen Optimisten und beschloss zu lernen, wie man den segelt, ohne im Meer zu ertrinken. Sie lernte das so gut und so intensiv, dass sie begann, Regatten zu segeln. Erst Optimist. Dann 29er.

Die Regatta auf dem Meer, der „Sea Contest“, bestimmte ihr Heranwachsen. „Ich war immer auf dem Boot, es gab keine sechs Tage, in denen ich nicht einmal auf dem Boot gewesen wäre“, sagt sie heute. Aber irgendwann war damit Schluß. Sie wollte anderes. „Irgendwas mit dem Kopf machen war plötzlich reizvoller, sagt sie heute. Was anderes als Boote und Wasser. Sie wählte Architektur. Aber kaum dass sie ihren Bachelor hatte, war das Wasser 



wieder da. „Ich bekam ein Angebot, bei einer Weltumsegelung als ‚Operations manager‘ an Bord mit einzusteigen. Also machte ich das. Und segelte ein halbes Jahr mit. Von England nach Australien und Neuseeland. Trotz meiner ganzen Segelei in meiner Kindheit und Jugend hatte ich keinen Schein. Das holte ich in Australien nach, wo ich für ein halbes Jahr blieb.“ Und dann: reizte sie die Südsee. Und auf dieser Reise per Schiff passierte es. Emily beschreibt es so: „Ich suchte das Paradies. Aber plötzlich sah ich das Plastik. All die kleinen Plastikfetzchen, die da im Meer treiben. Ich hatte das Paradies gesucht. Aber gefunden hatte ich das Plastik.“

Es war die Initialzündung. In Tonga angekommen, begann sie zweierlei. Als Lehrerin zu unterrichten. Und Gruppen zu organisieren, die gemeinsam den Plastikmüll vom Strand aufsammelten. „Das war vor allem eine mentale Sache“, sagt Emily. „Solange man denkt, der Plastikmüll am eigenen Strand käme von woanders, fühlt man sich machtlos. Aber ich fand heraus, dass der Plastikmüll auf Tonga zu 80% domestic war und aus Tonga selber stammt. Das hatte damit zu tun, dass die Einwohner von Tonga in den letzten 50 Jahren ihre Ernährung umgestellt hatten. Statt Nahrung von der Insel gab es jetzt Nahrung aus der Plastikfolie. Die Tongaer wussten einfach nicht, wohin mit der Verpackung nach dem Verzehr.. „Recycling“, „Nachhaltigkeit“, das war Lichtjahre entfernt. Das Plastikproblem auf Tonga war ein Problem, das erst die neue Zeit auf die Insel gebracht hatte. Plastik war ein Problem des Fortschritts.

Und an diesem Punkt unterscheidet Tongaer wenig von Europäern. Und Europäer wenig von Tongaern.

Man schätzt, dass pro Jahr knapp 10 Millionen Tonnen Kunststoffmüll ins Meer gelangen. Abfall, der mit den großen Meeresströmungen treibt. Langsam unter der Einwirkung von Sonnenlicht und Salzwasser zerbröselt und sich in immer kleinere Folien- und Hartplastikpartikel auflöst. Teile, die über Kleinlebewesen, Vögel und Fische wieder zurück in den Nahrungskreislauf gelangen.

Es waren 56 Tonnen Plastik die Emily auf Tonga einsammelte. Das Gewicht von 56 Kleinwägen, das Emily und ihre freiwilligen Helfer in Form angespülter Splitter, Fetzen, Flipflops, Tüten und Flaschen einsammelte. „Tonga war der Anfang. Ich wollte eine Lösung finden für das Problem, die nicht nur darin bestand, es aufzuräumen, wenn es irgendwo an Land gespült wurde. Ich musste an die Wurzel des Übels. Und die hieß: Nur wenn WIR komplett Plastik vermeiden, fällt es nicht mehr an am Strand.“ 

Das ist der eine Weg, den Emily einschlug. Der andere: Mit Unternehmen ins Gespräch zu kommen. Mit den Verursachern. „Aber da lernt man schnell, dass es keinen Sinn macht, an Türen zu klopfen, die sich niemals öffnen werden.“ Heute sucht sie Kooperationspartner anderswo. „Ich suche den Kontakt zu großen Firmen, die erkannt haben, dass es für ihre Marke wichtig ist, Verantwortung zu übernehmen für das, was schiefläuft in der Welt. Deshalb halte ich meine Vorträge wie hier auf der BOOT: Und gestern wurde ich angesprochen von einer solchen Firma: ‚Wir brauchen jemand wie sie. Wir wollen Sie unterstützen.‘“

Wo sie denn in 5 Jahren sein möchte, frage ich Emily. Wenn sie einen Wunsch frei hätte an die gute Fee: Was würde sie sich von ihr wünschen? Einen Moment denkt Emily Pen nach, ohne dass ihr Lächeln verschwindet. „Wir haben viele Universitäten. Und gute. Die bereiten mehr junge Leute als je zuvor für ihren Job aus. Aber es reicht nicht, junge Leute nur gut auf die Arbeitswelt vorzubereiten. Was wir brauchen, ist eine ganz andere Universität. Eine, die sich  nur auf die Lösung unserer großen Probleme konzentriert. Eine Universität, die gleichzeitig in die großen Konzerne hineinwirkt, Querverbindungen schaftt und Unterstützung findet, um die großen Probleme anzugehen. Und das wiederum geht nur mit, nicht gegen die Unternehmen.“

Hoffen wir einfach, dass es die gute Fee gibt. Und dass sie einfach Emily Penn’s Wunsch hört. Es wäre gut für das Meer. Und vor allem für uns.

Wer mehr wissen möchte: emilypenn.co.uk

Nicht so klug wie Emily Penn. Doch schön zu lesen:

Im Sommer 2016 umsegelte ich auf LEVJE Sizilien.
Dies ist der Reisebericht. Und die Beschreibung eines Segelsommers 
und einer Reise um eine Insel, die ihresgleichen sucht.

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