Monat: Juni 2017

SV Samira – Andrea + Jürgen Michel GER

WILLY, DER NEUE MANN AN BORD

Hallo Herr Foerthmann,
Die ersten Tests waren sehr vielversprechend. „Willy“ kümmert sich fortan um das Ruder, die Crew betreibt Navigation und Ausguck.
Bleibt die Frage, was machen wir eigentlich noch an Bord ?!
Grüße aus Berlin
Jürgen Michel

Moin nach Berlin,
endlich mal ein Windpilot, der tatsächlich funktioniert! Danke für Fotos, nix zu meckern oder zu quaken. Um Ihre Frage zu beantworten, was denn nun Ihr Job an Bord ist: keine Ahnung, vielleicht mit der Puppe spielen? Jedenfalls haben Sie es so gewollt, ich habe Sie zu nix gezwungen! Good Luck für einen schicken Segelsommer!
Peter Foerthmann WEITERLESEN

SV Lop to – Kerstin Neermann + Helmut Siebrecht GER

ZUCKER FÜR LOTHAR

Lieber Peter,
Vielen lieben Dank fuer deine Email zum Landfall. Und den Link auf deiner Homepage. Ist schon wieder vier Wochen her und du hast nix von uns gehoert. Asche auf unser Haupt.

Ja….gute 9000 sm sind schon ganz schoen lang…aber alles in allem hatten wir sowohl auf der Strecke von Mar del Plata nach St. Helena, als auch von St. Helena auf die Azoren sehr gute Bedingungen. Etwas flau am Ende, mit zwei Starkwindfronten ganz am Ende. Aber irgendwas ist ja immer 😉
LOP TO hat wie immer super durchgehalten. Der einzige ernsthafte Schaden bei Ankunft in Horta war unsere kaputte Pfeffermuehle ;-). Da kann man nicht wirklich meckern.

Den groessten Anteil am guten Toern hatte wie immer Lothar Foerthmann am Heck. Unsere alte Windpilot Pacific Plus duerfte inzwischen wohl eine der Dienstaeltesten sein, die hier rumschippern. Lothar ist ueber 20…..aber fit wie am ersten Tag.
Und wir haben mal grob ueberschlagen, er hat tatsaechlich an die 100 000 sm auf dem Buckel. Der Wahnsinn oder? Man vergisst unterwegs gerne mal, was Lothar da hinten am Heck uns so abnimmt. Ein bisschen Spueli zum schmieren ab und an und gut ist. Sonst hatten wir von einem nach 9 Jahren abgebrochenen Pendelruder (ersetzt in vier Minuten) keinen Aerger mit der Steuerung von LOP TO.

Sag mal wovon lebst du eigentlich? Von Ersatzteilen auf jeden Fall nicht 😉

In Horta stand sogar 2 Stunden nach unserer Ankunft dein Kollege Harry Schank von GOOD WOOD vorm Schiff und fragte uns, ob wir irgendetwas fuer unsere Windpilot brauchen, er arbeite fuer dich. Super. Aber wie gesagt, wir brauchten nix.

Also, an dieser Stelle einfach ein dickes Dankeschoen. An dich und deine Pacific Plus. Wer ohne losfaehrt ist selber Schuld 😉

Wir wollen am Samstag weiter in Richtung Falmouth und dann schlagen wir langsam die Richtung zum Heimathafen ein. Nach 18 Jahren…..wir sind sehr gespannt was sich auf der Ostsee alles veraendert hat. Schaun wir mal.

Wenn du Lust hast, mit uns zu feiern: kleine Stegparty zur Ankunft am 16.09., 14.00 am ASC Steg in Kappeln. Wir wuerden uns riesig freuen wenn ihr kommt.
Lothar auch 🙂

Herzliche Gruesse von den LOP TO’s,
Helmut und Kerstin WEITERLESEN

Unterwegs auf der Adria: Cres und das Geheimnis der Kapellen (II).

Gepostet auf der Insel Vis.


Wenn man den Weg vom Kloster in Cres, vor dem ich ankerte, zur Stadt geht, kommt man an drei Kapellen vorbei. Vielleicht ist es ein lauer Abend, so wie der heutige, an dem ich die von Jasmin und Oliven gesäumte Straße vom Kloster in die Stadt wandere. Und kaum, dass ich den Ort verlassen habe, reizt es mich, noch einmal herauszufinden: Ob sich denn in diesem Cres nun wirklich nichts geändert hat. Vor Jahren hatte ich, weinschwer, in der Dunkelheit die namenlose Kapelle entdeckt, die dort steht, wo sich der Weg aus der Stadt mit der Straße zum Kloster kreuzt. Von Neugier getrieben, wich ich ein paar Schritte vom Weg ab. Und lugte in der Dunkelheit mit Hilfe durch eine kleine Öffnung in der Tür ins Innere der Kapelle. 

Im Dunkel der Kapelle sah ich erst nichts. Dann erkannte ich im Schein meiner Taschenlampe den Körper einer antiken Amphore. Verstaubt. Verkrustet. Von Kalk-Adern überzogen, als wären sie lange im Meer gelegen. Mit einem Zettel mit einer handgeschriebenen Zahl an ihrem Hals. Erst eine. 

Dann sah ich noch eine. Und noch eine. Der kleine Kirchenraum war gesteckt voll mit Amphoren. Selbst vor und hinter dem verfallenden hölzernen Altartisch Amphoren, selbst auf ihm. Im Dunkel des Raumes kindergroße bauchige Tonbehälter aus der Antike. Eine Fracht aus einer längst untergegangenen Welt. Eine Amphore neben der anderen stehend, sich stützend, haltend, als wären sie nirgendwo anders als im Rumpf eines antiken Handelsschiffes. Nur stehen sie jetzt in der Kapelle, überkrustet von Ablagerungen, kalkübersät, narbig. Eine Handvoll von ihnen hat man, weil der Platz nicht reichte, sogar auf dem Altartisch gestapelt. Sie liegen überall. Der verfallende Raum ist voll von ihnen. Als hätte ein Händler vor 2000 Jahren sie hier, genau hier abgestellt, mit einem Zettel an der Tür: „Komme gleich wieder.“ Und wäre dann verschwunden, wie Merlin, der Zauberer, in der Weite von Zeit und Welt.

Ich habe sie jedes Mal besucht, wenn ich in Cres war, die Kapelle mit den Amphoren. Es war ein Ort, der in seiner Vergessenheit beständig war in einer schwankenden Welt. Das Geheimnis der Amphoren? Ich bin ihm nie nachgegangen. 

Sie liegen immer noch in der kleinen Kapelle, die Amphoren. Ich sah sie. Nur diesmal: ging ich ins kleine Museum von Cres. Es sind nur zwei Räume. Es kostet 10 Kuna, 1,50 Euro Eintritt. Im Unteren der beiden Räume fand ich drei Handvoll der Amphoren wieder. 

Ich fragte den Mann am Eingang nach den Amphoren in der Kapelle. Ja, die hier gezeigten seien auch welche aus der Kapelle. Es wäre ein griechisches Schiff gewesen mit einer Ladung voller Wein, das man draußen vor Kap Pernat gefunden hätte. Es wäre vor 2.500 Jahren draußen gesunken. Zerschellt am Kap Pernat, der Einfahrt in die Bucht von Cres.

Drinnen oder außen vor dem Kap?, frage ich. Draussen, sagt der Mann. „Sie haben es also gerade nicht geschafft, im aufziehenden Sturm in die Bucht. Und dann in den Hafen.“ Der Mann nickt. Er ist aus Cres. Er weiß, wie es sein kann, wenn plötzlich die Wolken von Nordosten aufziehen. Und innerhalb weniger Minuten die Bora mit sechs Windstärken weht. So wie an einem Tag vor zweieinhalb Tausend Jahren.

Unterwegs auf der Adria: Cres und das Geheimnis der Kapellen (I). Die steinernen Gesichter.

Gepostet auf der Insel Vis.

Nichts ist anders in Cres, dem Städtchen auf der gleichnamigen Insel, wie es vor sieben Jahren war. Alles ist, wie es immer war. Cres ist Ort der einfachen Sommerfreuden. Und die haben sich in sieben Jahren nicht verändert. Die Radfahrer, die vom Strand kommen, radeln vorsichtig immer noch auf dem ein Meter schmalen Streifen ums Hafenbecken. Die Restaurants rund um den kleinen Hafen haben immer noch dieselben tiefblauen Markisen – wer weiß, wer der verdienstvolle Mensch war, der in einem luziden Moment in der ungeschriebenen Geschichte dieser Stadt dafür sorgte, genau jenes tiefblauen Stoff zu verwenden, der heute das Bild um den alten Hafen prägt. Tiefblaue dunkle Markisen seit eh und je, auf denen die Namen der Restaurantsprangen. BUFFET REGATTA. PIZZERIA PALADA. HAMBI. NONO FRANE. BUFFET MARITTIMO. Nur der Mann mit dem kleinen Stand an der Hausmauer, der mir einst mein erstes Paar Croqs verkaufte, handelt heute nicht mehr mit Croqs. Sondern mit strohenen Hüten für Touristen. Man muss mit der Zeit gehen.

Ich ankere mit LEVJE, wo ich immer ankerte, auf Reede vor dem kleinen Kloster. Hier liegt man geschützt vor der Bora, die die nächsten Tage wehen soll. Auch hier beim Kloster hat sich nichts geändert. Eigentlich ankere ich ja hier nur wegen der Klosterglocken. Und weil ich nachsehen wollte, ob in der dickleibigen Wand des Klosterbaus mit den vielen Fenstern immer noch jeden Abend nur in einem einzigen Fenster das Licht angeht. Das im dritten Fenster von links im oberen Stockwerk. 

Und tatsächlich: Als wie jeden Abend um halb neun die Glocke des Klosters läutet. Und ihren dünnen Gesang über die Bucht schickt. Und es kaum dämmert: Geht auch schon das Licht im dritten Fenster des oberen Stockwerks an. Das Fenster steht offen. Der Vorhang bauscht sich leicht im Wind. Der Schein einer einfachen Lampe schimmert dazwischen.

Was wohl für ein Mensch in diesem Zimmer lebt? Ich stelle mir vor: Es wäre eine junge Frau. Sie arbeitet in der Küche des Klosters. Und jetzt, nachdem sie die drei letzten, steinalten Schwestern des Benediktinerinnen-Klosters versorgt hat, zieht sie sich auf ihr Zimmer zurück. Weil es ein Kloster ist, sieht sie nicht fern. Wozu auch?

Cres, das einst venezianisch, dann französisch, dann österreichisch und noch kein Jahrhundert kroatisch ist, war und ist ein gläubiger Ort. Die Messe am Samstag Abend im Kloster ist gut besucht. „An irgend ebbes muaß ma glooba“, antwortete meine schwäbische Großmutter, als ich sie einst naseweis fragte, wozu sie denn an Gott glaubte. Von derlei Pragmatismus scheinen auch die Bewohner des Städtchens Cres beseelt zu sein. Der Weg vom Kloster in die Stadt führt an mindestens drei Kapellen vorbei, sie liegen nicht weit voneinander entfernt. Kleine, unscheinbare Bauten am Wegrand. Manche kaum gepflegt. Andere verfallen. Eine Kette vergessener Orte, die sich zwischen der Stadt und dem Kloster hinzieht, bis dort, wo auf dem Weg zur Marina die Plattenbauten aus der sozialistischen Zeit stehen. So oft ich in Cres war, sah ich mir jede einzelne der Kapellen an. Ich entdeckte im Schlußstein des Torbogens das pausbäckige, schieläugige Engelsgesicht oben, von denen es manche in Cres gibt. Ich habe sie wieder und wieder fotografiert, die steinernen Gesichter von Cres. Und manchmal, wenn ich nachts auf See in einer einsamen Bucht schlief, träumte ich von ihnen. Das heißt was. Denn eigentlich träume ich nie.

Sie gaben mir Rätsel auf, die pausbäckigen Engelsgesichter mit den auseinander stehenden Augen. Hatte der Künstler in den auseinander stehenden Augen das engelsgleiche symbolisiert? Was bedeuteten sie? Sie waren so markant. Sie waren in manchen Häusern in den Torbögen verbaut. Und sie steckten, die markanten Gesichter, auf den vier Seiten der Pfarrkirche, auf jeder Seite zwei. Man sieht sie, wenn man vor dem Kirchturm steht. Und den Kopf in den Nacken legt, ganz oben. Ich stelle mir vor: Irgendein Künstler, der hier lebte, muss sie geschaffen haben. 

Jahre später traf ich die Gesichter wieder. 600 Seemeilen, über 1.100 Kilometer von Cres entfernt. Ich war auf LEVJE über Korfu in die Türkei gesegelt. Ich stieß in einem kleinen Museum in Athen auf weitere Köpfe. Wie diesen: 

 Da waren sie plötzlich wieder – genauso, als wären sie vom selben Künstler. Oder aus derselben Schule. „Mourionia“ nannte der Museumstext sie. Oder „Gargoyles“. Wasserspeier. Stilisierte Gesichter, die von den Schlusssteinen von Gebäuden von der Insel Korfu stammten.  Und vielleicht im 17. Jahrhundert geschaffen worden waren.

Cres?
Korfu??
Was haben denn die beiden fast 500 Seemeilen auseinanderliegenden Inseln miteinander gemein, außer dass sie beide an der Ostseite der Adria liegen?

Das 17. Jahrhundert. Auf einer anderen Insel, die ebenfalls auf dieser Wegstrecke liegt, auf der Insel Levkas, stieß ich auf eine Antwort. Und die wiederum führt nach Kreta, ins 17. Jahrhundert:

Vielleicht war der Künstler – oder sie –  unter den vielen Venezianern, die auf Kreta heimisch geworden waren. Und unter jenen, die die Insel flohen, als Candia, das heutige Herklion, nach vierzigjähriger Belagerung in die Hände der Türken fiel. Es waren im Kreta dieser Jahre neben denen, die nicht unter türkischer Herrschaft leben mochten, vor allem die Intellektuellen und Künstler, die in Candia ihre Heimat verloren. Maler. Buchdrucker. Kupferstecher. Steinmetze. Candia führte zu einem Exodus. Und die Künstler und Kunsthandwerker, die aus ihrer Heimat Kreta geflohen waren: sie ließen sich überall entlang der langen Route nieder zwischen Kreta und Venedig. In Lefkas. In Korfu. In Sibenik. Und auch in Cres.

Vielleicht. Vielleicht hat hier ein Mensch – oder mehrere – eine sichtbare Spur seines Lebens hinterlassen. Von Insel. Zu Insel.

Unterwegs auf der Adria: Cres und das Geheimnis der Kapellen (II).

Gepostet auf der Insel Vis.


Wenn man den Weg vom Kloster in Cres, vor dem ich ankerte, zur Stadt geht, kommt man an drei Kapellen vorbei. Vielleicht ist es ein lauer Abend, so wie der heutige, an dem ich die von Jasmin und Oliven gesäumte Straße vom Kloster in die Stadt wandere. Und kaum, dass ich den Ort verlassen habe, reizt es mich, noch einmal herauszufinden: Ob sich denn in diesem Cres nun wirklich nichts geändert hat. Vor Jahren hatte ich, weinschwer, in der Dunkelheit die namenlose Kapelle entdeckt, die dort steht, wo sich der Weg aus der Stadt mit der Straße zum Kloster kreuzt. Von Neugier getrieben, wich ich ein paar Schritte vom Weg ab. Und lugte in der Dunkelheit mit Hilfe durch eine kleine Öffnung in der Tür ins Innere der Kapelle. 

Im Dunkel der Kapelle sah ich erst nichts. Dann erkannte ich im Schein meiner Taschenlampe den Körper einer antiken Amphore. Verstaubt. Verkrustet. Von Kalk-Adern überzogen, als wären sie lange im Meer gelegen. Mit einem Zettel mit einer handgeschriebenen Zahl an ihrem Hals. Erst eine. 

Dann sah ich noch eine. Und noch eine. Der kleine Kirchenraum war gesteckt voll mit Amphoren. Selbst vor und hinter dem verfallenden hölzernen Altartisch Amphoren, selbst auf ihm. Im Dunkel des Raumes kindergroße bauchige Tonbehälter aus der Antike. Eine Fracht aus einer längst untergegangenen Welt. Eine Amphore neben der anderen stehend, sich stützend, haltend, als wären sie nirgendwo anders als im Rumpf eines antiken Handelsschiffes. Nur stehen sie jetzt in der Kapelle, überkrustet von Ablagerungen, kalkübersät, narbig. Eine Handvoll von ihnen hat man, weil der Platz nicht reichte, sogar auf dem Altartisch gestapelt. Sie liegen überall. Der verfallende Raum ist voll von ihnen. Als hätte ein Händler vor 2000 Jahren sie hier, genau hier abgestellt, mit einem Zettel an der Tür: „Komme gleich wieder.“ Und wäre dann verschwunden, wie Merlin, der Zauberer, in der Weite von Zeit und Welt.

Ich habe sie jedes Mal besucht, wenn ich in Cres war, die Kapelle mit den Amphoren. Es war ein Ort, der in seiner Vergessenheit beständig war in einer schwankenden Welt. Das Geheimnis der Amphoren? Ich bin ihm nie nachgegangen. 

Sie liegen immer noch in der kleinen Kapelle, die Amphoren. Ich sah sie. Nur diesmal: ging ich ins kleine Museum von Cres. Es sind nur zwei Räume. Es kostet 10 Kuna, 1,50 Euro Eintritt. Im Unteren der beiden Räume fand ich drei Handvoll der Amphoren wieder. 

Ich fragte den Mann am Eingang nach den Amphoren in der Kapelle. Ja, die hier gezeigten seien auch welche aus der Kapelle. Es wäre ein griechisches Schiff gewesen mit einer Ladung voller Wein, das man draußen vor Kap Pernat gefunden hätte. Es wäre vor 2.500 Jahren draußen gesunken. Zerschellt am Kap Pernat, der Einfahrt in die Bucht von Cres.

Drinnen oder außen vor dem Kap?, frage ich. Draussen, sagt der Mann. „Sie haben es also gerade nicht geschafft, im aufziehenden Sturm in die Bucht. Und dann in den Hafen.“ Der Mann nickt. Er ist aus Cres. Er weiß, wie es sein kann, wenn plötzlich die Wolken von Nordosten aufziehen. Und innerhalb weniger Minuten die Bora mit sechs Windstärken weht. So wie an einem Tag vor zweieinhalb Tausend Jahren.

Unterwegs auf der Adria: Cres und das Geheimnis der Kapellen (I). Die steinernen Gesichter.

Gepostet auf der Insel Vis.

Nichts ist anders in Cres, dem Städtchen auf der gleichnamigen Insel, wie es vor sieben Jahren war. Alles ist, wie es immer war. Cres ist Ort der einfachen Sommerfreuden. Und die haben sich in sieben Jahren nicht verändert. Die Radfahrer, die vom Strand kommen, radeln vorsichtig immer noch auf dem ein Meter schmalen Streifen ums Hafenbecken. Die Restaurants rund um den kleinen Hafen haben immer noch dieselben tiefblauen Markisen – wer weiß, wer der verdienstvolle Mensch war, der in einem luziden Moment in der ungeschriebenen Geschichte dieser Stadt dafür sorgte, genau jenes tiefblauen Stoff zu verwenden, der heute das Bild um den alten Hafen prägt. Tiefblaue dunkle Markisen seit eh und je, auf denen die Namen der Restaurantsprangen. BUFFET REGATTA. PIZZERIA PALADA. HAMBI. NONO FRANE. BUFFET MARITTIMO. Nur der Mann mit dem kleinen Stand an der Hausmauer, der mir einst mein erstes Paar Croqs verkaufte, handelt heute nicht mehr mit Croqs. Sondern mit strohenen Hüten für Touristen. Man muss mit der Zeit gehen.

Ich ankere mit LEVJE, wo ich immer ankerte, auf Reede vor dem kleinen Kloster. Hier liegt man geschützt vor der Bora, die die nächsten Tage wehen soll. Auch hier beim Kloster hat sich nichts geändert. Eigentlich ankere ich ja hier nur wegen der Klosterglocken. Und weil ich nachsehen wollte, ob in der dickleibigen Wand des Klosterbaus mit den vielen Fenstern immer noch jeden Abend nur in einem einzigen Fenster das Licht angeht. Das im dritten Fenster von links im oberen Stockwerk. 

Und tatsächlich: Als wie jeden Abend um halb neun die Glocke des Klosters läutet. Und ihren dünnen Gesang über die Bucht schickt. Und es kaum dämmert: Geht auch schon das Licht im dritten Fenster des oberen Stockwerks an. Das Fenster steht offen. Der Vorhang bauscht sich leicht im Wind. Der Schein einer einfachen Lampe schimmert dazwischen.

Was wohl für ein Mensch in diesem Zimmer lebt? Ich stelle mir vor: Es wäre eine junge Frau. Sie arbeitet in der Küche des Klosters. Und jetzt, nachdem sie die drei letzten, steinalten Schwestern des Benediktinerinnen-Klosters versorgt hat, zieht sie sich auf ihr Zimmer zurück. Weil es ein Kloster ist, sieht sie nicht fern. Wozu auch?

Cres, das einst venezianisch, dann französisch, dann österreichisch und noch kein Jahrhundert kroatisch ist, war und ist ein gläubiger Ort. Die Messe am Samstag Abend im Kloster ist gut besucht. „An irgend ebbes muaß ma glooba“, antwortete meine schwäbische Großmutter, als ich sie einst naseweis fragte, wozu sie denn an Gott glaubte. Von derlei Pragmatismus scheinen auch die Bewohner des Städtchens Cres beseelt zu sein. Der Weg vom Kloster in die Stadt führt an mindestens drei Kapellen vorbei, sie liegen nicht weit voneinander entfernt. Kleine, unscheinbare Bauten am Wegrand. Manche kaum gepflegt. Andere verfallen. Eine Kette vergessener Orte, die sich zwischen der Stadt und dem Kloster hinzieht, bis dort, wo auf dem Weg zur Marina die Plattenbauten aus der sozialistischen Zeit stehen. So oft ich in Cres war, sah ich mir jede einzelne der Kapellen an. Ich entdeckte im Schlußstein des Torbogens das pausbäckige, schieläugige Engelsgesicht oben, von denen es manche in Cres gibt. Ich habe sie wieder und wieder fotografiert, die steinernen Gesichter von Cres. Und manchmal, wenn ich nachts auf See in einer einsamen Bucht schlief, träumte ich von ihnen. Das heißt was. Denn eigentlich träume ich nie.

Sie gaben mir Rätsel auf, die pausbäckigen Engelsgesichter mit den auseinander stehenden Augen. Hatte der Künstler in den auseinander stehenden Augen das engelsgleiche symbolisiert? Was bedeuteten sie? Sie waren so markant. Sie waren in manchen Häusern in den Torbögen verbaut. Und sie steckten, die markanten Gesichter, auf den vier Seiten der Pfarrkirche, auf jeder Seite zwei. Man sieht sie, wenn man vor dem Kirchturm steht. Und den Kopf in den Nacken legt, ganz oben. Ich stelle mir vor: Irgendein Künstler, der hier lebte, muss sie geschaffen haben. 

Jahre später traf ich die Gesichter wieder. 600 Seemeilen, über 1.100 Kilometer von Cres entfernt. Ich war auf LEVJE über Korfu in die Türkei gesegelt. Ich stieß in einem kleinen Museum in Athen auf weitere Köpfe. Wie diesen: 

 Da waren sie plötzlich wieder – genauso, als wären sie vom selben Künstler. Oder aus derselben Schule. „Mourionia“ nannte der Museumstext sie. Oder „Gargoyles“. Wasserspeier. Stilisierte Gesichter, die von den Schlusssteinen von Gebäuden von der Insel Korfu stammten.  Und vielleicht im 17. Jahrhundert geschaffen worden waren.

Cres?
Korfu??
Was haben denn die beiden fast 500 Seemeilen auseinanderliegenden Inseln miteinander gemein, außer dass sie beide an der Ostseite der Adria liegen?

Das 17. Jahrhundert. Auf einer anderen Insel, die ebenfalls auf dieser Wegstrecke liegt, auf der Insel Levkas, stieß ich auf eine Antwort. Und die wiederum führt nach Kreta, ins 17. Jahrhundert:

Vielleicht war der Künstler – oder sie –  unter den vielen Venezianern, die auf Kreta heimisch geworden waren. Und unter jenen, die die Insel flohen, als Candia, das heutige Herklion, nach vierzigjähriger Belagerung in die Hände der Türken fiel. Es waren im Kreta dieser Jahre neben denen, die nicht unter türkischer Herrschaft leben mochten, vor allem die Intellektuellen und Künstler, die in Candia ihre Heimat verloren. Maler. Buchdrucker. Kupferstecher. Steinmetze. Candia führte zu einem Exodus. Und die Künstler und Kunsthandwerker, die aus ihrer Heimat Kreta geflohen waren: sie ließen sich überall entlang der langen Route nieder zwischen Kreta und Venedig. In Lefkas. In Korfu. In Sibenik. Und auch in Cres.

Vielleicht. Vielleicht hat hier ein Mensch – oder mehrere – eine sichtbare Spur seines Lebens hinterlassen. Von Insel. Zu Insel.

Die Termine der "Sailing Bassman & Friends Sommertour“

Einfach auf Tour gehen kann ja jeder; wir machen diesen Sommer einmal etwas Neues. Statt mit Autos über Autobahnen und Landstraßen zu rollen, segeln wir mit zwei Booten von Hafen zu Hafen. Und zwar die ganze Ostseeküste entlang von meinem Heimathafen in der Flensburger Förde bis ganz nach Usedom. Und zwischendurch geben wir immer wieder Live-Konzerte in den Häfen auf dem Weg. Mit an Bord die neue Maxi CD „Ich geh‘ segeln“, der irische Sänger Dara McNamara, die Rockabilly Band Biggs B Sonic (in Travemünde und Kröslin), Tilmann Brt (in Travemünde), coole T-Shirts, Taschen, Seesäcke und Caps, unsere Instrumente und ein tolles Musikprogramm für den relaxten Segelsommer. Wir sehen uns!

19.07. Hamburg, Museumshafen Hafen City, ab 19:00h Benefizkonzert für die „Segelrebellen“ zusammen mit den Sailing Conductors
26.07. Eckernförde, Spieker, 18:00h
28.07. Laboe, Skippers Place, 19:00h
30.07. Travemünde, Travemünder Woche, 18:00h mit Biggs B Sonic und Tilmann Brt
04.08. Lübeck, Pressezentrum, ca. 12:00h
04.08. Boltenhagen, YachtWelt Weisse Wiek, 18:00h
06.08. Kühlungsborn, VielMeer, 18:00h
08.08. Zingst, Hafenbühne, 15:00h
12.08. Kröslin, Marina Kröslin,17:00h mit Biggs B Sonic 

Über den Kvarner.

Gepostet auf der Insel Hvar.

Vom Meer aus betrachtet, ist die Südspitze der Halbinsel Istrien ein Gleißen und Glimmen. Ein Funkeln, ein Glitzern oben auf dem felsigen Rücken, an dem ich LEVJE entlang weiter nach Süden auf die kleine Leuchtturm-Insel Porer und dann über den Kvarner zur Insel Cres steuern will. Das Kap: Es glitzert, weil hier, wo es nichts gibt außer dem karg bewachsenen Felsrücken, im Sommer auf der Höhe alle Parkplätze belegt sind. Während ich LEVJE durch die Untiefen am Kap steuere, sehe ich die Badenden, die sich irgendwo am sandfarbenen Ufer zwischen den Felsen tummeln. Für einen Moment beneide ich sie. Auf LEVJE ist es jetzt gerade ziemlich heiß. Ich würde jetzt zu gerne für einen Moment ins Wasser springen. Später. Wenn ich draußen bin. Auf dem Kvarner.

Draußen weht ein leises Lüftchen. Ich lasse den Motor lieber aus. Motor: Das ist zwar ein schnelles, berechenbares Ankommen, allerdings nach vierstündigem Gebrumm. Das lasse ich heute lieber. Mir ist mehr danach, die Stille zu genießen. Auch um den Preis des schnellen Ankommens.

Also mühe ich mich, und zerre irgendwo aus LEVJEs Bauch deren größtes Segel nach oben. Ein riesiges, 55 Quadratmeter großes grüngelbes Ding. Die Größe zweier Studentenbuden. Ich mühe mich eine halbe Stunde damit. Zerre den schweren Segelsack an Deck. Zwänge ihn in der Hitze weiter mit mir aufs Vorschiff wie ein Raubtier in der Hitze seine viel zu große Beute. Lege Leinen und Schoten des großen Segels an Deck aus, während LEVJE kaum Fahrt durchs Wasser macht und durch die ölig daliegende Weite vor dem glitzernden Kap schleicht. Entwirre Schoten, die mir kilometerlang vorkommen. Ziehe zuletzt das gelbgrüne Segel mindestens zwei Mal am Mast hoch, weil ich ein Gummiband oben an der Spitze vergaß und erst entdecke, als ich das Segel schon oben habe. Die an Deck meistgehörte Lautkombination „Och neeeee!“ fällt im Minuten-Takt.

1. Der Kvarner?



Er ist ein Meeresarm. Er trennt den Norden Kroatiens vom Süden und von den Inseln. Eigentlich ist der Kvarner nichts. Ein Meeresarm, bloß eine mit dem Wasser der Adria verfüllte 50 Meter tiefe Talsohle zwischen zwei Höhenrücken, die von Nord nach Süd laufen. Der eine Höhenrücken ist der Rand der Halbinsel Istrien. Das andere ist die Insel Cres. Und dazwischen liegt der Kvarner.

Und doch ist dieses Nichts alles. Die Region um den 35 Kilometer breiten Meeresarm heißt Kvarner – das Nichts in der Mitte als identitätstiftendes Element für die Bevölkerung. Zeitungen hießen früher nach ihm. Hotels sowieso. Der Kvarner ist mehr als nur eine geografische Erscheinung. Und vor allem ist er eine Grenze. Er trennt Istrien vom Süden. Wo der Kvarner endet,  hinter Cres, heißt das Seegebiet Kvarneric. Hier beginnen gleich die Inseln. Die großen: Krk. Pag. Rab. Aber auch die kleinen: Losinj. Unije. Susak. Und es fängt fulminant an, mit Cres, denn die ist für mich eine der schönsten.

2. Der Kvarner für Segler?



Aber nicht nur für Kroaten ist der Kvarner eine Grenze. Auch für alle, die ihre Schiffe irgendwo im Norden in und um Lignano oder im slowenischen Izola oder Portoroz liegen haben. „Über den Kvarner geh’ ich mit meinem Boot nicht. Das trau ich mich nicht“, sagen Leute, die seit Jahr und Tag ihr Boot in Istrien haben. Es ist purer Respekt, der aus ihnen spricht. Auch die Motorbootleute, so sehr sie den PS ihrer hochmotorisierten Gefährte auch vertrauen, haben beim Kvarner ein mulmiges Gefühl. „Da hats bei Bora so komische Wellen“, sagen sie. Ich habe schon beobachtet, wie prächtige, schwere Motoryachten in rascher Fahrt vom Norden Istriens angeprescht kamen. Mit unverminderter Geschwindigkeit in eleganter Kurve am Leuchtturm vorbei nach Nordost in den Kvarner eindrehten. Und deren Skipper dann schlagartig mit schreckgeweiteten Augen den Gashebel ganz ganz schnell wieder zurückzunehmen, weil die Wellen, die die Bora den Kvarner entlang nach Südwesten sendet, ein angenehmes Gleiten mit 50 Stundenkilometern in Sekundenschnelle in einen schmerzhaften Ritt auf einem unkontrollierten Presslufthammer verwandeln.

Der Kvarner weiß, wie man sich Respekt verschafft. Selbst mein guter Sven, mit dem ich mir ein Jahrzehnt die JUANITA teilte, erzählt, wie er mit der damals erworbenen JUANITA, stattlichen 37 Fuß, Mitte der Achziger zu seiner ersten Kvarner-Überquerung aufbrach. Für die knapp 20 Seemeilen lange Strecke (was eigentlich nicht mehr als fünf Stunden Überfahrt sind) packte er mit Freunden Proviant und Trinkwasser für 14 Tage ein. Wer konnte schon wissen, was einem auf dem Kvarner passiert?

Vielleicht beruht der Mythos des Kvarner auch darauf, dass viele Segelschüler ihre ersten Ausbildungstörn hierher in und um dieses Seegebiet führt. Der Kvarner als etwas gaaaaanz großes, als man in die Welt noch mit kindlicher Neugier schaute. Und doch: Der Kvarner ist eine Grenze im Kopf. Und oft eine, auf die man achten sollte, wie die nachfolgende Geschichte zeigt, die ich aus sicherer Quelle habe. Sie  spielte sich vor einigen Jahren genauso hier ab. 

Eine Crew bricht auf ihrer gecharterten 45 Fuß-Yacht in Mali Losinj gen Norden auf, um den Kvarner zu überqueren. Der Rückgabetermin beim Vercharterer gebietet zur Eile. Der Wetterbericht rät ab. Und der Hafenkapitäns in Mai Losinj auch. Es war Bora angesagt, nichts dramatisches. „Wir haben doch eine 45er. Fast ein 14 Meter langes Schiff. Und wir müssen sie morgen zurückgeben“, mag der Skipper wohl noch gesagt haben. Draußen auf dem Kvarner weht die Bora heftiger. Böen fallen ein. Vielleicht gerät ein Segel beim Reffen außer Kontrolle, wer weiß das schon. Die Böen nehmen zu. Die Wellen auch. 
Das Schiff ruft per Funk um Hilfe. Ein aus Rijeka kommender Frachter legt sich neben das Schiff, um die mehrköpfige Besatzung vom Schiff. Die Stahlwand des Frachters demoliert das Rigg, das in den Wellen an die Bordwand des Frachters schlägt. Beim Abbergen der Familie fällt ein Familienmitglied zwischen die Bordwände und ertrinkt. Der Rest schaffts auf den Frachter.

Doch das ist nicht das Ende der Geschichte:
Die aufgegebene Yacht fand man etwa 24 Stunden später treibend vor dem italienischen Ancona. Bis auf das Rigg unbeschädigt. Und mit laufendem Motor im Standgas. So wie die Crew das Schiff verlassen hatte.

3. Spaß auf dem Kvarner.

Ich setze frech mein großes gelbes Segel. Und segle, weil der Wind günstig steht, hinauf Richtung Cres, wie ein Schmetterling mit breit auseinandergestellten Segeln. Der Wind weht schwach, doch stabil nach Nordosten, immerhin mit etwas mehr als vier Knoten ging die Fahrt voran. Weil der Kurs die Temperatur auf LEVJE immer heißer werden ließ, beschloss ich, endlich baden zu gehen. Liess LEVJE laufen. Zog mich nackt aus. Klappte die Badeleiter aus. Und stieg die Badeleiter hinunter in das Jaccuzzi-Sprudeln, das unter LEVJES durchs tiefe Blau dahingleitenden Bauch hervorsprudelt in reichem Schwall. Ein Vergnügen. Wenn auch kein ungefährliches. Hätte ich den Halt verloren – selbst wo ich penibel darauf achtete, immer wie ein Bergsteiger mit mindestens drei Punkten am Schiff sicheren Halt zu haben – hätte ich den Halt verloren: Dann hätte mir wahrscheinlich auch der lange Festmacher wenig geholfen, den ich zur Sicherheit hinter LEVJE nachschleppe, um ihn zu fassen. Hätte ich den Halt verloren: Dann hätte ich die zehn Kilometer zum felsigen Ufer von Cres schwimmen müssen.

Es ist pure Unvernunft. Und doch: es ist Leben.

4. Ernst auf dem Kvarner.



Doch alles hat seinen Preis. Denn während ich hinten plantschte und meine Freude in den Schwällen hatte, frischte kurz der Wind auf. LEVJE zog noch schneller durch die Wellen, die ultimative Mutprobe, mich nur noch an den Händen von meinem Schiff durch die Wellen ziehen zu lassen: Die traute ich mich nicht mehr. Ich schaute nur nach hinten. Und sah nicht den Rand der Gewitterfront, die sich hinter dem großen gelben Segel im Nordosten über Cres aufbaute. 

Plötzlich stand LEVJE. Plötzlich war der Wind weg. Kurz vor der Einfahrt am Kap Pernat fiel das große gelbe Segel in sich zusammen. Da war die große Front. Keine schwarze Bedrohung. Nur ein riesiges Wolkengebilde. Ein Riesenaggregat an thermischer Kraft.

Mit einem Mal wehten die Böen aus dem Kvarner. Färbten das vorher tiefblaue Wasser aufgerauht Schwarz. Und kamen näher. 

„Einhand-Segeln ist: Viel zu wenig Zeit und zuwenig Hände für all das, was in dem einem Moment zu tun ist.“ sagt Einhandsegler Klaus Aktoprak auf seiner sehenswerten DVD, die er auf seinen Einhandtörns gedreht hat. Mit einer einzigen Bewegung versuchte ich in ein und demselben Moment,

das wild schlagende gelbe Ding zu bändigen
das Großsegel einzurollen
den Motor zu starten
den Leinenverhau auf dem Vordeck irgendwie unter Kontrolle zu bringen.

Für einen Moment treiben wir führungslos in den Böen durch die Wellen. Ich versuche, zunächst das große gelbe Ding zu retten. Und einzurollen. Bevor der Wind das bauchige Teil weiter knallen und schlagen oder gar die gefürchtete Sanduhr daraus formen würde. Als es nach einer Ewigkeit endlich sauber eingerollt war, zerrte ich es herunter. Und vertäute es an Deck, damit der Wind nicht noch mehr Unheil anstellen konnte.

Um die 20 Knoten zeigte der Windmesser. In Böen 30. Und das, wo doch der kroatische Wetterbericht derlei erst für nächsten Morgen vorhergesagt hatte. Aber so ist das: Für alles im Leben gibt es eine Rechnung. Und für Übermut hat das Leben für mich immer eine extra Rechnung parat.

Und der Kvarner? Wieder einmal hat sich das Nichts Respekt verschafft.

Über den Kvarner.


Vom Meer aus betrachtet, ist die Südspitze der Halbinsel Istrien ein Gleißen und Glimmen. Ein Funkeln, ein Glitzern oben auf dem felsigen Rücken, an dem ich LEVJE entlang weiter nach Süden auf die kleine Leuchtturm-Insel Porer und dann über den Kvarner zur Insel Cres steuern will. Das Kap: Es glitzert, weil hier im Sommer, wo es nichts gibt außer dem karg bewachsenen Felsrücken auf der Höhe alle Parkplätze belegt sind. Während ich LEVJE durch die Untiefen am Kap steuere, sehe ich die Badenden, die sich irgendwo am sandfarbenen Ufer zwischen den Felsen tummeln. Für einen Moment beneide ich sie. Auf LEVJE ist es jetzt gerade ziemlich heiß. Ich würde jetzt zu gerne für einen Moment ins Wasser springen. Später. Wenn ich draußen bin. Auf dem Kvarner.

Draußen weht ein leises Lüftchen. Ich lasse den Motor lieber aus. Motor: Das ist zwar ein schnelles, berechenbares Ankommen, allerdings nach vierstündigem Gebrumm. Das lasse ich heute lieber. Mir ist mehr danach, die Stille zu genießen. Auch um den Preis des schnellen Ankommens.

Also mühe ich mich, und zerre irgendwo aus LEVJEs Bauch deren größtes Segel nach oben. Ein riesiges, 55 Quadratmeter großes grüngelbes Ding. Die Größe zweier Studentenbuden. Ich mühe mich eine halbe Stunde damit. Zerre den schweren Segelsack an Deck. Zwänge ihn in der Hitze weiter mit mir aufs Vorschiff. Lege Leinen und Schoten des großen Segels an Deck aus, während LEVJE kaum Fahrt durchs Wasser macht und fast in der ölig daliegenden Weite vor dem glitzernden Kap zu liegen scheint. Entwirre Schoten, die mir kilometerlang vorkommen. Ziehe zuletzt das gelbgrüne Segel zwei Mal am Mast hoch, weil ich ein Gummiband oben an der Spitze erst entdecke, als ich das Segel schon oben habe. Die an Deck meistgehörte Wortkombination „Och neeeee!“ fällt im drei-Minuten-Takt.

1. Der Kvarner?



Er ist ein Meeresarm. Er trennt den Norden Kroatiens vom Süden und von den Inseln. Eigentlich ist der Kvarner nichts. Ein Meeresarm, bloß eine mit dem Wasser der Adria verfüllte 50 Meter tiefe Talsohle zwischen zwei Höhenrücken, die von Nord nach Süd laufen. Der eine Höhenrücken ist der Rand der Halbinsel Istrien. Das andere ist die Insel Cres. Und dazwischen liegt der Kvarner.

Und doch ist dieses Nichts alles. Die Region um den 35 Kilometer breiten Meeresarm heißt Kvarner – das Nichts in der Mitte als identitätstiftendes Element für die Bevölkerung. Zeitungen hießen früher nach ihm. Hotels sowieso. Der Kvarner ist mehr als nur eine geografische Erscheinung. Und vor allem ist er eine Grenze. Er trennt Istrien vom Süden. Wo der Kvarner endet,  hinter Cres, heißt das Seegebiet Kvarneric. Hier beginnen gleich die Inseln. Die großen: Krk. Pag. Rab. Aber auch die kleinen: Losinj. Unije. Susak. Und es fängt fulminant an, mit Cres, denn die ist für mich eine der schönsten.

2. Der Kvarner für Segler?



Aber nicht nur für Kroaten ist der Kvarner eine Grenze. Auch für alle, die ihre Schiffe irgendwo im Norden in und um Lignano oder im slowenischen Izola oder Portoroz liegen haben. „Über den Kvarner geh’ ich mit meinem Boot nicht. Das trau ich mich nicht“, sagen Leute, die seit Jahr und Tag ihr Boot in Istrien haben. Es ist purer Respekt, der aus Ihnen spricht. Auch die Motorbootleute, so sehr sie auch ihren den PS ihrer hochmotorisierten Gefährte auch vertrauen, haben beim Kvarner ein mulmiges Gefühl. „Da hats bei Bora so komische Wellen“, sagen sie. Ich habe schon beobachtet, wie prächtige, schwere Motoryachten in rascher Fahrt vom Norden Istriens angeprescht kamen. Mit unverminderter Geschwindigkeit in eleganter Kurve am Leuchtturm vorbei nach Nordost in den Kvarner drehten. Um dann schlagartig mit schreckgeweiteten Augen den Gashebel ganz ganz schnell wieder zurückzunehmen, weil die Wellen, die die Bora den Kvarner entlang nach Südwesten sendet, ein angenehmes Gleiten mit 50 Stundenkilometern in Sekundenschnelle in einen schmerzhaften Ritt auf einem unkontrolliert dahinhüpfenden Presslufthammer verwandeln.

Der Kvarner weiß, wie man sich Respekt verschafft. Selbst mein guter Sven, mit dem ich mir ein Jahrzehnt die JUANITA teilte, erzählt heute lachend, wie er mit der damals erworbenen JUANITA, stattlichen 37 Fuß, Mitte der Achziger zu seiner ersten Kvarner-Überquerung aufbrach. Nur für die knapp 20 Seemeilen lange Strecke (was eigentlich nicht mehr als fünf Stunden Überfahrt sind) packte er mit Freunden Proviant und Trinkwasser für 14 Tage ein. Wer konnte schon wissen, was einem auf dem Kvarner passiert?

Vielleicht beruht der Mythos des Kvarner auch darauf, dass viele Segelschüler ihre Scheine hier in und um dieses Seegebiet machen. Der Kvarner ist eine Grenze im Kopf. Und oft eine, auf die man hören sollte, wie die nachfolgende Geschichte aus sicherer Quelle zeigt. 

Sie  spielte sich vor einigen Jahren genauso hier ab. Eine Crew bricht auf ihrer gecharterten 45 Fuß-Yacht in Mali Losinj gen Norden auf, um den Kvarner zu überqueren. Der Rückgabetermin beim Vercharterer drängt zur Eile. Der Wetterbericht rät ab. Und der Hafenkapitäns in Mai Losinj auch. Es war Bora angesagt, nichts dramatisches. „Wir haben doch eine 45er. Fast ein 14 Meter langes Schiff. Und wir müssen sie morgen zurückgeben“, hat der Skipper wohl noch gesagt. Draußen auf dem Kvarner weht die Bora heftiger. Vielleicht geraten die Segel beim Reffen außer Kontrolle, wer weiß das schon. Das Schiff ruft per Funk um Hilfe. Ein aus Rijeka kommender Frachter legt sich neben das Schiff, um die mehrköpfige Besatzung abzubergen. Die Stahlwand des Frachters demoliert das Rigg, das in den Wellen an die Bordwand des Frachters schlägt. Beim Abbergen der Familie fällt ein Familienmitglied zwischen die Bordwände und ertrinkt. Der Rest schaffts auf den Frachter.

Doch das ist noch nicht das Ende der Geschichte:
Die aufgegebene Yacht fand man etwa 24 Stunden später treibend vor dem italienischen Ancona. Das Rigg war demoliert. Aber der Motor lief noch. So wie die Crew das Schiff verlassen hatte.

3. Spaß auf dem Kvarner.

Ich setze frech mein großes gelbes Segel. Und segle, weil der Wind günstig steht, hinauf Richtung Cres, wie ein Schmetterling mit breit auseinandergestellten Segeln. Der Wind weht schwach, doch stabil nach Nordosten, immerhin mit etwas mehr als vier Knoten ging die Fahrt voran. Weil der Kurs die Temperatur auf LEVJE immer heißer werden ließ, beschloss ich, endlich baden zu gehen. Liess LEVJE laufen. Zog mich nackt aus. Klappte die Badeleiter aus. Und stieg die Badeleiter hinunter in das Jaccuzzi-Sprudeln, das unter LEVJES durchs tiefe Blau dahingleitenden Bauch hervorsprudelt in reichem Schwall. Ein Vergnügen. Wenn auch kein ungefährliches. Hätte ich den Halt verloren – selbst wo ich penibel darauf achtete, immer wie ein Bergsteiger mit mindestens drei Punkten am Schiff sicheren Halt zu haben – hätte ich den Halt verloren: Dann hätte mir wahrscheinlich auch der lange Festmacher wenig geholfen, den ich zur Sicherheit hinter LEVJE vorherausgebracht hatte. Hätte ich den Halt verloren: Dann hätte ich die zehn Kilometer zum felsigen Ufer von Cres schwimmen müssen.

Es ist pure Unvernunft. Und doch ist es auch Leben.

4. Ernst auf dem Kvarner.



Doch alles hat seinen Preis. Denn während ich hinten plantschte und meine Freude in den Schwällen hatte, frischte kurz der Wind auf. LEVJE zog noch schneller durch die Wellen, die ultimative Mutprobe, mich nur noch an den Händen von meinem Schiff durch die Wellen ziehen zu lassen: Die traute ich mich nicht mehr. Ich schaute nur nach hinten. Und sah nicht den Rand der Gewitterfront, die sich hinter dem großen gelben Segel im Nordosten über Cres aufbaute. 

Plötzlich stand LEVJE. Plötzlich war der Wind weg. Kurz vor der Einfahrt am Kap Pernat fiel das große gelbe Segel in sich zusammen. Da war die große Front. Keine schwarze Bedrohung. Nur ein riesiges Wolkengebilde. Ein Riesenaggregat an thermischer Kraft.

Mit einem Mal wehten die Böen aus dem Kvarner. Färbten das vorher tiefblaue Wasser aufgerauht Schwarz. Und kamen näher. 

„Einhand-Segeln ist: Viel zu wenig Zeit und zuwenig Hände für all das, was in dem einem Moment zu tun ist.“ sagt Einhandsegler Klaus Aktoprak auf seiner sehenswerten DVD, die er auf seinen Einhandtörns gedreht hat. Mit einer einzigen Bewegung versuchte ich in ein und demselben Moment,

das wild schlagende gelbe Ding zu bändigen
das Großsegel einzurollen
den Motor zu starten
den Leinenverhau auf dem Vordeck irgendwie unter Kontrolle zu bringen.

Für einen Moment treiben wir führungslos in den Böen durch die Wellen. Ich versuche, zunächst das große gelbe Ding zu retten. Und einzurollen. Bevor der Wind das bauchige Teil weiter knallen und schlagen oder gar die gefürchtete Sanduhr daraus formen würde. Als es nach einer Ewigkeit endlich sauber eingerollt war, zerrte ich es herunter. Und vertäute es an Deck, damit der Wind nicht noch mehr Unheil anstellen konnte.

Um die 20 Knoten zeigte der Windmesser. In Böen 30. Und das, wo doch der kroatische Wetterbericht derlei erst für nächsten Morgen vorhergesagt hatte. Aber so ist das: Für alles im Leben gibt es eine Rechnung. Und für Übermut hat das Leben für mich immer eine extra Rechnung parat.

Und der Kvarner? Wieder einmal hat sich das Nichts Respekt verschafft.

SV Shalom – Christoph Vougessis GER

ANGEKOMMEN UND AUSGESCHLAFEN

Moin Herr Foerthmann!
Ich bin unendlich glücklich über ihren Windpiloten. Inzwischen habe ich Ihn heilig gesprochen und kann Ihnen garnicht genug dafür danken! Ohne Sie wäre diese Reise in diesem Ausmaß garnicht möglich gewesen. Die ersten Fotos habe ich heute schon ausgesucht und sitze auch schon am Text. Momentan geht es aber noch langsam voran, da etliche Arbeiten noch anstehen. Dafür hat Tiego, ein Local, bereits einen schönen Bericht mit Fotos auf seinen bekannten Blog gestellt WEITERLESEN

Egmont Friedl (Knoten und Spleissen) – Zu Besuch bei segel-filme.de

Vielen Seglern ist er bekannt als Mann der Knoten und Spleisse. Mit seiner audiovisuellen Anleitung hat er eine Art Standardwerk für diesen Bereich geschaffen. Auch auf den Wassersportmessen ist er mit seinen Fachvorträgen und Workshops regelmäßig präsent. Doch Egmont ist viel mehr, als Knoten und Spleissen.

Egmont Friedl hat uns bei segel-filme besucht und ein bisschen aus seinem bewegten seglerischen Leben erzählt.

14447 x angesehen

SV Mizar – Hiromi + Wouter Bod FR

TWO BOREAL 47 IN HAMILTON AT THE SAME TIME

SV Mizar in the Bermuda Islands with Wouter & Hiromi Bod watching another day of training of the America’s Cup boats.